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Am Tor der Burg Trausnitz in Landshut wird eine mittelalterlich gekleidete Frau tot aufgefunden. Vom Täter fehlt zuerst jede Spur. Doch das Morden geht in dieser idyllischen Stadt weiter. Alle Opfer wurden für die Teilnahme an der weltberühmten "Landshuter Hochzeit", die in diesem Jahr wieder stattfinden soll, ausgewählt. Schließlich hegen die Ermittler den Verdacht dass Jemand dieses Fest verhindern will. Doch plötzlich weiten sich die Spuren nach mehreren Richtungen aus und führen sogar in die Reihen der Polizei. So beginnt in diesem Psychokrimi ein mörderisches Katz und Mausspiel zwischen Ermittler und Täter.
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Am Tor der Burg Trausnitz in Landshut wird eine mittelalterlich gekleidete Frau tot aufgefunden. Vom Täter fehlt zuerst jede Spur. Doch das Morden geht in dieser idyllischen Stadt weiter. Alle Opfer wurden für die Teilnahme an der weltberühmten „Landshuter Hochzeit“ die in diesem Jahr wieder stattfinden soll, ausgewählt. Schließlich hegen die Ermittler den Verdacht dass Jemand dieses Fest verhindern will. Doch plötzlich weiten sich die Spuren nach mehreren Richtungen aus und führen sogar in die Reihen der Polizei.
So beginnt in diesem Psychokrimi ein mörderisches Katz und Mausspiel zwischen Ermittler und Täter.
Lieselotte Rositzka wurde in Ludwigsthal geboren. In ihrer Kindheit, die sie zum größten Teil in der Nähe von Bad Kissingen verbracht hat, schrieb sie schon Theaterstücke. Als junge Frau zog sie nach Ingolstadt. Dort wurden im Donaukurier ihre Kindergeschichten veröffentlicht. Danach verfasste sie Kriminalromane, unter anderen auch ein Theaterstück, das in Berlin uraufgeführt wurde. Zurzeit lebt die Autorin in Landshut.
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Hauptkommissar Stefan Berger und Kommissar Hans Gruber versuchen mit ihrem Team fieberhaft nach einem oder mehreren Tätern die das „Landshuter Hochzeitsfest „ verhindern wollen.
An diesem mittelalterlichen Fest, das alle vier Jahre mit großem Prunk und Aufwand in Landshut stattfindet, dürfen nur in dieser Stadt geborene, von den Förderern ausgewählte Bürger teilnehmen.
Ein Landshuter, dem immer wieder vom Komitee die Mitwirkung verwehrt wird, will seine Teilnahme mit Gewalt erzwingen. Er bedroht die Förderer und schreckt, um sein Ziel zu erreichen, vor keiner Tat zurück.
Die Kommissare arbeiten unter Zeitzwang. Aber ist der Mann, den sie nun als Hauptverdächtigten einstufen auch wirklich der Täter?
Nebelschwaden stiegen von der Isar auf, umhüllten den Mann, der zwischen den Büschen und den Trauerweiden am Ufer stand. Die Feuchtigkeit legte sich auf sein Gesicht. Er begann zu frösteln. Doch in seinen Händen sammelte sich der Schweiß. Sein Fuß stieß an die tote Frau, die er gerade hier abgelegt hatte. Es hatte ihn viel Mühe gekostet sie vom Parkplatz an der Grieserwiese an diesen Ort zu schleppen. Hier erahnte er die dunklen plätschernden Wellen mehr als er sie sah. Frustriert griff er sich an seine Ohren, in denen es in dieser nächtlichen Stille doppelt so stark rauschte und pfiff als am Tag. Doch dann ließ er seine Arme nach Unten sinken.
Es wurde Zeit sich der Toten zu entledigen. Sie würde bis ans Wehr schwimmen und dort würde man sie finden.
Einfach so. Er bückte sich zu ihr hinunter, berührte ihr Haar, das ihr fast bis zu der Taille reichte. Diesem Haar hatte sie es zu verdanken, dass sie für das Fest ausgewählt wurde. Ihm hatte man die Teilnahme verwehrt.
Wieder einmal! Man verwehrte ihm ständig etwas.
Er fühlte sich unerwünscht, verkannt. Jetzt sah er die Zeitungsnotiz über die Tote in der Isar vor sich. Viel zu banal und einfallslos. Sie würden sein Genie wieder verkennen. Ein dunkler böser Plan glomm in ihm hoch. Hier war der falsche Platz für die Tote.
Als Herbert Maler kurz vor sieben Uhr am Morgen mit seinem Hund Harras seine Wohnung in der Hans Wertingerstrasse verließ, schlug ihm ein bissigkalter Wind entgegen. Die in Raureif überzogene Natur sah romantisch aus; aber der Frost hatte sich auch auf die Strassen gelegt und machte das Gehen schwer. Herbert Maler hielt die Leine von Harras kurz und überquerte langsam die um diese Zeit noch ruhige Strasse. Unten auf der Wiese, der Flutmulde ließ er Harras los.
Der Hund lief wie jeden Morgen mit wedelndem Schwanz auf den nächsten Baum zu.
Herbert Maler sah ihm lächelnd nach, dann ging er zu dem Steg, der über den dunklen zäh dahinfliessenden Bach führte. Das Geländer glitzerte ihm eisig entgegen.
Ein leichter Wind kam auf.
Harras begann laut zu bellen. Er lief, als wäre er wild geworden auf seinem Herrn zu und wieder zurück zu der betonierten Fläche, auf der im Sommer Kinder und Jugendliche Sport trieben.
Herbert Maler schüttelte den Kopf. Er sah keinen Menschen und auch kein Tier. Aber Harras schnüffelte auf dem Boden. Dann kratzte er mit der Pfote auf der Fläche. Die Fläche war rot. Bei näherer Betrachtung erkannte Herbert Maler, dass es gefrorenes Blut war.
Hauptkommissar Stefan Berger räumte sein Frühstücksgeschirr auf. Dann riss er ein Blatt vom Tageskalender.
Es war Freitag, der dreißigste Januar. Der Beginn eines verlängerten Wochenendes für ihn. Seine Reisetasche stand schon gepackt vor ihm. Noch ein kurzer Blick durch die Wohnung. Alle Fenster zu. Die Elektrogeräte ausgeschaltet. Alles Okay. In etwa einer Stunde würde er bei Lynn in München sein.
Ein befreites Lächeln überflog sein sonst so ernst wirkendes Gesicht. Endlich hatte er mal Zeit für Lynn.
Als er freudig bewegt seinen Mantel vom Haken nahm, schrillte sein Telefon. Sollte es läuten. Er war schon auf dem Weg.
Es schrillte weiter. Die Reisetasche lag schwer in seiner Hand. Nachdenklich stellte er sie ab. Vielleicht war der Anruf doch sehr wichtig.
„Guten Morgen!“, meldete sich Kommissar Hans Gruber.
„Ich weiß“, kam er seinem Kollegen zuvor, „dass du nach München zu Lynn fahren willst, aber ich benötige nur kurz deinen Rat“.
Stefan Berger fuhr sich skeptisch durch seine schwarzen, dichten Haare. In ihm klingelten sämtliche Alarmglocken. Hans hatte schon sehr unsicher geklungen.
„Dann leg schon mal los“, knurrte er widerwillig.
„Vor einer halben Stunde hat ein gewisser Herbert Maler bei uns in der Dienststelle angerufen und erklärt, dass er in der Flutmulde eine große Lache gefrorenes Blut entdeckt hat. Ich bin mit den Polizeimeistern Bohn und Schlagbauer hingefahren. Herr Maler hat Recht. Es ist verdächtig viel Blut…“
Stefan Berger unterbrach ihn ungewollt schroff:
„Habt ihr dort sonst noch etwas Ungewöhnliches bemerkt?“
„Nein“, erwiderte Hans Gruber. „Wir haben zwar die nähere Umgebung bei der Fundstelle abgesucht, aber keinen Hinweis darauf gefunden woher das Blut stammen könnte.“
„Hast du eine Blutprobe ins Labor geschickt?“
„Natürlich!“
„Dann warte den Befund ab“, riet ihn Hauptkommissar Berger. Er verspürte nicht die geringste Lust die Fahrt zu Lynn wegen einer Rauferei sausen zu lassen.
„Du weißt doch“, brummte er, „dass sich da unten an der Flutmulde allerhand zweifelhafte Gestalten herumtreiben.
Wenn es einen handgreiflichen Streit zwischen ihnen gab, haben sie sich bestimmt gleich danach verzogen“.
Kommissar Gruber erwiderte zögernd.
