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Die Millionärin Johanna Krogmann wird erschlagen in ihrer Villa nahe Kiel aufgefunden. Feinde hatte sie mehr als genug. Die halbe Gemeinde Flintbek war der skrupellosen Fabrikbesitzerin gegenüber feindlich gesinnt. Hauptkommissar Sven Fricke, der in dem Fall ermittelt, stößt schnell an seine Grenzen. Doch nicht nur die Suche nach dem Täter gestaltet sich äußerst schwierig, auch die Zusammenarbeit mit der attraktiven Staatsanwältin Elena Karinoglous stellt die Geduld des Ermittlers auf eine harte Probe und sorgt für gewaltigen Zündstoff …
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Seitenzahl: 265
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Stefanie Gregg / Paul Schenke
Blutvilla
Kriminalroman
Explosive Mischung Hauptkommissar Sven Fricke lebt für seine Arbeit. Wie immer konzentriert er sich ganz auf seinen neuen Fall: Die reiche Johanna Krogmann wurde erschlagen in ihrer Villa in der Nähe von Kiel aufgefunden. Schnell wird klar, dass es an Verdächtigen nicht mangelt: Die Putzfrau, die die Ermordete fand, war kurz zuvor von ihr entlassen worden. Das halbe Dorf Flintbek litt unter den skrupellosen Machenschaften der Millionärin, und sogar der ermittelnde Polizist vor Ort hatte ein Verhältnis mit der Toten, bevor sie ihn eiskalt abservierte. Nicht einmal ihre Schwester Sabine ist gut auf das Opfer zu sprechen. Und dann ist da auch noch die zuständige Staatsanwältin Elena Karinoglous ? sehr attraktiv, aber in ihrer Arbeitsweise so ganz anders als Fricke. Nicht nur der Fall, auch die Beziehung zwischen den beiden birgt ordentlich Zündstoff …
Stefanie Gregg, geboren 1970 in Erlangen, lebt in der Nähe von München. Sie studierte Philosophie, Kunstgeschichte, Germanistik und Theaterwissenschaften. Nach beruflichen Stationen bei Bertelsmann und bei der Unternehmensberatung A. T. Kearney hat sie mehrere Fachbücher sowie Krimis, Kurzgeschichten und Romane veröffentlicht. Ihr erfolgreicher Roman „Duft nach Weiß“ beim Pendragon-Verlag sowie die Roadnovel „Mein schönster schlimmster Sommer“ beim Aufbau-Verlag werden im In-und Ausland gelesen. Mehrfach wurde die Autorin mit Literaturpreisen ausgezeichnet. Sie ist Mitglied im Autorenverband DAS SYNDIKAT und im Netzwerk der Krimiautorinnen MÖRDERISCHE SCHWESTERN.
Paul Schenke, geboren 1966 in Moers, lebt in Hannover. Seine Lehrtätigkeit als Religionswissenschaftler hat er mittlerweile für das Schreiben aufgegeben. Tagsüber schläft und lebt er, nachts schreibt er. Seine weiteren Interessensgebiete sind tiefer gehende Diskussionen über den Wahrheitsgehalt der Bibel und seine Tätigkeit als Freimaurer. Ganz Freimaurer, sieht er seine Berufung in der Verpflichtung zu Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität – was man seinen Krimis nur dadurch ansieht, dass letztlich das Gute siegt.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2017
Lektorat: Susanne Tachlinski
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Lutz Eberle
ISBN 978-3-8392-5480-6
Ein Kiel-Roman für meine so sehr geliebte verstorbene Tante Lonny Less, Vorsitzende des Senats am Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht in Kiel
Stefanie Gregg
1965. Flintbek. Ein kleines, idyllisches Dorf in der Nähe von Kiel.
Der Krieg war längst beendet und die Alliierten hatten Europa von den Nazis befreit. Die Deutschen hatten es geschafft, ihr Land wiederaufzubauen.
Ernst Krogmann stand an einem sonnigen Augusttag vor seiner Fabrik, betrachtete die Gebäude und dachte an die Vergangenheit zurück. Seine Familie hatte im Krieg Glück gehabt, denn ihr Werk lag abseits der Großstadt Kiel und war zu unwichtig für die englischen Bomber gewesen. Dennoch war das Hauptgebäude damals stark beschädigt worden.
Trotzdem stahl sich beim Anblick des zerstörten Mauerwerks jedes Mal ein zufriedenes Lächeln auf Ernsts Lippen. Sein Vater, Kurt Krogmann, war der Gründer der Fabrik gewesen. Da Kurt kein Parteimitglied war, hatte ihm die Wehrmacht auch keine Aufträge erteilt und der Umsatz der Fabrik war eingebrochen. Kurt jedoch war das gleichgültig, denn er wollte nicht, dass »sein Papier« missbraucht wird, um die Propagandaschriften der Nazis zu verteilen. Man ließ ihn in Ruhe, bis 1943 ein führendes Parteimitglied in Kiel auf ihn aufmerksam wurde und seine Fabrik als »Kriegswichtige Produktionsstätte« einstufte. Nun sollten sie also Papier für die Partei herstellen. Kurzerhand entschloss sich Kurt Krogmann, den wichtigsten Produktionsabschnitt seiner Fabrik in die Luft zu sprengen. Nur eine lange Nacht hatte er gebraucht, um zu überlegen. Am frühen Morgen hatte er es getan, mit dem Schießpulver, das er als passionierter Jäger immer zu Hause hatte. Es war ein gigantisches Feuerwerk gewesen. Später behauptete er einfach, er hätte französische Partisanen auf dem Gelände gesehen, bevor die Explosion stattfand.
