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Kurz vor ihrem 11. Geburtstag erfährt Yvette von der schrulligen Kunigunde, dass sie eine weiße Hexe ist und jetzt ihren Platz im Hexenzirkel einnehmen soll. Die Hexe der Unterwelt ist bereits auf der Jagd nach Yvette, um ihre Magie zu stehlen. Von nun an muss Yvette sich gegen zahlreiche Angriffe zur Wehr setzen. Gleichzeitig steht sie vor der schweren Entscheidung, ob sie ihr Hexenerbe antreten und so für das Gute in der Welt kämpfen soll oder nicht. Mit viel Spannung, Tiefgang und einem gehörigen Schuss Humor entführt Halina Monika Sega ihre Leser in die Welt der Hexen - einfach zauberhaft!
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Seitenzahl: 184
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Widmung:
Gewidmet ist „Yvette und die Hexe der Unterwelt“ meiner Oma Agnes Michatz und meiner Patentante Lieschen Tarnauska. Ich danke euch für eure Liebe und für die Geborgenheit, die ihr mir in meiner Kindheit sowie auch später geschenkt habt. Ihr fehlt mir!
Vorwort
Yvettes Vorgeschichte
Yvettes Weihnachtswunsch
Yvette: und die Hexe der Unterwelt
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Während der Proben der Theatergruppe „WIMATHEA“ für das Märchentheaterstück „Das Märchen von X“ der Gladbecker Jugendkunstschule unter der Regie von Jörg Wilms kam mir zu Ohren, dass die Theatergruppe „Notausgang“ der Gladbecker Jugendkunstschule auf der Suche nach einem neuen Theaterstück war, nach der erfolgreichen Premiere ihres letzten Stückes. Da es sich ausschließlich um weibliche Mitglieder handelte, die den Kurs bei der Gladbecker Jugendkunstschule gebucht hatten, kam mir die Idee, ein Hexenstück speziell für die Schülerinnen zu entwickeln.
Innerhalb von 14 Tagen verfasste ich das Theaterstück „Hexe wider Willen“ und bot es dem Regisseur Jörg Wilms an. Da ich mit ihm bereits zusammen das Stück „Das Märchen von X“ geschrieben und auch probte, kannte er den Stiel meiner Theaterarbeit.
Er war sofort Feuer und Flamme für meine Fantasy-Komödie und gab mir die Chance, es ebenfalls den Schülerinnen der Jugendkunstschule vorzustellen. Die Mädels der Theatergruppe „Notausgang“ waren von meinem Hexenstück angetan und konnten sich gut vorstellen, in die unterschiedlichsten Rollen zu schlüpfen. Die Proben dazu begannen Anfang 2008.
Zwischenzeitlich feierte unser gemeinsames Theaterstück „Das Märchen von X“ im Januar 2009 Premiere. Schon vorweg beschloss die Gladbecker Jugendkunstschule, im Sommer 2009 eine ganze Woche Theaterstücke für das Publikum anzubieten, weil im besagten Jahr das 10jährige Bestehen der Gladbecker Jungendkunstschule gebührend gefeiert werden sollte. Im Rahmen des Jubiläums wurde geplant „Das Märchen von X“ erneut aufzuführen, sowie weitere Stücke, die von Schülern der Jugendkunstschule ein Mal pro Woche geprobt wurden. Darunter auch mein Theaterstück „Hexe wider Willen“ als Premierestück sowie die Theaterstücke „Kurzschluss“ von Jörg Wilms und „Emilia und die Detektivinnen“.
So feierte das Hexenstück am 20. Juni 2009 seine erste Premiere. Mehr als 120 Zuschauer ließen sich von den weißen Hexen regelrecht verzaubern und begeistern. Die Musikstücke wurden live am Keyboard von meinem Sohn René Sega eingespielt, sowie die Special-Effects, die beim Hexen während der Vorführung zu hören waren.
Die Darsteller überzeugten total in ihren Rollen, sodass am Ende der Vorstellung eine ältere Dame zu Jörg Wilms und mir meinte: „Sie hätte nie erwartet, dass es so ein tolles Stück sein könnte. Sie wäre ganz hin- und weg!“
Auch weitere positive Reaktionen folgten von unterschiedlichsten Personen. Sogar mein Sohn Dominic Sega meckerte, dass die Vorstellung so schnell vorbei war, weil er sich gut unterhalten fühlte.
