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2. Auflage 2025 - Mitten in der Nacht wird Hauptkommissar Bommelfutz zu einem weiteren scheinbaren Selbstmord gerufen. Dieses Mal hat jedoch kein für die Presse namenloser Junkie seinem Leben ein jähes Ende gesetzt. Dieses Mal scheint ALLES anders zu sein. Das 23. Opfer dieses Hochhauses ist kein namenloser Junkie mehr, sondern eine, wohl zumindest stadtbekannte, Persönlichkeit. Schon auf dem Weg zum Tatort beginnen die ersten Verwicklungen sichtbar zu werden. Ja selbst der mystische Mörder von Nico R. von S. scheint immer noch in diesem Gebäudekomplex präsent zu sein. Dort präsent zu sein, um dort auf weitere Opfer zu lauern. Die Jagd nach diesem Phantom führt den Leser durch Raum und Zeit und bis in eine scheinbar weit zurück liegende Dimension. Und selbst Bommelfutz und dieses vermeintlich körperlose Wesen sind sich wohl nicht so fremd, wie es dem Leser zunächst erscheinen mag...
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John R. McCollins
DIE BOMMELFUTZ®-Reihe
Bommelfutz®
und das Haus der
blauen Steine
Impressum:
2. Auflage
Copyright © 2025 by John R. McCollins
c/o Fakriro GmbH / Impressumservice
Bodenfeldstr. 9, 91438 Bad Windsheim
Coverdesign:
Abbildung: J. M. W. Turner (1775 – 1851), ‘Fishermen at Sea’, Public domain, via Wikimedia – This work is public domain in the United States (PD1996).
Gestaltung und Satz: Autor
Innenteil: Grafiken, Gestaltung, und Satz: Autor – Foto: Torghatten (Norwegen), Public Domain: K1008, CC0, via Wikimedia, This work is public domain in the United States.
Alle Rechte einschließlich der Vervielfältigung, Verbreitung, Übersetzung, Speicherung, Reproduktion, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdruckes in jeglicher Form (auch mittels elektronischen Systemen jeglicher Art) vorbehalten.
‚Bommelfutz®‘ ist eine eingetragene Wortmarke. Alle Rechte vom Markeninhaber vorbehalten.
2. Auflage - ISBN: 978-3-759281-46-3
Dieses Buch ist auch als Printversion erhältlich:
2. Auflage - ISBN Print: 978-3-759261-20-5
DER leitgedanke:
„Wenn man sich auf dEn weG macht,
um nach dingen ZU suchen, von denen
Man nicht wusste, dass sIe Einem fehlen,
WIrd man antworten bekommen auf
fraGEn, die man Nicht gesteLlt hat“
unBekannt
(Den Schlüssel zu dieser Erkenntnis erhalten Sie auf der letzten Seite dieses Buches)
Mediterrane Sonne wärmte die Haut. Das Rauschen der Wellen, die gleißende Helligkeit des weißen Sandes und das fast klischeehafte Azurblau des Meeres gaben dieser Szene einen unwirklichen, ja fast surrealen Anstrich. Direkt neben sich spürte er den warmen und weichen Körper von Kerstin. Seine Augen glitten über Ihren von der Sonne gebräunten Körper, welcher mit Ihrem, zugegebenermaßen etwas knapp ausgefallenen Bikini, einen weichen Kontrast zu der Welt um ihn herum bildete. Er blickte hinaus auf das Meer, dorthin, wo es mit dem Horizont fast zu verschmelzen schien. War das wirklich jetzt schon wieder drei Jahre her? Zusammen mit ein paar Freunden hatte er Kerstin an diesem Abend kennen gelernt. Sie waren, wie immer samstags während dieser Zeit, in den üblichen Studentenkneipen der alten, ehrwürdigen Universitätsstadt unterwegs gewesen. Sie stand dort an der Bar. Stand einfach nur so da und sah herüber. Sah IHN an. Genau so als ob sie sich schon immer kennen würden. Ihre Augen blickten jetzt spitzbübig mit dem Ihr so eigenen Blick unter Ihrem langen und vollen, kastanienbraunen Haar hervor. Ihr war also seine gedankenverlorene Musterung vorhin nicht entgangen. „Na, old sailor, alles so, wie es sein soll?“ Immer wenn sie zusammen am Meer waren, nannte sie ihn liebevoll ‚old sailor‘. „Na klar doch“, lachte er, „knapper wäre gar nicht mehr auszuhalten“, ‚hier fast allein am Strand mit dir‘. Den zweiten Teil hatte er zwar nur leise gedacht, doch an Ihrem Lächeln war untrüglich zu sehen, dass sie seine innersten Gedanken erraten hatte.