„Zuerst hatte ich den gleichen Gedanken wie du. Aber es ist sehr viel Blut. Außerdem glaube ich nicht, dass die bei dieser Saukälte…Moment mal bitte, da stimmt was nicht. Kollege Bohn wurde gerade angerufen. Er schwankt und sein Gesicht ist kalkweiß.“
Hauptkommissar Berger schnappte ein paar Wortfetzen der Beamten auf, die ihn beunruhigten. Gleich darauf sprangen ihm die nächsten Worte von Hans Gruber wie eine Explosion in die Ohren.
„Am Tor der Burg Trausnitz wurde Anita Metz, die Cousine von Alfed Bohn tot aufgefunden.“
„Ich komme!“, sagte er Kurzangebunden. „Wir treffen uns an der Burg.“
Diese Nachricht warf alle privaten Pläne über Bord. Aber so lief es eben in seinem Beruf. Bei der Meldung eines Todesfalles mussten alle persönlichen Dinge zurückgestellt werden. Mit angespannter Miene legte er den Hörer auf. Anschließend wählte er Lynns Nummer. Das Freizeichen schrillte wiederholt in seine Ohren, dann meldete sich ihr Anrufbeantworter. Unruhig wartete er den Piepston ab, dann sprach er auf das Band.
„Es tut mir leid“, bedauerte er, „aber ich werde hier in Landshut gebraucht. Ich weiß nicht wie lange es dauert.
So bald ich kann, melde ich mich wieder. Ich liebe dich!“
Kommissar Gruber ließ sein Handy nachdenklich in die Tasche gleiten. Dann sah er mit ernster Miene zu Polizeimeister Bohn, der geschockt vor sich hinstarrte. Er legte seine Hand auf dessen Schulter.
„Ich habe keine Ahnung was da oben bei der Burg passiert ist“, sagte er zu ihm; „ aber ich weiß, dass Anita dir sehr nahe stand. Deshalb möchte ich nicht, dass du mich dort hinauf begleitest. Fahr bitte nach Hause“.
Alfred Bohn sah seinen Chef ungläubig an.
„Das ist doch nicht dein Ernst. Ich muss Anita sehen, muss wissen woran sie gestorben ist. Helmut glaubt nicht an einen Unfall. Aber wenn sie ermordet wurde muss ich mich an der Suche nach dem Mörder beteiligen. Das bin ich ihr schuldig. Wir sind wie Geschwister aufgewachsen.“
„Eben darum“, erklärte ihm Hans Gruber ernst. Er musste seinen Kopf nach oben heben um seinen fast zwei Meter großen Kollegen in die Augen sehen zu können. „Du weißt, dass wir keine Verwandten in solche Ermittlungen einbeziehen.“
„Du könntest eine Ausnahme machen.“
Kommissar Gruber bemerkte den gequälten Ausdruck im Gesicht von Alfred. Er tat ihm leid, aber er konnte ihm die Bitte nicht erfüllen. „Komm!“, befahl er. Dann winkte er Polizeimeister Schlagbauer herbei und sagte im bestimmten Ton: „Wir bringen jetzt Alfred nach Hause, dann fahren wir zur Burg.“
Die vom dichten weißen Reif belegte Burg bot einen verzauberten Anblick. Doch keiner der Männer, die jetzt hier eifrig beschäftigt waren, hatte ein Auge dafür. Ihr Interesse galt der Toten und den Spuren die der Mörder eventuell hinterlassen hatte.
Doktor Manfred Wiesner, der Polizeipathologe, hatte die örtliche Untersuchung der Toten beendet. Er griff sich an die Hüfte und zog sich langsam hoch:
„Der Ischiasnerv macht mir wieder zu schaffen“, knurrte er den neben ihm stehenden Hauptkommissar Berger zu.
Der Hauptkommissar nickte zwar mitfühlend aber sein Interesse galt eher dem Mordopfer. „Und wie…?“
„Schon gut“, winkte Doktor Wiesner ab: „Meine kaputte Hüfte interessiert hier nicht. Also, der Tod, der jungen Frau trat durch die Öffnung der Pulsschlagader ein. Vorher muss sie der Täter so lange gewürgt haben, bis sie bewusstlos war.“
Er schüttelte frustriert den Kopf: „Der da am Werk war, muss wahninnig sein.“
Stefan Berger stimmte dem Arzt innerlich zu. Die Art und Weise wie der Täter die junge Frau hier an das Tor gesetzt hatte, sah aus, als wollte er sie zur Schau stellen.
Um ihren Körper hatte er ein Seil gewunden und es hochgezogen bis zum schweren Eisengriff. Dort hatte er es festgeschnürt. Es sah aus, als starre die Tote hinunter auf die Strasse, die in die Stadt führte. Ihre Kleidung wirkte wie die, einer Frau aus dem Mittelalter.
Einen Moment streifte den Hauptkommissar ein Gedanke der ihm fast den Atem nahm. Doktor Wiesners Blick traf den seinen. Er wich ihm aus und versuchte ihm die Übelkeit die ihm nun zu schaffen machte, nicht zu zeigen. Er sah sich die Handgelenke der Frau an und sagte:
„Ihre Pulsschlagadern wurden geöffnet, aber an ihr klebt kein Blut. Also kann dies hier nicht der Tatort sein.“
„Sie haben Recht“, bestätigte ihm der Pathologe. „Diese Frau muss in einem Raum getötet worden sein. Entweder war sie zur Tatzeit nicht bekleidet, oder der Täter hat sie, nach dem er sie völlig ausbluten ließ, umgezogen.“
„Und die Todeszeit?“
„Wahrscheinlich am frühen Abend. Ihr Körper zeigt Erfrierungen an. Demnach muss sie schon in der Nacht hierher gesetzt worden sein. Die genaue Tatzeit kann erst in der Pathologie festgestellt werden. Hier ist meine Arbeit erledigt. Bis später.“
Kommissar Gruber, der bei der Spurensicherung half, bemerkte dass Doktor Wiesner mit seiner Tasche den Tatort verließ. Er winkte Hauptkommissar Berger zu und stapfte gleich darauf mit seinen Gummistiefeln über die Wiese zu ihm hin. Dichte Schneeflocken legten sich auf sein blondes Haar und sein kantiges Gesicht.
„Auch das noch!“, dachte er verärgert. Wenn es tatsächlich hier noch irgendwelche Spuren geben sollte, würden nun auch diese vom Schnee verwischt werden.
„Was sagt der Doc?“ fragte er den Hauptkommissar.
Stefan Berger hob die Achsel. „Du kennst doch den Wiesner. Er war wie immer knapp mit seinen Erläuterungen. Wir müssen auf seinen ausführlichen Bericht warten. Die Frau wurde jedenfalls nicht hier ermordet. Sie ist durch eine Verletzung der Pulsschlagader verblutet.“
„Das war’s dann hier“, brummte der Kommissar. „Die Kriminaltechniker sind fertig. Die Leiche wurde fotografiert und untersucht. Sie kann abtransportiert werden.“
„Habt ihr die Autospuren aufgenommen?“
„Ja, und alles hier ringsherum abgesucht. Kein Ergebnis.“
„Das habe ich mir fast schon gedacht. Und wie sieht es an der Flutmulde aus? Gab es Reifenspuren in der Nähe der Blutlache?“
„Nein. Glaubst du es gibt da einen Zusammenhang?“
„Man kann nichts ausschließen.“
An den Absperrungen hatten sich eine Menge Neugierige eingefunden die lauthals diskutierten. Außerdem versuchten ein paar übereifrige Reporter auf das Terrain zu dringen.
„Das nächste Übel“, grollte der Hauptkommissar. „Ich schlage vor, wir beenden die Suche. Dann kümmerst du dich um die Leute hier und ich rede mit den Reportern.
Sie dürfen noch nicht allzu viel erfahren. Wir treffen uns im Kommissariat.“
„Geht klar“, erwiderte Hans Gruber.
Die Stimme, die Lynn Miller vom Anrufbeantworter entgegentönte, klang bedauernd aber zugleich erregt.
Lynn beendete die Ansage mit einem Knopfdruck. Sie machte sich keine Illusionen. Wenn Stefan schon mal sagte, er würde in Landshut gebraucht, dann konnte sie erwarten, dass er den ganzen Tag dort verbringen würde.
Schade, sie hatte sich schon so gefreut ihn zu sehen.
Seit sieben Monaten kannte sie ihn und seit sechs Monaten waren sie ein Paar. Ein Paar, das sich nur selten traf. Manchmal fühlte sie sich wie ein einsamer Wolf.
