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Eine Liebe, die unmöglich scheint … Der fesselnde Skandinavienroman »Northern Sky« von Inga Schneider jetzt als eBook bei dotbooks. Frederik Bjerregaard ist charmant, attraktiv und gehört zu einer der einflussreichsten Unternehmerfamilien Dänemarks. Doch seit er herausgefunden hat, dass er jahrelang von seiner Familie belogen wurde, ist für ihn nichts mehr, wie es war. Journalistin Camilla Bjørnelund ahnt, dass sich hinter der glitzernden Fassade der Bjerregaards vor Jahren ein Drama abgespielt haben muss. Aber bei ihrer Recherche ist es einzig Frederik, der sich ihr öffnet. In seiner Nähe spürt Camilla schon bald eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Aber kann sie Dänemarks Jetset-Prinzen wirklich trauen? Oder ist sie für ihn nur Mittel zum Zweck, um Rache an seinem Vater zu nehmen? Denn Camilla fürchtet, dass Frederik nur ein Ziel kennt: die Rosenborg-Dynastie zu vernichten. Koste es, was es wolle. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das große Romantik-Highlight »Northern Sky« von Inga Schneider ist dritte Roman in ihrer »Rosenborg-Saga«, in der jeder Roman eigenständig gelesen werden kann. Die Reihe ist in Print und Audio auch bei SAGA Egmont erhältlich und wird Fans von Simona Ahrnstedt und Ayla Dades »Blackwell Palace«-Reihe begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Über dieses Buch:
Frederik Bjerregaard ist charmant, attraktiv und gehört zu einer der einflussreichsten Unternehmerfamilien Dänemarks. Doch seit er herausgefunden hat, dass er jahrelang von seiner Familie belogen wurde, ist für ihn nichts mehr, wie es war.
Journalistin Camilla Bjørnelund ahnt, dass sich hinter der glitzernden Fassade der Bjerregaards vor Jahren ein Drama abgespielt haben muss. Aber bei ihrer Recherche ist es einzig Frederik, der sich ihr öffnet. In seiner Nähe spürt Camilla schon bald eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Aber kann sie Dänemarks Jetset-Prinzen wirklich trauen? Oder ist sie für ihn nur Mittel zum Zweck, um Rache an seinem Vater zu nehmen? Denn Camilla fürchtet, dass Frederik nur ein Ziel kennt: die Rosenborg-Dynastie zu vernichten. Koste es, was es wolle.
»Northern Sky« erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.
Über die Autorin:
Inga Schneider hat »Hygge« im Blut. Sie arbeitet als Journalistin in Dänemark und Schleswig-Holstein. Seit 2021 veröffentlichte sie bereits mehrere erfolgreiche Cosy-Crime- sowie Liebes- und Feelgood-Romane.
In Inga Schneiders »Rosenborg-Saga« erscheinen außerdem die Romane »Northern Star« und »Northern Nights«, die als Printausgaben und Hörbücher bei SAGA Egmont und als eBooks bei dotbooks erhältlich sind.
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eBook-Ausgabe Juni 2024
Copyright © der Originalausgabe 2024 by Inga Schneider und SAGA Egmont
Copyright © der eBook-Ausgabe 2024 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Karol Kinal unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-98952-138-4
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Inga Schneider
Northern Sky
Die Rosenborg-Saga 3
dotbooks.
»Man trägt viel im Herzen,
was man nie einem anderen Menschen
mitteilen kann.«
Greta Garbo
Kopenhagen. Silvester.
O wow, das war krass!
Frederik Bjerregaard drehte das kleine schwarze Buch mit der goldenen Schrift auf dem Cover zwischen seinen Händen. Er wusste, dass sein großer Bruder Nikolaj Geheimnisse für sich behalten konnte. Aber das hätte er ihm nicht zugetraut.
»Was mache ich nur mit dir?«, murmelte Frederik und blätterte flüchtig durch die Seiten.
»Mit mir? Nun, ich wüsste da was.« Eine Frau mit blonden mittellangen Haaren kam mit einer Champagnerflasche in der Hand aus der angrenzenden Wohnküche. Auf ihren Lippen lag der Anflug eines Lächelns, der sofort wieder verschwand, als sie bemerkte, dass Frederik es nicht wie sonst erwiderte.
»Was ist los?«, fragte sie und ging um den runden schwarzen Marmortisch herum. »Alles in Ordnung?«
Frederik nickte. »Und bei dir, Camilla?«
»Bei mir?« Sie stellte den Schampus auf den Sofatisch und setzte sich.
