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Immer mehr Menschen leiden unter Bindungsängsten. Meist wünschen sie sich eine Partnerschaft und schrecken doch davor zurück. Oft wird ihnen dann empfohlen, sie müssten sich hingeben und es aushalten, einmal schwach zu sein. Stattdessen plädiert der Psychotherapeut Wolfgang Krüger dafür, die eigenen Stärken zu entwickeln. Dies realisiert er, indem er das von ihm erarbeitete Programm der 'Partnerschaft mit sich selbst' anwendet. Dazu gehört, dass man einen guten Kontakt mit seinem inneren Kind aufnimmt und die Prägungen der eigenen Kindheit versteht, erheblich selbstbewusster und unabhängiger wird, dass man es lernt, sich besser durchzusetzen und unabhängiger zu leben, indem man intensive Freundschaften pflegt. Dann kann man sich sicher sein, dass man in einer Liebesbeziehung tatsächlich sein Lebensglück findet. Es wird eine bewährte Strategie zur Überwindung von Bindungsängsten vermittelt, die bisher in der Therapie und in Kursen dazu geführt hat, dass die meisten Teilnehmer nach einem Jahr in einer längeren Partnerschaft lebten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 197
Die Überwindung der Bindungsängste
Die fünf Bindungsfragen
Die drei Stufen der Bindungsproblematik
Co-Problematik
Frühwarnzeichen
Die einsame Gesellschaft
Der Verlust alter Bindungsfaktoren
Glückliche Singles
Einsamkeit kann krank machen
Stufe 1: Die Vorbereitungsphase
Die Suche nach dem großen Glück
Steigerung des Selbstbewusstseins
Der selbstbewusste Blick
Die eigenen Bedürfnisse
unser inneres Gleichgewicht
Stufe 2: Die erfolgreiche Suche
Die Trauerarbeit
Die Partnerschaftsanalyse
Die Entdeckung der Kindheit
Gefühl und Verstand
Realismus in der Liebe
Lassen Sie sich Zeit
Stufe 3: Die Partnerschaft mit sich selbst
Das Urvertrauen
Das Potential der Freundschaften
Meine Kindheit
Das Schutzmodell überwinden
Einengung und Rebellion
Fazit
Die meisten meiner Leser/innen sind erfahrungsgemäß Frauen, die auf Partnerschaftssuche sind. Ich gehe aber in meinem Buch auch auf die Bindungsprobleme von Männern ein. Etliche meiner Patienten sind zudem schwule Männer und die Arbeit mit ihnen hat mich eins gelehrt. Unabhängig von Ihrer sexuellen Orientierung sind Sie immer mit ähnlichen Bindungskonflikten konfrontiert. Insofern spricht mein Buch auch die LGBT-Gemeinschaft an.
Ohne Glauben an ihre Dauer wäre die Liebe nichts, nur Beständigkeit macht sie groß. Honoré de Balzac
seit über 40 Jahren arbeite ich als Psychotherapeut und habe mich in den letzten Jahrzehnten auf Bindungsängste spezialisiert. Ich finde den gebräuchlichen Begriff Bindungsstörungen unpassend. Natürlich ist hier etwas gestört, sonst kämen diese Frauen (und zunehmend auch Männer) nicht zu mir, die von einem großen Leidensdruck berichten. Aber es sind meist sehr lebenstüchtige, attraktive und kluge Frauen, die mir in bewegenden Worten erzählen, dass ihre Wünsche nach Liebe nicht in Erfüllung gehen.