Seit einiger Zeit schien etwas diese Stille und Wärme zu stören. Ein Geräusch, welches sich langsam im Bewusstsein festzusetzen schien. Es kreiste, wie ein kreischendes Mühlrad und kam dabei näher und näher. Wurde aufdringlicher und fordernder. Stürzte sich auf ihn. Stürzte sich auf ihn und drang mit unwiderstehlicher, ja fast brutaler, Gewalt in sein Bewusstsein. Zerstörte dabei diese glückliche und helle und warme, sonnendurchflutete Welt. Löschte alle Gedanken auf ein glückliches Leben in seinem Denken und seinem Dasein aus. Eisige Todeskälte versuchte sich seiner zu bemächtigen. Dunkle Wolken verbargen den eben noch so blauen Himmel. Windstöße, wie Peitschenhiebe zuckten über seinen Körper. Alles um ihn herum versank in kalter, grauenerregender Düsternis. Ein ohrenbetäubender Paukenschlag ließ alle Fasern seines Körpers vibrieren. War in ihm. Direkt in seinem Kopf. Mittendrin und überall zugleich. Eine lodernde Gestalt war erschienen und begann auf die Erde herabzusteigen. Blitze umzuckten diese Erscheinung. Dieser Mund dort schien Worte zu formen. Worte, die nicht von dieser Welt zu sein schienen. Ihm war, als würden diese Lippen jetzt SEINEN Namen formen. SEINEN Namen aus einer längst vergangenen Zeit. SEINEN Namen, den er vor undenkbarer Zeit abgelegt hatte. SEINEN Namen, den niemand mehr in dieser Welt kennen KONNTE. In dem ohrenbetäubenden Lärm der entfesselten Elemente drang kein TON seines Namens an sein Ohr, aber er WUSSTE, das hier war der Tod. Wusste es in jeder einzelnen Faser seines Körpers. Diese Gestalt dort über ihm war erschienen, um IHN zu vernichten. Dieser leuchtende, lodernde Gegenstand in der Hand dieser Gestalt. Furchteinflößend, gleißend, unheilvoll und todbringend schien dieser Gegenstand alle Lebensenergie aus seinem Körper zu ziehen. Ja förmlich herauszusaugen. Sein Körper bäumte sich auf. Wellen von Energie strömten aus ihm. Unaufhaltsam. Unwiderstehlich. Gnadenlos. Wie Stromschläge den Delinquenten auf dem elektrischen Stuhl richten, war unsägliche Pein in ihm. Jede einzelne Zelle dieses Körpers war davon erfüllt. Gleich musste dieser Fuß die Erde berühren. Direkt vor seiner Stirn. Unerträgliche Hitze verströmend. Die Luft begann zu vibrieren. Näher und näher. Immer näher. Unerträgliches und alles verbrennendes Licht bahnte sich den Weg durch die geschlossenen Lider. Nichts schien diesem Gleißen widerstehen zu können. Ein Donnerschlag traf seinen gemarterten Körper. Jede einzelne Zelle dieses Körpers schien gleichzeitig zu explodieren. Etwas NEUARTIGES war geschehen. ETWAS hatte damit begonnen, sich aus diesem Menschlein dort unten zu lösen. ES blickte auf diese Ansammlung von Proteinen und Aminosäuren dort tief unter sich herab. Unbeteiligt. Beobachtend. Emotionslos. Der Fuß der grauenerregenden Erscheinung berührte jetzt den Boden direkt vor dem, was früher einmal die Stirn dieses Wesens dort gewesen war. Dieses Wesens, welches sich einstmals selbst ‚Mensch‘ nannte. Eine Erschütterung, die sich wie eine Druckwelle fortpflanzte. Unaufhaltsam. Unaufhaltsam alles niederwalzend. Alles vernichtend. Alles vernichtend, was auch nur wagte, sich ihr in den Weg zu stellen. Dann…
Dunkelheit…
…Dunkelheit und Stille.
...Ist das das Ende?
SEIN Ende. Welches ‚Ende‘ eigentlich? Ist dies der Tod? Ist dies der Tod, wie man ihn aus ‚Nahtoderzählungen‘ kannte? Ist DIESER Tod der Übergang in eine andere Welt? Welche Welt? Wessen Welt? Und… warum gerade ER?
Entfernter Straßenlärm dringt herauf. Bis in den dritten Stock. Bis in den dritten Stock und in eine kleine Wohnung. Dringt durch die leicht geöffneten Fenster. Durch die warme, ja fast stickige, Luft bis in ein Schlafzimmer. Zu einem Bett. Bis zu IHM. Dunkelheit ist um ihn. Kalter Schweiß klebt auf der Haut. Wo ist Kerstin? Eben lag sie noch hier an seiner Seite. Hatte er doch ihre Wärme gespürt. Den Geruch ihres Haares auf seiner Haut…
KERSTIN!!!
Der Platz neben ihm ist leer. Das Bett, IHR Bett. Leer und unberührt. Unberührt und kalt…
Sein Handy beginnt zu summen. Gespenstisch erhellt das blaue Licht des Displays den kleinen Glastisch neben seinem Kopf. Es muss mitten in der Nacht sein. Der Geräuschpegel der Straße ist noch erträglich. Bevor er das Gespräch annimmt, aktiviert er die Leuchtanzeige seines Funkweckers. 02.38 Uhr. Was war geschehen? Dienstliche Anrufe in der Nacht? Nichts Außergewöhnliches. Wahrscheinlich hatte wieder ein ‚Junkie‘ seinem Leben ein jähes Ende gesetzt. Der letzte Trip endete oft zerschmettert am Fuße eines Wolkenkratzers. Davon gab es hier in O. wirklich genug. Wolkenkratzer und Junkies. Junkies und Wolkenkratzer. Lebende Junkies und tote. Tote und Lebende. Was machte das noch für einen Unterschied. Seitdem er nach O. versetzt worden war, verging kaum eine Woche in der er nicht zu solchen Tragödien gerufen wurde. Meist mitten in der Nacht. Meist zu DIESEM immer selben Wolkenkratzer. Immer und immer wieder. Andrés, der Polizeipsychologe, hatte dazu bereits seine eigene Theorie entwickelt. Den Selbstmördern gehe es danach auch darum, ihre in dieser Welt zurückbleibende menschliche Hülle zu zerstören. Möglicherweise war diese Theorie wissenschaftlich begründet und entsprach der allgemeinen Lehrmeinung. Er selbst konnte sich damit jedoch nur schwerlich anfreunden. Fühlte sich jedes Mal hilflos. Ein verlorenes junges Leben. Hatte dieser junge Mensch jemals wahre Liebe erfahren? Wie verzweifelt musste ein Mensch sein, um so die letzte Reise anzutreten? Wie allein?
Oder einfach nur… alleingelassen?