»Ja. Du siehst angespannt aus.« Frederik wandte sich ihr zu und legte seinen rechten Arm auf die Rückenlehne der Couch. Eine blonde Strähne hing ihr schräg über die Stirn, und für eine Millisekunde war er versucht, sie ihr hinter das Ohr zu stecken.
»Das ist dir aufgefallen?«
Wieder nickte Frederik. Es fiel ihm immer auf, wenn sie etwas beschäftigte.
»Du hättest Psychologie statt Marketing studieren sollen.« Camilla lachte.
»Bei meiner Familie wäre das wahrscheinlich gar nicht mal so übel gewesen.« Er lachte bitter.
»So schlimm?« Sie legte ihm sanft ihre Hand auf den Oberschenkel.
Frederik räusperte sich. »Wird schon wieder.« Er lächelte und strich ihr die Strähne nun doch aus dem Gesicht. Die Versuchung war einfach zu groß gewesen. »Sag schon«, flüsterte er. »Was ist mit dir los?«
Camillas Mund öffnete sich leicht, als sie tief einatmete. Am liebsten würde er sie jetzt küssen.
»Ich werde für ein paar Monate nach London gehen«, sagte sie schließlich.
»London«, wiederholte Frederik überrascht. »Weiß meine Schwester schon davon?«
Camilla schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie ich es Louise sagen soll. Nach allem, was wir in diesem Jahr durchgemacht haben … Ich möchte auf keinen Fall, dass sie denkt, dass ich sie jetzt im Stich lasse.«
»Wenn du es ihr erklärst, wird sie es verstehen.«
»Was macht dich da so sicher?«
»Ich bin ihr Zwillingsbruder.« Er zwinkerte Camilla zu, griff nach ihrer Hand und streichelte sanft mit dem Daumen über ihren weichen Handrücken.
»Komm mit nach draußen. Es ist gleich zwölf.« Camilla löste ihre Hand aus seiner und stand auf. »Und du hast dir doch noch nie eine Party entgehen lassen.«
»Ich komme gleich nach.« Frederik reichte ihr die Flasche mit dem Champagner.
»Versprochen?«
»Ja.«
Camilla schien sich mit seiner Antwort zu begnügen, drehte sich um und huschte nach draußen auf die Terrasse, wo sie unmittelbar zu jubeln begann. Kurz darauf knallte ein Korken.
»Das wird ein fantastisches Jahr!«, rief sie, während die Gesellschaft auf der Terrasse klatschte.
Frederik leerte sein Whiskeyglas in einem Zug und schnappte sich das Buch. Wenn die wüssten …
Kopenhagen. Sechs Monate später.
Wo zum Teufel war er?
Frederik blinzelte einige Male gegen das Sonnenlicht, das an diesem Morgen, für seinen Geschmack ein wenig zu hell, durch die cremefarbenen Vorhänge ins Schlafzimmer fiel. Er rieb sich die Augen. Die Erinnerung an die vergangene Nacht war nahezu ausgelöscht.
Um mehr über seinen Aufenthaltsort zu erfahren, drehte er seinen Kopf vom Fenster weg und wartete, bis die Welt um ihn herum aufgehört hatte zu schwanken. Wenn man bedachte, dass er jede Menge Alkohol getrunken und wahrscheinlich nur wenige Stunden geschlafen hatte, ging’s ihm gar nicht mal so übel.
Zumindest hatte er keine Kopfschmerzen. Auf dem Nachttisch entdeckte er sein Handy. Er griff danach und sah auf die Uhr. Es war kurz nach neun.
Frederik setzte sich auf und lauschte. Den Geräuschen nach zu urteilen, musste er sich irgendwo in der Nähe des Hafens befinden. Vielleicht im NOVA, dem exklusiven Hotel seines großen Bruders, in dem er eine kleine Suite zur privaten Nutzung hielt. Aber hatten die Vorhänge dort nicht eine andere Farbe?
Vorsichtig checkte er die Fakten. Er war nackt und verkatert in einem riesigen Bett, mindestens King-Size, aufgewacht. Um ihn herum war alles in Creme und Beige gehalten, die Spiegel waren mit Gold umrandet, und an der Decke über dem Bett hing ein großer Kronleuchter. Ach du Scheiße! War er etwa hier?
Unbeabsichtigt musste er schmunzeln. Der Gedanke daran, dass er mit seiner Eroberung ausgerechnet im Luxus-Hotel seines herrischen Vaters abgestiegen war, hatte etwas.
