5,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 5,99 €
Folge dem Duft von Zimt und Zucker …
Ein romantischer Wohlfühlroman vor der Kulisse Südenglands
Kate Lacey steht vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens. Nach dem tragischen Unfalltod ihrer Eltern bleibt ihr nichts anderes übrig, als die kleine Familienbäckerei in der Old Wish Road in Eastbourne zu verkaufen. Doch das entpuppt sich als echte Herausfoderung, denn auf der Bäckerei lastet ein hoher Schuldenberg, den ihre Eltern verheimlicht haben. Kate beschließt, nach der Ursache der Schulden zu suchen und muss dafür tief in ihre eigene Familiengeschichte eintauchen. Zum Glück erklärt sich ihre attraktive Sandkastenliebe Charles bereit, ihr zu helfen. Schnell wird Kate allerdings klar, dass die Geheimnisse der Vergangenheit viel größer sind als sie dachte und sie eine Entscheidung treffen muss, die ihr ganzes Leben verändern wird …
Erste Leser:innenstimmen
„Emotional, mitreißend und liebevoll erzählt.“
„Ich möchte mich direkt selbst in die zuckersüße Bäckerei von Kate setzen, was für ein schöner Liebesroman!“
„Packende Geschichte über eine neu entdeckte, alte Liebe und ein überraschendes Familiengeheimnis.“
„Die Protagonistin Kate ist großartig, man wünscht sich sehr, dass sie es schafft die Bäckerei ihrer Familie zu retten!“
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 408
Kate Lacey steht vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens. Nach dem tragischen Unfalltod ihrer Eltern bleibt ihr nichts anderes übrig, als die kleine Familienbäckerei in der Old Wish Road in Eastbourne zu verkaufen. Doch das entpuppt sich als echte Herausfoderung, denn auf der Bäckerei lastet ein hoher Schuldenberg, den ihre Eltern verheimlicht haben. Kate beschließt, nach der Ursache der Schulden zu suchen und muss dafür tief in ihre eigene Familiengeschichte eintauchen. Zum Glück erklärt sich ihre attraktive Sandkastenliebe Charles bereit, ihr zu helfen. Schnell wird Kate allerdings klar, dass die Geheimnisse der Vergangenheit viel größer sind als sie dachte und sie eine Entscheidung treffen muss, die ihr ganzes Leben verändern wird …
Erstausgabe Mai 2022
Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98637-209-5 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-265-1 Hörbuch-ISBN: 978-3-98637-521-8
Covergestaltung: ARTC.ore Design unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Adam Fraise, © Lyona, © Evgeny Karandaev, © Eloy_CM, © sevenke, © Winning7799, ©ariadna de raadt, ©Den Tramper, ©Africa Studio, ©Crunchy Beans, ©ag-photo, ©arrideo, ©Anna Kasyanova Lektorat: Stephanie Schilling
E-Book-Version 25.08.2022, 12:06:22.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Unser gesamtes Verlagsprogramm findest du hier
Website
Folge uns, um immer als Erste:r informiert zu sein
Newsletter
YouTube
Folge dem Duft von Zimt und Zucker …Ein romantischer Wohlfühlroman vor der Kulisse Südenglands
Für meinen Papa, der dieses Buch bestimmt gerne gelesen hätte. Du fehlst. Jeden Tag.
„Und ihr kommt bestimmt in zwei Wochen wieder zu Besuch? Dann würde ich mich um Karten fürs Theater kümmern.“ Kate lehnte sich seitlich gegen den Kleiderschrank, während ihre Mutter dabei war, ihren Koffer zu packen.
„Natürlich. Warum fragst du?“ Dorothee sah nicht auf, sondern kämpfte mit den dicken Wollpullovern ihres Mannes, und ärgerte sich einmal mehr darüber, dass sie nicht den großen Koffer, sondern die kleinere Ausgabe für ihren Wochenendtrip nach London genommen hatte. „Diese Dinger sind einfach so sperrig“, schimpfte sie und legte die Pullover frustriert zur Seite.
„Mum, lass doch. Die können doch bei mir im Schrank bleiben. Vierzehn Tage wird Dad doch wohl ohne seine Strickpullover auskommen.“
„Und wenn mir kalt wird?“ Christian steckte den Kopf zur Tür herein und betrachtete skeptisch den Wäscheberg auf dem Gästebett. „Meine Pullover kommen auf jeden Fall mit zurück nach Hause. Du hättest eben nicht so viel shoppen sollen, dann hätte auch alles in den Koffer gepasst“, sagte er in Richtung seiner Frau, die ihm einen genervten Blick zuwarf.
„Wir hätten von Anfang an den größeren Koffer mitnehmen sollen und nicht diese Mini-Ausgabe. Ich habe gleich gesagt, dass nicht alles reinpassen wird, Christian. Aber der Herr weiß ja wie immer alles besser, obwohl er wahrscheinlich noch nie in seinem Leben einen Koffer selbst gepackt hat.“ Dorothee schenkte ihm ein grimmiges Lächeln.
„Zumindest nicht seit ich mit dir verheiratet bin, mein Herz.“ Christian stellte sich neben seine Frau und hauchte ihr zärtlich einen Kuss auf die Stirn.
„Da siehst du, was ich meine, Katie. Dein Dad macht mich noch ganz wahnsinnig.“ Dorothee drehte sich zu Kate um, die immer noch an den Schrank gelehnt stand und sich das Schauspiel, das ihre Eltern ihr boten, amüsiert ansah. Sie liebte ihre Eltern abgöttisch. In turbulenten Zeiten waren sie ihr Hafen der Ruhe. Sie waren es, die sie getröstet hatten, nachdem ihre große Collegeliebe Gryffon ihr kurz nach dem Abschluss den Laufpass gegeben hatte. Sie waren es auch gewesen, die sie ermutigt hatten, der Medienwelt die Stirn zu bieten und den Job bei Royal & Cebs anzunehmen, auch wenn das zunächst überhaupt nicht ihr Ding gewesen war. Und ihre Eltern waren es auch, die jeden einzelnen der Artikel, die Kate seitdem geschrieben hatte, fein säuberlich in Klarsichthüllen verpackt in einem Ordner aufbewahrten und jedes Mal vor Stolz platzten, wenn sie in der Bäckerei von Kunden auf Kates Job in der glitzernden Welt der Schönen und Reichen angesprochen wurden.
„Was würde ich nur ohne euch machen?“ Kate ging ein paar Schritte auf ihren Vater zu, breitete ihre Arme aus und schlang sie fest um den Rücken ihres Vaters.
„Huch, was wird das denn?“ Überrascht drehte ihr Vater sich um und nahm das Gesicht seiner Tochter in die Hände. „Bist du nicht schon ein wenig zu groß zum Kuscheln?“
Kate schüttelte vehement den Kopf. „Dazu ist man nie zu groß. Und ich muss es doch ausnutzen, dass ich meinen Dad und meine Mum umarmen kann. So oft bekomme ich euch ja nicht zu Gesicht“, sagte Kate, öffnete ihre Arme und winkte ihre Mutter zu sich heran.
Dorothee quetschte einen weiteren Pullover in den Koffer und stimmte in die Umarmung mit ein.
„Ich liebe euch so sehr. Habe ich euch das schon mal gesagt?“ Kate wirkte beinahe ein wenig melancholisch.
„Hunderte Male, mein Kleines, aber wir können es gar nicht oft genug hören.“ Dorothee küsste sanft Kates Haar und zwinkerte ihrem Mann zu. „Wir lieben dich auch.“
Eine Weile standen sie engumschlungen vor dem Gästebett, das einen großen Teil des kleinen Raumes einnahm und sagten nichts. Christian löste sich als erster aus der Umarmung.