Nun also stand der Sohn des Gründers vor der einst blühenden Fabrik und lachte trotz des Anblicks von Schutt in sich hinein. Er war stolz auf seinen Vater, der sich der rechten Ideologie nie gebeugt hatte, stolz darauf, auf eine Vergangenheit zurückblicken zu können, in der man in seiner Familie keine Verbindung mit dem Naziregime hatte finden können. Nach Kriegsende hatte ihm das sehr geholfen. Eine Zeit lang war er der einzige Papierfabrikant in ganz Norddeutschland gewesen.
Für Ernst war es selbstverständlich, die Firma wieder neu aufzubauen, und das Kapital spielte dabei keine Rolle. Kurt Krogmann wurde mit dem Beginn der Operation Barbarossa, dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion, schnell klar, dass es für ein Hitlerdeutschland keine Zukunft gab. Niemand legte sich mit Amerika und Russland gleichzeitig an. Daher kaufte er für seine Reichsmark Gold. So viel er bekommen konnte, denn eines Tages taugten seine Reichsmark nur noch dazu, den Ofen mit ihnen zu befeuern. Gold aber hatte schon immer einen beständigen Wert gehabt. Und genau darauf würde Ernst jetzt zurückgreifen.
Auch bei der Durchsuchung der SS in der Krogmann-Villa war das Gold der Familie unentdeckt geblieben. Ernst Krogmann hatte es vor einem Monat aus dem Molfsee gehoben. Sein Vater hatte ihm das Versteck vor drei Monaten auf dem Sterbebett verraten. Er hatte ihm dabei nicht erklären müssen, wo genau er danach suchen musste. Ernst kannte die Lieblingsstelle am See, an der sein Vater jeden Sonntag in der Früh seine Angel auswarf.
Für Ernst stellte sich damals eher die Frage, woher er Arbeiter bekommen sollte, um die Fabrik wiederaufzubauen. Er fand seine Arbeiter im Dorf, denn die ausgebombten Einwohner Kiels wurden hier in den sogenannten Finnenhäusern – schnell errichtete Holzhäuser – untergebracht. Hier gab es also noch genug arbeitsfähige und arbeitswillige Männer, die bereit waren, gegen guten Lohn aus der brachliegenden Fabrik eine Stätte zu erschaffen, die Arbeit und Zukunft bot. Auch einige Frauen trugen zum Wiederaufbau bei. Wer sich beteiligte, erreichte nach wenigen Jahren einen gewissen Wohlstand. Als die Flüchtlinge Flintbek wieder verließen, stand mit den Finnenhäusern genug Wohnraum für die Arbeiter der aufblühenden Fabrik zur Verfügung. Krogmann führte eine Kantine ein, die den ortsansässigen Metzger überzeugte, sein Schlachthaus zu erweitern, und den Bäcker, seine Backstube zu vergrößern. Das Gasthaus ließ er ein paar Fremdenzimmer mehr bereithalten, indem er kurzerhand dessen Anbau erweiterte. Auch die anliegenden schleswig-holsteinischen Landwirte brachten nun einen Teil ihrer Ernte in die Fabrik. Jetzt konnten sie ihre Kartoffeln, Rüben und sonstiges Gemüse zu einem anständigen Preis verkaufen, ohne Transportkosten für weite Wege zu haben. Flintbek blühte auf, zusammen mit den Krogmann-Werken.
1955 war die Fabrik schließlich doppelt so groß, und dank ihr erlebte das Dorf tatsächlich den von Krogmann versprochenen Wohlstand. Die Bürger Flintbeks waren in der Lage, sich ein Häuschen zu bauen, sogar einmal im Jahr in den Urlaub zu fahren. Noch bevor die neu gegründete Bundesrepublik unter Erhard das Wirtschaftswunder erlebte, war dieses bereits in Flintbek zu spüren. Bald besaß jeder Zweite ein Auto, meist den heißbegehrten VW, und die Tankstelle erweiterte von zwei auf vier Zapfsäulen. Die Einwohnerzahl wuchs rasch. Dies war ebenso Ernst Krogmann zu verdanken, der in Windeseile hinter seiner Fabrik eine Siedlung von fast 50 Sechsfamilienhäusern errichten ließ und einige der Finnenhäuser für seine Arbeiter aufkaufte. Schnell sprach es sich herum, dass Krogmann nicht nur gute Löhne zahlte, sondern auch Zulieferer fair vergütete.
Ernst Krogmann starb im Alter von 83 Jahren an Herzversagen. Seine wunderschöne Frau Françoise, die er aus einem Frankreichurlaub vor 40 Jahren mitgebracht hatte und die den Einwohnern Flintbeks immer unerreichbar und verehrungswürdig erschien, war bereits ein Jahr zuvor gestorben.
