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Die Blackwater-Saga gilt als eine der besten unheimlichen Erzählungen aller Zeiten. Ein über mehrere Generationen verteiltes Familienfresko. Die Publikation war ein solcher Erfolg, dass sie Stephen King (ein Bewunderer der Werke von Michael McDowell) dazu inspirierte, The Green Mile ebenfalls in sechs Bänden zu veröffentlichen. Blackwater ist anders als alles, was du je gelesen hast. Eine Familiensaga mit einer einzigartigen Atmosphäre schleichenden Grauens. Blackwater erzählt von dem verschlafenen Perdido in Alabama und den Schrecken, die Elinor Dammert über die Familie Caskey und die Stadt bringt. Blackwater Buch 5:: Das Vermögen Die Caskeys sind bereits die mächtigste Familie in Perdido und werden bald Erfolge erleben, die ihre kühnsten Vorstellungen übertreffen. Aber Wohlstand hat seinen Preis, und am Ende müssen sogar die Caskeys dafür zahlen. Und eine Frau versucht, dem unerbittlichen flehenden Ruf des dunklen Flusses zu widerstehen … Stephen King: »Ein Schriftsteller für die Ewigkeit.«
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Aus dem Amerikanischen von Andreas Decker
Impressum
Die amerikanische Originalausgabe Blackwater 5: The Fortune
erschienen 1983 im Verlag Avon Books.
Copyright © 1983 by Michael McDowell
Copyright © dieser Ausgabe 2024 by Festa Verlag GmbH, Leipzig
Lektorat: Joern Rauser
Titelbild: César Pardo
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-98676-129-5
www.Festa-Verlag.de
BUCH 5
DAS VERMÖGEN
1
DIE VERMÖGENSAUFSTELLUNG
James Caskeys Tod wurde von allen Mitgliedern der Familie von ganzem Herzen betrauert. Auch wenn der Mann alt und gebrechlich gewesen war, hatte doch niemand mit seinem Tod gerechnet. Er war der Älteste des Clans gewesen, wenn auch in keiner Weise der Anführer. Hätte er eine höhere Position eingenommen, hätte sich vielleicht jeder die Frage gestellt: Wer übernimmt jetzt die Macht, wo James von uns gegangen ist? So aber gab es nach seinem Tod keinerlei Neuverteilungen von Stellung und Einfluss, lediglich die von ihm hinterlassene Leere wurde zur Kenntnis genommen.
Queenie fühlte sich am einsamsten, und jeder behandelte sie, als wäre sie die Witwe und nicht nur seine Schwägerin gewesen.
Ihr Sohn Danjo war nun verheiratet, steckte aber wegen Problemen mit der Einwanderungsbehörde mit seiner deutschen Frau in Deutschland fest – oder zumindest schrieb er das seiner Mutter. Queenies Tochter Lucille war zu einer großartigen »Farmersfrau« geworden und wollte nichts von einem Leben in der Stadt bei ihrer Mutter hören. Ihren Sohn Malcolm hatte sie nicht mehr gesehen, seit er 1938 weggelaufen war; sie hielt ihn für tot.
Die oftmals aufbrausende Lucille schlug in einem einfühlsamen Augenblick vor: »Ma, komm doch raus zum Pond und lebe bei mir, Grace und Tommy Lee.« Queenie schüttelte lediglich den Kopf und wischte eine Träne fort.
Sister sagte: »Queenie, komm doch rüber und zieh in Mary-Loves Zimmer. Miriam ist den ganzen Tag im Sägewerk, und ich brauche Gesellschaft.« Queenie lehnte stumm ab.
Elinor sagte: »Du weißt, dass du bei uns immer willkommen bist.«
Doch Queenie lehnte sämtliche Angebote ab und äußerte am Ende eine bescheidene Bitte. »Wäre es in Ordnung, wenn ich hierbleibe? Und mich um James’ Sachen kümmere? Er hat dieses Haus so sehr geliebt!«
Nach einer kurzen Diskussion entschied die Familie, dass dies die beste Lösung war, und Queenies altes Haus, das sich nur ein paar Blocks entfernt befand und seit einigen Jahren meistens leer stand, wurde verkauft.
James’ Tochter Grace war davon ausgegangen, dass ihr Vater sein ganzes Vermögen ihr vererben würde – das war bei den Caskeys so üblich –, darum hatte sie bereits darüber nachgedacht, wie sie Teile dieses Reichtums an jene verteilen sollte, die ihm außerdem nahegestanden hatten. Bei der Testamentseröffnung hatte sie zu ihrer Erleichterung erfahren, dass dies unnötig sein würde. Abgesehen von kleinen Hinterlassenschaften an seine Köchin Roxie und die Methodistenkirche von Perdido wurde James’ ganzes Vermögen zu gleichen Teilen zwischen Queenie, Danjo und Grace aufgeteilt.
