Blauelieschens fantastische Märchenwelt - Halina Monika Sega - E-Book

Blauelieschens fantastische Märchenwelt E-Book

Halina Monika Sega

0,0

Beschreibung

Was ist bloß los in Blauelieschens fantastische Märchenwelt? Wie kommt es, dass der Zwerg Gildonak sich unsterblich in die Menschenfrau Svenja verliebt, obwohl sie eigentlich keine Zwerge mag? Oder wie findet Chris ihren Traumprinzen, während sie als Lehrling in Seppels Waldschänke arbeitet? Warum will die Schöne Hexe plötzlich ihre große Liebe König Grünspan loswerden? Wieso ist die Hässliche Fee so verknallt in den Zwerg Gildonak? Fragen über Fragen, also kommt ins wunderbare Märchenland und trefft viele bekannte und unbekannte Märchenbewohner aus der fabelhaften Märchenwelt von Blauelieschen, die schon ungeduldig auf euch warten. Zögert nicht länger und taucht endlich ein in dieses ungewöhnliche Märchen mit seinen vielen Wirrungen und Verstrickungen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 562

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Widmung:

„Blauelieschens fantastische Märchenwelt“ ist all den lieben Menschen aus nah und fern gewidmet, die mich beim Gelingen dieses Buches unterstützt haben und weiterhin unterstützen werden. Dafür bin ich Euch unendlich dankbar.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

Epilog

Vorwort

Märchen faszinierten schon unsere Großeltern, deren Eltern sowie unsere Eltern, unsere Kinder und sicherlich auch deren Kinder und Kindeskinder. Märchen sind nicht nur etwas für Heranwachsende, wie Kinofilme, Serien und zahlreiche Bücher bestätigen. Märchen sind aktuell und laden zum Verweilen oder Nachspielen ein. Märchen schaffen Raum zum Träumen und entführen in eine Fantasiewelt, die ihresgleichen sucht. Ich möchte mir eine Welt ohne Märchen nicht vorstellen!

Als ehemalige ehrenamtliche Vorlesepatin der Stadtbücherei Gladbeck freute ich mich besonders, den Kindern im Kindergarten bekannte und eigene Märchen vorlesen und erzählen zu können.

Auch als mein Sohn Dominic damals als Hausaufgabe in der Grundschule das Märchen „Hensel und Gretel“ umschreiben und in eine moderne Form bringen sollte, fand ich die Idee hervorragend. Ich konnte nicht widerstehen und machte es ihm nach. Dabei entdeckte ich meine große Vorliebe für das Schreiben über Märchenfiguren. So entstand das 2 ½-stündige Theaterstück „Das Märchen von X“, das im Januar 2009 in Gladbeck Premiere feierte und in dem auch meine beiden Söhne Dominic und René mitspielten. Dieses Theaterstück hat mich zu diesem umfangreichen Märchenbuch inspiriert.

Nun bleibt mir nur noch, meinen Leserinnen und Lesern viel Vergnügen zu wünschen, wenn die Feenherrscherin Blauelieschen und der Zwerg Gildonak mit all seinen zahlreichen Mitstreitern mein Märchen zum Leben erwecken.

Ihre

Halina Monika Sega

1. Kapitel

Blitze zucken durch die finstere Nacht, gefolgt von gewaltigen Donnerschlägen. Laut prasselt der Regen gegen das Dachfenster, denn draußen gießt es in Strömen. Das Kinderzimmer wird für Sekunden in grelles Licht getaucht, bevor die Dunkelheit wieder Einzug hält. Der Blitz lässt die Sternentapete schwach glitzern. Auch das kleine Nachtlicht funkelt in der Steckdose und spendet ein behagliches, kegelförmiges Licht. Im Rennautobett liegt der siebenjährige Dominic im Spiderman-Schlafanzug und schaut sich verunsichert um.

Wenn von Fern der Donner grollt, zittert er vor Furcht. Dabei schmiegt er sich eng an seinen dunkelbraunen Teddybären. Seine zerzausten blonden Haare sind im Nacken ganz nass. Der Donner kracht immer lauter. Dominic kann nicht einschlafen. Er überlegt, ob er zu seiner Mutter ins Bett kriechen soll. Beim nächsten Donnerschlag schreckt er auf, springt aus dem Bett und überlegt nicht weiter. Barfuß tastet er sich vor und tritt versehentlich auf sein Quietschtier. Erschrocken zuckt er zusammen und ein Fluch kommt über seine Lippen: »Mist!« Verärgert bückt sich Dominic, hebt sein Spielzeug auf und wirft es in die Bärenspielkiste. Dann wendet er sich leise zur Tür und öffnet sie. Zielstrebig geht er die verwinkelte Diele entlang. Erst vor dem Schlafzimmer seiner Eltern bleibt er stehen und greift nach der Klinke. Er schluckt und drückt sie verunsichert herunter. Zaghaft öffnet er die Tür und tritt auf Zehenspitzen hinein. Im Bett erkennt er schemenhaft eine Gestalt. Dominic erstarrt und zittert wie Espenlaub. Seine Augen weiten sich und er wispert: »Mami«. Dabei verharrt er regungslos. Einen Moment hält er den Atem an und lauscht.

»Schatz, was machst du hier? Wieso bist du nicht im Bett? Eigentlich solltest du längst schlafen«, ermahnt ihn seine Mutter und setzt sich auf. Ein Blitz erhellt das weiße, geräumige Schlafzimmer und lässt Dominic zusammenzucken.

»Ach, das Gewitter ist schuld.« Ihre Worte werden begleitet von lautem Donnerschlag. Ruckartig erhebt sie sich und schlüpft in ihre blauen Hausschuhe. Tastend greift sie nach dem Morgenmantel und zieht ihn über. Mittlerweile nähert sie sich ihm Schritt für Schritt.

»Ich bin nicht müde, Mami …«, brabbelt Dominic drauf los und streckt ihr seine Hände entgegen. Er ist froh, als sie ihn sanft in die Arme schließt. Vor allem ist er erleichtert, nicht mehr allein zu sein und drückt sich ganz fest an sie. Ihr rosa Morgenmantel fühlt sich weich an und duftet nach Rosenblüten. Inzwischen fährt sie behutsam über seinen Kopf.

»Ach Mami, ich habe es in meinem Zimmer einfach nicht mehr ausgehalten«, stöhnt er. »Ich würde viel lieber in dein Bett kriechen und bei dir schlafen.«

»Du bist ein großer Junge und kein Baby mehr«, meint sie mit hochgezogenen Augenbrauen, die fast ihren braunen Pony berühren. Bevor Dominic antworten kann hebt sie ihn hoch. Machtlos lässt er sie gewähren. Mit schnellen Schritten trägt sie ihn zurück ins Kinderzimmer. Dort legt sie ihn vorsichtig ins Rennautobett und streichelt sanft über seine Wange. Fürsorglich deckt sie ihn zu und lächelt ihn warmherzig an. »Das kann ich kaum glauben, Schätzchen! Oder liegt es doch am Gewitter?«, fragt sie und streicht ihm eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. »Es spielt sich in den Wolken ab und kommt hier nicht hinein. Bestimmt zieht es gleich weiter«, redet sie beruhigend auf Dominic ein.

»Das Gewitter hat nichts damit zu tun«, widerspricht Dominic und blickt seine Mutter tief in die Augen.

»Nein? Wirklich nicht?«

»Ach, ich möchte unbedingt eine Gutenachtgeschichte hören und …«, stockt er, als es wieder donnert.

»Das geht nicht, ich bin viel zu müde und schlafe gleich ein«, gesteht sie ihrem Sohn.

»Ich will aber eine hören«, bockt Dominic und strampelt sich frei. Seine Mutter schüttelt den Kopf, und ihre schulterlangen Haare schwingen im Takt mit.

»Papa ist sooooo lange weg, wie schade!«, jammert Dominic und zieht die Nase hoch.

»Ach, weißt du Schatz, ich vermisse ihn doch auch. Er kommt bald von der Dienstreise zurück. Es dauert nicht mehr lange, Liebling, versprochen.«

»Papa fehlt mir und ich vermisse ihn. Darum möchte ich wenigstens ein Märchen hören!«, bohrt Dominic und setzt sich rebellisch auf.

»Nein, es ist viel zu spät. Wir haben fast Mitternacht«, sagt seine Mutter und runzelt die Stirn. Enttäuscht lässt Dominic die Schultern hängen und verzieht seine Lippen zu einem Schmollmund. »Bitte, Mami! Bitte Mami, BITTE!«, fleht er.

»Nein, es geht nicht, sonst bist du morgen früh viel zu müde für die Grundschule«, besteht sie und seufzt laut.

»Nur bis es nicht mehr donnert. Wirklich nur ein klitzekleines Märchen. Bitte Mami! BITTE!«, fleht er weiter. Stöhnend lässt sich seine Mutter in den blauen Schaukelstuhl fallen, der neben dem Bett steht. »Na gut …«, gibt sie nach.

»Oh, toll!«, jauchzt Dominic.

»Welche Gutenachtgeschichte möchtest du denn hören?«

»Weiß ich nicht!«, ruft Dominic und grinst wie ein Lausbube. »Was hältst du von Rotkäppchen?«, gähnt sie und schließt für einen Moment die blauen Augen.

»Das kenne ich schon …!«, mault er und schüttelt den Kopf.

»Vielleicht Hänsel und Gretel?« Dabei öffnet sie ihre Augen und seufzt.

»Nein, auch nicht!«

»Ich weiß es: Aschenputtel!«, presst sie heraus und rollt mit den Augen.

»Das kenn ich auch schon und es ist langweilig!«, brummt er und dreht sich weg.