„Du erdrückst uns ja“, scherzte er und stupste mit seinem Zeigefinger an Kates Nasenspitze. „Außerdem sehen wir uns ja in zwei Wochen schon wieder.“
„Wenn nichts dazwischenkommt“, entfuhr es Kate. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken herunter. Beherzt griff sie nach der Hand ihrer Mutter, die sich bereits wieder dem Kofferpacken gewidmet hatte.
„Was soll denn schon dazwischenkommen, Katie?“ Christian drehte sich um und schüttelte den Kopf. „Jetzt hör aber auf!“
London. Drei Monate später.
„Vier Wochen Sonderurlaub? Weißt du, was du da von mir verlangst?“ William Day runzelte die Stirn und rieb sich hektisch im Nacken. Die Bitte seiner besten Royalty-Expertin brachte ihn sichtlich in Schwulitäten. Er wischte sich einige Schweißtropfen von der Stirn, lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und sah Kate vorwurfsvoll an.
Kate nickte. Natürlich wusste sie, was sie von ihrem Chef verlangte. Sie steckten mitten in der Saison. In wenigen Tagen würde die Königsfamilie zu ihrer traditionellen Sommerreise aufbrechen und binnen zwei Wochen verschiedene kleine und große Orte im Königreich besuchen. Das Magazin hatte sie in diesem Jahr ausgewählt, die Reise redaktionell zu begleiten.
„Wie stellst du dir das nur vor?“ William beugte sich nach vorne. Sein Blick war verzweifelt. Offenbar wusste er wirklich nicht, woher er so schnell einen Ersatz bekommen sollte.
„Ich dachte, einen Teil könnte das Magazin über die Agenturen beziehen. Und wenn die Königsfamilie in Brighton ist, kann ich wieder übernehmen. Von Eastbourne ist es nur ein Steinwurf entfernt. Ich wäre in weniger als einer Stunde vor Ort.“ Kate hatte sich seit gestern Abend bereits den Kopf darüber zerbrochen, wie sie ihrem Chef die vierwöchige Pause, die sie nehmen wollte oder besser gesagt nehmen musste, schmackhaft machen konnte. Sie hatte bereits mit Geoff Hudgeson von der Nachrichtenagentur gesprochen, der ebenfalls für die Sommerreise eingeplant war. Außerdem hatte sie ihre Kollegin Stacey McGee mit ins Boot geholt und sie gebeten für sie einzuspringen. Stacey war aus dem Häuschen gewesen, schließlich war sie von Anfang an scharf auf den Job gewesen. Wahrscheinlich lachte sie sich innerlich ins Fäustchen, dass Kate jetzt doch absagen musste.
„Außerdem kann Stacey für mich die Fahrt begleiten. Sie ist doch schon lange im Geschäft und kennt die Königsfamilie in- und auswendig.“ Kate schlug die Beine übereinander und lächelte William an.
William beäugte Kate, die ihre blonden langen Haare zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden hatte und mühte sich, Verständnis zu zeigen.
„Ich kann ja verstehen, dass die Situation nicht leicht für dich ist“, begann er und faltete die Arme vor der Brust. „Aber Stacey kann dir nicht das Wasser reichen. Sie ist aufdringlich, gewährt selten den Abstand, den die Leute brauchen, und schiebt sich allzu sehr in den Vordergrund. Es hat schon seinen Sinn, dass ich den Auftrag nicht ihr gegeben habe.“
Kates Optimismus erhielt einen Dämpfer. Sie hatte in der Aufregung vergessen, dass Stacey bei William in Ungnade gefallen war, nachdem sie einem Cousin von Prinzessin Beatrice bei einem Waldspaziergang aufgelauert und um ein Statement zu seinem geplanten Aufenthalt in Paris gebeten hatte. Der Herzog hatte souverän reagiert und ihr mitgeteilt, sie solle sich an die Pressestelle des Hofes wenden. Aber Stacey hatte nicht locker gelassen und war ihm so beharrlich gefolgt, dass sich der Hof bei William bitter über das Auftreten einer seiner Journalistinnen beschwert hatte. Wie hatte sie das nur vergessen können? Sie, die immer so darauf bedacht war, es allen recht zu machen.
Kate dachte einen Moment nach und ließ ihre Augen durch Williams Büro schweifen. Die beiden Bambus-Topfpflanzen auf der Fensterbank hinter ihrem Chef benötigten dringend Wasser und die Fensterputzer konnten auch mal wieder vorbeikommen. Überall an den Scheiben gab es große und kleine Fingerabdrücke, die vermutlich Williams Enkelkinder bei ihrem letzten Besuch in der Redaktion dort hinterlassen hatten. Kate überlegte. Wie konnte sie ihrem Chef die ungeliebte Kollegin doch noch schmackhaft machen?
„Du hast Recht. Es war nicht richtig, wie sich Stacey verhalten hat. Und ja, sie schießt dann und wann über das Ziel hinaus. Aber sie ist eine tolle Journalistin und wird ihre Chance nutzen.“ Kate versuchte weiter Überzeugungsarbeit zu leisten, fürchtete aber, bei William auf Granit zu beißen.
„Musst du deine Angelegenheiten denn ausgerechnet jetzt klären? Ich meine, deine Eltern sind nun schon…“, er biss sich auf die Zunge und hielt inne. „Ich meine, es ist nun schon eine Weile her, das…s“
Kate schloss die Augen und spürte den vertrauten Klumpen in ihrem Hals aufsteigen, der immer wiederkam, wenn sie an ihre Eltern dachte, und sie zu ersticken drohte. Sie atmete einige Male tief durch und versuchte, sich zu beruhigen, um vor William nicht in Tränen auszubrechen. Der Schmerz über den Verlust ihrer geliebten Eltern saß immer noch tief. Es war, als hätte ihr Tod ein Loch in ihre Brust gebrannt, das einfach nicht wieder zuwachsen wollte.
„Es ist drei Monate her, dass meine Eltern bei dem Unfall ums Leben gekommen sind. Viel zu lange, wenn du mich fragst. Denn seitdem weiß ich nicht, wie es mit ihrer Bäckerei und dem Café weitergeht. Ich bin damals gleich nach der Beerdigung wieder abgereist, weil irgendein Herzog konfirmiert wurde. Du hattest mich darum gebeten und versprochen, es wieder gutzumachen. Und jetzt fordere ich diese Wiedergutmachung ein. Bitte.“ Sie wollte nicht flehen, aber irgendwie hatte sie das Gefühl, ihr würde nichts anderes übrig bleiben. Alternativ konnte sie ja immer noch unbezahlten Urlaub nehmen, sollte William von seinem Standpunkt tatsächlich nicht abweichen.
William bemühte sich um einen mitfühlenden Blick, was ihm nicht gelang, denn sein rechtes Auge schielte zur Uhr an der Tür, während das linke Auge stur auf Kate gerichtet war. Er sagte kein Wort. Vielleicht suchte er immer noch nach den passenden Worten? Oder es war ihm sehr wohl bewusst, dass er Kate noch diesen einen Gefallen schuldete, und überlegte nun, wie er aus der Sache ohne großen Schaden wieder herauskommen könnte.