Dies alles zum Anlass genommen, beschloss ich nach den vielen Komplimenten, die Abenteuer von meiner kleinen, weißen, widerspenstigen Hexe Yvette auch als Roman umzuschreiben.
Meiner Lektorin Nadine Muriel verdanke ich die guten Tipps, und wir holten das Beste aus dem Text und dem Roman heraus. Dadurch überzeugte ich ebenfalls den „cenarius Verlag“, und mein Traum vom Erstlingswerk verwirklichte sich tatsächlich. Jedoch war der Titel „Hexe wider Willen“ bereits vergeben und stand unter Titelschutz eines großen Verlages. Daher konnte mein Buch nur unter dem Titel „Die 11. Hexe“ veröffentlicht werden - jedoch mit dem Zusatz „Nach dem Theaterstück: „Hexe wider Willen“.
Das Cover gestaltete mit Fotokunst damals mein Künstlerfreund Frank Gebauer, der Yvette durch seine Nichte Sophie ein Gesicht verlieh.
Dann gab es noch vor der Veröffentlichung die erste offizielle Probelesung in der Lohnhalle der „Niebuhrg“ in Oberhausen, wo ich das erste Kapitel meines Buches 100 Kindern vorstellte. Dabei gelang es mir, die Schüler der dritten und vierten Grundschulklassen in den Bann der Geschichte um Yvettes Schicksal zu ziehen. Es folgten noch vier weitere Lesungen, bevor das Buch tatsächlich im Mai 2012 auf dem deutschen Markt erschien. Ich unterhielt gleichermaßen Schüler- und Lehrerschaft bei den Lesungen in verschiedenen Ruhrgebietsstädten.
Doch ich liebäugelte weiterhin mit dem Gedanken, dass ich meine Hexe Yvette wieder auf der Bühne sehen möchte. So kam es dazu, dass ich auf den Theaterverein „SehrVielTheater“ Düsseldorf bei Lokalkompass aufmerksam wurde, der auf der Suche nach geeigneten Stücken für Schüler war. Daraufhin meldete ich mich beim ersten Vorsitzenden Tilmann Sehr, der die Verbindung zur Heinrich Heine Gesamtschule in Düsseldorf herstellte.
Es vergingen noch einige Monate, bis es zur Vorstellung meines Buches sowie des Theaterstückes kam. Da die Schule früher bereits über einen Theaterkurs verfügte, traf ich auf großes Interesse bei der Schulleitung sowie bei der Lehrerin Maria Quesada, die das Schulfach „Darstellen und Gestalten“ dort sehr engagiert unterrichtet.
Somit gründeten wir gemeinsam den neuen Theaterkurs, um eine Möglichkeit für deren Schüler an den kürzeren Schultagen der Ganztagschule zu eröffnen, die bis jetzt noch keine Chance hatten, sich mit dem Theaterspielen auseinander zu setzen. Dadurch entstand ein bunter Haufen von Schülerinnen, die in die einzelnen Rollen schlüpften, um den Charakteren von „Hexe wider Willen“ Leben einzuhauchen.
Aber auch gleichermaßen unter dem Motto: „Sprache verbindet unterschiedliche Kulturen miteinander in der Schauspielkunst“. Zur Sicherheit wurden die Rollen doppelt besetzt mit Schülerinnen aus dem Schulfach „Darstellen und Gestalten“, um auch diesen die Chance zu eröffnen, auf einer oder mehreren großen Bühne ihr Können unter Beweis zu stellen.
Gemeinsam führen Maria Quesada und meine Weinigkeit die Regie in der Aula der Schule. Wir planen „Hexe wider Willen“ erneut auf die Bühne zu bringen, um wiederum die Zuschauer in die Welt der weißen Hexen zu entführen und zu begeistern.
