Hass in meinen Schuhen - Lieselotte Rositzka - E-Book

Hass in meinen Schuhen E-Book

Lieselotte Rositzka

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Beschreibung

Eine freudlose Kindheit, ein strenger Vater, eine Ehe in der sie durch die Hölle geht. Mehr kann Vanessa nicht verkraften. Sie entwickelt eine unheimliche Härte und trennt sich auf makabre Weise von ihrem Mann Alex. Dann zieht sie nach München. Dort stößt sie auf das Geheimnis der Brüder Mark und Stefan Brückner und deren Geschäftspartner Patrick Neufeld. Sie nutzt ihr Wissen raffiniert aus. Doch ihre Gegner sind hart im Nehmen und suchen nach ihrem Widersacher. Eine Fülle menschlicher Tiefen tut sich auf. Aber wer wird in diesem Rachefeldzug siegen?

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Buch

Eine freudlose Kindheit, ein strenger Vater, eine Ehe in der sie durch die Hölle geht. Mehr kann Vanessa nicht verkraften. Sie entwickelt eine unheimliche Härte und trennt sich auf makabre Weise von ihrem Mann Alex. Dann zieht sie nach München. Dort stößt sie auf das Geheimnis der Brüder Mark und Stefan Brückner und deren Geschäftspartner Patrick Neufeld. Sie nutzt ihr Wissen raffiniert aus. Doch ihre Gegner sind hart im Nehmen und suchen nach ihrem Widersacher.

Eine Fülle menschlicher Tiefen tut sich auf. Aber wer wird in diesem Rachefeldzug siegen?

Autorin

Lieselotte Rositzka wurde in Ludwigsthal geboren. In ihrer Kindheit, die sie zum größten Teil in der Nähe von Bad Kissingen verbracht hat, schrieb sie schon Theaterstücke. Als junge Frau zog sie nach Ingolstadt. Dort wurden im Donaukurier ihre Kindergeschichten veröffentlicht. Danach verfasste sie Kriminalromane, unter anderen auch ein Theaterstück, das in Berlin uraufgeführt wurde. Zurzeit lebt die Autorin in Landshut.

Von Lieselotte Rositzka ist außerdem erschienen:

Getriebener Geist. Mystery Krimi Roman

Vorwort

Dieser psychologische Krimi befasst sich mit einer Frau die ein kindliches Trauma nie so recht überwindet und sich in eine Scheinwelt flüchtet aus der sie in ihrer Ehe hart herausgerissen wird.

Vanessa fährt zu der einsamen Mühle ihres Vaters und hofft dort die Lösung ihrer Probleme zu finden. Doch dort spürt sie in jeder Ecke die Angst die sie vor ihrem harten Vater hatte. Diese Angst verwandelt sich in Wut und unbändigen Hass auf alle Männer.

Nachdem sie sich von ihrem Mann Alex getrennt hat lodert in ihr die Gier nach Geld und Macht. Sie zieht nach München. Dort lernt sie Robert Braun kennen und benutzt ihn für ihre Zwecke. Als sie durch ihn an brisante Daten der Firma Brückner gelangt, erpresst sie die Inhaber.

Doch Mark Brückner ist ein hartgesottener Geschäftsmann, der auch vor einem Mord nicht zurückschreckt. Er setzt gegen den Erpresser einen Detektiv ein und hetzt einen Killer auf ihn. Vanessa gelingt es den Vedacht auf mehrere Männer zu lenken die alle Opfer dieses Erpressungsfalles werden.

Vanessa glaubt am Ziel ihrer Wünsche zu sein. Doch der Horror nimmt kein Ende.

Vor zwei Jahren war das ihr heute unbegreifliche geschehen. Ein paar Minuten hatten genügt um die starre abweisende Haltung, die sie schon seit ihrer Kindheit Männern gegenüber eingenommen hatte, über Bord zu werfen.

Sie hatte sich eine Hängematte zwischen die Akazien gespannt, die im Garten der alten Mühle ihres Vaters standen. Dann hatte sie sich hineingelegt und vor sich hingeträumt. Der nahe Bach hatte träge vor sich hingeplätschert und selbst die Vögel hatten sich vor der sengenden Sonne leise in den Hecken versteckt. Doch dann hatte das knarren eines Motorrades diese friedliche Stille durchbrochen. Fast feindselig hatte sie sich aufgerichtet und hinüber zur nahen Strasse geschaut. Das Motorrad war näher herangekommen, hatte noch einmal ein lautes Aufheulen von sich gegeben und war dann vor der Mühle stehen geblieben.

Der Fahrer war abgestiegen, hatte seinen Helm abgenommen und ihn an den Lenker gehängt. Dann hatte er sich den Schweiss von der Stirne gewischt, eine Kamera aus seiner Satteltasche geholt und alles was ihn unter die Linse kam, fotografiert.

Ihr erster Gedanke war, “wie kommt dieser Kerl hierher und wer hat ihn erlaubt unsere Mühle von allen Seiten abzulichten?”

Sie war aus ihrer Hängematte gewippt, war mit gekrauster Stirn zum Steg über dem Bach auf ihn zugegangen und kurz vor ihm stehen geblieben.

“Was tun Sie hier?” hatte sie ihn mit erhobener Stimme gefragt und ihn dabei abweisend gemustert.

In dem Moment hatte er die Kamera gesenkt und sie mit einem Lächeln angesehen das sie wie Blitz und Donner zugleich traf. In dem Moment war der Bann gebrochen.

Sie hatte sich sofort in den Mann mit den stahlblauen Augen, die gar nicht so recht zu seinen fast schwarzen wilden Haaren passten, verliebt. Von nun an gab es in ihren Träumen den idealen Mann – Alex.

Er hatte dieses Aufleuchten in ihren Augen gleich richtig erkannt und ihr das Gefühl gegeben ihre Liebe zu erwidern. Dieses knisternd, erotische Gefühl riss sie in einen Taumel des Glücks und des schrecklichen Erwachens.

Jetzt sass sie auf der Terrasse ihrer Wohnung in Würzburg, sah wehmütig über die grünen Weinberge die bis hinunter zum Main führten und dachte daran, dass sie sich wohl bald von diesem idyllischen Platz trennen musste. Einen winzigen Aufschub gönnte sie sich und Alex noch.

Sie ging ins Wohnzimmer und sortierte den Stapel Rechnungen den sie in einer Schublade gefunden hatte. Wieso tat Alex solche Dinge? Hatte er die Rechnungen vor ihr versteckt oder hatte er sie einfach ohne weiter darüber nachzudenken abgelegt? Beides sah ihm ähnlich. Die Wohnungstür wurde geöffnet. Alex! Er kam mit federnden Schritten mit einer duneklroten Rose bewaffnet herein und hielt sie ihr strahlend entgegen. “Vanessa ich...”

Sie übersah die Rose, deutete auf die Rechnungen und wischte seine gute Laune mit erboster Stimme weg.

“Kannst du mir das erklären?”

Er zog seine Stirne kraus und lächelte verlegen:

“Ich wollte dich nicht damit behelligen. Ich bringe das schon in Ordnung.”

