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Far Baxter ist ein harter Typ. Aufgewachsen bei der Straßengang "Die Nachtwölfe" jagt er nun Dämonen und andere Unterweltler in einer Spezialeinheit der Polizei. Und so ist es eine unangenehme Überraschung, als ausgerechnet ein Vampir sein Leben rettet. Aber Songlian Walker hat noch so manche Überraschung für Far auf Lager. Bald kommen Gefühle ins Spiel, die Far nicht für möglich gehalten hätte und gegen die er sich mit Händen und Füßen wehrt.
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Seitenzahl: 323
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© dead soft verlag, Mettingen 2011
http://www.deadsoft.de
© the author
Cover: M. Hanke
Mann: CURAphotography – fotolia.com
Ranke: Sergio Hayashi – fotolia.com
Giraffe: Stephi – fotolia.com
1. Auflage 2011
ISBN 978-3-934442-79-5 (print)
ISBN 978-3-944737-36-2 (epub)
Dieser Roman ist Fiktion. Orte und Personen sind frei erfunden.
Danke an alle, die zu mir sagten: Mach’s doch!
Vollidiot!, dachte Far Baxter.
Ich bin so ein Vollidiot! Wie ein naiver Anfänger hatte er sich in die Falle locken lassen. Als er den Hinterhalt erkannte, war es für einen Rückzug bereits zu spät gewesen. Die Zeit hatte gerade noch für das Absetzen eines Notrufs ausgereicht und nun lieferte er sich einen bizarren Tanz mit einer Handvoll Dämonen. Sollte Far überleben, dann würde man ihn ewig wegen seiner Blödheit aufziehen. Seine DV8 lag leergeschossen in der Nähe seines Privatwagens, sodass er sich mit seinem schmalen Dolch verteidigen musste. Dank dessen Speziallegierung verpuffte wieder ein animalisch knurrender Angreifer zu einem flockigen Aschewölkchen. Ein Krallenhieb zerfetzte Fars Hemd, und er fuhr mit einem erschrockenen Aufschrei herum, wobei der Dolch einen silbernen Bogen beschrieb. Das schuppige Monster wich der Klinge jedoch wendig aus. Jetzt – endlich – waren die Sirenen der herannahenden Verstärkung zu hören. Far tauchte unter einer weiteren Klaue hindurch und bemerkte aus den Augenwinkeln, dass er unerwartete Hilfe erhalten hatte. In seinem Rücken vernichtete ein Fremder in einem hellen Hemd einen weiteren Dämon. Far erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf blauschwarzes Haar. Dann musste er sich wieder darauf konzentrieren, die restlichen drei Dämonen auf Abstand zu halten. Endlich tauchten die Kollegen mit zwei Streifenwagen in der Sackgasse auf. Far nutzte das Zögern der Dämonen beim Anblick seiner Kollegen aus und rammte seinen Dolch zwischen die graubraunen Schuppen des ihm am nächsten stehenden Gegners. Erneut rieselte Asche zu Boden.
Als die Kollegen aus dem Wagen sprangen, schufen die letzten beiden Dämonen rasch ein Portal und verschwanden spurlos. Genauso spurlos wie Fars überraschende Hilfe. Suchend schaute er sich nach seinem Helfer um und drehte sich dabei einmal um die eigene Achse. Wohin war der Kerl bloß verschwunden? Wohl kaum die glatten Wände der Hausmauern hinauf. Irgendetwas hatte Far bei seinem kurzen Blick auf den Fremden gestört, aber ihm fiel einfach nicht ein, was es gewesen sein könnte.
„Alles okay mir dir?“, wurde er von William Butler gefragt.
Far seufzte. Musste es ausgerechnet dieses Team sein, das ihm zu Hilfe kam? Sie alle waren Officer des New Yorker Police Departments und gehörten der SEED, der Sondereinheit zur Eliminierung von Dämonen an. Doch das setzte nicht voraus, dass sie alle dicke Freunde waren.
„Habt ihr eben diesen Typen gesehen?“
„Typen? Was für einen Typen denn?“, wollte William wissen.
„Er muss euch entgegengekommen sein. Hatte ein helles Hemd an.“
„Uns ist niemand entgegengekommen“, warf Williams Partner Jacob McKenzie ein und reichte Far die DV8, die er beiseite geworfen hatte, als sie nutzlos wurde. Far nickte dankend und begann die Waffe gewohnheitsmäßig nachzuladen.
„So schnell kann der Kerl doch nicht verschwunden sein“, brummte er dabei und schob die Waffe in das Holster zurück. Den Blick, den seine Kollegen einander zuwarfen, ignorierte er.
„Wer weiß, was du gesehen haben willst. Ist deine Nachtschicht nicht ohnehin längst beendet? Fahr nach Hause und schlaf dich bloß aus, ehe du der nächsten Fata Morgana begegnest“, schlug ihm der Dritte des Vierergespanns vor. Seinem Tonfall nach hätte Far auch besoffen Ausschau nach einem rosa Elefanten halten können. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte Far, ob er dem unverschämt grinsenden, rothaarigen Klotz eine passende Antwort erteilen sollte. Da er bei seinem Chief allerdings bereits genügend Minuspunkte wegen seiner Temperamentsausbrüche gesammelt hatte, zog er es vor sich zu zügeln. Das Grinsen des Kollegen wurde breiter.
„Leck mich, Scott.“ Far drehte sich um und stapfte zu seinem schräg auf der Straße stehenden Dodge Charger. Ethan Landon, der noch nicht einmal aus dem Streifenwagen ausgestiegen war, hob mit einem spöttischen Winken die Hand.
„Ärsche! Alle miteinander.“ Far schlug die Tür seines Wagens heftiger als nötig zu. Die vier hatten ihn schon von seinem ersten Diensttag an nicht ausstehen können, was vermutlich einzig und allein daran lag, dass er bei einer der gefürchtetsten Straßengangs New Yorks, den Nachtwölfen, aufgewachsen war. Dort hatten sich Jayden und Harry um ihn gekümmert. Die beiden Gangmitglieder waren die einzige Familie, die Far noch hatte. Er atmete einmal tief durch, startete den Motor und gab Gas. Die Nacht war wirklich lang gewesen. Beim ersten Einsatz hatten er und sein Team mit den Dämonen über Stunden Versteckspielen müssen. Ein zweiter Einsatz hatte sich zum Glück als Falschmeldung erwiesen. Wenigstens war es bis zum frühen Morgen ruhig geblieben. Aber dann musste er auf dem Heimweg den Dämonen in diese verflixte Falle tappen. Fars Finger tasteten zu dem langen Riss in seinem dunkelblauen Diensthemd. Er seufzte. Es wurde wohl wirklich Zeit, dass er ins Bett kam.