Deshalb kann jeder entscheiden, welche Form ihm mehr zusagt! Vielleicht doch lieber das Theaterstück auf der Bühne zu verfolgen, um sich so in die Welt der weißen Hexen mitreißen zu lassen. Oder etwa das vorliegende Werk „Yvette und die Hexe der Unterwelt“, um seiner Fantasie beim Lesen freien Lauf zu lassen. Endlich liegt es als Wiederauflage mit neuem Titel und neuer Cover-Zeichnung von Gottfried (Mac) Lambert vor. Dies aber nur durch die Unterstützung von Lucy „Riku“ Dörper, die mir zusätzlich den Wunsch erfüllt hat, neben der Covergestaltung auch den Hexenhut und den Hexenbesen für das Buch zu zeichnen. Jedoch als ganz besondere Zugabe ist Yvettes Vorgeschichte „Yvettes Weihnachtswunsch“, ebenfalls hier enthalten.
Aber vielleicht wäre auch beides eine Option?
Oder etwa die dritte Möglichkeit, selber im Theaterstück mitzuwirken, um eine der bunten Rollen zu verkörpern?
Wer Interesse hat, das Theaterstück „Hexe wider Willen“ an seiner Schule oder wo anders zu proben und es auch auf die Bühne zu bringen, kann sich gerne unter folgender Emailadresse bei mir persönlich melden: [email protected]
Jetzt bleibt mir nur noch viel Spaß beim Lesen von „Yvette und die Hexe der Unterwelt“ zu wünschen oder vielleicht eine Vorstellung des Theaterstückes zu besuchen.
IhreHalina Monika Sega, die Verfasserin beider Versionen.
Premiere Juni 2009
Yvette stand am Fenster des Kinderheims und blickte in die Nacht. Wann würde es endlich schneien? Morgen war Heiligabend, aber von Schnee und winterlicher Kälte fehlte jede Spur. Es hatte die letzten Tage nur geregnet, und keiner durfte auf den Spielplatz im Hof. Anscheinend sollte verhindert werden, dass sie und die anderen Kinder sich bei diesem Schmuddelwetter erkälteten. Wie schade. Sie genoss es, draußen zu spielen auch bei Regen.
Hektisch wandte sie sich um und erblickte ihren Teddy Eddy. Er saß auf dem Bett. Rollte er mit den Knopfaugen oder hatte sie es sich eingebildet? Sie zuckte mit den Achseln, schlenderte zu ihm und setzte sich neben ihn.
»Ach, Eddy«, seufzte sie. »Warum schneit es nicht? Weihnachten ohne Schnee ist öde.«
Sie umarmte ihn und er brummte wie zur Bestätigung. Sanft fuhr Yvette mit ihrer Hand über Eddys Bauch. Jetzt schnurrte er wie ein kleines Kätzchen. Ein Lächeln huschte ihr über das Gesicht, als sie es hörte. Wenigstens er war ihr geblieben, denn als Waisenkind besaß sie kaum etwas.
»Du verstehst mich«, murmelte sie und sprang mit ihm auf. Als sie stand, betrat die Heimleiterin das Zimmer. Ihre Nase war krumm wie eine Banane, darüber tuschelten die Kinder, wenn keine Ordenschwestern ihnen zuhörten.
»Yvette, wieso bist du nicht im Bett?«, knurrte sie und gestikulierte mit den Händen vor Yvettes Gesicht, als ob sie das Mädchen schlagen wollte.
»Ich kann nicht einschlafen«, gestand Yvette und verlagerte ihr Gewicht vom linken auf den rechten Fuß.
»Willst du morgen auf deinem Zimmer bleiben? Du kostest mich den letzten Nerv. Kind, hoffentlich finde ich bald eine Pflegefamilie für dich. Ansonsten werde ich veranlassen, dass du in ein anderes Kinderheim verlegt wirst. Vielleicht wird es dir dort besser gefallen. Die ständigen Probleme mit dir zerren an meinem Nervenkostüm.«
»Ich will hier bleiben«, flüsterte Yvette und Verzweiflung kroch in ihr hoch.
»Wer fragt dich denn?«, fuhr die Heimleiterin sie an. Ihre grünen Augen funkelten wütend, während sie Yvette den Teddy entriss.
»Nein!«, rief Yvette und streckte ihre Arme nach ihm aus.
»Du bekommst ihn erst wieder, wenn du keine Widerworte mehr gibst«, schrie die Heimleiterin mit Zornesröte im Gesicht.