Vanessa schüttelte unwillig den Kopf: “Ha, wann und wie willst du das schaffen, wenn ich fragen darf? Seit mein Vater die Unterhaltszahlungen für mich strich, geht es bei uns finanziell drunter und drüber. Mein Sparkonto ist leer und mein Gehalt reicht gerademal für die Nebenkosten und das Essen. Und du machst noch Schulden anstatt dich um einen Job zu kümmern.” “Vanessa!” Er ergriff ihren Arm, zog sie an sich.

Sie versuchte sich von ihm los zu lösen.

“Vanessa, bitte höre mir zu, bitte!” Er sah ihr in die Augen – “Ich hab einen Job, sogar einen sehr lukrativen.”

Vanessa wandte sich ab: “Das glaube ich dir nicht.”

Alex hielt sie noch immer fest. “Und warum nicht? Nur weil ein paarmal etwas schief lief? Diesmal ist es anders. Morgen erhalte ich den Vertrag von einer Werbefirma die in der ganzen Welt Spots dreht. Sie brauchen einen guten Fotografen und der bin ich – oder zweifelst du daran?”

“Nein,” sagte sie, “an deinem Können habe ich noch nie gezweifelt aber ich zweifle daran, dass du etwas daraus machst.”

Er liess sie los. “Ich bin morgen schon den ganzen Tag bei Probeaufnahmen dabei. Sie geben mir eine reelle Chance, bitte gib auch du sie mir.”

Sie sah ihm in seine flehenden Augen und es war wieder um sie geschehen.

“Also gut, aber ich möchte morgen den Vertrag sehen ehe du ihn unterzeichnest.”

“Ja, ich weiss,” lachte er, die Betriebswirtin will jedes Wort genau prüfen.”

Er nahm sie in die Arme, küsste sie und löste ihr zusammengestecktes Haar. “Du weißt,” flüsterte er ihr ins Ohr, “wie sehr ich deine lange, seidige Mähne liebe.”

In der Nacht träumte Vanessa von ihrem Vater und wachte schweißgebadet auf. Er war so übermächtig und zynisch wie damals als er sie vor Alex gewarnt hatte, im Zimmer gestanden. Sie versuchte die Gedanken daran abzuschütteln. Doch es gelang ihr nicht. Sie sah die Szene von jenem Tag deutlich vor sich.

Damals öffnete sie mit Schwung die Tür. Doch ihr Lächeln erstarb sofort und ihre abwehrende Haltung schien ihrem Vater mehr als tausend Worte zu sagen.

„Willst du mich nicht herein bitten?“

Sie war ihm widerwillig ins Wohnzimmer vorangegangen, hatte zögernd ein Glas aus dem Schrank geholt und ihn gefragt was er trinken möchte.

„Das hat Zeit“, winkte er energisch ab. Zuerst möchte ich wissen warum ich dich in den letzten Tagen telefonisch nie erreichen konnte!“

Sie hatte stur an ihm vorbeigesehen und gesagt: „Ich war ein paar Tage verreist.“

„Ach, und da hattest du dein Handy stehts ausgeschaltet?“

„Ich hatte es gar nicht dabei.“

„Also kommen wir gleich zur Sache. Warum hast du mir nichts von deiner Bekanntschaft mit Alex Winter erzählt?“

„Warum hätte ich das tun sollen? Alex ist sicher nicht der Typ der in dein Weltbild passt.“

„Stimmt, deine Menschenkenntnis lässt zu wünschen übrig.“

„Bist du nur gekommen um mit mir zu streiten?“

„Natürlich nicht, aber ich möchte dich vor diesem jungen Mann warnen. Er ist in aller ersten Linie hinter unserem Vermögen her.“

„Jetzt gehst du zu weit Vater. Alex liebt mich. Ihm ist es egal was ich besitze, denn er verdient selbst genug. Er ist ein erfolgreicher Modefotograf.“

„Du willst also diesen Typen wirklich heiraten?“

„Das habe ich schon getan.“

„Was? Das glaube ich nicht! Du kennst ihn doch erst drei Monate.“

„Na und? Ich liebe ihn eben. Ich habe mir schon gedacht dass du Alex ablehnst ohne ihn zu kennen. Aber dass du mir sogar nachspionierst, das ist das Letzte.“

„Ich habe dir nicht nachspioniert,“

„Ach, und woher weißt du dann wie lange ich schon mit Alex zusammen bin?“

„Alex war bei mir, ich habe mit ihm gesprochen.“

„Wie, wann soll denn das gewesen sein?“

„Er hat dir nichts von seinem Besuch bei mir in der Mühle gesagt? Das wird ja immer besser.“

„Vielleicht wollte er mich nicht beunruhigen, denn ich kann mir schon vorstellen wie euer Gespräch verlaufen ist.“

„Gut, dann hat sich dieses Gespräch ja schon erübrigt.

Jetzt bist du ja schon seine Frau.“

„So ist es und ich bin glücklich mit ihm.“

„Dann sollte ich dir eigentlich Glück wünschen. Aber ich hab da so meine Bedenken. Und ich sage dir nocheinmal gib auf dich acht. Er ist hinter deinem Geld her.“

„Überlegst du dir überhaupt was du sagst?

„Ich hoffe nur, dass du einen Ehevertrag mit ihm abgeschlossen hast.“

„Jetzt reicht es mir. Ich möchte, dass du gehst.“

„Wie du willst. Aber wenn dein Mann so gut verdient, benötigst du ja meinen monatlichen Scheck nicht mehr.“

Nach diesem Gespräch war ihr Vater gegangen.

Seitdem hatten sie sich nicht mehr gesehen.

Vanessa schlüpfte fröstelnd aus dem Bett und zog sich um.

Sie wünschte sich nur noch ein paar Stunden ohne derartige Täume und Gedanken schlafen zu können.

Am Morgen danach verlief wirklich alles anders als an den Tagen zuvor. Alex stand schon früh auf, half Vanessa das Früstück zu zubereiten und war sichtlich nervös.

“Lampenfieber?” fragte sie lächelnd und er nickte.

“Du schaffst es schon.” Und dieses mal war sie selbst davon überzeugt.

Vanessa sah immer wieder auf die grosse schwarze Uhr im Büro. Sie hatte gleich am Morgen ihre Chefin darum gebeten früher nach Hause gehen zu dürfen.

Jetzt, kurz vor Dienstschluss kritzelte sie auf einen Zettel alles was sie für den Abend einkaufen wollte. Alex liebte üppige Büffets und heute sollte er es bekommen. Heute wollte sie nicht knausern. Heute wollte sie mit ihm feiern.

Vanessa stellte die vollbepackten Tüten aus dem Supermarkt ab und schloss die Wohnungstür auf. Dann sammelte sie die Tüten wieder ein, ging in die Küche und legte sie auf den Tisch. Als sie die Tüten auspackte bemerkte sie die Unordnung um sich herum und wich erschrocken zurück. Sie hatte am Morgen die Küche sauber aufgeräumt verlassen. Alex konnte um diese Uhrzeit noch nicht zuhause sein. Er arbeitete doch bis zum Abend in dem Werbestudio. Jetzt vernahm sie deutliches Stimmengewirr. Ahnungsvoll verlies sie die Küche und bemerkte, dass die Wohnzimmertür einen spaltbreit offenstand. Sie schob sie weiter auf und starrte stocksteif auf die Szene die sich ihr durch die Nebelschwaden des Zigarrettenrauches bot. Angewidert lehnte sie sich an den Pfosten.

