Blutmagie - Jeanette Lagall - E-Book

Blutmagie E-Book

Jeanette Lagall

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Beschreibung

Die Erschaffung des Wunschsteins hat von den Vampiren einen fürchterlichen Preis gefordert. Während die Folgen sich bei Raoul erst nach und nach zeigen, übernimmt Daniels dunkle Seite sehr bald die Kontrolle. Auch bei Mathilda hat der Zauber Spuren hinterlassen. Zwar konnte sie aus ihrem magischen Schlaf erweckt werden, doch es steckt noch immer ein Stück ihrer Seele in dem Stein. Die einzige Möglichkeit, die Vampire zu retten und Mathildas Seele zu befreien, besteht darin, den Wunschstein zu zerstören. Doch wie kann man etwas Unzerstörbares vernichten? Als dann noch ein unbekannter, aber mächtiger Gegner hinter ihrem Rücken den Stein an sich reißt, müssen die Freunde handeln. Doch das hat Auswirkungen auf alle im Schloss der Schatten ... Dies ist der dritte Band der Serie. Zum besseren Verständnis der Handlung, und um sich nicht selbst um eine dicke, fette Überraschung zu bringen, empfehle ich, mit dem ersten Band "Schloss der Schatten - Blut ist dicker als Wasser" zu beginnen.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Jeanette Lagall

Schloss der Schatten

Blutmagie

 

 

Schloss der Schatten

 

Vorgeschichte – Blutiger Schwur (ebook) Nur über meine Homepage

Band 1 – Blut ist dicker als Wasser

Band 2 – Hexenblut

Band 3 – Blutmagie

Band 4 – Der Geschmack von Blut (Voraussichtlich Frühjahr 2025) Novelle »Gesang des Blutes« (erscheint kurz nach Band 4)

 

 

 

 

Jeanette Lagall

Mildred-Scheel Str. 1

50996 Köln

[email protected]

 

Text: © Jeanette Lagall 2022

Lektorat: Martina Suhr

Korrektorat: Jana Oltersdorff

Covergestaltung: Carolin Liepins

Innengrafiken: Pixabay

 

3. Auflage März 2025

 

Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, wozu auch die Verbreitung über »Tauschbörsen« zählt.

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.

 

 

 

 

 

Jeanette Lagall

 

 

 

 

Schloss

der

Schatten

 

Blutmagie

 

 

 

 

 

~ Band 3 ~

 

 

 

 

~~~

 

Für meine Leserinnen und Leser:

 

Natürlich ist euch prinzipiell ohnehin jedes Buch gewidmet.

Aber dieses ganz besonders, da ihr so lange darauf warten musstet.

 

Für Raoul:

 

„Jeder Mensch begegnet einmal dem Menschen seines Lebens,

aber nur wenige erkennen ihn rechtzeitig.“

(Gina Kaus)

 

Für Daniel:

 

„Zu leben, ohne zu lieben, ist kein richtiges Leben.

Nimm dem Leben die Liebe, und du nimmst ihm sein Vergnügen.“

(Molière)

 

~~~

 

  Inhaltsverzeichnis

 

Wiedersehen

Doppelsnack

Naiv

Gidumek

Stimmungsschwankungen

Sturm

Vorausschauende Faune

Unerwünschter Besuch

Schwierigkeiten

Eifersucht

Schwertgeist

Ein Magier in Koblenz

Wer bist du?

Einbrecher

Kleider machen Leute

Nicht aus freien Stücken

Wer ist BigWolf86?

Jahrmarkt

Ein Hauch von Hexe

Dämonenbeschwörung – bloß warum?

Shoppingauftrag

Pass auf, was du dir wünschst

Magische Veränderungen

Suchzauber

Eigeninitiative

Fette Beute

Gebrochenes Herz

Die Geister, die du riefst

Moralische Standards

Diebstahl

Heilkräfte

Gedächtnisschwund

Wurzeln und Dämonendukaten

Ein neuer Mensch

Das Geheimnis des Sonnenlichts

Toiboi

Wie holt man ein Avido Optatum zurück?

Botanische Pläne

Blutmagie

Beherztes Eingreifen

Wunschkonzert

Der Eigentümer der Kräfte

Anhang

 

  

 

Wiedersehen

   

 

Jérémie? Was …

Raoul starrte Mathilda entgeistert an, doch bevor es ihm gelang, einen klaren Gedanken zu fassen, bemerkte er, wie sich zunächst Enttäuschung auf dem Gesicht seiner Frau ausbreitete, ehe sich ihre Miene wieder verschloss.

Sie senkte den Blick und sackte auf dem Wohnzimmersofa in sich zusammen. »Bitte verzeihen Sie, für einen Moment dachte ich … Ich habe Sie für jemand anderen gehalten.«

Sie?

...

Für jemand anderen?

In Raouls Geist stolperten sich überstürzende Gedanken wild übereinander, nur um im nächsten Moment von einer Leere biblischen Ausmaßes hinweggefegt zu werden. Hilfesuchend tauschte er einen Blick mit dem Mathilda gegenübersitzenden Daniel, allerdings wirkte der ebenso verständnislos wie er selbst.

Ohne Vorwarnung explodierte eine weitere Horde marodierender Gedanken in seinem Geist, zerriss die Leere und gebar aus ihren Überresten Ableger, deren Sinnlosigkeit Raoul fast wahnsinnig machte.

Wahre gefälligst deine Contenance, sonst beunruhigst du am Ende noch deine Frau!, wies er sich zurecht.

Die dich offenbar nicht einmal erkennt!, stichelte ein höhnisches Stimmchen, das er hastig ausblendete.

Der Vampir schloss die Augen, atmete tief durch und zwang das Durcheinander in seinem Kopf zur Ruhe. Was hatte er eigentlich erwartet? Mathilda war verwirrt. Kein Wunder, schließlich war sie gerade erst aus einem über hundert Jahre dauernden Zauberschlaf erwacht! Da konnte niemand erwarten, dass sie sich sofort zurechtfand.

Raoul ignorierte die Kälte, die sich in seinem Inneren ausbreitete, und bewegte sich vorsichtig ein paar Schritte auf seine Frau zu. Scheu hob sie den Blick, schien aber zumindest keine Angst vor ihm zu haben. Daher näherte er sich weiter und ging langsam vor ihr in die Hocke, jedoch ohne sie zu berühren – auch wenn alles in ihm danach schrie, sie endlich in seine Arme zu ziehen. Er kämpfte den Impuls nieder, ihr wunderschönes Gesicht mit seinen Händen zu umfassen und seine Finger durch die hüftlange Flut ihrer goldenen Haare gleiten zu lassen. Keinesfalls durfte er jetzt etwas überstürzen. Obwohl es ihn fast umbrachte, nicht mit seinem Mund über ihre unwiderstehlichen Lippen zu streichen, um Erinnerung für Erinnerung aus ihrem Gedächtnis hervor zu küssen und ihr zu zeigen, wie sehr sie ihm gefehlt hatte. Aber er wollte sie nicht erschrecken, daher sagte er nur behutsam: »Mathilda, ich bin es, Raoul.«

Nach all der Zeit endlich wieder ihr Herz schlagen zu hören! Ihren betörenden Duft zu riechen, überhaupt, sie so warm und lebendig vor sich zu sehen, überwältigte ihn. Das hier war ein Wunder. Wie lange hatte er sich nach diesem Augenblick gesehnt! Wie oft gefürchtet, ihn niemals erleben zu dürfen.

Mathildas blaue Augen, die Daniels so ähnlich waren, musterten ihn intensiv, ertasteten sein Gesicht wie die Finger eines Blinden, der die Person dahinter mit seinen verbliebenen Sinnen erspüren wollte. Eingehend studierte sie seine Züge, während es in ihrer Miene arbeitete. Schließlich runzelte sie die Stirn und schüttelte bedauernd den Kopf. »Es tut mir leid, aber ich kenne keinen Raoul.«

Ein Pflock direkt ins Herz hätte keine ernüchterndere Wirkung auf ihn haben können. Und keine schmerzhaftere.

Nein.

Sein Innerstes gefror, und dennoch brannten sich ihre Worte durch sein Herz wie glühender Stahl. Trotzdem zwang Raoul sich, rational zu bleiben. Es war alles in Ordnung, das hier war vollkommen normal. Mathilda brauchte einfach Zeit, sich in Ruhe an alles zu erinnern. Sie war doch gerade erst aufgewacht! Er durfte sie nicht drängen, musste sich bloß noch ein wenig gedulden.

Mit einem stummen Seufzen auf den Lippen wollte er sich gerade erheben, als Mathilda ihre Hand auf seinen Arm legte und ihn besorgt musterte. Obwohl das Nichterkennen in ihrem Blick schmerzte wie eine offen ausgesprochene Zurückweisung, verdrängte ihre Berührung die Kälte in seinem Inneren und zog ihn an wie ein flackerndes Kaminfeuer einen durchgefrorenen Wanderer. Als hätte sie direkt nach seinem Herzen gegriffen.

»Es tut mir wirklich sehr leid. Ich sollte Sie kennen, nicht wahr?« Ihr Blick intensivierte sich und wanderte erneut prüfend über Raouls Gesicht.

Hoffnung keimte in ihm auf. Womöglich würde sie ihn jetzt erkennen? Daher hielt er still, auch wenn ihn seine Ungeduld fast um den Verstand brachte. Nachdem Mathilda ihn eindrücklich gemustert hatte, bezog sie auch Daniel in ihre Betrachtung mit ein, kniff schließlich die Augen zusammen und legte nachdenklich den Kopf schief.