»Dominic, willst du jetzt eins hören oder nicht?«, schnauft sie. Sofort dreht er sich zu ihr und ruft: »Natürlich! Aber ich möchte ein neues Märchen hören. Eins, was du mir noch nicht erzählt hast!«, beharrt er.

»Ach so! Welches soll ich dir erzählen?« Dabei kaut sie auf ihrer Unterlippe und fährt mit ihrem Daumen und Zeigefinger über ihr Kinn. »Es gibt so viele Märchen, die du noch nicht kennst!«

Dominic freut sich und reißt erwartungsvoll die Augen auf.

»Ja?«

Sie nickt und lächelt. »Weißt du, Schatz«, fährt sie fort, »es gibt nicht nur Schneewittchen, Dornröschen, Rapunzel, Rotkäppchen, den Froschkönig oder Hänsel und Gretel.«

»Klasse!«, jubelt Dominic wieder.

»Du solltest wissen: Schön ist die Geschichte vom blauen Prinzen, oder das Märchen von der Prinzessin, die von einem Drachen entführt wurde. Mir gefällt auch die Erzählung von der gefangenen Elfe. Wunderbar ist auch, wie Mia zu ihrem Schutzengel kam. Besonders toll ist die Geschichte vom liebeskranken Kobold oder die vom verzauberten Esel.«

»Boah, so viele«, freut sich Dominic und strahlt entzückt.

»Ja, es gibt etliche Märchen. Viele sind in den Märchenbüchern der Gebrüder Grimm enthalten. Aber es gibt auch welche aus anderen Ländern oder ganz junge Märchen aus der Neuzeit. Manche sind nicht so bekannt wie eben Dornröschen oder Schneewittchen.«

»Okay, dann erzähl mir eins, das nicht so bekannt ist!«, drängt Dominic und zappelt mit seinen Beinen hin und her.

»Ja«, stimmt sie zu. »Dieses Märchen hat mir meine Oma Agnes in den Sommerferien erzählt, als ich so alt war wie du. Es handelt von einem Zwerg und all seinen Mitstreitern. Es stammt aus dem Buch: Blauelieschens fantastische Märchenwelt.«

Dominics Augen glänzen, als sich sein Blick mit seiner Mutter kreuzt. Sie nickt ihm zu und erhebt sich aus dem Schaukelstuhl. Mit einem Lächeln huscht sie an seine linke Seite und setzt sich neben ihn. Dabei umarmt sie ihn und haucht ihm einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. Dominic mag es, wenn seine Mutter ihn liebkost, aber jetzt möchte er unbedingt wissen, um was für ein Märchen es sich handelt. Er kann es kaum noch vor Spannung erwarten und bittet: »Mami, Mami, erzähl mir endlich das Märchen!«

»Okay, Schatz!«, bestätigt seine Mutter mit einem Lächeln auf den Lippen. »Es war einmal vor langer, langer Zeit in einem fernen Zwergenland. Dort lebte ein niedlicher kleiner Zwergenprinz.«

»Wie sieht dieser Zwergenprinz aus, Mami?«, fragt Dominic dazwischen. »Er war ein winziger Geselle mit weißem, lockigem, nackenlangem Haar und einem langen, spitzen Bart, der ihm bis auf die Brust fiel. Er hatte ein ulkiges Gesicht. Wenn man ihn ansah, musste man unwillkürlich grinsen. Seine Nase war kugelrund und seine blutroten Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, wenn er durch den Wald ging. Seine dunkelblauen Augen blickten neugierig umher, um nichts zu verpassen. Die rote Zipfelmütze war sein Erkennungszeichen. Sonst war er nicht viel größer als du, mein Schatz.«

»Passte ihm denn Kinderkleidung?«

In diesem Moment erhellt ein Blitz das Zimmer und taucht es in ein grelles Lichtermeer. Dominic zuckt erschrocken zusammen und klammert sich an seine Mutter.

»Nein! Wie kommst du darauf?«, fragt sie und redet unbeeindruckt weiter, »Natürlich trug er keine Kinderkleidung. Er war ja schon erwachsen.«

»Sah er aus wie ein Zwerg von Schneewittchen?« Dominics Mutter nickt. »Ja, genau!«

»Also sah er genauso aus wie ich beim letzten Karneval?«

Sie grinst und nickt wieder, während der Donner durch die Nacht poltert. Erst als es still wird redet sie weiter. »Nicht ganz, mein Schatz! Er trug keine rote Hose, sondern eine blaue. Seine Hemdjacke war grün mit einem schwarzen Gürtel um den Bauch.«

»Durfte er trotzdem mit Schneewittchen spielen? Sie mochte doch nur Zwerge mit roten Hosen«, murmelt Dominic enttäuscht. Seine Mutter schüttelt den Kopf. »Natürlich durfte er mit ihr spielen. Wer hat dir den diesen Quatsch erzählt?«

»Lilly aus dem Nachbarhaus.«

»Das überrascht mich nicht«, antwortet sie. »Dieses kleine Biest hat dich reingelegt, Liebling!«

»War ihm im Winter nicht kalt?«, wechselt er schlagartig das Thema.

»Wie kommst du auf den Winter?«, will sie wissen, während ihre Augenbrauen hin und her tanzen.

»Karneval ist im Winter!«, erläutert er.

»Ja, das stimmt! Also im Winter trug er ein blaues Bärenfell!«

»Warum blau? Welcher Bär ist blau?«

»Im Zwergenland schon!«

»Ach so, im Zwergenland gibt es blaue Tiere, super! Blau ist meine Lieblingsfarbe!«, ruft er begeistert. »Aber warte …, er hieß bestimmt … Zipfelmännchen oder so ähnlich?«, stellt Dominic völlig überdreht fest.

»Seine Eltern tauften ihn auf den Namen Gildonak«, verbessert ihn seine Mutter mit einem Lächeln auf den Lippen.

»War er ein besonderer Zwerg?«

»Oh ja, kann man so sagen! Ein Scherzkeks mit viel Unfug im Kopf. Aber auch ungeschickt und oft vom Pech verfolgt.«

»Wieso hatte er so viel Pech?«, drängt er, rutscht zur Bettkante und wippt mit den Füßen vor und zurück.

»Er war ein Unglücksrabe! Er schaffte es, ein Dorf nach dem anderen in Flammen aufgehen zu lassen. Nur weil er die Blumen im Haus gießen wollte und mit seiner bevorzugten Gießkanne alles umstieß. So geschah es, dass die Öllampen die Häuser in Brand setzten. Sein Vater, der Zwergenkönig Lindunak, war ganz verzweifelt und verbannte seinen ungeschickten Sohn aus seinem Zwergenreich.«

»Oh, wie entsetzlich!«

»Deshalb musste er das Zwergenland verlassen.«

»Ohhhhhhhh!«, staunt Dominic, »und was ist dann geschehen?«

»Er verirrte sich ins Trollland. Dort blieb er nicht lange, weil die Trolle nach seinem Leben trachteten, da er auch in dieser Umgebung nur Chaos verbreitete. Bei seiner Flucht verlor er die Gießkanne und entkam in die Menschenwelt.«

»Was hat er dort angestellt?«

»Eigentlich nichts Schlimmes. Nur da kam es zu dieser …«

»Was ist passiert?«, fällt er ihr ins Wort und ist ganz rappelig.

»Du musst wissen, er verliebte sich in ein Mädchen. Das Problem war nur, dass sie kein Zwergenmädchen war, sondern dem Menschenvolk angehörte. Ihr Name war Svenja. Für ihn war es Liebe auf den ersten Blick. Von diesem Moment an, ließ er sie nicht mehr aus den Augen. Er verfolgte sie heimlich auf Schritt und Tritt, ohne dass sie seine Gegenwart bemerkte. Er war ein Meister des Verbergens. Der Zwerg bewunderte sie immer, wenn sie vor dem Lagerfeuer anmutig tanzte. Ihre Schönheit betörte ihn. Aber er schätzte auch ihre Offenheit, Ehrlichkeit und Hilfsbereitschaft den Dorfbewohnern gegenüber.«

»Hat er sie angesprochen?«, will Dominic wissen und zappelt herum.

»Nein, zuerst nicht! Er war viel zu schüchtern. Daher dauerte es so lange, bis Gildonak es ohne ihre Anwesenheit nicht mehr ertragen konnte. Er wollte ihr immer nahe sein, auch nachts. Immerhin traute er sich schlussendlich sie zu kontaktieren. Sein Herz rutschte ihm vor Furcht in die Hose. Aber es gab kein Zurück, und er sprach sie mit Herzklopfen an.«

2. Kapitel

Svenja wurde in Ängersjö, einem schwedischen Holzfällerdorf geboren und wuchs dort behütet auf. Oft saß sie am Lagerfeuer und dachte nach. Die jungen Männer im Dorf machten einen Bogen um Svenja. Ihr Vater war verzweifelt, weil er seine Tochter verheiraten wollte. Aber keiner machte ihr den Hof. Selbst wenn sie tanzte hatte sie niemanden als Tanzpartner. Dabei war Svenja sehr hübsch und gut gebaut. Aber sie war auch sehr schlau, und das war den männlichen Dorfbewohnern nicht geheuer. Svenja störte es nicht. Sie verbrachte lieber die Zeit mit Büchern um sich weiterzubilden. Gestern feierte sie ausgelassen mit ihrer einzigen Freundin Edda ihren 17. Geburtstag. Als Geschenk erhielt sie Waldi, einen braunen Dackelrüden, den ihre Eltern aus der Stadt mitgebracht hatten. Sie schloss den Rüden sofort in ihr Herz. Er wich ihr nicht mehr von der Seite. Daher nahm sie ihn auch zu Edda mit. Es war spät, als Svenja nach Hause gehen wollte. Sie hatte sich noch schnell von Edda verabschiedet und befand sich auf dem Heimweg. Wie zum Trotz stolperte sie über Waldi, der zwischen ihren Beinen hindurchlief. Sie purzelte hin. »Aua!«, stöhnte sie. Waldi jaulte und sprang ihren Rücken an. »Zum Glück, dir geht es gut«, raunte sie. Als sie sich aufrappelte, fiel ihr Blick auf ein kleines Männlein, das wie ein Bilz vor ihr auftauchte. »Was? Wer … bist … du?«, stotterte sie und riss ihre Augen weit auf. Waldi bellte und knurrte ununterbrochen. In Drohhaltung näherte er sich dem Unbekannten. Anstatt einer Antwort ruderte das fremde Männlein wild mit seinen Armen hin und her. Dabei zog er seine rote Zipfelmütze herunter und verscheuchte damit Waldi. Winselnd tapste er zu Svenja und sprang an ihr hoch. Sie hob ihr neues Haustier auf und streichelte über seinen Rücken.