Die Männer droschen ihre Karten auf den Tisch, gaben rauhe Komentare von sich, tranken Bier aus den Flaschen und setzten sie wieder ab. Keiner bemerkte sie.

Als sie so da stand und das Bild, das sich ihr an diesem schwülen Nachmittag bot, in sich aufnahm, starben die letzten Gefühle für Alex in ihr.

Alex schmetterte seine Karten auf den Tisch: “Mir reichts für heute. Meine Alte kommt bald von der Arbeit.”

“Vergiss nicht,” drohte einer der Männer – dass du uns noch eine Menge Zaster schuldest – Morgen ist Zahltag!”

“Alex stand schwankend auf: “Ich hab’s schon nicht vergessen. Morgen verkauf ich meinen Wagen, dann kriegt ihr euer Geld.”

“Mein Wagen?” Wie konnte Alex von seinem Wagen sprechen? Seinen Porsche hatte er doch schon längst wieder verkauft. Also konnte er nur ihr Auto zu Geld machen.

Vanessa löste sich aus ihrer starren Haltung.

“Raus! Raus hier!” Ihre Stimme überschlug sich.

Alex stolperte fast über seinen Stuhl und wich erschrocken zurück. “Vanessa – was machst du denn schon hier?”

Seine Kumpels standen teils unverschämt grinsend, teils verwirrt auf und trotteten mit beissenden Kommentaren hinaus. Alex rief: “Wartet ich komm noch mit auf ein Bier.”

Er schob sich ohne sie anzusehen an ihr vorbei, dann fiel die Haustür ins Schloss.

Alex hatte also nicht mal den Mum sich mit ihr auseinanderzusetzen. Sie zog den vergilbten Vorhang zurück und öffnete die Terrassentür. Langsam krochen die Rauchschwaden hinaus ins Freie. Am liebsten hätte sie die stinkenden Bierflaschen auch hinaus geschmissen aber was hätte ihr das gebracht? Sie trug sie zum Kasten in der Küche, leerte die überquellenden Aschenbecher aus und wischte den Tisch ab. Die Wut steigerte sich zum maßlosen Zorn über Alex. Sie musste raus aus der Wohnung.

Draussen wurden ihre Schritte immer schneller und schliesslich rannte sie, als ob die wilden Stiere aus der spanischen Arena hinter ihr her wären. Aber wem lief sie eigentlich davon? Sie musste den Spiess umdrehen und den Stier an den Hörnern packen. Als sie im nahen Park angekommen war, setzte sie sich auf die nächste Bank die sich ihr anbot.

Fetzen ihrer verkorksten Ehe flogen an ihr vorbei.“Jetzt ist es genug,” sagte sie zu sich selbst. “Jetzt muss ich handeln.” Sie beschloss beim Morgengrauen mit dem Fahrrad zur Mühle zu fahren.

Die Mühle lag unverändert da, als sei die Zeit in den letzten Jahren hier stehen geblieben. Aber was sollte sich hier auch ändern? Es war das gleiche Tal, die gleichen Akazien und Weiden; nur ein wenig höher gewachsen wie damals, und die Hecken der Buschwindröschen erschienen ihr dichter und durchdringlicher. Dem Gemäuer sah man an, dass es immer wieder restauriert wurde und die Fensterläden zeigten einen neuen Anstrich. Daran merkte sie, dass ihr Vater noch immer seine Sonntage hier draussen verbrachte. Während sie über den Steg lief, der sich über den schmalen Bach spannte und im Hof der Mühle endete, holten sie die ersten Kindheitserinnerungen ein.

Aber sie schob die düsteren Gedanken wieder zurück, schritt entschlossen auf das Wohngebäude zu, nahm den Schlüssel aus ihrem Rucksack und schloss auf. Sie tastete sich durch den dunklen Flur, ging zur Küche und öffnete das Fenster.

Der helle Sonnenschein glitt über die altdeutschen Eichenmöbel, die so fest und stark wie unverrückbar alte Bäume auf sie wirkten. Sie setzte sich auf einen der harten Stühle und fühlte in dieser Atmosphäre die Aura ihres Vaters. Es war nicht nötig die Augen zu schliessen um ihn vor sich zu sehen. Gross, stämmig und knorrig, wie alles hier. Jetzt, da Vanessa so dasass, in mitten dieser Starre und Ruhe, in der selbst das Ticken der Uhr störte, begann sie sich zu fragen ob es richtig war, hier her zu kommen. Sie wusste dass ihr Vater sich an gewöhnlichen Werktagen nie hier aufhielt. Doch das spielte keine Rolle. Er schob sich in ihre Gedanken, verdrängte fast die Probleme mit Alex. Aber sie war doch nur wegen Alex hier her gekommen. Sie versuchte sich auf ihn zu konzentrieren. Doch die schwüle Luft, die trotz dem geöffneten Fenster noch immer im Raum hing, verstärkte ihre aufkommende depressive Stimmung. Sie rieb sich die pochenden Schläfen, die den immerwiederkehrenden Kopfschmerz ankündigten.

“Einfach aufstehen, sich einen neutralen Ort zum Nachdenken suchen, das wäre wohl der beste Weg. Aber es war, als klebe sie auf dem Stuhl fest.

“Hebe deine Schultern hoch – setze dich gerade hin – du lässt deine Arme wieder wie ein Affe bis zum Boden schleifen.” Die imaginäre Stimme ihres Vaters drang kritisch aus allen Ecken des Raumes. Sie ertappte sich bei dem Gedanken sich wie früher vor ihm verstecken zu wollen. Oft genug hatte sie dies getan... Sie schauderte und versuchte diesem unheimlichen Gefühl zu entrinnen.

Alles was damals geschah hatte sie bis in ihr tiefstes Unterbewusstsein verdrängt und wollte es auch niemals wieder hervorholen.

Doch jetzt musste sie an die Zeit nach dem Tod ihrer Mutter denken. Damals war sie mit ihrem Vater Sonntag für Sonntag hier her zur Mühle, in diese Einsamkeit gefahren. Er hatte immer wieder eine Stelle an dem alten Gemäuer gefunden die renoviert werden musste und sich fast verbissen in die Arbeit gestürzt. Und so hatte sie sich in jenen Stunden alleine mit sich selbst beschäftigen müssen. Oft war sie sogar froh darüber gewesen. Beim gemeinsamen Mittagessen waren zwischen ihnen nur wenige lieblose Worte gefallen. Er hatte ihr ruhiges, ernstes Wesen nicht verstanden und sie hatte ihm nicht mehr vertrauen können. Dann, eines Tages hatte er sie in ein Internat abgeschoben. Sie hasste ihn noch heute dafür und für den Tod ihrer Mutter.

Sie wischte sich über die brennenden Augen. Das war doch alles vorbei, war längst Geschichte. Sie war hier um einen Schlussstrich unter die hier verbrachten Jahre und ihre misslungene Ehe zu machen. “Also, Schluss mit all diesen zermürbenden Gedanken an Vater und Alex.”

Langsam löste sich das starre Gefühl in ihr. Sie erhob sich, stiess den Stuhl zurück und ging nach draussen.

Eine Weile blieb sie unschlüssig stehen, dann wanderte sie um die Mühle, sah den Vögeln nach, die sich in die Lüfte erhoben und beneidete sie. Warum konnte sie nicht einfach wie sie davon fliegen? Vielleicht könnte sie es, wenn es diese beiden Männer nicht gäbe?