Eine halbe Stunde später lenkte Far den metallicgrünen Dodge auf seinen angemieteten Parkplatz in der Tiefgarage seines Wohnblocks. Mit dem Hemdsärmel wischte er noch ein imaginäres Staubkörnchen von dem polierten Lack des liebevoll aufgearbeiteten Wagens und machte sich auf den Weg zum Fahrstuhl. Er stand bereits in der Kabine, als ihm einfiel, dass sein Wohnungsschlüssel noch im Handschuhfach lag. Mit einem leisen Fluch kehrte er um. Zu dieser frühen Morgenstunde war es in der Tiefgarage totenstill. Selbst seine Doc Martens verursachten beim Laufen keinen Laut. Müde fuhr sich Far über das Gesicht, fühlte unter seinen Fingern deutliche Stoppeln und wischte sich dann eine hellbraune Haarsträhne aus den Augen. Im nächsten Augenblick hielt er verblüfft mitten im Gehen inne. Wie von Zauberhand klappte der Kofferraumdeckel seines Wagens auf und sein geheimnisvoller Helfer schwang sich heraus. Ohne Far zu bemerken, der jetzt seine DV8 zog und auf ihn anlegte, klopfte der Fremde seine Kleidung aus.
„Der Kofferraum war frisch gereinigt.“
Der Kopf des Fremden fuhr ruckartig in die Höhe, doch schon hatte er sich wieder in der Gewalt. Sein Gesicht verzog sich zu einem gewinnenden Lächeln.
„Dafür bin ich dir auch sehr dankbar.“ Seine Stimme hatte ein anziehendes, warmes Timbre. Auffallend bernsteingelbe Augen richteten sich abschätzend auf die Waffe in seiner Hand.
„Jetzt frage ich mich nur noch, was du in meinem Kofferraum gesucht hast. Vielleicht hättest du ja die Güte und klärst mich auf?“ Far merkte, dass er sich momentan an der Schwelle der Beherrschung befand. Erst die Dämonen, dann dieser Blödarsch Scott Wilburn mit seinem verflixten Team und nun auch noch ein blinder Passagier.
„Ich hatte die Wahl zwischen deinem Kofferraum und einer Auseinandersetzung mit deinen Kollegen“, antwortete der Fremde.
„Wenn ich mich nicht irre, dann hast du mir vorhin doch geholfen. Mit aller Wahrscheinlichkeit hätte dich ein Dank erwartet, oder etwa nicht?“
Statt einer Entgegnung entblößte sein Gegenüber spitze, weiße Fangzähne. Unwillkürlich wich Far einen Schritt zurück. Jetzt wusste er auch, was ihn vorhin an dem Fremden gestört hatte: Es waren die fließenden Bewegungen gewesen. Bewegungen, die viel zu geschmeidig für einen Menschen waren.
„Du bist ein verdammter Blutsauger?“ Far hob seine Waffe höher. „Bist du verrückt, einfach in den Kofferraum eines Officers zu steigen?“
„Eigentlich bin ich in den Kofferraum eines Far Baxters gestiegen. Eines Dämonenkillers, der jetzt hoffentlich ein Auge zudrückt.“
„Wie bitte?“ Far glaubte, sich verhört zu haben.
„Nun ja, schließlich teilen wir die Leidenschaft für das Töten von Dämonen.“
„Und woher kennst du meinen Namen?“, wollte Far jetzt wissen.
„Du und dein Team seid mir bei der Dämonenjagd bereits öfters über den Weg gelaufen. Und weil du mich interessiert hast, habe ich dich eine Weile beobachtet und herausgefunden, warum du bei den Dämonen so unbeliebt bist. Du bist verdammt gut in deinem Job.“
Far schnaubte belustigt und schaltete auf das zweite Magazin seiner DV8 um.
„Komplimente von einem Reißzahn? Was willst du damit bezwecken? Nein, beweg dich lieber nicht!“
Der Vampir hob beschwichtigend die Hände.
„Ich wollte dich kennenlernen, Baxter. Vielleicht nicht gerade auf diese Art und Weise, aber früher oder später hätte ich dich schon noch angesprochen. Du gefällst mir nämlich.“ Er trat nun einen Schritt auf Far zu. Der schoss gnadenlos und ohne mit der Wimper zu zucken. Drei sicher gezielte Geschosse schlugen in den Körper des überraschten Blutsaugers ein. Mit einem dumpfen Laut brach der zusammen.
„Ich sagte doch, du sollst dich nicht bewegen“, brummte Far und legte seine Waffe beiseite. Ein wenig wunderte es ihn, dass er den unerwünschten Mitfahrer nicht einfach abgeknallt hatte. Was für eine bodenlose Frechheit, seinen Dodge als Taxi zu missbrauchen! Da er keine Ahnung hatte, wie lange die Selbstheilungskräfte eines Vampirs benötigten, um die Betäubungsgeschosse zu neutralisieren, suchte er eilig nach seinem Handy. Flink gab er eine Kurzwahl ein und suchte ungeduldig nach seinem Wohnungsschlüssel, bis endlich jemand auf seinen Anruf reagierte.
„Coop, ich bin’s. Es gibt Probleme. Kannst du mit Joey kommen? – Ja, jetzt sofort. – Natürlich weiß ich, wie spät es ist. Im Gegensatz zu meinem Problem besitze ich eine Uhr. – Aye, ich bin in meiner Wohnung.“ Ohne eine weitere Erklärung unterbrach Far das Gespräch. Dann nahm er dem reglosen Vampir als Erstes eine Walther P99 und einen Dolch ab, der dem seinen sehr ähnlich war. Die Waffen warf er in den Kofferraum seines Dodge, den er dann abschloss. Nun musste er nur noch den Vampir aus der Tiefgarage bekommen. Mühsam wuchtete er sich den schlaffen Körper über die Schulter und trug ihn zum Fahrstuhl. Wenigstens brauchte er seinen ungewollten Gast nicht noch die Treppen hinauf zu schleppen. In der vierten Etage angekommen, spähte er erst nach rechts und links, ehe er den Fahrstuhl verließ und zu seiner Wohnungstür eilte. Hastig öffnete er und ließ die Tür mit einem erleichterten Seufzer hinter sich ins Schloss fallen. Neugierige Nachbarn hätte er jetzt nicht auch noch ertragen. Aber wohin nun mit dem Vampir?