Doch diese beklemmenden Momente hielten nie lange an. Es gab viel für sie zu erledigen. Vor zwei Monaten hatte sie endlich die Zulassung als Anwältin am Landgericht München erhalten. Seitdem suchte sie nach geeigneten Räumen für eine eigene Kanzlei.
Stefan meldete sich per Handy bei Lynn. „Hast du meine Nachricht schon abgehört?“
„Ja“, erwiderte sie zögernd. „Du hast mich verpasst, weil ich bei deinem Anruf gerade beim Bäcker war. Ich wollte ein etwas üppigeres Frühstück als üblich für uns Beide arrangieren.“
Stefan sah Lynns enttäuschtes Gesicht mit ihren dunklen sprühenden Augen vor sich und sagte bedauernd:
„Es tut mir leid Lynn. Ich wäre jetzt liebend gerne bei dir, aber es wird wahrscheinlich auch nichts mit dem gemeinsamen Mittag und Abendessen.“
„So schlimm?“
„Noch schlimmer, aber ich kann am Telefon nicht darüber sprechen.“
Lynn hielt den Atem an. So ernst hatte sich Stefan schon lange nicht mehr angehört. „Weißt du was?“, sagte sie spontan. „Ich komme zu dir.“
„Es kann aber spät werden…“
„Egal, ich habe doch einen Schlüssel zu deiner Wohnung.“
„Ich liebe dich“, sagte er.
„Ich dich auch“.
Stefan Berger klappte sein Handy zu und steckte es nachdenklich ein. Auf Lynn konnte er sich verlassen. Sie war die richtige Frau an seiner Seite. Aber heute würde er wohl kaum locker mit ihr sprechen können.
Jetzt sah er die Reporter, die Kommisar Gruber abgewimmelt hatte, auf sich zu kommen. Sofort stürmten sie von allen Seiten mit Fragen auf ihn ein.
„Vor der Burg Trausnitz wurde eine weibliche Person tot aufgefunden“, erklärte er. Genaue Todesursache und Zeit wird erst in der Pathologie geklärt. Näheres erfahren sie morgen um neun Uhr bei der Pressekonferenz“.
Die meisten Reporter wollten sich mit dieser knappen Aussage nicht zufrieden geben.
„Wer ist die Tote?“ rief Einer und diese Frage blieb nicht die Einzige. Aber Hauptkommissar Berger winkte ab:
„Kein Kommentar mehr!“
Kommissar Gruber hatte mit einigen der Neugierigen die sich in die Nähe des Fundortes der Leiche aufgehalten hatten gesprochen. Aber es war Niemand dabei gewesen, der etwas zu den Ermittlungen beitragen konnte.
Inzwischen war es Mittag geworden. Die Sonne war durchgebrochen und hatte den Reif vertrieben und damit auch die Romantik, die er der Natur verliehen hatte. Jetzt wirkte alles kahl und bedrohlich.
Das Bild der toten Frau ließ Hans Gruber nicht los.
Warum hatte der Täter sie ausgerechnet hierher gebracht? Und was hatte ihn getrieben diese freundliche, lebenslustige Frau zu töten? Die Kälte hatte sich selbst durch seinen dicken Parka gedrängt. Zeit nach Hause zu fahren, sich von den verdreckten Gummistiefeln zu trennen, sich umzuziehen und seinen knurrenden Magen zu besänftigen.
„Makaber“, dachte er. Jetzt ans Essen zu denken. Im nächsten Moment fiel ihm Alfred Bohn ein. Er nahm sein Handy und rief ihn an: „Wie geht es dir?“
„Schlecht! Ich bin hier zuhause und überlege mir was ich den Eltern von Anita sagen soll. Wenn es mir schon so nahe geht…“
„Ich weiß du brauchst Hilfe.“
„Nein, ich komme schon klar. Ich gehe jetzt rüber zu ihnen. Sie sollen es nicht von fremden Leuten erfahren.“
„Gut. Ich werde Lena Senft zu dir schicken. Sie wird sicher ganz behutsam mit deiner Tante sprechen.“
„Wie du meinst. Aber am Nachmittag kommen meine Eltern und meine Schwester von München zurück. Sie werden sich um Tante Martha kümmern.“
„Gut, aber Lena muss euch trotzdem aufsuchen. Es gibt einige Fragen.“
„Ich weiß es.“
Am Nachmittag beschlossen die beiden Kommissare Berger und Gruber ein Ermittlungsteam aufzustellen. Sie riefen die dafür nötigen Beamten zu einer Konferenz.
Dabei wurden die ersten Ergebnisse der Spurensicherung und der Pathologie, die zur Täterergreifung führen könnte aufgeführt.
„Wir haben leider wenig Anhaltspunkte“, bedauerte Stefan Berger.
„Also stellt euch auf eine akribisch genaue und längere Suche ein. Da wir noch kein Täterprofil und kein Motiv haben, werden wir zuerst das Umfeld von Frau Metz überprüfen. Er wandte sich an seine Assistentin, der Polizeiobermeisterin Lena Senft. „Für die Befragung der Verwandt- und Bekanntschaft von Anita Metz bist du verantwortlich. Suche dir dazu einen geeigneten Partner aus.
Lena Senft stieg eine leichte Röte ins Gesicht. Sie nickte ihrem Chef zu und sah sich ernst um: „Dann entscheide ich mich für Andrea Endres.“
„Gut“ nickte Stefan Berger und wandte sich der durch ihren blonden Kurzhaarschnitt etwas burschikos aussehenden Andrea Endres zu: „Lena hat mit dir sicher eine gute Wahl getroffen.“
Anschließend richtete sich sein Blick auf die Beamten Schlagbauer und Krause: „ Ihr Beide horcht euch bei den Leuten die in der Nähe der Burg wohnen um und dann befragt ihr die Bewohner der Hans Wertingerstrasse an der Flutmulde.“
„Erwin Schlagbauer schüttelte den Kopf: „Das schaffen wir nie an einem Tag. Wieso sollen wir überhaupt zur Hans Wertingerstrasse fahren? Die Leiche wurde doch an der Burg gefunden.“
„Der Schlagbauer kann’s einfach nicht lassen“, dachte Hauptkommissar Berger. „Jetzt bin ich schon seit sieben Monaten sein Vorgesetzter und er hat mich immer noch nicht akzeptiert.“ Aber war seine Abneigung gegen ihn nicht ebenso stark? Obwohl er wusste, dass im Amt persönliche Querelen nichts zu suchen hatten, fiel seine Antwort schärfer aus als beabsichtigt.
„Anscheinend ist es ihnen entgangen, dass heute Morgen in der Flutmulde Blut gefunden wurde.
Erwin Schlagbauer starrte seinen Chef ungläubig an:
„Und sie glauben, dass es das Blut von Frau Metz ist?“
„Warum nicht? Es wird sich bei der DNA Analyse herausstellen. Doch rätseln können sie später. Jetzt haben wir keine Zeit zu verlieren. Ich erwarte so schnell als möglich die ersten Ergebnisse ihrer Nachforschungen. “
Somit waren die beiden Beamten verabschiedet.
Und nun wandte sich der Hauptkommissar dem Kriminaltechniker Günter Wegner zu. „Du hast also bis jetzt keine verwertbaren Spuren an der Toten feststellen können?“
Günter Wegner, ein kleiner, drahtiger Mann mit rotblonden Haaren und Sommersprossen, die selbst im Winter nicht ganz verblassten, schüttelte bedauernd den Kopf.
„Es ist, wie ich dir vorhin schon sagte. Die Spuren sind lausig gering. Der Täter muss den Mord genau geplant haben. Wahrscheinlich trug er eine Schutzkleidung und Handschuhe. Es gibt einen geringen PVC- Abrieb am Kleid der Toten und unter ihren Fingernägeln. Die Laborwerte stehen noch aus.“
Stefan Berger suchte den Blick von Doktor Wiesner.
„Gab es Kampfspuren oder wurde Frau Metz vergewaltigt?“
„Nein“, sagte der Pathologe. „Sie wurde nicht vergewaltigt. Ihr Körper zeigt außer den Würgemalen am Hals und der Verwundung an den Handgelenken keine weiteren Gewaltspuren an.“
Die Sitzung war somit beendet. Hauptkommissar Berger und Kommissar Gruber verließen nach Doktor Wiesner und Günter Wegner das Konferenzzimmer. Sie sprachen erst wieder miteinander als sie ihr Büro des Kommissariats betraten.