Er konzentrierte sich und versuchte, die Bruchstücke der vergangenen zehn Stunden zusammenzusetzen. Zuerst war er mit ein paar Freunden im NOMA essen gegangen und hatte Champagner und vollmundigen Rotwein zu dem sündhaft-teuren Menü getrunken. Anschließend war er mit einem Kumpel weitergezogen. Zunächst in irgendeine Bar in Vesterbro, dann ins Luzifer, wo er Unmengen an Cocktails getrunken hatte. Letztlich war er im High Club, in dem er selbstverständlich Mitglied war, und bei diversen anderen Drinks gelandet, als er sie getroffen hatte.
Schwarze Haare bis zum Po, traumhafter Körper, leicht mandelförmige Augen …
Frederik fuhr sich durch die blonden, kinnlangen Haare. Er hatte sie beeindrucken wollen.
Und ein Hotel wie das Rosenborg war definitiv beeindruckend. Er hatte ihr die Dachterrasse des Hotels und den berühmten schwarzgefliesten Pool, der sich darauf befand, gezeigt. Und dann waren sie schwimmen gegangen. Nackt. Mit nichts als schwarz schimmerndem Wasser um sich herum und Millionen von Sternen über sich. Wer würde da nicht schwach werden?
Er lächelte, als sich langsam mehr und mehr schemenhafte Erinnerungen an die vergangene Nacht zurück in sein Gedächtnis schlichen. Nach dem Schwimmen hatte eins das andere ergeben. Und so waren sie schließlich im Bett gelandet.
Frederik schloss die Augen. Sie war toll gewesen. Fantastisch. Er hatte zuvor noch nie etwas mit einer Grönländerin gehabt und war überrascht davon, wie feurig und leidenschaftlich sie gewesen war und … dass sie noch immer neben ihm lag. Mist! Ihre schwarzen langen Haare lugten unter der Decke hervor, die sie sich, trotz der sommerlichen Temperaturen draußen, bis unter das Kinn gezogen hatte.
Ilva. Oder Ida? Irgendwas mit I … Es war nicht das erste Mal, dass er sich nicht an den Namen der Frau erinnern konnte, mit der er die Nacht verbracht hatte. Seiner Ansicht nach wurden Namen eh überbewertet. Was war schon ein Name? Nichts weiter als eine Hülle, hinter der die Menschen ihr Innerstes vor der Welt verstecken konnten.
Frederik betrachtete sie ein weiteres Mal und glitt so leise wie möglich aus dem Bett. Auf keinen Fall wollte er riskieren, dass sie jetzt aufwachte.
Für den Morgen danach war er einfach nicht geschaffen. Sosehr er die Nächte auch genoss, sosehr hasste er das Aufwachen am Tag danach. Man konnte sich nie sicher sein, ob es auch wirklich bei dem ungezwungenen Spaß bleiben würde, den man sich in der Nacht versprochen hatte, oder ob der Spaß am Ende nicht doch höheren Erwartungen gewichen war, die er weder erfüllen konnte noch erfüllen wollte.
Er war kein Mann für eine feste Bindung, auch wenn manche seiner One-Night-Stands durchaus Potential dazu gehabt hätten. Aber um ihn herum gab es zu viele hübsche Frauen, als dass er sich dauerhaft an eine einzige hätte binden können. Wo würde denn da der Spaß bleiben?
Frederik bückte sich und hob eilig seine Klamotten vom Boden auf, die überall im Zimmer verstreut waren. Anschließend zog er sich das Hemd und die Hose an und schlich aus dem Schlafzimmer in den angrenzenden Wohnbereich der Juniorsuite, wo er sich hastig Socken und Schuhe überstreifte, bevor er, ohne sich noch ein weiteres Mal umzusehen, aus dem Zimmer verschwand.
Auf dem Weg nach unten zückte er sein Handy, und während er auf den Aufzug wartete, bestellte er über den Zimmerservice ein reichhaltiges Frühstück, über das sich Ivalo – ja genau so hieß sie! – nach dem Aufwachen sicher freuen würde. Kurz überlegte er, ob er ihr auch eine Nachricht zukommen lassen sollte, eine Art Dankeschön für die gemeinsamen, zweifellos schönen Stunden.
Aber er war kein Fan dieser abgedroschenen Nachrichten, die Männer ihren Liebhaberinnen schickten. Davon hatte niemand etwas. Auch Ivalo nicht. Zwischen ihnen beiden war alles geklärt, sie hatten die Regeln bereits gestern Abend festgelegt. Hätte Ivalo diesen nicht zugestimmt, wäre es zu dieser gemeinsamen Nacht gar nicht erst gekommen. Alles war gesagt und bedurfte keinen weiteren Erklärungen. Es würde alles eh nur komplizierter machen. Und er konnte alles, was kompliziert war, nicht ausstehen.