Marcus war in der Leitung. Sein Assistent Marcus. Marcus, der ihn bei seiner überraschenden Versetzung von H. hierher begleitet hat. Mehr als ein Freund und Kollege. Klar doch, hier hatte er das, was er sich immer beruflich gewünscht hatte. Ein eigenes Dezernat. Sein eigener Chef zu sein. Naja, soweit das in diesem Beruf überhaupt möglich ist. Nur dem Polizeipräsidenten direkt unterstellt. Das war doch schon was!? Aber war es das wirklich? War es wirklich das, was er sich immer erträumt hatte? Irgendetwas an der Sache hatte einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Wie ein Widerhaken, der fest im Fleisch sitzt. Nicht sehr störend aber immer präsent. Leicht zu ertragen, wenn man sich mit anderen Dingen im Kopf ablenkte. Aber immer wieder schmerzend, wenn man daran erinnert wurde. Gewaltsam riss er sich jetzt aus diesen Gedanken. In dreißig Minuten würde ihn ein Wagen abholen. DER Wolkenkratzer hat heute Nacht wieder ein weiteres Opfer gefordert. Hatte seinen Tribut, wofür und von wem auch immer, eingefordert und erhalten. Morgen würde es überall in den Zeitungen zu lesen sein. Mit großen Lettern sah er schon die Schlagzeilen auf den ersten Seiten prangen: ‚DER Wolkenkratzer forderte das 23. Opfer‘. Und im Text darunter wird der geneigten Leserschaft erklärt, dass dies nun schon XX,X Prozent mehr sind, als letztes Jahr zu dieser Zeit. Oh, wie er diese Art des Journalismus hasste. Ja hasste. Hass ist ein blindes Gefühl. Nichts, was er sonst so ohne weiteres an sich heranlassen würde. Aber diese Schreiberlinge machten ihn einfach nur wütend. Diese Art, hier von ‚Nummer 23‘ zu schreiben. Als ob ein Mensch dadurch zur Nummer würde, weil er keinen anderen Ausweg mehr für sich sieht, als freiwillig aus dem Leben zu treten. Lässt sich menschliches Leid wirklich auf einen Wert in Prozent und eine Stelle nach dem Komma reduzieren? Auf dem Weg zur Dusche hatte er das sichere Gefühl, dass dieser Einsatze heute und hier anders werden würde. Anders, als die unzähligen nächtlichen Einsätze davor. Heute und jetzt ging es nicht um einen für die Medien namenlosen und verzweifelten Junkie, der seinem Leben ein jähes Ende gesetzt hatte, um eine ‚Nummer 23‘. Er spürte, dass dieses Mal ALLES anders sein würde. Genussvoll ließ er das warme Wasser über seinen Körper rinnen. ‚Nein, Nico S. von R. war kein lebensüberdrüssiger Junkie. Ganz gewiss nicht! Solche Leute, wie er, pflegen nachts um diese Zeit im warmen und weichen Bett zu liegen. Vielleicht nicht immer in ihrem eigenen, aber immerhin. Wenn sich solche Leute nachts aus einem warmen Bett aufmachten, um von DEM Wolkenkratzer zu springen, dann pflegten solche Leute meist sehr schwerwiegende Gründe dafür zu haben‘. Kritisch betrachtete er sein Spiegelbild. Er war in letzter Zeit etwas aus der Form geraten. Früher war er Landesmeister im Karate. Durchtrainiert, schlank und sehnig. Die asiatische Kampfform der ‚leeren Hand‘ hatte es ihm angetan. Sein Ausbilder und ‚Sensei‘ 1 hatte ihn gelehrt‚ den Weg des Karate zu gehen. Lerne dich selbst erkennen, dann erkennst du deinen Gegner. Karate ist ‚Do‘ 2. Karate ist der Weg. Der Weg zur Selbsterkenntnis und der Weg zum Selbstverständnis des Universums. Er erinnerte sich noch gut an seine Jugend. Filme wie ‚Kung Fu‘ 3 mit David Carradine in der Hauptrolle waren Straßenfeger. Der friedfertige, gewaltlose Weg des Shaolin-Mönches ‚Kwai Chang Caine‘ und seine Suche nach seinem Halbbruder faszinierte Tausende. Karateschulen schossen überall wie Pilze aus dem Boden. Gute und weniger gute. ‚Tödliche Schläge in 14 Tagen‘ war nur einer der Werbeslogans, die nicht nur seinen Lehrer verständnislos den Kopf schütteln ließen… Als er die Dienstpistole gewissenhaft überprüfte und in das Achselhalfter schob, kam die angekündigte SMS. Marcus wartete mit dem Einsatzfahrzeug vor dem Block. Leise, und um die Mitbewohner nicht zu stören, ließ er die Tür ins Schloss gleiten und schob den Fetzen weißen Papiers in den Türspalt. Ein Trick, den er sich einmal in einem Agentenfilm abgesehen hatte. Unwillkürlich musste er schmunzeln. Seine Oma hatte immer zu ihm gesagt: „…irgendeine Macke hat jeder und weil jeder eine andere hat, wird es im Leben nie langweilig.“ Ganz sicher war es eine Marotte von ihm. Wer sollte schon in die Wohnung eines Dezernatsleiters der Mordkommission einbrechen? ‚Ein bisschen paranoid, geht mit der Zeit‘. Vor dem Haus parkte der unauffällige BMW. Wer es nicht genau wusste, konnte nicht erkennen, dass dieses Fahrzeug leicht gepanzert war. Dem Beschuss aus Handfeuerwaffen hielt das Fahrzeug eine gewisse Zeit stand, um so die Flucht der zu schützenden Person zu ermöglichen. Marcus saß selbst am Steuer. Auf der Rückbank hatte eine ihm unbekannte Person Platz genommen. Beim Einsteigen nickte er dem Unbekannten zu. Grußlos und wortlos schaute dieser an ihm vorbei. Vorbei in eine weite, nicht vorhandene, Ferne. Das Gesicht des Mannes kam ihm irgendwie bekannt vor. Wo hatte er ihn nur schon gesehen? Auf der Mittelkonsole lag eine geöffnete Packung Kaugummi. Ihr gemeinsames Zeichen dafür, jetzt keine Fragen zu stellen. Die Öffnung der Packung zeigte zu Marcus. Also würde er beginnen zu reden. „Moin Chef“. Marcus hatte den nördlichen Gruß auch in der gemeinsamen Zeit hier in O. nicht aufgegeben. Er selbst hatte sich doch etwas anpassen müssen. Nachdem er dem Chef mehrfach erklären musste, warum er auch nachmittags um 16.00 Uhr ‚Moin‘ sagte, war er zu einer neutraleren Grußformel übergegangen. „Moin Marcus“. Er genoss es, das verständnislose Gesicht ihres