Kate hatte William als einen lauten, aber fairen Chef kennengelernt. Auch wenn er ein Schlitzohr war. Er war für einen Mann recht klein und hatte eine spitze Nase, die immer ein wenig nach oben gerichtet zu sein schien. Vielleicht versuchte er dadurch, die fehlende Körpergröße wieder wett zu machen? Sobald er das Verlagshaus betrat, machte er lautstark auf sich aufmerksam. Seine Sekretärin hatte Kate einmal verraten, dass sich William vor nichts mehr fürchtete, als eine Lästerei über ihn mitzubekommen. Daher hatte er sich angewöhnt immer laut „Hallo, ich bin da!“ zu rufen, sobald er einen Raum oder ein Gebäude betrat. Die Mitarbeiter wurden so vor ihm gewarnt und bekamen die Möglichkeit, jegliches Getuschel über ihn rechtzeitig einzustellen. Dies hatte zur Folge, dass es meist schlagartig still wurde, sobald sich die Türen des Aufzugs öffneten und William den Redaktionsflur entlang zu seinem Büro lief. Erst als er die Tür hinter seinem Kontor schloss, steckten die Mitarbeiter wieder die Köpfe zusammen.
William Day war ein liebesvolles Unikat. Er trug sein Herz am rechten Fleck und war ein toller, wenn auch strenger Chef. Er war seinen Mitarbeitern gegenüber jederzeit fair und versuchte stets, das Beste aus ihnen herauszuholen. So einen, wie William Day, würde sie bestimmt nicht noch einmal treffen, da war sich Kate sicher. Er teilte den Leuten nicht nur laut mit, dass er da war, sondern gestikulierte in Gesprächen auch wild mit seinen Armen und Beinen herum. Außerdem gab er in einer Unterhaltung stets Laute wie Ah und Oh und Nein von sich, während sein Oberkörper dabei von der einen Seite zur anderen wackelte. Er erinnerte Kate in seiner Gestik und Mimik zweifellos an Louis de Funès und brachte sie – wenn wohl auch ungewollt – oft zum Schmunzeln.
„Also…?“ Kate folgte Williams Blick zur Uhr über der Tür.
William fühlte sich ertappt und senkte verlegen den Blick. „Gut. Ich gewähre dir deinen Urlaub. Aber nur, wenn du den Pressetermin in Brighton übernimmst.“
Kate nickte zufrieden.
„Ich verlasse mich darauf, Kate.“
„Ich weiß. Es war unnötig von dir, das zu erwähnen. Du solltest wissen, dass du dich immer auf mich verlassen kannst.“ Kate nahm ihre Tasche und stand auf. Es kränkte sie, dass William ihr offenbar nicht traute. „Ich bereite die Übergabe mit Stacey vor. Klärst du alles Weitere mit dem Palast? Und für das Pressegespräch im Royal Pavillon in Brighton brauche ich noch eine Akkreditierung. Der Palast hat sich bislang nicht gemeldet. Regelst du das?“
William lächelte und machte sich eine Notiz. „Wird erledigt. Gute Reise.“
***
Stacey McGee hatte größte Mühe, Kate nicht um den Hals zu fallen, als diese mit einem triumphierenden Lächeln aus Williams Büro kam, sich zurück an ihren Schreibtisch setzte und ihr von den Neuigkeiten erzählte.
„Oh, Kate, dass du ausgerechnet an mich gedacht hast“, jauchzte Stacey und klatschte vergnügt in die Hände. „Es ist genial, dass William zugestimmt hat. Offen gesagt, hatte ich ordentlich Bauchschmerzen nach unserem Gespräch gestern. Ich habe heute noch gar nichts gefrühstückt und viel zu viel Kaffee getrunken.“
Das erklärt, warum du so aufgedreht bist, dachte Kate und lächelte. Sie hatte beschlossen, Stacey nicht zu sagen, dass ihr Plan beinahe daran gescheitert wäre, dass sie vor Kurzem den Cousin von Prinzessin Beatrice beim Spaziergang gestalkt hatte. Sie wusste, dass Stacey über ein schier unerschütterliches Selbstbewusstsein verfügte, und sich auch jetzt in dieser Sache noch keiner Schuld bewusst war.
„Was muss ich regeln? Gibt es einen bestimmten Termin, den ich nicht verpassen darf?“, fragte Stacey und rutschte auf der Kante ihres Stuhles nach vorne, um einen Blick in Kates Tischkalender zu erhaschen.
Kate schüttelte irritiert den Kopf und zog den Kalender zu sich, um einen Blick auf die genauen Orte der Reise zu werfen. „Die Reise beginnt am 31. in Sheffield und führt dann über Nottingham, Cardiff und Plymouth nach Portsmouth. Den abschließenden Termin in Brighton nehme ich wahr. Von Eastbourne aus ist es bis dort ja nicht weit.“
Enttäuscht zog sich Stacey zurück und lehnte sich nach hinten. „Den Termin im Royal Pavillon machst du?“, wiederholte sie schnippisch.
War sie etwa eingeschnappt? Kate konnte die Reaktion ihrer Kollegin nicht ganz deuten. Immerhin hatte sie gerade den Job des Jahres an Stacey abgegeben. Da wäre eher ein wenig Dankbarkeit angebracht.
„So hatten wir es doch abgemacht. Ich bin eh in der Nähe und kann den Termin daher gut selbst wahrnehmen. Dann kannst du schon gleich von Portsmouth aus zurück nach London fahren und brauchst nicht in die südenglische Provinz reisen, wo du dich in der Großstadt doch deutlich wohler fühlst.“ Kate versuchte, die Situation zu retten und zwinkerte Stacey über den Rand ihrer goldumrandeten Brille hinweg zu.
„Auch wieder wahr.“ Stacey zuckte belanglos mit den Schultern und wechselte das Thema. „Wann fährst du?“
„Übermorgen.“ Kates Blick wanderte über ihren Kalender zum Computerbildschirm, auf dem sich der Bildschirmschoner eingeschaltet hatte. Zahlreiche Fotos von langen, weißen Südsee-Stränden, durch Wellen gleitenden Delphinen und tiefblauen Ozeanen flimmerten über den Desktop und weckten in Kate ein Gefühl der Sehnsucht. Nur allzu gerne wäre sie dem chaotischen Alltag der vergangenen Monate entflohen. Einem Alltag, in dem sich seit dem Tod ihrer Eltern nichts mehr so anfühlte, wie es einmal gewesen war. Und in dem seit jenem fürchterlichen Tag ein heilloses Durcheinander herrschte. Sie seufzte. Viel zu lange hatte sie die Rückkehr in ihre Heimatstadt vor sich hergeschoben. Dass sie kurz nach der Beerdigung zurück nach London musste, um über die königliche Konfirmation zu schreiben, war ihr allerdings ganz recht gewesen. Auf diese Weise hatte sie den mitleidigen Blicken der treuen Angestellten ihrer Eltern aus dem Weg gehen können.
Doch jetzt drängte die Zeit. Der Notar hatte ihr bereits mehrfach auf den Anrufbeantworter gesprochen und sie um ein Treffen gebeten. Dabei hatte er nicht ausgelassen zu betonen, wie dringend es sei, Kate endlich persönlich sprechen zu können. Schließlich gehe es nicht nur um ihre Zukunft, sondern auch um die der Angestellten und – nicht zuletzt – der Bäckerei.
Kate hatte sich die vergangenen Wochen immer wieder den Kopf darüber zerbrochen, wie es mit der Bäckerei und dem dazugehörigen Café weitergehen sollte. Aber sie hatte den Gedanken daran stets erfolgreich verschoben und sich stattdessen in die Arbeit gestürzt. Der Stress lenkte sie ab und führte dazu, dass sie abends meist völlig erschöpft auf dem Sofa einschlief.