Es sind häufiger Frauen jenseits der Lebensmitte, die eine Familie gegründet und einige Kinder erzogen haben und schließlich feststellen mussten, dass eine enge Beziehung immer dazu geführt hat, dass sie ausgelaugt wurden. Nach der Trennung gehen sie daher keine feste Partnerschaft mehr ein, sind damit allerdings auch nicht glücklich. Oft sind meine Patientinnen jedoch junge Frauen zwischen 27 und 37 Jahren, die ihre große Liebe und nicht selten auch den Vater ihrer Kinder suchen. Und nun treffen sie meist junge Männer, die durchaus interessant sind, mit denen sie viel unternehmen können. Aber es kommt keine wirkliche Bindung zustande. So klagte eine 28jährige Politikwissenschaftlerin: „Ich lerne immer wieder Männer kennen, die ziemlich aufregend sind. Beruflich sind sie oft erfolgreich, manche sind sogar etwas vermögend, machen Karriere und können wunderbar erzählen. Kürzlich fuhr ich mit einem braungebrannten ‚Kerl‘ im Cabrio durch die Gegend und er sagte mir, wir könnten vieles zusammen erleben und Spaß haben. Wir könnten übernachten und verreisen, aber ich müsse wissen, dass man ihn nicht einsperren dürfe. Auf diese Weise könne er mich lieben, aber auch seine Freiheit.“ Diese junge Politikwissenschaftlerin schilderte, dass sie daraufhin innerlich abkühlte, obgleich der teure Wagen über eine Sitzheizung verfügte. „Mein Hintern war warm, aber ich fror und fühlte mich einsam neben einem Mann, der ständig redete.“ Sie kannte diesen Typ Mann bereits, den sie durchaus schätzte. Denn irgendwo seien diese Männer schon toll. Oft hätten sie viele Erfahrungen gesammelt. Daher wissen sie, wie man Frauen verführt und sind sehr routiniert im Bett. Das genoss sie durchaus, aber es reichte ihr nicht: Es fehlte ihr der Faktor Verbindlichkeit. Sie suchte einen Mann auch für den Alltag, sie suchte eine langfristige Beziehung, in der sie Vertrauen aufbauen konnte.
Das fand ich sehr nachvollziehbar, denn eine tiefe Bindung kann nur entstehen, wenn die Liebe auf Dauer eingegangen wird. Schließlich sagte Friedrich Nietzsche einmal, alle Lust wolle Ewigkeit. Nun mag es zwar sein, dass das Angebot einer flüchtigen Lust gelegentlich unseren Distanzwünschen entgegen kommt. Aber das beruhigende Gefühl einer beständigen Nähe stellt sich nicht ein. Erst wenn wir möglichst oft gemeinsam den Alltag verbringen, schlafen gehen und aufwachen, wächst eine Bindung, die auch in den Belastungssituationen standhält. Sonst gibt es immer kleine oder größere Bindungslücken. Insofern waren für diese Politikwissenschaftlerin die Angebote dieser interessanten Männer auf Spaß und Freizeit so karg und unbefriedigend.
Allerdings gab es in ihrer Beziehungswelt durchaus bindungsbereite Männer, aber diese seien etwas langweilig und sehr lieb - mit einer engen Mutterbindung - gewesen. Es waren nette Jungen, mit denen man gern befreundet ist und es kam keine Erotik auf. Aufregenden Sex erlebte sie eher mit den ‚Kerlen‘, bei denen jedoch keine Beziehung länger als zwei Monate dauerte. Die junge Politikwissenschaftlerin war schließlich so ratlos, dass sie zu mir kam. In vielen Gesprächen begleitete ich sie ein Jahr lang und wir redeten vor allem darüber, worauf es bei der Partnerschaftssuche ankommt. Ich bestätigte sie und ermutigte sie sehr, ihren Vorstellungen einer wirklichen Partnerschaft treu zu bleiben. Doch wie sollte dies möglich sein?
Sie selbst hielt sich nach den enttäuschenden Erfahrungen für nicht bindungsfähig. Und tatsächlich ahnte auch ich, dass sie an diesem Problem beteiligt war. Ich hatte oft das Gefühl, dass sie zu wenig selbstbewusst und zu wenig entschlossen handelte. Diese Vermutung wurde durch einen Blick in ihre Kindheit bestätigt. Er zeigte, dass sie sehr früh eine Skepsis hinsichtlich der Zuverlässigkeit von Bindungen erworben hatte. Ihr Vater war ein emotional reservierter Diplomat und sie zogen oft um. Insofern war sie davon überzeugt, dass es keinen Sinn hatte, in Freundschaften zu investieren. In den Schulklassen war sie daher meist Außenseiterin. Diese resignative Haltung prägte schließlich auch ihre Liebesbeziehungen.