Yvettes Augen weiteten sich, als sie sah, wie ihr geliebter Eddy seinerseits seine Arme in ihre Richtung streckte. Er benahm sich, als ob er lebendig wäre. Dazu rollte Eddy mit seinen Knopfaugen. Dies bewies ihr, dass keine Einbildung dahinter steckte, denn sie sah es tatsächlich.
»Bitte, ich will ihn zurück haben«, bettelte sie und Verzweiflung schwang in ihrer Stimme mit. Dabei musterte sie Teddy Eddy ununterbrochen.
»Vergiss es!«, donnerte die Heimleiterin und klimperte mit dem Schlüsselbund in ihrer Hand.
»Das ist gemein«, schluchzte Yvette, als die Heimleiterin keine Anstalten machte, ihr den Teddy zurückzugeben. »Eddy gehört zu mir«, beharrte sie weiter.
Die Frau grinste fies und antwortete: »Du kriegst ihn erst wieder, wenn es an Heiligabend schneit.«
»Aber …«
»Kein aber! Nur wenn Schnee fällt, bekommst du ihn zurück.«
»Und wenn es an Heiligabend keinen Schneefall gibt?«, erkundigte sich Yvette und unterdrückte das Zittern in ihrer Stimme.
»Dann musst du dich gedulden bis zum nächsten Heiligabend.« Mit schallendem Gelächter verließ die Heimleiterin den Raum, schloss die Tür und sperrte Yvette ein.
Niedergeschlagen warf sich Yvette gegen die Tür und trommelte mit den Fäusten dagegen. Zwecklos, die Tür blieb verschlossen. Tränen schossen ihr in die Augen und kullerten über ihre Wangen. Es war ihr schleierhaft, warum die Heimleiterin immer so gemein zu ihr war. Sie hatte ihr doch nichts getan. Yvette war unschuldig, dass der Schneefall ausblieb. Wie sollte sie es anstellen, dass am Heiligabend ein Wunder geschah? Sie war kein Wetterfrosch mit Zauberkräften wie im Märchen. Niemals zuvor hatte Yvette solch einen Gedanken.
»Ich wünschte, es würde an Heiligabend so schneien, dass wir eingeschneit werden«, wimmerte sie, während Tränen erneut über ihre Wangen rannen. Es fiel ihr schwer, die Fassung wieder zu erlangen ohne ihren geliebten Eddy, der ihr einziger Trost in schweren Zeiten war.
Wie lange sie an der Tür gelehnt verharrte, wusste sie nicht. Nur irgendwann überfiel sie die Müdigkeit und sie gähnte mehrmals. Ihre Augenlider wurden schwerer und schwerer. Schließlich bereitete es ihr Probleme, sie offen zu halten und sie fielen zu.
Sie hätte im Stehen schlafen können und torkelte zu ihrem Bett. Erschöpft sank sie darauf, rollte sich zusammen und griff automatisch nach der kratzigen Decke, die sie über sich zog. Innerhalb von Sekunden sickerte sie in einen unruhigen Schlaf.
Yvette staunte, wo befand sie sich? Sie würde ärger bekommen, weil sie ihr Zimmer verlassen hatte, ohne dass sie sich daran erinnerte. Doch sie konnte nicht länger darüber nachdenken, denn schon hörte sie die sanfte Stimme einer Unbekannten, die über Engelsflügel verfügte und ihr zuraunte: »Du armes Kind.«
Ehe sie ihren Kopf zu ihr drehen konnte, wurde sie von grellem Licht geblendet und kniff die Augen zu. Dabei spürte sie einen sanften Kuss, der ihr auf die Stirn gehaucht wurde.
Erschrocken riss sie die Augenlider auf und schaute sich verwirrt um. Sofort merkte sie, dass sie mutterseelenallein im Zimmer lag. Vermutlich hatte sie von der Fremden nur geträumt. Ruckartig setzte sie sich auf und klapperte mit den Zähnen. Sie fror fürchterlich. Um sich zu wärmen, schlang sie die Arme um ihren schmächtigen Körper, denn ihre Bettdecke war heruntergefallen und lag quer auf den Boden. Wahrscheinlich hatte sie sich im Schlaf frei gestrampelt.