Da ihm nichts Besseres einfiel, brachte ihn Far in sein Schlafzimmer. Dort ließ er ihn auf sein Bett plumpsen und kettete ihm die Hände mit seinen Handschellen an einem Bettpfosten fest. Endlich hatte Far die Gelegenheit seinen ungewöhnlichen Gefangenen in aller Ruhe zu mustern. Sein Alter schien irgendwo bei Mitte zwanzig stehen geblieben zu sein. Hohe Wangenknochen und schmale Lippen ließen sein Gesicht ein wenig aristokratisch wirken. Zerzaustes, nackenlanges, blauschwarzes Haar umrahmte das Gesicht und verlieh ihm einen jugendlichen Touch. Far konnte sich an die durchdringenden bernsteingelben Augen erinnern, die ihm irgendwie wölfisch vorgekommen waren. Alles in allem ein äußerst hübscher Kerl mit einem geschmeidigen Körper.
Wieso also hatte der Blutsauger nicht seine immense Schnelligkeit ausgenutzt, war hinter dem Dodge in Deckung gegangen und hatte auf ihn geschossen?
„Verdammt, du hattest eine reelle Chance und hast sie nicht genutzt.“ Das bereitete Far doch tatsächlich Kopfzerbrechen. Ebenso wie die Tatsache, dass der Vampir ihn offensichtlich schon einige Zeit beobachtet hatte, ohne dass es Far aufgefallen wäre. Und was sollte der Spruch, er würde ihm gefallen? Far verspürte nicht gerade das Verlangen einem Vampir gefallen zu wollen.
Endlich klingelte es an der Tür. Mit einem erleichterten Seufzer ging er öffnen. Wie erwartet standen Cooper Dayton und Joey Fisher im Treppenhaus und sahen ihn neugierig, wenn auch leicht verschlafen an. Wenigstens sein Team war so vernünftig gewesen, den Feierabend nach dem Nachtdienst pünktlich anzutreten. Sicherlich hatte Far sie mit seinem Anruf aus dem Bett geklingelt.
„Lässt du uns rein oder müssen wir draußen bleiben?“, fragte Joey, weil Far noch in der Tür stand. Dunkelblondes Haar ragte wirr in alle Himmelsrichtungen und eine Knitterfalte von seinem Kissen zierte noch Joeys Gesicht. Eigentlich war er die Frohnatur ihres Teams, das untereinander in Freundschaft verbunden war. Zu dieser frühen Stunde zog Joey allerdings eine ungewohnt mürrische Miene.
Far trat einen Schritt beiseite, damit die beiden Freunde in die Wohnung konnten.
„Ich hoffe, es gibt einen guten Grund, warum ich jetzt nicht schlafen darf.“ Cooper klang eher neugierig als ungehalten.
„Aye, den gibt es. Die große Überraschung befindet sich in meinem Schlafzimmer.“
Far folgte Joey und Cooper, die gespannt durch seine Wohnung eilten.
„Ach du Scheiße! Den Kerl kenne ich doch“, entfuhr es Joey beim Anblick des Gefangenen.
„Nette Überraschung“, lautete Coopers trockener Kommentar. Er versuchte dabei ein Gähnen zu unterdrücken. Als Teamleiter ihres Quartetts, das aus drei Officers und einem IT-Freak namens Jonathan Goodman bestand, wollte er wohl wenigstens einen halbwegs wachen Eindruck vermitteln.
„Ihr kennt den Kerl?“ Verblüfft sah Far von einem zum anderen.
„Du solltest mal ab und an einen Blick in die Karteien der SEED werfen, anstatt nur auf Dämonen zu ballern. Dort ist sein Gesicht unter der Rubrik Vampir zu finden. Er ist einer der drei Walker-Brüder. Frag mich aber nicht, welcher von denen“, erklärte Cooper.
Joeys Miene hellte sich auf. „Richtig. Daher kenne ich ihn. Und wie kommt der nun hierher?“
Far begann ihnen von seinem außerplanmäßigen Kampf zu erzählen und nahm ergeben Coopers stillschweigenden Tadel wegen des Alleingangs hin.
„Er hat nicht versucht abzuhauen oder dich anzugreifen?“ Joey klang verwundert und warf dem betäubten Vampir einen entsprechenden Blick zu.
„Nein. Vielmehr gab er zu, mich beobachtet zu haben und das finde ich nicht wirklich erfrischend. Außerdem will er mich kennenlernen. Wie verrückt ist das denn? Ein Vampir will einen Officer der SEED kennenlernen. Und dann? Trinken wir Tee miteinander und spielen Monopoly?“
Joey grinste.
„Ich versuche mir gerade Far und einen Blutsauger vor einem Monopolybrett vorzustellen“, sagte er zu Cooper.
„So ungeduldig, wie Far immer ist, wird er wohl als Erstes mit Hotelklötzchen werfen. Und spätestens nach zwanzig Minuten hätten sich die beiden dann auf der Schlossallee erwürgt.“
Cooper fuhr sich durch seinen pflegeleichten, braunen Stoppelschnitt, musste dann aber schmunzeln. Far dagegen war jetzt richtig angesäuert.
„Ich finde das überhaupt nicht komisch, Joey. Verdammt, ich habe erst gar nicht geschaltet, dass es sich um einen Blutsauger handelt. Dafür kutschiere ich ihn ungewollt durch halb Manhattan und erfahre dann, dass er mich kennenlernen möchte. Und ihr reißt bloß blöde Witze.“
„Reg dich wieder ab, Far. Ich bin ja schon wieder ruhig. Was stellen wir jetzt mit Walker-wer-auch-immer an?“ Joey bemerkte, dass er sein Hemd falsch zugeknöpft hatte, und begann das Malheur zu korrigieren.
Far zuckte derweil ratlos mit den Schultern. Cooper kratzte sich nachdenklich am Kopf.
„Wieso hast du ihn eigentlich nicht ausgelöscht? Sonst fackelst du ja auch nicht lange.“
„Coop, er hat mir in dieser Seitenstraße den Rücken freigehalten. Da kann ich ihn doch nicht einfach so abknallen. Immerhin hätte er mir ja ebenfalls eine 9mm in den Kopf jagen können. Wenn ich nur daran denke, wird mir ganz anders …“
Far warf hilflos die Arme in die Höhe.