Wenig später traten seine beiden Töchter Johanna und Sabine Krogmann ihr Erbe an und wurden Eigentümer der Papierfabrik in Flintbek.
Eine neue Ära bei den Krogmann-Werken begann.
»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte Sabine ihre Schwester, die vor ihrem Lieblingsrosenstrauch im Garten hinter der Villa stand. Die junge Frau sah sich um. Sie kannte jede Rose, jeden Baum und jeden Busch, jeden der roten Backsteine in der großen, alten Villa im norddeutschen Stil. Hier war sie zusammen mit Johanna und ihren Eltern aufgewachsen. Es war eine schöne Kindheit gewesen. Bis ihre Mutter starb und Johanna zu Hause ihren Platz eingenommen hatte, wenn ihr Vater in der Fabrik war. Johanna machte ihren Job gut. Sie war zwar nicht besonders nett zum Hauspersonal, aber zu ihrer Schwester war sie stets liebevoll gewesen. Bis der erste Mann ins Spiel kam. Sabine brachte ihn eines Tages einfach mit nach Hause, während Johanna in Kiel shoppen war. Der Junge war schwer beeindruckt gewesen von der großen Villa und dem Pool und natürlich von der hübschen Sabine.
Als Johanna wenig später unerwartet den Garten betreten hatte, war er gerade dabei gewesen, ihrer Schwester den Knoten ihres Bikinioberteils zu öffnen. Johanna schrie den unbekannten Jungen an, er solle augenblicklich das Grundstück verlassen, sonst würde sie die Hunde loslassen. Sie hielten gar keine Hunde, doch Sabine war so geschockt, dass sie ihrer Schwester nicht widersprach. Der Junge rannte, so schnell er konnte, in seiner Badehose den Weg zum Tor hinunter und war verschwunden. Jeans, T-Shirt und Schuhe ließ er zurück. Seine Kleidung hatte er nie wieder abgeholt.
Schon damals war Johanna das Ansehen der Familie Krogmann wichtig gewesen. Sabine hatte eine ordentliche Strafpredigt erhalten, sich vor dem Personal so freizügig mit einem Jungen zu vergnügen.
Ihrem Vater gegenüber verschwieg Johanna den Vorfall, und schon bald geriet er in Vergessenheit.
Allerdings nicht bei Sabine. Sie war nämlich zum ersten Mal richtig verliebt gewesen. Und der Junge sprach seit diesem Tag kein Wort mehr mit ihr.
»Wie willst du mir denn helfen?«, entgegnete Johanna schroff auf Sabines Frage.
Sabine überhörte den ruppigen Ton ihrer Schwester und dachte vielmehr darüber nach, wie es wohl in diesem Moment in ihr aussehen mochte. Vor einer Stunde hatte Manfred Hegewisch, der Dorfpolizist, die Villa verlassen. Er hatte mitgeteilt, dass Thomas Eggerstedt, Johannas Ehemann, wahrscheinlich bei einem Drachenflug ums Leben gekommen sei.
»Er sagte doch nur, dass er wahrscheinlich abgestürzt ist«, versuchte Sabine ihrer Schwester Trost zu spenden.
Johanna drehte sich verärgert um und sah Sabine zornig an: »Sag mal, bist du bescheuert? Er sagte, sie hätten seinen Drachen total zerfetzt an einer Bergwand hängend gefunden. An einer Schlucht von fast 400 Metern. Unten ein Fluss mit einer reißenden Strömung. Du beherrscht doch das Einmaleins, oder? Warum wird man wohl seine Leiche nicht gefunden haben? Glaubst du, er schmettert gegen eine Bergwand, fällt dann 400 Meter tief in einen Fluss, schlägt womöglich bis dahin auf den einen oder anderen Bergvorsprung auf und läuft jetzt seelenruhig irgendwo in Mexiko herum, auf der Suche nach einer Tasse Tee? Wie hieß das Nest doch gleich?«
»Valle de Bravo. Das ist ein Gebiet«, antwortete Sabine kleinlaut.
»Na, bravo! Das ist ein Gebiet«, äffte Johanna ihre Schwester verächtlich nach.
Johanna war nicht traurig. Sie versuchte erst gar nicht, traurig zu wirken. Eigentlich war sie eher verärgert darüber, dass ihr Schwiegervater, der mit Thomas in Mexiko gewesen war, sie nicht angerufen und von dem Unfall unterrichtet hatte.
»Ich versuche doch nur, dir zu helfen«, flüsterte Sabine, senkte ihren Kopf und setzte sich auf einen der vier Gartenstühle aus Teakholz.
»Du? Mir helfen? Ich bin dir doch scheißegal. Wo warst du denn die ganze Zeit? Segeln in Schilksee! Hast dich herumgetrieben und warst nur damit beschäftigt, Geld auszugeben und dich in immer anderen Betten zu rekeln. Und wenn du jetzt traurig bist, dann nur, weil Thomas verunglückt ist. Nicht etwa, weil ich meinen Mann verloren habe. Du warst doch schon immer scharf auf ihn, aber ich verrate dir was: Er war so was von scheiße im Bett. Ja, hättest du nicht gedacht, was? Oder hast du es etwa schon selbst herausgefunden?«, schrie Johanna.
