Bonbons, Whiskey und ein Mord - Inga Schneider - E-Book
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Bonbons, Whiskey und ein Mord E-Book

Inga Schneider

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Beschreibung

Bonbons mit Mord … der erste Fall für Fiona Fitzgerald
Ein charmanter Cosy Krimi für Fans von Rhys Bowen

Was für ein Ärger! Nicht nur, dass Bonbonkocherin Fiona Fitzgerald in der nordirischen Küstenstadt Portrush die Kundschaft wegstirbt … jetzt steht auch noch fest: Die alte Tratschtante Shannon O‘Brien und Kleinstadt-Casanova Sean Murphy wurden mit Bonbons aus ihrem Laden vergiftet. Das ruft den ruppigen Detective Archie McMillan auf den Plan, der Fiona prompt zum Kreis der Verdächtigen zählt. Lächerlich, findet die Neunundzwanzigjährige. Schließlich waren die beiden Toten ihre besten Kunden. Um ihre Unschuld zu beweisen, ermittelt Fiona kurzerhand auf eigene Faust und bekommt dabei unerwartete Unterstützung von McMillans jüngerem Kollegen Conor Brennan. Zusammen sind sie fest entschlossen, den wahren Mörder hinter Gitter zu bringen – und müssen dabei höllisch aufpassen sich nicht ineinander zu verlieben …

Erste Leserstimmen
„Wohlfühlkrimi mit viel Herz und Humor!“
„Ich fand den Cosy Krimi super unterhaltsam und spannend und spreche eine klare Leseempfehlung aus.“
„Es werden herrlicher, irischer Kleinstadtcharme und sympathische Ermittler geboten.“
„Witz, Charme und Mord – Cosy Crime vom feinsten!“

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Seitenzahl: 319

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Über dieses E-Book

Was für ein Ärger! Nicht nur, dass Bonbonkocherin Fiona Fitzgerald in der nordirischen Küstenstadt Portrush die Kundschaft wegstirbt … jetzt steht auch noch fest: Die alte Tratschtante Shannon O‘Brien und Kleinstadt-Casanova Sean Murphy wurden mit Bonbons aus ihrem Laden vergiftet. Das ruft den ruppigen Detective Archie McMillan auf den Plan, der Fiona prompt zum Kreis der Verdächtigen zählt. Lächerlich, findet die Neunundzwanzigjährige. Schließlich waren die beiden Toten ihre besten Kunden. Um ihre Unschuld zu beweisen, ermittelt Fiona kurzerhand auf eigene Faust und bekommt dabei unerwartete Unterstützung von McMillans jüngerem Kollegen Conor Brennan. Zusammen sind sie fest entschlossen, den wahren Mörder hinter Gitter zu bringen – und müssen dabei höllisch aufpassen sich nicht ineinander zu verlieben …

Impressum

Erstausgabe Juli 2021

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96817-600-0 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-648-2

Covergestaltung: Rose & Chili Design unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © Ksenia_Pelevina, © karandaev, © Tui-PhotoEngineer, © supawineeprachum shutterstock.com: © Konmac, © joloei Lektorat: Stephanie Schilling

E-Book-Version 16.08.2024, 11:56:29.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Bonbons, Whiskey und ein Mord

Für André.Danke, dass du damals gewartet hast.Nicht auszudenken, was wir sonst verpasst hätten.Ich liebe dich.

KAPITEL 1

„Ist schon geöffnet?“

Die Tür zu Fionas Bonbonkocherei öffnete sich leicht und Shannon O’Brien steckte neugierig ihren grauen Lockenkopf durch den Türspalt.

„Kommen Sie ruhig rein“, ertönte Fionas kräftige Stimme aus dem hinteren Teil des kleinen Ladens.

Daraufhin schob sich auch der Rest von Shannon O’Briens fülligem Körper durch den Türspalt, bis die alte Dame vollständig im Laden stand. Sie stellte den Regenschirm in den Schirmständer und wischte sich die Regentropfen von der Brille.

„Das ist vielleicht ein Mistwetter da draußen. Es wird gar nicht richtig warm in diesem Jahr. Dabei haben wir schon Mai“, schimpfte sie.

„Was kann ich für Sie tun?“ Fiona Fitzgerald trat an den Tresen und wischte sich die klebrigen Finger an ihrer rosafarbenen Schürze ab.

Ihre Bonbonkocherei war ein Paradies für Naschkatzen. Im Laden duftete es köstlich nach gebrannten Mandeln, würzigem Lakritz, feinen Kräutern und Karamell. An den Wänden waren lange Regalreihen angebracht, auf denen Gläser standen, die mit allen nur erdenklichen Sorten bunter Bonbons gefüllt waren. Von der Decke herab hingen rot-weiß und blau-gelb gekringelte Lollis und durch die Glasscheiben im weiß-getünchten Holztresen konnte man leckere Fudge- und Toffee-Berge in allen möglichen Geschmacksrichtungen sehen.

„Ich hätte gerne zweihundert Gramm von den Gin-Toffees.“ Shannon O’Brien trat noch näher an den Tresen, senkte die Stimme und schirmte mit einer Hand ihr Gesicht ab, so als habe sie Angst, belauscht zu werden.

„Haben Sie schon gehört?“, flüsterte sie kaum hörbar.

„Was denn?“ Fiona gab sich ahnungslos, aber sie konnte sich schon denken, dass es mit dem Brand im Marlborough Inn, einem kleinen Bed & Breakfast am Ortseingang, zu tun hatte. Es wunderte sie, dass Shannon erst jetzt damit ankam, wo der Brand schon ein paar Tage zurücklag.

Shannon O’Brien war in Portrush für den neuesten Klatsch und Tratsch zuständig. Sie wohnte schon ihr ganzes Leben in der kleinen Küstenstadt im Norden Nordirlands, kannte jeden Einwohner und jede Ecke. Jeder Einwohner wiederum kannte Shannon O’Brien und ihre flinke Zunge. Kein Geheimnis und keine Neuigkeit konnte sie für sich behalten. Wenn man wollte, dass sich eine Nachricht möglichst schnell in der Stadt verbreitete, musste man es ihr nur sagen und binnen vierundzwanzig Stunden wusste der gesamte Ort davon.