Die Lifttüren öffneten sich, und Frederik gesellte sich zu einem älteren Ehepaar, das ihn freundlich grüßte und ebenfalls auf dem Weg nach unten zu sein schien. Frederik nickte ihnen zu. Als er sich vor sie stellte, bemerkte er im Augenwinkel, wie beide die Köpfe zusammensteckten und zu tuscheln begannen.
Es wunderte ihn nicht, dass sie wussten, wer er war. Ganz Dänemark kannte ihn. Seiner Familie gehörte das größte und exklusivste Hotel-Imperium des Landes. Von Geburt an verkehrte er in den höchsten Kreisen der Kopenhagener Gesellschaft. Er war es gewohnt, dass die Augen auf ihn gerichtet waren, wenn er einen Raum betrat. Und er genoss es. Auch wenn das öffentliche Leben nicht nur Vorteile mit sich brachte.
Zum ersten Mal an diesem Tag warf er einen flüchtigen Blick in den Spiegel, während sich der Aufzug rasant in Bewegung setzte.
»Sahst auch schon mal besser aus«, murmelte er leise bei dem Anblick, der sich ihm bot. Verkatert, mit dunklen Ringen unter den Augen und ein wenig blass um die Nase. Tuschelten die älteren Leute deshalb über ihn?
Ihm blieb kaum Zeit, darüber nachzudenken, mal abgesehen davon, dass es ihn nicht juckte. Schon wenige Sekunden später stoppte der Fahrstuhl, und die Aufzugtüren glitten lautlos wieder auf.
Das grelle Licht der hellerleuchteten Lobby traf ihn wie ein Blitz. Instinktiv kniff er die Augen zusammen und suchte in der Tasche seines Jacketts nach seiner Sonnenbrille.
»Haben Sie noch einen schönen Tag«, sagte die ältere Frau, als sie sich an ihm vorbei in die Lobby schob.
»Danke, das wünsche ich Ihnen auch«, antwortete Frederik höflich und schenkte ihr ein blendendes Lächeln, bevor er sich die Sonnenbrille aufsetzte und den Fahrstuhl ebenfalls verließ.
Sanfte Klaviermusik begleitete ihn auf dem Weg durch die Lobby in Richtung Ausgang. Auch wenn er in dem Hotel mehr als seine halbe Kindheit verbracht hatte, kam er nicht umhin, sich einzugestehen, dass ihn der Prunk, der sich im Rosenborg beinahe in jeder Ecke zeigte, jedes Mal aufs Neue beeindruckte. In punkto Luxus hatten sich seine Eltern bei der Einrichtung des Rosenborg Kopenhagen wirklich nicht lumpen lassen.
Wohin er auch schaute, überall schimmerte es in sanften Beige- und Goldtönen. Große, goldumrandete Spiegel an den Wänden ließen die Empfangshalle noch größer erscheinen. Und obwohl er es eilig hatte, sich möglichst unerkannt davonzuschleichen, schritt er förmlich über den Boden aus cremeweißem Perlino-Marmor, den seine Eltern einst extra aus Italien hatten einfliegen lassen.
Frederik senkte den Kopf und ging weiter. Beinahe wäre er in einen Pagen gelaufen, der mit einem großen Kofferwagen die Drehtür am Eingang blockierte. Er schaffte es gerade noch an ihm vorbei in eines der Drehfelder der Tür zu huschen und gelangte so nach draußen, bevor die Tür endgültig festsaß.
Draußen nahm er sich eines der Taxen, die vor dem Rosenborg hielten. Er stieg ein und ignorierte das penetrante Klingeln seines Handys. Wer auch immer es war, könnte eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen oder einfach wieder anrufen. Im Moment hatte er keine Lust, mit jemandem zu reden.
Frederik lehnte sich zurück und schloss die Augen. Zu Hause würde er erst einmal die Klamotten wechseln und joggen gehen, um sich die Spuren der vergangenen Nacht aus dem Leib zu schwitzen. Ja, das war eine gute Idee. Er betrachtete sein verkatertes Gesicht im Rückspiegel des Fahrers. Eine Dusche und eine frische Rasur würden ihn schon wieder auf Trab bringen. Schließlich war er Frederik Bjerregaard, und das Leben liebte ihn. Wäre doch gelacht, wenn er das nicht wieder hinkriegen würde.
Er beugte sich zum Fahrer vor. »Setzen Sie mich bitte am NOVA ab«, bat er, woraufhin der Fahrer kurz nickte und den Blinker setzte. Kurz darauf setzte sich das Taxi in Bewegung.
