When Monsters Roar and Angels Sing - Hartmut Rosa - E-Book

When Monsters Roar and Angels Sing E-Book

Hartmut Rosa

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Beschreibung

Ehemals Musik junger Abgehängter und Outlaws, ist Heavy Metal heute mehr und mehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen: Wohl mehr als 10 Millionen Deutsche hören Heavy Metal. Aber warum tun sie das? Was suchen und was finden sie in dieser Musik, die von Außenstehenden oft als purer Lärm empfunden wird? Warum wimmelt es im Heavy Metal nur so von Monstern und Teufeln - und wieso schweigen auch die Götter und die Engel nicht? Was erleben Metalfans, wenn sie ihre Musik hören - und welche Erfahrung treibt sie immer wieder ins Konzert? Wieso lesen sie ständig Musikzeitschriften und hören nicht auf, CDs zu kaufen? Wie ist es zu erklären, dass 40 Prozent der Metalfans behaupten, die Musik habe ihr Leben gerettet? Und warum ist Heavy Metal stärker als die Musikindustrie? Worum geht es im Heavy Metal wirklich? Diese Fragen und mehr beantwortet Hartmut Rosa in dieser kleinen Soziologie des Heavy Metal.

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[2]Metalbook, Vol. 1

Herausgegeben von Charalampos Efthymiou, Peter Kritzinger und Peter Pichler

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/metalbook

Der Autor

Hartmut Rosa, geb. 1965 im Schwarzwald, ist seit 2005 Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena und seit 2013 zugleich Direktor des Max-Weber-Kollegs an der Universität Erfurt. Seine Bücher über die Zeitnot der modernen Gesellschaft (Beschleunigung, 2005) und die durch sie ausgelösten Entfremdungserfahrungen und Resonanzhoffnungen der Menschen (Resonanz, 2016) fanden weltweite Beachtung und wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt. 2023 erhielt Rosa den renommierten Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis. Daneben ist er aber seit seiner Jugendzeit auch großer Heavy Metal-Fan und Hobby-Keyboarder in Amateurbands.

[3]Hartmut Rosa

When Monsters Roar and Angels Sing

Eine kleine Soziologie des Heavy Metal

Verlag W. Kohlhammer

[4]Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

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Umschlagabbildung: © Adobe Stock/Warpedgalerie

Autorenportrait: © Jürgen Scheere

Zusatzmaterial online: https://dl.kohlhammer.de/978-3-17-042648-1

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-042648-1

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-042649-8

epub: ISBN 978-3-17-042650-4

[5]Meinen Metal-Brüdern

Armin, Stefan, Simon und Peter sowie Dörte Wehner und allen Musikerinnen und Musikern von Scarecrow Overdrive, Comet Crash, Panacea, Purple Haze, Red Foil, Los Profesores, Varnish, WAP und Mitho Kanywa, mit denen ich in wilden Jahren die Bühne geteilt habe,

gewidmet.

[7]Inhalt

Intro

1

Einleitung: „It’s Heaven and Hell“

2

„He is insurrection, he is spite“: Die Geburt des Heavy Metal aus der Rockmusik

3

Wer hört denn das Zeug?!

4

„Oh ja, ich erinnere mich!“ Was die Musik für das Leben der Fans bedeutet

5

Mit Ganzkörpergänsehaut und Tränen in den Augen: Metal hören

6

Näher als Dein eigener Atem: Metal als Tiefenresonanz

7

„Paradise is here“: Konzertbeginn und Konzertende als Epiphanien

8

„Das können die doch nicht ernst meinen? Oh doch, das können die!“ Worum es wirklich geht

9

Exkurs zum Schluss: Wie der Heavy Metal die Kulturindustrie besiegte

Outro

Danksagung

Glossar

Register

[9]Intro

Es ist mit dem Menschen wie mit dem Baume:Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, um so stärker streben seine Wurzeln erdwärts,abwärts, ins Dunkle, Tiefe – ins Böse.

Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra

Ich habe eine Theorie. Und ich habe eine Erfahrung. Eine mächtige, gewaltige Erfahrung – die Erfahrung einer ungeheuren Energie, die im Heavy Metal freigesetzt wird, so dass sie meinen Körper und meine Seele von innen und außen gleichzeitig ergreift und bewegt, verbindet und zusammenführt. Sie rührt an die tiefsten Tiefen in mir und strebt zugleich nach oben in die höchsten Höhen, die mir möglich scheinen. Jetzt muss ich die Theorie und die Erfahrung nur zusammenbringen – und das will ich in diesem kleinen Buch versuchen. Ich verbinde damit die Hoffnung, dass die hier erprobte Art des Zusammenführens von Resonanztheorie und musikalischer Erfahrung auch für ganz andere musikalische Erfahrungskontexte und sogar darüber hinaus für das Verständnis unserer sinnlichen, ästhetischen und leiblichen Erfahrungen fruchtbar werden kann.