»Huch, was fällt dir ein, meinen Hund zu erschrecken?«, maulte sie. »Wer bist du?«, fragte sie und ließ das kleine Männlein nicht mehr aus den Augen.

»Darf ich mich vorstellen?« Svenja nickte. »Mein Name lautet Gildonak.«

»Und?«

»Oh, liebste Svenja«, schwärmte das Männlein und seine Stimme überschlug sich. »Weißt du, ich beobachte dich schon lange. Ich kann nicht anders, als dich anzusprechen«, lispelte er und schlotterte stark mit seinen Knien.

»Warum?«, vergewisserte sie sich und zog die Augenbrauen hoch.

»Ich beobachte dich immer, wie du am Lagerfeuer mutterseelenallein tanzt. Keiner dieser Dorftrottel fordert dich auf. Das zerreißt mir das Herz. Niemand sollte sich allein rhythmisch zur Musik bewegen. Dafür wurde sie euch Menschen zum Geschenk gemacht, um euch glücklich zu stimmen. Damit ihr einen Gefährten findet, der zu euch passt. Bisher habe ich mich nicht getraut, dich darauf hinzuweisen.«

»Hä? Wieso?«, wunderte sich Svenja noch mehr. Sie hielt Waldi immer noch fest umschlossen. Er schmiegte sich eng an sie und schnurrte wie ein Kätzchen.

»Oh, schöne Svenja, wie sage ich es dir bloß?«

Svenja starrte ihn mit großen Augen an. Sie verstand nicht, wieso er so herumdruckste. Was wollte er nur von ihr?

»Rede nicht so in Rätseln, du kleiner Wicht!«, fuhr sie ihn an und musterte ihn herablassend.

»Es geht nicht anders, als es dir zu gestehen!«, jammerte er. »Svenja, du hast mein Herz berührt.« Dabei fasste er sich seufzend an die Brust. »Es schlägt nur für dich, Geliebte! Svenja, ich liebe dich. Darum möchte ich nur mit dir zusammenleben.« Sie schüttelte den Kopf. »Du spinnst!«, kreischte sie.

»Oh, Svenja, quäl mich nicht weiter! Ich bitte dich, werde meine Frau!«, sülzte er ihr die Ohren voll. Sie öffnete den Mund, aber es kam keine Silbe über ihre Lippen.

»Ich möchte den Rest meines Zwergendaseins nur mit dir verbringen, verstehst du mich? Ja?«

Der schmachtende Blick des Zwerges entging Svenja nicht. Entsetzt schüttelte sie wieder den Kopf. »Von wegen«, murmelte sie, während sie dem Zwerg mit dem Zeigefinger einen Vogel zeigte. »Bist du irre? Ich werde keinen Gartenzwerg heiraten!«, keifte sie und ihr Gesicht verzog sich angewidert. Entrüstet schüttelte sie sich am ganzen Körper, als ob sie Ungeziefer loswerden wollte. Sie musterte ihn ein letztes Mal und flüchtete.

»Ich bin doch nicht doof! Was für ein irrer Liliputaner!«, motzte sie, während sie auf ihr Elternhaus zuraste. Mit Schwung öffnete sie die Holztür und knallte sie hinter sich zu. »Der hat nicht alle Tassen im Schrank! Was für ein hässlicher Gnom!«, schimpfte sie. Aufgewühlt rannte sie die Steintreppe hoch ohne sich bei ihren Eltern zurückzumelden. Entsetzt stürmte sie in ihr Zimmer und schloss sich ein. Waldi verfrachtete sie auf das Bett und ließ sich auch darauf nieder. Der Dackel kroch zu ihr und machte es sich auf ihrem Schoss gemütlich. Wie hypnotisiert streichelte sie ihn wieder. »Wo kam dieser Zwerg nur her?«, murmelte sie. »Was bildet er sich ein, mich so anzumachen? Ich will nichts von so einem Winzling mit Zipfelmütze! Da steckt bestimmt Jörn dahinter. Er will mir wieder einen Streich spielen. Wen ich den erwische mache ich Hackfleisch aus ihm!«, motzte sie. Waldi jaulte. »Ja, mein Schatz, du kannst nichts dafür! Dieser Gnom soll verschwinden!«, keifte sie und legte sich mit Waldi hin, den sie weiter zärtlich liebkoste.

Gildonak glotzte Svenja mit seinen Kulleraugen nach und fühlte sich von seiner Herzdame im Stich gelassen. Er lehnte sich verzweifelt an einen alten Kirschbaum, der neben dem Fachwerkhaus wuchs. Der Baum hatte riesige Wurzeln, welche Gildonak zum Verhängnis wurden. Er verfing sich mit seinen kleinen Füßen darin. Mit einem kurzen Aufschrei schlug er hart auf dem Boden auf. Schmerz durchzuckte seinen Körper. Tränen schossen ihm in die Augen und er ließ ihnen freien Lauf. Es war ein Albtraum, weil Svenja ihn verschmähte.

Er konnte es nicht fassen, seine Liebe blieb unerfüllt. Damit hatte er nie gerechnet. Verzweifelt saß er da und wusste nicht, was er dagegen unternehmen sollte. Jetzt war guter Rat teuer, weil seine Auserwählte kein Mitleid mit ihm hatte. Die Tür blieb für ihn verschlossen, und er bekam sie nicht mehr zu Gesicht.

Als ihn der erste Sonnenstrahl am nächsten Morgen traf, rappelte er sich auf und posaunte: »Ich will nicht mehr klein sein! Warum liebt sie mich nicht? Alles, aber auch wirklich alles läuft schief! Ich hasse mein Dasein! Erst verstößt mich mein Vater Lindunak und jetzt Svenja, mein Herzblatt«, wimmerte er.

»Weißt du, Schätzchen, der Zwerg war traurig. Er weinte richtige Krokodilstränen, weil Svenja ihm das Herz gebrochen hatte. Er verstand nicht, warum sie etwas gegen Zwerge hatte. Gildonak war wahrlich nicht hässlich. Ja, er war klein. Aber daran sollte sie ihn nicht messen. Warum sie ihn nach seinem Aussehen beurteilte, war ihm ein Rätsel. Verzweifelt beschloss er, alles zu unternehmen um größer zu werden. Nur wer konnte ihm helfen? Was ist so toll daran groß zu sein? Aber für seine Geliebte würde er auch das akzeptieren. Deshalb machte er sich auf, um seine Körperlänge zu verändern. Vielleicht würde dies reichen und Svenja würde ihn dann akzeptieren.«

»Wieso?«, fragt Dominic mit Verwunderung in der Stimme.

»Er nahm an, wenn er ihre Größe hätte, würde Svenja sich verlieben und ihn heiraten.«

»Das geht doch gar nicht!«, tönt Dominic und runzelt die Stirn.

»Gildonak wusste es nicht besser. Er ahnte nicht, auf was er sich einließ.«

Wieder blitzt und donnert es, aber Dominic lauscht so gespannt, dass ihn das Gewitter nicht mehr ängstigt. Er spitzt die Ohren, um bloß nichts zu versäumen.

Blauelieschen, die Feenherrscherin mit dem blauen fünfzackigen Feenstab, beugte sich über das runde, dunkelblau schimmernde Orakel. Es thronte auf einem silbernen, dreieckigen Podest in der Mitte des quadratischen Raumes. Umgeben war es von kreisrunden Spiegeln, die fast alle vier Wände bedeckten. Sie reflektierten das Licht und tauchten den engen Raum in einen behaglichen Glanz. Ein Gefühl unendlicher Ruhe durchströmte Blauelieschen und sie genoss es in vollen Zügen. Gespannt blickte sie hinein, bis sich ein Bild darin abzeichnete. Darin entdeckte sie eine winzige Gestalt, die schrie, dass sie kein Zwerg sein wollte. Blitzschnell schossen ihre glitzernden Augenbrauen nach oben und berührten ihren blauen Pony. Blauelieschen seufzte, und stumme Tränen, die wie blaue Kristallperlen aussahen, fielen aus ihren meerblauen Augen. Sie kullerten über ihre Wangen und tropften auf ihr knielanges Zipfelgewand, das in verschiedenen Blautönen schimmerte. Erschüttert zerbrach sie sich den Kopf, wie sie dem Zwerg über seinen Liebeskummer hinweghelfen könnte.