Vater war zu oft in ihren Gedanken und Alex würde ihr immer auf den Fersen sein, würde sie nie freigeben. Nicht weil er sie liebte. Er wartete auf das Geld das sie erben würde. Viel zu spät hatte sie diese bittere Wahrheit erkannt.

Das Summen der Insekten erinnerte sie an die nahe Imkerei. Dabei fiel ihr ein, dass Alex allergisch auf Bienenstiche reagierte und deshalb panische Angst gegen Bienen entwickelte. Sie grinste spöttisch. Diese kleine Wesen waren das Einzige wovor Alex respektvoll zurückwich und die Flucht ergriff. Das brachte sie auf eine, für sie beruhigende Idee. Sie atmete tief die frische Landluft ein, stiess den Mief der Stadt aus ihren Lungen und spürte das nachlassen der Kopfschmerzen. Langsam schlenderte sie zum Haus zurück und mit jedem Schritt fühlte sie sich gelöster, fast heiter. Ja, es war die richtige Entscheidung gewesen, hier her zu kommen. Hier hatte sie nicht nur viele Stunden ihrer Kindheit und Jugend zugebracht; hier hatte sie auch Alex kennengelernt. Ihre Liebe zu ihm hatte hier begonnen, und sie wollte sie auch hier beenden.

Sie ging ins Haus und holte ihr Handy aus ihrer Tasche.

Während sie die gewünschte Nummer wählte, dachte sie daran, wie sie die vorangegangenen Stunden verbracht hatte.

Zuerst war sie zornig, dann traurig, verzweifelt und wieder wütend auf Alex und sich selber. Wieso war sie Alex gegenüber so blind gewesen? Hatte sie sich immer wieder gefragt. Aber jetzt, da das tuten ihres Telefons von zuhause an ihr Ohr klang, fühlte sie nur noch diese kalte, fremde Leere in sich.

Diese Gleichgültigkeit war ihr neu, erstaunte sie fast.

Aus dem Handy ertönte die verschlafene, alkoholisierte Stimme ihres Mannes: „Hallo, hallo, wer ist denn da? Vanessa – bist du es?“

„Ja!“

„Wo steckst du?“

„Ich bin in der Mühle.“

„In der Mühle? Was machst du in der Mühle? Mir brummt der Schädel, komm sofort zurück!“

„Ich komme nicht mehr zurück – es ist vorbei!“

Alex lachte verächtlich: „Ach, die liebende Tochter ist wieder zu ihrem Vater zurück gekehrt – aber daraus wird nichts – nicht so lange wir verheiratet sind.“

Abrupt legte Vanessa den Hörer auf. Er wird kommen, dachte sie zynisch, er wird kommen, so wie das Amen in der Kirche.

Alex starrte verärgert auf den Hörer in seiner Hand.

Vanessa war es anscheinend egal wie schlecht er sich fühlte.

„Die kommt zurück, grollte er. Auf Knien kommt sie wieder angerutscht. Die kann ohne mich nicht leben!“ Er rieb sich die pochenden Schläfen. „Oder doch?“ Schon seit Monaten sprach sie immer wieder vom Weglaufen, ab und zu sogar mal von Scheidung. Aber er hatte ihr Gejammere und ihre drohenden Sprüche nicht wirklich ernst genommen. Wo sollte sie schon hin? Mit ihrem Vater war sie hoffnungslos zerstritten und ihrer Oma in Frankfurt spielte sie immer das heile, glückliche Leben, das sie mit ihm führte, vor. Warum sollte sich dies jetzt ändern? Wegen gestern? Lächerlich. Bisher hatte sie sich noch immer mit ihm versöhnt. Wie kam sie dazu, einfach wegzulaufen? Sollte sie doch in der Mühle warten bis sie schwarz wurde.

Er holte sich das letzte Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich in die Nähe des Telefons. „Gleich wird sie anrufen und mich um Verzeihung anwinseln,“ grinste er verächtlich und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche.

Dann sann er nach. Zuerst war es für ihn nur eine kurze Romanze gewesen die er jederzeit abbrechen konnte. Ihm hatte das heimliche Treffen mit ihr an den Samstagen in der Mühle gereizt, es hatte ihm Spass gemacht. Er hatte das Verbotene geliebt und er hatte die Art wie sie ihn für seine Wildheit, seinen Freiheitsdrang und seine Begabung als Fotograf bewunderte, genossen. Die Beziehung war enger geworden, aber damals hatte sie ihn noch nicht so bedrückt wie heute. Sogar als sie dann nachWürzburg wo er wohnte und gelegentlich arbeitete, gezogen war um dort ihr Studium zu beenden, war noch alles prächtig verlaufen. Seine Freunde hatten ihn um diese rassige Frau, der man auf den ersten Blick ihre, von der mütterlichen Seite brasilianischen Vorfahren ansah, beneidet. Das hatte ihn zwar geschmeichelt aber das massgebende war für ihn das Finanzielle gewesen.

Ihr Vater hatte ihr eine grosszügige Wohnung mit kleinem Garten am Main gekauft und ihren Unterhalt bezahlt. Er hatte ihr überhaupt alles bezahlt.

Das Studium, den Computer, die Kleidung, den Sportflitzer – sie hatte nie an Geld gedacht. Es war einfach dagewesen. Als er sie danach gefragt hatte, hatte sie abgewunken und gesagt: “Vater fällt es nicht schwer für mich aufzukommen. Schliesslich bin ich seine einzige Tochter und er hat ein schlechtes Gewissen mir gegenüber.”

Mehr war nicht von ihr heraus zu holen gewesen und er hatte es dabei belassen, denn er hatte sich in diesem Wohlstand geaalt. Doch leider war er, nach dem sie ihr Studium beendet hatte, auf die Idee gekommen sie auch ohne die Einwilligung ihres Vaters zu heiraten. Ein fataler Fehler, denn nach der Hochzeit hatte sich alles schlagartig geändert. Vanessas Vater hatte sofort, als er von ihrer Heirat erfahren hatte, die Unterhaltszahlungen an sie eingestellt. Zum Glück hatte sie gleich nachdem sie ihr Studium beendet hatte einen gutbezahlten Job im Finanzamt bekommen.

Er atmete tief durch. Trotzdem war die erste Zeit ihrer Ehe finanziell gut gelaufen. Vanessa hatte ihm Kontovollmacht erteilt. So konnte er sich von ihrem Ersparten einen gebrauchten Porsche kaufen, eine neue Fotoausrüstung und vor allen Dingen mit seinem Freund Kevin zum Pokern gehen. Doch dann rann der Spargroschen dahin und Vanessa erkannte die Lage.

Dieses Ende der sorglosen Zeit hatte es mit sich gebracht, dass sie ihm ständig in den Ohren lag sich einen lukrativen Job zu suchen. Aber das ging meistens schief.

Und jetzt gab er ihr in seinem Elend die Schuld daran dass er nach und nach alle wertvollen Dinge die sie besassen verkaufen musste. Sie hätte doch bloß ihre Oma um Geld bitten können.

Er starrte zum Telefon – noch immer gab es keinen Laut von sich. Schon war er bereit selbst bei ihr anzurufen, aber dann zögerte er. Er wusste wie hart ihr das Warten an die Nieren ging. Also musste er sie nur lange genug zappeln lassen. Und wieso kam er dazu seine Zeit mit den Gedanken an die Vergangenheit zu verschwenden? Was hinderte ihn daran zu seinen Kumpels zu gehen?