1[11]Einleitung: „It’s Heaven and Hell“

Es ist nicht so, dass ich nicht gewarnt worden wäre. Als ich so um die 15 Jahre alt war, fing ich an, Rockmusik zu hören, richtig harte Rockmusik. Es begann mit Pink Floyd und dem Progressive Rock, denen meine Liebe bis heute gehört. Aber bald kamen Iron Maiden hinzu, deren erstes Album (Iron Maiden,1980) mein bester Schulfreund, Stefan, und ich hinauf und hinunter hörten. Es ist ja nicht so, dass die Texte der einzelnen Songs auf dieser Platte viel Sinn ergäben. Das tun sie übrigens eher selten im Heavy Metal. Aber sie erzeugen zusammen mit der Musik eine besondere Atmosphäre und eine Bewegung. Nehmen wir beispielsweise „Remember Tomorrow“ auf der Platte Iron Maiden. „Tears for somebody, and this lonely boy …“ Welcher Fünfzehnjährige würde sich da nicht angesprochen fühlen! Aber in einem wundersamen Kontrast zwischen den krachenden Gitarren, rollenden Bässen und gewaltigen Drums, die auf dem Album und auch in diesem Lied am Ende dominieren, kommen an dieser Stelle mit einem Mal zart schwebende, erhabene, fast mystische Töne aus den Lautsprechern: „Unchain the colours before my eyes“, die einzige Zeile, die zweimal wiederholt wird.

„Scan the horizon, the clouds take me higher; I shall returnfrom out of the fire …“

Was für ein Versprechen! Natürlich, für sich genommen vielleicht lächerlich, allenfalls Pennälerfutter. Aber es geht im Metal nicht um eine intellektuelle Welterklärung. Es geht um einen erschlossenen, gefühlten, leiblichen, emotionalen, lodernden, intensiven Kontakt mit der Wirklichkeit. Mit einer Wirklichkeit, die wir nicht verstehen, aber fühlen können, und die das Höchste und das Tiefste in uns [12]Menschen gleichermaßen umfasst. Und die unser Innerstes mit dem Äußersten der Welt verbindet. Es geht um Himmel und Hölle.

Es ist kein Zufall, dass das Black Sabbath-Album, das etwa Götz Kühnemund, legendärer Kult-Musikjournalist der Zeitschriften Rock Hard und Deaf Forever, als das beste Album aller Zeiten bewertet hat,1 diesen Titel trägt: Heaven and Hell. „The closer you get to the meaning; The sooner you’ll know that you’re dreaming; […] It’s Heaven and Hell“.

Stefan hat dieses Album gefunden, aber er hat es umgehend mit mir geteilt, ich habe es mir sofort auf Kassette überspielt. Wir saßen ja auch in der Schulbank nebeneinander und trieben mitunter die Lehrer zur Verzweiflung, weil uns der Sinn durchaus nicht nach Schulstoff stand. Wir hatten nicht die Bravo, sondern den Metal Hammer unter dem Tisch und träumten davon, unsere eigene Band zu gründen, was wir wenig später auch taten. Er wurde ein richtig guter Schlagzeuger, ich ein weniger als mittelmäßiger Keyboarder, weswegen ich recht bald aus der Band – Purple Haze – gefeuert wurde. Das war eine richtig harte Metal-Band, und in den frühen 80er Jahren waren Keyboards im Metal ohnehin noch verpönt. Wenigstens durfte ich auch weiterhin die Texte schreiben, die der Sänger allerdings nie richtig gelernt hat, was wiederum mich zur Weißglut brachte.

Jedenfalls haben wir Heaven and Hell zugleich mit Iron Maiden entdeckt, die beiden Alben kamen ja auch etwa zeitgleich heraus. Die Black Sabbath-Scheibe ‚flashte‘ uns beide augenblicklich und hinterließ einen ebenso tiefen wie anhaltenden Eindruck. Wo sonst in unserer Kultur geht es noch auf eine vergleichbare Weise um das Ganze? Um das Höchste und das Tiefste zugleich? Sicher, in den Religionen, in der Kirche. Aber dort geht (bedauerlicherweise) kaum noch jemand hin, jedenfalls keine jungen Menschen, die die Welt fühlen und leiblich erleben wollen. Oder im Kino, im Film. Aber da [13]sitzt man nur da. Man hat nicht leiblichen Anteil, und vor allem: Da steht einem vor Augen, was man denken und fühlen soll. Die Erfahrung wird dort durch die Handlung eingeengt und vorgegeben. Ich will Filme nicht schlecht machen (und schon gar nicht Bücher, die man hier auch noch in Erwägung ziehen könnte), aber es gibt eine entscheidende Differenz zwischen dem Weltzugang über Auge und Kopf, den das Buch und der Film bedienen, und der unmittelbaren Teilhabe an der Welt, die über das Ohr und den ganzen Körper erfolgt.