schweigsamen Fahrgastes im Rückspiegel zu beobachten. ‚Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert‘.4 ‚Colonel John Smith‘, auch bekannt als ‚Hannibal‘ ließ grüßen. Er hatte es schon immer gewusst. Das ‚A-Team‘ ist eben überall und immer dann zur Stelle, wenn die Gerechtigkeit es erfordert. Wie einfach hatten sie es doch dabei, das ‚A-Team‘, ‚Robin Hood‘ und all die Helden seiner Kindheit und Jugend. Es gab die Guten und die Bösen. Die Bösen und die Guten. Wie in einem amerikanischen Western. Weiße Hüte und schwarze Hüte. Gute Helden und Böse. Die Guten die weißen und die Bösen die schwarzen Hüte. Gut und Böse. Schwarz und weiß. Aber das Leben ist nie schwarz und weiß. Manchmal tarnen sich die Bösen mit weißen Hüten. Schwarz und weiß… und grau. Wer fand sich da noch zurecht? Marcus und er mussten fast gleichzeitig lächeln. Sie hatten also wieder einmal sehr nah beieinander gedacht. Nach so vielen Jahren der Zusammenarbeit sicher nichts Ungewöhnliches. Marcus‘ Frau hatte schon gewitzelt, dass Marcus ja eigentlich mit seinem Chef verheiratet wäre, schließlich verbringe er mit ihm mehr Zeit, als mit ihr. Ja Maria, sie war ganz sicher eine ganz außergewöhnliche Frau. Seit vielen Jahren wünschten sich die beiden nun schon Kinder. Nach einer Fehlgeburt dann die niederschmetternde Diagnose. MS. Maria hat MS. Multiple Sklerose. Eine fortschreitende Schädigung des Kleinhirns und anderer Hirnregionen, welche mit Lähmungen einhergeht. Das Endstadium führt dabei fast immer über den Rollstuhl. Die Krankheit tritt oft in Schüben auf und jeder Schub zerstört einen Teil ihrer Gesundheit und ihrer Mobilität. Immer weiter und weiter fortschreitend. Weniger Mobilität von Schub zu Schub und auf der anderen Seite diese immer mehr wachsende Angst von Schub zu Schub. Diese hinterhältige Angst und die Ungewissheit. Die Angst vor dem nächsten Schub und die Ungewissheit, wann der nächste Schub erfolgen wird. Immer und immer wieder. Und, zumindest nach menschlichen Begriffen, unaufhaltsam. Aber, Maria ist eine starke Frau. Sie verbirgt Ihre Angst. Vor Marcus. Vor ihm. Vor der Welt und - vor sich selbst. Sie kämpft jeden Tag aufs Neue. Sie kämpft und… und hat doch jeden Tag Angst. Immer ist diese Angst da. Lähmend. hohläugig. Lauernd. In dem Glas Wasser, dass die Hand hält. In den nächtlichen Stunden, wenn Marcus im Einsatz ist. Ja, Angst auch um Marcus. Was, wenn er von einem Einsatz nicht zurückkommen würde? Zurück zu ihr? Letztes Jahr schenkte sie ihm daher eine schusssichere Weste. Eine neue und moderne schusssichere Weste. Nicht so ein Ding, in dem man sich nicht bewegen kann und aussieht, wie der kleine Bruder vom ‚Michelin-Männchen.‘ 5 Nein eine moderne Weste. Zum Unterziehen. Ultradünn, aber doch absolut wirksam. Niemand weiß es, außer Maria, Marcus und er, Bommelfutz. Und sie hatten beschlossen, dass es auch für immer ihr gemeinsames Geheimnis bleiben würde.
„Der Tote ist Nico S. von R. und um genau zu sein, Graf Nico S. von R. – männlich, 48 Jahre alt, verheiratet, 2 Kinder…“ Unvermittelt waren sie bereits am Tatort angekommen. Die nächtliche Fahrt durch die immer noch schlafende Metropole hatte ein schnelles Ende gefunden. Schweigend kletterte das ungleiche Trio aus dem Wagen. Stumm ragte DER Wolkenkratzer vor ihnen in den Nachthimmel. Stumm und steil. Und schweigend. Die oberen Stockwerke verloren sich noch im Dunkel dieser nur langsam vergehenden Nacht. Fast wie ein überdimensionaler Götze ragte er auf. Ragte er auf vor den ameisenhaften Menschlein dort unten an seinem Fuße. Ein menschenverachtender und tödlicher Götze freilich. Immer auf der Suche nach einem neuen, arglosen Opfer. Hämisch. Hinterhältig. Verschlagen. Todbringend. ‚Was schert es den Bären, dass die Ameise auf ihm herumkrabbelt. Werden es jedoch zu viele, schüttelt er sie ab und zertritt sie‘. Hatte dieser stumme Götze wirklich nur eine dieser ‚Ameisen‘ zertreten? „Guten Morgen, Hauptkommissar“. Frederik von der Spurensicherung war bereits dabei, seine Sachen zusammen zu packen. An einem Tatort, wie diesem waren nicht allzu viele Spuren zu sichern. „Ich mache jetzt noch da oben weiter?“, sein Daumen deutete nach oben. Deutete auf einen imaginären, ungewissen Punkt irgendwo dort oben in dem schweigenden Dunkel dieser Nacht. „Gibt es Zeugen, wer hat den Toten zuerst gefunden?“ „Keine Zeugen, Chef. Den Toten hat der Hausmeister hier gefunden. War von einem ungewöhnlichen Geräusch geweckt worden. Ist ja nicht der Erste dieses Jahr… der Notarzt müsste noch bei ihm sein…“ Hörbar sog er die nächtliche, warme Luft ein. Alle wussten ohnehin, was er damit sagen wollte. Überraschend wendete sich jetzt der stumme nächtliche Fahrgast an ihn. „Ich gehe davon aus, dass es sich um einen bedauerlichen nächtlichen Unfall handelt und dass die Ermittlungsergebnisse mit aller gebotenen Diskretion behandelt werden, bevor die Akten über diesem… Unfall geschlossen werden. Die Presse… sie verstehen…“ Bommelfutz brauchte einige Sekunden, um das eben Gesagte zu erfassen… ‚Tsuki no kokoro‘ 6. Vor seinem geistigen Auge war sein Lehrer, sein Sensei, erschienen. ‚Sensei ni rei‘ 7seine Gedanken hauchten den Gruß an seinen alten Lehrer. Ehrfurchtsvoll und scheu. ‚Der Geist sei wie das Mondlicht. Es ist überall und haftet doch nirgends. Mache deinen Geist frei von jeder Ablenkung und finde deinen Fokus…‘ Alle Augen waren jetzt auf ihn, Bommelfutz, gerichtet. Selbst die erwachende Stadt schien für einen kurzen Atemzug aufzublicken und innezuhalten. „Entschuldigen Sie bitte, ich glaube wir sind uns noch nicht vorgestellt worden, Herr…“. „Müller. Müller ist mein Name. Horst Müller“. Triefend lächelnd reichte ihm ‚Herr Müller‘ seine Karte. Dieses triefende ‚Schalterlächeln‘ kannte er zur Genüge. Klack, Lächeln an. Klack, Lächeln aus. Eiskalt. Berechnend. Fast wie ein Roboter. ‚Horst Müller – Investigator‘. Dazu drei Buchstaben und eine Telefonnummer. Nicht einmal mehr DIESE Einrichtung hielt es für nötig, deutschsprachige Bezeichnungen auf ihre Visitenkarten zu drucken. Solche Leute wie sein Gegenüber hatten viele Namen. Manchmal nannten Sie sich ‚Smith‘ oder ‚Smythe‘. Oder ‚Lehmann‘. Oder ‚Müller‘. Sie hatten alle Namen oder keinen. Einer passte so gut oder so schlecht, wie jeder andere. „Entschuldigen Sie bitte, Herr… hm… Müller.