Sie glaubte fest daran, dass Partnerschaften nie dauerhaft sind. Deshalb ließ sie sich in halbe Beziehungen ein, die bald darauf auseinander gingen und ihr ganzes Leben war sehr unbeständig. Vor allem fehlte ihr eine klare Orientierung. Sie wusste zwar einigermaßen, was sie nicht wollte, aber sie hatte keine Vorstellung davon, was für sie die unverzichtbaren Eigenschaften waren. So war ihre gesamte Suche wie ein Stochern im Nebel. Und diese Orientierungslosigkeit ist immer ein wichtiger Bestandteil jeder Bindungsproblematik. Erst durch unsere Gespräche wurde dieser Politikwissenschaftlerin klar, was sie wirklich wollte, was ihre Partnerschaftsziele waren.
Sie fokussierte sich auf drei Eigenschaften:
Sie wollte mit einem Mann gut reden können. Und er sollte zuhören. Sie erwartete, dass er beim dritten Treffen noch behalten hatte, was sie beim ersten erzählte. Und sie stellte sich die Frage: „Könnte ich mit ihm auf einer einsamen Insel zusammenleben, ohne mich zu langweilen?“
Sie wusste außerdem, dass sie einen Mann suchte, der auch über sich lachen konnte, der über Humor verfügte. Sie war genervt von den vielen Narzissten, die sie getroffen hatte. Sie suchte einen, der sich selbst auf die Schippe nehmen konnte, wie sie es ausdrückte.
Und sie suchte einen sozialen Mann, den sie sich als Vater ihrer Kinder vorstellen konnte. Also hilfsbereit, verlässlich und halbwegs belastungsfähig.
So vorbereitet traf sie im Spanien-Urlaub einen interessanten, liebenswürdigen Mann, den sie schließlich heiratete. Kürzlich schrieb sie mir, sie habe Zwillinge bekommen und sei glücklich.
Diese Suche war von einem Happy-End gekrönt, nachdem jahrelang ihre Treffen mit den Männern sehr ernüchternd waren. Und solche dramatischen Schilderungen höre ich häufig, denn die Bindungswünsche von jungen Frauen sind oft stärker als die der gleichaltrigen Männer. Frauen sind Männern in ihrer seelischen Entwicklung und auch ihrer Bindungsfähigkeit um einige Jahre voraus und müssen meist längere Zeit suchen, bis sie einen geeigneten Partner treffen. Aber unmöglich ist dies nicht, denn das durchschnittliche Heiratsalter der Männer liegt bei 34 Jahren. Zwar klagen vor allem junge Frauen darüber, wie schwierig es heutzutage sei, einen Mann zu finden, in den sie sich verlieben. Doch ihnen erkläre ich: Es ist immer anstrengend, einen Partner zu suchen. Wenn man jung ist, gibt es viele ungebundene, gesunde Männer, die frei sind. Wenn man älter ist, gibt es weniger ungebundene Männer, die zudem oftmals kränkeln und irgendwann ein Pflegefall werden. Insofern ist die Suche nach einem Partner immer wie das Finden der Nadel im Heuhaufen.
Dennoch können Sie optimistisch sein, denn es gibt auch für Sie den richtigen Liebespartner. Das ahnen Sie sicher, schließlich haben andere diese schwierige Aufgabe auch gelöst. Daher sind Sie meist von Freundinnen und Freunden umgeben, die längst verheiratet sind. Vielleicht geht es Ihnen so wie vielen meiner jungen Patientinnen, die mehrfach im Jahr zu einem sehr aufwändig arrangierten Hochzeitsfest eingeladen werden, das in schönen Gutshäusern oder Schlössern gefeiert wird? So sehr Sie den Freundinnen ihr Glück gönnen, leiden Sie unter Ihrer eigenen Partnerlosigkeit. Bei den Hochzeitsfeiern sind Sie oft in einer Krisenstimmung und fragen sich: Was ist mit mir los? Denn Sie ahnen, dass es irgendwie auch an Ihnen liegen muss, dass Sie allein sind.