„Hast du alles Wichtige aufgezeichnet?“
Hans Gruber nickte: „Ja, leider gab es viel zu wenig aufzuschreiben. Wir können nur hoffen, dass die Kollegen auf ein paar Anhaltspunkte zu diesem Verbrechen stoßen.“
„Du sagst es, mir graut schon vor der morgigen Pressekonferenz und dem unumgänglichen Gespräch mit Staatsanwalt Krüger.“
Als Alfred Bohn von seinen Kollegen vor seiner Haustür abgesetzt worden war, hatte sein Entschluss zu Anitas Eltern zu gehen schon festgestanden. Wenn Jemand ihnen diese entsetzliche Nachricht vom Tod ihrer Tochter überbringen sollte, dann sollte er es sein. Kein Fremder.
Aber wie sollte er es ihnen sagen? Lange war er mit bleiernen Füssen dagesessen und hatte versucht seine Gedanken zu ordnen. Doch es wollte ihn einfach nicht gelingen. Dann hatte Hans Gruber angerufen. Danach war er schweren Herzens rüber zum Haus seiner Tante gegangen. Aber es war alles noch viel dramatischer verlaufen als er es sich vorgestellt hatte.
Seine Tante, Anitas Mutter, hatte ihm die Wohnungstür geöffnet und sich gewundert dass er mit seiner Uniform bei ihr erschien. In dem Moment hatte ihn seine Stimme im Stich gelassen. Sein Onkel Josef war auf dem Sofa gesessen und hatte ihm nur flüchtig zugenickt. Sein Interesse hatte einem Bericht im Fernsehen gegolten.
„Du bist ja ganz blass Junge“, hatte Tante Martha besorgt gesagt. „Was ist denn passiert?“ Dann waren ihre Augen ganz dunkel geworden und sie hatte ihn gerüttelt.
„Ist etwas mit Anita? Ist sie verunglückt?“
Er hatte nur genickt.
„Wo ist sie? Liegt sie im Krankenhaus? Ich muss gleich zu ihr.“
Er hatte seine Tante in den Arm genommen und geflüstert, „Anita ist tot.“
Mehr hatte er nicht herausgebracht. Seine Tante hatte sich von ihm losgerissen und geschrien“, Du lügst, Anita ist nicht tot“, dann war sie in den Sessel gesunken hatte haltlos geweint.
Während er sie beruhigen wollte hatte Kommissar Gruber angerufen und als er danach sein Handy wieder eingesteckt hatte, war ihm erst aufgefallen, dass sein Onkel verkrümmt auf dem Sofa lag und röchelte. Er hatte sofort den Notarzt angerufen und erste Hilfe geleistet.
Der Notarzt hatte einen Schlaganfall bei seinem Onkel diagnostiziert und die sofortige Überweisung in die Klinik angeordnet. Dann hatte der Arzt Tante Martha eine Beruhigungsspritze gegeben und gesagt: „Ihre Tante wird jetzt ein paar Stunden schlafen. Aber ich rate Ihnen sie später zu ihren Hausarzt zu bringen. Er hatte ihm stumm zugenickt und jetzt saß er leer und ausgebrannt neben dem Bett seiner schlafenden Tante.
Auf der Fahrt zur Familie Metz hatten Lena Senft und Andrea Endres nur wenige Worte miteinander gewechselt. Und jetzt vor der Haustür verstärkte sich das flaue Gefühl, das Beide im Magen verspürten. Mit Menschen zu sprechen, die gerade ihr Kind verloren hatten, war wohl eine der Schwierigsten Aufgaben in ihrem Beruf. Lena sah Andrea ernst an, dann drückte sie zögernd auf die Klingel.
Alfred Bohn öffnete die Tür.
Lena blieb der Gruß auf der Zunge hängen. So blass und ernst hatte sie ihren Kollegen noch nie gesehen.
Alfred bat seine Kolleginnen stockend ins Wohnzimmer und bot ihnen Platz an.
„Tante Martha schläft“, erklärte er rau. „Der Notarzt war da und hat ihr eine Beruhigungsspritze gegeben.“
Lena Senft sah sich unbehaglich um: „Und dein Onkel?“
„Er ist im Krankenhaus, Schlaganfall.“
Dieser hart ausgesprochene Satz von Alfred stürzte Lena in Gewissensbisse. Andrea und sie hatten ehe sie hierher fuhren noch ein paar andere Aufgaben, die ihnen aufgetragen waren, erledigt.
„Wir sind also zu spät gekommen“, entschuldigte sie sich. Vielleicht hätten wir Frauen…“
„Vergiss es“, unterbrach sie Alfred schroff, „glaub nur nicht, dass es mit euch anders verlaufen wäre.“
Die beiden Beamtinnen schwiegen eine Weile bedrückt.
Doch dann fasste sich Lena wieder. „Können wir dir trotz allem ein paar Fragen stellen?“
„Ja“.
„Anita Metz war deine Cousine, aber kanntest du sie auch wirklich gut?“
Alfred Bohn schluckte: „ Was soll das heißen? Natürlich kannte ich sie gut! Wir sind fast wie Geschwister aufgewachsen.“
„Dann weißt du auch sicher welche Freunde und Bekannte sie hatte.“
Alfred schluckte. Der Kloß in seiner Kehle trieb ihm fast die Tränen aus den Augen. Schließlich sagte er rau:
„Alle Bekannten kenne ich natürlich nicht.“
„Das verlangt auch Niemand von dir“, versuchte Lena ihn zu beruhigen. „Beschreibe uns erst mal ihre nahesten Freunde.“
Alfred sah Lena traurig an und nickte. Er wusste wie wichtig diese Ermittlungen waren.
„Ja“, sagte er stockend: „Da wäre zuerst Sebastian Börner. Er ist der wichtigste Mann in Anitas Leben. Mit ihm ist sie so gut wie verlobt. Die Beiden möchten im Herbst heiraten.
Mit Tanja Weiss unternimmt sie auch viel. Sie ist ihre beste Freundin und wohnt gleich einen Block weiter.
Aber Anita ist auch Mitglied bei mehreren Vereinen deshalb gibt es viele Leute die sie kennen.“
Als er das aussprach wurde ihm bewusst, dass er über Anita redete, als lebe sie noch. Eine unheimliche Wut stieg in ihm empor. Seine Faust ballte sich. Er konnte nicht mehr ruhig sitzen bleiben. So lief er vor Lena und Andrea verzweifelt hin und her. Schließlich blieb er vor Lena stehen und herrschte sie an: „Wer hat ihr das angetan? Ich soll mich aus dem Fall heraushalten. Wie stellen sich die Chefs das vor? Das geht doch gar nicht.
Ich muss herausfinden wer dieser Schuft war.“
Lena Senft erwiderte sachte: „Du bist nicht allein. Wir Beide und die anderen Kollegen von der Kriminalabteilung stehen alle hinter dir. Du weißt, dass schon alles in Gang gesetzt ist, den Täter zu finden.“
Obwohl Alfred Bohn den ganzen Ablauf kannte, zweifelte er an den schnellen Erfolg seiner Kollegen. „Der Mörder ist vielleicht schon über alle Berge. Und es ist unmenschlich Tag für Tag darauf zu warten, dass man ihn endlich schnappt und was dann? Dann findet man alle Erdenklichen Gründe warum der arme Mann diese Tat vollbringen musste aber wer denkt an die Angehörigen?
Ihr wisst nicht wie das ist, wenn man selber betroffen ist.
Anita war so jung und lebensfroh. Vor ein paar Tagen ist sie in diesem Zimmer vor mir herumgetanzt vor Freude weil sie heuer wieder bei der Landshuter Hochzeit teilnehmen darf. Alle haben Anita gemocht. Ich verstehe es einfach nicht.“
Andrea Endres stand auf und fasste Alfred Bohn am Arm. „Du weißt, dass ich Anita auch gut kannte. Wir sind im gleichen Verein. Ich werde mich auch außerhalb der Dienstzeit überall umhören.“
Alfred sah auf seine nur ein Meter sechzig große Kollegin ein wenig hoffnungsvoller als zuvor herunter:
„Danke Andrea.“ Hast du Anita gestern Abend gesehen und mit ihr gesprochen?“
„Nein“, bedauerte Andrea. „Ich hatte Dienst.“
„Wir müssen herausfinden mit wem und wo Anita gestern Abend verabredet war“, überlegte Lena. „Deshalb schlage ich vor, dass ihr Beide, die Namen aller Leute, die euch aus Anitas Umfeld bekannt sind aufschreibt. Ich werde mich inzwischen in Anitas Zimmer umsehen.