“ Demonstrativ schaute er auf die Karte in seiner Hand. „Kann es sein, dass Sie vielleicht gerade versuchen, Einfluss auf eine laufende polizeiliche Ermittlung zu nehmen?“ KLACK! Wahrscheinlich war gerade der Schalter mit lautem Krachen abgebrochen. Fortgewischt war plötzlich alle aufgesetzte Freundlichkeit. Eiskalt und schneidend war auf einmal die Stimme. „HERR Bommelfutz, ihr Vorgesetzter wird sich nachher noch mit Ihnen befassen!“ Abrupt wandte er sich um und verschwand in den letzten Schleiern der Dunkelheit. Betretenes Schweigen lastete noch auf allen. Betretenes, drückendes Schweigen. Diese unverhohlene Drohung schien fast körperlich zwischen ihnen zu stehen… „Marcus, wenn du wieder einmal einen Anhalter mitnehmen möchtest, dann schau ihn dir bitte das nächste Mal vorher etwas genauer an“, witzelte Bommelfutz. Nur langsam schien sich die Beklemmung von den Männern zu lösen. ‚Ein eigenes Dezernat. Sein eigener Chef sein. Soweit dies in diesem Beruf überhaupt möglich war. Ja, soweit das möglich war…‘ „Ist jemandem etwas Besonderes aufgefallen?“ Diese Frage stellte er seinen Mitarbeitern an jedem Tatort. Zu viele Eindrücke mussten die Ermittler am Tatort verarbeiten. Zu konzentriert arbeiten. Zu viele Entscheidungen treffen. Das Gehirn nahm viele Details auf. Manche davon auch nur unbewusst. Er wusste, diese Frage hatte schon manches wichtige Detail wieder in das Bewusstsein zurückgebracht. Jede noch so kleine Beobachtung konnte wichtig sein. Frank hatte ihn dafür immer gehänselt. Für ihn schien es Zeitverschwendung zu sein, seine Mitarbeiter zu befragen. ‚Der menschliche Faktor‘, so eine seiner Grundthesen, ‚der menschliche Faktor wird üblicherweise völlig überbewertet. Fakten sind Fakten und man kann einen Täter auch auf Grund von Indizien verurteilen‘… ‚Verurteilen‘, ja ‚verurteilen‘ hatte er gesagt. ‚Verurteilen‘. Nicht überführen. ‚In dubio pro reo - im Zweifel für den Angeklagten‘. ‚Wieso wähnten sich manche Menschen eigentlich im Besitz der allumfassenden EINZIGEN Wahrheit zu sein? Gab es sie überhaupt, diese allumfassende und allgegenwärtige, absolute und allgemeingültige Wahrheit? Und wenn ja, wem diente sie? Und – wozu? Aber was war schon die Wahrheit. Gab es sie überhaupt, die absolute, allgemeingültige Wahrheit? War es nicht eher so, dass die Welt aus vielen kleinen Wahrheiten bestand? Und wenn es viele kleine Wahrheiten gab, musste es dann nicht auch viele kleine Lügen geben? Und falls es eine absolute, allgemeingültige Wahrheit geben sollte, musste dann nicht auch die EINE große, allumfassende Lüge existieren‘? Die Zeit des sogenannten ‚kalten Krieges‘ in der 1980-er Jahren war auch eine Zeit der ideologischen Auseinandersetzung beider großen Systeme. Bommelfutz erinnerte sich noch gut an einen Treppenwitz aus dieser Zeit. Der amerikanische Präsident und der Generalsekretär waren darin zu einem Wettlauf über 400 m angetreten. Der amerikanische Präsident gewann dieses Rennen klar mit komfortablem Vorsprung. In der westlichen Presse wurde daraufhin geschrieben: ‚Gestern kam es zu einem Wettlauf zwischen dem amerikanischen Präsidenten und Herrn Generalsekretär XYZ. Das Rennen führte über eine Distanz von vierhundert Meter (etwa eine Viertelmeile). Der amerikanische Präsident ging als klarer Sieger hervor und verwies seinen Konkurrenten auf den zweiten Platz. Die Staatsoberhäupter der verbündeten Staaten gratulierten zu diesem großartigen Sieg des kapitalistischen Systems über das kommunistische System. Die Überlegenheit unseres Systems ist somit klar bewiesen… bla, bla, bla…‘ Während man in der Presse des ‚Ostblocks‘ lesen konnte: ‚Gestern kam es zu einem Wettlauf zwischen unserem geliebten Generalsekretär und dem Herrn Präsidenten XYZ. Das Rennen führte über eine Distanz von vierhundert Metern (etwa 0,26 Werst). Unser geliebter Generalsekretär belegte dabei einen hervorragenden zweiten Platz, wogegen Präsident XYZ nur Vorletzter wurde. Die Staatsoberhäupter der verbündeten Staaten gratulierten zu diesem großartigen Sieg des kommunistischen Systems über das kapitalistische System. Die Überlegenheit unseres Systems ist somit klar bewiesen… bla, bla, bla…‘ Manchmal kam es Bommelfutz so vor, dass die Eleganz der wirklich bedeutenden und großen Lügen unserer Zeit einfach nur darin besteht, kleine Teile der Wahrheit geschickt wegzulassen. Aber war das heute in dieser Zeit der elektronischen Medien und der allgemeinen Reizüberflutung wirklich noch wichtig? Welche Rolle spielten dabei die sogenannten ‚Fake-News‘? Jedermann der heute einigermaßen mit einem Computer umgehen konnte, war in der Lage solche Sequenzen selbst zu produzieren. ‚Die Macht der Bilder‘, oftmals aber auch nur die ‚Macht gefälschter oder aus dem vermeintlichen Zusammenhang herausgerissener Bilder‘ war manchmal an