Nun haben Sie vermutlich bereits seit vielen Jahren gesucht, haben sich viele Gedanken gemacht, haben häufig Gespräche mit der besten Freundin geführt und einiges ausprobiert. Offenbar sind diese Probleme so komplex, dass ich Ihnen keine schnellen Lösungen anbieten werde. Deshalb will ich Ihnen vor allem helfen, Ihre eigene Orientierung zu finden. Zu einfache Ratschläge und Verhaltensregeln sind immer einschränkend, weil sie die Fähigkeit blockieren, selbst Erfahrungen zu sammeln. Und gerade auf diese Erfahrungen, das Nachdenken und den eigenen Weg kommt es an. Ich will Sie daher unterstützen, damit Sie die folgenden fünf Fragen beantworten können:
Wie erkennt man die eigenen Bindungsprobleme und die der potentiellen Partner?
Wie können wir einen Partner finden, der zu uns passt?
Wie können wir Bindungsängste aufarbeiten?
Warum ist die Partnerschaft mit sich selbst wichtig?
Wie könnte mir eine Therapie helfen?
Dabei geht es mir in diesem Buch weniger um die ‚normalen‘ Probleme, die in jeder Partnerschaft auftreten. Immer gibt es den Konflikt zwischen den eigenen Nähe-Bedürfnissen und dem Wunsch des Partners nach Abstand. Und immer haben wir zudem einen inneren Konflikt. Wir wollen eine intensive Nähe herstellen und haben aber auch das Bedürfnis nach einem genügenden Freiraum. In meinem Buch ‚Nähe und Autonomie in der Liebe‘ gehe ich auf diese Probleme ein, die wir in einer Partnerschaft bewältigen sollten. Sonst fehlen bei großen Nähe-Konflikten intensive Gespräche, es gibt lange Pausen in der Sexualität und man kann sich nicht vorstellen, zusammenzuziehen. Aber in diesem Buch wollte ich hauptsächlich jene klassischen Bindungsängste beschreiben, die verhindern, dass überhaupt eine Partnerschaft zustande kommt.
Damit wir die Bindungsphobie – so der Fachausdruck besser verstehen, sollten wir zunächst eine Frage beantworten: Was ist eine Bindungsangst? Dieser Begriff ist sehr aktuell und wird jeden Monat über 5000mal bei Google aufgerufen. Doch worum handelt es sich? Eine Bindungsangst ist ein massives Gefühl, das immer dann auftritt, wenn eine intensive zwischenmenschliche Nähe entsteht. Es ist die panikartige Befürchtung, in der Liebe gefangen zu sein. Wo ein anderer beruhigt ist („Endlich habe ich sie oder ihn“), fühlt man sich wie in einem Raum, den man nicht mehr verlassen kann. Man hat ständig den Eindruck, seiner Freiheit beraubt zu sein und spürt einen anhaltenden Fluchtreflex.
Diese Angst vor intensiven Bindungen ist so massiv, dass diese ‚Flüchter‘ – denn mehrheitlich sind es Männer - seltener zur Therapie kommen. Es kommen eher Frauen zu mir, denen klar ist, dass sie unter Bindungsängsten leiden. Doch vor allem lassen sich Frauen beraten, die an bindungsängstlichen Männern scheitern. Und sie erzählen mir dann sehr viel über jene Männer, von denen sie enttäuscht sind. Sie erzählen allerdings zunächst viel weniger, was dies alles mit ihnen selbst zu tun hat. Ihre eigene Bindungsangst ist ihnen so gut wie immer kaum zugänglich.