„Aaah, du bist ihm also dankbar.“ Joey versuchte nun mit den Fingern sein ungekämmtes, dunkelblondes Haar zu glätten.
Langsam wurde es Far zu bunt.
„Ich freue mich durchaus, dass ich noch am Leben bin“, schnappte er und sandte Joey einen bösen Blick.
Cooper ließ sich jetzt auf dem Fußboden nieder und schlug die Beine übereinander.
„Bring uns einen Kaffee, Far, und dann sollten wir uns in aller Ruhe anhören, was dieser Vampir von dir will.“
Es dauerte eine knappe Stunde, bis sich der Gefangene regte. In Gedanken überschlug Far die Zeit, die der Vampir benötigt hatte, um nach drei gezielten Betäubungsgeschossen wieder zu sich zu kommen. Einen Menschen hätte er bei der Menge Narkotikum für mindestens zwölf Stunden außer Gefecht gesetzt.
Beeindruckend, fand er dann und verfolgte die Bemühungen des Blutsaugers, sich in eine sitzende Position zu ziehen. Inzwischen glitten die bernsteingelben Augen seines Gefangenen über Cooper und Joey, die dem Vampir geduldig etwas Zeit ließen, um sich zu sammeln. Far beobachtete, wie ein leises Lächeln über das sinnliche Gesicht seines ungewöhnlichen Gastes glitt.
„Musste es gleich dein Bett sein?“, fragte er mit einem gespielt unschuldigen Blick in Fars Richtung. Als der empört auffahren wollte, wurde er von Coopers Hand gebremst und am Arm festgehalten.
„Du bist wohl zum Scherzen aufgelegt, Blutsauger. Erklär uns lieber, wieso du Far beobachtest und weshalb du ihm so großzügig bei seinem Einsatz geholfen hast.“
Der durchdringende Blick des Vampirs richtete sich wieder auf Cooper.
„Joey Fisher und Cooper Dayton“, sagte er dann leise.
„Ist Jonathan ebenfalls hier?“
Joey begann jetzt unruhig mit seiner Waffe zu spielen. Es behagte ihm gar nicht, dass der Vampir ihre Namen und die Zusammensetzung ihres Quartetts kannte.
„Mit wem haben wir es denn bitteschön zu tun?“ Cooper zeigte sich nach außen hin vollkommen unbeeindruckt.
„Eigentlich wollte ich erst einmal nur mit Baxter auf Tuchfühlung gehen“, entgegnete der Vampir kühl. Er warf Far einen enttäuschten Blick zu. „Brauchtest du wirklich die Hilfe deiner Kollegen?“
„Er ist …“ Far setzte zu einer Rechtfertigung an, wurde aber von dem Vampir unterbrochen:
„Ja, ja, ich weiß. Dayton ist euer Anführer.“
Cooper erhob sich und stellte seine Kaffeetasse auf einem Sideboard ab.
„Knall ihn ab, Joey“, sagte er ruhig und wandte sich zur Tür.
Hinter dem Ohr des Vampirs klickte die Sicherung einer Waffe.
„Songlian Walker“, rief der nun hastig.
Ein weiteres Klicken ertönte, als die Waffe wieder gesichert wurde. Der Vampir begegnete gelassen Coopers Blick. Der nickte lediglich, als würde sich ein Verdacht bestätigen. Joey dagegen stieß einen leisen Pfiff aus.
„Verpasse ich gerade den Anschluss?“, erkundigte sich Far. Vielleicht hätte er wirklich mal die Nase in die Vampirkartei stecken sollen. Andererseits war er aber erst vor zwei Jahren auf eine etwas unkonventionelle Weise in die Sondereinheit gerutscht. Im Gegensatz zu Joey und Cooper, die sich gleich nach ihrer Ausbildung beim New Yorker Police Department zur SEED hatten versetzen lassen.
„Der Sohn von Arawn Walker?“, fragte Cooper derweilen nach, ohne auf seinen Freund einzugehen.
Arawn Walker war Far allerdings ein Begriff. Er war einer der höheren Anführer der Vampirgesellschaft gewesen, bis ein Blutsauger aus seinen eigenen Reihen ihn vernichtet hatte. Songlian nickte zustimmend.
„Der Bastard“, fügte er mit einem seltsamen Unterton hinzu.
„Arawn hatte drei Söhne und herrschte über einen riesigen Vampirbezirk, bis sein Bastardsohn ihn umbrachte“, erklärte Joey, dem Fars Verwirrung nicht entgangen war.
„Dafür wurde er von seinem Bruder Lorcan, der der Nachfolger ihres Vaters wurde, nach einem Ehrenkampf aus der Sippe ausgestoßen. Richtig, Blutsauger?“
Songlian verzog angewidert das Gesicht und nickte kurz.
„Wieso Bastard?“, fragte Far nach. Der Vampir seufzte.
„Im Laufe der Jahrhunderte nahm es mein Vater mit der Treue wohl nicht so genau. Ich habe eine andere Mutter als meine Brüder, Baxter. Dies und einiges andere führte zu … Zwistigkeiten mit meinem Vater.“ Er rüttelte mit leicht verstimmter Miene an den Handschellen, ließ es dann nach einem Blick in Coopers Gesicht rasch bleiben.
„Und was willst du nun von mir?“ Wieder fühlte sich Far von den bernsteingelben Augen gemustert.
„Auf keinen Fall etwas Böses. Ich habe dir doch vorhin schon gesagt, dass du mir gefällst. Alles Weitere wäre ein Vier-Augen-Gespräch, Baxter.“
Far sah das Zucken um Joeys Mundwinkel. Aber es war Cooper, der sich feixend an ihn wandte und Songlians Worte wiederholte:
„Du gefällst ihm, Far.“
„Danke. Das habe ich durchaus verstanden.“ Wütend funkelte Far den Vampir an, der mit einer Unschuldsmiene zu ihm aufsah.
„Dir ist klar, dass wir dich nicht wieder laufen lassen können?“, fragte er boshaft.
„Nein? Und was habt ihr dann mit mir vor? Wollt ihr mich jetzt tatsächlich auslöschen? Einen völlig Wehrlosen umbringen?“
Far entdeckte tatsächlich einen gewissen Spott in Songlians Raubtieraugen.