Das Problem war nur, dass niemand das genaue Ausmaß von James’ Vermögen kannte. Aber dieses mangelnde Wissen erwies sich als die Lösung für ein anderes Problem der Caskeys. Seit Billy Bronze und Frances Caskey geheiratet hatten, verfügte Billy über viel freie Zeit, vor allem seit seiner Entlassung aus dem Militär. Er bot der lokalen Veteranenverwaltung seine Dienste an und unterrichtete an vier Abenden in der Woche Radiotechnik und Buchhaltung für Ex-Soldaten, die im Laufe der Zeit nach Perdido zurückkamen. Meistens aber kam er sich überflüssig vor, war er doch den ganzen Tag mit den Frauen allein, während sich sein Schwiegervater Oscar und seine Schwägerin Miriam in dem ausgelasteten Sägewerk aufhielten. Das Angebot, dort ebenfalls zu arbeiten, hatte er ausgeschlagen, da er nichts vom Holzgeschäft verstand. Außerdem war ihm bewusst gewesen, dass Oscar das Angebot lediglich aus reiner Güte gemacht hatte. Miriam, die in solchen Dingen kein Blatt vor den Mund nahm, hatte es deutlicher ausgedrückt: »Solange du versprichst, nicht im Weg zu sein, setzen wir dich gern auf die Lohnliste.« Doch Billy wollte nicht nur irgendetwas arbeiten, er wollte etwas Sinnvolles tun.
Frances gefiel es, ihren Mann den ganzen Tag zu Hause zu haben. Sie genoss die Möglichkeit, dass er sie nach Pensacola fahren konnte, um sich dort die Nachmittagsvorstellung im Kino anzusehen, oder nach Mobile, um dort einen Einkaufsbummel zu machen. Aber ihr entging auch nicht, dass er unruhig wurde. Als Frances und Billy an einem Wintermorgen 1946 noch im Bett lagen, sagte sie zu ihm: »Vielleicht könnte Miriam im Werksbüro einen Platz für dich finden. Ich weiß, dass du nichts von Bäumen verstehst, und du arbeitest nicht gern an der frischen Luft, aber an einem Bleistift und einer Rechenmaschine hast du doch Spaß.«
»Nein, nein!«, protestierte Billy. »Tu das nicht! Bitte sag nichts zu Miriam.«
»Warum denn nicht?« Frances war verblüfft.
»Denk doch mal darüber nach. Denk daran, wie schwer Miriam im Sägewerk arbeitet.«
»Sie leitet es!«, sagte ihre Schwester stolz.
»Genau.« Billy nickte. »Was würde wohl passieren, wenn ich da plötzlich jeden Tag auftauche?«
»Du würdest ihr helfen, es noch besser zu leiten.«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Vergiss nicht, dass ich jetzt ein Caskey bin. Würde ich in diesem Büro arbeiten, kämen die Leute doch zu mir, weil ich älter bin – und weil ich ein Mann bin. Ich würde schnell mehr Macht als Miriam haben, und zwar nicht weil ich kompetenter als sie bin, sondern weil ich ein Mann bin. Miriam weiß das, darum will sie mich dort nicht haben. Und das kann ich ihr nicht eine Minute lang verübeln.«
»Glaubst du wirklich, dass es so kommen würde?«
»Ich weiß es«, erwiderte er entschieden. »Ich werde mich nicht in die Arbeit deiner Schwester einmischen. Sie hat sich lange und schwer für ihre Position abgemüht.« Er nahm Frances in die Arme und drückte ihren Kopf an seine nackte Brust. »Aber vielleicht könnte ich ja etwas anderes tun …«
»Was denn?«
»Ich könnte mich um die Buchhaltung kümmern. Darin bin ich gut.«
»Aber du hast doch gerade gesagt, du willst dich nicht ins Sägewerk einmischen …«
»Ich spreche nicht von dem Betrieb«, erwiderte er. »Ich spreche von der Buchhaltung für die Familie, eine Art persönlicher Buchhalter für jeden von euch.«
»Glaubst du, das könntest du? Daddy hat gesagt, das alles muss so ein Durcheinander sein.«
»Das könnte ich sogar, ohne mich besonders anstrengen zu müssen. Das habe ich von meinem Vater geerbt. Er hat sein ganzes Vermögen mit Buchhaltung gemacht. Er war so geschickt darin. Abends ist er nach unten in sein Büro gegangen und hat sich zehn Minuten lang die Bücher angesehen. Am nächsten Tag zog er los und verdiente 5000 Dollar. So etwas habe ich nie wieder erlebt.«
Frances war von der Idee so begeistert, dass sie ihren Mann aus dem Bett zerrte und mit ihm nach unten ins Frühstückszimmer eilte. Dann bestand sie darauf, dass er Elinor und Oscar seinen Plan erklärte.