Ruhelos hüpfte sie aus dem Bett und lief zum Fenster. Alles schien unverändert. Sie seufzte, als sie begriff, dass das Wetter sich nicht verändert hatte. Enttäuschung keimte wie eine Flamme in ihr auf, und sie kämpfte gegen ihre negativen Gefühle an.
Hinter ihr wurde die Tür aufgeschlossen. Verwundert wirbelte sie herum und entdeckte Ordensschwester Hilda in ihrer schwarzen Nonnenkluft, die gerade ihr Zimmer betrat.
»Los, wasch dich ordentlich«, kommandierte die Schwester. »Es ist Heiligabend. Schmutzige Kinder sind dem Herrn ein Dorn im Auge.«
Yvette nickte.
»Beeil dich, sonst gibt es für dich kein Frühstück.«
Wieder nickte Yvette und rannte ins Bad. Die krächzende Stimme von Schwester Hilda hallte in ihren Ohren nach, als sie den Wasserhahn aufdrehte. Das eiskalte Wasser ließ sie frösteln. Trotzdem wusch sie sich gründlich und trocknete sich ab. Im Spiegel sah Yvette, wie Schwester Hilda sie nicht aus den Augen ließ und sie die ganze Zeit beobachtete.
»Vergiss nicht, auch die Ohren zu waschen«, wurde sie streng ermahnt.
Erst als Schwester Hilda zufrieden war, durfte sie zurück in ihr Zimmer und ihr Nachthemd gegen die Heimkleidung wechseln. Als sie angezogen war verließ sie mit Oberschwester Hilda ihr kahles Zimmer.
Ihr blieb fast das Herz stehen, als sie die Gestalt auf der untersten Stufe erkannte, die gerade die Treppe hinauf schritt. Yvette begann vor Furcht zu zittern. »Ich möchte Eddy zurück«, bat sie trotzdem und kämpfte gleichzeitig gegen ihre Angst und ihre Tränen an.
»Schneit es etwa?«, fragte die Heimleiterin knurrig. »Wenn heute Schnee fällt, kannst du deinen schäbigen alten Teddy zurückhaben.«
Ordensschwester Hilda zuckte mit den Achseln und runzelte die Stirn, während sie anstatt Yvette antwortete: »Bei zehn Grad plus ist das unmöglich.«
»Pech! Dann musst du dich bis zum nächsten Jahr gedulden«, meinte die Heimleiterin und ging in den Speisesaal. Yvette lief ihr hinterher und nahm neben der gehbehinderten Lisa Platz. Diese schaute kurz auf und nickte ihr stumm zu. Reden war im Speisesaal während den Mahlzeiten verboten.
Yvette hatten keinen Hunger. Sie trank nur Kakao und stocherte im Essen herum, denn sie mochte kein Rührei mit Speck. Leise Weihnachtsmusik drang plötzlich an Yvettes Ohren und sie schaute in die Richtung, woher es kam.
»Dafür ist es zu früh«, schimpfte die Heimleiterin, und die Musik verstummte abrupt. »Zuerst muss der Baum geschmückt werden. Jeder hilft mit«, befahl sie, »sonst fällt die Bescherung aus.«
Die zehn Heimkinder, die mit am Tisch saßen, blickten verstört drein.
Yvette schenkte der Heimleiterin keinen Glauben, dass es heute Abend Weihnachtsgeschenke geben würde. Auch vorletztes und letztes Jahr hatte es keine gegeben. Wann sie überhaupt jemals eins erhalten hatte, ließ sie grübeln. Lisa stupste sie an und riss sie so aus ihren trüben Gedanken. Yvette sah zu ihr. So bekam sie mit, wie Lisa sich hochquälte und mit den anderen Kindern aus dem Speiseraum flüchtete. Bevor sie ihnen folgen konnte, hielt die Heimleiterin sie am Arm zurück. »Halt!«, befahl sie. »Ab mit dir zum Spülen!«
Enttäuscht ließ Yvette die Schultern hängen und begab sich in die Großküche gegenüber den Speisesaal. Als sie zufällig aus dem Fenster schaute, fing es an zu regnen. Yvettes Welt brach zusammen und sie wimmerte: »Warum schneit es nicht? Ich wünsche es mir so sehr.« Verzweifelt faltete sie die Hände. Tränen glänzten in ihren blauen Augen und kullerten über ihre Wangen. Sie schämte sich und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
»Das kann nicht sein!«, rief die Küchenhilfe Frida plötzlich hinter ihr. Yvette nahm die Hände fort und wandte sich um. Überrascht blickte sie an Fridas ausgestrecktem Arm entlang, während die junge Frau weiterplapperte: »Es schneit, schaut es euch an! Es schneit … tatsächlich! Und das bei zehn Grad plus! Wie geht das?« Frida konnte es nicht lassen und rannte wie ein aufgescheuchtes Huhn in der Küche herum.