»Sie sehen meinem Sohn bemerkenswert ähnlich. Sind Sie eventuell ein Verwandter? Möglicherweise ein Cousin ersten Grades?«

Raoul senkte blitzschnell die Lider und drehte den Kopf zu Daniel, damit sie das aufflackernde Rot in seinen Augen und die sich ins Vampirische verändernden Züge nicht sehen konnte. Mit diesem Anblick wollte er sie wirklich nicht konfrontieren, aber wegen der starken Emotionen konnte er die Verwandlung zum Vampir nicht mehr kontrollieren. Während er gegen die Transformation ankämpfte, suchte er Daniels Blick. Wenn er doch bloß wüsste, was sein Sohn Mathilda bereits erzählt hatte! Aber dieser schüttelte nur unmerklich den Kopf.

Wahrscheinlich hatte er recht. So sehr Raoul darauf brannte, es war noch zu früh, seine Frau mit der ganzen Wahrheit zu konfrontieren. Im Moment hatte sie wahrhaftig mehr als genug zu verarbeiten. Zumal die Tatsache, dass er kaum älter als sein eigener Sohn aussah, hochgradig verwirrend und erklärungsbedürftig war – selbst wenn sie Raoul als ihren Mann erkannt hätte.

Er drängte den Vampir zurück, wandte sich Mathilda zu und lächelte sie an, ungeachtet der Enttäuschung, die ihn zerfraß, und der Kälte, die sich erneut in seinem Inneren ausbreitete.

»Nein, kein Cousin. Es ist nicht wichtig, wer ich bin. Mach dir keine Sorgen, die Erinnerung wird schon wiederkommen. Es ist alles nur etwas viel für dich im Moment.« Er legte seine Hand auf ihre und drückte sie beruhigend. »Da wir uns jedoch kennen, bitte ich dich lediglich, das störende ›Sie‹ wegzulassen. Mein Name ist Raoul.«

Das vertrauensvolle Lächeln, das sie ihm daraufhin schenkte, versetzte seinem Herzen einen schmerzlichen Stich.

»Das werde ich sehr gern tun. Und ich bitte nochmals um Verzeihung, es ist tatsächlich alles ein wenig viel für mich.«

Erneut drückte er ihre Hand. »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, es ist alles in Ordnung.« Nur widerwillig löste er sich von ihr und stand auf.

Einerlei, wie sehr er sich einzureden versuchte, dass es für Mathildas Amnesie einen guten Grund gab, es schmerzte höllisch, dass sie sich nicht mehr an ihn erinnerte. Obwohl er es ihr kaum verdenken konnte. So wie er sich ihr gegenüber damals verhalten hatte … An ihrer Stelle hätte er sich auch schnellstmöglich vergessen.

Doch neben der abgrundtiefen Enttäuschung spürte er plötzlich etwas, das ihm, zumindest in Bezug auf Mathilda, vollkommen fremd war: den unwiderstehlichen Drang, ihr seinen Willen aufzuzwingen. Er wollte ihr seine Zähne in den Hals schlagen, ihr Blut trinken und ihrem Geist die verschütteten Erinnerungen nicht nur entreißen, sondern sie durch solche ersetzen, die ihn selbst als perfekten Ehemann erscheinen ließen. Und dann wollte er sich Mathilda mit Haut und Haaren gefügig machen. Raoul erschrak vor sich selbst. Er würde niemals …

Aurica …

Er schüttelte den Gedanken schnell wieder ab. Dafür, sich Aurica gefügig zu machen, hatte es einen ganz bestimmten Grund gegeben – und er bedauerte den Vorfall schon zur Genüge. Aber seine Manipulation war eine Art Notwehr gegen den Bann gewesen, den Malwine über ihn verhängt hatte. Letztendlich hatte alles nichts geholfen, denn das Avido Optatum war doch erschaffen worden, wenn auch nicht durch seine Hand. Sich jedoch Mathilda gefügig machen zu wollen, dafür gab es keine Entschuldigung. Dieses Verlangen entsprang lediglich einem unmenschlichen Egoismus.

Unmenschlich. Genau das war der Punkt. Zur Erschaffung des Avido Optatums war nicht nur ein Teil von Mathildas Seele und Daniels Lebensglück notwendig gewesen, sondern auch ein Stück seiner eigenen Menschlichkeit. Darüber hatte er sich bisher keine großen Gedanken gemacht, aber sollte ihn diese reduzierte Menschlichkeit zu solchen Handlungen verleiten, musste er zukünftig sehr auf der Hut vor sich selbst sein. Denn so abstoßend seine Idee, sich seine Frau auf diese Weise gefügig zu machen, auf der einen Seite für ihn war, so einleuchtend und logisch erschien sie ihm auf der anderen.

Noch immer sah Mathilda ihn voller Bedauern und Scham über ihr mangelndes Erinnerungsvermögen an. Er wusste genau, dass sie sich, trotz seiner beruhigenden Worte, nun Vorwürfe machte und sich den Kopf darüber zerbrach, ob sie ihn womöglich gekränkt hatte. Das sollte sie nicht. Doch so war sie nun einmal. Am liebsten hätte er seine Frau in seine Arme gezogen und ihr all diese unnötigen Gedanken weggeküsst. Aber ein Blick in ihre Augen hielt ihn davon ab. Sie waren nicht stumpf oder leer, was nach einem so langen Zauberschlaf nicht überraschend wäre, oh nein, ganz im Gegenteil. Sie waren voller widerstreitender Gefühle, spiegelten ihre Verwirrung ebenso wider wie die Reue ob ihrer Erinnerungslücken, aber auch ein kindliches Staunen über diese ganze Situation und unermessliche Neugierde lagen darin. Und das beschrieb es nicht einmal ansatzweise. Mathildas Augen waren voller Leben, voller Emotionen, voller Seele. Einzig der Funke des Erkennens fehlte.

Raoul konnte die unverbindliche Höflichkeit in ihrem Blick nicht länger ertragen. Er musste dringend hier raus, möglichst, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Daher schenkte er ihr ein aufmunterndes Lächeln und erklärte betont leutselig: »Ich werde euch beide dann mal wieder allein lassen. Ihr habt gewiss noch viel zu erzählen.« Er verneigte sich kurz vor Mathilda. »Wir werden in den nächsten Tagen noch genug Gelegenheit haben, uns zu unterhalten. Aber jetzt erst einmal willkommen zurück! Du ahnst nicht, wie sehr ich mich freue, dass du wieder hier bist.«

»Vielen Dank, … Raoul«, antwortete sie freundlich, aber zögerlich – und mit einer wohlerzogenen Reserviertheit, die nicht unbeträchtlich an seiner Selbstbeherrschung zerrte. Er war froh, als er die Tür erreichte, um endlich dieses Zimmer verlassen zu können. Dabei hörte er, wie Daniel sich bei seiner Mutter entschuldigte und ihm folgte. Noch bevor Raoul an der Haustür angelangt war, hatte er ihn eingeholt und sah ihn mit kaltem Blick an.

»Tja, ich würde sagen, dein glorreicher Plan ist gründlich in die Binsen gegangen, Papileinchen. Der ganze Aufwand, und sie erinnert sich nicht einmal an dich. Wie ärgerlich.« Die Stimme des blonden Vampirs troff vor Hohn, obwohl er nur sehr leise sprach, damit Mathilda ihn nicht hören konnte.

Raoul atmete tief durch. Der Verlust seines Lebensglücks setzte Daniel stark zu, und Raoul konnte kaum ertragen, ihn in diesem Zustand zu sehen, für den er sich verantwortlich fühlte. Auch wenn er sich letztendlich für seinen Sohn und gegen Mathilda entschieden hatte, war es zu spät gewesen, und sein schlechtes Gewissen ihm gegenüber brachte ihn fast um. Er konnte Daniels Zorn nur zu gut verstehen.

Ach, wenn es nur Zorn wäre! Den war er von seinem eigen Fleisch und Blut gewohnt, den hatte er sich auch gründlich verdient, und damit konnte er umgehen. Was Raoul zu schaffen machte, war die deutlich sichtbare Hoffnungslosigkeit dahinter, die Daniel mit seinem aggressiven Verhalten zu verbergen suchte. Raoul wollte sich gar nicht ausmalen, wie dieser sich mit dem Wissen fühlen musste, nie wieder Glück oder auch nur den leisesten Hauch von Freude empfinden zu können. Und das hatte allein er, Raoul, zu verantworten. Dennoch überstieg eine Auseinandersetzung mit seinem Sohn momentan seine Kräfte. Raoul riss sich zusammen und begegnete dem kalten, blauen Blick mit so viel Arroganz wie möglich.

»Deine Mutter ist gerade erst aufgewacht und durcheinander. Ihr vorübergehender Gedächtnisverlust ist nun wahrhaftig nichts, was mir übermäßig Sorgen bereitet, Söhnchen.«

»Wirklich? Nur zu schade, dass da gleich zwei Denkfehler im letzten Satz sind.«

»Ich habe keine Lust auf deine Spielchen.« Raoul wandte sich zum Gehen.

»Vorübergehend und Gedächtnisverlust.«

Irgendetwas in Daniels Tonfall veranlasste ihn, sich wieder umzudrehen.