»Lasst mich alles ansehen«, schlug Billy vor. »Wir sollten zunächst einmal feststellen, was jeder eigentlich genau besitzt. Es wäre nicht unbedingt schlecht, herauszufinden, wie jeder von euch finanziell aufgestellt ist.«
»Das ist keine üble Idee«, erwiderte Oscar, »aber ich könnte dir nicht einmal sagen, wo du anfangen sollst, alles ist so verworren. Weißt du, in den ersten Jahren der Depression ging es uns ziemlich schlecht, und im Krieg wurde es dann immer besser. Danach gab es die Todesfälle, und es gab die Nachlässe, die geregelt werden mussten, wer wem was hinterließ, wer sich was bei wem geliehen hat, und ich weiß gar nicht, was sonst noch alles. Im Augenblick läuft es folgendermaßen: Braucht jemand Geld, geht er zu Miriam, und die stellt ihm einen Scheck aus.«
»So sollte das aber nicht laufen«, meinte Billy. »Das ist keine Kritik an Miriam, aber jeder sollte genau wissen, was ihm gehört. So wird sich niemand betrogen fühlen, und ihr alle werdet auch mehr Geld verdienen, glaub mir.«
Elinor schien die Idee zu gefallen. »Was genau brauchst du?«
»Ich muss sehen, was ihr habt – Papiere, Testamente, Urkunden, Bankauszüge, Anteilsscheine, jeden Fetzen Papier, den ihr in die Finger bekommen könnt. Zuerst muss ich feststellen, was jedem von euch persönlich gehört und was dem Sägewerk. Gehört es dem Sägewerk, gebe ich es an Miriam weiter, dann kann sie sich darum kümmern. Das wird auch ihr helfen, einen Überblick zu bekommen. Wenn ich weiß, was jeder besitzt, sehen wir weiter, was wir unternehmen können, um vielleicht noch mehr daraus zu machen.« Er zuckte mit den Schultern, dann lachte er um Entschuldigung bittend. »Ich bin nicht gierig, wirklich nicht. Aber das liegt mir im Blut. Ich sehe eine Bilanz, und mich beschäftigt ausschließlich der Gedanke, wie ich diese Summen weiter vergrößern kann.«
»Wann willst du anfangen?«, fragte Elinor.
»So bald wie möglich. Aber solltet ihr nicht besser erst mit den anderen sprechen?«
»Warum denn?«, fragte Elinor, die sich ihrer Position in der Familie sicher war. »Alle werden dafür sein.«
Also machte sich Billy sofort ans Werk, die Geldangelegenheiten der Caskeys in Ordnung zu bringen. Elinor mietete ihm ein kleines Büro in der Innenstadt und kaufte ihm einen Schreibtisch und Aktenschränke. Er stellte Frances als Sekretärin ein, aber nicht weil sie als solche besonders nützlich war, sondern weil sie sich in seiner Nähe so wohlfühlte, selbst wenn er stumm in seine Arbeit vertieft schien. Ein Caskey nach dem anderen besuchte ihn, übergab ihm sämtliche Dokumente, die man hatte finden können, und erzählte ihm alles, woran man sich in Bezug auf die finanziellen Transaktionen der Familie noch erinnern konnte. Er machte sich Notizen und stellte Fragen.
Miriam und Billy arbeiteten zusammen. Bevor das eigentliche Nettovermögen der Familie ermittelt werden konnte, mussten sämtliche Transaktionen, die direkt mit dem Sägewerk zu tun hatten, von den persönlichen Angelegenheiten getrennt werden. Miriam half gern, denn sie wusste, dass dies am Ende auch ihre Arbeit wesentlich erleichtern würde.
Während ihre Schwester und ihr Mann hinter der verschlossenen Tür in seinem Büro saßen, wanderte Frances im Vorzimmer umher, blätterte in Zeitschriften und starrte aus dem Fenster auf den mit Kudzu bewachsenen Damm.