Nun ist es jedoch so, dass ich aus einem sehr strengen, zwar nicht christlichen, aber spirituell-esoterisch orientierten Elternhaus stamme, das einer super-asketischen und puritanischen religiösen Richtung folgte. Sie teilte die Welt in Reines und Unreines auf. Und Rockmusik, da gab es keinen Zweifel, war unrein. Wer derlei Musik hörte, war dem Teufel verfallen. Wir wollen nur Deine Seele lautete der Titel eines Buches von Ulrich Bäumer, das man mir zur Warnung in die Hände gab.2 Es wies ohne jeden Zweifel nach, dass Rockmusik das Einfallstor Satans war. Er griff durch sie hindurch nach meiner Seele. Das Buch häufte Beleg auf Beleg. Rückwärtsbotschaften in den Texten, schwarzmagische Praktiken, unerklärliche Vorfälle, Selbstmorde von Jugendlichen, die durch Satans Wirken in der Musik ausgelöst wurden – das ganze Register. Dennoch konnte ich nicht widerstehen. Und so war ich beständig hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen nach Iron Maiden und Black Sabbath und der Michael Schenker Group und den Scorpions und vielen anderen einerseits und dem schlechten Gewissen, oder mehr noch: einem heimlichen Grauen und sogar großer Angst andererseits. Dass Black Sabbath Satansanbeter waren, wusste jeder, spätestens nachdem Ozzy Osbourne die Sache mit der Fledermaus abgezogen hatte;3 sie trugen ja auch die Kreuze verkehrt herum. Aber auch Iron Maiden waren das Gegenteil von Gotteskindern. The Number of the Beastlautet der Titel ihres erfolgreichsten Albums, und der sagt ja bereits alles. Auf der Scheibe Fear of the Dark haben Iron Maiden einige [14]Jahre später sehr eindrucksvoll das Gefühl eingefangen, das ich damals hatte. Jeder Metalfan kennt die Zeilen:

Fear of the darkFear of the darkI have a constant fear that something’s always near […]I have a phobia that someone’s always there

Auch Judas Priest bringen dieses Gefühl auf den Punkt, etwa in „Nightcrawler“ vom Painkiller-Album:

Howling winds keep screaming roundAnd the rain comes pouring downDoors are locked and bolted nowAs the thing crawls into townStraight out of hellOne of a kindStalking his victimDon’t look behind youNightcrawlerBeware the beast in blackNightcrawlerYou know he’s coming backNight Crawler

Und so erging es mir fast haargenau wie dem Schweizer Schriftsteller Gion Mathias Cavelty, der dem Schweizer Rundfunk berichtete, wie er als Junge im konservativ-bürgerlichen Chur Black Sabbath’ erstes Album für sich entdeckte:

Es war ein Schock für mich. […] Ich liess die Platte […] heimlich laufen, als meine Eltern ausser Hauses waren, auf dem Plattenspieler meiner Mutter. Regen setzte ein, Kirchenglocken läuteten, und dann folgten DIESE drei Töne. Immer wieder. Sie kamen direkt aus der Hölle. Ich fühlte in mir ein Feuer aufflammen – ein Feuer, das mein gesamtes bisheriges Weltbild in Schutt und Asche legte. Ha ha! Klingt ganz schön pathetisch! Aber für mich als 11-Jährigen war es tatsächlich ein Moment von noch nie erlebter Heftigkeit.

Kurze Zeit später fiel ihm das Album Them des bekennenden Satanisten King Diamond in die Hände. Dabei geht es um unheimliche [15]Dämonen, die von einer irren alten Frau und ihrem Enkel heraufbeschworen werden.

Mein Gott, diese Platte hat mir das Mark in den Knochen gefrieren lassen. Ich hatte solche Angst, als ich sie mir anhörte, immer und immer wieder, heimlich in meinem Kinderzimmer in Chur. Und ich hatte wirklich das Gefühl, dass ‚sie‘ auch mit mir im Zimmer waren, angelockt durch die übermenschlich hohen Schreie von King Diamond.4

Nicht zu Unrecht weist Cavelty darauf hin, dass im gleichen Jahr, 1988, auch das Album Transcendence von Crimson Glory erschien: Im Heavy Metal geht es um Transzendenzerfahrungen, um die gefühlte Begegnung mit einer Macht oder einer Wirklichkeit, die über einen selbst hinausgeht; sei sie gut oder böse. Metal ist existenzielle Transgression, Überschreitung der alltäglichen Wirklichkeitsgrenzen nach oben wie nach unten. Diese Musik strebt nach dem Durchbruch zu einer anderen Wirklichkeitserfahrung – nicht nach einem Weltbild, nicht nach einerErklärung oder Theorie. Sie lässt sich nicht in einer festen Ordnungsvorstellung fixieren, sondern stets nur im flüchtigen, dynamischen Aufscheinen erahnen.