Vielleicht gewann er ja heute beim Pokern?

Und wenn sie diesmal ernst machte – und wirklich nicht mehr zurück kam? Er begann zu rechnen. Er verlöre viel – viel zu viel. Warum war er auch so töricht gewesen mit ihrem Vater zu streiten? Er hatte sich zu sicher gefühlt, war zu undiplomatisch ihm gegenüber gewesen. Er könnte wie im Schlaraffenland leben, könnte im Geld schwimmen...

Vanessa nahm die runde Blechdose in die sie ein paar Löcher gebohrt hatte und verliess die Mühle. Sie schlenderte den Bach entlang durch die blühende Wiese bis zum Ansatz des Waldes. Summende Bienen schwirrten durch die Luft, tankten den Nektar der Blumen und flogen zurück zu den Bienenstöcken die hier standen als seien sie aus dem Boden gewachsen. Ein ewiges Hin und Her – ruhig und zielbewusst. Sie lächelte beim Anblick der fleissigen Insekten, entfernte den Deckel ihrer mit lockendem süssen Duftstoff getränkten Dose, stellte sie ins Gras und freute sich über jede Biene die sich darin fing. Sie schob den Deckel über die Dose in der nun mehrere Bienen die Freiheit suchten und trug ihren Fang vorsichtig zur Mühle. Sie ging hinein in die Küche und stellte die Dose auf die Anrichte.

Die Pendel der alten Standuhr bewegten sich im schwingenden, behäbigen Rhythmus und liessen den Gong viermal dunkel ertönen. Das dumpfe Schlagen der Uhr sagte ihr, dass Alex eigentlich schon da sein müsste. Langsam ging sie ans Fenster, beugte sich hinaus und lauschte. Aber es war nur das rauschen des Baches, das wispern der Bäume und das zwitschern der Vögeln zu hören.

Eine eigenartige Unruhe erfasste sie, liess den Raum zu eng werden. Sie wandte sich vom Fenster ab, lief zur Tür, riss sie auf und eilte hinaus in den Hof. Erregt sah sie in die Richtung aus der Alex kommen würde. Aber es gab noch nichts was diese entlegene Idylle störte. Der laue Wind fächelte über sie hinweg und lies sie wieder ruhiger werden.

„Nur nicht nervös werden!“ sagte sie sich und versuchte für kurze Zeit die Gedanken an Alex zurück zu drängen.

Sie setzte sich auf die steinerne Bank die unter einer Birke stand und versuchte sich zu entspannen. Doch nun erinnerte sie sich an ihren neunzehnten Geburtstag. Sie hatte ihr Abitur gut bestanden und nun war die Internatszeit beendet. Ihr Vater hatte sie zurück ins Dorf geholt. Er hatte gehofft dass sie bald im nahegelegenen Würzburg Medizin studieren und später seine Landarztpraxis übernehmen würde. Am Sonntag waren sie wie gewohnt hier heraus zur Mühle gefahren und sie hatten wieder nur ein paar karge Worte gewechselt. Sie war nach dem Mittagessen in den Hof gelaufen, hatte sich genau wie heute auf diese Bank gesetzt und darüber nachgedacht wie sie mit ihm über ihre eigenen Zukunftspläne sprechen sollte. Auf keinen Fall wollte sie in seine Fussstapfen treten, denn für sie kam nur ein Betriebswirtschaftsstudium in Frage. In diesem Fall hatte sie sich endlich einmal durchgesetzt.

Als ihr Studium schon fast beendet war fuhr sie zur Mühle und versuchte mit ihren Vater über ihre Bewerbungen beim Finanzamt und Steuerberatern zu sprechen. Doch leider kam sie nicht dazu.

Ihr Vater war aus dem Haus gekommen und und hatte gesagt: “Es hat einen Unfall im Dorf gegeben. Ich komme sobald es geht wieder zurück. Aber er war erst wieder am Abend zurückgekommen. Es war der Nachmittag als Alex hier zum ersten mal aufgetaucht war.

Alex – jetzt war sie wieder mit ihren Gedanken bei ihm. Sie sann über ihre Beziehung mit ihm nach und fand es im Nachhinein schrecklich wie sie ihn damals angehimmelt und in ihn alle guten Eigenschaften die ein Mann besitzen kann projiziert hatte. Heute musste sie sich gestehen, dass sie von ihm zu viel verlangt hatte. Denn allzu bald hatte sie erkennen müssen, dass es für ihn unmöglich war, ihren Vorstellungen von Liebe und Zusammenleben gerecht zu werden und sie hatte Abstriche gemacht. Das hatte sie so lange getan bis nichts mehr von ihrem Traum übrig geblieben war. Aber nun spielte dies alles keine Rolle mehr. Jetzt, da sie alle Träume vergraben hatte, wünschte sie sich nur noch diese letzte Auseinandersetzung mit Alex herbei.

Die Sonne stand nun genauso hoch am Himmel wie damals bei ihrer ersten Begegnung hier im Hof. Als nun das Röhren des Motorrades durch die stille Gegend dröhnte, blieb sie auf der Bank sitzen und hielt einen Moment die Augen geschlossen. Sie versuchte sich an jenen Tag zu erinnern, die gleiche erregende Stimmung wie damals hervor zu zaubern aber es gelang ihr nicht mehr.

Das gerattere der Maschine schwoll an und stoppte jäh vor ihr.

„Vanessa! Vanessa – was soll der Unsinn?“ Die verärgerte, beleidigte Stimme von Alex drängte sich in ihre Ohren aber sie amüsierte sie nur noch darüber. Langsam öffnete sie die Augen und begutachtete ihn wie einen Fremden. Seine geschwollenen Augenlieder verrieten die durchzechte Nacht aber sonst sah er genauso wild und draufgängerisch aus wie einst. Aber nun, da das romantische Gewebe das sie um ihn gesponnen hatte, zerstört war, sah sie ihn so realistisch wie er eben war. Egoistisch – machomässig und besitzergreifend.

Er stieg von seiner Maschine ab, stampfte auf Vanessa zu und stellte sich wütend vor sie.

„Vanessa, ich warte immer noch auf eine Erklärung von dir!“

Sie blieb ruhig sitzen und sah ihn zynisch an.

“Du verlangst von mir eine Erklärung? Das ist ja lächerlich. Da wärst schon eher du damit an der Reihe.

Aber lassen wir das Hickhack. Ich habe mich dazu entschlossen, mich von dir zu trennen.”

Er starrte sie einen Moment fassungslos aus zusammen gekniffenen Augen an. Dann spie er ihr entgegen:

„Das kannst du dir aus den Kopf schlagen – ich lasse mich nicht scheiden!“

Sie lachte ironisch: „Du meinst, du willst deinen Goldesel nicht verlieren. Aber keine Bange,” kam sie seiner wütenden Entgegnung zuvor, “es wird dir an nichts fehlen.

Ich werde morgen mit meinem Vater über mein mütterliches Erbe sprechen und ihn bitten es mir auszubezahlen.“

Sie ging langsam auf die Terrasse zu und Alex trottete, fieberhaft einen Ausweg suchend neben ihr her.