Unerwartet suchte eine Vision ihr drittes geistiges Auge heim. Sie sah das Bild von Leonore, die sich den Namen Schöne Hexegegeben hatte. Sie nickte leicht, als die Erinnerung sie überwältigte. Mit aller Kraft versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen, und murmelte: »Möge der Himmel es fügen, dass der arme Wicht den Weg ins Feenreich findet.« Ohne ihr Zutun schoss ein blauer Lichtstrahl aus ihrem Feenstab und vereinte sich mit dem pulsierenden Orakel. Augenblicklich veränderte sich die Helligkeit und tauchte den ganzen Raum in ein Lichtermeer. Mittendrin stand sie auf ihren nackten Füßen und bewegte den Feenstab rhythmisch auf und ab. Ein lautes Summen ertönte. Gleichzeitig warf das Orakel einen Lichtstrahl zurück in die Spitze des Feenstabes.

Sie spürte, wie uralte Feenmagie frei wurde und sich mit ihren Fingerspitzen verband. Die Feenherrscherin zog sie an wie ein Magnet und nahm sie vollständig in sich auf. Ihr Körper zuckte und wurde bis ins Mark erschüttert, als es jede Zelle ihres Körpers durchdrang. Sie schwankte vor und zurück. Ihre Hand schnellte nach vorne und krallte sich am Podest fest. Das verhinderte den Sturz und hielt sie im Gleichgewicht. Die ganze Zeit über wurde das matte Licht von ihrem Gewand reflektiert, bis es erlosch. Dann wurde es dunkel um sie herum und sie ließ das Podest los. Ihre hellblau schimmernden Flügel bewegten sich auf und ab und berührten sich für einen Wimpernschlag. Langsam hob sie einen Meter vom Boden ab und schwebte mit einem bezaubernden Lächeln aus dem Orakelraum.

3. Kapitel

Die Tage zogen ins Land und Gildonak gab nicht auf. Er kehrte ins Zwergenland zurück, um sich Hilfe zu suchen. Doch wo er auftauchte schüttelte jeder den Kopf. Ein Zwerg, der größer werden wollte? Das gab es noch nie. Er sollte zufrieden sein und nicht herumjammern. Was war verkehrt an einem Zwerg? Keiner verstand ihn. Das Zwergenvolk betitelte ihn als Spinner und lachte ihn fürchterlich aus. Sein Vater Lindunak raufte sich die grauen Haare über sein Hirngespinst. Der Zwergenkönig verstand ihn nicht. Er beschimpfte ihn als Zwergenverräter. Seine Mutter weinte über ihren missratenden Sohn. Sie vermutete, dass er als Baby vertauscht wurde. Sie schämte sich dermaßen, dass sie ihr Gemach nur selten verließ.

Die Bevölkerung des Reiches distanzierte sich völlig. Nirgendwo konnte er sich blicken lassen. Also bemächtigte er sich seiner Ersparnisse und verließ enttäuscht die Heimat. Mit schweren Herzen schwor er, niemals zurückzukehren.

Ziellos drang er ins Trollland ein. Um sich abzureagieren wütete er und zündete alle Behausungen der Bewohner an. Eine Armada wütender, bis an die Zähne bewaffneter Trolle mit Mistgabeln verfolgte ihn. Sie schrien, dass sie ihn kochen wollen, um ihn zu verspeisen. Durch eine glückliche Fügung ereichte er unbehelligt die Grenze und entkam der kreischenden Meute, die hinter ihm herrannte. Als ihm die Flucht ins Märchenland gelang, gönnte er sich eine kurze Rast.

Zufällig traf er auf den Jägermeister, der im Restaurant zur goldenen Gans des Dornröschendorfes sein Abendessen zu sich nahm. Gemeinsam becherten sie feinsten Nektar und tranken Bruderschaft. Aus Freundschaft gab der Jägermeister ihm den Tipp, sich Stiefel mit hohem Absatz zu besorgen. Dies würde ihn größer erscheinen lassen und sein Problem wäre gelöst. Begeistert von dieser Idee kaufte er sich welche beim Schuster Kleingeist nebenan.

Unglücklicherweise knickte er ständig in Vertiefungen um und torkelte wie ein Betrunkener. Er fiel mehrmals hin und holte sich eine Schramme nach der anderen. Die blutigen Knie und Fingerknöchel nahm er in Kauf, weil er ein ganzes Stück größer wirkte. Erst als er sich an sein neues Schuhwerk gewöhnt hatte, kehrte er in die Menschenwelt zurück.

Gut gelaunt trällerte er auf dem Weg zu seiner Angebeteten inbrünstig Love Me Tender. Am Ziel angekommen, wartete der Zwerg erwartungsvoll in einem Gebüsch hinter ihrem Elternhaus auf seine Herzensdame. Nach Sonnenuntergang erschien sie. Bei ihrem Anblick stockte Gildonak der Atem. Ihre Schönheit hatte sich enorm gesteigert. Seine Liebe zu ihr entflammte von neuem und loderte bis zum Scheitel. Es prickelte auf seiner Haut und sein Mund wurde trocken. Aus lauter Sehnsucht rief er: »Geliebte Svenja, ich bin zurück! Heute stehe ich vor dir als dein Verlobter. Schau mal, ich bin größer geworden!« Er drehte sich langsam um seine eigene Achse. »Weißt du, Liebste, ich habe eine Menge Abenteuer erlebt und bin den Trollen entkommen. Die Sehnsucht zu dir hat mir den Weg gewiesen. Ich liebe dich von ganzen Herzen! Endlich können wir heiraten und den Rest unseres Lebens gemeinsam verbringen. Geliebte, bitte sag ja«, flehte er und faltete die Hände wie zum Gebet. Die Angesprochene antwortete nicht, sondern brach in schallendes Gelächter aus. Amüsiert deutete sie mit dem Zeigefinger auf ihn. Grölend winkte sie ab, drehte ihm den Rücken zu und spurtete zurück in ihr Elterhaus. Die Holztür ließ sie ins Schloss zurückfallen. Ihr hämisches Lachen schmerzte in seinen Ohren und er presste seine kleinen Händchen dagegen. Entkräftet gaben seine Füße nach und er brach wie ein Kartenhaus zusammen. Er knickte mit den Knien ein und ballte seine Hände zu Fäusten. Wie im Rausch trommelte er auf den Boden, sodass unzählige Löcher entstanden. Kleine Steine wirbelten hoch und landeten als Geschoss auf der Veranda. Nach seinem Gefühlsausbruch richtete er sich auf und entledigte sich der Stiefel, die ihm kein Glück brachten. Der Zwergenprinz trat nach ihnen und sie flogen in hohem Bogen bis vor Svenjas Haustür. Er war froh, sie los zu sein, denn er fühlte sich in seinem altbewährten ZipfelsSchuhwerk wohler.

Weiterhin drang ihr Lachen an seine Ohren. Wut bemächtigte sich seines Herzens, weil er ihren Spott nicht entfliehen konnte. Er fühlte sich von ihr verraten. Am liebsten hätte er sie auf den roten Mond gewünscht. Doch die Liebe, die er für sie empfand verhinderte diese Dummheit. Um sich abzulenken jaulte er schließlich den Vollmond an.

Dieser Winzling krallte sich in Svenjas Gedanken fest wie eine Klette. Wieso kam er zurück? Es war absurd, dass sie einen Zwerg heiraten würde. Zorn kroch in ihr hoch, und ihr Lachen verstummte. Was bildete sich dieser Gartenzwerg ein? Wenn er das nächste Mal auftauchte, würde sie ihn durch den Dorfpolizisten Olaf entfernen lassen. Besser wäre es, ihn gleich wie einen räudigen Köter davonzujagen.

»Wann hört er mit dem Gejaule auf?«, jammerte Svenja. »Es ist nicht zum Aushalten.« Stöhnend presste sie ihre Hände an die Ohren. »Ich muss hier raus«, murmelte sie, ließ die Hände sinken und zog ihren dunkelblauen Mantel über, der an einem Haken an der Wand hing. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Hintertür. Ihre Eltern bekamen nicht mit, wie sie die Tür leise öffnete und hinter sich schloss. Draußen war das Gejammer noch extremer. Ihre Eltern würden glauben, dass es Waldi war. Doch der Welpe war unschuldig. Als hätte sie ihn gerufen, kam der Dackel angetrippelt und sprang sie an. »Waldi, ist gut«, flüsterte sie mit vorgehaltener Hand. Der Welpe gab ihr keine Chance. Andauernd hopste er an ihr hoch. Resignierend hob sie ihn auf den Arm. Seine Zunge schoss heraus und schleckte ihr Gesicht ab. »Waldi, lass das!«, maulte sie und drehte sich weg. Sie spürte seine Pfote, die an ihrer Schulter kratzte. Kopfschüttelnd musterte sie ihr Haustier. »Okay«, gab sie auf und schlich zum Rande des Waldes. Sie hatte kein Verlangen, dass dieser schreckliche Gnom sie entdeckte. Genervt rannte sie los und drosselte ihr Tempo, als sie den Nachbarhof ihrer Freundin Edda erreichte. Gezielt steuerte sie die Haustür an und klopfte. Ein müdes »Herein«, ließ sie die Eisenklinke herunterdrücken. Dann öffnete sie die Tür und trat über die Schwelle. Sofort baute sich Eddas Vater Jens vor ihr auf. Er war ein großer, breitschultriger Mann von etwa vierzig Jahren. Unter seinem weißen Unterhemd zeichneten sich seine kräftigen Muskeln ab, die sich bei jedem Atemzug rhythmisch bewegten. Mit hochgezogenen Augenbrauen begutachtete er sie und fragte grimmig: »So spät noch unterwegs?« Genüsslich zog er an seiner Pfeife. Sie nickte. »Du bist nicht gerade gesprächig«, antwortete er und pustete ihr den Qualm direkt ins Gesicht. Das brachte sie zum Husten. »Kind, du kennst die Regel, dass ich Köter in meinem Haus nicht dulde. Wäre ja noch schöner, wenn er sein Geschäft hier erledigt!«

»Ach Papi, das ist Waldi, der hat keine scharfen Zähne und ist stubenrein!«, rief Edda, bekleidet mit einem rosa Nachthemd und barfuß. Ihre weißblonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie stellte sich neben ihren Vater und stupste ihn mit dem Ellenbogen in die Seite. »Hi, Svenja! Warum besuchst du mich so spät?«, wollte ihre Freundin wissen und umarmte sie. »Du hast gestern erst bei mir übernachtet«, stellte sie weiter fest. »So schnell hätte ich nicht mit dir gerechnet. Komm mit auf mein Zimmer!«

»Macht keinen Lärm, ich will in Ruhe Fußball schauen!«, brummte der Hofbesitzer und verdrückte sich ins Nebenzimmer.