Als Leserin, als Leser haben Sie ja bereits die Bereitschaft, die eigenen Ängste zu erforschen. Aber meist ist folgende Liebesgeschichte typisch: Eine 33jährige, leidenschaftliche Psychologin kommt zu mir, die mit einem Mann zusammen ist, der sie nur einmal in der Woche sehen will. „Es ist immer sehr intensiv, wenn wir uns treffen… doch was mich skeptisch macht: Ich kenne seine Freunde nicht, ich kenne seine Eltern nicht und vor allem: Ich darf unsere Beziehung nicht als Partnerschaft bezeichnen. Wir verreisen auch nicht zusammen…“ Natürlich hatte diese Psychologin mein volles Mitgefühl. Ich wurde nur hellhörig, als sie erzählte, dass ihr dies bereits zum dritten Mal passierte. Also stellte ich ihr viele Fragen nach ihren bisherigen Partnerschaften, nach dem Beziehungsverhalten in Freundschaften und ihrer aktuellen Lebenssituation. Auf diese Weise ergibt sich dann immer eine Gesamteinschätzung und wir sehen, um welche Stufe der Bindungsproblematik es sich handelt.
Es gibt die erste Stufe, die darin besteht, dass man sich immer zu schnell mit einem Partner abfindet, der nicht zu einem passt. Eine meiner Patientinnen war Germanistin, sie interessierte sich sehr für alte Sprachen, las viel und verliebte sich in Bayern in einen sehr bodenständigen Handwerker. Sie mochte seine Nähe und die Ausflüge in die Natur, zuckte allerdings zusammen, wenn er Fremdworte völlig falsch aussprach und einmal die These aufstellte, der berühmte Landschaftsgärtner Fürst Pückler sei der Erfinder einer Eissorte gewesen. Doch das Rezept stammte von dem Königlich-Preußischen Hofkoch Louis Ferdinand Jungius, der in einem Kochbuch seine Kreation vorstellte, die er aus Marketing-Gründen Fürst-Pückler-Eis nannte. Diesen Irrtum konnte sie ihm schmunzelnd ‚verzeihen‘, aber das war bei seinen Freizeitinteressen nicht möglich. Anstatt zu lesen sah er lieber Fußball, hielt klassische Romane für überflüssig und beschäftigte sich ausdauernd mit seinem alten Motorrad. Deshalb war sie einsam, obwohl sie sich bei ihm grundsätzlich wohlfühlte. Denn dieser Mann war hilfsbereit, brachte ihr manchmal auch einen Blumenstrauß mit, den er von der naheliegenden Wiese gepflückt hatte. Manche Freundin war der Ansicht, es wäre ein Mann zum Heiraten. Aber der Germanistin drehte sich immer wieder der Magen um, wenn er sich die klassischen Abenteuerfilme anschaute. Dennoch wollte sie sich nicht trennen und ich sollte sie daher von ihrer Skepsis heilen und ihre Hingabefähigkeit fördern.
Doch ich riet ihr, auf ihren Magen zu hören und sich einen Partner zu suchen, der besser zu ihr passt. Und sie fand tatsächlich einen Mann, der eine kleine Kunstschule leitete, der sehr gebildet und ein Sprachliebhaber war. Er hatte immer etwas zu tun, bedrängte sie nicht zu sehr und in diesen Mann verliebte sie sich. Mit ihm konnte sie sich wunderbar über moderne Schriftsteller und klassische Literatur unterhalten. Plötzlich traten ihre Bindungssängste nicht mehr auf.