“Ich glaube nicht, sagte er, dass dein alter Herr mit sich reden lässt, oder hast du schon vergessen dass er nach unserer Hochzeit ohne jede Rücksicht alle Unterhaltszahlungen für dich gestrichen hat? Für mich ist er ein unerbittlicher geiziger Knacker.“

“Du siehst es eben so. Doch mir ist klar geworden, dass er damals richtig gehandelt hat.“

“Richtig?“

“Ja, denn ich musste lernen wie hart es ist sein Leben selbst zu finanzieren. Es war für mich wie ein Sprung ins kalte Wasser.” Alex starrte Vanessa an, als stehe eine völlig fremde Frau vor ihm. Er setzte zu einer Entgegnung an, doch Vanessa winkte ab: “Du brauchst mich gar nicht so vorwurfsvoll ansehen, denn du weißt genau, dass du mir in keiner Weise geholfen hast, das für mich neue, schwierige Leben zu meistern. Meine Achtung und meine Liebe zu dir sind daher längst verflogen.“

Jetzt grollte Alex: „Hör bloss auf mit deinen Vorwürfen. Schliessslich warst du nach unserer Hochzeit damit einverstanden, dass ich mich weiterbilde und du in der Zeit die Kohlen herbeischaffst. Du hast mich ja geradezu gedrängt die Kurse zu belegen.“

Vanessa sah ihn verächtlich an: “Das stimmt allerdings.

Es gibt aber dabei einen kleinen Unterschied zwischen uns Beiden. Ich habe mich an unsere Abmachung gehalten. Doch du leider nicht. Du hast vergessen, dass du dich gleich nach deinem Abschluss um einen Job bemühen wolltest. Statt dessen hängst du mit deinen Freunden in Spielsalons herum, betrinkst dich über die Masen und schreckst dabei nicht zurück mir in deinem Rausch weh zu tun. Nein danke, mir reichts.“

Alex knurrte beleidigt: „Ich hab dir weh getan? Du spinnst wohl! Ab und zu hab ich dich mit einem kleinen Schubs aus dem Weg geräumt weil ich dein Gekeife nicht mehr hören konnte. Wenn du dabei an den Schrank geknallt bist, kann ich doch nichts dafür. Es stimmt auch nicht dass ich mich nicht um einen Job umgesehen habe.

Ich hatte doch einen. Doch mein Chef, dieser Römer hat mich mit vagen Aussagen wieder rausgeschmissen und mich sogar verklagt.“

„Ja, und diesen Prozess hast du verloren und ich mußte die Kosten der Regressforderung die er an dich stellte übernehmen. Ich habe meine Wohnung mit einer Hypothek belastet und kann von meinem Verdienst die Raten nicht mehr bezahlen. Wach doch endlich auf! Ach was rege ich mich denn auf. Du willst es nicht kapieren.“

„Jetzt sehe es doch nicht so eng. Es gab eben bisher nichts was mich echt interessiert hätte. Alles Kleinbürger!

Ich möchte mein eigener Chef sein.”

“Ist schon gut!” winkte Vanessa ab, „das hast du mir, wenn du betrunken warst, oft genug vorgejammert. Du hast es zwar nicht verdient aber ich werde dir helfen, dich nach unserer Trennung selbsständig zu machen.”

Alex grinste hämisch: “Und wie willst du das auf die Reihe kriegen? Ich denke du hast kein Geld mehr?”

Vanessa liess sich von seinem Spott nicht beeindrucken:

“Du bekommst mein mütterliches Erbteil,” sagte sie.

“Hunderttausend Euro. Vater ist zwar hart aber gerecht, er wird mir das Geld für dich geben und mir meinen Fehltritt verzeihen.“

„Fehltritt nennst du unsere Ehe?” schrie Alex wütend.

“Pass auf, dass du dein fieses Spiel mit mir nicht zu weit treibst.”

Vanessa lächelte ironisch: „So würde ich es nicht nennen. Ich gebe dir nur deine Freiheit zurück.“

Alex blieb schweigend stehen. Diese neue Situation überforderte ihn. Bisher war er es immer gewesen, der in dieser Ehe das Sagen hatte. So schnell würde er nicht klein beigeben. Er sah ihr, als sie zum Schuppen ging, sinnend nach und schwieg auch noch als sie mit dem grossen weissen Sonnenschirm auf die Terrasse zurück kam und ihn aufspannte. Als sie wieder vor ihm stand sah sie ihn lächelnd an, als habe es nie Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen gegeben und bat ihn: “Setz dich bitte zu mir. Hier im Schatten lässt sich’s leichter reden”.

Als er zögernd stehen blieb, sagte sie: “Ach - Du wirst durstig sein, ich hole dir erst etwas zu trinken. Inzwischen kannst du dir mein Angebot durch den Kopf gehen lassen. Ich sage dir aber gleich, dass es für mich kein Zurück mehr gibt.“

Ja, er war durstig, seine Kehle war staubtrocken aber sicher nicht nur von der Hitze. Er nahm einen der Klappstühle die an der Wand lehnten und setzte sich darauf. Der Schatten unter dem Sonnenschirm tat ihm gut. Er sann über sich und Vanessas Vorschlag nach.

Dann stellte er sich die Hunderttausend Euro vor. Für den Anfang wäre es ein ganz schöner Brocken.

Ausserdem wäre es bestimmt gut eine Zeitlang niemanden mehr um sich herumzuhaben, der ihn ständig bevormundet oder vorwurfsvoll anjammert. Und diese Bänker die ihn in letzter Zeit behandelten wie einen Penner. Denen würde er es zeigen. Außerdem wird Vanessa früher oder später sowieso wieder vor meiner Tür stehen und mich betteln wieder zu ihr zurückzukehren. Dann habe ich sie soweit, dass sie das Erbe ihrer Grossmutter mit mir teilt, ganz zu schweigen von dem Besitz ihres Vaters, der ihr ja als seiner einzigen Tochter auch noch zufällt. Wenn sie sich sträubt, weiss ich wie ich sie dazu bringe, noch einen weiteren Batzen springen zu lassen.

So gab er sich der Ruhe und dem lauen Lüftchen das über ihn hinweg zog hin und freute sich auf das angenehme Leben das nun auf ihn zukam.

Ein paar Minuten danach kam Vanessa mit einer Bierflasche um die sie eine Serviette gewickelt hatte zurück.

„Wie immer, ganz Etepetete“ grinste er.

Sie reichte ihm mit kaltem Blick sein Lieblingsgetränk und drehte sich um.

Alex setzte die Flasche sofort an den Mund, nahm genüsslich einen kräftigen Schluck daraus und fühlte im nächsten Moment einen stechenden Schmerz.

Vanessa die langsam zur Terrassentür zurück gegangen war, drehte sich um und sah ungerührt zu ihm hinüber.

Er fasste sich an die Kehle und wankte ihr entgegen.

Sein Gesicht lief krebsrot an.

Sie aber machte nicht den geringsten Versuch ihm zu helfen. Wieso auch? Die Bienen in der Flasche erfüllten genau den Zweck den sie erfüllen sollten.

Die Vögel zwitscherten weiter in den Hecken und Bäumen durch die der laue Wind fächelte. Im Bach sprudelte das Wasser wie immer seinem Ziel zu. Der Garten, die Mühle, alles sah so unverändert wie am Morgen aus. Nur die Sonne schien sich weiter entfernt zu haben, denn sie brannte nicht mehr so gnadenlos wie vor ein paar Stunden herunter auf den Sterbenden.