„Soll ich dazu die Augen schließen oder zieht ihr mir einen Sack über den Kopf, bevor ich hingerichtet werde?“
Far drehte sich hilflos zu Cooper um. Der zuckte mit den Schultern.
„Hast du denn einen Sack?“
„Wir könnten einen Kissenbezug nehmen“, schlug Far vor.
„Mir kommt da gerade eine Idee“, mischte sich Joey ein.
Sowohl Far als auch Cooper verdrehten die Augen. Joeys Ideen waren oftmals jenseits von Gut und Böse.
„Warum rekrutieren wir den Blutsauger nicht? Es ist bekannt, dass Walker Dämonen und Vampire tötet. Und genau das ist ja die Aufgabe der SEED. Mit seinen Fähigkeiten wäre er auf jeden Fall ein Gewinn für die Einheit.“
Far wollte schon lachen, aber Cooper schien Joeys Vorschlag tatsächlich ernsthaft in Erwägung zu ziehen.
„Nichts da, Coop. Das ist nicht euer Ernst. Ich hole jetzt einen Kissenbezug und dann den Staubsauger, um die Asche aus dem Bett zu entfernen, okay?“
„Ich finde die Idee gar nicht schlecht“, meldete sich der Vampir zu Wort.
„Du würdest doch alles sagen, um deinen verdammten Arsch zu retten. Cooper, sag ihm, dass das nicht geht.“
„Warte mal, Baxter. Heute früh haben wir noch gemeinsam Dämonen vernichtet. Ich habe das Alleinsein ohnehin satt und könnte dein Partner werden. Bislang ziehst du ja immer auf eigene Faust los.“
Far schnappte nach Luft, so ungeheuerlich stieß ihm der Vorschlag auf.
„Wie kannst du Monster es wagen, ausgerechnet mir …“
Jetzt wurde er von Joey zurückgehalten, ehe er eine Dummheit begehen konnte.
„Es waren Dämonen, die deine Familie auslöschten, keine Vampire“, fauchte Songlian.
Das bremste Far genauso wirksam aus, als wäre er gegen eine Betonwand gelaufen. Nur mühsam beherrschte er sich.
„Du hast dich ja prima über mich informiert.“
„Er killt seinesgleichen, Far.“ Cooper sah seinen Partner nachdenklich an.
„Er macht eigentlich unsere Arbeit. Wie Joey vorhin sagte, er tötet Dämonen und Vampire gleichermaßen.“
Songlian nickte bestätigend. Far starrte ihn bloß wütend an.
„Lasst mich ein Mitglied eures Teams werden, Baxter. Ich würde endlich einmal irgendwo dazugehören. Und du hättest einen Partner. Unsere Methoden ähneln sich auch, daher würden wir bestimmt gut zusammenarbeiten …“
„Der spinnt doch, Coop.“ Far sah seinen Teamleiter in der Hoffnung auf Unterstützung an. „Der kann doch nicht ernsthaft erwarten, dass ich mit einem Blutsauger …“
Cooper ließ ihn gar nicht ausreden:
„Soweit bekannt ist, hat Songlian noch nie einen Menschen aus Blutdurst umgebracht.“
„Soweit bekannt ist?“, wiederholte Far ungläubig.
„Erkläre mir bitte mal, was das jetzt genau bedeutet.“
„Ich ernähre mich ausschließlich von synthetischem Blut, das mir eine verlässliche Quelle liefert. Du brauchst keine Angst haben von mir gebissen zu werden. Das ist ohnehin unästhetisch. Manche waschen sich nicht mal den Hals …“
Coopers warnender Blick brachte Songlian zum Schweigen.
„Dem Chief stößt es schon seit Langem auf, dass du ohne einen Partner auf Streife gehst“, sagte er dann zu Far.
„Und aus Mangel an freiwilligem Personal willst du mir jetzt einen Vampir aufdrücken?“
„Er könnte uns wirklich von Nutzen sein.“
Songlian nickte eifrig.
„Aber das kann nur der Chief entscheiden“, fuhr Cooper fort und zückte sein Handy.
„Kann ich einmal dein Wohnzimmer als Telefonzelle benutzen?“
„Bitte. Nur zu.“
Cooper ging hinaus, um ungestört Chief Morlay anzurufen. Nach zehn Minuten unbehaglichen Schweigens im Schlafzimmer kehrte er wieder zurück.
„Du sollst Walker heute um fünfzehn Uhr ins Revier bringen.“
„Und in der Zwischenzeit?“, fragte Far ungehalten.
„In der Zwischenzeit darfst du hier auf ihn aufpassen.“
Als Far leise fluchte, lächelte Cooper lediglich freundlich und gab Joey einen Wink.
„Komm, Joey, wir haben noch Schlaf nachzuholen.“
„Coop, warte! Was ist mit seinen PSI-Kräften?“ Far wagte einen letzten verzweifelten Einwand.
„Sieh ihm lieber nicht zu tief in die Augen, wenn du ihm einen Gute-Nacht-Kuss gibst.“
„Und ich dachte, Joey wäre der Spaßvogel.“
Cooper drehte sich an der Tür um.
„Hör mal, wenn dir das zu viel wird, dann wirst du eben das Kissen und den Staubsauger bemühen müssen. Schlaf gut, Far.“ Sprach’s und verschwand zusammen mit Joey.
Langsam drehte sich Far zu Songlian um und musterte ihn finster. Die bernsteingelben Augen sahen ihn spöttisch an.
„Bitte nicht den Staubsauger …“
Mit einem Ruck wandte sich Far ab und ließ den Vampir allein im Schlafzimmer zurück. Cooper als Komiker reichte ihm.
Einige Zeit verbrachte Far im Wohnzimmer, wo er aus dem Fenster starrte, um sich wenigstens ein bisschen zu sammeln. Joey und seine ungeheuerlichen Vorschläge! Eine Berührung an seinen Beinen erregte schließlich seine Aufmerksamkeit. Far bückte sich und hob einen orangefarbenen Kater auf seine Arme. In einem Augenblick der Sentimentalität hatte er den Streuner bei sich aufgenommen und wurde dafür mit endloser Hingabe belohnt.
„Vielleicht kriege ich ja heute noch eine Mütze voll Schlaf. Was meinst du, Mister X?“
Der Kater schnurrte kurz und strampelte dann. Far setzte ihn wieder ab und Mister X lief schnurstracks in die Küche, wo er seinen Futternapf wusste.