Sabine sprang vom Stuhl auf, lief rot an vor Wut und wollte zurückschreien, wurde aber von ihrer Schwester mit einer energischen Handbewegung davon abgehalten.
»Sag nichts. Hau einfach ab. Ich will dich nicht mehr sehen. Geh Geld ausgeben, segeln oder mach für irgendeinen Kerl die Beine breit«, sagte Johanna jetzt in einem ruhigen, aber drohenden Ton.
Sabine sah ihre Schwester noch einige Sekunden lang an, atmete tief ein und entschloss sich, die Worte, die ihr auf der Zunge lagen, für sich zu behalten. Sie drehte sich um und lief den kleinen Gartenweg hinter dem Haus entlang zurück. Innerlich kochte sie vor Wut. Gerade ihre Schwester musste von Geld reden. Sie wusste genau, dass Johanna sie betrogen hatte. Während die nämlich in der Villa wohnte, musste sich Sabine mit einem Taschengeld zufriedengeben. Selbst jetzt, wo Johanna doch eigentlich trauern sollte, beleidigte sie ihre Schwester noch.
Auf dem Weg zu ihrem Auto kam ihr die Putzfrau, Franziska Jabusch, in Begleitung eines älteren Mannes entgegen. Sabine grüßte, indem sie mit dem Kopf nickte, stieg in ihr Mercedes Cabriolet, fuhr durch das Haupttor und schließlich die Hauptstraße entlang aus dem Dorf hinaus.
Johanna setzte sich auf den Stuhl, auf dem zuvor Sabine gesessen hatte, und sah sich die Blütenpracht ihres Rosenstocks genauer an.
»Ich sagte, du sollst abhauen«, schrie sie, als sie hinter sich Schritte hörte.
»Entschuldigung, Frau Krogmann-Eggerstedt«, antwortete Franziska Jabusch.
Die Frau war etwa im gleichen Alter wie Johanna und vor zwei Jahren als Putzhilfe eingestellt worden. Eine einfache kleine Annonce hatte im Regionalanzeiger gestanden. Als Franziska damals anrief, wusste sie nicht, dass Johanna Krogmann dahintersteckte. Es meldete sich der Personalchef der Papierwerke und bestellte sie noch am selben Tag zur Fabrik. Man ließ sie eine Stunde auf dem Flur warten, bis sie abgeholt wurde und schließlich im Büro von Johanna Krogmann stand. Franziska mochte die arrogante Art nicht, mit der die Unternehmerin ihr gegenübertrat, aber die Bezahlung stimmte. Es war letztlich das Geld, das sie überzeugt hatte, in Johanna Krogmanns Villa zu putzen.
Johanna drehte sich um und sah Franziska neben einem älteren Mann vor dem Gartentisch stehen. »Ja? Was wollen Sie?«, fragte sie hörbar genervt.
»Das ist mein Vater, Friedrich Jabusch. Er wollte mit Ihnen reden«, sagte Franziska und nickte ihrem Vater zu.
»Jetzt? Was soll das? Warum nehmen Sie einfach fremde Menschen mit auf mein Grundstück?«
Franziska hatte in den zwei Jahren viel ertragen müssen. Immer wenn sich etwas nicht dort befand, wo Johanna meinte, es hingelegt zu haben, bezichtigte sie ihre Putzfrau des Diebstahls. Mehr als einmal kontrollierte sie die Handtasche ihrer Angestellten. Sie entschuldigte sich nicht einmal dafür. Ihren ergebnislosen Verdacht kommentierte sie dann mit einem »Noch mal Glück gehabt«. Aber es war kein Glück. Franziska war stets ordentlich und gewissenhaft. Auch wenn Johanna ihre Geldbörse auf dem Küchentisch hatte liegen lassen, konnte sie sicher sein, dass Franziska nicht einen Cent herausnahm. Dennoch – das lag in der Natur von Johanna Krogmann – vertraute sie niemandem.
Nun aber reichten Franziska Jabusch die stetigen Demütigungen ihrer Arbeitgeberin: »Mein Vater versucht seit drei Wochen, einen Termin bei Ihnen zu bekommen. Ständig weisen Sie ihn ab. Jetzt hören Sie sich an, was er zu sagen hat.«
Johanna traute ihren Ohren nicht, war aber für Sekunden zu geschockt, um spontan zu reagieren.
Friedrich Jabusch ging um den Tisch herum und stellte sich schließlich vor sie hin: »Ich habe damals mit diesen Händen«, begann er und hob sie direkt vor Johannas Augen, die erschrocken zurückwich, »alles hier aufgebaut. Ich habe den Betrieb Ihres Vaters – Gott hab ihn selig – zusammen mit den Bewohnern des Dorfes groß werden lassen. Dafür versprach er uns Arbeit und Wohlstand. Ihr Vater hat sein Versprechen gehalten. Ich habe ein Haus gebaut. Ebenfalls mit diesen Händen. Stück für Stück, nachdem ich Feierabend hatte. Alle hier im Dorf haben sich darauf eingestellt, einen sicheren Arbeitsplatz in der Fabrik zu haben. Aber jetzt ersetzen Sie uns durch Maschinen, Roboter und polnische Zeitarbeiter. Was soll aus unseren Häusern werden? Was aus den Investitionen der Gewerbetreibenden im Dorf? Und vor vier Wochen drohte mir mein Bankberater, mein Haus zu übernehmen. Für keinen einzigen Cent.«
»Ja, ich habe Interesse an Ihrem Haus. Ich beauftragte die Bank, Ihnen ein Angebot zu machen. Was wollen Sie denn? Ich löse Ihre Schulden aus, und Sie kommen mit null dabei heraus. Ist Ihnen lieber, dass man Ihr Haus zwangsversteigert und Sie anschließend in einer Mietwohnung hausen und einen Berg voll Schulden haben?«, konterte Johanna. Sie ließ sich nicht von Jabuschs hartem, vorwurfsvollem Ton einschüchtern.