Svenja nickte und folgte Edda die Steintreppe hinauf ins Dachgeschoss. Oben im Zimmer schaltete ihre Freundin das Licht an. Schnell wurde es hell und Edda steuerte ihr rotes Schlafsofa an. Ihre Freundin setzte sich und klopfte mit der Hand neben sich. Sie verstand und nahm neben Edda Platz. Waldi machte es sich in Svenjas Schoß gemütlich. Sie streichelte ihm über den Kopf. Edda lächelte die ganze Zeit und legte ihren Arm um sie. »Ich bin froh, dass du mich besuchst. Ich dachte, ich wäre dir egal, nach unserem Streit gestern.«

»Quatsch«, widersprach Svenja, schüttelte heftig den Kopf und schaute zum Fenster. Die lilafarbigen Gardinen waren zugezogen. Es war nutzlos, der Vollmond schimmerte trotzdem ungehindert hindurch. »Da fällt mir echt ein Stein von Herzen. Aber warum behältst du deinen Mantel an? Ist dir nicht warm?«

Svenja nickte und knöpfte ihn auf. Waldi plumpste herunter, während sie den dunkelblauen Mantel auszog und neben sich legte. So kam ihre weiße mit roten Blüten bestickte Bluse und ihr schwarzer, knielanger Rock zum Vorschein. Der Dackel jaulte und sie hob ihn zurück auf ihren Schoß. Der Rüde kuschelte sich ein und schnurrte wie ein Kätzchen. Mit ihrer Hand strich sie über seinen Rücken.

»Sag mal, wie kann ich dir helfen?«, fragte Edda und lächelte.

»Ach«, fing Svenja an und schaute Edda in die grünen Augen, »ich weiß nicht mehr weiter … du bist meine beste Freundin, oder?« Edda nickte und strich eine mächtige weißblonde Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ja! Mensch Svenja, spann mich nicht länger auf die Folter. Was ist los? Irgendetwas bedrückt dich. Ich sehe es deiner Nasenspitze an.«

»Du hast mich durchschaut! Darum wende ich mich an dich. Ich habe ein Problem!«, gestand sie und legte ihren Kopf auf die Schulter ihrer Freundin.

»Oh, so schlimm? Erzähle es mir! Wir sind seit unserer Kindheit befreundet und du kannst mir vertrauen. Na, mach schon, ich kann Geheimnisse für mich behalten. Wenn du mir verrätst, was passiert ist, kann ich dir helfen.« Dabei berührte Edda ihre Hand und sah ihr in die Augen. »Äh?«, druckste Svenja und entfernte ihren Kopf von Eddas Schulter, »ich weiß, dass du mit Jörn verlobt bist. Das möchte ich auch!«

»Tatsächlich? Mit Jörn verlobt sein? Ich wusste nicht, dass du auch Jörn heiraten willst«, wunderte sich Edda und ihre Miene verfinsterte sich.

»Nein, nein!«, wiegelte sie ab, »doch nicht dein Jörn!«, rief Svenja und konnte das Missverständnis nicht nachvollziehen. »Ich würde dir deinen Verlobten niemals ausspannen. Edda, was denkst du bloß von mir?« Edda errötete, ohne einen Kommentar abzugeben. »Ich möchte auch heiraten«, raunte Svenja und rutsche auf dem Sofa herum.

»Du sagtest, dein zukünftiger Ehemann muss erst gebacken werden. Woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel?«, staunte ihre Freundin mit geweiteten Augen.

»Es ist kompliziert!«

»Ach so? In wen hast du dich verguckt?«

»In keinen.«

»Wie? In keinen? Muss ich das verstehen? Du hast recht, es ist total kompliziert!«

»Ich denke, ich bin alt genug, um es zu entscheiden. Ich werde nicht jünger und möchte unter die Haube!«

»Das sind ganz neue Töne«, murmelte ihre Freundin. »Ich erkenne dich nicht wieder! Stehst du etwa unter einem Liebeszauber!«, rief Edda mit gerunzelter Stirn.

»Im Gegenteil! Ach, weißt du«, seufzte Svenja. »Stell dir vor: Mich bedrängt ein nerviger Zwerg und will mich heiraten.« Edda musterte sie und ein Grinsen nahm von ihren Lippen Besitz. »Das ist überhaupt nicht komisch, Edda!«

»Sorry, klingt aber witzig!«

Svenja stöhnte. »Ich verstehe nicht, warum sich ein hässlicher Gnom in mich verliebt hat. Was ist los? Wieso verguckt sich kein wunderschöner Prinz in mich? Ich dachte, ich wäre hübsch.«

»Bist du auch! Genauso wie ich!«

»So, so! Was soll ich deiner Meinung nach unternehmen?«, fragte sie mit ratloser Miene. Erwartungsvoll blickte sie Edda an.

»Ganz einfach: Gib eine Zeitungsannonce auf!«

»Und was für eine?«

»Na ja«, druckste Edda herum, »eine Kontaktanzeige, dass du einen Prinzen suchst! Damit wirst du Erfolg haben und der Zwerg wird von allein verschwinden, wenn er merkt, dass du vergeben bist. Bei deiner Vita wird sich bestimmt ein Prinz melden!«, grölte sie. »Du bist mir eine!«, antwortete Svenja und Enttäuschung schwang in ihre Stimme mit. »Du machst dich lustig über mich. Ich brauche Hilfe und keinen Spott!« Dabei zog sie ein beleidigtes Gesicht. Edda verstummte und ihr Grinsen fror ein. »Es wird funktionieren. Vertraue mir! Ich kenne mich bestens aus. Finne hat so ihren Traumprinzen gefunden. Nur Mut, es wird funktionieren!«, riet ihr Gegenüber ernst.

»Okay, mach ich. Dankeschön, liebste Freundin, für deinen Rat. Gleich morgen früh werde ich zum Stadtanzeiger gehen!«

»Ich freue mich, wenn ich dir helfen konnte!«, jubelte Edda und umarmt Svenja. Sie nickte, während sie säuselte: »Darf ich bei dir übernachten?« Edda ließ sie los und antwortete: »Waldi schläft auf dem Boden. Ich habe keine Lust mit dem Flohbock das Schlafsofa zu teilen.«

»Sicher!«, bestätigte Svenja und ein Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie den Dackel auf dem Boden setzte.

4. Kapitel

Erst als der Vollmond hinter dem Horizont unterging, erhob sich Gildonak. Mit gesenktem Haupt verließ er die Menschenwelt ohne zurückzublicken. Er irrte ziellos umher und kehrte nicht heim ins Land der Zwerge. Heimlich drang er dafür ins Gebiet der Trolle ein. Mitten im Wald entdeckte er am Baum hängend seinen Steckbrief. Erschrocken suchte er das Weite. Viel brachte es nicht, weil die Trollarmee ihn erspähte. Eine wütende Horde verfolgte ihn mit Essbesteck. Sie hüpften wie Flummis hinter ihm her. Er musste fliehen und raste durch ihr Territorium. Sie ließen nicht locker. So flitzte er von einem Ende zum anderem. Sein Herz schlug hastig und pochte gegen seine Brust. Er gönnte sich keine Pause, weil seine Verfolger ihm dicht auf den Fersen waren. Japsend erreichte er die Grenze. Abgehetzt überschritt er sie und drang ein ins Reich der Feen. Die Trolle waren unfähig ihm zu folgen. Sie prallten wie durch eine unsichtbare Wand ab. Wütend trommelten sie gegen den Schutzwahl. Zwecklos, sie konnten die Barriere nicht überschreiten. Ihre wüsten Beschimpfungen hallten in Gildonaks Ohren nach. Erleichtert sank er zusammen und beobachtete die Bande wie sie einzudringen versuchten. Sie kratzten mit ihren Krallen, die ihm eine Gänsehaut bescherte.

»Zum Glück, euch bin ich los!«, entfuhr es ihm. »Ihr kommt hier nicht rein!« Das Gekreische der Trolle fand kein Ende, denn sie gaben nicht auf. Unermüdlich hopsten sie gegen die Abgrenzung und rutschen ständig mit ihren Körpern ab. Er lachte wie sie am Boden landeten, weg kullerten und wieder kreischten. Von dem Geräusch bekam er inzwischen Kopfschmerzen und fasste sich an die Stirn. Er massierte seine Schläfen mit den Fingerspitzen.

Ein unerwarteter Windzug kam auf und er wandte sich überrascht um. Seine Augen weiteten sich, als eine weibliche Gestalt auf ihn zuschwebte. Ihre hellblauen Glitzerflügel bewegten sich auf und ab. Das blaue Haar das ihr bis zu den Knöcheln reichte, wehte im Wind wie ein Brautschleier. In ihrem blauen Gewand spiegelte sich die Sonne und zauberte ein Lichtspiel in der Umgebung. Sie stoppte, ohne dass ihre Füße den Boden berührten.