»Nein, warte.« Daniel legte einen Finger an die Nase, als müsse er nachdenken. »Es ist nur ein Denkfehler. Ersetze vorübergehend einfach durch selektiv. Oh! Und nichts durch etwas. Dann ist deine Aussage korrekt. Zu dumm, es bleibt doch bei zwei Irrtümern in dem Satz. Mein Fehler.«

»Geht das auch in verständlich?«, knurrte Raoul. Die Kälte in seinem Inneren, die die ganze Zeit vor sich hin geschwelt hatte, loderte erbarmungslos wieder auf.

»Sicher. Hier die Übersetzung für die geistig nicht ganz so Schnellen: Mathilda ist vollkommen klar. Sie erinnert sich an alles. An ihren Namen, wer sie ist, wo sie herkommt, an unser Haus in Frankreich, an mich … eben an alles. Offenbar nur nicht an dich. Lässt doch tief blicken, od...«

Weiter kam er nicht, da Raoul ihn an der Kehle packte und gegen die gegenüberliegende Wand schleuderte. »Hör auf zu lügen!«, zischte er, immerhin noch so weit Herr seiner Sinne, dass er nicht laut wurde. »Sie erinnert sich an gar nichts!«

Doch Daniel fing sich elegant vor der Wand ab, grinste ihn lediglich an und schlenderte wieder langsam auf ihn zu.

»Jérémie?«, fragte er lauernd.

Zunächst verstand Raoul nicht, bis ihm die Erkenntnis ihre Krallen in den Rücken schlug und ihn zum Taumeln brachte. Mathilda hatte ihn im ersten Moment für Jérémie gehalten. Wenn sie sich aber an Jérémie erinnern konnte, dann bedeutete das gleichzeitig, dass sie sich auch an andere Menschen und Begebenheiten erinnerte. Nur ihn selbst hatte sie vorhin ganz eindeutig nicht wiedererkannt.

Die sengende Kälte in Raouls Inneren flammte zu einem arktischen Tsunami empor, schlug über ihm zusammen und drohte, ihn hinwegzureißen. Was zum Teufel hatte Carsten, dieser diebische Werwolf, getan, dass Mathildas Gedächtnis nicht vollständig war? Hastig riss er die Tür auf und stürmte hinaus in die Nacht. Er brauchte Antworten. Sofort. Und wenn dafür jemand sterben würde.

Ein Stück vom Haus entfernt hielt er abrupt inne. War Mathilda bei Daniel überhaupt sicher? Immerhin war sein Sohn wegen des Opfers, das die Erschaffung des Avido Optatums verlangt hatte, nicht mehr ganz er selbst. Allerdings bezogen sich der Zorn und die Kälte, die Raoul in Daniels Augen gesehen hatte, allein auf ihn. Daniel würde seiner Mutter niemals mit dieser Boshaftigkeit begegnen. Er hasste zwar seinen Vater, aber er liebte seine Mutter. Obwohl er selbst noch ein Kind gewesen war, hatte er sich nach Raouls Tod um sie gekümmert und sie beschützt, wo immer er konnte. Daran würde ihn auch seine jetzige Verfassung nicht hindern.

Mit Schaudern erinnerte sich Raoul hingegen an seine eigenen Gedanken eben. Nein, bei Daniel war sie vermutlich sicherer als bei ihm selbst. Immerhin war sein Sohn nicht derjenige, der seine Menschlichkeit eingebüßt hatte.

 

Doppelsnack

   

 

Raoul beschloss, sich gar nicht erst mit seinem Auto aufzuhalten, sondern schaltete direkt auf Vampirgeschwindigkeit und fand sich nur wenige Augenblicke später vor der Werewolves Bar wieder.

Parkplatz und Straße standen voller Fahrzeuge, eine Traube Raucher tummelte sich vor der Tür, und aus dem Inneren des Gebäudes wummerten ihm harte Bässe entgegen.

Verdammt, er hatte ganz vergessen, dass es Freitagnacht war. Raoul wusste die genaue Uhrzeit nicht, aber seit dem Kampf im Keller mussten etliche Stunden vergangen sein. Carsten und seine zwei überlebenden Spießgesellen waren zwischenzeitlich sicher längst aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht und würden mit ihren Brummschädeln kaum in einem Club sitzen, aus dessen Lautsprechern ihnen die Beats um die Ohren tosten. Wegen des laufenden Betriebs konnten sie sich auch nicht um die Toten kümmern. Nein, in den nächsten Stunden würde er hier von der Bande keinen antreffen.

Aus einem Impuls heraus wollte Raoul sich direkt zu Carstens Wohnung aufmachen. Wenn jemand von den Wölfen über die Erschaffung des Avido Optatums und ihre Auswirkungen Bescheid wusste, dann dieser größenwahnsinnige Installateur, auch wenn der Bursche nicht gerade den allerhellsten Eindruck auf ihn gemacht hatte.

Doch Raouls Plan hatte einen gravierenden Fehler: Da ihn keiner eingeladen hatte, würde er Carstens Wohnung nicht betreten können. Lästig. Raoul ballte die Fäuste und hielt sich nur mit Mühe davon ab, seinen Frust an dem Auto neben ihm auszulassen. Oder dem nächsten Baum. Oder den Rauchern vor der Tür. Egal. Am liebsten natürlich an Carsten sowie dessen Wohnungseinrichtung. Aber genau das ging ja aus den bekannten Gründen nicht. Hach, mitunter waren diese Einschränkungen, denen ein Vampir unterlag, wahrhaftig nervtötend! Andererseits zwang ihn niemand außer seiner desolaten inneren Verfassung, in blinden Aktionismus zu verfallen. Raoul fuhr sich durch die Haare und atmete tief durch. Es wurde wirklich Zeit, dass er wieder einen klaren Kopf bekam. Die nächsten Schritte mussten wohldurchdacht und sinnvoll sein, anstatt blindlings draufloszustürzen!

Ein Windhauch trug den Geruch der Menschen vor dem Club zu ihm und fachte dadurch seinen Blutdurst an. Sein letztes Mahl war zwar noch nicht lange her, aber sein Körper hatte vor Kurzem auch erst massive Verletzungen heilen müssen. Obendrein befand sich nach wie vor Hexenblut – Auricas Blut – in seinem Organismus, das ihn zusätzlich durstig machte. Die Menschen hier präsentierten sich wie auf dem Silbertablett …

Nein. Er traute sich im Moment selbst nicht über den Weg, und in der Werewolves Bar hatte es schon zu viele Tote gegeben. Am besten, er verschwand so schnell wie möglich. Vielleicht sollte er Carsten aus dem Bett klingeln und ihn zwingen, ihn in die Wohnung zu lassen – oder selbst herauszukommen. Dann bekäme er Informationen und könnte gleichzeitig seinen Durst löschen. Das kräftige Werwolfsblut käme ihm gerade recht.

Ein bösartiges Lächeln huschte über Raouls Gesicht, während er ein Stück die Straße entlangwanderte. Sehr verlockend. Allerdings könnte der Lärm unerwünschte Zeugen herbeirufen. Schließlich war ein Werwolf kein wehrloses Opfer, sondern ein ernstzunehmender Gegner, den er nicht kampflos überwältigen konnte. Wobei er gegen einen ordentlichen Kampf im Moment nichts einzuwenden hätte.

Nein. Um Carsten würde er sich morgen in Ruhe kümmern. Auch wenn alles in ihm danach drängte, schnellstmöglich herauszufinden, warum sich Mathilda nicht an ihn erinnerte und was er dagegen tun konnte.

Benita! Raoul blieb stehen und schlug sich an den Kopf. Er sollte zu Benita gehen! Warum war ihm das nicht gleich eingefallen? Die alte Gestaltwandlerin würde ihm vermutlich sogar eher sagen können, was mit Mathilda geschehen war, als dieser ahnungslose, pelzige Dilettant. Dummerweise war es schon ziemlich spät.

Na, wunderbar. Benita wäre sicher begeistert, wenn er sie zu nachtschlafender Zeit aus dem Bett klingelte. Frustriert trat er gegen die Straßenlampe vor ihm, die daraufhin bedenklich in Schieflage geriet und erlosch. Nein, so schwer es ihm auch fiel, er würde sich gedulden müssen. Gedankenverloren schob Raoul den Laternenpfahl in die Senkrechte.

Er musste dringend seine Gedanken sortieren und herausfinden, was er jetzt am besten tun sollte. Also kehrte er zum Club zurück und lief langsam die schmale Straße entlang, die an der Werewolves Bar vorbei in Richtung Wald führte.

Plötzlich drang ein erstickter Laut an sein Ohr. Er horchte auf, aber das Geräusch wiederholte sich nicht. Bei all dem Lärm, den die Raucher vor der Tür des Clubs veranstalteten, war es schwierig, Geräusche zuzuordnen, doch sein empfindliches Vampirgehör hatte dennoch etwas vernommen. Aufgefallen war es ihm allerdings nur, weil der Laut nicht in die Geräuschkulisse dieser Umgebung passte.

Er ließ die Straße hinter sich und ging ein Stück in den Wald hinein. Da war es wieder. Genug, um einen Verdacht in ihm aufkeimen zu lassen, und vor allem genug, ihm die Richtung zu weisen.

So dauerte es nicht lang, bis ihm ein gedämpfter Lichtschein auffiel und ihm eine entsprechende Witterung in die Nase stieg. Saurer Schweiß, Geilheit und ein gewisses Machtgefühl gepaart mit Vorfreude bei der einen Person, panische Angst, Hilflosigkeit und grenzenlose Verzweiflung bei der anderen. Auch wenn die letzten drei Gefühle den Dämon in ihm durchaus ansprachen, stieß die Ursache dafür Raoul zutiefst ab.