Im April hatte Billy die Familienfinanzen auseinanderdividiert, und an einem Sonntagnachmittag versammelten sich die Caskeys nach dem Mittagessen auf Elinors Schlafveranda. Sogar Grace, Lucille und Tommy Lee waren für diesen Tag von der Gavin Pond Farm herübergekommen.
Elinor gab nur eine kurze Einleitung. »Billy hat sich freundlicherweise bereit erklärt, sich von jetzt an um uns zu kümmern. Ich möchte, dass ihm jeder genau zuhört und tut, was er sagt.«
Nach diesen Worten stand Billy auf, nickte bescheiden und fing an. »Ich möchte nicht, dass ihr auf den Gedanken kommt, ich hätte mich da aufgedrängt, um alles zu übernehmen, denn das ist keineswegs der Fall. Ich bin nur ein Schwiegersohn, der gleichzeitig auch Buchhalter ist, und ich habe hier versucht, die Geldgeschäfte der Familie für alle transparent zu machen.«
»Vermutlich zum allerersten Mal«, warf Sister ein.
»Ich habe mir die Papiere angesehen, die ihr mir gebracht habt, und ich habe versucht, alles in Ordnung zu bringen. Ich kümmere mich um alles, damit keiner außer mir einen Gedanken daran verschwenden muss. Ihr seid alle sehr geduldig gewesen, ohne euch darüber aufzuregen, dass ich die Nase in eure Privatangelegenheiten stecke – selbst Grace hat mir ihre Bücher der Gavin Pond Farm zur Verfügung gestellt. Ich glaube, ich kann ihr dabei helfen, ihre Herde zu vergrößern. Wenn ihr Fragen habt, kommt ihr von jetzt an zu mir, weil ich glaube, dass ich weiß, worum es geht.«
»Du tust so viel für uns«, meinte Sister.
»Ihr glaubt vielleicht, dass ihr viel Geld habt, aber das ist so nicht ganz richtig. Sister, das ist nämlich das Problem. Ihr habt wirklich keine Vorstellung davon, wie viel Geld ihr tatsächlich habt. Wenn du nach New Orleans möchtest, besuchst du Miriam und lässt dir 250 Dollar in bar geben, und das nennt ihr Buchhaltung. Ich stehe heute hier, um euch zu sagen, dass ihr alle viel zu viel Geld habt, um auf diese Weise damit umzugehen.«
Etwas an Billys Tonfall und Art erinnerte die Caskeys an die Predigt des Methodistenpredigers an diesem Morgen. Billy wies auf die Fehler hin, die sie machten, wenn sie mit ihrem Geld umgingen, und ermahnte sie, einen Weg größerer finanzieller Verantwortung zu beschreiten.
»Wie viel haben wir denn genau?«, wollte Oscar wissen.
»Also, natürlich steckt der größte Teil des Familienvermögens im Sägewerk und den Fabriken. Also haben Miriam und ich eng zusammengearbeitet, um zu sehen, ob wir genau feststellen können, wie viel das alles zusammen wert ist.« Er nickte Miriam zu, die mit ein paar Papieren in der Hand aufstand.
»Ich werde nicht in die Details gehen, weil das nicht nötig ist«, sagte Miriam mit der für sie üblichen Offenheit. »Die meisten von euch würden das ohnehin nicht verstehen. Zwei Dinge sind aber wichtig. Erstens: James hat die Hälfte von allem besessen. Sister und Oscar haben jeweils einen Viertelanteil an allem. Das heißt also, dass das eigentliche Vermögen zwischen Sister, Oscar und James’ Nachlass aufgeteilt ist. Das sage ich nicht, um mich darüber zu beschweren, sondern … das sind einfach die Fakten. Zweitens: Das Sägewerk und der Landbesitz der Caskeys haben zusammen ungefähr einen Wert von 23 Millionen Dollar.« Miriam nahm wieder Platz.
»Gütiger Gott!«, rief Queenie.
Niemand sonst sagte ein Wort – niemand hatte auch nur eine Vorstellung gehabt, dass der Wert so hoch war. Kein Caskey war je auf die Idee gekommen, den Betrieb mit einer Zahl in Verbindung zu bringen.