»Wer bist du?«, entfuhr es ihm mit hochgezogenen Augenbrauen. »Sicher eine Fee …«, setzte er an.

»Kennst du mich wirklich nicht? Ich bin nicht nur eine einfache Fee, sondern Blauelieschen, die Feenherrscherin«, wisperte sie, und ihre Stimme klang wie himmlische Harfenmelodie. Anmutig setzte sie auf der blauen Wiese auf und reichte ihm ihre Hände. Er ergriff sie und sie zog ihn hoch. Als er stand ließ sie ihn los und umschwärmte ihn mit ihren Glitzerflügeln. Wie verzaubert musterte er sie. Blauelieschen liebkoste sein Gesicht mit der rechten Flügelspitze. »Du musst deinen Gram vergessen«, fügte sie hinzu und ließ von ihm ab.

»Was meinst du?«

»Deine Wut steht dir im Weg«, hauchte sie.

»Woher weißt du das?«

»In dir kann ich lesen wie in einem Buch«, antwortete sie und schlug mit den Flügeln auf und ab.

»Wenn du Bescheid weißt, dann verstehst du mich!«, rief er und runzelte die Stirn, während er sie wieder musterte, wie sie um ihn herumschwärmte.

»Nicht ganz! Dein Herz ist gekränkt und du fühlst dich verraten. Es ist egal, du musst für deine Liebe kämpfen! Nur weil Svenja dich schlecht behandelt hat, darfst du nicht so schnell aufgeben. Wahre Liebe ist das Wichtigste in jeder Daseinsform«, hauchte sie ihm ins Ohr.

»Sie liebt mich nicht. Sie verspottete mich. Zwerge sind ihr ein Dorn im Auge!«, jammerte er und kämpfte um seine Fassung.

»Beweise ihr das Gegenteil!«, forderte sie ihn heraus und schob ihr Kinn vor.

»Wie soll ich es anstellen? Sie läuft vor mir davon und will nichts von mir wissen.«

»Geh zur Leonore, die sich Schöne Hexe nennt!«, empfahl sie. »Sie ist eine große Zauberin mit viel Magie. Lass dir von ihr helfen. Sollte sie versagen, kannst du nach mir rufen und ich finde eine Lösung.«

Er nickte. »Aber … wieso sollte mir ausgerechnet eine Hexe helfen? Sind die nicht alle böse?«, erkundigte er sich und bemerkte, dass die Trolle verschwunden waren. Er vermutete, dass sie flohen, als sie die Feenherrscherin entdeckten.

»Wo denkst du hin? Die meisten vielleicht! Aber die Schöne Hexe war früher eine Fee«, raunte sie mit trauriger Stimme.

»Eine Fee?«, staunte er mit weit aufgerissenen Augen.

»Ja, das war sie eins gewesen«, antwortete sie. »Leider hat sie gegen das Feengesetz Nr. 1 verstoßen. Ich musste sie aus dem Feenreich verbannen.«

»Tatsächlich?«, wunderte er sich und zog die rechte Augenbraue hoch.

»Natürlich nicht, ohne ihr eine allerletzte Chance zur Wiedergutmachung einzuräumen«, erklärte sie und seufzte. »Sollte sie dir bei deinem Problem helfen und nicht an sich denken, werde ich ihren Fall neu verhandeln. Möglicherweise wird es ihr erlaubt ins Feenreich zurückzukehren, wenn der gesamte Feenrat zustimmt. Bloß ihre Feenkräfte bekommt sie nicht zurück. Dafür ist es zu spät! Wenn eine Fee sich ihre eigenen Wünsche erfüllt, hat sie ihr Dasein verwirkt und das Feengesetz Nr. 1 gebrochen.«

»Das hat sie getan?«, fragte er achselzuckend.

»Ja, sie missbrauchte ihre Wünsche.«

»Wie hat sie es angestellt?«

»Sie wünschte sich, König Grünspan würde sich in sie verlieben. Ihr Wunsch ging in Erfüllung. Jedoch blieb es nicht unentdeckt.«

»Darum musste sie das Feenreich verlassen«, kommentierte er und zupfte an seinem Bart.

»Nach der Gerichtsverhandlung und dem Urteilspruch aller Feen musste sie gehen. Doch vorher bekam ihre Schönheit einen Makel.«

»Welchen?« Anstatt einer Antwort fasste sie sich an die Nase. »Ich verstehe! Und wohin ist sie gegangen?«, wollte er wissen.

»Ins Märchenland natürlich. Dort bezog sie ein neues Heim.«

»Blieb König Grünspan bei ihr? Oder hat er sie auf sein Schloss gebracht?« Seine Fragenflut kannte keine Grenzen.

»Nein, nicht zum Schloss. Sie zogen in das Knusperhexenhäuschen am Rande des Waldes. Es gehörte früher der bösen Knusperhexe. Hänsel hatte das Hexenbiest in den Backofen hineingeschupst und sie verbrannte zu Asche. Leonore nahm es in Beschlag, weil es niemanden mehr gehörte. Dort entdeckte sie eine Sammlung von Hexensprüchen und Hexengebräu«, antwortete Blauelieschen und neigte leicht den Kopf nach unten.

»Was hat sie damit gemacht?«

»Es studiert«, flüsterte sie und nickte. »Ja, um Problem zu lösen.«

»Danke!«, rief er und schüttelte sanft ihre Hand. Ihre blauen Lippen bewegten sich kaum, als sie ihm ein bezauberndes Lächeln schenkte. »Lass dich nicht unterkriegen«, hauchte sie, richtete den Feenstab auf ihn und berührte damit seine Schulter. »Schließ die Augen!«, befahl sie. Verwundert schossen seine buschigen Augenbrauen nach oben, als er mit den Achseln zuckte. Kaum fielen seine Augenlider herunter, erfasste ihn ein Sog, und er hob vom Boden ab. »Blauelieschen, was soll das?«, entfuhr es ihm und er riss panisch die Augen auf. »Das kann nicht wahr sein!«, staunte er, als er mitten im Märchenwald stand. Er drehte sich in alle Richtungen und wusste nicht, wohin er sich wenden sollte. »Blauelieschen, das ist keine Hilfe. Wie soll ich den Weg zur Schönen Hexe finden?«

Von ihr fehlte jede Spur. Stattdessen kam eine Windböe auf und wehte ihn zuerst durch den Nadelwald, dann mitten durch den Kiefernwald und hinweg über den Eichenwald. Der Vollmond war sein einziger Begleiter und schien hell am Firmament. Er tauchte ihn in einen silbernen Schein, und so erspähte er die schimmernde Spur, die am Boden bläulich glitzerte. Der Zwerg folgte ihr zügig, bis ihn die Erschöpfung zwang, eine Rast einzulegen. Er hockte sich hin und kuschelte sich in ein Moosbett, welches den Waldboden bedeckte. Er gähnte, legte sich nieder und deckte sich mit riesigen Blättern zu. Es dauerte nicht lange, und seine Augenlider wurden schwer und fielen herunter. Schnarchend glitt er in einen unruhigen Schlaf. In seinem Albtraum hörte er Svenjas nicht enden wollendes, schreckliches Lachen. Er wälzte sich in seinen Moosbett von links nach rechts.

»Er ist so süß mit seiner roten Zipfelmütze! Ich fasse es nicht! Ich muss ihm hinterher!«, entfuhr es der Hässlichen Fee, die Blauelieschen und Gildonak aus ihrem Versteck belauscht hatte. Ihr struppiges, oranges Haar wirkte noch zerzauster, als sie mit ihren Fingern hindurchfuhr. Sie wollte fliegen, aber ihre kurzen schwarzen Glitzerflügel ließen sie keinen Zentimeter abheben. Enttäuscht stöhnte sie und wandte sich dem dichten Wald zu.

»Wohin so eilig?«, ermahnte sie eine Stimme hinter sich. Sie wandte sich ertappt um und blickte in das überraschte Gesicht von Blauelieschen. Ihr blaues Haar wehte im Wind, während sie herbeischwebte.

»Ich will dem Zwerg helfen«, presste sie heraus, deren silbernes Gewand in der Sonne schimmerte.

»Dazu bist du nicht berechtigt!«, rief die Feenherrscherin und setzte auf dem Rasen auf.

»Aber … er ist so … unglücklich«, stammelte sie und fühlte sich in ihrer Haut nicht wohl.

»Er weiß, wohin er soll.«

»Wieso schickst du ihn zu dieser ehemaligen Fee. Nur wir sind in der Lage, ihm zu helfen.«

»Ich habe ihm geholfen.«

»Ich finde, es ist zu wenig!«, stellte sie fest und klimperte mit den Wimpern.

»Diese Entscheidung unterliegt meinem Ermessen und nicht deinem«, fügte Blauelieschen an. »Du hast dich nicht einzumischen, verstanden?«, meckerte sie mit zorniger Stimme.

»Ich dachte …«

»Du sollst nicht denken, Hässliche Fee! Du weißt, wohin es führt. Du besitzt keine Feenkräfte wegen deiner Abstammung!«

»Ich kann nichts dafür, dass mein Vater ein Troll ist!«, rief sie verzweifelt. Ihre Ohren wackelten, und ihre Mundwinkel verzerrten sich noch mehr nach unten.

»Dafür gibt dir keiner die Schuld, Hässliche Fee! Aber ich muss dich warnen, als meine Untergebene. Die Gefahren, die im Märchenland vorherrschen, sind für dich ohne Feenkräfte nicht zu bewältigen. Nur hier bist du in Sicherheit. Ich hoffe, ich habe mich verständlich ausgedrückt.«

»Gut, ich bleibe hier«, knurrte sie und ließ ihre krummen Schultern noch tiefer hängen.