Vanessa schien wie ein Teil dieser Ruhe und des langsamen, bedächtigen Weiterstrebens inmitten dieser Einsamkeit. Sie befand sich jetzt in der Küche, nahm die Dose von der Anrichte und legte sie in ihre Tasche. Dann drehte sie sich um und sah nach, ob sie alle Spuren von sich verwischt hatte. Zufrieden wandte sie sich um und ging nach draussen zum Schuppen in dem sie ihr Fahrrad abgestellt hatte und holte es heraus. Dann schob sie das Motorrad von Alex hinein und verschloss den Schuppen wieder. Anschliessend ging sie zu Alex, hob die Serviette auf, die sie benutzt hatte um Fingerabdrücke zu vermeiden. Seelenruhig versteckte sie ihre Haare unter die Kappe mit dem grossen Schild, setzte ihre Sonnenbrille auf und fuhr mit ihrem Rad Richtung Würzburg.

Als sie ihr Fahrrad in die Garage stellen wollte, gähnte diese ihr leer entgegen. “So ein Schuft!” schimpfte sie vor sich hin, “er hat also tatsächlich mein Auto verkauft.”

Mit bitterböser Miene stellte sie ihr Rad ab; aber schon während sie das Garagentor schloss glätteten sich ihr Züge wieder. Das war der letzte Streich den ihr Alex gespielt hatte.

Der wolkenlose Himmel versprach einen von Gewittern und Regen verschonten Tag. Erleichtert stellte Peter Karsten seine Kühlbox in den Kofferraum seines Wagens, stieg ein und fuhr in Richtung Mühle. Er war froh dass es diese friedlichen Sonntage gab. In der vergangenen Woche hatte ihn genug Ärger und Stress begleitet. An diesem Nachmittag würde er, so nahm er sich vor, mal nicht an der Mühle herumreparieren. Er würde sich die Liege aus dem Schuppen holen und unter den Schatten spendenden Bäumen so richtig faulenzen. Die Vorfreude entspannte sein Gemüt.

Die Mühle lag nur zwei Kilometer von seinem Haus entfernt und so rollte er schon nach kurzer Fahrt in deren Hof. Er stieg aus, holte die Kühlbox aus dem Wagen und ging zur Mühle. Dann sah er die weit geöffnete Wohnzimmertür. Überrascht blieb er stehen und überlegte ob er die Tür bei seinem letzten Besuch vergessen hatte zu schliessen. Dann schüttelte er den Kopf. “Nein so schusselig bin ich nicht.„ Vanessa fiel ihm ein. Sie war die einzige die ausser ihm einen Schlüssel für die Mühle besass. Doch diesen Gedanken verscheuchte er gleich wieder. Sie war schon seit Jahren nicht mehr hier gewesen und sie würde auch nicht mehr freiwillig hier her kommen. Aber wer sollte dann...?”

Als er sich der Terrasse näherte sah er dort einen Mann in gekrümmter Haltung liegen. Sofort eilte er zu ihm, hoffte ihm helfen zu können, doch als er ihn umdrehte fuhr er wie elektrisiert zurück. Alex starrte ihn aus herausgequollenen Augen an. Sein Körper fühlte sich eiskalt an und er wusste sofort dass er schon stundenlang so dalag. Zwar konnte er ihn zu Lebzeiten nicht leiden – aber so einen Tod – nein, den wünschte man nicht einmal seinen ärgsten Feind.

„Vanessa “– scholl die besorgte Stimme ihres Vaters aus dem Hörer. “Du musst sofort hierher zur Mühle kommen. Es ist etwas schreckliches passiert.“

“Hattest du einen Unfall?“

„Nein, dein Mann ist hier.“

„ Alex? Ich verstehe nicht ganz. Er woltte doch nach Bad Kissingen fahren.“

„Ich sagte doch, er ist hier...“

“Vielleicht hat er einen Zwischenstopp bei der Mühle eingelegt. Habt ihr euch gestritten – oder hast du ihn gar verletzt?”

„Nein!"

„Weshalb spricht er dann nicht selbst mit mir?“

„Es geht nicht, aber am Telefon möchte ich nicht mit dir darüber sprechen.“

„Dann eben nicht!“ sagte sie patzig.

„Vanessa du verstehst mich schon wieder falsch. Lege bitte nicht auf, es ist – Alex ist tot. Er ist erstickt.“

„Erstickt sagst du? Aber wie ist so etwas möglich?“ Sie gab ein paar verzweifelte Schluchzer von sich und sagte im weinerlichen Ton: “Ich komme so bald es geht.“

“Was heisst hier, sobald es geht?”

“Wir haben unser Auto verkauft. Ich komme mit dem Zug.” “Gut,” sagte ihr Vater überrascht, “nehm dir dann am Bahnhof ein Taxi hier her.”

“Ja, das werde ich tun.”

Noch ehe ihr Vater weitere Fragen stellen konnte, beendete sie das Gespräch. Sie stellte sich zynisch lächelnd sein erschrockenes Gesicht vor. Ihm wird der Anblick seines ungewollten Schwiegersohnes nicht mehr so schnell aus dem Sinn gehen und er wird nie erfahren dass er mit seinen abfälligen Prognosen über ihn recht behalten hatte. Vater klang, als er mit ihr sprach, entsetzt und ratlos und das schien ihr nur gerecht – er sollte entsetzt und ratlos sein. Langsam schritt sie zum Kleiderschrank, wählte einen dunklen Hosenanzug für die Fahrt zur Mühle aus. Dann nahm sie ihre Reisetasche und packte die nötigsten Dinge ein. Sicher musste sie ein paar Tage im Dorf bleiben.

Als Vanessa aus dem Taxi stieg, lief ihr Vater mit ernster Miene auf sie zu: “Es ist schrecklich,” sagte er, “dass wir uns unter solchen Umständen wiedersehen.”

“Wo ist Alex?” stammelte sie unter Tränen.

“Man hat ihn schon zur Leichenhalle gebracht. Ein Kriminalbeamter ist noch hier. Er möchte dir ein paar Fragen stellen.”

“Warum?”

“Routine,” sagte eine dunkle, feste Stimme hinter ihr. Sie drehte sich langsam um und musterte den Fremden abschätzend.

"Inspektor Brunner”, stellte er sich vor. “Mein aufrichtiges Beileid Frau Winter.”

“Danke.” Sie nahm ein Tempo aus ihrer Tasche und wischte eine Träne fort. “Wissen Sie schon wie mein Mann starb?”

“Ich erklärte Dir doch schon am Telefon dass Alex erstickt ist,” sagte ihr Vater.

“Ja, natürlich, aber wie kam es dazu?”

“Eine Biene muss in seine Bierflasche gefallen sein.

Jedenfalls erstickte er durch einen Bienenstich im Rachen.”

“Du lieber Himmel! Wie konnte denn das passieren? Alex floh doch vor jeder Biene oder Wespe.”

Inspektor Weber schien es, als bestehe das Gesicht der Frau vor ihm nur noch aus zwei grossen braunen traurigen Augen.

“War ihr Mann allergisch gegen Bienengift?” fragte er sie.

“Ja, normalerweise führte er stets einen Ausweis bei sich um sofort behandelt werden zu können. Haben Sie ihn nicht bei ihm gefunden?”