»Wir wollten euch nur eine Vorstellung von der Größe vermitteln«, erklärte Miriam. »Seht ihr, was ich meine? Jetzt ist jeder überrascht.« Sie wandte sich mit einem seltenen Lächeln an ihren Vater. »Du hast auch nicht erwartet, dass es so viel ist, oder?«
»Mit Sicherheit nicht!«
»Euer Privatvermögen ist bedeutend kleiner«, teilte ihnen Billy mit. »Die meisten der persönlichen Profite sind viele Jahre lang immer wieder neu investiert worden, und nicht immer auf die beste Weise.«
Oscar errötete. »Billy, lass mich dazu sagen …«
»Niemand macht dir einen Vorwurf, Oscar«, sagte Sister. »Du hast das Sägewerk aufgebaut, und wenn 23 Millionen Dollar nicht reichen, damit wir nicht alle auf der Straße enden, können wir uns genauso gut auf den Boden legen und den Geist aufgeben.«
»Nein, es soll gar nicht die Rede davon sein, dass die Dinge unfair gehandhabt worden sind, es war einfach nur verwirrend. Man hat sich Geld geliehen, das nie zurückgezahlt wurde. Geld, das an Sister hätte gehen müssen, ist dazu benutzt worden, neue Maschinen zu kaufen und so weiter. Niemand beschuldigt hier irgendjemanden wegen irgendetwas, und Tatsache ist – und das solltet ihr alle wissen –, dass das Sägewerk ohne Oscars Arbeit leicht in Konkurs hätte gehen können. Ich habe lediglich versucht, die Dinge wieder voneinander zu trennen, damit ihr alle wisst, wo ihr steht. Das habe ich getan. Oscar Caskey hat mit seinen persönlichen Anteilen und Ansprüchen außerhalb des Sägewerks ein Vermögen von ungefähr 1.100.000 Dollar.«
Oscar stieß einen Pfiff aus, und Elinor lächelte äußerst zufrieden.
»Sister Haskew besitzt ungefähr 1.300.000 Dollar.«
Sister blickte sich erstaunt auf der Veranda um. »Ich kaufe mir morgen ein neues Auto!«, rief sie sofort.
»James Caskeys persönliches Vermögen betrug ungefähr 2.700.000 Dollar, wozu noch seine Hälfte des Betriebs kommt. Und wie ihr wisst, wird dieses Vermögen zu drei Teilen aufgeteilt, gleichmäßig, sobald der Nachlass bestätigt wird.«
»Mein Gott!«, rief Queenie, die mit ihrem Enkel auf dem Schoß auf der Schwingbank saß. »James ist gestorben und hat mich so reich wie Krösus gemacht.«
»Nun gibt es keinen Grund, warum diese Familie nicht noch bedeutend reicher werden könnte«, fuhr Billy Bronze fort. »Sie verfügt jetzt über Geld, und sobald man Geld hat, ist es die einfachste Sache auf der Welt, noch mehr daraus zu machen.«
»Aber wozu?«, wollte Grace wissen. »Wer braucht denn schon Millionen und Abermillionen Dollar? Warum brauchen wir mehr Geld, als wir bereits haben?«
Miriam wandte sich mit mürrischer Miene an ihre Cousine. »Damit du losrennen und 400 Kälber kaufen kannst, darum.«
»Ich will aber keine 400«, erwiderte Grace ungerührt. »Dafür ist meine Weide gar nicht groß genug. Ich könnte vielleicht 80 brauchen – es sei denn, ich würde noch mehr Land umwandeln …«
»Ich habe nichts dagegen einzuwenden, mehr Geld zu verdienen«, gestand Oscar. »Tatsächlich glaube ich sogar, dass wir genau so vorgehen sollten. Ich weiß nur nicht, wie ich das anstellen soll. Billy, weißt du es?«
»Ja, ich glaube, das weiß ich.«
Miriam nickte. »Billy weiß, wovon er spricht. Wäre es meine Entscheidung, würde ihm jeder hier eine Vollmacht ausstellen und ihn einfach machen lassen.«
»Das ist nicht nötig«, sagte Billy etwas nervös. »Ich würde nur gern Vorschläge machen, und wenn sie euch gefallen, könnt ihr sie in die Tat umsetzen. Das ist alles. Ich schlage Folgendes vor: Miriam und ich arbeiten zusammen. Miriam kümmert sich um das Sägewerk, wie sie es so erfolgreich schon die ganze Zeit getan hat. Und ich kümmere mich um euer Privatvermögen. Wenn ihr also Bargeld braucht, wendet ihr euch nicht mehr an Miriam, sondern kommt zu mir.«