Schon vor 25 Jahren hat Jan Koenot diesen Zusammenhang, dieses Transzendenzverlangen sinngemäß zum Ausdruck gebracht. Der Titel seines Buches Hungry for Heaven. Rockmusik, Kultur und Religion ist nach einem Song des für viele besten Metal-Sängers aller Zeiten, Ronnie James Dio (der auch „Heaven and Hell“ einsang), benannt.5 Wo aber die Seele in den Himmel strebt, rasselt das Biest umso wilder an der Kette, wie Friedrich Nietzsche uns gelehrt hat. Heavy Metal lässt beständig die Monster los. Sie brüllen in den verzerrten Gitarren und in den wilden Growls, sie starren und fauchen uns aus tausenden von Songs und Plattencovern entgegen. Aber sie können doch auch nicht verbergen, dass die Harmonien hinter der Verzerrung von großer Reinheit und schlichter Schönheit sind, dass sich in den emporsteigenden Gitarrensoli, die sich aus dem archaischen Gerüst aus Rhythmusgitarre, Drums und Bässen erhe[16]ben, und in den schwebenden Keyboardsounds die Sehnsucht nach Erlösung Bahn bricht, und dass die meist weiblichen Engelsstimmen, die (Symphonic) Epic Metal-Bands wie Nightwish oder Within Temptation zu Millionensellern verhelfen, ihnen Paroli bieten. Die Death Metal-Band Amorphis hat diesen Gegensatz zwischen growlenden Monstervocals und engelsgleichem Klargesang seit vielen Jahren zu ihrem zentralen Stilprinzip erhoben und es damit geschafft, eine riesige Schar von Fans aus den unterschiedlichsten Lagern (denn es gibt sehr viele Spielarten des Heavy Metal) hinter sich zu vereinen. Ihre schwedischen Kollegen von In Flames, Soilwork und auch von Therion machen es ganz ähnlich, indem sie zwischen Klargesang und Growling hin- und herpendeln. Und Pain of Salvation, ebenfalls aus Schweden, machen auf wieder andere Weise, nämlich mit verschachteltem, progressivem Metal, auf den Zusammenhang zwischen Erlösungshoffnung und abgründiger Dunkelheit sowie Verzweiflung aufmerksam, den sie schon im Bandnamen zum Ausdruck bringen.

Ganz anders als Amorphis klingt indessen die Band Ghost, die einerseits in vielen Kreisen der Metal-Community Kultstatus genießt und andererseits großen Erfolg auch außerhalb dieser Community hat. Sie kombiniert komplexe, wohlgefällige und virtuos unterfütterte Melodien im Popsound mit ambivalenten Texten und einem bitterbösen Image, das um eine invertierte Papstfigur namens ‚Papa Emeritus‘ mit durchaus satanischen Anspielungen zentriert ist. Je mehr die melodiöse und harmonische Bewegung ins Licht und nach oben strebt, umso tiefer greifen die Wurzeln ins Böse: Ikonisch hierfür ist der Song „He Is“, der von den Lesern des Rolling Stoneauf Platz vier der besten Songs des Jahres 2015 gewählt wurde und diese existenzielle Ambivalenz vielleicht am radikalsten zum Ausdruck bringt:

He is, he’s the shining and the light Without whom I cannot see […] He’s the force that made me be

[17]Die rauschenden Klangkaskaden lassen den Hörer die Kraft, die uns erzeugt und hervorgebracht hat, leiblich spüren, lassen ihn von ihr ganz umhüllt sein, ohne dass diese Kraft und ihr Ursprung kognitiv und evaluativ verortet, das heißt: erkannt und bewertet werden könnte. Einerseits lassen die pseudo-lateinischen Einsprengsel im Text (nostro dis pater, nostr’ alma mater), die Harmonien und die Licht-Metaphern an Christliches und Heiliges denken, andererseits legt schon der Beginn des Songs („We’re standing here by the abyss; And the world is in flames; […] reaching out; To the beast with many names“) die entgegenstrebende Tendenz nahe. Entscheidend scheint mir damit zu sein, dass der inhaltliche Sinn des Liedes in der Tiefe nicht verortbar, seine Bedeutung nicht bewertbar ist, obwohl die zum Ausdruck gebrachte Erfahrung ebenso klar wie rein und stark scheint: Das Licht, das mich sehen, die Kraft, die mich existieren lässt …