Trotzdem kam sie nicht drum herum, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie mit dem Erbe ihrer Eltern in Zukunft umgehen sollte. Daher hatte sie sich vor drei Tagen eine Pro- und Contra-Liste gemacht und alles aufgeschrieben, was für oder gegen die Bäckerei sprach. Als sie schließlich fertig war, gab es deutlich mehr Punkte, die gegen die Bäckerei sprachen. Und daher hatte sie kurzfristig einen Entschluss gefasst: Die Bäckerei und das Café mussten so schnell wie möglich verkauft werden. So sehr es sie auch schmerzte. Doch in ihrem Leben in London gab es einfach keinen Platz für die kleine Bäckerei in der Old Wish Road in Eastbourne, in der es immer so verführerisch nach Zimt und Zucker duftete.
Unbewusst schloss Kate ihre Augen und für einen winzig kleinen Moment glaubte sie den unverkennbaren Duft der Bäckerei ihrer Eltern in ihrer Nase zu haben. Und dann war der Moment vorbei. Sie seufzte und holte tief Luft.
„Kate?“
Staceys piepsige Stimme holte Kate aus ihren Gedanken zurück in die Realität. Ihre Kollegin hatte sich wieder nach vorne gelehnt und die Hand auf den Stapel Papiere gelegt, auf dem ein pinkfarbenes Post-it mit der Aufschrift „Royal voyage“ klebte.
„Habe ich jetzt alle Infos, die ich brauche?“
Kate nickte und fühlte sich immer noch wie in Trance. Der Nebel der Erinnerung lag wie ein Schleier über ihren Augen. Sie tastete nach dem Stapel und reichte ihn Stacey.
„Das Programm habe ich schon ausgedruckt. Du kannst es gerne mit zu dir nehmen. Ich brauche es jetzt ja nicht mehr.“ Kate reichte ihr den Stapel Papiere und eine grüne Mappe, in der Stacey die Unterlagen verstauen konnte. Sie schüttelte sich kurz und versuchte, die traurigen Gedanken loszuwerden. „Hast du noch Fragen?“
Stacey überlegte einen Augenblick und schüttelte den Kopf. „Ich denke, ich komme klar. Zur Not informiere ich mich über das Internet.“
„William wird dich beim Hof für die Reise akkreditieren. Du wirst sicher von der Pressestelle noch einige Informationen zugeschickt bekommen.“
Kate wandte sich wieder ihrem Bildschirm zu und drückte die Return-Taste. Sofort erschienen die Desktopoberfläche und das Postfach, das Kate signalisierte, dass sie weitere E-Mails erhalten hatte und noch ein Haufen Arbeit auf sie wartete.
„Dann gute Reise.“ Sie lächelte Stacey freundlich zu, die sich vom Stuhl erhob und tänzelnd in ihrem Büro verschwand.
Kate schaute in ihr Postfach. Neben Newslettern und Pressemeldungen befand sich auch eine weitere E-Mail des Notars ihrer Eltern darin. Sie öffnete sie und las:
Ich bestätige Ihren Termin am Montag und freue mich darauf, Sie in Eastbourne endlich wieder persönlich begrüßen zu dürfen.
Mit freundlichem Gruß
Arthur Hamilton
Eastbourne
Die warme Julisonne brannte vom Himmel. Einen so heißen Tag hatte Kate lange nicht mehr erlebt. Sie schwitzte, was sie sonst nie tat – es sei denn, sie war vorher einige Kilometer durch den Hyde Park gejoggt, was sie, wenn sie genauer darüber nachdachte, nur kurz nach ihrer Ankunft in London getan hatte. Damals hatte sie sich unglaublich hipp gefühlt, wenn sie in feinsten Trainingsklamotten den Joggern frühmorgens durch den Park gefolgt war. In der fremden Stadt hatte es ihr das Gefühl gegeben, sie sei weniger allein und würde zum Großstadtdschungel dazugehören. Doch je mehr Leute sie kennenlernte und je mehr Freunde sie fand, desto weniger hatte sie Lust auf frühmorgendliche Lauftouren durch einen der Parks. Viel lieber nutzte sie morgens die Zeit, um länger zu schlafen, ausgiebig zu frühstücken und in aller Ruhe in den Tag zu starten.
Kate wischte sich zwei Schweißperlen von der Stirn. Die halbe Zugfahrt über hatte sie in einem Abteil verbracht, in dem sich das Fenster nicht öffnen ließ. Und im Taxi, in das sie am Bahnhof gestiegen war, hatte die Klimaanlage nicht funktioniert. Die Luft in dem alten Wagen war so stickig gewesen, dass sie den Fahrer gebeten hatte, sie nicht bis zur Bäckerei zu fahren, sondern sie bereits an der Strandpromenade abzusetzen. Hier wehte immer eine leichte Brise vom Meer herüber. Und sie hatte dringend frische Luft gebraucht.
Kate hatte dem Taxifahrer ein großzügiges Trinkgeld gegeben und ihm beim Abschied einen mitleidigen Blick zugeworfen, nachdem er ihr erzählt hatte, dass seine Schicht noch vier Stunden dauern würde. Der Fahrer hatte ihr Gepäck aus dem Kofferraum geladen, sein Trinkgeld genommen und war mit quietschenden Reifen davongebraust.
Endlich frische Luft!, dachte Kate und atmete tief ein. Die Luft schmeckte fein salzig und roch leicht nach getrocknetem Seetang, den das Meer in manchen Bereichen an den Strand gespült hatte.
Sie schnappte sich den Griff ihres Rollkoffers, machte ein paar Schritte vom Straßenrand weg und sah sich um. Vor ihr lag der kilometerlange, feine Kiesstrand, der die Promenade von Eastbourne auf der Meerseite über beinahe fünf Kilometer lang begleitete. Der Strand war heute so voll, dass man meinen könnte, man sei an der Costa del Sol, so dicht gedrängt lagen die Badegäste Handtuch an Handtuch. Kinder planschten im seichten, tiefblauen Wasser des Ärmelkanals, während am Horizont einige Motorboote ihre Runden drehten. Das Dröhnen ihrer Motoren konnte man bis zum Strand hören.
Kate ging ein Stück weiter die Promenade entlang, vorbei an den feinen viktorianischen Häusern, die sich wie an einer Perlenkette auf der anderen Seite der Eastbourne Promenade aneinanderreihten. Sie entfernte sich immer weiter vom Eastbourne Pier. Die beeindruckende Seebrücke, die 1870 auf Holzpfählen erbaut worden war, ragte dreihundert Meter weit ins Meer und war eines der Wahrzeichen der Stadt. Kate liebte den Pier und die Vergnügungssalons, die sich darauf befanden. Ihre Großmutter hatte sie als Kind sonntags oft zum Tee dorthin eingeladen. An diesen Sonntagen hatte sie sich ihr feinstes Kleid angezogen, hatte mit ihrer Großmutter Tee getrunken, Scones gegessen und die Leute beobachtet. Wenn ihre Oma besonders gut gelaunt war, hatte sie Kate ein paar Pennys zugesteckt, die sie natürlich sofort an einer der vielen Slotmaschinen wieder verspielt hatte. Kate seufzte. Wie lange war das her?
An der King Edward‘s Parade blieb sie stehen. Vom exklusiven weißen Grand Hotel aus, das sich majestätisch wie ein Palast an der Promenade erstreckte, war es nur noch ein Katzensprung bis zur Bäckerei ihrer Eltern in der Old Wish Road. Oder sollte sie besser sagen ihrer Bäckerei?