»Es ist viel zu warm dafür«, presste die Köchin entgeistert heraus und wedelte mit dem Kochlöffel.
Yvette blickte zurück zum Fenster und sah, wie eine Schneeflocke nach der anderen den Himmel verließ. Es schneite immer fester. Zuerst bedeckte eine dünne Puderschicht den Vorhof des Kinderheims. Der Schneefall wurde von Minute zu Minute dichter. Die Flocken blieben problemlos liegen, ohne dass der Boden gefroren war. Bald konnte Yvette weder den Pflasterstein noch die Wiese erkennen. Sie wischte sich die Tränen weg und strahlte, während sie sich herumdrehte.
Ohne die anderen zu beachten, lief sie aus der Küche. Sie kannte nur ein Ziel.
»Weiße Weihnachten«, hörte sie die überraschte Stimme der Heimleiterin, die fassungslos dastand und aussah, als ob sie ein Gespenst gesehen hätte.
»Darf ich meinen Teddy zurück haben?«, fragte Yvette vorsichtig und schaute ihr Gegenüber bettelnd an.
»Das geht … hier nicht … mit rechten … Dingen zu«, stammelte die Heimleiterin und bekreuzigte sich. »Hier ist Zauberei und Hexenkram im Spiel.«
»Gott steh uns bei!«, rief Ordensschwester Hilda und bekreuzigte sich ebenfalls, als sie neben Yvette trat.
»Nein, natürlich nicht! Ich habe es mir nur zu Weihnachten gewünscht«, erklärte das Mädchen und strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht, während sie grinste. »Und der liebe Gott hat mich erhört.«
»Spotte nicht, du ungläubiges, unmögliches Balg«, schimpfte die Heimleiterin und stiefelte griesgrämig in ihr Büro. Zähneknirschend kehrte sie zurück und warf den Teddy vor Yvettes Füße. Das Mädchen bückte sich und hob Eddy behutsam auf. Zärtlich schloss sie das Kuscheltier in ihre Arme und küsste ihn kurz auf den Bärenmund. »Eddy, es ist ein Weihnachtswunder geschehen!«, jubelte sie und drückte ihn noch fester an die Brust. Er brummte und schnurrte gleichzeitig. »Es schneit, es schneit, es schneit. Jetzt ist wirklich Weihnachten!«, frohlockte sie und drehte sich mehrmals mit ihm im Kreis. Dann rannte sie die Treppe herunter zur Tür, riss sie auf und trat ohne Winterschuhe und Mantel in das Schneegestöber. Sie lachte vergnügt, als die Schneeflocken ihr Gesicht berührten und sie kitzelten. Yvette tanzte durch den Schnee, der sich bereits zehn zentimeterhoch türmte.
Sie genoss jeden einzelnen Moment und verfolgte die Schneeflocken mit den Augen, bis diese den Boden erreichten. Es war ihr egal, dass mehrmals nach ihr gerufen wurde. Ihr größter Herzenswunsch Weiße Weihnachten ging endlich in Erfüllung.
Eddy schnurrte, während Yvette weiter durch den Schnee stapfte. Auch die anderen Kinder rannten hinaus und eine Schneeballschlacht folgte. Erst als es dämmerte und zum Abendbrot geläutet wurde, betrat Yvette das weihnachtlich geschmückte Kinderheim. Verwunderte Blicke wurden ihr von allen Seiten zugeworfen, denn sie war weder nass noch wirkte sie erfroren.
Die Heimleiterin schüttelte ständig den Kopf und knirschte: »Das gibt es doch nicht! Hier steckt Hexerei oder der Teufel höchstpersönlich dahinter.« Wieder bekreuzigte sie sich.