Es ist offensichtlich, dass sich die wenigsten Hörerinnen und Hörer6 um solche Deutungsprobleme Gedanken machen dürften. Heavy Metal reizt nicht zur exegetischen Textanalyse. Es geht in dieser Musik in der Regel nicht um theoretische Entwürfe und auch kaum um kohärente, komplexe Geschichten. ‚In der Regel‘ bedeutet hier allerdings: Es gibt durchaus nennenswerte Ausnahmen, vor allem Konzeptalben, in denen sämtliche Lieder und darüber hinaus das Artwork (also das Cover und die Gestaltung des Booklets und dann auch der Bühnenaufbau bei Livekonzerten) der Verarbeitung eines thematischen oder historischen Zusammenhangs oder auch einer literarischen Geschichte gewidmet sind. Dabei stehen oftmals auch ‚hochkulturelle‘ literarische, biblische oder mythologische Vorlagen Pate. So haben etwa Sepultura in ihrem Album Dante XXIDante Alighieris Göttliche Komödie verarbeitet, während Grave Diggers Album The Grave Digger auf Kurzgeschichten von Edgar Allan Poe beruht, Nightfall in Middle-Earth von Blind Guardian Tolkiens Silmarillion zum Gegenstand hat, Symphony X mit Paradise Lost John Milton ein Denkmal setzen und Saviour Machines gar auf eine Trilogie [18]angelegtes Legend-Werk die biblische Offenbarung des Johannes zu vertonen sucht. Aber selbst hier geht es meines Erachtens weniger um einen klaren Erzählfaden als vielmehr um sich ineinander blendende und überlagernde Bilder und Metaphern, durch die, um es einmal soziologisch auszudrücken, ein nicht festlegbarer, im sinnhaften und werthaften Gehalt changierender oder fluktuierender Zwischenraum eröffnet wird. Theodor Wiesengrund Adorno, einer der größten Denker des 20. Jahrhunderts, der die letztlich auf Karl Marx zurückgehende Traditionslinie der Kritischen Theorie mitbegründete, hätte das vermutlich ‚nicht-identifizierendes Denken‘ genannt. Er meint damit ein Denken, dass die Dinge nicht einfach begrifflich festlegt und fixiert, sondern in wechselnde Beziehungen setzt und gerade dadurch der wirklichen Erfahrung zu öffnen sucht. Es ist ein starkes, leiblich verankertes Fühlen und Denken in Konstellationen, das wechselnde gedankliche und gefühlsbezogene Bewegungen zwischen den Gegenständen der Erfahrung hervorruft. Weil dabei nicht mehr klar ist, was gut ist und was schlecht, was überhaupt ist und was nicht ist, weil aber zugleich unüberhörbar ist, dass etwas ist, wird es den Hörenden in einer, so können wir mit Adorno sagen, verdinglichten, erstarrten, festgelegten gesellschaftlichen Wirklichkeit möglich, einen existenziellen Zugang zur Welt und zu ihrem eigenen Selbst zu finden. Sie werden fühlbar, gerade weil sich der klanglich, emotional und textlich-assoziative eröffnete Raum der scharfen inhaltlichen Festlegung entzieht:

Man muss [die] versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigne Melodie vorsingt.7

Das ist nach Karl Marx die Aufgabe der Theorie, das ist aber vielleicht auch das, was Heavy Metal-Musik kann, auch wenn sie linken Gesellschaftskritikern häufig als konservativ und unpolitisch, wenn nicht gar latent reaktionär vorkommt. Metal-Alben und -Songs enthalten oder folgen keinen Theorien, sie wirken nicht, weil sie politische Deutungsangebote machen, sondern sie gewinnen ihre Kraft daraus, dass sie (noch einmal soziologisch kompliziert gesprochen) [19]bildlich, gedanklich und emotional den mentalen Fokus so öffnen, dass die Rhythmen und Harmonien mit ihrer Wucht in existenzielle Sphären vorstoßen und sie in Bewegung versetzen können. Sie rühren damit an Bereiche, die die spätmoderne Gesellschaft kognitiv-theoretisch überhaupt nicht mehr zu bearbeiten vermag.