Dies führte dazu, dass einige Bewohner von Portrush Shannon bewusst aus dem Weg gingen, um ja nicht unverhofft zum Stadtgespräch zu werden. Shannon O’Brien hatte für die Ausweichler, wie sie jene Leute nannte, wenig Verständnis. Andere hingegen, wie die schrullige Mrs Kerry, nutzte Shannon O’Brien bewusst als Sprachrohr. Und zwar immer dann, wenn es auf der vierteljährlichen Einwohnerversammlung darum ging, einen Zebrastreifen im Stadtzentrum zu errichten, den Strand für Hunde zu sperren oder die Weihnachtsdekoration üppiger ausfallen zu lassen als in den Jahren zuvor.

„Das Marlborough Inn wird in dieser Saison nicht mehr öffnen. Sam Smith hat es mir erzählt“, sagte Shannon und rollte geheimnisvoll mit den Augen.

Sam Smith war Shannons männliches Pendant. Er betrieb im benachbarten Portstewart eine kleine Gärtnerei und war im Marlborough Inn für die Pflege des Rasens zuständig. Durch seine zahlreichen Kontakte war er stets bestens informiert, wenn auch meist nur die Hälfte von dem, was er erzählte, der Wahrheit entsprach.

„Ist nicht wahr?!“ Mit gespieltem Entsetzen nahm Fiona die Zange und packte einen Toffee nach dem anderen in eine weiß-rot gestreifte Papiertüte.

„Wenn ich es Ihnen doch sage! Sam sagt, der entstandene Schaden am Hotel ist zu groß. Außerdem soll Trixie Malone an der Versicherung des Hotels gespart haben, sodass sie auf den Kosten der Renovierung sitzenbleibt.“ Shannon verfolgte mit Argusaugen wie die Toffees in der Papiertüte verschwanden. Fiona legte diese auf die Waage und schaute zufrieden aufs Display. Es zeigte genau zweihundert Gramm an.

„Packen Sie ruhig noch einen mehr ein“, sagte Shannon. „Den vernasche ich gleich jetzt.“

Fiona legte einen weiteren Toffee auf eine rotgepunktete Serviette und reichte sie über den Tresen.

„Der geht auf’s Haus.“ Sie zwinkerte der alten Dame zu und lächelte.

„Das ist lieb von Ihnen, Kind. Was bekommen Sie?“

„Wie immer, genau acht Pfund.“

Shannon O’Brien legte den abgezählten Betrag auf den Tresen und steckte die Naschtüte in ihr Einkaufsnetz. „Ihre Toffees sind einfach die besten. Haben Sie einen schönen Tag“, sagte sie, drehte sich um und ging aus dem Laden.

Fiona Fitzgerald war vor fünf Jahren nach Portrush gezogen, nachdem sie das Haus ihrer Großmutter geerbt hatte. Als kleines Mädchen hatte Fiona Jahr für Jahr einen Großteil des Sommers in Portrush verbracht. Ihre Großeltern hatten hier früher eine Bäckerei betrieben, in der sie als Teenager während der Ferien gejobbt hatte. Nach dem Tod ihres Großvaters hängte ihre Großmutter die Bäckerschürze an den Nagel, sodass der kleine Laden mit Blick auf den Hafen einige Zeit leer stand.

Als Fiona nach dem Tod ihrer Großmutter vor fünf Jahren das Haus erbte, bestand für sie kein Zweifel, dass sie ihren Lebensmittelpunkt vom hektischen Belfast ins beschauliche Portrush verlegen würde. Sie beendete ihr Studium der Kulturwissenschaften, kündigte ihre Wohnung und zog mitten im Winter um – ohne einen Plan davon zu haben, wie sie künftig ihr Geld verdienen sollte.

Eine Dokumentation über die Herstellung von Toffees und Bonbons brachte Fiona letztlich auf die Idee, eine Bonbonkocherei zu eröffnen. Fiona liebte Süßigkeiten aller Art und hatte schon immer eine große Leidenschaft für Toffees und Bonbons gehabt. Nachdem sie die Doku gesehen hatte, war sie Feuer und Flamme für dieses alte Handwerk. Außerdem hatte die Herstellung der süßen Köstlichkeiten, wie sich später herausstellte, etwas herrlich Entspannendes. In Online-Kursen und auf Wochenendseminaren in Dublin und Galway lernte Fiona die Kunst der Bonbonherstellung, verpasste dem Haus ihrer Großeltern einen neuen Anstrich und eröffnete pünktlich zu Saisonbeginn „Fionas Sweets & More“.

Schon im ersten Sommer erwies sich der Laden als Goldgrube. Die Nachricht, dass in Portrush eine kleine Manufaktur eröffnet hatte, in der die Bonbons und Toffees selbst hergestellt wurden, hatte sich unter Einheimischen und Touristen schnell herumgesprochen – auch dank Shannon O’Brien, die für Fionas Gin-Toffees überall kräftig die Werbetrommel rührte.

Im zweiten Sommer nach der Eröffnung hatte Fiona bereits ein kleines Plus erwirtschaftet, sodass sie ihre Wohnung über dem Geschäft renovieren konnte.

Inzwischen belieferte Fiona einige große Hotels und kleinere Bed & Breakfasts mit ihren Bonbons, die als „Gute-Nacht-Gruß“ auf die Betten der Gäste gelegt wurden. Sie hatte es geschafft, hatte sich eine kleine Existenz aufgebaut und war zufrieden. Große Sprünge konnte sie sich zwar nicht erlauben, aber sie war glücklich. Und das war die Hauptsache.

Fiona folgte Shannon O’Brien aus dem Laden und winkte ihr nach, als sie die Straße hinunter zu Kindell’s Antiquitätenladen ging.

Es war Anfang Mai und tatsächlich kühler als in den Jahren zuvor. Noch herrschte weitgehend Ruhe in Portrush, doch schon bald würde es in der Küstenstadt an der Atlantikküste deutlich turbulenter zugehen. Portrush war besonders im Sommer bei Touristen aus aller Welt sehr beliebt. Der Ort lag an der bekannten Causeway Coastal Route und war ein idealer Ausgangspunkt für Tagestouren zu nordirischen Sehenswürdigkeiten, wie dem Giant’s Causeway. Die sogenannte Straße der Riesen, die aus rund vierzigtausend gleichmäßig geformten, etwa sechzig Millionen Jahre alten Basaltsäulen bestand, lag nur ein paar Meilen entfernt. Die höchsten Säulen des steinigen Weges waren bis zu zwölf Meter hoch und ragten einige Meter weit in den Atlantik herein. Oder die spektakuläre Hängebrücke Carrick-a-Ride, die dreißig Meter über dem tosenden Atlantik vom Festland auf eine vorgelagerte Insel führte. In unmittelbarer Nähe zu Portrush konnten die Feriengäste einen Abstecher zum Dunluce Castle, einer gigantischen Burganlage aus dem 16. Jahrhundert machen, in dessen Überresten der ein oder andere Geist sein Unwesen treiben sollte.