»Die Häuser rechts und links von meinem gehören Ihnen ja bereits. Ich weiß, warum Sie meines auch noch wollen. Sie werden die Gebäude abreißen und dort Ihre Kläranlage erweitern!« Friedrich Jabuschs Stimme zitterte vor Zorn.
»Herr Jabusch, was ich mit meinem Eigentum mache, kann Ihnen egal sein. Nehmen Sie das Angebot an oder lassen Sie es. Ganz gleich, wie Sie sich entscheiden, ich werde das Haus bekommen. Sie können sich übrigens mit Ihrer ab sofort arbeitslosen Tochter schon mal nach einer Wohnung umsehen. Jetzt verlassen Sie beide mein Grundstück, und ich verzichte darauf, die Polizei zu holen«, forderte Johanna, griff sich das Mobiltelefon vom Tisch und zeigte damit in die Richtung, aus der der Mann mit Franziska gekommen war.
»Wissen Sie was?«, Friedrich Jabuschs Stimme war nach wie vor laut, »es ist der falsche Mensch gestorben. Nicht Ihr Vater hätte sterben sollen, sondern Sie! Polizei? Ich werde Ihnen …«, schrie er, machte einen weiteren Schritt auf Johanna zu und hob seinen rechten Arm.
Franziska war schneller bei ihrem Vater, als dass er Johanna hätte schlagen können. Sie hielt den Arm ihres Vaters fest, umklammerte ihn und ging langsam mit ihm den kleinen Gartenweg zurück. Kurz bevor sie um das Haus bog, drehte sie sich noch einmal um und rief: »Das wird Ihnen noch leidtun. Das schwöre ich Ihnen.«
Sabine fuhr das Cabriodach zurück und stieg in ihren Mercedes SLK. Sie würde wirklich in ihren Segelklub nach Schilksee fahren. Dort eine Runde mit ihrem Boot drehen und sich dabei etwas von dieser Auseinandersetzung beruhigen. Es war verflixt heiß, aber der Fahrtwind auf der A215 kühlte ihre von der Aufregung geröteten Wangen. Der salzige Meeresduft, der heute wieder einmal von der nahen Kieler Förde in der Luft lag, beruhigte sie etwas, sobald sie sich Kiel näherte. Ihre Schwester war ihr ein Rätsel. Niemals hätte sie gedacht, dass Johanna so kalt auf den Tod ihres Mannes reagieren würde. Sie war immer davon ausgegangen, sie hätte ihn wirklich geliebt.
»Er war scheiße im Bett«, hatte sie gesagt und dann: »Oder hast du das schon selbst herausgefunden?«
Sabine lief es bei der Erinnerung an diese Worte eiskalt den Rücken hinunter. Eigentlich konnte sie sich diesen Vorwurf nicht erklären. Die beiden erschienen doch nach außen hin immer als das perfekte Paar: schön, klug, erfolgreich, charmant – und immer nett zueinander. Na ja, vielleicht in letzter Zeit doch eher höflich. Ja, er war kühler zu ihr gewesen als früher! Hatten die beiden sich auseinandergelebt, ohne dass irgendjemand das richtig bemerkt hatte? Nie, nie hätte Sabine es für möglich gehalten, dass der Tod von Thomas ihre Schwester gar nicht wirklich berührte. Thomas, der schöne Thomas, sexy Thomas, Super-Thomas! Sabine war er schon immer zu schön, zu glatt gewesen. Aber sie hätte erwartet, dass ihre Schwester fast zusammenbricht – natürlich, im letzten Moment hätte sie die Contenance bewahrt. Johanna behielt immer die Contenance. Auch als ihr Vater gestorben war. Sabine selbst war völlig außer sich gewesen, hatte tagelang nur noch geheult. Johanna hatte sich nur kurz eine Träne verdrückt und war dann an ihr großes Werk gegangen: die Firma. Beinahe so, als ob sie sich seit Jahren auf diesen Tag vorbereitet hätte. Bereits am nächsten Morgen zog sie in Papas Büro ein, schmiss den alten Bürostuhl fort, kaufte einen neuen Designersessel und ließ dann jede Führungskraft einzeln zu sich kommen. Sabine hatte nie verstanden, wie sie es gemacht hatte, aber ab da waren ihr alle hörig, warteten nur auf einen Wink von ihr, folgten emsig jeder Idee. Und was für Ideen sie hatte! Rationalisierung bei allen Arbeitsabläufen, dann kamen gewaltige Investitionen in den Maschinenpark – sie setzte wohl einen Großteil des Vermögens dafür ein, aber es lohnte sich bald. Schnell waren die Krogmann-Werke in ganz Deutschland bekannt für die gleichmäßigsten Papiersorten, vor allem aber für eine überpünktliche Auslieferung. Sabine erinnerte sich noch, wie sie alle zusammen mit Champagner angestoßen hatten, als der erste Großauftrag aus Russland gekommen war. »Wir schätzen Ihre deutsche Wertarbeit«, hatten die Russen geschrieben.