Kate folgte den Jevington Gardens bis zur Carlisle Road und bog kurz darauf in die Old Wish Road, wo sich ihre Schritte spürbar verlangsamten. Auf den letzten Metern blieb sie stehen. Das kleine, himmelblaue Haus lag umrahmt von großen Kastanienbäumen, die an diesem heißen Tag herrlich kühlen Schatten spendeten. Über dem Eingang zur Bäckerei schaukelte die große goldene Bäckerbrezel, die ihre Eltern einst von einem Besuch bei Freunden in Deutschland mitgebracht hatten, im warmen Sommerwind. Die blau-weiß gestreiften Markisen über den weißumrandeten Schaufenstern waren ausgefahren und schützten die Waren in der Auslage vor der brennenden Sonne. Eigentlich sah alles aus wie immer. Nur, dass ihr Vater nicht schon winkend am Fenster stand und auf sie wartete. Zögernd setzte sie einen Fuß vor den anderen und ging näher heran. Sie warf einen Blick durch die Scheiben. Im Laden war es dunkel und leer. War überhaupt geöffnet?
Unsicher und mit stark klopfendem Herzen legte sie eine Hand an den Türgriff und drückte leicht dagegen. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Knarren und über ihrem Kopf klingelte ein silbernes Glöckchen. Kate trat ein.
Sofort umhüllte sie der vertraute Duft von Zimt und Zucker, den sie so sehr liebte, und weckte bei ihr die schönsten Kindheitserinnerungen. Sie schloss die Augen und sah ihre Eltern, die nach Feierabend im schwachen Licht der alten Lampen des Ladens Wiener Walzer tanzten, während sie auf dem Verkaufstresen saß und eine Cinnamon Roll aß. Sie konnte das Bild so deutlich vor sich sehen, dass sie kurz geneigt war, die Hand nach ihren tanzenden Eltern auszustrecken, die in ihrer Erinnerung so glücklich und vertraut miteinander wirkten, wie Verliebte nur sein konnten. Was würde sie dafür geben, die beiden noch einmal berühren zu können?
Hier in der alten Bäckerei hatte Kate zwischen Mehlsäcken, Zimt, Zucker und Schlagsahne eine glückliche Kindheit erlebt. Sie hatte ihrem Vater beim Backen der Muffins und Scones geholfen und ihre Mutter beim Verkauf der Backwaren unterstützt. Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, dass alles einmal vorbei sein könnte. Dass es so enden würde.
Vor drei Monaten hatten ihre Eltern sie für ein Wochenende in London besucht. Kate hatte mit ihnen eine für Touristen typische Stadtführung gemacht: Buckingham Palace, Tower Bridge, Picadilly Circus, Covent Garden, Big Ben – obwohl sie das alles schon hunderte Male zuvor gesehen hatten. Aber ihre Eltern hatten es geliebt, sich von ihrer Tochter durch eine der aufregendsten Städte der Welt herumführen zu lassen und hatten stets darauf bestanden, keine Sehenswürdigkeit auszulassen. Als sie sich an jenem Sonntagabend verabschiedet hatten, hatten sie noch darüber gesprochen, spätestens im Herbst wiederkommen zu wollen.
„Wenn nichts dazwischenkommt“, hatte Kate daraufhin gesagt und gelächelt.
„Was soll schon dazwischenkommen?“, hatte ihr Vater daraufhin geantwortet und ungewöhnlich gereizt geklungen. Kate hatte nur mit den Schultern gezuckt. Sie hatte es einfach nur so dahingesagt, ohne großartig darüber nachzudenken. Aber, wenn sie damals gewusst hätte, was sie heute wusste… Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken.
Auf dem Heimweg hatte ein Viehtransporter die Kontrolle über seinen Laster verloren und war frontal in den Gegenverkehr geraten – direkt in das Auto ihrer Eltern. Kate hatte sofort gewusst, dass etwas Schlimmes passiert gewesen sein musste, als spätabends zwei Polizisten mit betretener Miene vor ihrer Tür gestanden hatten. Beide seien wohl auf der Stelle tot gewesen, hatten sie gesagt und dabei vermieden, Kate direkt in die Augen zu sehen. Für Kate war es seitdem ein schwacher Trost gewesen, dass ihre geliebten Eltern zumindest nicht hatten leiden müssen. Vielleicht hatten sie es sogar gar nicht gemerkt, als sie von dieser Erde gingen.
„Hi. Tut mir leid, dass Sie warten mussten, aber ich habe alle Hände voll zu tun…“
Die hölzerne Schiebetür zur Backstube öffnete sich und ein Mann um die dreißig trat heraus. Kate drehte sich um und betrachtete ihn genauer. Er schien im Stress zu sein. Zumindest hatte er noch nicht einmal seinen Kopf gehoben, um zu sehen, wer ihm da gegenüberstand. Hastig klopfte er seine mehligen Hände an seiner schwarz-weiß karierten Hose ab. Das weiße Bäckerschiffchen saß schräg auf seinen blonden Haaren, die er im Nacken zu einem kleinen Knoten zusammengebunden hatte. Auf dem weißen T-Shirt, das eng anlag und auf einen durchtrainierten Körper erahnen ließ, klebte in Höhe seines Bauchnabels ein großer dunkelroter Marmeladenfleck. Er trat an den Tresen, rückte die Papiertüten auf der hellen Holzoberfläche zurecht und hob seinen Kopf.
„Was kann ich für Sie tun?“ Der junge Bäcker sah Kate erwartungsvoll an.
Kate runzelte die Stirn. Sie hatte keine Ahnung, wer dieser fremde Mann war, der aus der Backstube ihrer Eltern gekommen war und sich jetzt lässig mit seinen Armen auf dem Verkaufstresen abstützte und sie anlächelte.
Solange sie denken konnte, hatten ihre Eltern immer nur zwei weitere Angestellte gehabt: Olivia, die Konditorin, und George, den Bäcker. Beide kannte Kate schon seit ihrer Kindheit. Und beide waren deutlich älter, als der Mann, der gerade vor ihr stand und sie mit himmlisch-blauen bis türkisfarbenen Augen anstrahlte.
„Ich bin Kate“, sagte sie, streckte ihm die Hand entgegen und machte einen Schritt auf den Tresen zu.
„Kate? Die Kate? Das gibt‘s doch nicht!“ Ein breites Lächeln huschte über das Gesicht des Fremden. Euphorisch machte er einen Sprung zur Seite, kam hinter dem Tresen hervor und breitete die Arme aus.
Oh Gott, wollte er sie etwa umarmen?
Kate sah sich nach einem Fluchtweg um. Sie wollte sich gerade ducken, als sie auch schon seine großen Hände auf ihrer schmalen Taille spürte. Als sei sie leicht wie eine Feder, hob der Fremde sie hoch und wirbelte sie so schnell herum, dass ihr für einen kurzen Moment ganz schwindelig wurde. Was um alles in der Welt ging hier vor sich?
„Ich kann es nicht glauben. Du bist es wirklich!“, jubelte er, setzte sie ab und nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände. Sein Blick ruhte auf Kate, die immer noch nicht wusste, mit wem sie es zu tun hatte. Langsam dämmerte das wohl auch dem fremden Wikinger. Er ließ sie abrupt los und rieb sich verlegen am Kinn.
„Du hast keine Ahnung, wer ich bin, oder?“ Er versuchte, ein Schmunzeln zu unterdrücken.
„Nein.“
„Charles.“ Er breitete erneut die Arme aus, als wolle er sich in ganzer Größe zeigen.