Es gibt jedoch viele Menschen, die nicht völlig falsch wählen. Aber sie sind nicht auf die Schwierigkeiten einer Partnerschaft vorbereitet. Sie haben in der Vergangenheit immer zu sehr nachgegeben, sind Konflikten ausgewichen, haben ihr Eigenleben verloren. Tatsächlich gibt es Frauen, die als Single wesentlich eigenständiger sind als in einer Partnerschaft. Das war noch vor etwa 40 Jahren eine fast typische Entwicklung in Liebesbeziehungen: Frauen passten sich zu sehr an, weil das von ihnen erwartet wurde. Zwar haben sich die meisten Frauen in den letzten Jahrzehnten sehr emanzipiert, aber noch immer sind sie in Partnerschaften häufig zu wenig durchsetzungsfähig. Eine meiner Patientinnen lebte mehrfach mit Männern zusammen, die sehr besitzergreifend waren. Dies gefiel ihr durchaus, weil ihr Vater sehr zurückhaltend gewesen war. Gewissermaßen fand sie in diesen Männern einen Ausgleich für jene Vernachlässigung, die sie in der Kindheit erfuhr. Doch zunehmend wurde ihr dann klar, dass sie sich bei diesen Männern zu sehr aufgab, so dass ihre Persönlichkeit ‚schrumpfte‘. Nach einigen Jahren zog sie Bilanz und stellte fest, dass sie allein besser lebte als zu zweit. Zu Recht zögerte sie, eine neue Beziehung einzugehen, denn sie wollte zunächst so stark werden, dass sie auch in einer Partnerschaft ihr eigenes Leben bewahren konnte. Das gelang ihr, weil sich in den Zeiten der Eigenständigkeit ihre Persönlichkeit gut entwickelte. Sie musste alles selbst bewältigen, Entscheidungen treffen und Ängste überwinden, wenn sie auf eine Party ging. Und nach zwei Jahren fühlte sie sich wieder bereit für eine Partnerschaft.
Die ersten beiden Stufen der Bindungsängste sind sehr häufig und noch leicht zu überwinden. Aber in vielen Fällen liegt zusätzlich eine tiefere Problematik vor. Und wahrscheinlich ahnen auch Sie, dass Ihre Näheängste nicht nur mit dem falschen Partner oder einer mangelnden Konfliktfähigkeit zusammenhängen. Denn Sie haben durchaus einige längere Beziehungen begonnen, haben sich manchmal sogar besser durchgesetzt und trotzdem trat mehrfach ein ähnliches Problem auf. Immer wieder waren Sie verliebt, um nach kurzer Zeit massive Vorbehalte zu entwickeln, an denen schließlich die Beziehung scheiterte. Oder Sie wurden jeweils nach wenigen Monaten verlassen! Und Sie werden sich jetzt natürlich fragen, was an Ihrem eigenen Bindungsverhalten nicht stimmt. Zumindest haben Sie die Vermutung, dass sowohl Ihre eigenen Lebensmuster als auch Ihre Kindheit eine Rolle spielen könnten. Kurz gesagt: Es geht um Ihre gesamte Persönlichkeit. Allerdings wird Ihnen diese Erkenntnis nicht leichtgefallen sein, da Sie zunächst verunsichert oder sogar gekränkt waren. Sie ist aber ungeheuer wichtig, weil sie Ihnen die Möglichkeit gibt, etwas Entscheidendes zu verändern und im Bereich der Liebe wirklich glücklich zu werden.
Wenn Sie nun diese Persönlichkeitsproblematik begreifen wollen, stehen Sie vor einer großen Herausforderung. Die erste Stufe der Bindungsprobleme könnte man mit dem Schaden am Dach eines Hauses vergleichen, die zweite mit Rissen in der Fassade. Doch die dritte Stufe hängt mit Schäden am Fundament zusammen, es geht hier also um unsere gesamte Lebensgestaltung. Erst hier sprechen wir von den klassischen Bindungsängsten, die allerdings sehr unterschiedlich sein können. Dazu zählen vor allem Menschen, die es befürchten, ihre Selbständigkeit aufzugeben. Sie entwickeln Panik, wenn sie sich eingeengt fühlen und meist meint man sie, wenn man über die Bindungsangst nachdenkt. Dann leiden jedoch unter Bindungsängsten auch alle Menschen, die immer den Eindruck haben, sie könnten versagen und einem anderen nicht genügen. Ihr Selbstwertgefühl ist gering. Sie ziehen sich daher schnell zurück, weil sie das Gefühl haben, einem Partner nicht gerecht zu werden.