Far hingegen kehrte ins Schlafzimmer zurück. Songlian sah ihm seltsam erleichtert an.
„Was? Was ist jetzt wieder los?“
„Ich dachte schon, du wärst ebenfalls gegangen.“
„Fürchtest du dich etwa alleine?“ Far drehte seinem Gefangenen den Rücken zu und begann seine Dienstkleidung auszuziehen. Die Doc Martens trat er unter das Bett, das zerrissene Hemd landete in einer Ecke. Hinter ihm blieb es überraschend still.
„Warum musstest du Joey unbedingt zustimmen?“, fragte Far mit gereizter Stimme.
„Zum wiederholten Male: Du gefällst mir.“
„Wie kannst du so etwas sagen? Du kennst mich nicht einmal. Außerdem töte ich deinesgleichen“, erklärte Far missmutig.
Songlian lachte leise.
„Ich habe doch bereits gesagt, dass ich dich eine Weile beobachtet habe, Baxter. Und vergiss nicht, dass ich ebenfalls …“ Er verstummte, als sich Far inzwischen seiner Hosen entledigte und in seinem Schrank nun nach einem Pyjama suchte, von dem er genau wusste, dass er ihn nicht besaß. Weil Songlian nicht weitersprach, drehte er sich zu ihm um. Der Vampir musterte Fars nackten Körper mit einer für die momentane Situation unpassend anerkennenden Miene. Far starrte Songlian entgeistert an, stieß dann einen Fluch aus und schnappte sich die Bettdecke, um sich darin einzuwickeln. Der Blick des Blutsaugers war jetzt eindeutig belustigt. Far war irritiert. Diese ganze Situation kam ihm inzwischen ziemlich bizarr vor.
„… ebenfalls Vampire töte“, brachte Songlian den Satz endlich zu Ende.
„Wieso starrst du mich so an?“
„Weil deine Haut von einigen Schlachten erzählt“, antwortete Songlian.
Im Laufe seines kurzen Lebens hatte Far bereits einige Schuss- und Stichverletzungen hinnehmen müssen.
„Das Leben ist eben nicht immer Zuckerbrot, Reißzahn.“
Einen Moment lang sahen sie einander lediglich an.
„Ich schlafe auf dem Sofa. Keine Tricks, Blutsauger.“
Songlian ruckte demonstrativ an den Handschellen.
„Keine Sorge. Wie denn auch?“, fragte er.
„Du würdest es sicherlich hören, wenn ich mich mitsamt deinem Bett vom Balkon stürze.“
Gegen seinen Willen musste Far nun doch grinsen. Der Bursche da hatte so etwas an sich, das ihn trotz allem irgendwie anzog. Etwas umständlich streckte sich Songlian auf dem Bett aus und schloss friedlich die Augen. Far raffte die Bettdecke um sich zusammen und wanderte auf nackten Sohlen ins Wohnzimmer zurück, wo er sich auf das Sofa warf. Seine DV8 schob er unter ein Kissen, um sie griffbereit zu haben. Wenig später fiel er in einen unruhigen Schlaf.
Es war bereits kurz nach dreizehn Uhr, als Far aufwachte. Er streckte sich und tappte gähnend in die Küche, um Teewasser aufzusetzen. Hinterher sah er nach seinem Gefangenen. Songlian schlief noch und zu Fars größter Verwunderung lag Mister X schnurrend wie eine Kettensäge neben dem Vampir gekuschelt auf dem Bett.
„Ich hielt dich für einen Menschenkenner. Auf Vampire trifft das scheinbar nicht zu, du Verräter“, flüsterte Far und hob den Kater auf den Fußboden. Dabei stieg ihm der Geruch von Sandelholz und Zimt in die Nase. Der Vampir sah nicht nur verflixt gut aus, er roch sogar angenehm. Far zuckte zurück, als wäre er bei etwas Verbotenem ertappt worden. Er schnappte sich eine Jeans aus dem Schrank und zog sie rasch an. Schließlich schob er die Balkontür auf, um ins Freie zu treten. Auf das Geländer gestützt schaute er sich um. Der Himmel versprach einen sonnigen Nachmittag, es war nicht eine Wolke am Himmel. Dafür wehte ein leichter Wind. Wie friedlich New York wirken konnte.
Far versuchte sich eine Zeit ohne Dämonen und ohne das Chaos, das sie verursachen konnten, vorzustellen. Es wollte ihm allerdings nicht so recht gelingen.
„Die Hölle ist ihnen zu eng geworden. Seitdem kreuzen sie in unserer Welt auf“, hatte der Chief einmal zu ihm gesagt. Die Dämonen tauchten wie Quälgeister in kleinen Gruppen aus den Portalen auf und fanden Vergnügen am sinnlosen Morden und Zerstören. Nichts wie tödliche Plagegeister. Dagegen waren diejenigen mit besonderer Vorsicht zu genießen, die über Intelligenz verfügten und denen es gelang, unerkannt in dieser Welt zu leben. Sie bedienten sich menschlicher Hüllen und ließen sich von wirklichen Menschen nicht unterscheiden. Über ihre Ziele konnte man nur Vermutungen anstellen.
Far empfand es als eine besondere Herausforderung, die Straßen von diesen Geschöpfen zu säubern. Er hatte sogar ein persönliches Interesse daran … Doch jetzt stand zu befürchten, dass er diese Jagd zusammen mit einem Vampir vornehmen sollte. Was wohl der Chief zu diesem Blutsauger und Joeys blödem Vorschlag sagen würde?
Hinter ihm erwachte Songlian, was der in Gedanken versunkene Far gar nicht bemerkte. Entzückt ließ der Vampir seinen Blick über Fars wohlproportionierten Körper, die breiten Schultern und die schmalen Hüften gleiten. In diesem Augenblick fuhr der Wind durch den wirren Schopf und spielte mit den halblangen, hellbraunen Strähnen, die in der Sonne einen goldenen Schimmer annahmen. Songlian dachte ein wenig verträumt an die stahlgrauen Augen und das schön geschnittene Gesicht des Officers. Tatsächlich war es nicht nur Fars Kampfstil gewesen, was den Vampir angezogen hatte. Es war weitaus mehr … Als er sich nun räusperte, fuhr sein unwilliger Wächter herum.
„Ausgeschlafen?“ Songlian wirkte direkt fröhlich.