Kate versuchte, ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen und betrachtete ihn genauer. Er sah gut aus und war außerordentlich gut gebaut. Er war gut zwanzig Zentimeter größer als sie und sehr muskulös. Kein Wunder, dass er sie so einfach hochheben und durch die Luft wirbeln konnte. Kate war beeindruckt.
Angestrengt begann sie nachzudenken. Wie viele Männer kannte sie, die Charles hießen? Da war der süße kleine Franzose aus dem vergangenen Sommer, der zwar das absolute Gegenteil von dem Charles hier in der Bäckerei war, dafür aber unglaublich gut küssen konnte. Der rundliche Charles aus dem Pilates-Kurs, Barkeeper Charles aus dem The Roses Inn in Bristol und ach ja, fast hätte sie es vergessen: Prinz Charles, den sie im vergangenen halben Jahr auf so viele Termine begleitet hatte.
Doch keiner der Charles, denen sie in den vergangenen Jahren begegnet war, ähnelte dem Charles hier in der Bäckerei auch nur im Geringsten.
Der Charles, der immer noch mit ausgebreiteten Armen vor ihr stand, sah aus wie ein skandinavischer Wikinger. Seine leicht gebräunte Haut harmonierte perfekt mit den fast weißblonden Haaren. Und seine Wangenknochen waren leicht mit Mehl bestäubt.
Es schien ihm zu lange zu dauern, bis Kate alle Charles in ihrem Leben durchgegangen war. Er warf ihr einen skeptischen Blick zu und knabberte an seiner Unterlippe.
„Also, bevor du wieder barfuß zum Beachy Head raufläufst, werde ich dir lieber mal auf die Sprünge helfen“, sagte er und stemmte die Hände in die Hüften.
Beachy Head war genau das Stichwort, das Kate brauchte. Der Mann, der vor ihr stand, war nicht etwa irgendein Charles. Nein, es war ihr Charles.
„Charlie? Der Charlie?“, fragte sie wieder und wieder, als könne sie es nicht glauben. Sie hatte ihn eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.
Charlie war der Sohn von Bäcker George und seiner Frau Amanda. Als Kinder hatten die beiden fast jeden Tag miteinander gespielt. Sie waren beinahe wie Geschwister gewesen und hatten jede Menge Blödsinn angestellt. Einer verlorenen Wette hatte sie es zu verdanken, dass sie mit 13 Jahren ohne Schuhe den teils steinigen Weg zum Beachy Head, dem höchsten Punkt der Kreidefelsen von Eastbourne, hinauflaufen musste. Die Blasen, die sie sich bei dem Marsch gelaufen hatte, hatten sie noch Tage später gequält.
Nach der Scheidung seiner Eltern war Charlie mit seiner Mutter nach Manchester gezogen, während George in Eastbourne geblieben war. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte Charlie seinen Vater nur ein, zwei Mal in den Ferien besucht. Umso verwunderlicher, dass er jetzt hier in ihrer Bäckerei stand.
„Was machst du hier?“ Kate starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Das schwache Licht der Deckenbeleuchtung spiegelte sich darin. In ihrer Erinnerung hatte Charles nie so gut ausgesehen. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte bei ihm noch nicht einmal der Bartwuchs eingesetzt.
Dass er sie nach so langer Zeit überhaupt wiedererkannte. „Mein Dad hat mich um Hilfe gebeten. Er schafft es nicht mehr alleine, seit… deine Eltern…“ Er stockte und sah unbeholfen zur Seite. „Es tut mir so leid.“ Charles griff nach Kates Hand und drückte sie fest. Das Strahlen in seinen Augen erlosch und Trauer und Mitgefühl lagen in seinem Blick.
Sofort spürte Kate den wohl bekannten Kloß in ihrer Kehle und versuchte ihn zu unterdrücken.
„Schon gut.“ Sie schluckte hart, löste ihre Hand aus seiner und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Sie wusste, ihr Aufenthalt hier in Eastbourne würde nicht einfach werden. Sie hatte ihn nicht umsonst so lange vor sich hergeschoben.
„Also bist du Bäcker geworden? Das wusste ich gar nicht.“ Kate war eine Meisterin darin, das Thema zu wechseln, wann immer sie nicht über eine bestimmte Sache sprechen wollte. Und der Verlust ihrer Eltern gehörte definitiv dazu.
Auch Charlie schien erleichtert darüber zu sein, über ein anderes Thema sprechen zu können. Sofort löste sich seine Anspannung und er begann zu plaudern.
„Ich habe in Manchester eine Ausbildung gemacht. Nach der Lehre bin ich für eine Weile nach Edinburgh gegangen und habe danach die vergangenen Jahre auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet.“
„Dann hast du ja viel von der Welt gesehen“, sagte Kate beeindruckt.
„Es ist nicht so aufregend, wie es sich vielleicht anhört. Der Job an Bord hat zwar Spaß gemacht, war aber auch ziemlich hart. Viel Arbeit und wenig Freizeit… wenn du verstehst, was ich meine.“ Er lächelte und legte den Kopf schräg. „Und du? Reist mit der High Society durchs halbe Königreich?“
Kate sah Charles verwundert an. Woher wusste er das? Vermutlich hatte sein Vater ihm etwas über sie erzählt.
„Tu nicht so. Beim Friseur liest man deinen Namen unter vielen Artikeln.“ Er lachte und Kate sah verlegen zu Boden. Offenbar hatte er sie all die Jahre nicht vergessen.
Eine Weile sagte keiner der beiden etwas. Nur das Ticken der Uhr über dem Eingang zur Backstube war zu hören.
„Es wird Zeit, dass du kommst.“ Charles durchbrach als Erster die Stille. „Hier gibt es eine Menge zu tun. Mein Vater und Olivia werden erleichtert sein, wenn sie erfahren, dass du hier bist.“
„Wo sind die beiden?“ Kate sah sich um, aber der Laden war immer noch menschenleer.
„Olivia hat Feierabend und mein Vater einen Arzttermin. Daher schmeiße ich heute Nachmittag den Laden. Aber bei dem Wetter sind eh alle am Strand.“ Er strich sich mit der Hand eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Ich hab‘s gesehen. Die Leute liegen dort wie die Sardinen in der Dose.“ Kate lachte. „Manche Dinge ändern sich wohl nie.“
„Es tut gut zu sehen, dass du deinen Humor nicht verloren hast.“ Charlie griff erneut nach Kates Hand und drückte sie. Er schien sich wirklich sehr über ihr Wiedersehen zu freuen. „Hast du schon Pläne, wie es mit der Bäckerei weitergehen soll?“
Kate nickte und löste sich aus Charles Griff. „Ja“, sagte sie und zögerte. Sollte sie Charles tatsächlich schon jetzt von ihren Plänen erzählen? Sie war doch eben erst angekommen. Und Charles hatte sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Was für einen Eindruck würde das machen? Sie war nicht der Typ Mensch, der in einen Raum marschierte, laut „Hallo, hier bin ich!“ rief und von einer Sekunde auf die andere das Leben aller Beteiligten auf den Kopf stellte. Sie musste und wollte es behutsam angehen lassen.
„Ein paar Überlegungen gibt es. Aber ich möchte zunächst mit George und Olivia sprechen. Außerdem habe ich morgen Vormittag einen Termin beim Notar.“ Kate sah zu Charles herüber, dessen türkisblaue Augen sie noch immer fixierten. Als könne er ihre Gedanken lesen, machte er einen Schritt zurück und ging zurück hinter den Tresen.