Aber bei den meisten Menschen sind Mischformen vorhanden, die allerdings immer die Schwierigkeit beinhalten, dass sich die Betroffenen nicht wirklich in eine Beziehung einlassen können. Letztlich liegt hier eine Angststörung vor, was aber häufig nicht so empfunden wird. Es leiden dann nur die Partner/innen, wenn sich der andere keine verbindliche Liebesbeziehung vorstellen kann. So klagte eine junge Frau: „Er ist ein toller Mann, ich bin sehr verliebt in ihn. Allerdings zieht er sich zurück, sobald er merkt, dass es näher wird. Dann macht er zunächst keinen neuen Termin mehr aus und redet sich damit heraus, dass er so viel zu tun hat. Ständig bleibt diese Beziehung im Zustand der Verliebtheit.“ Das mag für manchen anziehend wirken, aber es ist nie ein beruhigender Zustand, sondern immer irgendwie vorläufig.
Nun ist es oft ein Rätsel, warum Frauen einen Mann mit Bindungsängsten wählen. Und wenn dies zum wiederholten Male passiert, stöhnen die Freundinnen bereits auf. Sie verstehen nicht, warum man sich in einen Mann verlieben kann, der bereits nach wenigen Wochen die ersten Vorbehalte äußert. Aber noch schwieriger ist es, wenn man sich selbst nach wenigen Monaten von einem Mann trennt, in den man ursprünglich so verliebt war. Dann beharren die Freundinnen darauf, dass man nicht nähefähig sei und mehr Ausdauer und Hingabe entwickeln müsse. Schließlich erzählen sie von eigenen Erfahrungen und machen Vorschläge. Aber sie scheitern meist mit ihren Bemühungen und sind irgendwann überzeugt, dass einem nicht zu helfen ist. Sie ärgern sich dann ebenso wie manche Experten. Selbst die von mir geschätzte Kollegin Stefanie Stahl betont zu Recht, wie sehr bindungsängstliche Menschen anderen ein Leid zufügen. Das ist nicht grundsätzlich falsch, da Bindungsphobiker häufig andere Menschen unglücklich machen. Zudem sind ihre Probleme oft schwer zu verstehen. Daher gelingt dies nur, wenn man mit viel Geduld und Respekt in der Lage ist, sich in die Welt dieser Ängste hinein zu versetzen. Erst dann wird klar, welchen Sinn sie haben und warum sie – aus einer gewissen Perspektive – sogar berechtigt sind.
Offenbar kann man bindungsängstliche Menschen nicht missionieren und ihnen ständig sagen, wie sie leben sollen. Vielmehr sollte man ihre Ängste nachvollziehen, indem man sich innerlich auf ihre Seite stellt. Wenn man Experte für Bindungsängste werden möchte, ist es daher fast unverzichtbar, dass man diese Problematik selbst kennt, aber weitgehend überwunden hat. Das ist nicht schwierig, denn jeder Mensch leidet – in Abstufungen – unter solchen Bindungsängsten. Wer hier nur als Experte auftritt, hat sie meist verdrängt und bearbeitet sie an den Patienten. Der Volksmund hat ja nicht ganz unrecht, dass viele Psychologie studieren, um die eigenen Probleme zu überwinden. Deshalb ist die Selbstreflexion so wichtig, weil man erst dann das notwendige Verständnis für die Bindungsängste anderer Menschen aufbringt, die uns oftmals so irrational vorkommen.
Tatsächlich ist die Bindungsangst oft kompliziert und scheinbar kontraproduktiv. Schließlich geht man ganz offensichtlich am eigenen Liebesglück vorbei. Denn in den meisten Fällen klagen Menschen mit Bindungsängsten, dass sie sich allein fühlen würden. Wären sie ein glücklicher Single, müsste man über ihre Bindungsproblematik nicht nachdenken. Aber sie schildern oft, dass sie die Einsamkeit als bedrückend empfinden. Gerade bei älteren Menschen merkt man, dass ihr Single-Dasein das Resultat einer resignativen Sackgasse ist, weil sie zum einen enttäuscht wurden, zum anderen aber ihr eigenes Innenleben nicht verstehen. Auf diese Weise begreifen sie nicht, warum ihnen die Liebe Angst macht und wovor sie sich schützen müssen. Letztlich schränken daher massive Bindungsängste immer unsere Fähigkeit ein, unser Leben zu steuern und in die richtige Richtung zu fahren. Schließlich können wir nur noch bremsen und den Beziehungs-Motor ausstellen.