Vielleicht finde ich dort einen Hinweis auf ihren Mörder.“
Alfred Bohn sah Lena Senft betreten an: „Kannst du das nicht später tun?“
„Wieso?“ fragte Lena verständnislos. Je eher wir etwas zur Aufklärung finden, desto besser ist es doch.“
„Ja, natürlich, aber Tante Martha schläft noch. Wir sollten sie nicht stören.“
Lena sah die Anspannung in Alfreds Gesicht. „Ich verhalte mich so ruhig als möglich“, versprach sie. „Also wo befindet sich Anitas Zimmer?“
Alfred erklärte es ihr zögernd und sie spürte seine Unruhe dabei.
Kurz vor Feierabend trafen sich alle Ermittler im Fall Anita Metz im Büro von Hauptkommissar Berger.
Erwin Schlagbauer schob seinen breiten, stämmigen aber nur ein Meter siebzig großen Körper nah an den Hauptkommissar heran und meldete sich als Erster zu Wort: „Es war wie ich es vorausgesehen habe“, machte er sich wichtig. „In der Hans-Wertingerstrasse hat kein Mensch etwas Verdächtiges beobachtet und die Anwohner rund um die Burg konnten uns auch nichts berichten.“
„Stimmt!“ nickte Walter Krause mit rotem Gesicht, „alles was in dieser Nacht in der Nähe der Burg gesichtet wurde, war ein Streifenwagen.“
Stefan Berger horchte auf: „Wann war das genau?“
„Kurz nach Mitternacht. Der Zeuge hat den Streifenwagen später noch auf dem Parkplatz der Burg gesehen.“
Erwin Schlagbauer druckste herum: Bei der Hans Wertingerstrasse stand ungefähr um zwei Uhr Nachts auch ein Streifenwagen. Aber der Zeuge ist nicht so recht glaubwürdig.“
„Habt ihr schon nachgefragt welche Beamten zu der Zeit in der Nähe der Burg und in der Hans Wertingerstrasse im Einsatz waren?“
Walter Krause schüttelte verlegen den Kopf:“ Nein“.
Der Hauptkommissar kräuselte verärgert die Stirn:
„Normalerweise erwarte ich von meinen Beamten, dass sie so eine einfache Aufgabe bewältigen.“
„Wir hatten genug mit der Befragung der Leute zu tun“, maulte Schlagbauer.
„Dann erledigt ihr das eben jetzt noch“, befahl Stefan Berger gereizt.
Nachdem Schlagbauer und Krause das Büro verlassen hatten, sagte einer der Techniker. „Wir haben leider auch nichts Bedeutendes entdeckt. Der Täter muss die Frau zum Auffindungsort getragen haben, denn es gab keine Schleifspuren.“
„Und die DNA?“
„Ergab auch nichts. Er muss von Kopf bis Fuß steril gekleidet gewesen sein, aber Doktor Wiesner will die Tote noch einmal gründlich untersuchen. “
Stefan Berger winkte ab:“ Na gut, ihr könnt Feierabend machen.“
Dann sah er Lena und Andrea genervt an: „Sagt bloß nicht, dass ihr genau soviel herausgefunden habt wie die Anderen.“
Lena Senft zuckte mit den Schultern:
“Wie man’s nimmt. Die Mutter von Anita Metz war nicht ansprechbar. Sie hatte eine Beruhigungsspritze bekommen und schlief als wir bei ihr waren. Herr Metz war kurz zuvor vom Notarzt abgeholt worden. Er hatte einen Schlaganfall erlitten.“
Kommissar Gruber mischte sich ein: „War Alfred noch in der Wohnung?“
„Ja, er hat sich sehr merkwürdig benommen.“
Hans Gruber runzelte die Stirn: „Du bist gut! Anita war Alfreds Cousine. Ich habe sie öfter zusammen gesehen.
Man spürte, dass sie sich gut verstanden. Glaubst du dass ihn ihr Tod kalt lässt? Außerdem war er es, der seinen Angehörigen diese Nachricht überbrachte und die Folgen davon weißt du ja. In dieser Familie geht jetzt wirklich alles drunter und drüber.“
Lena biss sich auf die Lippen: „Entschuldige Hans, das ist mir auch bewusst, aber er versuchte mich daran zu hindern in Anitas Zimmer zu gehen.“
„Glaubst du das auch Andrea?“
Andrea wurde rot. „Ja, er hatte Einwände, aber er war verständlicher Weise nervös.“
„Was tat er, während sich Lena in Anitas Zimmer aufhielt?“
„Er hat eine Liste über die Verwandten und Freunden von Anita erstellt und ich habe die Namen der Bekannten, die Anita und ich gemeinsam hatten aufgeschrieben. Es war der Vorschlag von Lena gewesen.“
„Und sonst war nichts?“
„Na ja, Alfred wirkte unruhig. Er hat immer wieder zu Anitas Zimmertür gesehen. Aber ich glaube nicht, dass er sich über Lena geärgert hat. Er fühlt sich übergangen und denkt dass er schneller wie jeder Andere auf die Spuren des Mörders stoßen würde.“
„Hat er das so gesagt?“
„So ähnlich.“
„Ich werde mit ihm sprechen. Auch wenn er nicht direkt ermittelt, so kann er uns als Zeuge doch eine gute Hilfe sein.“
Hauptkommissar Berger wandte sich an Lena. „Hast du etwas Wichtiges im Zimmer von Frau Metz entdeckt?“
Lena sah ihn zurückhaltend an: „ Sehr viel gibt es da auch nicht zu berichten. Anita Metz war eine ordnungsliebende Frau. Alles hat seinen genauen Platz. An der Wand hängen nur ein paar Familienfotos. In ihrem Schreibtisch habe ich ihr Tagebuch und ein Fotoalbum gefunden. Ich habe Beides gleich zur Überprüfung mitgebracht.“
„Gut, aber gab es keine Handtaschen oder ein Handy?“
„Im Schrank standen außer einem Rucksack ein paar verschiedenfarbige Handtaschen, aber sie waren alle leer. Die aktuelle Handtasche muss Frau Metz wohl bei sich gehabt haben.“
„Dann befindet sich die Handtasche mit ihren Papieren und ihrem Handy im Besitz des Täters“, stellte der Hauptkommissar fest. Er machte sich ein paar Notizen, dann fuhr er mit seinen Fragen fort: „Wusste Alfred Bohn wo sich Frau Metz am Tatabend befand?“
„Ja, er sagt, sie hatte bis um Zweiundzwanzig Uhr Dienst im Klinikum. Sie arbeitet dort als Krankenschwester.“
„Und er hat sie an diesem Abend nicht getroffen?“
„Nein, er gab an, er habe ein Fußballspiel angesehen.“
„Gab es sonst Jemand der mit Anita Metz nach Feierabend noch gesprochen hat?“
„Ja, ihre Kollegin Erna Fuchs. Wir haben sie, nachdem wir bei Alfred waren in der Klinik befragt. Sie sagt, sie ist kurz nach Zweiundzwanzig Uhr mit ihr ins Parkhaus gegangen. Beide wollten so schnell als möglich nach Hause.
Frau Fuchs hatte ihr Auto gleich in der Nähe der Ausfahrt geparkt. Sie verabschiedete sich von Frau Metz und fuhr gleich los. Ihr ist keine weitere Person im Parkhaus aufgefallen.“
„Sie war also die Letzte, die Frau Metz lebend gesehen hat?“
„So ist es.“
Gab es Jemand mit dem sie Streit hatte?“
„Nein. Alle Leute, die wir bis jetzt über Frau Metz befragt haben, schilderten sie als höflich und freundlich. Ihr Leben scheint in total geordneten Verhältnissen verlaufen zu sein. Sie war Mitglied in einem Chor und besuchte regelmäßig einen Fitnessclub. Außerdem hätte sie in diesem Jahr schon zum zweiten Mal an der Landshuter Hochzeit teilgenommen.“
„Gab es einen Freund oder Verlobten?“
„Ja, sie war mit einem gewissen Sebastian Börner verlobt. Aber ihn konnten wir noch nicht erreichen. Er ist momentan mit einem Arbeitskollegen in irgendeiner Skihütte in den Bergen.“
„Gab es vor ihm einen Freund?“
„Ja, aber Anita hat sich schon vor einem Jahr von ihm getrennt.“
„Könnte er wieder aufgetaucht sein?“
„Nein, er war ihr Jugendfreund. Sie haben sich, als er nach Amerika zum Studieren ging in Freundschaft getrennt. Er lebt zurzeit auch noch dort Mehr haben wir bis jetzt noch nicht herausgefunden.“
Werner Krause steckte den Kopf zur Tür herein.