Far fluchte nur, stapfte an ihm vorbei und begann in der Küche zu hantieren. Mit zwei Teetassen und einem Tablett voller Sandwiches kehrte er kurz darauf mit Mister X im Schlepptau zurück. Er knallte das Tablett lieblos auf einen Stuhl, ignorierte den überschwappenden Tee und schob den Stuhl bis an das Bett. Ein wenig zögernd zog er den Schlüssel zu den Handschellen sowie seine DV8 hervor.
„Dieses Mal ist sie nicht auf Betäubung geschaltet“, erklärte Far warnend und presste ihm die Mündung an die Schläfe. Songlian lächelte nur, rührte sich aber nicht. Far befreite ihm eine Hand und wich wachsam zurück.
Langsam richtete sich der Vampir auf und begrüßte Mister X, der auf das Bett gesprungen kam und sich gerne das Fell zerzausen ließ. Der Kater riss erneut die Kettensäge an und rollte sich zufrieden auf dem Laken zusammen. Da Far lediglich dastand und ihm und dem Kater misstrauisch zuschaute, nickte ihm Songlian auffordernd zu.
„Was?“ knurrte Far.
„Nun setz dich. Ich kann es nur wiederholen: Ich beiße nicht.“
Mit einem Seufzer steckte Far die DV8 in seinen Hosenbund und hockte sich an das Fußende des Bettes. Songlian rüttelte lächelnd an der Handschelle.
„Ich bin immer noch gefesselt, Baxter. Keine Gefahr. Entspann dich endlich mal.“
„In meinem Bett liegt ein Vampir und ich soll mich einfach entspannen“, brummte Far und angelte nach einer Teetasse.
„Greif zu“, bot er Songlian an.
„Leider habe ich keine Blutkonserve im Kühlschrank“, fügte er spitz hinzu.
„Sehr freundlich.“ Der Vampir grinste und schnupperte genießerisch am Tee.
„Deine Spezialmischung aus dem Laden um die Ecke?“, erkundigte sich Songlian arglos.
Beinahe hätte sich Far verschluckt.
„Seit wann spionierst du mir eigentlich hinterher?“, fragte er.
„Ein, zwei Monate waren es schon“, gestand Songlian und biss in eines der Eiersandwiches. Fast hätte er gespuckt.
„Igitt! Ist da Ketchup drauf?“
„So gut kennst du mich wohl doch nicht. Ich mache auf alles Ketchup“, brummte Far mit einem schadenfrohen Grinsen.
„Kulinarischer Sittenstrolch“, erklärte Songlian, aß das Sandwich aber trotzdem auf.
Während sie schweigend frühstückten, schaute Far immer öfter auf die Uhr. Sicherlich wollte er sich zu ihrem Termin bei seinem Vorgesetzten nicht verspäten. Als sein Handy klingelte, sprang er beinahe erleichtert auf.
„Aye“, meldete er sich. Eine Weile lauschte er stumm. Endlich sagte er: „Ist nicht nötig. – Nein, das bekomme ich hin.“ Er wandte sich zu Songlian um, der ihn aufmerksam beobachtete und aus seiner Miene zu lesen versuchte.
„Keine Sorge. Notfalls lege ich ihn um. – Bis später.“
Während Songlian grinste, ließ Far das Handy in der Hosentasche verschwinden.
„Iss auf. Ich bin gleich zurück.“ Er ließ ihn mit Mister X allein im Schlafzimmer, und Songlian konnte wenig später hören, wie die Dusche zu laufen begann. Für einen kurzen Moment erlaubte er sich die äußerst reizvolle Vorstellung eines nackten Fars unter der Dusche, dann aß er rasch ein weiteres Sandwich und trank seinen Tee aus. Er vertrug menschliche Nahrung zwar auch, aber sein Körper zog daraus keinerlei Nutzen. Vielleicht aber half es Far etwas über sein Unbehagen hinweg, wenn er sich nicht ganz wie ein Vampir benahm. Mister Xs Pfote tatschte nach Songlians weitem Hemdsärmel und wollte damit spielen.
„Hast du kein Wollknäuel?“, erkundigte sich Songlian sanft.
Der Kater schnurrte bloß und rollte sich auf den Rücken, damit ihm Songlian den Bauch kraulte.
„Lass das Pelzgesicht zufrieden. Es geht los.“ Far eilte mit einem Handtuch um die Hüften an Songlian vorbei und suchte sich aus dem Schrank ein sauberes Shirt und frische Socken hervor. Die straffen Muskeln seines Oberkörpers veranlassten Songlian eine Augenbraue in die Höhe zu ziehen, doch er setzte rasch eine neutrale Miene auf, als sich Far umdrehte. Der Officer schnappte sich das letzte Sandwich und verschwand kauend mit der Kleidung erneut im Bad. Als er zurückkehrte, hatte er sich bereits eine Lederjacke übergezogen.
„Keine Dienstkleidung?“
„Nein. Eigentlich wäre das heute mein freier Tag.“ Fars Miene zeigte deutlich, was er davon hielt, diesen Tag Songlian opfern zu müssen.
„Keine …“, fing er an.
„… Tricks. Ich weiß, ich weiß“, murmelte Songlian.
Far schloss die zweite Handschelle auf, während er mit der DV8 auf Songlian zielte. Im nächsten Moment flog die Waffe auf das Bett und Far erhielt einen heftigen Stoß vor die Brust. Er stolperte über den Stuhl und krachte unsanft zu Boden. Sofort hatte er seinen Dolch aus dem Gürtel gezogen und sprang auf die Füße. Als wäre nichts geschehen, stand Songlian mit dem Rücken zu ihm neben dem Bett. Seine Hände warteten darauf, erneut gefesselt zu werden.
„Was sollte das!“, brüllte Far wütend und brachte seine DV8 rasch an sich. Natürlich war er sauer, dass Songlian ihn überrumpelt hatte.
„Deine Waffe imponiert mir gar nicht“, erklärte Songlian jetzt ziemlich kühl über die Schulter hinweg.
„Ich habe versprochen, dich nicht anzugreifen. Könntest du mir nicht wenigstens ein bisschen vertrauen?“
„Du tickst ja wohl nicht richtig? Nach der Aktion eben soll ich dir vertrauen? Vertrauen ist etwas, was man sich verdienen muss, Blutsauger. Das verschenkt man nicht so einfach an ungewollte Besucher.“
Verärgert drehte sich Songlian zu ihm um.