die Stelle ehrlicher journalistischer Arbeit getreten. ‚Blue Screen‘ und Bildschnitttechniken liefen heute schon auf fast jedem Homecomputer. Fast jeder konnte heute einfach alles produzieren und hochladen. Hochladen und über das weltweite Netz fast überall auf diesem Planeten verbreiten. Aber wo war die Grenze zwischen einer unvollständigen kleinen Wahrheit und einer absichtlichen Lüge zu ziehen? Und wer sollte dies beurteilen? Und war das, rein technisch betrachtet, überhaupt noch möglich, bei dieser Flut von Informationen und den täglich anfallenden schier endlosen Datenmengen? Wäre es nicht einfach besser, die Persönlichkeitsrechte jedes Einzelnen zu stärken, die Beweislast umzukehren und die Verbreitung von solchen Machwerken als Straftat zu erklären? Dann würde die Gerechtigkeit selbst die Persönlichkeitsrechte jedes einzelnen Bürgers schützen. Ja, Kritiker würden dann wohl sagen, dass sich eine solche Prozessflut gar nicht bewältigen lassen würde. Sicher, eine solche Aussage ist menschlich. Viele Menschen ‚funktionieren‘ nun einmal so. Ständig ist es so, dass das menschliche Kurzzeitgedächtnis Dinge aus unserem unmittelbaren Umfeld speichert und unser Gehirn dann diese Informationen in die Zukunft weiter projiziert. So können sich viele Menschen in einem sehr harten und sehr langen Winter einfach nicht mehr vorstellen, dass es wieder einmal Frühling sein wird. Frühling, auf den dann sogar noch der Sommer folgen wird. So ist es auch in vielen Bereichen unseres modernen Lebens. Steigen Börsenkurse zum Beispiel über einen langen Zeitraum immer und immer weiter, so sind viele Börsenteilnehmer der Meinung dass dies so auch immer weiter gehen würde. Solche Aussagen wie ‚der Himmel ist das Ziel‘ oder ‚DAXZIEL 50.000‘ hat sicher jeder schon einmal irgendwo gehört oder gelesen. Aber zum Glück hat die Schöpfung diesem Mechanismus unser bewusstes Denken zur Seite gestellt. Aus den Erfahrungen unserer Eltern und Großeltern und unseren eigenen Erinnerungen wissen wir, dass auf den Winter stets der Frühling und dann der Sommer gefolgt ist. Und man kann dies auch mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit in unsere nächste Zukunft übertragen. Anders sieht es da tatsächlich zum Beispiel an der Börse aus. ‚Kurse können sich länger irrational verhalten, als man liquide ist‘, sagt dazu eine Börsenweisheit. Aber die Börse ist schließlich auch kein natürlicher Prozess. Die Börse wird von Menschen gemacht, maßgeblich beeinflusst und gestaltet. Und jeder Mensch trägt schließlich auch seinen ganz individuellen Anteil zu der sogenannten ‚Schwarmintelligenz‘ bei. Ja manche sprechen hier wohl sogar von dem sogenannten „freien Willen“ der Menschen.
Aber was bedeutet dies jetzt für den Umgang mit den Erstellern von ‚Fake-News‘? Bommelfutz musste unwillkürlich lächeln. Vor einigen Jahren hatte er einen Artikel in einer Fachzeitschrift gelesen. Darin erklärte ein Unternehmen XYZ seinen geneigten Aktionären, dass es einen Jahresumsatz von einer Million Stück des Artikels ‚A‘ habe. Der Verkauf dieses Produktes spüle so und so viele Millionen Geld in die Unternehmenskasse. Auf Grund einer Preiserhöhung werde sich der Gewinn des Unternehmens im kommenden Jahr daher um so und so viel Prozent erhöhen. Diesen zusätzlichen Gewinn werde das Unternehmen ‚Eins zu Eins‘ an seine Aktionäre als Sonderdividende ausschütten. Der Aktienkurs stieg und stieg. Die Aktien dieses Unternehmens wurden gekauft, als komme kein Morgen mehr. Im kommenden Jahr gab es jedoch keine Sonderdividende. Was war geschehen? Auf Grund der gestiegenen Preise hatte ein Gutteil der bisherigen Käufer alternative Produkte am Markt gekauft, die offensichtlich auch nicht wesentlich schlechter waren als das Produkt ‚A‘ dieser Firma. Das Unternehmen hatte somit nicht nur einen Gewinnrückgang zu verzeichnen sondern verlor auch darüber hinaus noch Marktanteile. Die ‚Schwarmintelligenz‘ der Käufer hatte also auf diese Veränderung am Markt reagiert. Und so war Bommelfutz auch der festen Überzeugung, dass die Verbreitung dieser ‚Fake-News‘ sehr schnell aufhören würde, wenn der Staat dies nur konsequent genug verfolge. Dies wäre dann auch so eine ‚Veränderung am Markt‘ mit mindestens genauso weitreichenden Folgen für die Allgemeinheit. Dabei sind diese Kritiker durchaus in guter Gesellschaft. Wie viele Politiker weltweit sind so der Meinung, dass man einfach nur irgendwo an einer ‚Steuerschraube‘ zu drehen bräuchte, und schon würden ‚die Gelder nur so in die Staatskassen sprudeln‘. Meist funktioniert dies so nicht. Die Menschen verhalten sich einfach anders. ‚Aber ist dies eigentlich vom Grundsatz her so falsch? Dieses Verhalten hat uns als Menschheit auf diesem Planeten schließlich bis heute überleben lassen. Naturereignisse, die wohl viele Tierarten für immer von diesem Planeten verschwinden ließen, haben wir so überleben können. Es könnte vieles auf dieser Welt anders laufen, wenn sich die Menschheit ausschließlich auf die Erreichung gemeinsamer, friedlicher Ziele konzentrieren würde…‘