»Das ist vernünftig«, antwortete die Feenherrscherin, und ihr blaues Gewand flatterte im Wind wie eine Fahne am Mast. Mit zufriedener Miene schwebte sie nach oben den Schäfchenwolken entgegen. Sie pickte sich eine heraus und ließ sich auf ihr nieder.

»Was mache ich bloß? Ich muss ihm hinterher«, murmelte die Hässliche Fee und schaute zum Himmel. Blauelieschen schwebte mit den Wolken davon. Erleichtert seufzte sie und fuhr mit ihren Fingern erneut durch ihr Haar. Sie verhedderte sich und verlor einen Fingernagel. »Aua!«, jammerte sie, während sie die Finger aus den Haaren zerrte. »Jetzt kann ich ewig warten bis er nachwächst«, brummte sie. »Blauelieschen ist schuld, sie treibt mich in den Wahnsinn. Sie kann mich gerne haben! Immer verdirbt sie mir den Spaß!«, maulte sie und spuckte verächtlich auf den Boden. »Ich lass mir nichts von ihr verbieten. Ich bin eine freie Fee und entscheide allein.« Blauelieschens Befehl interessierte sie nicht die Bohne und sie machte sich auf. »Gefahren im Märchenland, dass ich nicht lache«, kicherte sie und verschwand im Dickicht des Waldes, der direkt ins Märchenland führte.

5. Kapitel

»Vierzig Räuber von der Koboldbande, das war heute Abend zu viel«, motzte der gestiefelte Kater, der auf dem Rücken auf der Wiese vor der Waldschänke Zur Goldenen Gans lag. Er streckte alle viere von sich und starrte in den Abendhimmel. »Das schafft mein Tischlein-deck-dich nicht. Jetzt streikt es! Und wer soll es ausbaden, wenn es einen Wutanfall kriegt?«, miaute er in höchsten Tönen. Seine Stiefel, die ihm bis zu den Oberschenkeln reichten, dampften an den Sohlen. Neben ihm hockte Seppel, der Wirt der Waldschänke und seine schwarzen Lackschuhe dampften genauso. »Ich kriege Schweißfüße«, stöhnte Seppel, als er sie auszog und einen Blick darauf warf. Ein übler Geruch stieg ihm in die Nase und seine Mundwinkel verzogen sich angewidert, bevor er zurück in die Schuhe schlüpfte. »Ich fasse es nicht, sie haben meinen gesamten Weinvorrat vertilgt ohne zu bezahlen!«, jammerte Seppel, und Schweiß tropfte die Schläfen herunter. Er setzte den Seppelhut ab und wischte mit seinen weißen Hemdsärmeln über die Stirn. »Wer soll das ersetzen? Wenn auch noch dein Tischlein-deck-dich streikt, sind wir im Eimer, Kumpel! Noch bevor der erste Speisegast kommt, sind wir pleite!«, wimmerte der Wirt, krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch und öffnete zwei Knöpfe am Kragen. Gierig schnappte er nach Luft und ließ sie laut entweichen.

»Wir brauchen Unterstützung!«, miaute der gestiefelte Kater und zupfte seine goldene Weste in Form. Wie zu Bestätigung nieste er und rieb mit seiner Tatze über die Nase. Seinen schwarzen Schwanz stellte er kerzengerade auf und entfernte Moosstücke aus den Ohren, die durch seinen Cowboyhut lugten.

»Wie stellst du dir das vor, Kumpel? Wer würde hier anheuern?«

»Ein Lehrling, den könntest du dir leisten, oder nicht?«

»Mist, ich muss an mein Erspartes!« rief Seppel und seufzte tief, während er mit seinen Fingern den Seppelhut knetete. »Ich kann kaum die Fixkosten für die Waldschänke begleichen. Das reicht gerade zum Überleben. Wovon soll ich einen Lehrling bezahlen?«, stöhnte er und blickte verstohlen nach hinten zum Eingang seiner Waldschänke, die im Mondlicht getaucht lag.

»Ach, Seppel, dir fällt bestimmt etwas ein!«, miaute der gestiefelte Kater und spielte an seinen Barthaaren. Seppel schaute ihn mit seinen blauen Augen an. »Blauelieschen hat nichts davon erzählt, dass ich für den Unterhalt der Waldschänke verantwortlich bin, als sie mir diese zum Geschenk machte. Sie erfüllte mir meinen Herzenswunsch und verwandelte mich in einen Jungen. Seitdem bin ich in dieser aussichtslosen Lage. Ach, als Marionette im Puppentheater Rosaroter Stern lebte ich sorgenfrei«, erinnerte sich Seppel, und seine Stimme verriet die Sehnsucht nach den alten Zeiten. »Wie gerne würde ich wieder auf der Bühne tanzen«, seufzte er und eine einsame Träne lief ihm über die linke Wange.

»Man kann nicht alles haben, Kumpel!« Mit einem Schnurren schlug er Seppel auf die Schulter. »Jetzt bist du ein elfjähriger Junge. Also beschwere dich nicht.«

»Gestiefelte Kater, du hast ja recht! Das Leben als Junge ist kein Kinderspiel! Okay, wenn du jemanden kennst, der Interesse hat, hier zu arbeiten, dann frag ihn.«

Der gestiefelte Kater schnurrte lauter und schmiegte sich eng an den Wirt. Ein Grinsen machte sich auf Seppels Lippen breit, als er mit seiner Hand über den Rücken des gestiefelten Katers fuhr und murmelte: »Wir sind ein echtes Traumteam!«

»Und ob«, antwortete er und ließ sich weiter von Seppel den Rücken massieren.

»Gestiefelte Kater, vielleicht könntest du dein Tischleindeck-dich überzeugen, weiter für uns die Speisen herzuzaubern?«

»Ich werde es versuchen. Lass ihm erst seine Pause. Später ist er besser gelaunt und zugänglicher!«, miaute er und rollte sich weg von dem Wirt.

»Meinst du, es klappt?«, fragte Seppel und hievte seinen Seppelhut zurück auf seine hellblonde Kurzhaarfrisur, die eher wie angepinselt wirkte. Die Kopfbedeckung schaffte es, seine Haarpracht komplett darunter verschwinden zu lassen.

»Ich werde ihn überzeugen. Wenn das Tischlein zustimmt kümmere ich mich um Hilfe für die Waldschänke!«, miaute er und bekam mit wie der Wirt ihm tief in die Augen schaute.

»Ach, was würde ich ohne dich tun? Ich bin froh, dass Blauelieschen dich als Zugabe zur Waldschänke mir geschenkt hat«, antwortete Seppel und grinste breit. Der Kater schnurrte freudig und entfernte sich mit einem Satz auf die Waldschänke zu. Sein Kumpel folgte ihm, wie ihm seine Katzenohren verrieten.

Er betrat das Innere der Waldschänke. Sie war geräumig und die Möbel bestanden ausschließlich aus Eichenholz. An den Wänden hingen Kunstwerke. Sie zeigten Märchengestalten in verschiedenen Größen, gemalt von Seppel. Den Tresen schmückten Zierpflanzen, mit echten Dornen. Eine Kochplatte befand sich mitten darin, die nicht heizte. In den Schränken links und rechts machte sich kostbares Porzellan breit, das nicht aufhörte zu tuscheln. Weingläser baumelten an der Vitrinendecke ohne herunterzufallen. Ein riesiger Spiegel hing hinter dem Tresen. Jeder Winkel der Waldschänke spiegelte sich in ihm. Als der gestiefelte Kater sich der Waldschänkenküche näherte, hörte er das Tischlein-deck-dich poltern. Ohne den Waldschänkenwirt betrat er die Speiseküche. In der roten Einbauchküche fehlten ein Herd sowie eine Spülmaschine.

»Hey, was ist los?«, fragte er und näherte sich dem Tischleindeck-dich, der mitten im Küchenraum stand.

»Du weißt genau was los ist! Ich trete in den Streik!«, maulte das Tischlein-deck-dich und wackelte herum. Die schneeweiße Tischdecke verrutschte und die blaue Glasplatte kam zum Vorschein. »Reg dich ab, die Räuber sind weg! Wir haben bis morgen Mittag unsere Ruhe. Wir öffnen erst in der Mittagszeit«, redete der gestiefelte Kater besänftigend auf das Tischlein-deckdich ein und brachte die Tischdecke in Ordnung.

»Diese Räuberbande aus dem Land der Kobolde bekommt gar nichts, noch nicht einmal eine Erbse!«, ließ sich das Tischleindeck-dich nicht beirren und zerkratzte die weißen Fliesen mit den Vordertischbeinen. Der gestiefelte Kater schüttelte sich bei dem Geräusch, verzog seinen Mund und sein kostbarer Goldzahn wurde kurz sichtbar. »Seppel hat zugesagt, dass ich uns eine Unterstützung suchen darf!«, miaute er zähneknirschend.

»Wird auch Zeit! Sonst gehe ich in den Ruhestand und Ihr könnt euch einen neuen Zaubertisch suchen, der die Waldschänke am Leben hält. Oder selbst kochen. Nur ohne Herd wird es nicht funktionieren.« Wieder wackelte der Tisch. Diesmal war er vorgewarnt und hielt die Tischdecke fest, während er mit seinen Tatzen darüberstrich. »Ich verstehe dich, alter Haudegen! Ich kümmere mich höchstpersönlich darum! Aber reg dich ab, sonst bekommst du noch Gallensteine.«

»Na gut, weil du es bist!«, säuselte das Tischlein-deck-dich. »Auf den Holzburschen bin ich nicht gut zu sprechen. Er ist ein Sklaventreiber und überlässt mir die ganze Arbeit. Das ist ungerecht! Blauelieschen, ich will mein Leben zurück und wieder eine Waldelfe sein!«

Der gestiefelte Kater nickte, sauste aus der Küche und hätte Seppel fast umgerissen, der wie ein Geist vor ihm auftauchte.