„Natürlich. Du musst dir erst ein Bild verschaffen“, sagte er und öffnete eine Schublade unter der Ladentheke. Er kramte ein Schlüsselbund hervor und legte es auf die gläserne Ablage, die den einen Teil der Vitrine mit dem anderen Teil verband. „Den brauchst du bestimmt, oder?“
Kate betrachtete das Schlüsselbund. Neben zwei größeren und einem kleineren Schlüssel, war auch ein goldglänzender Anhänger in Form einer venezianischen Maske daran befestigt.
„Du möchtest doch oben in der Wohnung deiner Eltern schlafen, oder?“ Charlie sah Kate fragend an, deren Blick stur auf den Anhänger gerichtet war.
Ihr Vater hatte ihrer Mutter den Anhänger während ihres letzten großen Urlaubs im vergangenen Sommer geschenkt. „Wir wollen unsere Hochzeitsreise nachholen und fahren für ein langes Wochenende nach Venedig. George und Olivia kümmern sich am Sonnabend um den Laden und dein Vater und ich haben endlich mal wieder ein paar Tage für uns“, hatte ihre Mutter ihr damals freudestrahlend erzählt. Sie war so glücklich gewesen, schoss es Kate in den Kopf, während sie wie in Trance nach dem Schlüsselbund griff und sanft über den Anhänger streichelte.
„Kate?“ Charles‘ sanfte Stimme ertönte und Kate schreckte auf.
„Ja?“ Sie blickte hoch und legte den Schlüssel klirrend zurück auf die gläserne Ablage.
„Das ist der Ersatzschlüssel, den deine Mutter für Notfälle hier im Laden deponiert hatte. Wir haben ihn nur genutzt, um die Blumen weiter zu gießen und ab und zu kräftig durchzulüften. Ich hoffe, das ist okay gewesen?“ Er sah sie weiterhin mit fragender Skepsis an. Wahrscheinlich wusste er, dass sie in einer Erinnerung gefangen war. Charles hatte immer gewusst, was in Kates Kopf vor sich ging. Sie waren sich so ähnlich.
„Ich wünschte, ich könnte dir helfen.“ Er wollte nach ihrer Hand greifen, zog sie dann aber wieder zurück, als würde er sich nicht recht trauen.
Kate nickte gedankenversunken.
„Danke“, flüsterte sie und versuchte die Tränen, mit denen sich ihre Augen beim Gedanken an ihre Eltern gefüllt hatten, zu unterdrücken.
„Ich bin dann mal oben.“
Kate zögerte, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Immer wieder drehte und wendete sie ihn in ihrer zittrigen Hand, als hoffe sie, er würde sich in Luft auflösen, wenn sie ihn nur lange genug anstarren würde. Die Wohnung ihrer verstorbenen Eltern zu betreten, lag wie Blei auf ihrer Brust.
Seit der Beerdigung hatte sie keinen Schritt mehr hinein gesetzt. Nachdem damals die letzten Gäste gegangen waren, war sie in Windeseile nach oben in die Wohnung geeilt, hatte ihre Reisetasche aus ihrem einstigen Kinderzimmer geholt und die Räume beinahe fluchtartig wieder verlassen. Den Gedanken daran, allein in dem großen Appartement zu sein, hatte sie einfach nicht ertragen können. Die leere Wohnung ihrer Eltern stand buchstäblich für das riesige Loch, das ihr Tod in Kates Herzen gerissen hatte.
Solange sie zurückdenken konnte, war es in ihrem Elternhaus nie still gewesen. Die Türen hatten immer offen gestanden – sei es für Freunde, Verwandte oder Bekannte. Es hatte keinen Geburtstag gegeben, der nicht mit einer großen Party gefeiert worden war. An Silvester war das ganze Haus mit Luftschlangen geschmückt gewesen und die Musik hatte durch jeden einzelnen Raum gehallt, während die Gäste vergnügt getanzt und sich amüsiert hatten. Und im Sommer hatte sich der Garten hinter dem blaugestrichenen Haus mit der kleinen Bäckerei in eine Oase für Barbecue-Liebhaber verwandelt. Es hatte keinen Abend gegeben, an dem der Grill nicht angeschmissen worden war. Und Kate, ihre Eltern und Freunde hatten bis weit nach Anbruch der Dunkelheit draußen gesessen und das Leben genossen. Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie wenig Schlaf ihre Eltern in dieser Zeit bekommen haben mussten. Immerhin hatte der Arbeitstag ihres Vaters stets mitten in der Nacht begonnen.
Doch das war jetzt vorbei. Jetzt war alles so leer und ausgestorben. Und die drückende Stille, die Kate umgab, wenn sie, so wie jetzt, einsam ihren Gedanken nachhing, war kaum zu ertragen.
„Gib dir einen Ruck und stell dich nicht so an. Du weißt, du kannst nicht ewig hier im Treppenhaus stehen“, murmelte Kate und war beinahe wütend auf sich selbst. Es passte ganz und gar nicht zu ihr, dass sie sich so anstellte. All die Jahre in London war sie als Frau aufgetreten, die zielstrebig und mit einem Lächeln auf den Lippen ihren Weg verfolgt hatte. Besonders stolz war sie darüber, dass sie eigens durch Leistung so weit gekommen war und auf ihrem Weg nach oben nicht hatte über Leichen gehen müssen. Das wäre auch nicht ihr Stil gewesen. Ihre Eltern hatten ihr beigebracht, jeden Menschen gleich zu behandeln und ihm den Respekt zu zollen, den sie auch von anderen bekommen wollte. Das war zwar nicht immer einfach gewesen, denn in der Medienwelt wimmelte es nur so von karrieresüchtigen, falschen Schlangen, die nur darauf warteten, ihren Job zu bekommen. Aber Kate hatte es bisher durch ihre liebevolle und aufgeschlossene Art geschafft, allen giftigen Anfeindungen aus dem Weg zu gehen.
Doch seit dem Tod ihrer Eltern, begleitete Kate stets eine gewisse Unsicherheit, die sie sich einfach nicht erklären konnte. Seitdem hatte sie sich oft gefragt, ob das Leben, das sie in London führte, wirklich das war, was sie für den Rest ihres Lebens führen wollte. Keine Frage, sie mochte ihren Job. Aber liebte sie ihn auch? War sie wirklich noch mit dem Herzen dabei? Und wenn ja, warum hatte sie sich ausgerechnet während einem der Saisonhöhepunkte, der königlichen Sommerreise, dazu entschlossen, unbezahlten Urlaub zu nehmen? Früher hätte sie sich einen Arm ausgerissen, um die Royals begleiten zu können. Doch jetzt, wo sie hier stand, in der Wohnung ihrer Eltern, ihrer Heimat, bedeutete ihr all das nichts mehr.
Charles hatte angeboten, ihren Koffer die steilen Treppen des alten Hauses hinaufzutragen. Doch Kate hatte dankend abgelehnt. Sie wollte nicht, dass er sah, wie viel Mühe und Kummer es ihr bereitete, die Wohnung, in der sie mehr als 20 glückliche Jahre verbracht hatte, zu betreten. Ihren Rollkoffer hatte sie daher lieber selbst die knarrenden Stufen hinaufgeschleppt, vor die Eingangstür gestellt und sich leise schluchzend darauf gesetzt. Warum nur konnte sie sich einfach nicht dazu überwinden, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und hineinzugehen?
„Was stimmt denn nur nicht mit mir?“ Hilfesuchend schaute sie sich um, wohlwissend, dass sie alleine in dem trostlosen Treppenhaus war.