Er beschleunigte seine Schritte noch einmal und erreichte kurz darauf eine Stelle im Unterholz, fernab aller Wege. Allerdings musste er den ersten Eindruck seiner, zugegeben nicht sehr gründlich aufgenommenen, Witterung revidieren. Es handelte sich nicht um zwei Menschen, sondern um drei. Während ein stiernackiger Kerl im funzeligen Schein einer nach drei Seiten abgeschirmten Sturmlaterne mit seinem Gewicht eine grell geschminkte, strampelnde Blondine auf den Boden drückte, hockte an ihrem Kopfende ein jüngerer, auffallend gut aussehender Mann mit einem auffallend hässlichen Grinsen im Gesicht auf ihren gestreckten Armen. Mit der einen Hand hielt er ihr den Mund zu, während die andere in einer boshaften Liebkosung um ihren Hals lag, bereit, ihr jederzeit die Luft zu nehmen. Der Saum des kurzen Kleides war über die Hüfte geschoben und das Oberteil zerrissen, sodass ihre entblößten Brüste den Blicken der Männer schutzlos ausgesetzt waren.

Der Stiernackige nestelte umständlich an seiner Hose, da die wild um sich tretende Frau ihn immer wieder aus dem Gleichgewicht brachte. Dennoch hielt ihn das nicht davon ab, abgedroschene Sprüche zu klopfen.

»Halt endlich still, du Schlampe! Ich werd’s dir besorgen, wie dir’s noch keiner besorgt hat. Das wird dir gefallen, Schätzchen. Du wirst mich noch nach mehr anflehen!«

Die Frau unter ihm schluchzte auf, so weit es ihr mit der Hand vor dem Mund möglich war, und warf panisch ihren Kopf hin und her.

»Ahhh, eine von der wilden Sorte, wie ich sehe. Die hab ich am liebsten. Kannst es wohl kaum erwarten. Und nach mir kommt dann mein Kumpel hier dran. Der ist zwar nur halb so gut wie ich, hahaha, aber vielleicht freust du dich auch über eine Pause mit einem kleineren Schwanz, bevor ich dich ein zweites Mal rannehme.«

»Halt endlich die Klappe und fick sie«, schnaubte der Schönling leicht genervt. »Ich will heut noch abspritzen und nicht erst in einer Woche!«

Die beiden brachen in dreckiges Gelächter aus.

Raoul verdrehte die Augen. Diese Loser hatten doch jedes Mal die gleiche Platte drauf. Er schlich lautlos näher. Blitzschnell packte er den Stiernacken mit der linken Hand im Genick und zog ihn von der Frau herunter, als würde er einen fetten Hasen aus dem Stall holen.

»Falls es dir entgangen sein sollte: Die Dame hat Nein gesagt.«

Der Koloss versuchte, sich zu ihm umzudrehen, doch da Raoul ihn weiterhin mit gestrecktem Arm auf Abstand hielt, gelang es ihm nicht. Dabei zeterte er irgendetwas, das Raoul nicht weiter interessierte.

»Lass sie los«, befahl er derweil dem Jüngeren.

Der starrte ihn nur überheblich an. »Verpiss dich, Arschloch. Sie gehört uns. Aber wenn du nett fragst, überlassen wir sie dir vielleicht, sobald wir mit ihr fertig sind.«

Offenbar hatte der Schönling noch nicht ganz begriffen, dass er nicht in der Position für Verhandlungen war.

»Hilfe! Helfen Sie mir!«, flehte die Frau derweil, nachdem sie ihren Mund mit einem Biss hatte befreien können. Voller Hoffnung waren ihre Augen auf Raoul gerichtet.

Der jüngere Mann holte wütend aus, um sie zu schlagen, doch der Vampir fing seinen Arm ab und zog ihn daran hoch wie ein Kleinkind aus der Sandkiste.

Bevor er sich jedoch diesem menschlichen Abschaum widmete, befahl er der Blondine mit seinen Kräften, ein Stück in den Wald hineinzulaufen und dort auf ihn zu warten. Seine Gabe war nicht so ausgeprägt, dass er jedem seinen Willen aufzwingen konnte, aber bei ihrem desolaten Zustand war die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie dem Befehl Folge leistete. Zwar würde Raoul ihr Gedächtnis ohnehin löschen, dennoch musste sie das, was hier gleich geschehen würde, nicht mit ansehen.

Die Frau rappelte sich auf und rannte blindlings in den Wald. Raoul registrierte zufrieden, dass sie dabei die der Bar entgegengesetzte Richtung einschlug. So würde sie wenigstens niemandem begegnen. Er brauchte keine Zeugen, und Frauen in zerrissenen Kleidern fielen nun einmal auf.

Die beiden Männer überboten sich derweil mit Beschimpfungen und markigen Sprüchen, obwohl sich Stiernacken trotz aller Gegenwehr immer noch nicht umdrehen konnte und Schönling eigentlich längst hätte registrieren müssen, dass der Griff ihres Angreifers übernatürlich fest war. Stattdessen begann er, mit dem freien Arm nach ihm zu schlagen. Raoul ließ ihn los, sodass der Schwung den Idioten direkt in seine Arme beförderte. Dann legte er ihm seinen rechten Arm um die Schulter und zog ihn nah an sich. Der Mann, der etwa genau so groß war wie er, blickte ihm verblüfft ins Gesicht und versuchte zurückzuweichen, doch er hatte keine Chance.

Raoul fühlte das Pulsieren in seinen Fängen, die er langsam und genüsslich ausfuhr. Er genoss den Wechsel von Wut über Unglauben bis hin zu Panik in der Miene seines Opfers, als er auch alle anderen vampirischen Attribute nicht länger verbarg. Tja, selbst schuld. Den Anblick hätte Schönling sich ersparen können. Es war Neumond und stockdunkel im Wald. Hätten die beiden Widerlinge sich nicht die Laterne mitgebracht, vermutlich, um besser genießen zu können, was sie mit der Frau taten, dann wären sie von dem Vampirschauspiel verschont geblieben. Andererseits wäre das wirklich ein Jammer gewesen.

Währenddessen versuchte der Stiernackige immer noch unter wüsten Flüchen, sich umzudrehen, doch vergeblich. Raoul verstärkte den Druck auf seinen Nacken, sodass er langsam in die Knie ging.

»Scheiße, Mann, was …«, stammelte der Schönling, der nach wie vor in Raouls Umarmung gefangen war, obwohl er sich nach Kräften wehrte. »Lass mich … Hör auf! Du kannst die Frau haben … Du kannst Geld haben, Mann! … Ich habe Geld … Nimm, was du willst … Ich …«

»Oh, die Frau ist weg, falls du es noch nicht gemerkt hast«, erklärte Raoul träge. »Dein Geld interessiert mich nicht, und was ich will, nehme ich mir ohnehin. Mir ist gerade nach einem kleinen Dreier mit euch zwei Helden. Was haltet ihr davon?«

»Scheiße, was ist das für ein Freak?«, röchelte Stiernacken, doch niemand beachtete ihn.

Der Schönling hingegen erstarrte in Raouls Griff, glotzte ihn sprachlos an und klappte nur den Kiefer auf und zu wie eine lebendig gewordene Bauchrednerpuppe. Der Duft seiner Angst hatte zwischenzeitlich geradezu betörende Ausmaße angenommen, und Raoul sog das Aroma genießerisch ein. Dann legte er seinen Mund an die Halsbeuge des Opfers und leckte genüsslich über die warme Haut.

Der Mann interessierte ihn nicht im Geringsten, aber das konnte dieser nicht wissen. Dementsprechend schlug die Panik über dem armen Kerl zusammen und bereicherte sein Blut mit ihrer würzigen Raffinesse. Raoul konnte kaum erwarten, es endlich zu kosten. Aber er hatte Zeit, und da war noch ein wenig mehr möglich.

»Ich werd’s dir besorgen, wie dir’s noch keiner besorgt hat«, säuselte er am Hals des Mannes und ließ seine Hand nach unten zu dessen Po wandern. Daraufhin erwachte der Schönling aus seiner Starre, stieß ein entsetztes Quieken aus und begann zu zappeln. Raoul grinste und packte nur noch fester zu. »Aber nicht doch. Das wird dir gefallen, Schätzchen. Du wirst mich noch nach mehr anflehen!«

»Du krankes Arschloch, was zum Teufel soll das werden?«, fluchte Stiernacken und verdoppelte seine Anstrengung, endlich wieder auf die Füße zu kommen.

Der Kerl wurde allmählich lästig. Raoul verstärkte den Griff um sein Genick, bis er spürte, wie die Haut unter seinen Nägeln riss, seine Finger durch das Fleisch drangen, bis sie sich um die Wirbelsäule schließen konnten. Er tat es langsam genug, dass der Mann keinen Schock erlitt, zumindest keinen großen, und achtete darauf, nicht die Schlagadern zu verletzen. Auch wenn der Geruch des Blutes seinen Hunger in neue Höhen peitschte, sollte ihm seine Mahlzeit nicht vorher verbluten. Gleichzeitig verankerte er im Kopf der Beute die Idee, dass sie nicht mehr schreien konnte.

Stiernacken sackte wimmernd in sich zusammen, presste die Hände in sein Genick und fiel jammernd nach vorn, mit dem Gesicht in den Dreck. Dort verharrte er bewegungslos.

Sehr gut. So hatte Raoul beide Hände für den anderen frei, der zwischenzeitlich geradezu hysterisch mit den Armen ruderte. Zumindest mit dem einen, den er noch frei hatte.