Eigentlich hatte Sabine sich fast mehr darüber gefreut als Johanna, die das wohl schon eingeplant hatte.
Und wo war ihr eigenes Leben in dieser Zeit hingegangen? Sie hatte auch irgendwann mit dem Weinen aufgehört, obwohl sie noch oft an ihren Paps dachte. Sie war es auch, die fast jede Woche ans Grab ging. Aber ja, sie hatte auch ihre Freiheit genossen. Paps’ Regiment war streng gewesen. Bevor sie 18 war, hatte sie nie länger als bis 22 Uhr aus dem Haus gedurft. Und nun war sie frei. Sabine kaufte sich ihren silbernen Flitzer und genoss einfach das Leben. Vielleicht war sie nicht eine solch klassische Schönheit wie ihre große, schlanke Schwester, aber, oh ja, die Männer standen auf ihre Kurven. Sie war sexy! Und sie liebte das leichte Leben. Als ihre Schwester ihr großzügig anbot, lebenslang monatlich 20.000 Euro von ihr zu bekommen, fand sie das mehr als großzügig. Endlich genug Zeit und Geld für das Segeln in Schilksee. Dafür auf alle weiteren Einkünfte aus der Firma und den Immobilien zu verzichten, war doch eine Selbstverständlichkeit. Johanna tat da noch, als ob die Firma kaum zu retten sei, kurz vor der Schließung stehe.
Erst als ihre Schwester einen Mercedes E, einen Porsche und einen Jeep – Letzteren nur zum Spaß – in der Garage stehen hatte, waren ihr die ersten Zweifel gekommen, ob das ein guter Deal gewesen war. Langsam, Schritt für Schritt, als ihre Schwester die Firma weiter und weiter ausbaute, wurde ihr klar, dass sie von ihr über den Tisch gezogen worden war. Als sie Johanna vor etwa einem halben Jahr darauf anzusprechen gewagt hatte, war diese völlig durchgedreht, beschimpfte und beleidigte Sabine. Dann stellte sie ihr einen Scheck in Höhe von 100.000 Euro aus, und die kleine Schwester war ruhiggestellt.
Sabine fuhr in die Tiefgarage und parkte dort ihren Flitzer. Sie wollte erst schnell nach Hause und sich umziehen, bevor sie weiter in den Segelklub fuhr. Liebevoll strich sie über die geschwungenen Kotflügel, als sie ausgestiegen war. Zugegeben, es war ein kleiner Mercedes, aber sie liebte ihr schickes Cabrio. Sie nahm den Aufzug und drehte den Schlüssel im obersten Schloss um, damit der Lift sie direkt in ihr Penthouse fuhr. Oben schmiss sie zuerst einmal ihre Tasche auf das Flurtischchen – das gehalten wurde von einem überdimensionalen schwarzen Totenschädel. Kurz zögerte sie bei diesem Anblick. Sonst fand sie diesen Tisch immer supercool, heute irgendwie makaber. Thomas tot, vielleicht tot, aller Wahrscheinlichkeit nach tot, tot.
Dann zog sie die weiße verschwitzte Seidenbluse und den Spitzen-BH aus. Im Flur zum Bad den grauen Kostümrock und das winzige Höschen. Was für ein Tag. Sie hätte jetzt Lust! Verflixt, aber sie war alleine in der Wohnung, ganz alleine. Sie ging unter die Dusche und ließ eiskaltes Wasser auf sich niederprasseln. Thomas tot. Johanna kaum traurig. Und dann diese Vorwürfe. Und sie war so verdammt alleine in ihrem Appartement.
Vielleicht fände sie ja gleich im Segelklub noch einen netten Segler …
»Lesen Sie denn keine Zeitung?«, hörte er die Staatsanwältin Elena Karinoglous entnervt durch den Lautsprecher der Freisprechanlage.
Sven Fricke, Hauptkommissar der Mordkommission Kiel, saß in seinem schwarzen Dienst-BMW und war auf dem Weg nach Flintbek. Er lachte. Er lachte immer, wenn er mit der Staatsanwältin zu tun hatte. Er liebte es, sie auf die Palme zu bringen. Und sie liebte es, wenn er etwas von ihr brauchte, wie etwa Durchsuchungsbefehle, und sie ihm sagen musste, dass es keine ausreichenden Gründe dafür gab. Sie liebte natürlich nicht das Verhindern der Durchsuchung an sich, sondern das Gesicht, das Fricke machte, wenn er zornig wurde und gleichzeitig wusste, dass ihm all sein Zorn nichts half.