Auch ich selbst lernte dies alles unfreiwillig im Laufe meines Lebens, da ich als junger Mann die Bindungsproblematik sehr gut kannte. So träumte ich früher zwar von der großen Liebe, von heißen Küssen und leidenschaftlicher Erotik. Ich hoffte, dass mich eine Frau verstehen, dass sie meine Stärken erkennen und ich meine Schüchternheit überwinden würde, die mich häufig störte. Doch zugleich empfand ich ein erhebliches Unbehagen gegenüber zu viel Nähe.
Mit 19 Jahren begann eine Partnerschaft mit meiner ersten Freundin. Sie war eine sehr herzenskluge Frau, der ich viel verdanke. Ich liebte sie, bis sie mir eines Tages mitteilte, sie sei möglicherweise schwanger, weil die Pille nicht gewirkt habe. Bei dem Gedanken, ich könnte Vater werden, geriet ich in Panik. Zudem fühlte ich mich eingeengt, da sie eifersüchtig war, nachdem ich mich sehr intensiv mit einer Freundin unterhalten hatte. Meine Gefühle schmolzen dahin wie ein Schneemann in der Sonne, denn ich spürte, dass die junge Frau mehr erwartete, als ich ihr geben konnte. Sie wollte eine Familie gründen, ich konnte mir lediglich eine Mi-Sa-So-Beziehung vorstellen und wollte mich nur am Mittwoch und am Wochenende treffen. Dann hätte ich ausreichend Zeit gehabt, um mich wieder zu ‚sortieren‘ und mein eigenes Leben zu finden. Alles andere wäre eine Bedrohung meiner Autonomiewünsche gewesen. Ich träumte zwar immer von Liebe und Nähe, war aber gleichzeitig auf genügend Abstand angewiesen. Allerdings war mir damals nicht klar, wie sehr dies mit meiner Kindheit zusammenhing.
Ich hatte eine sehr bedrängende Mutter und hätte gern – nachdem ich endlich auszog - allein auf einem Turm gelebt. Die Bedeutung dieses Wunschtraums offenbarte sich mir aber erst später. Zunächst kam mir mein Leben ebenso rätselhaft vor wie das meiner Mitmenschen. Ich wurde daher Psychotherapeut, lernte viel über mich, wurde mutiger und allmählich löste sich diese Distanzproblematik auf. Ich ging lange Partnerschaften ein und hatte schließlich das große Glück, dass ich eine sehr interessante Frau fand, die viel Nähe herstellte, ohne mich einzuengen. Ich gewöhnte mich daran, ständig bei ihr zu übernachten und verbrachte sogar die Sommermonate mit ihr vor allem in einem recht kleinen Gartenhaus. Das war ein Nähe-Programm, das ich mir früher nie hätte vorstellen können.
Schließlich heirateten wir vor einigen Jahren und führen jetzt ein Leben, in dem eine Trennung nicht mehr denkbar und nicht vorgesehen ist. Zwar sind wir beide sehr selbständig, aber es gibt eine kontinuierliche Nähe, die unaufhörlich wächst. Zudem ist sie an meinen Buchprojekten beteiligt, ich unterstütze sie bei ihrer Arbeit und wir engagieren uns gemeinsam in sozialen Netzwerken. Doch diese Überwindung meiner Bindungsängste dauerte bei mir fast 50 Jahre, also ein halbes Leben. Ich will Ihnen mit meinen persönlichen Erfahrungen und denen meiner therapeutischen Arbeit helfen, dass Sie als Leserin bzw. Leser Ihre Nähe-Problematik innerhalb einiger Monate oder weniger Jahre lösen können.