Bitte Danke Schön - Thorsten Dörp - E-Book

Bitte Danke Schön E-Book

Thorsten Dörp

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Beschreibung

»Tschuldigung«, sagte er. Das G klang wie ein K und weiße Zähne blitzten auf. Hoffnungsvoll hielt er ein Schild vor seine Brust. Die Buchstaben darauf waren schief und ausgeblichen, die Ränder der Pappe stark beansprucht. Neun Geschichten über Schicksale, Menschen, Hunde, Katzen, Boote und eine Yucca-Palme. Für alle was dabei. Wirklich? Ja. Bitte. Danke. Schön.

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Seitenzahl: 60

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Impressum

© 2023 Thorsten Dörp

Illustration Cover: Pixabay

Herstellung und Verlag: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-757-84483-7

Viel Spaß mit den Geschichten ...

Uns geht’s ja noch gold

Gab es etwas Schlimmeres, als das jüngste von sechs Kindern zu sein? Bis zu jenem Tag war ich mir nicht ganz sicher. Dann klingelte es an der Haustür …

Mit fünf Schwestern unter einem Dach war meine Kindheit ein einzig auferlegter Fluch. Die Mädchen machten mit mir, was sie wollten. Kaum hatte ich die Strapazen der Geburt abgelegt, war ich auch schon umstrittenes Accessoire und die Spielwiese schwesterlicher Intrigen. Als einziger Junge befand ich mich in einer ausweglosen Situation. Noch heute gibt es kartonweise Fotos, die von einer Zeit berichten, in der ich gegen meinen Willen frisiert und fragwürdig verkleidet vor der Linse posieren musste. Selten allein, meistens auf irgendeinem der zahlreichen Arme. Ich vermute, so entstehen Allergien. Meine Eltern waren oft zu müde, um mir zu Hilfe zu eilen. Als mein Vater meine Mutter kennengelernt hatte, damals in diesem Tanzclub, in den er an dem Abend nur gegangen war, um mit seinem ehemalig besten Kumpel das Erlangen seines Führerscheins zu feiern, hätte er sich das, was er später einmal sein Leben nennen sollte, wahrscheinlich in seinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können: Der erste Wurf kam, da war er Mitte zwanzig. Ein Zwillingspärchen in rosarot. Doreen und Melanie. Ein Schock sondergleichen. Gefolgt von einem überraschenden Dreier-Pasch, auf den Monat genau ein Jahr später. Weitere drei Mädchen. Anna, Hanna und Stephanie. Fünf Kinder aus zwei Jahrgängen – da musste auch meine Mutter erstmal Luft holen. Wenn sie heute von dieser Zeit erzählt, bekommen ihre tiefen Augenränder eine ganz neue Bedeutung. Sie berichtete, dass die Tage oft achtundvierzig Stunden oder mehr hatten. Nächte gab es keine. Heutzutage veranstaltete man bereits Massenkundgebungen für eine bessere Nutzviehhaltung, wenn wieder mal eine neue Milchquote zur Diskussion stand. Meine Mutter konnte darüber nur milde lächeln.

Milde lächeln konnten wenige Jahre später auch die Erzieher und dann die Lehrer, deren pädagogische Einrichtungsgruppen fast zu einem Drittel aus der Brut unserer Familie bestand.

Überhaupt nicht lächeln konnte mein Vater. Mutter wurde nicht müde zu erzählen, dass es bei ihm so aussah, als hätte man seine Mundwinkel am Kinn festgetackert. Tief unten. Links und rechts neben seinem Adamsapfel. Kein Wunder, war er es schließlich, der die Suppe, die er zuvor ja großzügig verteilt hatte, am folgenschwersten ausbaden sollte. Ab dem Tag, an dem die Töchter eins und zwei ihren Anspruch an das Leben aus den noch mit Fruchtwasser-gefüllten Lungen gehustet hatten, bestanden seine Tage fortan aus Kopfschütteln, Streitschlichten und Arbeiten. Nie war er einer jener Personen, von denen man in einem der damals so beliebten Poesiealben folgende Zeilen hätte lesen können: Haarfarbe: dunkel, Lieblingsessen: Nudeln, größter Wunsch: sechs Kinder.

