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Mit Resonanz hat Hartmut Rosa ein Konzept vorgeschlagen, um der hegemonialen und verdinglichenden Beschleunigung des Renten- und Spekulationskapitalismus entgegenzuwirken. Ihm zufolge wird die tiefgreifende Umgestaltung unserer Gesellschaften nur dann gelingen, wenn wir uns darauf einlassen, ein neues Verhältnis zur Welt einzugehen, das von einer »responsiven« Beziehung zu ihr geprägt ist. Worin könnte diese Resonanz konkret bestehen? Und vor allem, wie könnte sie der jüngeren Generation helfen, mit der Realität des Anthropozäns zu leben? Im Gegensatz zur Erziehung zur »Nachhaltigkeit« scheint Resonanz ein neues Paradigma zu sein, das eine andere Welt hervorbringen kann, in der sich Menschen und Nicht-Menschen nicht mehr gegenüberstehen würden. Es ist an der Zeit, so Rosa, darauf zu hören, was die Welt uns zu sagen hat ...
Dieser Interviewband bietet nicht nur eine gut zugängliche Einführung in Rosas Denken, seine Konzepte und Leitbegriffe, sondern auch eine Weiterführung seiner Philosophie und kapitalismuskritischen Interventionen.
»Eine bessere Welt ist möglich. Wir müssen lernen, der Welt zuzuhören, sie neu wahrzunehmen und auf sie zu reagieren. Das ist etwas ganz anderes, als über sie zu verfügen.« Hartmut Rosa
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Seitenzahl: 53
Hartmut Rosa
Beschleunigen wir die Resonanz!
Bildung und Erziehung im Anthropozän
Gespräche mit Nathanaël Wallenhorst
Aus dem Französischen von Christine Pries
Suhrkamp
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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2024
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage des suhrkamp taschenbuchs 5356.
Deutsche Erstausgabe© der deutschsprachigen Ausgabe Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2024© Éditions Le Pommier/Humensis, 2022
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Umschlaggestaltung: Brian Barth
eISBN 978-3-518-77762-6
www.suhrkamp.de
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Informationen zum Buch
Cover
Titel
Impressum
Beschleunigen wir die Resonanz!
Vorwort. Der Welt zuhören lernen …, um unsere Gesellschaften zu verwandeln
Unter dem Druck der Beschleunigung lernen
Beschleunigung oder Entschleunigung?
Das Streben nach einem »guten Leben«
Vibrierende Beziehungen, die uns dezentrieren
Von der Beschleunigung zur Großen Beschleunigung
Was können wir tun?
Den Kapitalismus hinter sich lassen
Bibliographie
Fußnoten
Informationen zum Buch
Beschleunigen wir die Resonanz!
Der Welt zuhören lernen …, um unsere Gesellschaften zu verwandeln
Bevor ich im Juni 2016 zu meinem Treffen mit Hartmut Rosa aufbrach, hatte ich die Originalausgabe des Buches Resonanz gelesen (das erst zwei Jahre später ins Französische übersetzt wurde). In seinen beiden vorherigen Werken, Beschleunigung sowie danach Beschleunigung und Entfremdung, war es Rosa gelungen herauszuarbeiten, in welchem Maße unsere Gesellschaften sich nur noch auf dynamische Weise zu stabilisieren vermögen. Letztendlich brauchen sie das Wachstum, obwohl es wesentlich zur Entfremdungserfahrung in der Gegenwart beiträgt! In Resonanz hat Rosa es gewagt, Leitlinien zu entwerfen, die einer hegemonialen und Verdinglichung hervorrufenden Beschleunigung abhelfen sollen, welche uns alle in sich immer schneller in ihren Rädchen drehende, schlussendlich aber auf der Stelle tretende Hamster verwandelt.
Rosas Überlegungen waren begrüßenswert: Wir seien nicht dazu verurteilt, an einem Burnout zugrunde zu gehen; ein Leben jenseits der Beschleunigung, die dem unsere Gesellschaften vergiftenden Kapitalismus der Rentiers und der Spekulation innewohnt, sei möglich. Wie? Indem die Resonanz wachgehalten wird. Das deutsche Wortfeld, von dem dieser Begriff seinen Ausgang nahm, ist durch zwei Wesenszüge gekennzeichnet, die für die soziologische Tradition Frankreichs ungewöhnlich sind: durch die Mobilisierung der existenziellen Komponente des Menschseins und durch die Formulierung eines zukunftsorientierten Denkens auf gesellschaftskritischer Basis. Darüber musste ich mehr erfahren.