»Mir würde das auf jeden Fall einige Mühe ersparen«, gab Miriam zu, »dann muss ich nicht dauernd diese verdammten Schecks ausstellen.«
Die Caskeys nahmen Billys Vorschlag an und sahen sich nach diesem Sonntagnachmittag auf der Veranda nie wieder im selben Licht. Sie besaßen viel mehr Geld, als auch nur einer von ihnen geahnt hatte. Elinor war stolz, als wäre sie der Ansicht, dass ihr Rat und die Unterstützung, die sie ihrem Mann während der schweren Jahre hatte zukommen lassen, das Vermögen überhaupt erst ermöglicht hatten. Sister war begeistert, denn wie sollte ihr Ehemann ihr jetzt noch etwas anhaben können, wenn so viel Geld auch jemand weitaus Gefährlicheren und Beharrlicheren als Early Haskew in Schach gehalten hätte? Grace und Lucille verloren sich in Träumen von Weideland, Viehherden und urbar gemachtem Land. Die Möglichkeiten erschienen endlos, waren zugleich aber auch irgendwie vage. In den nächsten Tagen suchten alle fiebrig nach Dingen, für die man Geld ausgeben konnte. Sister kaufte sich ein neues Auto und dann noch eins für Miriam. Außerdem kaufte sie auch eins für Billy Bronze. In ihrem neuen Auto fuhr sie mit Roxie, Ivey, Zaddie und Luvadia nach Pensacola und ließ sie auf eines der wunderbarsten Bekleidungsgeschäfte der Stadt los. »Wir gehen nicht, bevor ich 500 Dollar verschwendet habe, und das ist mein Ernst.«
Im Großen und Ganzen gaben die Caskeys aber nicht mehr Geld aus als zuvor. Sie wurden sich lediglich ihres Reichtums bewusst. Billy war in seinem Büro in der Stadt plötzlich sehr beschäftigt. Er übernahm die Leitung von Queenies Haushalt, damit sie nicht plötzlich peinlicherweise ohne Bargeld dastand, solange das Testament noch nicht vollstreckt worden war. Er beriet sich mit Grace über den Ausbau der Gavin Pond Farm. Sister kam zweimal die Woche, um zu erfahren, wie schnell und deutlich ihr Nettovermögen wuchs. Oscar und Miriam besuchten ihn häufig, und er hatte oft hinter verschlossenen Türen Besprechungen über Finanzen, vor allem mit seiner Schwägerin. Frances war überaus stolz auf die Arbeit ihres Ehemannes für die Familie. Die Caskeys drängten ihn, ein Gehalt für seine Arbeit anzunehmen, was er dann auch ohne Widerspruch akzeptierte.
Dieser Schwiegersohn hatte die Caskeys in eine ganz neue Epoche ihrer Geschichte befördert.
2
BILLYS BEMÜHUNGEN
Während der Monate, in denen der Krieg immer offensichtlicher zu seinem Ende zu kommen schien, schalteten die Caskeys in einen anderen Gang. Miriam und ihr Vater entschieden, den Betrieb so bald wie möglich wieder in den Vorkriegszustand herunterzufahren. Das Militär würde bald keine neuen Stützpunkte mehr bauen, keine neuen Unterkünfte. In den letzten Monaten des Jahres 1945 hatte das Sägewerk noch immer ausstehende Aufträge erfüllt, aber es kamen nicht mehr viele neue herein. Miriam hatte sich in Perdido umgesehen und erkannt, dass die Dinge nach dem Krieg anders gelagert sein würden. Zum Beispiel würden die zurückkehrenden Veteranen neue Häuser haben wollen. Fabriken würden also umgebaut oder anders organisiert werden müssen, um neue Wirtschaftszweige zu bedienen und diesen ehemaligen Soldaten Arbeitsplätze zu geben. Die Nation würde lernen müssen, mit dem Wohlstand umzugehen, so wie sie es gelernt hatte, mit der Armut umzugehen. Anfang 1946 war das Sägewerk der Caskeys in sämtlichen Sparten ausgelastet, selbst dann, wenn es keine Aufträge für Bauholz, Masten, Fensterrahmen und Kisten gab. Oscar ließ von seinen Tischlern auf dem Grundstück des einstigen Turk-Sägewerks Lagerhäuser bauen. Kamen die zivilen Aufträge, so waren die Caskeys nach Miriams Überzeugung bereit.