Raoul hasste das, so etwas störte seinen Genuss. Aber bei diesem Dreckskerl verspürte er keinerlei Lust, ihn in einen wohligen Schwebezustand zu versetzen, bloß, damit er stillhielt – von den anderen Annehmlichkeiten, die ein Vampirbiss mit sich bringen konnte, einmal vollkommen abgesehen. Außerdem wollte er das volle Aroma der Angst auskosten. Er fing einen unkoordinierten Schlag des Schönlings gegen seinen Kopf mit der nun freien linken Hand ab, bog den Arm des Angreifers nach unten und fixierte dessen Handgelenk mit seiner rechten Hand. Die andere würde er gleich noch brauchen. Dann versenkte er die Zähne in das weiche Fleisch seines Halses.

Der Mann schrie auf, doch das hatte Raoul vorausgesehen, weswegen er ihm mit der freien Hand den Mund zuhielt. Nicht, dass bei dem Geschrei noch jemand aufmerksam wurde.

Das Blut ergoss sich heiß und würzig über seine Zunge, während sich der Mann in seinen Armen wie ein Rasender gegen ihn zur Wehr setzte. Der Schönling war gut trainiert und durchaus stark, aber den Kräften des Vampirs hatte er nicht das Geringste entgegenzusetzen.

Langsam erlahmte die Gegenwehr, das Gebrüll in seiner Hand ging in Wimmern über, und als dem Opfer die Kraft zum Schreien fehlte, gab Raoul dessen Mund frei.

Der Kerl fing allen Ernstes an zu beten.

Raouls Mundwinkel zuckten amüsiert. Sollte er mal. Die Nachricht konnte er seinem Schöpfer in Kürze persönlich überbringen.

Schließlich erstarb auch das religiöse Gefasel, und das Bewusstsein des Mannes begann zu schwinden. Der Körper sackte zusammen, während gleichzeitig das Herz immer schneller schlug, die letzten Reserven mobilisierte, um dem Unvermeidlichen zu entkommen. Raoul genoss den Todeskampf – immer wieder aufs Neue. Die Botenstoffe und Stresshormone, mit denen der Körper das Blut flutete, gaben ihm eine unvergleichliche Note. Mit jedem Schluck sog er das Leben buchstäblich in sich auf. Aber nichts kam an den Moment heran, wenn der Lebensfaden schließlich zerriss, das Herz seinen letzten Schlag tat. Dieser Augenblick war einzigartig. Magisch. Mit nichts zu vergleichen, und es existierte keine Sprache auf der Welt, die bisher auch nur annähernd die richtigen Worte dafür in sich trug.

Doch mit dem finalen Schlag des Herzens war Schluss. Wenn das Leben aus dem Körper gewichen war, verlor das Blut schlagartig seine Magie und wurde im Nu schal. Junge Vampire, die sich noch nicht beherrschen konnten, gefangen im Rausch ihrer Gier, lernten diese Lektion schnell. Dabei war der ernüchternde Petroleumgeschmack nicht einmal das Schlimmste. Totes Blut verursachte eine Übelkeit, die sich gewaschen hatte.

Raoul wusste genau, wann er aufhören musste. Der Dämon in ihm jubilierte, als sich mit dem letzten Schluck die gesamte Lebensenergie des Opfers auf ihn übertrug. Raoul seufzte wohlig auf. Dann stieß er den nutzlosen Körper beiseite, der dumpf auf dem Waldboden aufschlug und verdreht liegen blieb.

Raoul zog den Stiernackigen auf die Füße und schlug ihm ohne viel Aufhebens die Zähne in den Hals. Der Kerl hätte zwar mehr Panik vor seinem Tod verdient, aber wegen des Schocks war nicht mehr viel mit ihm anzufangen. Außerdem hatte Raoul keine Zeit für lange Spielchen, er musste sich noch um die Frau kümmern. Daher tötete er ihn schnell und effizient. Auch so etwas konnte durchaus genussvoll sein.

Ein Vampir musste sein Opfer nicht jedes Mal umbringen, um sein untotes Dasein fristen zu können. Jedoch lag die Betonung auf nicht jedes Mal. In gewissen Abständen musste es dennoch sein. Blut allein reichte nun einmal nicht aus, eine Jahrhunderte überdauernde Existenz am Leben zu halten. Selbst wenn Raoul es gewollt hätte, er hätte sich nicht dagegen wehren können, gelegentlich zu töten. Der Dämon trieb ihn dazu.

Allerdings war es zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht so weit gewesen. Bei diesen beiden traurigen Existenzen hier – Raoul schob die Leiche des bulligen Typen von sich, die sogleich plump zu Boden sackte, und legte genüsslich den Kopf in den Nacken – war es pures Vergnügen gewesen. Und reine Logik. Denn zu töten hielt zum einen länger vor, als nur Blut zu trinken, vor allem aber half es, die Auswirkungen von Verletzungen oder Hexenblut schneller zu überwinden.

Hexenblut.

Hastig schob Raoul das schlechte Gewissen beiseite, das ihn wegen Aurica plagte. Wie er sich ihr gegenüber verhalten hatte, war unverzeihlich. So ging man mit einer Dame nicht um. Er würde sich bei ihr entschuldigen, auch wenn sie ihm nicht vergeben konnte. Aber alles zu seiner Zeit. Jetzt musste er sich erst einmal um die Frau kümmern.

Irritiert ertappte er sich bei dem Gedanken, dass er dazu überhaupt keine Lust verspürte und die blöde Pute gefälligst allein gucken sollte, wie sie zurechtkam. Dann schüttelte er befremdet den Kopf. Was war denn bloß los mit ihm? Er mochte zwar zu den Männern gehören, die nichts anbrennen ließen und die Moral weder zu Lebzeiten noch danach interessiert hatte, dennoch hatte er Grundsätze, wie man Frauen behandelte. Zumindest diesbezüglich hatte seine Erziehung gefruchtet.

Auf die Idee, eine Dame im Wald sich selbst zu überlassen, wäre er früher nicht einmal im Traum gekommen.

 

Naiv

   

 

Raoul löschte das Licht der Laterne, damit ihr Schein nicht doch noch das Interesse eines aufmerksamen Beobachters weckte, und folgte der Witterung der Blondine in den Wald. Weit konnte sie nicht gekommen sein, denn es war stockdunkel. Aber dank seiner perfekten Nachtsicht stellte das für ihn kein Hindernis dar.

Bereits kurz darauf entdeckte er sie. Sie saß zusammengesunken mit dem Rücken an einem Baum, umklammerte ihre Knie und weinte leise vor sich hin. Wahrscheinlich hatte sie mehr gehört, als gut für sie war.

»Hallo? Sind Sie hier irgendwo?«, fragte Raoul vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken. Er selbst konnte sie zwar klar und deutlich sehen, umgekehrt war das jedoch nicht der Fall.

Trotz seiner Vorsicht fuhr sie zusammen und stieß einen erstickten Schrei aus. »Nein, nein! … Bitte …«, stammelte sie.

»Es ist alles in Ordnung. Ich will Ihnen nichts tun.« Er trat beim Näherkommen absichtlich auf Zweige und Laub, damit sie ihn hören konnte.

Sie umklammerte ihre Beine noch krampfhafter und machte sich so klein, wie sie konnte. »Bitte … nein … Ich … Gehen Sie!«

»Sind Sie verletzt?« Natürlich wusste er, sie war es nicht, aber wenn er sie dazu bringen konnte, ihm zu antworten, wäre das ein Anfang. Doch sie tat es nicht.

Raoul kniete sich vor sie und berührte sie behutsam an der Schulter. Obwohl er ihr die Idee eingab, ihn ansehen zu wollen, verkrampfte sie sich nur noch mehr und starrte beharrlich zu Boden. So kam er nicht weiter. Daher schob er mit sanfter Gewalt ihren Kopf zur Seite und biss zu.

Sie erstarrte, entspannte sich jedoch sofort wieder. Der ausgestandene Schrecken hatte ihrem Blut eine köstliche Note verliehen. Trotzdem trank Raoul diesmal nur wenig – auch wenn der immer gierige Vampir in ihm enttäuscht aufjaulte – und verschloss die Bisswunden unmittelbar darauf, indem er darüber leckte. Die Blondine schmeckte nach mehr, aber er hatte für heute genug getrunken. Allerdings brauchte er die Verbindung über ihr Blut, um sie zuverlässig manipulieren zu können. Bevor er diesen Abend jedoch komplett aus ihrem Gedächtnis löschte, musste er noch ein paar Dinge in Erfahrung bringen.

Raoul drang in ihre Gedanken ein, verwischte die Erinnerungen ab dem Moment, wo er sie befreit hatte, manifestierte die Gewissheit, dass die beiden Kerle ihr nichts mehr tun konnten, ebenso wie das Gefühl, ihm vertrauen zu können.

In der nächsten Sekunde klammerte sie sich haltsuchend an seinem Hals fest, dass es ihm die Luft abgeschnürt hätte, wenn er welche gebraucht hätte.

»Er hat so gut ausgesehen. Ich war voll hin und weg, dass mich ein attraktiver Kerl in so ’nem Club angesprochen hat! Ich dachte, die sind da alle eklig und alt und fett und so, aber der war das kein Stück, und er hat gesagt, er will mir unbedingt was zeigen, da im Wald, so was ganz Tolles, und da bin ich mit ihm gegangen, aber dann kam auf einmal dieser hässliche Kerl, und sie haben mein Kleid zerrissen und mich zu Boden geworfen, und dann hat er mich festgehalten, und sie haben gelacht, und dieser Gorilla ist auf mich drauf gestiegen und der wollte … er wollte … sie wollten … mich …« Sie schluchzte auf.