»Hey, pass doch auf!«, zischte der Waldschänkenwirt und krallte sich am Türpfosten fest.

»Sorry, bin in Eile!«, rief der gestiefelte Kater und stürmte aus der Waldschänke.

6. Kapitel

Blauelieschen schwebte auf einer Schäfchenwolke aus dem Feenreich ins Märchenland hinüber. Sie war unterwegs zu Chris. Es wurde Zeit, die Geschicke für das Mädchen zu lenken. Als sie das riesige Anwesen ereichte schnupperte sie nach ihr. Sie war nicht überrascht, dass Chris´ Geruch nicht aus dem Haus, sondern aus dem Schuppen kam.

Die ersten Sonnenstrahlen erfassten ihre hellblauen Glitzerflügel und führten sie durch das geöffnete Fenster in den Schuppen. Im Inneren spendete eine kleine Kerze etwas Licht auf dem Hahnenbalken, sodass sie das Mädchen schlafend auf dem Stroh entdeckte. Um sie herum kuschelten sich acht weiße Tauben mit geschlossenen Augen. Blauelieschen näherte sich ihr mit leisem Flügelschlag und klimperte mit ihren Wimpern, bis sie das Mädchen erreichte. Mit einer Handbewegung zog die Feenherrscherin ihren himmelblauen Feenstab aus ihrem Ausschnitt. Behutsam berührte sie mit der obersten Sternenspitze Chris´ rechte Wange. Das Mädchen reckte sich und setzte sich ruckartig auf. Die Tauben schreckten hoch und gurrten durcheinander. Chris rieb sich die Augen und blickte verschlafen auf die Tauben, die neben ihr die Flügel streckten.

»Hallo Chris«, sprach Blauelieschen das gähnende Mädchen an.

»Blauelieschen? Was machst du hier?«, fragte sie und ein Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Die Tauben beruhigten sich, hoben ab, landeten auf Chris´ Schultern und schmiegten sich an ihre Wangen.

»Es wird Zeit, dass du von hier verschwindest. Deine Stiefmutter Hilda trachtet dir nach dem Leben, weil sie ihre Töchter bevorzugt.«

»Seit mein Vater gestorben ist, verhält sie sich so. Das weißt du doch«, antwortete Chris und runzelte die Stirn.

»Es geht um den Prinzen, da kennt sie keine Gnade. Sie gönnt ihn dir nicht.«

»Auch das ist mir nicht neu«, murmelte Chris und tätschelte die Tauben, die wieder ununterbrochen gurrten.

Blauelieschen hatte genug gehört und setzte auf dem Boden auf. Sie ergriff Chris´ Oberarm und zog das Mädchen hoch. Die Tauben flatterten in die Höhe und umkreisten die Decke.

»Wir müssen weg, damit du am richtigen Ort bist, wenn es losgeht.« Mit ihrem Feenstab deutete sie zum Ausgang.

»Was passiert denn?«, erkundigte sich das Mädchen und entfernte Stroh aus ihren dunkelblonden Haaren.

» Gleich kommt der gestiefelte Kater und sucht sich einen geeigneten Lehrling.«

»Ich bin ein Mädchen und kein Lehrling!«, konterte Chris mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Das spielt keine Rolle! Hauptsache du nimmst die Stelle an. Alles Weitere wird seinen vorbestimmten Lauf nehmen«, antwortete sie und steckte den Feenstab zurück in den Ausschnitt.

»Blauelieschen, du redest in Rätseln.«

»Ich bin deine gute Fee seit deiner Kindheit und weiß, was dir vorbestimmt ist. Beeil dich!«, drängte sie und zog Chris aus dem Schuppen. Die Tauben gurrten ihnen hinterher blieben aber zurück. Sobald sie sich dem Rand des Waldes näherten, flitzte der gestiefelte Kater auf sie zu. Bei seinem Tempo rammte er fast Chris. Sie sprang zur Seite und wäre gestürzt, wenn Blauelieschen sie nicht festgehalten hätte. Der gestiefelte Kater konnte seine Krallen nicht mehr einfahren. Sie verfingen sich in ihrem hellbraunen Lumpenkleid, das von Russ verdreckt war. Chris musterte ihn und flüsterte »Katerchen, hast du keine Augen im Kopf?« Er befreite sich und rutschte dem Boden entgegen. »Sorry, bin in Eile! Suche einen Lehrling für Seppels Waldschänke«, japste er und schnappte gierig nach Luft. Die Feenherrscherin stieß inzwischen Chris an. »Die Gelegenheit«, raunte sie ihr zu.

»Für welchen Job denn?«, fragte das Mädchen und warf Blauelieschen einen verräterischen Blick zu.

»Wir suchen eine Hilfe, die uns beim Bedienen unterstützt.«

»Kein Problem! Ich tue den ganzen Tag nichts anderes als meine Stiefschwestern Berta und Rita von vorne bis hinten zu bedienen. Wenn du möchtest, kannst du auf mich zählen.«

Der gestiefelte Kater miaute freudig und umkreiste Chris mit erhobenem Schwanz. Mit seinem Rücken schmiegte er sich schließlich an ihre Beine und schleckte mit der Zunge den Russ ab.

»Ich glaube, du hast einen Job!«, jubelte Blauelieschen und umarmte Chris. Das Mädchen nickte stumm, während sie auf den gestiefelten Kater glotzte.

»Hier ist der Vertrag«, hauchte Blauelieschen, ließ das Mädchen los und zog lächelnd eine Schriftrolle aus ihrem Ausschnitt. Dann reichte sie die Schriftrolle an Chris weiter. Mit hochgezogenen Augenbrauen starrte Chris darauf und bestaunte ihr Bild.

»Wann kannst du anfangen zu arbeiten?«, schnurrte er und spielte mit seinen Barthaaren.

»Bald«, murmelte die Feenherrscherin, »aber zuerst muss ich ihr einen Tipp geben. Gestiefelte Kater, flitz schon mal vor. Chris kommt gleich nach.«

Mit einem Satz war er im Wald verschwunden.

»So, meine Liebe, die Schriftrolle beweist, dass du ein Lehrling von Seppel bist«, antwortete sie grinsend und zauberte goldenes Schuhwerk aus ihrem Gewand. »Zieh sie an, damit dich dein Prinz erkennt!«, drängte sie wieder. Chris öffnete ihren Mund und ihre Augen weiteten sich, während sie nach den Schuhen griff. Um sie besser zu betrachten wendete das Mädchen sie hin und her.

»Keine Sorge, sie passen dir. Sie haben deine Größe! Auf was wartest du?«, erkundigte sich Blauelieschen. »Los, sonst verpasst du die Gelegenheit. Das wäre zu schade.«

Chris entledigte sich der schäbigen Hausschuhe und streifte die Stöckelschuhe über. Sie glänzten an ihren Füßen wie eine klare Sternennacht. Chris konnte sich nicht satt sehen und schaute von einem Fuß zum anderen.

»Probier sie aus und geh ein paar Schritte.« Das Mädchen gehorchte. »Ich habe das Gefühl, ich gehe auf Wolken!«, jubelte Chris, während sie auf und ab schritt.

»Es sind Feenschuhe aus ganz besonderem Zaubermaterial.«

»So soll ich zu Seppel?«, fragte Chris und blickte auf sich herunter.

»Ja, gewiss, das ist das Erkennungszeichen für deinen Prinzen.«

»Wenn du es sagst! Hoffentlich stört ihn mein Lumpengewand nicht.«

Blauelieschen seufzte. »Chris, du musst endlich los!« Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Aber …«, stammelte sie. »Ich muss … Frühstück vorbereiten …, sonst reißt … mir meine Stiefmutter … den Kopf ab.«

»Lass das meine Sorge sein, meine Liebe! Los, mach dich auf die Socken um zu Seppel zu gelangen!« Mit beiden Händen schob sie Chris in den Wald hinein.

»Warte! Ich kann nicht widersprechen, oder?«, knirschte sie und biss sich auf die Unterlippe.

»Nein, dort wartet dein Glück«, raunte die Feenherrscherin ihr ins Ohr. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, als Chris im Wald verschwand. Einen Wimpernschlag später hob sie ab. »Ach schade, dass ich nicht dabei sein kann, wenn diese miesen Weiber bemerken, dass Chris ihnen nicht das Frühstück bringt.« Mit dieser Überlegung schwebte sie über das Anwesen hinweg zurück ins Reich der Feen.

7. Kapitel

»Chris!«, brüllte Berta und stampfte mit ihrem Fuß auf. »Wo steckt bloß diese dämliche Schickse?«

»Wahrscheinlich pennt sie wieder bei ihren Tauben«, antwortete Rita und rümpfte die Nase.

»Ich will Frühstück! Sie soll es mir ans Bett bringen!« Wütend sprang Berta in ihrem grünen Nachthemd umher.

»Es ist Mittagszeit, liebste Schwester«, säuselte Rita und kämmte ihr rotes Haar vor der Frisierkommode, dessen Spiegel beschmiert war mit Lippenstift.

»Ist mir egal! Chris!«, schrie Berta und starrte die Tür an.

Sie wurde aufgerissen und ihre Mutter Hilda betrat das Zimmer. »Was ist das hier für ein Gebrüll?«, fragte Hilda und schaute ihre Töchter an.

»Wir können Chris nirgends finden. Sie lässt uns verhungern!«, jammerte Rita und raufte sich ihr rotes Haar.