“Nein, tut mir leid aber in dieser Einsamkeit hätte er ihm auch nichts genützt. Ihr Vater sagte dass er ihren Mann erst heute gefunden hat. Er meint, dass der Tod aber schon gestern eingetroffen ist. Haben Sie ihren Mann nicht vermisst?”

“Nein, mein Mann ist Fotograf. Er wollte gestern nach Bad Kissingen fahren und dort Aufnahmen vom Rakozifest machen. Ich wusste, dass er dort oder irgendwo in der Rhön übernachten wollte.”

“Und Sie blieben zuhause?” “Ja, wenn er beruflich unterwegs ist begleite ich ihn selten, das ist mir zu stressig. Ausserdem bin ich kein grosser Motorradfan.”

“Aber wie erklären Sie sich seinen Aufenthalt in der Mühle?” “Ich weiss es nicht. Vielleicht war es ihm zu heiss und er wollte bei der Mühle eine Pause einlegen. Sie ist nur zwei Kilometer von der Strecke nach Bad Kissingen entfernt.”

“Besass er einen Schlüssel für das Wohngebäude der Mühle?” “Ja, vielleicht wollte er auch noch einen kurzen Besuch bei meinen Vater machen.”

Peter Karsten sah seine Tochter an, als falle er aus allen Wolken, sagte aber nichts.

Der Kommissar übersah die merkwürdige Reaktion von Herrn Karsten. Er beschäftigte sich in diesem Moment nur mit Vanessa. So jung und schon Witwe. Wie zart und zerbrechlich sie ist. Oder täuschte er sich in ihr? Hielt sie sich doch zum Zeitpunkt des Todes ihres Mannes hier auf? War ihre Trauer nur gespielt?

“Vom Anruf ihres Vaters bis zu ihrer Ankunft hier ist eine verhältnismässig lange Zeit verstrichen,” sagte er.

“Ja, ich musste mit der Bahn hier her kommen, denn wir besitzen momentan kein Auto.“

Der Kommissar betrachte sie einen Moment nachdenklich. Wenn sie gestern auch mit dem Zug hier her gefahren wäre, hätte sie damit rechnen müssen dass sie jemand erkennt. Schliesslich ist sie die Tochter des Landarztes, dachte er, und atmete auf. “ Gut, ich habe keine Fragen mehr. Entschuldigen Sie bitte dass ich Sie in ihrer Trauer so belästigen musste. Aber wir müssen auch bei einem Unglücksfall alle Fakten die dazu führten, genau überprüfen. Ich werde heute noch mein Protokoll schreiben.”

Er reichte ihr die Hand. “Auf Wiedersehen Frau Winter.

Auf Wiedersehen Herr Karsten.” Er gab auch ihm die Hand, dann wandte er sich ab und eilte zu seinem Wagen.

Vanessa sah ihn fast bedauernd nach. Sie fröstelte in der Sonne. Er hatte sie mit ihrem Vater allein gelassen. Sie fürchtete sich vor dessen durchdringenden Blick und vor den Fragen, die er jetzt sicher an sie stellen würde. In ihren Ohren begann es zu saussen und sie fühlte sich wie auf einem schwankendem Schiff über dem ein Orkan wütet.

Ihr Vater stand eine Weile steif neben ihr, dann fragte er:

“Soll ich dich zur Leichenhalle fahren?” “Nein!” wehrte sie ab, “ich möchte wieder nach Hause fahren.”

“Du meinst nach Würzburg? Das lasse ich nicht zu. Steig bitte in meinen Wagen. Wir fahren ins Dorf. Sofie wird sich um dich kümmern.”

Sie zuckte ergeben mit den Schultern und schritt schweigend neben ihm her zum Auto. Er öffnete ihr die Wagentür und lies sie einsteigen, dann sagte er: “Ich muss nur noch das Haus zuschliessen.

Sie sah starr durch die Autoscheibe auf den Hof. Sofie sollte sich um sie kümmern. Was hiess das schon. Sie war so lange sie denken konnte bei ihnen zuhause und führte ihren Vater den Haushalt. Für ihn war sie perfekt; aber sie selbst hatte nie einen persönlichen Kontakt zu ihr herstellen können.

Ihr Vater kam zurück, setzte sich ans Steuer und fuhr los.

“Du möchtest Alex also nicht nocheinmal sehen?” fragte er sie. “Nein, ich kann das nicht. Ich will ihn so in Erinnerung behalten wie er lebte.”

Sofie begrüsste sie zurückhaltend wie früher, aber befangener. “Es tut mir leid...” stammelte sie.

“Dann hat es sich schon im Dorf herum gesprochen. Das hätte ich mir denken können,” knurrte Peter Karsten.

Sofie nickte, “ja, es ist so tragisch in ihrer Familie...”

“Lassen Sie das Getratsche,” unterbrach er sie barsch.

Bringen Sie meiner Tochter und mir einen Orangensaft und richten Sie etwas zu essen her.”

Sofie drehte sich wortlos um und ging in die Küche.

Vanessa folgte ihrem Vater zögernd ins Wohnzimmer und blieb steif stehen.

“Setz dich bitte und benimm dich nicht wie eine Fremde,” sagte ihr Vater.

Sie wandte sich von der kahlen Wand ab, an der früher ein paar Familienfotos gehangen hatten.

“Ich fühle mich aber hier wie eine Fremde. Es ist alles so steril wie in deiner Praxis, selbst die Luft im Raum riecht nach Krankheit. Wie kannst du nur so leben?”

“Du übertreibst, aber ich schreibe es deinem Schmerz zu.”, sagte er. “Es tut mir leid dass wir so grundverschieden sind und nie das passende Wort für einander finden.”

Vanessa sah an ihm vorbei: “Du hast es nie versucht mich zu verstehen und bei Alex war es das Gleiche. Du hättest ihm wenigstens die Chance geben können, ihn näher kennen zu lernen.”

“Du hast ja recht! Ich hätte mich damals nicht gleich gegen deinen Mann stellen sollen aber man kann nichts ungeschehen machen. Wie stehst du zu seiner Familie?

Wir müssen sie benachrichtigen.”

Sofie brachte den Orangensaft und Vanessa wartete mit der Antwort bis sie das Zimmer wieder verlassen hatte.

“Ich kenne die Familie von Alex nicht. Wir haben uns nie gesehen.”

“Aber die Adresse hast du doch oder?” fragte er fassungslos.

“Nein, Alex sprach nie über seine Familie. Er stammt aus Norddeutschland. Wir waren eben beide nur für einander da.”

Peter Karsten nahm sein Glas, trank es auf einen Zug leer, dann stellte er es klirrend auf den Tisch. “Und wer soll zur Beerdigung von Alex kommen?”

“Ich weiss,” sagte Vanessa bitter,” wie sehr du in die Traditionen dieses Dorfes eingebunden bist und wie wichtig dir eine grosse Trauerfeier wäre. Aber ich brauche diesen falschen Schein nicht und Alex hätte dies auch nicht gewollt. Ich werde ihn verbrennen lassen und ihn still und leise in Würzburg in ein Urnengrab legen lassen.”

“Nun gut,” sagte er abweisend. “Wenn du so eine trostlose Beerdigung für richtig hälst, muss ich es eben so akzeptieren.” Seine Blicke ruhten jetzt nachdenklich auf ihr und die Spannung zwischen ihnen schien zum platzen.