Als empirisch arbeitender Soziologe kenne ich keinen Himmel und keine Hölle, keine Kraft, die mich erzeugt und erhält, nichts Heiliges und nichts Teuflisches mehr; ich kann dem Grauen und der Ehrfurcht keinen theoretischen Ort in meinem Weltbild zuweisen, ja ich vermag nicht einmal die Intensität des Glücks und die Tiefe der Verzweiflung ‚empirisch‘ zu fassen. Und wenn ich ‚Einsamkeit‘ an der Zahl der aktivierten Sozialkontakte zu messen versuche, verfehle ich das, was sie ist, vollkommen. Heavy Metal bringt demgegenüber vielleicht performativ zum Ausdruck, was der Grundgedanke romantischer Ironie ist. Er erlaubt es, etwas zu meinen und zugleich nicht zu meinen: „He is the Force that made me be.“ Er, Gott; er, der Teufel; er, den es gar nicht gibt, den ich aber fühle; er, der ist und zugleich nicht ist. Hier wird „etwas, das nicht ist und doch nicht nur nicht ist“, erfahrbar, um noch einmal Adorno zu bemühen.8 Ich will die Musik hier nicht mit quasi-theologischen Deutungen überfrachten, das würde ihr nicht gerecht. Aber ich will alles in die Waagschale werfen, um zu verstehen, was Millionen von Fans auf dem ganzen Globus dazu bringt, diese Musik, die Nicht-Fans und Musikwissenschaftler häufig einfach als primitiven Krach erfahren und beschreiben, nicht nur kultisch zu verehren, sondern sogar als das Wichtigste in ihrem Leben zu begreifen.

Ich will daher in diesem Buch vor allem der Erfahrung, nicht der Bedeutung des Heavy Metal nachgehen. Was macht harte Rockmusik mit ihren Hörerinnen und Hörern? Was macht sie aus, warum vergeht diese Musikrichtung nicht wie popmusikalische Modewellen? Warum erweist sie sich, wie ich zeigen werde, sogar als stärker als die Kulturindustrie?

[20]Ich werde bei meiner Untersuchung sozusagen zweigleisig verfahren: Auf der einen Seite will ich im Stil einer empirischen Soziologie die äußeren, zum Beispiel sozialstrukturellen Merkmale der Szene erfassen, oder vielmehr beschreiben und deuten. Dazu zählen etwa die Fragen, welche ‚sozialen Schichten‘ Heavy Metal hören, welche Merkmale die Hörer und Hörerinnen aufweisen und wie es um das Geschlechterverhältnis bestellt ist. Zugleich – und das ist mir dabei sogar noch wichtiger – will ich aber unbedingt auch die ‚Innenseite‘ der musikalischen Erfahrung ernst nehmen. In der Soziologie nennen wir das ‚phänomenologische Analyse‘: Was geschieht etwa zwischen Musizierenden und Konzertteilnehmenden? Wie fühlt es sich an, wenn Iron Maiden im gleißenden Licht und in einer ‚Wall of Sound‘ auf die Bühne stürmen, wenn sich das Wacken-Festival dem Finale nähert, oder wenn Metallica auf der Bühne ihres 1986 bei einem tragischen Tourbusunfall verstorbenen Bassisten Cliff Burton gedenken? Warum lesen Metalheads immer und immer wieder Stories und Berichte über ihre Bands und Interviews mit ihren Helden?

Im Folgenden will ich zunächst kurz auf die Geschichte des Heavy Metal eingehen, wobei ich den Begriff sehr weit fasse. Genaugenommen ist Metal nämlich eine Spielart der Rockmusik, die sich nach und nach immer weiter ausdifferenziert hat. Heavy Metal kann daher in gewisser Weise als innerer, harter, dauerhafter Kern der Rockszene begriffen werden. In Metal-Magazinen werden regelmäßig alle großen Bands der Rockgeschichte besprochen, behandelt und gefeiert. Sogar Bands und Künstler, die dezidiert nicht ‚heavy‘ sind, wie etwa Alan Parsons oder Marillion oder Asia, Toto, Journey oder Barclay James Harvest leben in der Metal-Szene fort. Ihre Alben und Konzerte werden gehört, diskutiert, gecovered und gefeiert. Kurioserweise gilt das selbst für eine Popgruppe wie Abba. Deren nach vierzig Jahren Pause erschienenes jüngstes Album Voyage landete auf erstaunlich vielen Playlists von Metal-Journalisten und wurde in der Metal-Community breit rezipiert und wertgeschätzt. Die Metal-Presse ist gewissermaßen zum lebendigen, kontinuierli[21]chen Gedächtnis der Rockgeschichte geworden, in der die kulturelle Tradition des Rock auch in ihren Seiteneinflüssen kontinuierlich tradiert, neu vermessen und verhandelt wird.

Ich werde Heavy Metal also in diesem weiten Sinne verstehen – für mich steht der Begriff weniger für ein bestimmtes Klangbild als vielmehr für eine Szene, die durch eine bestimmte Weise des Musikhörens und -machens zusammengehalten wird, die ich weiter unten genauer beschreiben und analysieren werde. Für eine Haltung, nach der es in der Musik eben nicht um ‚Unterhaltung‘, nicht einfach nur um Fun und Entertainment geht, sondern irgendwie auch um die ‚letzten Dinge‘. Das mag aus der Sicht der Verächter dieser Musikrichtung seltsam klingen, in deren Augen Metal-Alben und -Bands sich gerade durch erstarrte Klischeehaftigkeit und pathetische Belanglosigkeit auszeichnen. Wer, bitteschön, würde denn Monster, Drachen und Dämonen; Engel und Prinzessinnen noch ernsthaft ‚zu den letzten Dingen‘ zählen?! Ist das nicht einfach lächerlich?