Nachdem Billy Bronze die persönlichen Finanzen der Familie in seine Obhut genommen hatte, nahm er einen Teil ihres Vermögens und investierte es in Aktien, die seiner und Miriams Meinung nach bald beträchtlich im Wert steigen würden. Um zu diversifizieren, erwarb er für Sister Apartmenthäuser in Mobile, dem Golf zugewandte Grundstücke auf Santa Rosa Island für Oscar und steckte Grace’ und Queenies Geld in die Entwicklung der Farm. Danjo hatte durch seine Mutter von James’ Tod erfahren, und Billy informierte ihn über seine beträchtliche Erbschaft. Der junge Mann bat ihn, das Geld in Amerika zu investieren und ihm lediglich das daraus resultierende Einkommen zu schicken. Danjo schrieb ihm: »Ich wäre eigentlich nur nach Perdido zurückgekehrt, weil ich wusste, dass James einsam ist. Jetzt, wo er tot ist, bleibe ich hier. Fred will nicht weg, und ich habe nichts dagegen, zu bleiben. Besucht uns doch in unserem Schloss.« Seiner Mutter gegenüber hielt Billy die Geschichte aufrecht, dass er wegen Problemen mit der Einreisebehörde nicht zurückkehren konnte.
Die Caskeys waren allgemein der Ansicht, keine Ahnung zu haben, wie sie jemals ohne Billy ausgekommen waren.
Ende 1946 war Frances länger als ein Jahr mit Billy verheiratet und entdeckte, dass sie schwanger war. Eigentlich fand Elinor es durch eine Reihe genauer Fragen über die Periode ihrer Tochter heraus. Leo Benquith bestätigte die Diagnose. Der Arzt war nun ein alter Mann und hatte seinen Praxisbetrieb deutlich eingeschränkt. Er kümmerte sich noch um die Caskeys und ein paar andere Familien, aber die meisten seiner Patienten waren zu den beiden neuen jungen Ärzten in der Stadt gewechselt.
»Billy wird sich so freuen«, sagte Elinor, als sie ihre Tochter von der Arztpraxis nach Hause fuhr.
Frances schwieg.
»Bist du denn nicht glücklich, mein Schatz?«
»Ich weiß es nicht, Mama. Sollte ich?«
»Natürlich«, erwiderte Elinor mit einem nichtssagenden Lächeln. »Jede junge, verheiratete Frau möchte doch Kinder haben.«
»Nicht wenn die Kinder deformiert zur Welt kommen werden«, erwiderte Frances leise.
Elinor warf ihrer Tochter einen Blick zu, sagte aber nichts mehr, bevor sie vor dem Haus anhielten. Frances wollte aussteigen, aber Elinor griff nach ihrem Arm und hielt sie fest. »Deformiert?«, fragte sie heftig. »Glaubst du das? Siehst du dich so? Siehst du mich so?«
»Mama …«
»Ist Zaddie Sapp deformiert, weil sie mit schwarzer Haut geboren wurde?«
»Natürlich nicht …«
»Sind Grace und Lucille deformiert, weil sie die Männer aufgegeben haben und zusammen auf der Gavin Pond Farm leben?«
»Nein, Mama, das ist nicht …«
»Sie wurden so geboren, mein Schatz! Zaddie wurde mit schwarzer Haut geboren, und Grace wurde geboren, um Mädchen zu mögen! Hätte Creola Sapp also sagen sollen ›Ich werde dieses Kind nicht zur Welt bringen‹, nur weil sie anders sind? Hätten James und Genevieve deiner Meinung nach sagen sollen ›Wir wollen aber kein Baby, wenn es später nicht wie alle anderen in der Stadt wird‹?«
Frances antwortete zuerst nicht, weil sie wusste, dass ihre Mutter sie ohnehin unterbrechen würde. Aber Elinor schwieg, starrte geradeaus und hielt das Lenkrad krampfhaft umfasst.
»Mama, ich habe nicht an mich gedacht, ich habe an das Baby gedacht«, gestand Frances leise. »Was ist, wenn das Baby nicht glücklich wird? Allein daran habe ich gedacht. Ich würde es lieben, das weiß ich.«
»Du hast deformiert gesagt.«
»Dann habe ich mich eben falsch ausgedrückt. Ich meinte … anders. Ich meinte, wird das Baby so wie du und ich?«
Elinor sah ihre Tochter wieder an, aber jetzt war ihr Blick sanfter. »Bist du unglücklich?«
»Nein!«, rief Frances und rutschte auf ihrem Sitz nach vorn. »Mama, ich bin überhaupt nicht unglücklich! Wie könnte ich unglücklich sein? Ich bin mit Billy verheiratet und kann trotzdem bei dir und Daddy leben. Mit meinem Leben ist alles in bester Ordnung. Mama, wir haben nicht einmal jemanden im Krieg verloren. Das ist so vielen Familien passiert.«
»Also gut«, sagte Elinor. »Sagen wir, du würdest ein Baby bekommen, das genau so ist wie du, genau wie ich – es wäre anders. Und das wäre alles. Aber Zaddie ist auch anders, Zaddie ist schwarz. Grace ist auch anders, Grace wird niemals heiraten und eigene Kinder haben. Aber sie sind trotzdem glücklich. Und du bist glücklich. Warum glaubst du also, dein Baby könnte nicht auch glücklich aufwachsen?«
Frances dachte einen Moment lang darüber nach. »Vermutlich könnte es das«, lautete ihr Schluss. »Vermutlich wollte ich in Wirklichkeit nur eines wissen: Wird dieses Baby sein wie wir, Mama?«
»Das ist vor der Geburt unmöglich zu sagen«, bemerkte Elinor langsam. »Danach werden wir es wissen.« Sie wollte die Autotür öffnen.