„Es hat sich kein Kollege gemeldet, der gestern Nacht oben bei der Burg war. Können Schlagbauer und ich jetzt nach Hause gehen?“
Hauptkommissar Berger nickte müde: „Bis Morgen!“
Sein Kopf schmerzte und seine Kehle schien sich in ein Reibeisen zu verwandeln. Auch das noch! Eine Erkältung war das Letzte was er im Moment brauchen konnte.
Lena schob ihre Unterlagen in die Mappe. „Wir haben noch jede Menge Leute auf unserer Liste stehen die wir Morgen befragen müssen“, sagte sie. „Vielleicht erfahren wir dann etwas Spezielleres vom Leben von Frau Metz.“
„Ja gut“, knurrte der Hauptkommissar. „Ich weiß, euch treibt es nach Hause. Wir sehen uns Morgen nach der Pressekonferenz.“
Der Mann wartete in seinem Wagen gegenüber vom Eingang des Polizeigebäudes. Immer wieder kamen Leute heraus die ihn nicht interessierten. Aber was machte ihm das schon aus? Er war beharrlich wie die Katze vor dem Mauseloch. Erst, als ihm das aufkommende Schneegestöber die Sicht versperrte, wurde er etwas ungeduldig. Er stieg aus und stülpte sich die Kapuze über den Kopf. Dann trat die Frau auf die er wartete endlich vor die Tür. Er beobachtete sie, wie sie sich von ihrer Kollegin verabschiedete, den Regenschirm aufspannte und die Strasse entlang lief. Sein Puls schlug höher. Er riss die Wagentür auf, setzte sich nervös hinter das Steuer und folgte ihr.
Andrea Endres kämpfte tapfer mit ihrem Schirm gegen den Wind. Aber es nützte ihr wenig. Die Schneeflocken sausten von allen Seiten auf sie zu. Der Schirm blähte sich auf. Die Streben knickten um. Sie blieb verärgert stehen und verstaute das zerstörte Teil in ihrer Tasche.
Neben ihr hielt ein Polizeiauto. Doch sie achtete nicht darauf und hastete weiter. Das Auto rollte weiter neben ihr her. Jetzt kam es ihr doch seltsam vor. Sie warf einen Blick in das Innere des Wagens. Doch sie konnte nur eine Gestalt mit einer Kapuze erkennen. Als sie stehen blieb fuhr der Wagen an ihr vorbei. Jetzt spürte sie wie ihr Herz klopfte. Sie hatte doch tatsächlich geglaubt, sie würde verfolgt. Aber ausgerechnet von einem Polizisten? Was würden die Kollegen zu ihren schwachen Nerven sagen?
Sie war doch eine gestandene Polizistin. Aber Anitas Tod schien ihr mehr an die Nieren zu gehen, wie sie sich selbst eingestanden hatte. Jetzt sah sie das Schild der Bushaltestelle. Einige Leute warteten schon auf dem Bus der gleich darauf anhielt. Ohne lange zu überlegen stieg sie ein. Als er losfuhr sah sie den Wagen der sie anscheinend verfolgt hatte an der gegenüberliegenden Straßenseite stehen.
Kommissar Gruber starrte auf die große, schwarz umrahmte Uhr im Büro.
“Schon so spät?“, knurrte er. „Wir sollten für heute auch Schluss machen.“
Hauptkommissar Berger registrierte erst jetzt wie spät es schon war. Er schob das Protokoll für die Pressekonferenz, die am nächsten Morgen stattfinden sollte, zur Seite.
„Du hast Recht. Einmal muss Schluss sein. Wir haben uns so gut es ging auf die Fragen der Reporter vorbereitet. Sie werden so und so mit unseren Antworten nicht zufrieden sein.“
„Du sagst es“, nickte Hans Gruber, „ mir wäre es auch lieber wenn wir ihnen schon handfeste Erfolge vorweisen könnten.“
Er griff nach seinen Mantel. „Soll ich dich schnell Zuhause absetzen?“
„Das brauchst du nicht. Ein wenig frische Luft tut mit gut.
Also dann bis Morgen.“
„Ja, bis Morgen.“
Als Hans Gruber seinen Wagen startete, dachte er an seine Frau und seine beiden Kinder, die oben am Moniberg in dem kleinen Einfamilienhaus auf ihn warteten. Seine Frau musste zuweilen sehr viel Geduld mit ihm aufbringen. Aber er versuchte zumindest das was ihm am Tag über geärgert hatte nicht mit nach Hause zu nehmen. Doch heute viel es ihm schwer das Erlebte abzuschütteln. Seine Frau hatte Anita auch gekannt.
Sicher hatte man in den Nachrichten schon über den Tod der jungen Frau berichtet. Obwohl die Heizung im Auto schon funktionierte, lief es ihm eiskalt über den Rücken. Die Scheibenwischer versuchten die dichten Schneeflocken hinwegzufegen, doch sie schafften es nur halb. Der Verkehr lief zögernd dahin. Der Streifenwagen, an dem er vorbeifuhr stand etwas zu weit auf der Straße.
Welcher Polizist parkte da so leichtsinnig? Wohnte da nicht Andrea Endres? Wahrscheinlich hatte sie ein Kollege nach Hause gebracht. Einen Moment streifte ihn der Gedanke an das Polizeiauto das man in der Tatnacht an der Burg gesehen hatte. Er tippte leicht auf die Bremse. Doch dann spürte er seinen knurrenden Magen und er sah sich schon mit seiner Familie im Esszimmer bei einer guten Brotzeit sitzen.
Stefan Berger schlug seinen Mantelkragen hoch und lief durch das Schneegestöber. Heute war dieser Lauf zwar nicht sehr angenehm aber sonst kam es ihm sehr gelegen, dass seine Wohnung nur etwa zehn Minuten Gehweg vom Kommissariat entfernt lag. So konnte er sich am Morgen fit laufen und am Abend die dicke Luft vom Büro aus den Lungen blasen.
Lynn erwartete Stefan schon. Sein Herz schlug schneller. Er fasste sie um ihre schlanke Taille, zog sie an sich und küsste sie stürmisch. Einen Moment gab es nur sie Beide. Dann löste sie sich von ihm und lachte. „Meine Bluse ist nicht wasserdicht.“ Sie nahm ihm den nassen Mantel ab und brachte ihn in die Garderobe. Im Wohnzimmer fand er einen liebevoll gedeckten Abendtisch vor.
Er lächelte und setzte sich hin.
Doch im nächsten Moment verfinsterte sich seine Mine.
Die Tote von der Burg kam ihm wieder in den Sinn. Er versuchte die Gedanken an sie abzustreifen, aber es gelang ihm nicht wirklich.
Lynn verstand, dass er nicht so einfach abschalten konnte. Sie setzte sich ihm gegenüber und sah ihn ruhig an.
Er aß ein paar Bissen, dann durchbrach er das Schweigen. „Wir haben heute Morgen eine tote Frau vor der Burg gefunden.“
Lynn nickte: „Ich habe im Radio davon gehört. Gibt es schon Hinweise auf den Täter?“
„Nein, er hat fast keine Spuren hinterlassen.“
Lynn nickte: „Ich verstehe, dass dich das beunruhigt.“
„Natürlich tut es das. Das weist doch auf eine lange Suche nach dem Mörder hin und ich muss mich ständig auf Erklärungen einlassen. Morgen gibt’s die erste Pressekonferenz und der Staatsanwalt wird schnelle Ergebnisse erwarten.“
„Trotzdem solltest du mal abschalten. Erinnere dich daran was nach dem Mord an Jaqueline geschah. Die Mörderin wurde zwar gefasst, aber der eigentliche Drahtzieher lässt es sich in Südamerika gut gehen. Und du kannst gar nichts daran ändern. Da ist jetzt die BKA zuständig.“
„So ist es leider, aber das nagt in mir. Doch jeder Fall liegt anders. Damals gab es viele falsche Spuren, heute dagegen fast keine.“
„Und jetzt bist du bei mir. Jetzt bist du Stefan Berger, der seinen Feierabend genießt. Lynn hob ihr Glas und prostete ihm zu.“
Er sah ihr in die Augen und wusste dass sie Recht hatte.
Die Pressekonferenz war vorüber und der Bericht an den Staatsanwalt abgeliefert. Hauptkommissar Berger und Kommissar Gruber unterhielten sich über die nächsten Schritte die sie im Fall Metz unternehmen wollten.