Darauf möchte ich zweierlei entgegnen: Erstens, es kann kein Zweifel daran bestehen, dass vieles in der Metal-Szene von außen betrachtet lächerlich, belanglos und klischeehaft ist. Aber zweitens: Es kann ebenso wenig Zweifel daran bestehen, dass dahinter und darunter, jedenfalls bei manchen der Bands und für manche der Hörenden, mehr liegt. Und dieses ‚Mehr‘ berührt eine Transzendenzerfahrung, die sich nicht ‚propositional‘, das heißt auf der Ebene strikter logischer Aussagen, und auch nicht narrativ festmachen, die sich nicht identifizieren, nicht fassen lässt. Die sich aber erfühlen lässt, wenn man sich der Metal-Erfahrung aussetzen will und kann, und die sich sogar dann sehen und konstatieren lässt, wenn man das nicht kann oder will, sondern sich lediglich Konzert- und Filmdokumente sorgsam ansieht. So macht etwa der Musikwissenschaftler, Theologe und Soundphilosoph Rainer Bayreuther im Metal eine unbedingte Entschlossenheit aus, welche die Hörenden aus dem ‚Ohrensessel‘ angenehmer, erwartbarer musikalischer Unterhaltung herausreiße [22]und daher eher zu quasi-religiösen Transzendenzerfahrungen führe als klassische Kirchenmusik.

Heavy Metal […] Musik insistiert auf ganz wenigen Elementen, aber die haut sie radikal und rücksichtslos in die Welt. Das nötigt mir Respekt ab. Metal hat keine religiösen Absichten. Aber er will es unbedingt wissen. Das fordert transzendente Erfahrungen heraus.9

Ich werde darauf im sechsten und siebenten Kapitel zurückkommen.

Davor möchte ich die sozialstrukturelle Beschaffenheit der Metalgemeinde untersuchen (▶ Kap. 3) und dabei insbesondere auf die Faktoren Bildung, politische siehe Orientierung und Geschlecht eingehen. In allen diesen Hinsichten lassen sich dabei für Soziologinnen interessante Beobachtungen machen. Im Anschluss werde ich versuchen, Metal gewissermaßen als Lebensform zu beschreiben, und auf das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente eingehen, die dabei eine Rolle spielen: Auf die Alben, die Cover, die Konzerte und Tourneen, die Musikmagazine und dann insbesondere auf die biografische Bedeutung, die der Heavy Rock für seine Hörer gewinnt. Diese Musik ist für viele Menschen nicht einfach identitätsstiftend, sondern organisiert, zentriert und ‚verankert‘ geradezu Biografien, indem die Bandgeschichte zu einem Lebensbegleiter wird und damit eine Art Zeugenschaft des Lebens übernimmt.

Am Ende des Buches steht ein Exkurs, in dem ich beschreibe, wie die Metal-Community in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren auf einzigartige und bemerkenswerte Weise die geballte Macht und Maschinerie der Kulturindustrie besiegt und sich damit gewissermaßen unsterblich gemacht hat (▶ Kap. 9). Um aber zu erklären, woher sie diese Kraft bezog, werde ich ab dem fünften Kapitel wieder die phänomenologische Seite der Musik stärker betonen und darlegen, wie und wieso Heavy Metal den Hörenden auch in biografisch und politisch höchst unsicheren Zeiten eine Art ontologische Sicherheit zu geben vermag, die es erlaubt und ermöglicht, etwa in den flie[23]genden Gitarrensoli Transzendenzfenster zu öffnen. Metal eröffnet, so wird sich zeigen, durch höchst intensive musikalische ‚Gipfelerfahrungen‘ die Möglichkeit zu existenzieller Rückbindung an das Leben, er kann dabei so etwas wie eine Nabelschnur zur Welt darstellen (▶ Kap. 5).

Besonderes Augenmerk möchte ich schließlich auf den in aller Regel sehr ritualisierten Konzertbeginn legen, der den Fans wie eine ‚Epiphanie‘, das heißt: wie das Offenbarwerden einer höheren Macht, erscheinen kann. Mit dem Begriff wird in den Religionswissenschaften das unerwartete, plötzliche Erscheinen eines Gottes oder eines Engels unter den Menschen beschrieben. Ähnliches wiederholt sich oft auch am Konzertende. Hierin zeigt sich, dass in der Rockmusik eine transzendierende Möglichkeit liegt, die gleichsam religiöse Erfahrungen ohne dogmatischen oder intellektuellen Gehalt zu erschließen vermag. ‚Religiös‘ definiere ich dabei im Sinne der Resonanztheorie als die Erfahrung einer ‚resonierenden‘, lebendigen, atmenden Rückgebundenheit an das Leben, an das Weltganze; als das Erleben einer existenziellen und selbstwirksamen Verbundenheit, die unser Innerstes berührt und ergreift, ohne dabei notwendig eine Gottheitsvorstellung ins Spiel zu bringen (▶ Kap. 6 und 7). Mit Resonanz ist dabei also die Erfahrung gemeint, dass da draußen etwas mit unserem Inneren in Verbindung tritt; dass uns etwas berührt und ergreift, auf das wir reagieren und antworten können, wobei wir uns verwandeln. Ich werde später darauf zurückkommen.