Fiona verharrte einen Augenblick vor ihrem Laden. In Gedanken versunken, leckte sie sich mit der Zunge über die Lippen. Sie schmeckten salzig. Nach Meer. Über ihr kreischten Möwen und aus Mr Chips Diner gegenüber drang der leichte Duft nach gebratenem Speck durch die Straße. Fiona spürte, wie sich der Sprühregen wie ein leichtes Netz aus durchsichtigen, kleinen Perlen über ihr Haar legte und atmete tief ein.

Shannon O’Brien war inzwischen im Antiquitätenladen am Ende der Straße verschwunden. Ben McCarthy, der Sohn des Apothekers, war gerade dabei, das Gitter vor den Fenstern nach oben zu schieben, und weiter oben auf der Main Street, hatte Midge O’Neill eine überdimensional große Whiskeyflasche aus Holz vor seinen Spirituosenladen geschoben. Als Midge Fiona vor ihrem Geschäft erblickte, hob er freundlich die Hand und winkte. Fiona grüßte zurück und ging in Gedanken die Bestellungen für die nächsten Tage durch. Sie würde eine neue Flasche Whiskey brauchen.

Am Montag hatte Sean Murphy kurz vor Ladenschluss die Restbestände ihrer „Lucky Stars“, Bonbons mit Whiskey-Honig-Geschmack, gekauft. Heute war Freitag und wenn sie sich nicht irrte, würde Sean spätestens heute Nachmittag bei ihr aufschlagen, um die Vorräte seiner Lieblingsbonbons aufzufüllen.

Plötzlich hallte ein lautes Dröhnen durch die Main Street. Wenig später folgte dem Dröhnen ein tiefergelegter, goldener Porsche, dessen Soundauspuff beim Beschleunigen bedrohlich knallte. Midge O’Neill steckte schimpfend den Kopf aus seinem Laden und schrie etwas wie „Verkehrsrowdy“ und „Nichtstuer“, was jedoch im Geheul des Porschemotors unterging.

Mit hohem Tempo raste der Wagen die Straße entlang, bremste mit quietschenden Reifen wenige Meter vor Fionas Bonbonmanufaktur und rollte langsam am Bürgersteig entlang, bis er vor der verschreckten Fiona zum Stehen kam.

„Hi Love.“ Die Fensterscheibe öffnete sich und Sean Murphy schenkte Fiona ein strahlendes Lächeln.

„Guten Morgen, Sean“, antwortete Fiona knapp. „Neuer Wagen?“

„Hab ihn gestern abgeholt. Genialer Sound. Ist in wenigen Sekunden von null auf hundert. Und …“

„Sean Murphy!“ Midge O’Neill haute mit der flachen Hand auf das Dach des Porsches. „Bist du wahnsinnig? Dies ist ein verkehrsberuhigter Bereich. Was fällt dir ein, in dem Tempo die Straße entlangzufahren?“ Midge O’Neill’s Augen glichen engen Schlitzen und sein Gesicht war lila vor Wut.

„Guten Morgen, Midge. Du darfst dich nicht so aufregen. Denk an dein Herz“, antwortete Sean gelassen, was den Spirituosenhändler nur noch mehr auf die Palme brachte.

„Menschen wie dir, sollte man das Fahren verbieten. Komm mir heute bloß nicht noch einmal unter die Augen.“ Mit einem weiteren, kräftigen Schlag auf das Porschedach drehte sich Midge O’Neill um und verschwand ebenso schnell, wie er aufgetaucht war.

„Wenn mein Auto von deinem Schlag ne Beule hat, weiß ich, an wen ich die Rechnung schicke. Das wird teuer, du alter Gnattertroll“, schrie Sean, jetzt doch sichtlich verärgert, hinter dem alten O’Neill her. Der winkte ab und verschwand fluchend in seinem Laden.

Fiona beobachtete die Szenerie vom Bürgersteig aus und schüttelte den Kopf.

„Ehrlich, Sean, Midge hat recht. Du solltest nicht so schnell fahren. Oder hast du zu viele Whiskey-Bonbons im Blut?“ Fiona zwinkerte Sean zu und sah mit Genugtuung, wie sich dieser langsam beruhigte.

„Sind fast alle aufgegessen. Machst du mir neue?“ Wieder schenkte er Fiona ein strahlendes Lächeln. Seine gebleichten Zähne glitzerten.

„Stehen ganz oben auf meiner Liste. Heute Nachmittag sind sie fertig.“ Fiona drehte sich zum Gehen um.

„Wie wäre es, wenn du sie mir heute Abend beim Essen überreichst?“

Fiona rollte mit den Augen. „Sean, das hatten wir doch alles schon. Ich habe kein Interesse!“

Sean Murphy seufzte. „Ich dachte, ich probiere es immer wieder. Irgendwann wirst du schon zusagen. Ich kann nicht glauben, dass du die einzige Frau in Portrush bist, die meinem Charme widerstehen kann.“

„Das mag daran liegen, dass ich aus Belfast bin. Wir Großstadtmädchen stehen eben nicht auf Kleinstadt-Casanovas.“ Fiona zwinkerte erneut, lächelte und öffnete die Tür zu ihrem Laden. Als sie sich umdrehte, wirbelten ihre rotgelockten Haare durch die Luft, und das feine Netz des Sprühregens, das sich die vergangenen Minuten auf ihnen gebildet hatte, verflog.

„Du brichst mir das Herz, Fiona.“ Um die Tragik in seinen Worten zu untermalen, legte Sean beide Hände auf seine rechte Brust und atmete schwer.

„Du wirst es überleben. Da bin ich mir sicher!“

KAPITEL 2

„Unverschämt!“

Fiona stampfte mit dem Fuß auf, um ihrem Ärger Luft zu machen. Den gesamten gestrigen Vormittag hatte sie damit zugebracht, die Whiskey-Bonbons für Sean zu fertigen. Erst hatte sie bei Midge O’Neill eine Flasche Bushmills gekauft, dann bei Jodie’s Supermarket ein frisches Glas Honig geholt und schließlich stundenlang im Akkord die sternförmigen Bonbons, die Sean Murphy so liebte, gestochen. Alles nur, damit er pünktlich um sechzehn Uhr mit einem neuen Vorrat „Lucky Stars“ ins Wochenende starten konnte. Und wer war nicht erschienen? Sean.