„Schlagbauer und Krause sind schon unterwegs in die Hans-Wertingerstrasse“, sagte Hans Gruber, „aber für Andrea Endres müssen wir einen Ersatz finden. Ihr Freund hat sie krank gemeldet.“
„Krank?“ fragte Stefan Berger überrascht. „Gestern erschien sie mir noch putzmunter.“
„Das kann sich manchmal ganz schnell ändern aber Lena ging es genau wie dir. Sie konnte auch nicht so recht an die plötzliche Erkrankung von Andrea glauben.
Sie nimmt eher an, dass sie den Tod von Anita nicht verkraften kann. Schließlich war sie mit ihr befreundet.“
Stefan Berger zog die Stirn kraus: „Trotzdem kann sie nicht einfach vom Dienst fern bleiben. Ist Lena noch im Haus?“
„Ja, sie wollte noch ein paar Telefonate tätigen.
Möchtest du mit ihr sprechen?“
Als Stefan Berger nachdenklich nickte griff Hans Gruber zum Telefon.
Kurz darauf betrat Lena Senft das Büro des Kommissars. Sie wirkte angespannt und nervös. „Ihr möchtet mich sicher wegen Andrea sprechen“, kam sie ihren beiden Chefs zuvor. „Ich mache mir doch selbst Vorwürfe, dass ich sie als meine Partnerin im Fall Metz ausgesucht habe. Aber ich erfuhr erst danach von ihr, dass sie Anita Metz gut kannte.“
„Stopp!“ unterbrach sie Stefan Berger. „Das steht hier nicht zur Debatte. Sie hätte sich als befangen erklären können, aber ob ich das hätte gelten lassen steht auf einem anderen Blatt. Wo kämen wir denn hin, wenn alle Polizisten so zart besaitet wären. Hans meint, du hättest gestern noch nichts von einer Erkrankung von Andrea bemerkt?“
„Nein, absolut nicht, aber das muss nichts sagen. Ich habe mich eigentlich mehr darüber gewundert dass ein Freund sie krank gemeldet hat. Andrea hat keinen Freund.“
„Das weißt du genau?“
Lena wurde rot: „Ja, wir haben gestern noch darüber gesprochen. Wir haben uns überlegt ob wir nicht der Kosten wegen eine Frauen-WG gründen sollten.“
Hans Gruber schüttelte verwundert den Kopf: „Aber gestern Abend stand ein Streifenwagen vor dem Haus in dem Andrea wohnt. Ich dachte, sie hätte Besuch von einem Kollegen.“
„Bestimmt nicht“, wehrte Lena ab. Der muss bei irgendwelchen anderen Leuten gewesen sein. Ich rufe sie am besten noch einmal an.“
„Was heißt noch einmal? Hast du schon versucht sie zu erreichen?“
Lena nickte: „Schon mehrmals.“
„Vielleicht befindet sie sich gerade bei ihrem Hausarzt“, mutmaßte Stefan Berger.
„Nein“, sagte Lena zögernd. „Ich habe schon in der Praxis angerufen.“
Lena versuchte ruhig zu bleiben, aber sie konnte Hans Gruber nichts vormachen. „Du machst dir Sorgen um Andrea?“
„Ja, natürlich! Ich möchte schon gerne wissen was mit ihr los ist.“
„Gut“, das verstehe ich“, sagte Hans Gruber zögernd.
„Fahr hin, sieh nach ihr, aber vergiss auch nicht die Leute, die du im Fall Metz noch befragen musst.“
Alles, was der junge korpulente Mann unternahm musste nach einem akribisch genauen Plan ablaufen. Aufstehen, duschen, das Frühstück für seinen Vater, der seit zwei Monaten durch einen Schlaganfall bedingt auf seine Pflege angewiesen war, zubereiten. Dann mit dem vollen Tablett die schmalen Stufen im kleinen Einfamilienhaus empor stampfen, den kranken Vater in den Rollstuhl hieven und ihm das Essen eingeben. Anschließend begann er den Raum, der wie ein Klinikzimmer steril eingerichtet war, zu säubern und das Bett aufzuschütteln. Und bei allem was er tat, sprach er auf den hilflosen Vater ein. Der Anfang seiner Reden entsprach der eines Rosenkranzes, immer die gleiche Litanei.
„Guten Morgen. Der ehemalige Zivildienstleistende Krankenpfleger meldet sich zum Dienst.“
Und wie jeden Morgen trat das Entsetzen in die Augen des alten Mannes.
Er begann zu ächzen, versuchte ein paar abwehrende Worte zu finden. Aber es endete in einem unverständlichen Lallen.
„So, so, du hast mich also erkannt und findest es schade dass ausgerechnet der Sohn, der dir immer lästig war, dich betreut. Was, du willst nicht essen? Das geht nicht, du musst lange leben. Du musst auf Kurt, deinen Lieblingssohn warten. Du hast ihm die Autowerkstatt übergeben. Aber die interessiert ihn nicht mehr. Er erträgt deinen Anblick nicht mehr. Deswegen ist er auf eine lange Reise gegangen. Alter, Alter, du stinkst jeden Tag mehr.
Aber keine Angst, ich wasche dich trotzdem. So, und jetzt lege ich dich wieder ins Bett. Dann hast du bis Mittag Zeit an Kurt zu denken. Oder denkst du auch mal an das was ich dir erzähle? Ich weiß, es gab nicht viel zu erzählen in der letzten Zeit aber wenn ich gefrühstückt habe, lese ich dir etwas aus der Landshuter Zeitung vor.
Heute werden die Schreiber noch nicht allzu viel über das Geschehen an der Burg berichten aber das wird sich ändern. Die Polizei und die Förderer werden bald vor schweren Rätseln stehen. Jede Wette, dass keiner von denen sie löst. Oder wettest du dagegen? Ach du kannst ja gar nichts dazu sagen.“
Er kicherte böse. „Ich muss ja noch den Mief aus deinem Zimmer lassen. Dann öffnete er das Fenster weit und sah hinunter zur Werkstatt. Er grinste breit: „Da unten in deinem Büro liegt auch eine die wie du und alle anderen mein Genie verkennt.“
Sein Magen begann zu knurren und er wurde unruhig.
„Genug gelüftet.“
Lena Senft dachte auf dem Weg zu Andrea Endres nach, über was sie Beide gestern alles gesprochen hatten. Das meiste hatte sich um Anita gedreht. Aber da sie sich gut verstanden, unterhielten sie sich in den Pausen auch über persönliche Dinge. Sie hatten sich Beide vor Kurzen von ihren Partnern getrennt und Beiden lag die teure Miete schwer auf den Magen. So hatte sie Andrea vorgeschlagen zu ihr zu ziehen, denn sie besaß die größere Wohnung. Andrea war nicht abgeneigt von dieser Idee und nichts hatte darauf hingewiesen, dass sie sich krank fühlte.
Als sie jetzt schon zum vierten Mal auf Andreas Klingelknopf gedrückt hatte und sie sich nicht meldete, fühlte sich Lena immer unbehaglicher. Besorgt klingelte sie bei den Nachbarn. Irgendjemand drückte auf den Türöffner.
Lena fuhr bis in den fünften Stock.
Die Nachbarin von Andrea stand in einem Morgenmantel gehüllt und großen Haarwicklern auf den Kopf vor ihrer Wohnungstür. „Waren Sie es, die mich aus dem Bett geklingelt hat?“ fragte sie schlaftrunken.
Lena nickte: „Entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich wollte eigentlich zu Frau Endres. Sie ist krank, aber ich kann sie telefonisch nicht erreichen und auf mein Klingeln an der Tür reagiert sie auch nicht.“
Die Frau wurde mit einem Schlag munter und grinste zweideutig: „Ich glaube nicht, dass die Endres krank ist.
Vielleicht hat sie gar nicht hier geschlafen.“
„Wie kommen Sie denn darauf?“
„Ich habe sie gestern Abend am Aufzug mit einem Mann gesehen. Sie schien ziemlich verliebt zu sein.“
„Und woraus schließen sie das?“
„Na ja, der Mann hat sie fest im Arm gehalten und sie hat ihren Kopf nicht einmal beim Einsteigen in den Aufzug von seiner Schulter genommen.“
„Wie sah der Mann aus?“
„Es war ein Polizist. Er war ganz schön korpulent und seine Uniform saß schlecht. Er trug eine Brille, einen Bart und seine Haare hingen ihm bis zur Schulter. Mehr kann ich nicht über ihn sagen, denn ich habe ihn nur kurz gesehen. Die Andrea wirkte, als wäre sie beschwipst. Sie hat mich nicht einmal gegrüßt.“
Lena bedankte sich und ging zum Aufzug. „Da ist was faul“, dachte sie besorgt. Sie griff zum Handy und rief Hans Gruber an.