Raoul nutzte die Gelegenheit aufzustehen und sie mit sich auf die Füße zu ziehen. Da sie keine Anstalten machte, ihn loszulassen, hätte er sie dazu theoretisch nicht einmal festhalten müssen. Die Geschichte war klar. Hübscher Mann lockt Frau mit sich, um sich zusammen mit seinem hässlichen Kumpan an ihr vergehen zu können. Die Geschichte war ebenso alt wie widerlich – und nicht das, was er wissen wollte. Die zwei Burschen würden ohnehin nie wieder jemandem etwas tun. Allerdings irritierte ihn ihre Formulierung, dass die Clubbesucher ›alle eklig, alt und fett‹ sein sollten. Das traf auf das Publikum der Werewolves Bar eher weniger zu. Ein Verdacht keimte in ihm auf.

»Wo haben Sie ihn denn kennengelernt?«

»Im Little Lotus«, entgegnete die Blondine kleinlaut. »Ich hab sowas noch nie gemacht, ganz ehrlich, das war das erste Mal, und da dachte ich, ich bin ja eh zum pop... äh, also na ja, Sie wissen schon wofür hin, und da kam doch tatsächlich dieser scharfe Typ, und ich wollte es ja auch mit ihm, aber ich wär nie auf die Idee gekommen, dass der da draußen seinen Kumpel …«

»Ja, schon gut!«, unterbrach Raoul sie unwirsch. Sein Verdacht hatte sich bestätigt. Das Little Lotus war ein Swingerclub, schräg gegenüber der Werewolves Bar. Die Beweggründe der Blondine interessierten ihn nicht. Wer sie noch gesehen haben könnte, hingegen schon. An einen solchen Ort gingen Frauen jedenfalls für gewöhnlich nicht allein. In die Werewolves Bar schon eher, und mit etwas Glück bloß mit einer Freundin, ohne in näheren Kontakt mit anderen zu treten.

Anders beim Little Lotus. Raoul verspürte nicht die geringste Lust, auch noch das Gedächtnis eines oder mehrerer munterer Pärchen oder einer ganzen fidelen Clique zu löschen. Warum zum Henker hatte sie den Club mit seinen ganzen Möglichkeiten überhaupt verlassen, um einem Wildfremden in den Wald … Ach, einerlei. Er hatte anderes zu tun, als sich Gedanken um diese Frau zu machen. Zum Beispiel gab es noch zwei Leichen zu entsorgen.

Diese dämliche Pute! Zu seiner Überraschung verspürte er den verblüffend dringenden Wunsch, ihr eine zu scheuern und sie wegen ihrer Dummheit einfach hier im Wald stehen zu lassen. Das verwunderte ihn nun doch, denn normalerweise hegte er Damen gegenüber selten das Bedürfnis, handgreiflich zu werden. Obendrein wäre in diesem Fall besonderes Einfühlungsvermögen angebracht, denn immerhin war sie nur knapp einer Vergewaltigung entgangen. Dummheit hin oder her, dass man ihr Gewalt antat, verdiente keine Frau. Sie einfach im Wald sich selbst zu überlassen, wurde bedenklicher Weise langsam zur fixen Idee.

Wenn das alles ebenfalls eine Auswirkung davon war, dass sich das Avido Optatum einen Teil seiner Menschlichkeit einverleibt hatte, dann fing er ernsthaft an, sich selbst nicht mehr leiden zu können. Nein, das war nicht ganz richtig. So hätte er früher gedacht. Jetzt war es ihm genaugenommen einerlei, dass er anders dachte. Aber darum konnte er sich im Moment nicht kümmern.

Dass dieses einfältige Frauenzimmer noch immer wie eine Klette an ihm klebte, verbesserte seine Einstellung ihr gegenüber jedoch auch nicht gerade.

»Sind Sie mit Ihrem Freund oder mit Freunden hier?«, erkundigte Raoul sich unwirsch und gab ihr dabei den Gedanken ein, dass es keine gute Idee sei, mitten im Wald einem wildfremden Mann am Hals zu hängen, egal ob Retter oder nicht.

Die Blondine löste sich mit einem erschrockenen Keuchen von ihm, geriet ins Straucheln und wäre gefallen, hätte er sie nicht gestützt. Dabei rutschte ihr zerrissenes Kleid herunter und legte ihre Brüste frei, aber sie versuchte nicht einmal, sich zu bedecken. Raoul hielt ihr zugute, dass sie nicht wissen konnte, dass er sie in der Finsternis klar und deutlich vor sich sah – falls sie überhaupt (so weit) dachte –, dennoch ging ihr offenbar jede instinktive Reaktion ab.

Da sie nicht weiter reagierte und lediglich nervös an ihren Nägeln kaute, wiederholte er seine Frage, wobei er sie losließ, da er sie sonst vermutlich ungeduldig geschüttelt hätte.

»Nein«, stammelte sie und schien sich wieder zu fangen. »Mit niemandem. Ich bin allein hier.«

Raoul atmete auf. Wenigstens ein Problem weniger.

»O Gott, das ist wirklich peinlich, oder?«, plapperte sie drauflos. »Ich meine, was müssen Sie jetzt von mir halten, dass ich allein in so einen Club gehe? Sie denken bestimmt, dass ich es total nötig habe, aber das ist gar nicht so, o Gott wie peinlich! Wissen Sie, mein Freund hat mich vor ein paar Monaten verlassen, und seitdem habe ich … nein, das klingt jetzt schon wieder so, als ob ich mega notgeil wäre, aber es ist echt nicht so, wie Sie denken, ehrlich! Ich war nur neugierig und …«

»Ich denke gar nichts«, unterbrach Raoul ihren Redeschwall, ballte die Fäuste und versuchte dabei, die Ungeduld aus seiner Stimme herauszuhalten. »Wir sollten jedoch langsam diesen Wald verlassen.«

Die Blondine machte einen Schritt auf ihn zu, und er fragte sich unwillkürlich, ob es bei derart schweren Brüsten nicht auf Dauer unangenehm war, keinen BH zu tragen. Da auch die Überreste eines solchen fehlten, war anzunehmen, dass sie den ganzen Abend schon so herumlief. Nicht, dass es ihn wirklich interessierte, denn trotz ihrer Nacktheit machte ihn diese Person nicht im Mindesten an. Dennoch sprang das Thema geradezu ins Auge. Jedenfalls konnte er sie mit dem zerrissenen Kleid kaum zurück in den Club lassen.

Raoul griff nach ihrer Hand, die sie sogleich umklammerte. Er würde sie nach Hause bringen. Auch wenn er ihre amourösen Intentionen damit durchkreuzte. Aber eigentlich müsste sie nach diesem Erlebnis davon für die nächste Zeit ohnehin genug haben. Stattdessen krallte sie sich an seinem Arm fest und presste dabei ihre nackten Brüste an ihn. Er unterdrückte ein entnervtes Knurren. Wieso ließ er sie nicht einfach hier stehen? Dieser instinktlosen Person war offenbar nicht mehr zu helfen. Verächtlich schaute er an ihr herab – und ertappte sich plötzlich bei dem Gedanken, die Zähne in das weiße Fleisch ihres Busens versenken zu wollen. Warum eigentlich nicht? Er hatte ohnehin noch zwei Leichen zu entsorgen, da kam es auf eine dritte auch nicht mehr an.

»Sind Sie mit dem Auto da?«, erkundigte sich Raoul schnell, bevor er es sich anders überlegte. Bis morgen früh hatte er noch eine Menge Zeit totzuschlagen, daher war es genaugenommen praktisch, dass dieses Frauenzimmer sie ihm vertrieb und ihn ablenkte, auch wenn sie ziemlich nervtötend war.

»Ja. Ich hab erst gedacht, ob ich vielleicht mit dem Bus fahren soll, auch wegen Alkohol und so, aber hierher fährt ja nichts, also nehm ich besser das Auto und AH, OH NEIN!«

»Was ist?« Auto war gut. Raoul hatte bereits abgeschaltet, als sie erneut zu plappern anfing, und war mit ihr losgelaufen, bevor ihr Aufschrei ihn in die aktuelle Situation zurückholte.

»Meine Tasche! Ich habe sie mitgenommen und dann verloren, als diese Typen …«, sie schluckte. »Die finden wir in der Finsternis nie! Dabei war die ganz neu und total hipp und AUA! SCHEISSE! Meine Schuhe!« Die Blondine hatte einen weiteren Schritt gemacht und war dabei offenbar in etwas hineingetreten, denn sie hielt sich einen Fuß.

Raoul hob sie ohne Umschweife hoch. Wo hatte er eigentlich seine Manieren gelassen? Seine Menschlichkeit mochte in dem Avido Optatum stecken, für seine Erziehung zählte diese Entschuldigung allerdings nicht.

»Sie erlauben? Ich habe eine Ahnung, wo Ihre Tasche sein könnte.«

Er trug sie zurück zu der Stelle des Überfalls. Zum Glück war es so dunkel, dass die Frau die Toten nicht sehen konnte. Raoul schaute sich kurz um, entdeckte ihre Schuhe in der Nähe und die Tasche nur ein Stück davon entfernt. Mit der Anweisung, sich nicht von der Stelle zu rühren, stellte er das plappernde Dummchen ab, sammelte ihre Habseligkeiten zusammen und drückte sie ihr in die Hand. Die Blondine stieß ein entzücktes Quietschen aus. »O mein Gott, Wahnsinn! Sie müssen ja Augen haben wie eine Katze! Wie haben Sie das denn …«

»Ziehen Sie bitte Ihre Schuhe an«, wies Raoul sie an, wobei er sich fragte, wie sie mit diesen mörderischen Absätzen überhaupt in den Wald hineingekommen war.