Auch heute Vormittag hatte sich der Möchtegern-Playboy noch nicht in der Main Street blicken lassen.

Fiona warf einen genervten Blick zur Uhr, die an der Wand über der Anrichte mit den Schokobonbons stand. Es war gleich halb zwölf. Sollte er endlich in der Bonbonkocherei auftauchen, konnte er etwas erleben.

Im Grunde wusste sie nicht, warum sie sich so aufregte. Sicher, sie hatte sich mit den Bonbons beeilt. Aber hätte sie nicht eh welche herstellen müssen? Die Bestände waren erschöpft und spätestens am Montag musste sie eine größere Menge ins Holiday Inn liefern.

Trotzdem ärgerte es sie, dass Sean seine Bestellung bislang nicht abgeholt hatte. Er war zwar nicht der zuverlässigste Mensch in Portrush, aber er war pünktlich – zumindest, wenn es darum ging, dass er von einer Sache Vorteile hatte. Die Aussicht auf frische Whiskey-Honig-Bonbons war definitiv ein Vorteil für ihn.

Auf einmal durchfuhr es Fiona wie ein Schlag. Was, wenn Sean etwas passiert war? Vielleicht hatte er mit seinem goldenen Flitzer einen Unfall gehabt? Oder eine eifersüchtige Furie hatte ihn ins Hafenbecken geworfen, nachdem er den Abend mit einer anderen Frau, statt mit ihr, verbracht hatte. War er am Ende vielleicht sogar tot?

Wie genau sie auf den Gedanken kam, konnte Fiona sich nicht erklären. Vermutlich hatte sie in ihrem Leben schon zu viele Miss-Marple-Filme gesehen. Wäre Sean Murphy etwas zugestoßen, hätte Shannon O’Brien sicher schon längst in ihrem Laden gestanden und die Neuigkeiten erzählt.

Just in dem Moment läutete das kleine Glöckchen über der Ladentür und kündigte Kundschaft an. Fiona hob neugierig den Kopf.

Zwei Männer mit langen, beigefarbenen Trenchcoats betraten den Laden und sahen sich um. Die beiden waren ein ungleiches Paar. Der eine, deutlich älter als der andere, hatte kaum noch Haare auf dem Kopf, einen runden Bauch und wischte sich mit einem Stofftaschentuch Regentropfen von den dicken Brillengläsern.

Der andere war eher nach Fionas Geschmack. Er war höchstens Mitte dreißig, dunkelhaarig und außerordentlich gut gebaut, wie Fiona auffiel, als er seinen Mantel aufknöpfte und die Hände in die Hosentaschen steckte. Der Blick seiner hellblauen Augen wanderte interessiert durch den Raum und blieb an der mit Lollis behangenen Decke kleben. Der Blick seines Kollegen folgte ihm.

„So etwas hab ich ja noch nie gesehen“, murmelte der Ältere und steckte das Stofftuch zurück in die Manteltasche.

Der Jüngere knuffte ihn in die Seite und deutete mit dem Kopf auf Fiona, die wie angewurzelt hinter dem Tresen stand. Man hätte meinen können, die beiden Männer seien einem Columbo-Film entsprungen.

Der Rundliche nahm Notiz von Fiona und räusperte sich.

„Fiona Fitzgerald?“, fragte er und trat an den Tresen.

„Ja?“ Fiona wusste noch immer nicht, was es mit den beiden Typen auf sich hatte. Wurde in der Nähe ein Film gedreht? Oder wollten die beiden zu einer Kostümparty? Doch woher kannten sie ihren vollen Namen? Moment. Waren das etwa Cops? Fiona lief es mit einem Mal eiskalt den Rücken runter.

„Ich bin Detective Conor Brennan aus Belfast. Das ist mein Kollege Archie McMillan“, begann der Jüngere. Seine Augen leuchteten im warmen Licht der Deckenbeleuchtung und wenn Fiona genau hinsah, konnte sie sich in ihnen spiegeln. Er sah wirklich gut aus.

„Was kann ich für Sie tun?“ Fiona trat mit wackeligen Beinen hinter dem Tresen hervor und lehnte sich gegen den gläsernen Aufbau. Die Szene wirkte auf sie vollkommen absurd und surreal. In ihrem Laden standen zwei Polizisten, die sie, wenn ihr Instinkt sie nicht täuschte, zu etwas befragen wollten. Wie gerne hätte sie die Whiskeyflasche aus der Küche geholt und sich einen kräftigen Schluck gegönnt. Aber das ging jetzt wohl schlecht.

Unschlüssig, was sie stattdessen machen sollte, reichte sie beiden Männern die Hand und beobachtete, wie sich Conor Brennan abwandte und weiter im Laden umsah. Dieses Mal blieb sein Blick an den Trüffeln mit Ginger Ale hängen. Oder waren es die Chips’n’ Fish-Muscheln? Fiona legte den Kopf schräg, um seinen Blick deuten zu können und verlagerte ihr Gewicht dabei ein wenig zur Seite, um an dem rundlichen Archie McMillan vorbeizusehen.

„Miss Fitzgerald …“ Archie McMillan schnippte hektisch zwei Mal mit seinen Fingern vor Fionas Augen herum, als wolle er sagen: Hier spielt die Musik!

Fiona zuckte zusammen und blinzelte mehrmals irritiert. Was war denn das?

„… oder ist es Mrs?“ Archie McMillan stoppte und sah Fiona fragend an.

„Es ist Miss Fitzgerald. Nicht verheiratet, nicht vergeben“, betonte Fiona und lächelte verlegen. Wurde sie etwa rot? Gott, warum sagte sie sowas? Im Augenwinkel bemerkte sie, dass Conor Brennan seinen Rundgang durch die Manufaktur beendet hatte und sich seitlich hinter seinen Kollegen stellte.

„Gut, gut“, sagte der Ältere beiläufig. „Ich will gleich zur Sache kommen. Sagt Ihnen der Name Sean Murphy etwas?“

Und ob mir der Name etwas sagt. Der Schuft hat seine Bonbons nicht abgeholt, schoss es Fiona durch den Kopf.