Doch manchmal wurde ja genau das wahr, was man sich nicht wünschte. Und so folgte den fünf Mädchen tatsächlich noch Kind Nummer sechs. Meine Schwestern sollen, der Erzählung nach, ähnlich verdattert geguckt haben, wie mein Vater, als Mutter ihnen die frohe Kunde überbrachte. Morgens am Frühstückstisch, nachdem sie ihr Frühstücks-Ei mit dem Teelöffel geköpft- und sich anschließend über den Tisch übergeben hatte. Zu meinem Glück waren meine Eltern schon damals nicht sonderlich gut darin, aus ihren Fehlern zu lernen und so erblickte ich das Licht der Welt, als meine Schwestern bereits tief im Sumpf der Frühpubertät steckten. Ich, der kleine Benjamin, sollte ein Selbstläufer werden, so hatte es zumindest meine Mutter prognostiziert. Eigentlich. Doch sechs Kinder in einer Vier-Raum-Mietwohnung plus zwei Erwachsene plus drei Kanarienvögel und einer Katze ließen wenig Platz für Selbstläufer. Das Badezimmer war ständig zu klein, die Wände für unsere Nachbarn zu dünn. Mein Vater hegte mehr als nur einmal den Gedanken, aus dem Fenster zu springen, wie er mir in einer ruhigen Minute anvertraute, als ich bereits etwas älter war. Schlussendlich fand er es dann aber doch albern, da bei einem Sprung aus dem zweiten Stock bestenfalls mit schmerzhaften Verletzungen- als einer zuckersüßen Erlösung zu rechnen war. Also beließ er es bei dem ›was-wäre-wenn‹-Gedanken und ergab sich seinem Schicksal. Als seinen größten Wunsch in den Poesie-Alben hatte er übrigens immer Stuntmen angegeben.

Unsere Mutter, die nach der Schule eine Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau absolviert hatte, fand natürlich nie wieder in ihren erlernten Beruf zurück. Und Vater, dem neben seinem Job als Zerspanungsmechaniker ohnehin nur wenig Luft zum Atmen blieb, schlug sich jedes zweite Wochenende als Kassenaufsicht in einer Spielhalle die Nächte um die Ohren, um mit dem Geld die Leere aus den Kühlschrankfächern zu verbannen. Die anfänglich noch großzügigen Spenden namhafter Babyartikel-Hersteller hatten sich nämlich nach dem Erreichen der Windelgröße 4 von einem auf den anderen Tag eingestellt. Die Aufmerksamkeitsspanne der Zeitung, die damals das doppelte Mehrlingsgeburten-Glück auf die Titelseite der städtischen Ausgabe gebracht hatte und uns auf diesem Weg eine Menge Spenden eingebracht hatten, war naturgegeben noch mal kürzer. Sechs Mäuler fraßen mehr als zwei und so kam das Hamsterrad in Schwung. Vater konnte gar nicht so viel strampeln, wie sich die Teller- und später auch die Shampoo-Tuben der Töchter leerten.

Während sein Geduldsfaden im Laufe der Jahre erschreckend dünn wurde, schien unsere Mutter voll und ganz in ihrer Rolle aufzugehen. Selbstverständlich stand auch bei ihr in keinem einzigen der sauber und ordentlich und natürlich mit Duftstift geschriebenen Poesie-Album-Einträgen, dass sie eines Tages am liebsten Mutter von sechs Kindern werden wolle, doch sie machte das Beste daraus. Wenigstens sie, denn die Mädchen machten alles andere als das Beste daraus. Und das mit ganzer Hingabe. Sie trafen die Vorbereitungen, meinem noch sehr zarten Selbstbewusstsein ein Grab zu schaufeln – so einig die Zwillings- bzw. Drillingsgruppen unter sich waren, so uneinig waren sie sich im Umgang mit mir. Das Bild des Herumschubsens wurde über die Jahre dermaßen detailreich gezeichnet, man konnte glauben, es sei ein Foto. Doch irgendwann lichtete sich glücklicherweise das Feld und die ersten Mädchen zogen aus. Ich war sechs oder sieben Jahre alt, als das erste Mal ein eigenes Zimmer in Aussicht stand. Kurz vor meiner Einschulung zogen erst Doreen und Melanie, schließlich auch Stephanie aus. Doch ihr Auszug bedeutete nicht, dass sie auch weg waren. Mein Einschulungsfoto war der Beweis dafür: Ein Bild, von einem Schulfotografen geknipst, das einen schüchternen Jungen mit Biene-Maja-Schultüte zeigt, und der die Kleidungsstücke seiner Schwestern auftragen musste. Kleidungsstücke, die glücklicherweise zwar keine Röcke oder Kleider waren, aber über zwölf Jahre in einem staubigen Karton auf ihre Reinkarnation gewartet hatten. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Die anderen Kinder nahmen diese Steilvorlage dankend an! Ich zählte die Stunden, Tage und Monate bis auch Anna und Hanna ihre Plätze räumten und ab dem Tag, an dem die letzte ihren Schlüssel abgegeben hatte, begann ich allmählich zu regenerieren. Ich wurde dreizehn, bekam eine andere Stimme, Pickel, den ersten Bartflaum, kräftigere Schultern und irgendwann waren die Besuche der Schwestern wieder willkommen. Je länger sie fort waren, desto netter wurden sie sogar.