Die Meinung der Heimleiterin spielte für Yvette keine Rolle. Sie war überzeugt, dass der wunderschöne Weihnachtsengel aus ihrem Traum ihr geholfen hatte. Hexen kamen für sie nicht in Betracht.
»Wird Zeit, dass wir sie zu uns holen, Camilla!« Die Stimme des Hexenmeisters klang schneidend scharf.
»Aber sie hat keine Ahnung, Sir.« Camilla senkte ihren Kopf. Dabei entdeckte sie eine Fliege auf ihrem Hosenanzug, die sie mit ihrer rechten Hand verscheuchte. »Ihre Mutter ist bei ihrer Geburt gestorben und …«
»Sie wird bald elf Jahre alt und muss ihren Platz der elften Hexe endlich einnehmen!«, donnerte der Hexenmeister.
Camilla spürte, wie seine Anspannung wuchs. Sie fühlte sich äußerst unbehaglich.
»Immerhin haben wir das Kind jetzt entdeckt. Wir schicken ihm Kunigunde. Sie wird es vorbereiten«, versicherte sie rasch.
»Warum ausgerechnet Kunigunde?« Der Hexenmeister zupfte an seinem grauen Spitzbart.
»Sie kannte ihre Mutter am besten.«
»Aber Kunigunde ist nicht ganz richtig im Kopf! Vergiss nicht, sie war jahrhundertelang ein Frosch. Sie wird das arme Mädchen zu Tode erschrecken.« Der Hexenmeister schüttelte so heftig den Kopf, dass ihm sein Zauberhut ins Gesicht fiel. Ärgerlich rückte er ihn zurecht.
»Sie ist die älteste von uns Hexen und hat die meiste Erfahrung. Außerdem kennt sie sich mit diesen jungen Dingern aus. Sie weiß, wie man solche Mädchen auf das Hexen vorbereitet«, fuhr Camilla fort.
»So, wie beim letzten Mal, als alles daneben ging?«
»Ja, der Schnee im Sommer war ein großes Versehen. Aber das wird sich garantiert nicht wiederholen.«
Camilla versuchte das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Um ehrlich zu sein, sie glaubte ihren eigenen Worten nicht mehr. Doch irgendetwas musste geschehen! Immer häufiger mussten die Hexen zusammenkommen, weil ihre Hexenmagie schwächer wurde. Dadurch, dass der Hexenkreis nicht mehr komplett war, schwand ihre Kraft stetig. Ja, inzwischen hatten einige Hexen sogar schon Probleme auf nichtmagische Weise gelöst, da ihre Zauber nicht mehr funktionierten. Das musste sich unbedingt ändern!
Der Hexenmeister schien Camillas Gedanken zu lesen.
»Du weißt, wenn es schiefgeht, müssen wir alle darunter leiden«, knurrte er. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn wurden noch tiefer. »Bestimmt heckt Luzifer wieder etwas aus. Und die Hexe der Unterwelt gewinnt immer mehr Macht. Wir können nicht mehr lange gegen die beiden ankämpfen, wenn die elfte Hexe in unserer Mitte fehlt.«
Camillas Magen verkrampfte sich vor Angst. Die Hexe der Unterwelt … Sie war wie der böse Schatten in der Nacht!
»Wird schon klappen, Sir, versprochen. Der Schutzzauber ist aktiviert«, murmelte sie.
»Du haftest mit deinem Leben, Hexe!« Der Hexenmeister sprang von seinem Thron, streckte sich und seine Muskeln zeichneten sich unter seinem Sternenumhang ab.
»Wo ist meine Zauberkugel?«, wechselte er dann das Thema. »Wer hat sie wieder versteckt?«
»Mit Verlaub, sie liegt vor Ihren Füßen, Sir!« Nervös spielte Camilla mit der Brille in ihrer Hand.
Er blickte auf den Boden und brummte: »Wer war das?«
»Sie ist Ihnen bestimmt nur aus der Hand gerollt, als Sie ruhten.« Camilla setzte ihre Brille auf.
»Ich ruhe nie!«
Zornesröte breitete sich im Gesicht des Hexenmeisters aus.