Sie nickte. „Er ist einer meiner Stammkunden. Besonders die Lucky Stars haben es ihm angetan. Er ist verrückt danach. Möchten Sie auch mal kosten? Ich hab sie gestern frisch gemacht.“

Fiona schob sich an den beiden Cops vorbei und griff mit der Zange in das Glas mit den bernsteinfarbenen Sternenbonbons.

„Nein, Miss Fitzgerald. Wir sind nicht hier, um Bonbons zu probieren“, brummte Archie McMillan Fiona entgegen.

Meine Güte, war der Typ unfreundlich. Fiona legte die Zange zurück auf die weiß-getünchte Anrichte und tippelte mit den Fingern auf das Holz vor ihr. „Ist er zu schnell gefahren?“, fragte sie neugierig und lächelte Conor Brennan zu, der ihr Lächeln kaum merklich erwiderte.

„Wer?“

„Sean.“ Also ehrlich, wer war hier der Polizist? Sie musste sich wirklich beherrschen, nicht mit den Augen zu rollen.

„Wieso?“ Archie McMillan legte seine Stirn in Falten und blickte genervt auf Fionas Finger, die weiter sanft und im regelmäßigen Takt auf das Holz schlugen.

„Er ist mit seinem neuen Porsche gestern in einem Affentempo die Main Street raufgefahren. Bei jeder Beschleunigung hat es einen Knall im Auspuff gegeben. Das war vielleicht ein Lärm, sag ich Ihnen. Ich hab ihn noch gewarnt, er soll nicht so schnell fahren …“ Fiona hielt einen Moment inne und blickte von einem Cop zum anderen.

Detective Brennan schmunzelte und biss sich seitlich auf die Lippe. Dabei schüttelte er den Kopf so leicht, dass man es glatt übersehen konnte.

„Miss Fitzgerald. Ich muss Sie fragen, wann Sie Mister Murphy das letzte Mal gesehen haben.“ Der Ältere war eindeutig der miesepetrigere der beiden.

„Gestern Vormittag. Kurz nach Ladenöffnung. Wie gesagt, er raste in einem Affentempo die Main Street entlang“, wiederholte Fiona. Ihr schwante, dass dieses Gespräch keinen guten Verlauf nehmen würde. Die Stimmung im Laden war schon jetzt erdrückend. Und daran war allein Archie McMillan Schuld. Er schien überhaupt keinen Sinn für Humor zu haben, während sein hübscher Kollege die meiste Zeit schüchtern in der Ecke stand und kaum den Mund aufbekam.

„Schon gut, Miss Fitzgerald, dass er zu schnell gefahren ist, haben wir mittlerweile verstanden.“ Archie McMillan senkte die Stimme.

Gott, wie arrogant konnte man sein?

„Haben Sie mit ihm gesprochen?“ Ups, was war denn das? Connor Brennan trat aus dem Schatten seines Kollegen und … sprach. Seine Hände steckten noch immer in seinen Hosentaschen und über sein Gesicht huschte ein unsicheres Lächeln.

„Er hat gesagt, dass er keine Bonbons mehr hat. Also habe ich ihm angeboten, welche zu machen. Er wollte sie gestern Nachmittag abholen. Aber er ist nicht erschienen.“

„Hat Sie das nicht nachdenklich gemacht?“

„Was?“

„Dass er die bestellten Bonbons nicht abgeholt hat.“ Detective Brennan machte einen Schritt auf Fiona zu. Der Duft seines herben Aftershaves lag in der Luft. Er roch verführerisch gut.

„Nun, er ist ein Kunde, nicht mein Freund“, stammelte Fiona. Die Nähe zu dem charmanten Detektive brachte sie beinahe aus dem Konzept.

Conor Brennan lächelte erneut leicht, fast unmerklich, aber es war definitiv ein Lächeln, da war sich Fiona sicher. Freute er sich womöglich darüber, dass sie Single war? Oder zumindest schien er erleichtert darüber zu sein, dass Sean nicht ihr Freund gewesen war. „Kommt es öfter vor, dass Sean Murphy seine Bestellungen nicht abgeholt hat?“ Conor Brennan räusperte sich, als fühle er sich ertappt und ging zu Archie McMillan zurück.

Fiona überlegte. Wenn sie richtig darüber nachdachte, war es nie vorgekommen, dass Sean seine Bestellungen nicht abgeholt hatte.

„Nein. In dieser Hinsicht war er zuverlässig.“ Für eine Sekunde traf der Blick von Detective Brennan den von Fiona. Sie schüttelte den Kopf und atmete tief durch.

Bildete sie es sich ein, oder war es im Laden gerade heißer geworden?

„Miss Fitzgerald“, unterbrach Archie McMillan kühl, und die gefühlte Hitze verflog. „Sie haben Sean Murphy gestern also nicht mehr gesehen?“

Fiona nickte angespannt.

„Ich wundere mich auch, warum er sich nicht meldet. Aber vermutlich hat er eine tolle, irische Frau getroffen und ist mit ihr versackt. Warum fragen Sie das alles?“ Bei dem Gedanken daran, dass Sean betrunken in irgendeinem Pub saß und das Leben genoss, musste Fiona schmunzeln.

„Das glaube ich nicht.“ Archie McMillan blickte noch finsterer drein als zuvor.

„Wieso? Bei Sean kann man nie wissen. Der lässt so schnell nichts anbrennen.“ Sie hielt dem grimmigen Blick des Detectives stand und wollte endlich wissen, worum es ging.

„Ich glaube es nicht, weil Sean Murphy tot ist!“

Wie ein spitzer Pfeil drangen die Worte zu Fiona durch. Sean war tot? Fionas Beine wankten, ihre Hände wurden mit einem Mal eiskalt und schwitzig zugleich. Erlaubte sich hier jemand einen schlechten Scherz?

Als würde er ihre Gedanken lesen können, übernahm Archie McMillan wieder das Wort. „Er wurde heute Morgen gefunden. Am Giant’s Causeway. Nackt. Und mausetot.“

Fiona stockte und leichte Hoffnung keimte in ihr auf. „Wenn er nackt war, woher wissen Sie, dass es Sean war?“ Vielleicht lag hier eine Verwechslung vor? Es konnte nicht sein, dass Sean tot war.