»Ach, kommen Sie. Natürlich lese ich Zeitung. Stellen Sie mich mal nicht als ungebildet hin«, antwortete der Kommissar und steckte sich den letzten Happen des Hamburgers, den er sich auf dem Weg zum Tatort an einem Imbiss gekauft hatte, in den Mund.
»Klar lesen Sie Zeitung. Die Bild-Zeitung wahrscheinlich, und da auch nur die Sportseiten. Ich bin sicher, Sie kennen von den letzten 100 Ausgaben alle Bilder des Seite-drei-Mädchens, oder?«, höhnte sie. »Die Kieler Nachrichten würden da zur Abwechslung mal ganz guttun.«
Buddha! Fricke versuchte, sich auf sein geistiges Vorbild zu besinnen, denn dies war wieder einer der Momente, in denen er Gelassenheit brauchte. Eine Menge Gelassenheit. Er wusste, dass die Staatsanwältin selbst für Buddha eine große Herausforderung war.
Als er gerade antworten wollte, setzte die Karinoglous noch eins drauf: »Hey, ich kann es durchs Telefon hören, wenn Sie mit den Augen rollen. Nur dass Sie das wissen. Was schmatzen Sie eigentlich so? Essen Sie etwa, während Sie mit mir telefonieren?«
»Ja – was dagegen? Seien Sie ehrlich, Sie wünschen sich doch jetzt hier auf den Beifahrersitz, um mir dabei Gesellschaft zu leisten. Geben Sie es ruhig zu«, parierte er und musste schon wieder lachen. Gar nicht so einfach mit vollem Mund.
»Ich habe kein Wort verstanden«, log sie und zog offensichtlich empört die Luft ein. »Also, Johanna Krogmann-Eggerstedt war, zusammen mit ihrer Schwester Sabine, Erbin der Papierwerke Krogmann. Dass Sie davon noch nichts gehört haben, ist mir unverständlich. Der Frau gehört fast eine Kleinstadt. Sie ist so ziemlich die reichste Frau im Umkreis von einigen Hundert Kilometern. Außerdem war sie eine überaus attraktive Blondine. Das ist doch Ihr Beuteschema. Da fällt mir ein, sie war ja gar nicht auf Seite drei der Bild-Zeitung und hat auch nie im Tor des SSG Rot Schwarz Kiel gestanden. Daher kennen Sie die Frau vermutlich wirklich nicht. Und sie kommt wohl auch aus ganz anderen Kreisen als Sie.«
Fricke rollte jetzt tatsächlich mit den Augen und ertappte sich dann dabei, erschrocken auf den Lautsprecher am Armaturenbrett zu sehen. Glaubte er jetzt etwa wirklich, dass sie ihn mit den Augen rollen hören konnte? »Sie machen mich verrückt, nur dass Sie es wissen«, antwortete er schließlich auf ihre Schimpftirade.
Buddha war nicht da, oder er drang nicht mehr zu ihm durch. So viele Jahre hatte er auf seine Lehren gehört und sie erlernt und nun stellte eine Frau das alles infrage. Fricke war sich sicher, hätte die Staatsanwältin zu Buddhas Zeiten gelebt, hätte der das Handtuch geschmissen und man hätte nie mehr etwas von dem »kleinen Dicken« gehört.
Jetzt war sie es, die lachte. »Fricke, Sie sind verrückt. Aber das waren Sie schon, bevor Sie das erste Mal bei mir im Gerichtsgebäude standen.«
»Wenn Sie das wissen, sollten Sie da nicht etwas sensibler mit mir umgehen?«, fragte Fricke und grinste.
»Das wollen Sie in Wirklichkeit doch gar nicht! Aber was Sensibilität angeht, die legen Sie bitte bei diesem Fall an den Tag. Wenn Sie am Tatort eintreffen, werden Sie sicher schon von der Presse begrüßt. Sie werden alle da sein. Stellen Sie sich darauf ein. Haben Sie ein gebügeltes Hemd an?«
»Es ist gebügelt, ja. Allerdings auf meine Art. Sie würden es sicher nicht als gebügelt durchgehen lassen. Sie merken schon, ich brauche dringend eine Frau an meiner Seite.«
»Die Ihre Hemden bügelt?«, fragte die Staatsanwältin empört und machte eine kurze Pause, in der nun sie es war, die mit den Augen rollte, dessen war sich Fricke sicher. Anschließend wiederholte sie noch einmal den Hinweis auf Funk, Fernsehen und Zeitungen.
»Dann schalten Sie mal den Fernseher ein. Wenn ich eine Kamera sehe, werde ich Ihnen ein Luftküsschen zuwerfen. Würde Ihnen das gefallen?«, fragte er, denn er hatte gerade, nachdem er in die Hauptstraße eingebogen war, Blaulichter und die Kamerawagen der Regionalsender gesehen. Die Kieler Nachrichten waren auch schon da.
»Lassen Sie den Unsinn! Und wehe, Sie schmatzen mir noch einmal was am Telefon vor. Es ist jetzt 9 Uhr. Ich will Sie heute Nachmittag noch in meinem Büro sehen und erwarte, dass Sie mir Bericht erstatten«, antwortete die Staatsanwältin und beendete das Telefonat, ohne sich von ihm zu verabschieden.
»Du mich auch«, murmelte Fricke seinem Handy entgegen.