»Warte.« Impulsiv legte Frances ihrer Mutter die Hand auf die Schulter. »Mama, ich war nur besorgt …«, flüsterte sie. »Ich habe nur an das Baby gedacht. Ich wollte dich nicht …«
»Das weiß ich, mein Schatz.«
Als sie das Haus betraten, sagte Billy: »Warum habt ihr so lange im Auto gesessen? Ihr müsst doch durchgefroren sein.«
Frances lächelte. »Wir haben uns nur über die gute Nachricht unterhalten.«
»Welche gute Nachricht?«
»Ich bekomme ein Baby«, verkündete Frances.
Billys Überraschung und Glück zeigten sich in dem breiten Grinsen, das sein Gesicht zu spalten drohte, sowie an den kaum artikulierten Protesten, dass das unmöglich sein konnte. Frances versicherte ihm aber, dass es der Fall war.
»Bist du dir sicher, dass du ein kleines Baby haben willst, das ständig weint?«, fragte sie.
»Soweit es mich betrifft, kann unser Baby so viel weinen, wie es will. Wann ist es so weit?«
»Im Juli«, sagte Elinor schnell.
»Wirst du dich um Frances kümmern?«, fragte Billy seine Schwiegermutter.
Elinor nickte. Billy sagte immer das Richtige. »Zaddie und ich. Wir werden dafür sorgen, dass das Baby gesund ist.«
»Mama.« In Frances’ Stimme lag ein gewisses Unbehagen. »Mir wird nichts passieren. Dr. Benquith kann …«
»Zaddie und ich werden uns um dich kümmern«, sagte Elinor entschieden, ohne ihre Tochter anzusehen. »Nicht Leo. Ich habe Frances bei ihrer Arthritis gepflegt …«
»Du hast mich geheilt!«, stellte Frances klar.
»… und ich werde dir auch dabei zur Seite stehen.«
»Rechnest du etwa mit Komplikationen?«, wollte Billy wissen.
»Ich würde sagen, dass ich morgen damit anfange, Frances auf die gleiche Weise zu baden wie damals, als sie so krank war«, antwortete Elinor.
»In Wasser aus dem Perdido?«, fragte ihre Tochter mit leiser Stimme.
Danach saß Frances Bronze jeden Tag eine Stunde lang in der Badewanne, als wäre sie wieder ein kleines Mädchen, während ihre Mutter auf dem Boden kniete und mit dem Schwamm Perdidowasser über ihren Körper spülte. Obwohl sich Frances nicht unbedingt auf diese Waschung freute, hatte sie nach den ersten paar Malen auch keine Einwände mehr dagegen. Tatsächlich schien sie nie daran zu denken oder sich daran zu erinnern, bis Elinor sie aufsuchte. »Zeit, nach oben zu gehen, Frances«, sagte sie dann leise. Dieser sich nie ändernde Satz funktionierte bei ihrer Tochter wie ein Auslöser; sobald sie ihn hörte, schien sie alles andere um sich herum zu vergessen. Womit auch immer sie gerade beschäftigt war, sie hörte abrupt damit auf und ging nach oben. Die Kleidung schien ihr vom Körper zu fallen und sie stieg in die Wanne. Wenn das schlammige rote Wasser in ihre Haut gerieben wurde und der Geruch des Flusses um sie herum aufstieg, hatte sie keinen anderen Gedanken mehr im Kopf, als dass es kein größeres Vergnügen gab. Nach dem kurzen Impuls, ihre Mutter wegzuschicken, ergab sich Frances dem intensiven Genuss.
Aber in dem Augenblick, bevor sie alles andere vergaß, flackerten immer dieselben Fragen kurz in ihr auf. Kommt es jetzt zur Verwandlung? oder