„Miss Fitzgerald. Meinen Sie, wir machen unsere Arbeit nicht? Unweit der Fundstelle haben wir seinen Porsche gefunden.“ Archie McMillan klang, als würde ihm gleich der Geduldsfaden reißen.

Das leuchtete Fiona ein. Niemand hier in der Gegend fuhr einen derart auffälligen Wagen.

„Und in dem Auto haben Sie dann sicher auch Seans Papiere gefunden“, sagte Fiona mehr zu sich selbst, als zu den beiden Beamten, die sie fragend ansahen.

„Richtig, Miss Fitzgerald. Sie sind ein kluges Kind.“

Die Ironie in Archie McMillans Stimme gefiel Fiona ganz und gar nicht. Doch sie beschloss, vorerst darüber hinwegzusehen. Wenn Sean wirklich tot war – und danach sah es derzeit leider aus – blieb die Frage, warum um alles in der Welt die Beamten ausgerechnet bei ihr im Laden standen?

„Und wieso kommen Sie jetzt zu mir?“

„Als Mister Murphy kopfüber im Wasser hing, lag neben ihm eine Tüte Bonbons. Aus Ihrem Laden. Darum sind wir hier.“ Archie McMillan beobachtete genüsslich, wie Fiona zunehmend um Fassung rang. Nach Halt suchend, tastete sie hinter sich nach der Anrichte. Als sie gefunden hatte, was sie suchte, stützte sie sich mit der rechten Hand ab und pustete mehrmals kräftig durch.

„Miss Fitzgerald“, setzte Archie McMillan erneut an. „Können Sie sich erklären, wie ihre Bonbontüte dorthin gekommen ist?“

„An den Tatort, meinen Sie?“ Fiona gab sich die größte Mühe, das Zittern in ihrer Stimme zu verbergen.

„Miss …“ Archie McMillan wollte gerade antworten, doch Conor Brennan fiel ihm ins Wort. Offensichtlich hatte er bemerkt, wie sehr die Situation Fiona zu schaffen machte – im Gegensatz zu seinem schroffen Kollegen.

„Wir können nicht sagen, ob es ein Tatort ist, da wir nicht wissen, ob Mister Murphy tatsächlich ermordet wurde oder eines natürlichen Todes gestorben ist. Daher sprechen wir von einem Fundort.“ Conor Brennans Stimme klang unglaublich sanft, verglichen mit der Stimme seines dickbauchigen Kollegen. Das beruhigte Fiona, wenn auch nur leicht. Offensichtlich ging die Polizei derzeit nicht davon aus, dass Sean umgebracht wurde. Also konnte Fiona unmöglich eine Verdächtige sein. Trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, als habe Archie McMillan sein Urteil über sie bereits gefällt.

„Er hat immer Bonbons von mir bei sich gehabt. Ich würde sagen, er war süchtig danach. Mehr kann ich Ihnen dazu leider nicht sagen.“

Fiona lehnte sich jetzt mit ihrem gesamten Gewicht gegen die Anrichte, sodass die Bonbongläser darauf leicht wackelten als sich das Möbelstück nach hinten gegen die Wand drückte. Beinahe entschuldigend und doch sichtlich verwirrt sah sie zu Detective Brennan rüber.

„Schon gut. Ich denke, das reicht für heute. Sie haben uns sehr geholfen.“ Conor Brennan schenkte Fiona ein aufmunterndes Lächeln. Sie versuchte zurückzulächeln, wohlwissend, dass sie den Beamten keineswegs geholfen oder die erhofften Hinweise gegeben hatte.

„Melden Sie sich, sobald Sie mehr erfahren?“, fragte sie. Gerne hätte sie die Polizisten noch zur Tür begleitet, aber ihre Beine zitterten so sehr, dass sie fürchtete, sie könnte umkippen, wenn sie sich auch nur einen Zentimeter bewegte.

Archie McMillan entging das nicht. Er schaute mit finsterer Miene an Fiona hinab und machte sich ganz offensichtlich in seinem Kopf Notizen über ihr Verhalten.

„Bemühen Sie sich nicht, Miss. Wir finden alleine raus“, sagte er leise, ohne die Lippen zu bewegen. Er drehte sich um und ging zur Tür. „Ach ja, seien Sie sich sicher. Wir werden uns wieder bei Ihnen melden. Schönen Tag noch.“ Er öffnete die Tür und marschierte aus dem Laden. Conor Brennan folgte ihm, drehte sich auf der Türschwelle nochmal um.

„Er meint es nicht so“, flüsterte er und lächelte mild. „Bis bald.“

***

Fiona atmete drei Mal kräftig ein und aus. Irgendjemand, vermutlich ihre abergläubische Oma, mit ihrer Vorliebe für Esoterik, hatte ihr als Kind einmal gesagt, dass man – sobald man Angst hatte, die Kontrolle über eine Situation zu verlieren – drei Mal kräftig durchatmen solle. Also machte Fiona genau das. Drei Mal holte sie durch die Nase so tief Luft, dass ihr Bauch ganz rund wurde, und atmete danach lange durch den Mund wieder aus.

„Also gut“, murmelte sie und löste sich vorsichtig von der Kommode. Ihre Beine waren immer noch wackelig, aber sie schaffte es, stehen zu bleiben. Langsam und mit kleinen Schritten ging Fiona in Richtung Ladeneingang. Sie schwankte leicht und musste ihre ganze Konzentration aufbringen, um vorwärts zu kommen. Letztlich schaffte sie es aber bis zur Ladentür. Erleichtert griff sie nach dem Türgriff und lehnte ihren Kopf gegen die Fensterscheibe.

Sie schaute nach links und rechts, konnte das ungleiche Kommissaren-Duo, das eben noch bei ihr im Laden gestanden hatte nirgends erkennen. Wohin waren die beiden nur so schnell verschwunden?

Fiona drehte den Kopf und entdeckte einen Teil des Huts, den Archie McMillan auf dem Kopf trug, in Höhe von Midge O’Neills Whiskey-House. Vorsichtig öffnete sie die Tür, um besser sehen zu können und trat einen Schritt vor den Laden. Die beiden Detectives standen in der Mitte der Main Street und waren in ein Gespräch vertieft. Archie McMillan hatte ein Hohlkreuz, was wohl auch seinem enormen Bauchumfang geschuldet war, mutmaßte Fiona. Wie eine Schwangere, die kurz vor der Entbindung stand, stemmte er beide Hände in die Hüften und streckte seinem Kollegen seinen Bauch entgegen. Dabei wippte er leicht auf und ab, indem er sich mal auf die Zehenspitzen und mal auf die Hacken stellte.