„Ich habe einen Namen, Far Baxter“, sagte er mühsam beherrscht, da er direkt in die Mündung der DV8 blickte. Eine Weile starrten sie einander nur an.
„Wir müssen endlich losfahren“, erklärte Far mit einem Knurren in der Stimme. Artig drehte ihm Songlian erneut den Rücken zu und hielt ihm die Hände hin. Dieses Mal schlossen sich die Handschellen um seine Gelenke.
Auf dem Weg zur Tiefgarage schwiegen sie. Far grollte Songlian noch immer. Hätte der Vampir tatsächlich feindliche Absichten gehegt, wäre er jetzt zweifellos tot gewesen. Seitdem dieser Songlian aufgetaucht war, ging irgendwie alles drunter und drüber. Kurz vor der Tiefgarage blieb er plötzlich stehen. Sein Rücken schien zu kribbeln und er fühlte sich auf einmal unwohl in seiner Haut. Auch Songlians Augen hatten sich merklich verengt, und er ließ seinen bernsteingelben Blick aufmerksam durch das Treppenhaus und dem Eingang zur Tiefgarage gleiten.
„Hier stimmt etwas nicht“, murmelte der Vampir. Seine Muskeln waren reaktionsbereit gespannt.
„Wir werden beobachtet“, stimmte ihm Far zu. Offensichtlich funktionierten seine Fähigkeiten doch noch. Sein Gefangener spitzte die Ohren und schaute sich weiter unbehaglich um.
„Dämonen“, stellte er fest.
„Ich kann hören, wie sich ihre Schuppen aneinander reiben. Hast du jemanden verärgert, Baxter, oder warum wartet hier ein Empfangskomitee auf dich?“
Auch Far hatte nun einige verstohlene Bewegungen in ihrer Nähe bemerkt. Unauffällig entsicherte er seine DV8, ohne auf Songlians Frage einzugehen.
„Mach mich los“, forderte Songlian unvermittelt. Far starrte ihn an, als hätte er einen Irren vor sich.
„Wenn du mich schon mit in eine Auseinandersetzung hineinziehst, will ich von den Kerlen wenigstens nicht wehrlos abgeschlachtet werden, Baxter“, zischte der Vampir.
„Du hast diesen Empfang also nicht organisiert?“, wollte Far misstrauisch wissen.
„Beim Blut! Vampire und Dämonen hassen sich. Schon vergessen? Ich jage diese Schweine selber.“ Angesichts dieser Unterstellung schien sich Songlian wirklich zu ärgern.
Abschätzend musterte Far seinen Gefangenen für die Dauer eines Herzschlags, bevor er ihm ohne einen weiteren Kommentar die Handschellen aufschloss. Zu Songlians größter Verwunderung reichte ihm Far auch einen seiner Dolche. Eine zweite Klinge lockerte Far in seinem Gürtel, ließ sie aber erst einmal stecken, um die Dämonen nicht gleich mit der Nase darauf zu stoßen, dass sie auf einen Angriff vorbereitet waren.
„Auf ins Vergnügen.“ Mit einem Lächeln betrat der Vampir als Erster die stille Tiefgarage. Dunkelheit und Kühle empfing sie. Aufmerksam lauschend gingen sie langsam und auf einen Angriff wartend an einer Reihe geparkter Wagen vorbei. Far konnte hinter sich ein leises Scharren von Krallen auf Beton hören, als ihnen die Dämonen nachschlichen. Seine Nackenhärchen stellten sich auf. Die Bewegung bemerkte er aus den Augenwinkeln und er fuhr herum, um der Attacke zu begegnen. Mit einer fließenden Bewegung hatte er die DV8 gezogen und sofort geschossen. Zwei Dämonen verwandelten sich in schmierige Asche. Auch Songlian reagierte augenblicklich. Er stand nur einen Schritt von Far entfernt und deckte dessen Rücken. Die Dämonen griffen nun von allen Seiten an, konnten aber den schnellen Bewegungen des Vampirs kaum folgen. Der führte die scharfe Dolchklinge gekonnt und äußerst wirksam, sodass sie rasch drei Gegner weniger hatten. Far schoss ein weiteres Mal und löschte damit einen der Angreifer aus. Dann jedoch wurde Far die Waffe aus der Hand geschlagen. Sie fiel genau zwischen seine Füße, aber er bekam keine Gelegenheit, um sich danach zu bücken. Also musste er auf seinen zweiten Dolch zurückgreifen. Zu seiner Überraschung passte sich Songlian seinem Kampfstil flüssig an und harmonierte derartig gut mit Far, dass die Dämonen einfach nicht durchbrechen konnten. Nun musste er sich gleich zweier Angreifer erwehren und es gelang einem der Unterweltler, ihm einen heftigen Hieb gegen den Kopf zu verpassen. Far taumelte gegen Songlians Rücken, fing sich aber gleich wieder und rammte den Dolch tief in die Brust des Dämons. Er verfehlte das Herz der Kreatur und sie spuckte ihm hasserfüllt schleimigen Speichel entgegen, der Far mitten ins Gesicht traf.
„Einen schönen Gruß von Ooghi“, fauchte der Dämon hämisch.
Far schrie auf. Sein Kopf schien vor Schmerz zu explodieren und für einen Moment war er völlig blind. Er fühlte Stahl an seinem Gesicht vorbeisausen, als Songlians Waffe seine beiden Gegner erledigte, und roch den stinkenden Ascheregen, als sich die Dämonen auflösten. Auf einmal herrschte Stille. Far hob vorsichtig den Arm zu seinen Augen empor, die er immer noch fest zusammenkniff.
„Warte!“ Songlians Hand hielt ihn auf.
„Nicht wischen“, warnte er und kramte ein Tuch aus seiner Hosentasche. Behutsam entfernte er den Speichel aus Fars Gesicht. Der hielt folgsam still und bewegte nicht einen Muskel. Zum ersten Mal in seinem Leben berührte ihn ein Vampir in einer völlig hilflosen Lage. Inständig hoffte er, dass Songlian seine plötzliche innere Anspannung nicht spürte.
„Kannst du sehen?“, fragte der Vampir und zog das Tuch fort.
Blinzelnd öffnete Far die Augen. Songlians Gesicht befand sich unerwartet dicht an seinem, und Far zuckte jäh zurück. Der Vampir grinste spöttisch und ging ein wenig auf Abstand.