Gerade weil die Musik schon mit ihrer Lautstärke, ihren Rhythmen und ihrem Klangbild eine unmittelbar physische Wirkung entfaltet, der man sich kaum zu entziehen vermag, erzeugt sie unvermeidlich eine ‚berührende‘ Wirkung. Metal berührt in einer immer stärker berührungslosen Gesellschaft unmittelbar leiblich. Und wie jede leibliche Berührung und Umarmung wird auch diese Berührung entweder als wohltuend, befreiend, als Liebe erfahren, oder aber als Zumutung, Verletzung, Überschreitung, geradezu als Vergewalti[24]gung. Dementsprechend unterschiedlich fallen die Reaktionen aus. Während die einen, die Fans, sich der Berührung öffnen, mit Hingabe reagieren und mit ihrem ganzen Körper antworten, reagieren die anderen – oft sogar physisch – mit Gesten der Abwehr und der Schließung oder sogar mit Fluchttendenzen. Das ist der Grund, warum Metal in aller Regel entweder geliebt oder aber gehasst wird: Man kann einer heftigen Umarmung kaum gleichgültig gegenüberstehen. Und dies ist gewiss auch ein Grund dafür, weshalb die Metal-Community es vermocht hat, sich nach innen als so stabil wie nach außen robust zu erweisen. Trotz aller Bereitschaft, sich anderen musikalischen Traditionen und Elementen zu öffnen, sie in das eigene Repertoire aufzunehmen und mit ihnen zu experimentieren, ist es nicht zu der für andere Musikformen oft charakteristischen Verwischung und Vermischung der Genregrenzen mit dem musikalischen Mainstream gekommen.

Insgesamt steht der Heavy Metal ohne Zweifel in vielen Hinsichten in einer Traditionslinie mit der literarischen und musikalischen Romantik, mit der ich mich im achten Kapitel beschäftigen werde. Das Kunstverständnis und das Weltverhältnis des Künstlers, aber auch die Bilder, Metaphern, Mythen, Texte, die im Metal leben und verhandelt werden, lassen sich recht eindeutig insbesondere auf die dunkle Seite der (europäischen) Romantik des frühen 19. Jahrhunderts zurückführen. Von dieser hat er auch die Besonderheit der romantischen Ironie geerbt, deren Kern in der ästhetisch geschaffenen Möglichkeit besteht, die Grenzen der Logik zu überwinden und etwas aufrichtig zu meinen und sich zugleich davon zu distanzieren, das heißt: es nicht zu meinen. Fragt man also, ob die Metal-Szene ihre bildlichen, textlichen, symbolhaften Ausdrucksformen, ihr Pathos und ihren existentialistischen Anspruch ernst nimmt, so lautet, wie wir noch sehen werden, die Antwort: ja und nein zugleich.

Damit ist dieses Buch in gewisser Weise ein doppelter Seiltanz. Einerseits soll es kein wissenschaftliches Buch sein, sondern der Ver[25]such einer Selbstdeutung aus Fansicht und Fanerleben. Es soll einen ‚Best Account‘ liefern. Das heißt, die beste mir mögliche Erklärung dafür, was in und mit dieser Musik vorgeht.10 Bei einer solchen Erklärung oder Deutung komme ich aber andererseits nicht ohne das Vokabular und Instrumentarium aus, das ich mir als Soziologe angeeignet habe.

Darin lauern gleich zwei Gefahren: Wenn ich es schlecht mache, legen die Musikfans das Buch an dieser Stelle beiseite, weil ihnen das ‚Soziologengeschwurbel‘ zu abgehoben und substanzlos vorkommt, und zugleich verliere ich die Anhängerinnen meiner soziologischen Theorien, weil sie es nicht glauben können, dass ich solch klischeehaftes und brutales Zeug, solchen rohen Krach theoretisch ernst nehme und auch noch als eine vertikale, existenzielle Resonanzerfahrung verkaufen möchte. Nun denn, sei es drum, ich nehme beide Risiken in Kauf, denn ich möchte weder den Soziologen vor den Fans verstecken noch den Fan vor den Soziologinnen. Wer wirklich