Der Kommissar bat Lena, sich lieber ihrer eigentlichen Arbeit zu widmen. Anschließend könne sie sich ja noch mal um Andrea kümmern. Sie spürte dass er gerade unter Zeitdruck litt. Frustriert steckte sie ihr Handy ein. So verloren und machtlos hatte sie sich noch nie gefühlt.
Hauptkommissar Berger hatte sich das Fotoalbum von Anita Metz angesehen. Sie hatte fein säuberlich unter jedes Bild das Datum an dem es aufgenommen wurde und die Namen der Personen die mit ihr abgelichtet waren, geschrieben. Er notierte sich alles Wichtige und nahm sich ihr Tagebuch vor. Es war ihm nicht angenehm ihre intimsten Gedanken zu lesen. Aber es musste sein.
Ihr Leben schien in klaren Bahnen zu verlaufen. Sie schrieb über ihren Verlobten, der Laborant in der gleichen Klinik wie sie war. Aus dem heimlichen Date waren bald offizielle Treffen geworden. Es gab ein paar Freundinnen mit denen sie sich öfter traf. Sie schrieb über das Fest der Landshuter Hochzeit an der sie wieder als aktives Mitglied teilnehmen durfte. Man konnte meinen, dass dieses Fest ihr fast noch wichtiger war, als ihre eigene Hochzeit die ein paar Wochen danach stattfinden sollte. Der einzige Wermutstropfen schien ein Arzt zu sein mit dem sie einfach nicht zu Rand kam. Hauptkommissar Berger notierte sich dessen Name. Einmal wurde kurz ein Pfleger erwähnt den sie nicht mochte, der jedoch zum Glück für sie schon wieder entlassen worden war. Aber das war gleich zu Beginn des Tagebuches gewesen und schien nicht wichtig zu sein. Wahrscheinlich gab es noch ein Tagebuch aus früheren Zeiten das die Leute von der Spurensicherung sicher finden würden. Aber er machte sich wenig Hoffnung etwas zu finden das auf den Mörder hinwies.
Als Kommissar Gruber zu ihm ins Büro kam, klappte er das Tagebuch zu und sagte: „Wenn man die ganzen Unterlagen von und über Anita Metz durchliest, sieht man eine Frau vor sich mit einem harmonisch, wohlgeordneten Leben, die viele Freunde und Bekannte besaß. Es gab zwar ein paar harmlosen Querelen mit ein paar Arbeitskollegen, aber nichts das zu einer Feindschaft auswuchs.
Ihr näheres Umfeld kann man also erstmal vom Mordverdacht ausschließen. Hier fehlt das Motiv.“
Kommisar Gruber runzelte nachdenklich die Stirn.
„Wir müssen also annehmen, dass der Täter sein Opfer willkürlich ausgesucht hat.“
Stefan Berger nickte: Als ich die Tote so blutleer an der Mauer sitzen sah, streifte mich der gleiche Gedanke.
Seither befürchte ich, dass der Mörder seine Tat wiederholt.“
„Das hätte uns noch gefehlt, ein Serienkiller in Landshut.
Angenommen es wäre so. Dann frage ich mich, was treibt ihn dazu? Sexuelle Befriedigung kann man nach dem pathologischen Befund ausschließen.“
„Wir sollten das Ganze nicht übertreiben. Wenn die Tötung der Frau nicht so abstrakt gewesen wäre, könnte man auf einen Raubmord schließen.“ sinnierte Stefan Berger.
Hans Gruber runzelte die Stirn. „Vielleicht war es auch einer. Schließlich hatte Frau Metz weder ihre Handtasche noch ihr Handy bei sich.“ „Vergiss es!“, winkte Stefan Berger ab: „Das mit dem Raubmord war eine blöde Idee von mir. Es kann gar nicht so sein. Dieser Mord war heimtückisch geplant. Womöglich steckt auch ein religiöser Fanatiker dahinter.“
„Und der sucht sich ausgerechnet Frau Metz als Opfer aus? Ich weiß nicht…“
Stefan Berger trommelte nervös auf seine Schreibtischplatte. „Natürlich ist dieser Gedanke absurd“, gab er zu, „aber er ist einer auf der Liste der Möglichkeiten. Jedenfalls können wir zu diesem Zeitpunkt nichts ausschließen.
Irgendwie müssen wir uns versuchen in diesen Menschen hineinzuversetzen, ihn versuchen zu verstehen.“
Hans Gruber fuhr sich fahrig durch die Haare: „Das habe ich schon versucht, aber dann schiebt sich immer nur das Bild von der toten Anita vor meine Augen. Kein normaler Mensch kann einer Frau so etwas antun.“
„Gut, lassen wir das erstmal. Dieser Fall bringt genügend andere Arbeit mit sich.“
„Da sagst du was“, stöhnte Hans Gruber. Wir haben viel zu wenige Leute für die Ermittlung. Manche unserer Beamten fühlen sich doch jetzt schon überfordert.“
„Tut mir leid“, erwiderte Stefan Berger hart.
„Da müssen wir alle durch.“
Der Raum schien Andrea Endres fast zu zerquetschen.
An der Wand, neben der Liege auf der sie lag, hing ein voll gestopftes Regal. Auf der linken Seite standen ein Spind aus Blech, daneben ein Schreibtisch mit Computer und darüber ein Bord mit verschiedenen Aktenordnern.
An der rechten Seite befand sich ein Fenster, das man eher als Luke bezeichnen konnte. Daneben befanden sich ein alter abgewetzter Sekretär und eine Tür, die mit ihren aufgemalten Zeichen auf eine Toilette hinwies.
Als sie zum ersten Mal aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht war, umhüllte sie nur die Dunkelheit aber sie spürte die Enge. Und sie spürte die Plastikseile die ihren Körper umspannten. Doch noch ehe sie um Hilfe schreien konnte, war ein Licht aufgeflackert. Ein bulliger Mann war vor ihr gestanden und hatte ihr etwas zu trinken eingeflößt. Dann war sie in einem tiefen Schlaf versunken.
Als sie jetzt wieder erwachte, drang ein spärliches Tageslicht in ihre blinzelnden Augen. Es war sicher nur ein Traum. Sie schloss ihre Lider und öffnete sie gleich wieder. Jetzt nahm sie alles deutlich wahr und sie versuchte sich zu erinnern wie sie hierher gekommen war.
Ihre volle Blase verursachte krampfartige Schmerzen in ihrem Bauch. Aber sie konnte nicht aufstehen.
Vor dem Raum dröhnten dumpfe Schritte. Sie wollte schreien aber die verbrauchte Luft nahm ihr den Atem.
Die Schritte kamen näher. Ihr wurde heiß und kalt zugleich.
Ein Schlüssel drehte sich im Türschloss. Dann stand der bullige Mann vor ihr. Er bückte sich über sie und befreite sie von ihren Fesseln. Und noch ehe sie etwas sagen oder sich wehren konnte, stieß er sie von der Liege und trieb sie durch die Tür zur Toilette. Der Raum war so klein, dass sie sich kaum rühren konnte. Aber sie war froh, sich erleichtern zu können. Doch dann fühlte sie das Dröhnen in ihrem Kopf noch stärker und die Schmerzen in ihrem Hals die von den Würgegriffen des Polizisten herrührten, brachten sie fast zum Erbrechen.
Es war ihr, als erlebe sie den vergangenen Abend noch ein Mal. Sie hatte, als Jemand bei ihr klingelte gedacht, Lena habe etwas vergessen. Doch vor ihr war der dicke Polizist gestanden und hatte sich sofort durch ihre Tür gedrängt. Die Größe und Stärke des Mannes da draußen stimmten mit dem Polizisten überein. An sein Gesicht konnte sie sich außer dem Bart und der großen Brille nicht mehr erinnern. Die Brille trug er jetzt nicht mehr.
Doch was hieß das schon?
Der Mann ging zur Liege und nahm das Kopfkissen auf dem Andrea gelegen hatte hoch. Es roch nach dem Parfüm das ihn oben bei der Burg als sie an ihm vorbeigegangen war, gestreift hatte. Er war inmitten der Neugierigen gestanden die beobachteten wie die tote Frau weggeschafft wurde. Das Gesicht der jungen Polizistin war bleich gewesen und sie hatte ihn mit großen Augen angesehen aber ihr Blick war durch ihn hindurch gegangen. Sie hatte ihn gar nicht bemerkt. So wie alle Frauen es taten. Sie war ihm schon öfter begegnet und sein Verlangen nach ihr wurde von Mal zu mal unbezähmbarer. Und jetzt hatte er sie endlich für sich.