Mit Schrittgeschwindigkeit fuhr er auf den Pulk von Fahrzeugen zu, während er gleichzeitig das Seitenfenster herunterließ und sein Blaulicht auf das Autodach stellte. Vor dem Absperrband hielt er an. Ein uniformierter Beamter kam auf ihn zu, sah sich den Dienstausweis an, den Fricke ihm hinhielt, löste ein Stück des Absperrbandes und winkte den Kommissar in seinem Wagen heran. Vor dem offen stehenden Haupttor zum Anwesen der Krogmanns machten ihm zwei Polizisten Platz, damit er den Weg zum Haus befahren konnte. Die Leute von Presse und Fernsehen ließen ihn zum Glück in Ruhe.
Hinter dem Wagen des Gerichtsmediziners hielt Fricke auch sein Auto an und stieg aus. Als er sich auf den Weg zum Hauseingang machte, kam ihm der Arzt bereits entgegen. Karsten Mohr, Kiels leitender Gerichtsmediziner, und Sven Fricke kannten sich seit Jahren und hatten schon einige Male zusammengearbeitet.
»Hallo, Sven. Dein Fall?«, fragte Mohr, lief zum Kastenwagen, öffnete die Seitentür und stellte seinen Metallkoffer hinein.
»Jipp. Was kannst du mir erzählen?«, fragte Sven, während er mit ihm zurück zum Wagen lief.
»Johanna Krogmann-Eggerstedt, 42 Jahre, und, mein lieber Schwan, selten so eine hübsche Leiche gesehen. Sie liegt im Flur auf dem Boden. Ihr ist mehrmals mit einer Eisenstange, die der Täter am Tatort zurückgelassen hat, gegen den Kopf geschlagen worden.«
»Todeszeitpunkt? Weißt du, ob wir Fingerabdrücke haben?«, fragte Fricke, ohne auf die Bemerkung von der hübschen Leiche einzugehen.
»Zwischen 3 Uhr und 4 Uhr heute Morgen. Keine Fingerabdrücke, soweit ich weiß. Frag da mal besser die Jungs von der Spurensicherung«, antwortete Mohr.
»Wer hat sie gefunden?«
»Ich glaube, die Putzfrau, weiß es aber nicht genau. Du hast heute Nachmittag noch den Obduktionsbefund auf dem Tisch liegen«, antwortete Mohr und wollte gerade auf den Fahrersitz des Mercedes Sprinter steigen, als Fricke antwortete: »Schick ihn zur Staatsanwaltschaft. Frau Karinoglous.«
Mohr drehte sich zu Fricke um und fragte: »Die kleine, hübsche Griechin?«
Fricke lachte: »Ja, aber lass sie bloß nicht hören, dass du sie klein nennst. Wie groß mag sie sein? 1,40?«
»1,60 ist sie ganz sicher, und komm schon, Junge, du bist 39. Halt dich ran«, entgegnete Mohr, setzte sich schließlich ins Fahrzeug, startete den Motor und fuhr winkend an Fricke vorbei.
Der sah dem Wagen hinterher und dachte darüber nach, was sein Kollege gesagt hatte. Ja, er war 39 Jahre alt. Einmal war es bereits in die Hose gegangen mit einer Beziehung. Mohr hatte recht. Er sollte tatsächlich ein wenig daran arbeiten, Elena zu gefallen. Sie war bissig, aber zweifellos attraktiv.
Fricke war stets davon besessen, seine Fälle lösen zu wollen. Während seiner Laufbahn schaffte er eine Aufklärungsquote von 98 Prozent. Er wusste, je mehr er sich in einen Fall verbiss, desto sicherer war es, den oder die Schuldigen zu fassen. Das konnte er in dem Maße allerdings nur, weil er Single war. Weil zu Hause niemand auf ihn wartete. Er brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er länger im Büro blieb. Daran war damals wohl auch seine Ehe gescheitert. Seine Frau hatte sich die Wärme, die sie brauchte, bei einem anderen Mann gesucht. Im Grunde verstand er sie. Im Grunde aber verstand er auch sich, denn er liebte seinen Job. Die Vorstellung, mit seiner Frau auf dem Sofa zu liegen, während ein Mörder frei herumlief, konnte er nicht ertragen. Daran zu denken, dass sich der Mörder, während er seelenruhig im Kino saß, ein weiteres Opfer suchte und er das hätte verhindern können, machte ihn wahnsinnig. So gesehen war es gut, dass er alleine lebte.
Aber da gab es noch Elena. Eigentlich wäre sie die perfekte Frau für ihn. Auch sie kniete sich in ihre Fälle, und er war sich sicher, dass sie ein perfektes Paar abgäben. Zumindest beruflich. Aber privat? Er war nicht der Mann, der zu ihrem Stil passte, dennoch glaubte er zu wissen, dass sie ihn trotzdem anziehend fand. Er zankte sich gerne mit ihr. Irgendwie machte es ihm Spaß. Manchmal jedoch lockte sie ihn dermaßen aus der Reserve, dass er sie am liebsten geohrfeigt hätte. Um dann seine innere Ruhe wiederzufinden, besann er sich auf Buddha, zu dem er schon vor einiger Zeit gefunden hatte.