Die Frau schlüpfte artig in ihre Pumps. Als sie sich wieder aufrichtete und immer noch keine Anstalten machte, sich zu bedecken, kam er kurz in Versuchung, ihr zu sagen, dass seine Augen sogar noch weit besser als die einer Katze waren. Letztendlich sparte er sich den Kommentar und zog stattdessen die Reste ihres Kleides notdürftig über ihre Blöße. Allerdings folgte der Stretchstoff seinen eigenen Gesetzen, wodurch sein Versuch scheiterte. Dann eben nicht.

Kopfschüttelnd hob er sie wieder hoch und machte sich auf den Rückweg. Auch wenn sie mit diesem Schuhwerk offensichtlich Waldspaziergänge absolvieren konnte, dauerte ihm das alles zu lange.

Bald darauf hatten sie den Rand des Waldes erreicht, und Raoul setzte die Blondine ab. Er hätte sie zwar auch zum Auto getragen, doch er wollte nicht unnötig Aufmerksamkeit erregen. Ihre zerrissene Kleidung stellte ihn ohnehin vor ein Problem. Leider hatte er weder eine Jacke noch einen Pullover an, den er ihr leihen konnte. Er trug nur das Hemd, ohne T-Shirt darunter. Und mit nacktem Oberkörper fiel auch er auf, so warm war es nicht. Die einzige Möglichkeit bestand darin, ein verliebtes Pärchen zu mimen. Wenn sie sich eng an ihn schmiegte, könnte er ihre Nacktheit mit seinem Körper verdecken.

»Wo steht Ihr Auto?«, erkundigte er sich, während sie sich die Haare richtete. Wenigstens hielt sie diesmal mit einer Hand ihr Kleid notdürftig zusammen.

»Vorne, ein Stück die Hauptstraße runter.«

Raoul seufzte. War ja klar.

»Hier die Straße rein war mir zu weit«, fuhr die Blondine fort. »Außerdem ist die voller Löcher und total uneben. In den Highheels ist das nicht so toll.« Sie zuckte die Achseln und zog einen entschuldigenden Flunsch.

»Aber für einen Waldspaziergang hat es offensichtlich gereicht«, brummte Raoul, bevor er sich zurückhalten konnte.

Sie giggelte verlegen.

»Hören Sie, Ihre Kleidung ist ein wenig mitgenommen. Am besten drücken Sie sich eng an mich, sodass wir diesen Umstand kaschieren können.« Gleichzeitig gab er ihr den Gedanken ein, dass dies eine hervorragende Idee war.

»Aber nur, weil Sie mein Retter sind und eine so schöne Stimme haben«, kicherte sie und schmiegte sich sogleich unangenehm eng an ihn.

Raoul verdrehte innerlich die Augen. Widerwillig legte er einen Arm um ihre Hüfte, und sie gingen los.

Als sie die erste Straßenlaterne erreichten, hob die Blondine den Kopf und schaute zu ihm hoch. Sie stieß einen undefinierbaren Laut aus, schlug die Hand, die bis eben noch ihr Kleid zusammengehalten hatte vor den Mund, und ihr Gesicht verzog sich.

»O Gott!«, japste sie und drückte sich ein Stück von ihm weg, um besser sehen zu können. Mit weit aufgerissenen Augen holte sie tief Luft, wobei ihre Brüste endgültig aus dem Kleid ploppten, und kreischte los: »O. MEIN. GOTT!«

So viel zu nicht auffallen. »Was ist denn?«, fragte Raoul entnervt und zog mit der freien Hand den Stoff wieder über ihr nacktes Fleisch.

»Scheiße, siehst du gut aus!«

Ach das. Ich dachte schon, ich hätte Blut im Gesicht.

»Heute ist mein Glückstag! Ich dachte ja schon, der Abend wäre voll für den Arsch, und dann rettet mich der heißeste Typ von ganz Köln!«

»Wir sind in Koblenz.«

»Ach, stimmt ja. Egal. Dann eben von Köln und Koblenz! Ich gehe sonst eigentlich lieber in Köln weg, weißt du. Das ist viel angesagter. Aber heute hatte ich keine Lust, und hey, das war ja wohl der ab-so-lute Volltreffer!«

Raoul zog es vor, nichts zu erwidern, und setzte stattdessen den Weg zur Hauptstraße fort. Diese Person ging ihm unsäglich auf die Nerven. Aber einen klaren Vorteil brachte diese unliebsame Begegnung mit sich: Sie hinderte ihn daran, zu viel über Mathilda nachzudenken oder aus purer Ungeduld irgendwelche Dummheiten mit Benita oder Carsten anzustellen.

Die Blondine wickelte sich jetzt förmlich um ihn. Ihre Bewegungen waren aufreizender geworden, und bei jedem Schritt spürte er, wie der Stoff ihres Kleides ein weiteres Stück beiseite rutschte, bis er sie gar nicht mehr bedeckte.

»Komm mit zu mir, und ich belohne dich für meine Rettung«, schnurrte sie ihm ins Ohr. Dabei wanderte ihre Hand, die um seine Taille lag, hinunter zu seinem Hintern. Ihr Verhalten stieß ihn ab, allerdings stieg ihm gleichzeitig der Duft ihres Verlangens in die Nase, und der sprach den Vampir in ihm an, der ihm zuflüsterte, doch ruhig zu nehmen, was sie ihm so dringend geben wollte. Und noch ein bisschen mehr. Vor allem ein bisschen mehr.

»Hören Sie zu«, knurrte er ärgerlich und zog ihre Hand von seinem Hinterteil zurück zu seiner Taille. »Sie lernen wohl gar nichts dazu. Erst vor wenigen Minuten hat Sie ein gutaussehender Mann in eine mehr als missliche Lage gebracht, und nun werfen Sie sich bereits dem nächsten an den Hals?«

Wenigstens kamen sie vorwärts, sie passierten schon das Little Lotus, vor dem zum Glück niemand stand, und näherten sich der Gruppe Raucher vor der Werewolves Bar. Obwohl Raoul ihnen den Gedanken eingab, ihre Handys zu checken, zog er die Blondine näher an sich heran, legte ihr zusätzlich den freien Arm um die Schulter und wandte sich ihr zu, falls doch jemand aufschaute. So hundertprozentig sicher funktionierte seine Gabe nämlich nicht. Ihm war durchaus bewusst, dass er der an ihm hängenden Frau damit genau das falsche Signal sendete, aber es war wichtiger, nicht aufzufallen. Schwierig genug mit einem mehr oder weniger halbnackten Frauenzimmer im Arm. Wenigstens war ihr Rücken noch halbwegs bedeckt.

»Pah, gegen dich war der ja geradezu hässlich.« Sie winkte ab. »Außerdem bist du anders, das weiß ich. Ein Gentleman. Und du hast mich gerettet.« Sie nahm die Hand, die er um ihre Taille geschlungen hatte, und führte sie mit einem verheißungsvollen Schnurren an ihrem Schenkel entlang unter ihr Kleid. »Deswegen gehört das alles dir.«

Sie trug kein Höschen. Sehr pragmatisch für den Besuch eines Swingerclubs.

Raoul knirschte mit den Zähnen. Allerdings hatte seine Erregung weniger mit Verlangen zu tun als mit Gereiztheit. Wahrscheinlich steht sie doch unter Schock. Zumindest hoffe ich das für sie!

Er entzog ihr seine Hand, packte die Frau energisch an der Hüfte und schob sie an den Rauchern vorbei, die zum Glück alle brav auf ihre Smartphones starrten. Er spürte, wie er langsam die Geduld mit der Blondine verlor, der Dämon jedoch gleichzeitig auf ihre steigende Lust reagierte. Nicht nur Angst, auch Verlangen gab dem Blut eine besondere Note.

Je schneller er das hier hinter sich brachte, desto besser. Wegen des aufklaffenden Kleides hatte er leider keine andere Wahl, als dieses unbelehrbare Weibsstück weiterhin in einer engen Umarmung zu halten, zumal sie jetzt ein Stück an der Hauptstraße entlang mussten. Entnervt sendete er ihr den Gedanken, sofort die Finger von ihm zu lassen. Für einen Moment hielt sie tatsächlich inne, begann dann jedoch, mit der Hand langsam unter den Bund seiner Jeans zu wandern.

Raoul unterdrückte ein Knurren. Er konnte es nicht ausstehen, wenn jemand seine mentalen Befehle missachtete! Leider handelte es sich nicht um richtige Befehle, das war ja das Problem. Seine Gabe ermöglichte ihm lediglich, Vorschläge zu machen. Das klappte in der Regel sehr gut, aber eben nicht immer. Und der Wunsch dieser Frau, ihn zu verführen, war offenbar ziemlich stark. Dabei ahnte sie nicht, wie nah sie daran war, vom Regen in die Traufe zu geraten. Dem Dämon gefiel ihre Schwäche nämlich ausnehmend gut, und er leckte sich geradezu die Finger danach, sie auszunutzen. Bis zum letzten Tropfen.