Im selben Zeitraum las ich eine Reihe von geowissenschaftlichen Aufsätzen über das Anthropozän, also jene neue geologische Epoche, die gekennzeichnet ist durch eine dauerhafte Veränderung der Bewohnbarkeitsbedingungen der Erde für die uns bekannten Gesellschaften. Unter den Autor:innen der etwa zehn wissenschaftlichen Aufsätze auf meinem Schreibtisch bestand der eindeutige Konsens, dass die menschlichen Aktivitäten das Erdsystem mindestens für die nächsten Zehntausende von Jahren verändert haben. Was in dieser wissenschaftlichen Literatur bei uns für diese historisch beispiellose Zerstörung des Lebendigen verantwortlich gemacht wurde, nannte sich »Imperialismus«, »Herrschaft«, »Kapitalismus«, »Konsumismus«, aber auch und vor allem »Große Beschleunigung«. Mit diesem Ausdruck wird in der Forschung die Art und Weise bezeichnet, wie ab den 1950er Jahren ein mit einem Anstieg der menschlichen Bevölkerung gepaarter exponentieller Konsum das gesamte Erdsystem auf einen aberwitzigen Kurs gebracht und einen für das menschliche Leben in Gesellschaften ungeeigneten Horizont eröffnet hat. »Große Beschleunigung« war der andere Name des »Anthropozäns«.
Und auf einmal schlug ein deutscher Soziologe unabhängig von einer Analyse der Großen Beschleunigung des Anthropozäns eine Lösung für die Beschleunigung in den Gesellschaften der Gegenwart vor: die Resonanz! Was wäre, wenn … Rosas Resonanz das Zeug hätte, die Große Beschleunigung des Anthropozäns einzudämmen – und auf diese Weise die Chronik einer angekündigten Apokalypse zu umgehen?
Als ich den Soziologen von der Universität Jena kennenlernte, suchte ich gerade nach einer Möglichkeit, wie sich das Denken über Bildung und Erziehung neu begründen ließe. Sind Bildung und Erziehung nicht die glaubwürdigsten politischen Mittel, um in dieser neuen geologischen Epoche einen tiefgreifenden und dauerhaften Wandel herbeizuführen? De facto scheinen die Bildungs- und Erziehungstraditionen unserer westlichen Gesellschaften auf ein beispielloses Scheitern hinauszulaufen: Es ist uns nicht gelungen, den Beginn des Anthropozäns zu verhindern. Auch die Erziehung zur Nachhaltigkeit hat es nicht vermocht, wirkmächtige paradigmatische Neuerungen für die Heraufkunft einer Welt zu entwickeln, die eben nicht dem Untergang alles Lebens die Bühne bereitet.
Deshalb empfiehlt es sich, die Zweckmäßigkeit aller Formen von Erziehung zu hinterfragen. Besteht diese darin, die Schüler:innen an den jetzigen Gang der Gesellschaften anzupassen – in dem Wissen, dass diese gerade den Ast absägen, auf dem wir sitzen? Oder besteht sie eher darin, an der Transformation unserer Gesellschaften zu arbeiten, damit sie den Weg zu ihrem Fortbestand finden? In diesem Fall würde sich die Aufgabe schulischer Bildung nicht auf den Wissenserwerb und auf die »Kapitalisierung eines Portfolios von Kompetenzen« beschränken, wie es in der im Denken über Bildung und Erziehung mittlerweile üblichen ökonomischen Ausdrucksweise heißt. Sondern darum, zu lernen, darüber hinauszugelangen. Was fangen der kleine Leo und die kleine Lea mit ihrem Wissen an, nachdem sie Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt haben?
An dieser Stelle hat die im eigentlichen Sinne politische Zweckmäßigkeit schulischer Bildung, über welche das Anthropozän uns nachdenken lässt, ihren Auftritt. Wir sind solch eine politische Inanspruchnahme schulischer Bildung nicht mehr gewohnt, seit Pädagog:innen und Lehrkräfte vollständig verinnerlicht haben, dass sie »im Unterricht keine Politik machen« sollen. Dennoch: Es geht durchaus darum, im Denken über Bildung und Erziehung in dem Moment neue Paradigmen zu entwickeln, wo eine neue Etappe eingeläutet wird – eine Etappe, deren Bedeutung vergleichbar ist mit der Phase, die während der ersten Jahrtausende des Holozäns, also in der vorherigen geologischen Epoche, ablief. Seit ihren Anfängen vor 11700 Jahren haben ihre erstaunliche klimatische Stabilität und Berechenbarkeit die Entstehung von Landwirtschaft und Viehzucht, die Sesshaftigkeit des Homo sapiens und im Anschluss daran die Sedimentierung von Bildungs- und Erziehungstraditionen ermöglicht. Verfügt die Resonanz über genügend politische Kraft, um Erziehung und Bildung im Anthropozän neue Wege zu bahnen?