Archie McMillan war von so einer imposanten Statur, dass Conor Brennan vor ihm nahezu verschwand. Wäre er ab und zu nicht zur Seite gegangen, man hätte von Fionas Position meinen können, Archie McMillan führe Selbstgespräche.

Fiona konnte ihre Neugier kaum bändigen. Worüber sprachen die beiden wohl? Sie machte zwei weitere Schritte auf den Bürgersteig, blieb aber außer Hörweite.

Plötzlich drehte sich Archie McMillan um.

Fiona blieb wie angewurzelt stehen und fühlte sich ertappt.

„Mist“, fluchte sie, drehte sich in Windeseile zur Seite und tat so, als würde sie die Auslage in ihrem Schaufenster anschauen.

Sie hörte, wie Archie McMillan sich räusperte. Er stand zwar immer noch ein gutes Stück von ihr entfernt, aber sie konnte trotzdem sehen, wie sich seine Miene verfinsterte. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie er seinen bulligen Körper ganz in ihre Richtung drehte und ein paar Schritte auf sie zuging. Für einen Moment erhaschte sie einen Blick auf Conor Brennan. Er war noch mitten ins Gespräch vertieft und hatte noch gar nicht mitbekommen, dass sich sein Partner längst ausgeklinkt hatte. Erst als er seinen Satz beendet hatte, bemerkte er, dass Archie McMillan ihm gar nicht mehr zuhörte.

„Sir?“, fragte er und sah Archie McMillan, der weiter auf Fiona zukam, hinterher. „Ich rede mit Ihnen.“

Archie McMillan blieb auf halbem Weg stehen und hob die Hand. Wie auf Kommando hörte Conor Brennan auf zu reden und es war still. Nur das Kreischen der Möwen, das vom Hafen in die Main Street drang, war zu hören.

„Miss Fitzgerald.“ Archie McMillans Stimme hallte durch die Straße und Midge O’Neill steckte neugierig seinen Kopf aus dem Laden. „Haben Sie mir noch etwas zu sagen?“

„Verdammt“, fluchte Fiona leise und drehte sich kopfschüttelnd um. Am liebsten hätte sie wieder drei Mal kräftig durchgeatmet, um nicht in Panik zu geraten, doch dafür war keine Zeit. Also beließ sie es bei einem Mal.

„Nein, Sir.“ Es gelang ihr, das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken. Sie hob ihren Kopf und sah Archie McMillan fest in die Augen. „Ich weiß nicht, was Sie meinen. Ich prüfe die Bonbons in meiner Auslage.“ Sie zeigte auf zwei Kuppelgläser, in denen Mint-Toffees und rosa Schokoladenherzen lagen. „Die müssen dringend gewechselt werden.“ Sie würdigte Archie McMillan keines weiteren Blickes, drehte sich um und verschwand im Laden. Miss Marple hätte nicht besser reagieren können.

KAPITEL 3

Die Nachricht von Sean Murphys Tod verbreitete sich wie ein Lauffeuer und wurde binnen weniger Stunden zu dem Gesprächsthema in Portrush. Es war der erste Mord in dem kleinen Küstenstädtchen seit mehr als dreißig Jahren. Wenn es denn tatsächlich Mord war.

Es dauerte nicht lange und es kursierten die wildesten Gerüchte über Sean Murphys plötzliches Ableben. Er sei einem eifersüchtigen Ehemann in die Quere gekommen, munkelten die einen. Die anderen glaubten zu wissen, er habe am Ende über seine Verhältnisse gelebt und einen Haufen Schulden gehabt, sodass einer seiner Gläubiger ihn aus dem Weg geräumt habe. Es war sogar von der Mafia und von Rockerbanden die Rede, die Sean schon seit längerer Zeit nach dem Leben getrachtet hätten.

Fiona konnte keinem der Gerüchte etwas abgewinnen. Ihrer Ansicht nach, passten weder ein eifersüchtiger Ehemann noch die Mafia ins Bild, das sie sich von Sean Murphy in den vergangenen fünf Jahren gemacht hatte. Außerdem war er steinreich. Sein verstorbener Vater hatte ihm ein millionenschweres Vermögen hinterlassen. Es war unmöglich, das ganze Geld alleine zu verprassen. Auch wenn Sean seinen Reichtum gerne zur Schau gestellt hatte, es musste mehr dahinter stecken.

Sie ging alle Details, die sie von den beiden Detectives erfahren hatte, noch einmal durch. Sean Murphy war nackt gewesen, als man ihn gefunden hat, hatte Archie McMillan erzählt. Nackt! Warum um alles in der Welt ist man nackt, wenn man am Giant’s Causeway unterwegs ist? Allein vom Parkplatz runter zu dem beeindruckenden Steinweg mit seinen achteckigen Säulen ist man einige Minuten unterwegs. Hat Sean die etwa nackt zurückgelegt? Und wenn ja, warum hat er ausgerechnet eine Bonbontüte aus ihrem Laden mitgenommen? Kein Mensch der Welt ist ohne Kleidung unterwegs, hat aber eine Tüte Bonbons bei sich.

Und wenn er nicht nackt war, sondern seine Klamotten erst unten ausgezogen hat? Wo war seine Kleidung geblieben? Darüber hatten die Detectives nichts gesagt. Hatten sie sie am Ende vielleicht gar nicht gefunden?

Für Fiona ergab das alles keinen Sinn. Sean war kein Nacktbader – schon gar nicht um diese Jahreszeit. Der Atlantik war eiskalt. Er war auch kein Nudist. Er zeigte seinen Körper gerne, aber er liebte seine Kleidung ebenso. Sie war für ihn immer eine Art Statussymbol gewesen. Er liebte es, sich teure Klamotten bekannter Modelabels anzuziehen, darin die Main Street auf und ab zu flanieren und dafür bewundernde Blicke zu ernten.

Fiona überlegte in alle Richtungen. Sie liebte Krimis. Miss Marple war eines ihrer großen Idole. Wie die liebenswert-schrullige Amateurdetektivin mysteriöse Mordfälle aufklärte, war genau ihr Ding. Es gab keinen der zwölf Miss-Marple-Romane von Agatha Christie, den sie nicht gelesen hatte. Ihr Vater hatte sie ihr schon als Kind vorgelesen, wobei man darüber streiten konnte, ob Agatha Christie tatsächlich die geeignete Bettlektüre für eine Sechsjährige war. Dieser Ansicht war zumindest Fionas Mutter nicht gewesen. Viele Abende im Hause Fitzgerald endeten deshalb mit einem handfesten Familienstreit.