Raoul ließ ihre Schulter los, packte die Blondine am Handgelenk und hinderte sie so, weiterzumachen. Doch als sie begann, sich zu drehen, zog er sie schnell wieder in die Umarmung. Gerade noch rechtzeitig, denn es näherte sich eine Kolonne von Fahrzeugen. Begeistert schlang sie ihm die Arme um den Hals. Zumindest hatte das den Vorteil, dass ihre barbusige Vorderseite nun vor neugierigen Blicken geschützt war.

»Welches ist Ihr Auto?«, erkundigte er sich, während er einem Kussversuch ihrerseits auswich.

»Ihr Auto?«, giggelte sie. »Ach, komm. Sei doch nicht so förmlich. Du darfst mich auch nennen, wie du willst. Du darfst sogar mit mir machen, was du willst. Und so lange du willst.« Sie zupfte spielerisch an seinem Hemd.

Wirklich? Ich bezweifle sehr, dass dir das gefallen würde. »Welches Auto ist es?«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Sie seufzte in gespielter Resignation und deutete mit dem Daumen hinter sich. »Das Schwarze da vorn.«

Sehr hilfreich. Das Attribut traf auf zirka jeden dritten Wagen zu. Raoul stapfte auf gut Glück los und zog sie mit sich. Dabei packte er sie härter als nötig an. Sie hing nun mehr an seiner Seite, als dass sie ging, aber es war ihm egal. Hauptsache, sie drückte sich weiterhin eng an ihn.

»Shit, du bist echt verdammt heiß«, stöhnte die Blondine, die derweil seinen Bauch und seine Brust erkundete. »Hat dir das eigentlich schon mal jemand gesagt?«

»Nein, das höre ich gerade zum ersten Mal«, entgegnete Raoul sarkastisch.

Sie hielt verdutzt inne. »Echt? Ey, das hätte ich jetzt nicht gedacht! Ich dachte, sowas hörst du jeden Tag.«

Ja, ist denn das die Möglichkeit?!

Raoul, der sie die ganze Zeit über, ohne anzuhalten, mit sich geschleift hatte, zog sie auch jetzt kopfschüttelnd weiter. Hoffentlich erreichten sie bald ihre dämliche Schrottkiste.

»Was für eine Verschwendung«, seufzte sie und klimperte mit den Wimpern.

»Ich würde ansonsten einen Hang zur Arroganz entwickeln.«

Warum rede ich eigentlich mit ihr?

Sie giggelte und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. »Ach was. Ganz bestimmt nicht. Das hat so ein Traummann wie du überhaupt nicht nötig.«

Genau. Ein wenig mörderisch vielleicht, aber ansonsten der Traum einer jeden Frau. Frag meine eigene, wie traumhaft es mit mir ist. Immerhin so sehr, dass sie jegliche Erinnerung an mich verdrängt hat!

»Welches Auto ist es denn jetzt?«, knurrte er ungeduldig.

»Hihi, du kannst es ja kaum noch erwarten!«

Du ahnst nicht, wie sehr! »Au-TO?!«

»Huh, was für ein Draufgänger! Schon gut, ich kann es ja auch kaum noch erwarten. Es steht hier vorn.«

Hallelujah!

Ein guter Zeitpunkt, denn die Autokolonne hatten sie inzwischen passiert, und es waren keine weiteren Fahrzeuge zu sehen. Am liebsten hätte Raoul bereits jetzt das Gedächtnis der Frau gelöscht, sie in ihre Karre gesetzt und nach Hause geschickt. Allerdings stand sie womöglich wirklich unter irgendeiner Art Schock, und in dem Zustand konnte er sie nicht allein fahren lassen, obwohl es ihn so wenig kümmerte, dass er es um ein Haar doch getan hätte. Aber es gehörte sich nun einmal nicht, eine Dame in Not sich selbst zu überlassen. Daher drängte er seine neue Kaltblütigkeit zurück und schob die Blondine Richtung Beifahrertür.

»Geben Sie mir bitte den Schlüssel, ich fahre.« Er streckte auffordernd die Hand aus.

Sie kicherte und fischte einen Schlüsselbund mit einem überdimensionalen, pinkfarbenen Bommel aus ihrer Handtasche.

Raoul schnappte sich das bebommelte Ungetüm, schloss auf und drückte sie auf den Beifahrersitz. Zum Glück waren sie unbeobachtet, denn kaum, dass sie saß, räkelte sich das lüsterne Weibsbild genüsslich auf ihrem Sitz und reckte ihm ihre beiden eindrucksvollsten Wesensmerkmale provokant entgegen. Dabei musterte sie ihn unter gesenkten Lidern hindurch erwartungsvoll.

Raoul warf nachdrücklich die Tür zu, ging zügig um das Auto und ließ sich auf den Fahrersitz fallen. Als er den Rückspiegel einstellte, bemerkte er auf der Rückbank etwas Rosafarbenes. Ein Sweatshirt! Dankbar griff er danach und reichte es der Blondine, die ihm ein siegessicheres Lächeln schenkte und sich in Pose warf. Dabei machten ihn ihre Brüste weniger nervös, als sie vermutlich annahm. Im Laufe seines Lebens hatte er davon wahrhaftig genügend zu Gesicht bekommen. Allerdings fiel eine barbusige Frau auf dem Beifahrersitz ziemlich auf, und das konnte er nicht brauchen. Er musste jede noch so kleine Möglichkeit, die Fährte zu den Toten im Wald zurückverfolgen zu können, vermeiden.

»Ziehen Sie das bitte an.«

»Warum? Gefallen sie dir nicht?« Sie beugte sich zu ihm hinüber und wog ihre beachtliche Oberweite aufreizend in den Händen. Der Duft ihrer Lust wurde intensiver und kitzelte den Dämon.

Raoul atmete tief durch, was in dem Fall keine kluge Entscheidung war, und stieß den Schlüssel ins Zündschloss. »Ich finde Sie zum Anbeißen. Aber wir wollen doch heil ankommen.« Er lächelte zweideutig. »Also, wo wohnen Sie?«

»Das verrate ich dir nur, wenn du endlich mit dem blöden Sie aufhörst«, schmollte sie mit zuckersüßem Augenaufschlag.

Raoul gab ihr den mentalen Befehl, sich anzuziehen, und wandte sich ihr zu. »Also schön. Wo wohnst du?«

Sie zog sich brav das Sweatshirt über und nannte ihm ihre Adresse.

Endlich!

Der Geruch ihrer Erregung hing nun dick und schwer – und ziemlich köstlich – im Wageninneren. Die Blondine griff nach seiner Hand, um sie zwischen ihre Schenkel zu führen. Raoul kam ihr jedoch zuvor und zog sie mit einem maliziösen Lächeln zu sich herüber. Nur allzu bereitwillig folgte sie seiner Einladung.

Nun gut. Wer nicht hören will, muss fühlen.

Er beugte den Kopf und senkte seine Zähne in das weiche Fleisch ihres Halses. Erschrocken quiekte sie auf. Mit voller Absicht verzichtete Raoul darauf, ihr den Schmerz zu nehmen. Endlich wurde sogar ihr klar, dass hier etwas nicht stimmte. In den Geschmack der Erregung mischte sich nun auch Angst und begann allmählich, die Lust zu verdrängen – die bevorzugte Mixtur des Dämons. Raoul trank langsam, um den Genuss so lange wie möglich hinzuziehen, während die Blondine immer panischer versuchte, sich von ihm loszureißen.

Der Dämon drängte ihn, auch ihren Todeskampf mitzunehmen. Das war nicht ungewöhnlich, allerdings war es diesmal unnatürlich schwierig zu widerstehen, denn er war mit diesem Wunsch nicht allein. Raoul selbst wollte sie töten, um jeden Preis, und es gelang ihm nur mit großer Anstrengung – und dem Argument sich allmählich häufender Leichen, die es zu entsorgen galt – es letztendlich doch nicht zu tun. Kurz bevor die Blondine das Bewusstsein verlor, riss er sich von ihr los und verschloss ihre Bisswunden, ehe er sie halb ohnmächtig auf den Beifahrersitz zurückschob.

Die Frau wimmerte leise vor sich hin. Raoul brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Das eben war verdammt knapp gewesen. Wenn er sich nicht bald besser in den Griff bekam, würde es nicht lange dauern, bis er auffiel!

Das Wimmern der Blondine wurde lauter, während sie wieder zu sich kam, bis sie schließlich, so weit es ging, von ihm wegrückte und dabei zu stammeln begann: »Scheiße, Mann, du … du bist … was bist du? Perverses Arschloch! Scheiße … du bist … ein … ein … verdammtes Monster, du …«

»Jaja, jetzt entscheide dich endlich mal, was ich bin.«

Bevor sie noch weiter zurückweichen konnte oder noch auf die Idee kam, die Tür zu öffnen und fliehen zu wollen, legte Raoul seine Hand an ihre Wange, konzentrierte sich auf die Verbindung, die er durch ihr Blut zu ihr hatte, und schickte sie schlafen.

Herrlich, diese Ruhe!

Er löschte sämtliche Teile ihres Gedächtnisses, die mit ihm, dem Wald und diesem Kerl aus dem Club zu tun hatten, und ersetzte sie durch einige verschwommene Erinnerungen mit reichlich Alkohol. Sollte er in ihrem Kopf auch noch eine diffuse Warnung hinterlassen, nicht jedem Unbekannten blind zu vertrauen? Ach was. Wenn sie zu blöd war, war das ihr Problem.

Raoul gab ihre Adresse in sein Smartphone ein und fuhr los. Die Blondine wohnte ein ganzes Stück weit weg. An ihrer Wohnung angekommen, weckte er sie auf und drückte ihr den Schlüssel in die Hand, den sie bloß verständnislos musterte.