Unten aus der Bäckerei hörte sie, wie jemand, vermutlich Charles, mehrere Backbleche in den Ofen schob. Das leise Schleifen der Metallbleche, als sie über den Boden des Ofens glitten, war ihr wohl vertraut. Sie lauschte dem Rauschen und zuckte merklich zusammen, als sich wenig später die Tür zur Backstube öffnete und laute Stimmen zu hören waren.
„Kate ist hier? Warum hat sie nicht gesagt, dass sie zu Besuch kommt?“ Die tiefe, rauchige Stimme von Bäcker George ertönte unten im Treppenhaus. Er musste von seinem Arzttermin zurückgekehrt sein.
Schnell stand Kate auf, drückte sich dicht an die Wand und hielt den Atem an. Sie wollte nicht, dass jemand bemerkte, dass sie immer noch vor der Wohnungstür stand.
„Sie muss sich doch nicht anmelden, wenn sie kommt“, sagte Charlie, der seinem Vater ins Treppenhaus gefolgt war. „Das hier ist immer noch ihr Zuhause.“
„Natürlich nicht. Aber wir hätten sie vom Bahnhof abholen und ein Abendessen vorbereiten können.“ Georges Stimme wurde leiser. „Jetzt sitzt das arme Mädchen da oben alleine in der großen Wohnung voll schmerzender Erinnerungen. Der Gedanke daran gefällt mir ganz und gar nicht.“
„Ich könnte hochgehen und sie heute Abend zum Essen zu uns einladen?“ Charles folgte seinem Vater zurück in die Bäckerei und kurz darauf fiel die Tür wieder ins Schloss. Die Stimmen wurden leiser und Kate konnte nicht mehr verstehen, was die beiden Männer sagten.
„Also gut.“ Sie machte einen Schritt von der Wand weg und steckte den Schlüssel ins Türschloss. „Ich kann ja nicht ewig hier rumstehen.“ Kate atmete einmal tief durch, drehte den Schlüssel um und öffnete die Tür.
Vor ihr lag der lange, schmale Flur, an dessen Ende das geräumige Wohnzimmer lag. Zur linken und rechten Seite gingen jeweils drei Türen ab. Die erste Tür auf der linken Seite führte ins Gäste-WC, die zweite in die Küche und die dritte in eine kleine Abstellkammer.
Kate trat ein und schloss die Tür hinter sich. Es war dunkel und roch nach verbrauchter, warmer Luft. Die Jalousien und Vorhänge der Fenster waren geschlossen und ließen kein Tageslicht hineinkommen. Für einen kurzen Moment war sie versucht zu rufen:„ Hallo, ich bin da!“, doch wer hätte ihr antworten sollen?
Kate stellte ihren Koffer neben die dunkle Eichenholz-Kommode im Flur und zog ihre Sandalen aus. Der rote Wollteppich unter ihren Füßen gab ihr ein Gefühl der Geborgenheit. Kate musste darüber schmunzeln, dass es ausgerechnet der schreckliche, rote Plüschteppich war, der ihr das Gefühl gab, Zuhause zu sein, wo sie ihre Eltern doch oft mit dem unmodernen, viel zu weichen Teppich aufgezogen hatte.
„Warum legt ihr den Flur nicht einfach mit Laminat aus? Das wäre nicht nur moderner, sondern auch praktischer. In diesen langen Flusen verfängt sich doch viel zu viel Schmutz“, hatte Kate versucht, ihre Eltern zu überzeugen. Doch ihr Vater und ihre Mutter hatten nur mit dem Kopf geschüttelt und abgewunken.
„Wir lieben unseren Teppich. Und damit basta!“
Im Wohnzimmer zog Kate die schweren Samtvorhänge zurück und öffnete die Fenster, die allesamt zum Hof und dem kleinen Garten hinter dem Haus zeigten. Seit sie denken konnte, war der Hof hinter der Bäckerei zweigeteilt. Den schmaleren, vorderen Teil zierte ein Kopfsteinpflaster, das ihr schon so manchen Absatz am Schuh ruiniert hatte. Hier gab es nicht viel mehr, als eine Bank, die seitlich an einer Mauer stand und dafür gedacht war, dass der Bäcker einen Ort hatte, um sich in seiner Pause zurückzuziehen. Aus dem größeren, hinteren Teil des Hofes hatten ihre Eltern ein kleines Gartenparadies geschaffen mit Hochbeeten, Stockrosen und Obstbäumen. Der alte Apfelbaum, der im Zentrum des Gartens stand, war voller kleiner Äpfel, die aber noch lange nicht ihre volle Reife erreicht hatten. Unten auf der Bank, die neben der Tür zur Bäckerei stand, saß George und las gedankenversunken in einer Zeitung. Er hatte nicht einmal aufgeschaut, als sie die Fenster geöffnet hatte, was Kate ganz recht gewesen war.
Vom Meer her drang frische Luft in die Räume und Kate hatte das Gefühl, wieder durchatmen zu können. Mit einem Ruck zog sie die Bettlaken herunter, mit denen sie vor ihrer Abreise nach London die beiden Sessel und das Sofa bedeckt hatte. Ein paar Fussel und Staubflocken, die sich gelöst hatten, wirbelten durch die Luft und tanzten im Licht der späten Nachmittagssonne.
Kate ging durch die Wohnung, öffnete Zimmertüren, Jalousien und Fenster – nur die Tür zum Schlafzimmer ihrer Eltern blieb geschlossen. Für heute wollte sie es nicht übertreiben. Allein die Tatsache in dieser Wohnung zu sein, war für sie aufwühlend genug.
In ihrem alten Kinderzimmer setzte sich Kate aufs Bett und ließ sich rücklings auf die Matratze fallen, die so viel weicher war, als die Matratze in ihrem Bett in London. Sie verschränkte die Arme unter ihrem Kopf und sah zur Decke. Ihre Augen wanderten durch den kleinen, schmalen Raum, der nicht viel mehr als ein cremefarbenes Metallbett, einen Schreibtisch und einen zweitürigen Kleiderschrank beherbergte.
Viel hatte sich seit ihrem Auszug vor sieben Jahren in dem Zimmer nicht verändert. An der Wand neben ihrem Bett klebte weiterhin die Rosentapete, die sie als Teenager so hübsch und romantisch gefunden hatte. Und über ihrem Schreibtisch hingen immer noch ein paar Poster von Take That, Boyzone und David Beckham. Sogar der Stundenplan aus ihrem letzten Schuljahr am Eastbourne College klebte noch an der Pinnwand, auch wenn er durch das Sonnenlicht deutlich vergilbt war und sie Mühe hatte, die Schrift darauf zu erkennen. Ihre Eltern hatten wirklich alles so gelassen, wie sie es damals verlassen hatte, um ihr Studium zu beginnen.
Seitdem war sie nicht mehr oft zu Besuch gekommen. Nur einige Male, natürlich an Weihnachten und zum 60. Geburtstag ihrer Mutter war Kate für ein paar Tage nach Eastbourne gereist. Meistens jedoch hatten ihre Eltern sie besucht, spätestens nachdem sie ihre Wohnung in London bezogen hatte.
„So kommen wir auch endlich mal raus und können Großstadt-Luft schnuppern“, hatte ihr Vater gesagt und dabei oftmals auch ein wenig nachdenklich ausgesehen. Vielleicht hätte er sich darüber gefreut, wenn Kate in diesen Momenten gesagt hätte, dass auch sie gerne zu ihnen nach Eastbourne fahren würde. Sie hatte ihr Elternhaus in den vergangenen Jahren vernachlässigt. Und jetzt schämte sie sich sogar ein wenig dafür.