Doch Fiona war verrückt nach Krimis. Sie war eine kleine Spürnase, die sich schon als Kind einen Spaß daraus machte, ihre Brüder beim Lügen zu erwischen. Einmal war sie Timothy, ihrem älteren Bruder, auf die Schliche gekommen, als dieser eine Tüte Essigchips aus dem Supermarkt hatte mitgehen lassen. Und sie hatte Alice McGill als die Lippenstift-Diebin an ihrer Schule entlarvt. Ihrem Scharfsinn war es zu verdanken, dass Alice auf frischer Tat dabei ertappt wurde, wie sie in der Umkleidekabine aus den Schultaschen der Mädchen Lippenstifte klaute.

Durch ihr Verhalten machte sich Fiona nicht nur Freunde. Viele Mädchen in ihrer Klasse oder im Tennisclub stempelten sie als merkwürdig ab. Doch Fiona machte das nichts aus. Im Gegenteil. Sie war froh, dass ihre Eltern ihr den Raum gaben, anders zu sein als „normale“ Teenager. Während diese auf Partys gingen, heimlich Alkohol tranken und mit Jungs rumknutschten, blieb Fiona zu Hause und schaute sich „Mord ist ihr Hobby“ im Fernsehen an. Jessica Fletcher auf Verbrecherjagd zu sehen, war beinahe so gut, wie heimlich unter der Bettdecke und im Schein der Taschenlampe Miss Marple zu lesen. Ihr Interesse an Jungs wurde erst geweckt, als sie zum ersten Mal „Remington Steele“ im Fernsehen sah und sich in Pierce Brosnan schockverliebte.

Ein lautes Klopfen an der Ladentür riss Fiona aus ihren Gedanken. Erschrocken hob sie den Kopf und sah Shannon O’Brien an der Ladentür rütteln.

„Haben Sie noch geschlossen?“, rief sie durch die verschlossene Tür und hämmerte wie wild dagegen.

„Ich bin gleich da.“ Fiona eilte zur Tür. „Ich hab ganz vergessen, nach der Mittagsstunde wieder aufzuschließen.“ Fiona öffnete die Tür einen Spalt und Shannon O’Brien trat ein.

„Macht ja nix, Kindchen“, sagte sie und tätschelte Fiona die Wange. „Sind ganz schön durcheinander heute, was?“

Fiona nickte. Der heutige Tag hatte es wirklich in sich.„Was kann ich für Sie tun? Heute ist doch gar nicht Ihr Bonbon-Tag.“ Sie schloss die Tür und folgte Shannon O’Brien ins Geschäft.

Die alte Dame sah sich um, als stünde sie zum ersten Mal in Fionas Laden. Sie schaute zur Decke, warf einen interessierten Blick in die Kuppelgläser auf der Anrichte und drehte interessiert den Ständer mit den Postkarten. Schließlich konnte sie nicht länger an sich halten.

„Ich möchte nur sagen, dass ich nichts von dem glaube, was so erzählt wird“, platzte es aus ihr heraus.

„Was?“ Fiona war irritiert. Sprach sie über Sean?

„Die Sache mit Sean“, flüsterte Shannon O’Brien und sah sich verschwörerisch im Laden um, als fürchtete sie, es könnte jeden Moment der Feind hinter dem Tresen hervorspringen.

„Ach so. Nein, ich glaub auch nicht an die Gerüchte. Als ob er etwas mit der Mafia zu tun hatte.“ Fiona schmunzelte und zog mit dem Finger ihr Augenlid ein Stückchen nach unten, so wie sie es einst bei Columbo gesehen hatte.

„Ach, Kindchen. Schön, dass Sie sich ihren Humor bewahren.“ Shannon O’Brien kam näher und tätschelte erneut mitfühlend Fionas Wange. „Ich werde auf jeden Fall auch künftig meine Bonbons hier bei Ihnen kaufen. Ich lasse Sie nicht im Stich.“ Sie lächelte.

Irgendwie wurde Fiona das Gefühl nicht los, dass sie beide aneinander vorbeiredeten.

„Klar, wieso auch nicht?“ Fiona erwiderte das Lächeln und zauberte einen Salzkaramell Toffee hinter dem Tresen hervor. „Möchten Sie? Ich tüftele noch etwas an der Kreation und könnte daher konstruktive Kritik vertragen.“ Sie zwinkerte Shannon O’Brien zu und reichte ihr das Toffee auf einer Serviette.

Shannon O’Brien bekam große Augen. Sie konnte Süßigkeiten nur schwer widerstehen. Fionas Bonbons und Toffees war sie gar hoffnungslos erlegen. Sie nahm das Toffee in die Hand, schloss die Augen und biss genüsslich hinein.

„Köstlich“, sagte sie, während das Salzkaramell ihr auf der Zunge zerging. „Sollten Sie in Produktion gehen, nehme ich gerne welche ab.“

„Ich sage Bescheid, wenn’s so weit ist.“ Fiona packte drei weitere Salzkaramell in eine Tüte und reichte sie Shannon. „Bis dahin haben Sie hier schon mal einen kleinen Vorrat.“

„Ach, Kind.“ Shannon schluckte und suchte in ihrer Tasche nach einem Stofftaschentuch. Als sie eines gefunden hatte, wischte sie sich damit gerührt über das Gesicht. „Versprechen Sie mir ja, nicht aufzugeben.“

„Was meinen Sie?“ Für Fiona sprach Shannon O’Brien in Rätseln. Sie? Aufgeben? Warum?

„Na, ich rede von dem Mordverdacht gegen Sie.“

Fiona wurde kreidebleich. Sie stand unter Mordverdacht? Das würde erklären, warum es den ganzen Tag über so still in ihrem Laden gewesen war. „Von dem … was?“, stammelte sie.

„Es wird gemunkelt, dass die beiden Detectives heute Morgen bei Ihnen gewesen sind. Sie haben neben Sean, Gott hab ihn selig, eine Tüte aus Ihrem Laden gefunden.“ Shannon O’Brien bekreuzigte sich und schaute betreten zu Boden.