„Anhalter ist gut, Chef. Den Herren hat mir der Präsident persönlich in den Dienstwagen gesetzt“, brummelte Marcus, als sie auf dem Weg zur Hausmeisterwohnung waren. Bommelfutz war abrupt stehengeblieben. „Um drei Uhr in der Nacht? Der Präsident höchstpersönlich?“ In diesem Fall scheint wirklich ALLES anders zu sein. In was für einen Alptraum waren sie da geraten. Er fühlte sich gerade wie jemand, der unvermittelt in ein Wespennest tritt. Der Präsident, ‚Herr Müller‘ und ein Toter. Ein Toter. Mitten in der Nacht in die Tiefe gestürzt. ‚Chef, achten Sie auf das Gesicht des Hausmeisters‘ hatte ihm Frederik noch zugeraunt. Seinem fragenden Blick war er ausgewichen. Einfach ausgewichen. Scheu, fast… ängstlich? Ja ängstlich, ängstlich das traf es. Aber da war nicht nur einfache Angst. Da war weitaus mehr. Da war ein namenloses, ja fast animalisches… Grauen. Ja, ein animalisches Grauen, welches von Frederiks Denken und Fühlen Besitz ergriffen hatte. Das für ihn allbeherrschend geworden zu sein schien. Einem plötzlichen Impuls folgend, griff er zum Diensthandy. Der Assistent von Frederik meldete sich. „Ist Frederik noch bei Ihnen?“. „Nein Chef, er wollte jetzt oben auf dem Dachgarten weiter machen“. „Wenn er nachher wieder unten ist, möchte er bitte noch einen Moment warten, ich möchte dann noch einmal kurz mit ihm sprechen.“
„Guten Morgen Herr Doktor“. Bommelfutz begrüßte den Notarzt im Eingang des Gebäudes. „Guten Morgen Hauptkommissar“. Es waren immer dieselben Menschen, die in diesem nächtlichen Hexenkessel zusammentrafen. Leute wie er und der Notarzt und Marcus und Frederik. Sie auf der einen Seite des Gesetzes. Und auf der anderen Seite? Täter und Opfer. Opfer und Täter. Weiße Hüte und Schwarze. Schwarze und Weiße… oder… doch nur Graue? „Wie geht es dem Hausmeister?“ „Hm, wie soll ich sagen… nach der allgemeinen medizinischen Auffassung ist er durchaus vernehmungsfähig…“. Er zögerte, bevor er fortfuhr. Fortfuhr und dabei jedes seiner Worte einzeln abwog. „Wenn Sie mich als Arzt fragen, hat Herr I. die üblichen Schocksymptome… wenn Sie mich jedoch als Menschen fragen…“. Unvermittelt brach er ab. „Wenn ich Sie als Menschen und außerhalb des Protokolls fragen würde, Doktor, was würden Sie mir dann sagen?“ Gespannt folgten Marcus und Bommelfutz den Ausführungen des Doktors. Den Notarzt hatten beide in vielen Einsätzen als einen verlässlichen, offenen und bodenständigen Menschen kennen gelernt. Niemand, der sich mit irgendetwas wichtigmachen würde. Bommelfutz wusste, wenn solche Menschen, wie der Doktor bereit waren, über Dinge zu sprechen, über solche Dinge, die Ihnen selbst noch nicht im vollen Umfang bewusst geworden sind, dann musste man Ihnen Zeit dafür geben. Geduldig wartete er, bis der Doktor zu sprechen begann. „Nun wenn Sie mich fragen, einen aufgeklärten und als Arzt wissenschaftlich denkenden Menschen des 21. Jahrhundert würde ich Ihnen sagen: ‚Herr I. hatte kürzlich ein schweres traumatisches Erlebnis‘. Wenn wir uns aber z.B. im Mittelalter oder in einer Zeit bewegen würden, in welcher die Menschen noch an Geister oder Fabelwesen, Hexen oder… den Teufel glaubten, dann würde ich sagen, ihm ist hier vor nicht einmal einer Stunde der Leibhaftige erschienen.“ Bommelfutz und Marcus wechselten einen überraschten Blick. Doch der Doktor sprach schon weiter, hatte Ihre Reaktion wahrscheinlich noch nicht einmal bemerkt. Seine Augen schienen dabei in eine weite Ferne zu blicken. „Der Hausmeister… was er auch in der letzten Stunde gesehen hat, oder auch nur glaubt, gesehen zu haben, es muss das Grauen selbst gewesen sein. Dieses Gesicht… so einen Ausdruck des nackten Entsetzens habe ich bisher nur einmal gesehen... das war auf einem alten Gemälde. Es war ein armer Sünder, der gerade vom Teufel geholt wird, um in aller Ewigkeit in der Hölle zu schmoren… Die allegorische Darstellung des Teufels mit Drudenfuß und Schweif, der die arme Seele bereits am Genick gepackt hält… wie ein Stück Vieh auf dem Weg zur Schlachtbank…“ Nur langsam schien der Doktor wieder in die reale Welt zurückzufinden. Aber wie real ist sie, diese Welt, die wir als die für uns einzig existierende Welt ansehen? Kann es nicht sein, dass dies hier alles nur Trugbilder sind. Eine Fata Morgana, die dem Verdurstenden in der Wüste eine Oase, Wasser und die vermeintliche Rettung aus seinen Qualen vorgaukelt, ihn aber dabei immer nur tiefer und tiefer in die Wüste lockt. Wie der Laternenfisch, der seinem Opfer mit seinem Leuchtorgan leichtes Futter vorgaukelt um dann plötzlich vorzuschnellen um es zu verschlingen. Es dauerte einige Sekunden, bis sich Bommelfutz von dem eben Gesagten lösen konnte. „Vielen Dank, Doktor… vielen Dank für… Ihre Offenheit.“ „Ich stelle noch den Totenschein aus und fahre dann wieder in die Rettungsstelle. Den Rest erledigen Sie hier?“ Ja, die noch erforderlichen Schritte würden er und seine Mitarbeiter hier erledigen. Das notwendige Prozedere, wie immer in solchen Fällen. Die beiden Ermittler waren im Hausflur angekommen. Der uniformierte Kollege vom Nachtdienst grüßte. „Hier die eine Treppe nach unten in das Tief-Parterre und dann rechts, mein Kollege ist noch unten“. Dankend nickte ihm Bommelfutz zu. Ja, ‚Tief-Parterre ‘ sagte man heute dazu. Ihm schien, dass man früher die Dinge oft direkter beim Namen nannte. Der Hausmeister zu seiner Schulzeit wohnte noch in einer Kellerwohnung. Und um nichts mehr oder weniger handelte es sich hier auch. ‚Aus einer Krähe macht man keinen Goldfasan‘. Und selbst ein geadelter Name machte aus einer billigen Bleibe noch lange kein Penthouse. Er nickte dem Kollegen vom Streifendienst freundlich zu. „Danke, Herr Kollege, wir machen dann hier weiter“. Bommelfutz hob forschend die Nase. Irgendein ihm bislang unbekannter Geruch schien sehr massiv in dieser Wohnung zu hängen. Genau diesen Geruch glaubte er vorhin bereits, wenn auch ungleich schwächer, im Eingangsbereich wahrgenommen zu haben. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Marcus. Auch Marcus schien dieser eigenartige, fast orientalische, aber auch wieder vertraute und doch fremdartige, Geruch aufgefallen zu sein. Der Hausmeister, eine unauffällige und untersetzte Gestalt mittleren Alters, lag im Wohnraum auf einer Couch. Als die beiden Männer eintraten, richtete er sich auf und wollte aufstehen. Bommelfutz winkte jedoch freundlich ab. „Guten Morgen Herr I. Wir haben draußen bereits mit dem Arzt gesprochen. Er meinte, dass sie uns vielleicht schon ein paar Fragen beantworten könnten. Fühlen Sie sich dazu in der Lage?“. Er blickte den Haumeister jetzt direkt in das Gesicht. Und obwohl er schon durch Frederik und den Doktor vorbereitet war, ließ ihn dieser Anblick bis ins Innerste erschaudern. Das was er sah, konnte er nicht mit Worten beschreiben. Marcus schien es ähnlich zu ergehen. Dieses Gesicht, das blanke Grauen… dieser verlorene Blick… diese Augen schienen eher einem Bild von ‚Hieronymus Bosch‘ 8 entsprungen zu sein, als der Beengtheit dieser kleinen muffigen Wohnung. Er zwang sich mit Gewalt in die Realität zurück. „Entschuldigen sie bitte, bevor wir uns unterhalten, würde ich gern noch ein Foto von Ihnen machen. Ist es Ihnen recht?“ Sein Gegenüber nickte nur müde. „Vielen Dank Herr I. Können sie mir jetzt bitte mit ihren Worten erklären, was heute Nacht hier geschehen ist.“
Ein neuer, schöner, lichter und freundlicher Sommertag hatte begonnen. Die Morgensonne erhob sich strahlend über dem Meer, eine leuchtende Spur goldenen Wassers auf das azurblaue Meer zaubernd. Der Wind strich angenehm über dieses Leuchten dahin. Hin, bis zu dieser einsamen Wanderin, hier an diesem weißen und feinkörnigen Sandstrand. Kam über das Meer bis hierher. Bis zu IHR. Sie liebte es, zu dieser frühen Stunde hier unterwegs zu sein. Den noch menschenleeren Strand entlang zu schlendern. Der weiße, noch von der Kühle der Nacht erfrischte weiche Sand knirschte leise unter ihren Sohlen. Sie rannte mit den Möwen um die Wette und stürmte prustend in das kühle und erfrischende Nass. Schaute über das Meer. Bis hin zum Horizont. Bis dahin, wo Meer und Himmel schon seit Menschengedenken miteinander verschmolzen. Viele Jahre schienen seitdem vergangen. Es war die glücklichste Zeit in ihrem Leben geblieben und oft träumte sie sich zurück in diese scheinbar schon so ewig vergangene Zeit. So in Gedanken versunken hatte sie die alte Buhnenreihe erreicht. Diese einfache, aber doch wirksame und billige Form der Uferbefestigung gab es hier schon seit vielen Jahrzehnten. Baumstämme, meist Kiefern, wurden einfach in einer Reihe in das Meer gerammt um den Küstenverlauf zu sichern. Hier draußen hatte es bis vor kurzem noch einen letzten, selbständigen Fischer gegeben. Jeden Morgen war der alte Mann zu dieser Stunde von seiner nächtlichen Fahrt zurückgekommen. Zurückgekommen um hier seinen altersschwachen Kutter zu vertäuen. Oft hatte er nur wenige Fische, manchmal blieben seine Netze aber auch ganz leer. Diese Arbeit als Fischer lohnte sich hier schon lange nicht mehr. Die Jugend zog weg. Weg von hier und in die Stadt. Dort gab es diese andere Art von Arbeit. Den ganzen Tag in einem Büro sitzen. Auf einen Monitor starren und irgendwelche Dinge in die Tastatur tippen und… ja und schier endlose Telefonate führen. Jeden Tag aufs Neue. Immer und immer wieder. Musste nicht irgendwann einfach alles gesagt sein? Alles aufgeschrieben und gespeichert? Für die Jugend erschien dieser Platz hier wie ein Ort aus einer längst vergangenen Zeit. Ausgestorben und leer. Ein Platz, auf dem sich nur noch ein paar alte Dinosaurier tummelten. Man kam her, um seinen Spaß am Meer zu haben und fuhr abends wieder in die Stadt zurück. Hier, wo es noch nicht einmal ‚5G‘ gab. ‚Tut mir leid, aber ich werde jetzt drei Stunden lang nicht erreichbar sein‘. Als ob die Welt davon untergehen würde. Davon untergehen würde, weil man einmal für diese kurze Zeitspanne nicht allumfassend mit ihr vernetzt ist. Ihr fiel die Anekdote ein, ja sicher war es nur eine Anekdote, in der jemand bereits auf den sozialen Netzwerken für tot erklärt worden war, weil er nun schon seit mehr als zehn Minuten nicht mehr ‚gepostet‘ hatte. Abends dann fuhr man zurück. Dahin zurück, wo es alles gab, was heute ‚hip‘ und angesagt zu sein schien. Diskotheken, Bars, Kneipen, Restaurants. Sicher konnte man auch dort in der Stadt zufrieden leben aber… glücklich? Zufrieden? Zufrieden vielleicht schon, wenn man so leben mochte? Aber was macht wirklich das persönliche GLÜCK aus? Ohne den Wind auf der Haut zu spüren, ohne das Rauschen der Wellen und ohne der Natur so nahe zu sein. Vor Ihrem inneren Auge sah sie wieder den alten Fischer. Sah ihn mit seinem Kutter von der nächtlichen Fahrt zurückkommen. Zurück zu diesem Strand. Vorbei an der alten Buhnenreihe, an der sich die Wellen seit undenklichen Zeiten brachen. Dieses Leben in der Stadt wäre nichts für ihn. Er würde sich dort wie der Dinosaurier im Museum fühlen. Letzter Bote einer längst vergangenen Zeit. Die Leute kämen zu ihm, um ihn anzustaunen. Kinder würden mit ihm erschreckt. ‚Wenn du nicht artig bist, dann kommt heute Nacht der Dinosaurier und frisst dich…‘. Auch sein Sohn, war diesem unhörbaren Ruf gefolgt. Gefolgt, in die Stadt. Mit seinen Freunden hatte er ihn letztes Jahr hier besucht. Auf einmal war wieder Leben in seinem alten Fischerhaus. In dem Haus, welches bereits sein Urgroßvater erbaut hatte und das schon so vielen vor ihm ein Heim, ihr Heim, gewesen war. Abends waren die jungen Leute dann wieder abgefahren. In Ihr Leben. In die Stadt. Der Fischer hatte hier viele Jahre gehofft, gehofft und gewartet.