Über die Knibbelsbro fuhren sie hinüber auf die andere Seite des Hafens, vorbei an Børsen, der historischen Börse mit ihrem Turm aus ineinander verwundenen Drachenschwänzen, und dem imposanten Schloss Christiansborg, dem Sitz der dänischen Regierung, bevor sie den Holmens Kanal entlangfuhren und schließlich zum Kongens Nytorv kamen. Von hier aus war es nicht mehr weit bis zum NOVA. Das Taxi bog in eine Seitenstraße und hielt schließlich vor einem modernen, mittelhohen Gebäude, das von außen einem alten Speicher glich.
Frederik bezahlte und gab dem Taxifahrer ein großzügiges Trinkgeld, stieg aus und legte den Kopf in den Nacken. Vom angrenzenden Hafen wehte eine leichte Brise um seine Nase, die er gerade gut gebrauchen konnte. Er atmete tief ein. Das leise Motorengeräusch der Kanalboote, die Touristen auf dem Seeweg zu Kopenhagens beliebtesten Wahrzeichen schipperten und auf dem Weg dorthin das NOVA passierten, drang an sein Ohr. In der Ferne spielte jemand Akkordeon, ein paar Möwen kreischten, und unweit von ihm hörte er Kinder lachen. Um ihn herum pulsierte das Leben. Er nahm sich einen Moment Zeit, um das alles zu genießen, dann ging er hinein.
Im Gegensatz zum noblen Rosenborg Kopenhagen, das mit seinem Old-school-Verständnis von Luxus vor allem ältere, gutbetuchte Gäste ansprach, traf das NOVA voll und ganz seinen Geschmack. Gedämpftes Licht und warme Farben empfingen ihn, als er die Hotellobby betrat. Seinem Bruder Nikolaj war es gelungen, in seinem Hotel eine heimelige Atmosphäre zu schaffen, in der sich jeder Gast auf Anhieb wohlfühlte. Protz und Prunk so wie im Rosenborg gab es im NOVA nicht. Nikolajs Definition von modernem Luxus war eher ein Zusammenspiel von rustikalem Chic und soften Texturen. Schwarzes Metall, Holzpaneele an den Wänden, samtig-weiche Textilien – die Hotellobby des NOVA sah aus wie ein großes Wohnzimmer. Gerade Linien, gepaart mit minimalistischem Design – das war auch ganz nach Frederiks Geschmack. Zumindest in dieser Hinsicht stand er seinem großen Bruder in nichts nach.
»Hej, Frederik.« Ein Mann Anfang dreißig mit kurzem dunklen Undercut und strahlend weißen Zähnen kam auf ihn zu. »War wohl ’ne lange Nacht, was?« Er stupste ihn vertraut in die Seite.
Frederik nickte, nahm die Sonnenbrille ab und lächelte vielsagend. »Kann man wohl sagen, Erik.«
»Gott, setz bloß die Brille wieder auf. Nicht mal nach meinem letzten Magen-Darm-Virus hatte ich solche Augenringe wie du heute Morgen. Du siehst aus wie ein Panda.« Erik trat ein wenig näher an Frederik heran und begutachtete ihn kritisch. »Sag schon, was hast du angestellt?«
»Spaß gehabt!«, antwortete Frederik salopp und grinste, obwohl ihm nicht nach Small Talk mit dem besten Kumpel seines großen Bruders zumute war. Nach seinen durchzechten Nächten hatten diese Gespräche immer etwas von einem Verhör, in dem er die Aussage am liebsten verweigern wollte.
»Wie wär’s mit einem Frühstück? So wie du aussiehst, könntest du ’ne Stärkung vertragen.« Erik zwinkerte ihm zu und begleitete ihn durch die Lobby zu den Aufzügen. Es war offensichtlich, dass er sich Sorgen machte, was Frederiks Ansicht nach vollkommen übertrieben war. Er war nun mal ein Mann, der gern feierte und das Leben genoss. Alkohol und Frauen gehörten da einfach dazu. Er hatte das im Griff.
»Ich hab keinen Hunger.« Frederik drückte auf einen der Knöpfe, schaute auf die Anzeigetafel der Aufzüge und wartete.
»Sicher?« Erik legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Hör zu.« Frederik wandte sich von den verschlossenen Aufzugtüren ab und sah Erik eindringlich an. »Deine Sorgen sind vollkommen unbegründet.«
Erik ging nicht weiter darauf ein. Stattdessen beugte er sich zu ihm nach vorne und flüsterte Frederik ins Ohr: »Warst du wenigstens diskret?«
»Oh, ich denke, Diskretion wird im Rosenborg großgeschrieben.« Frederik zwinkerte ihm zu und grinste, dieses Mal sogar ein wenig provozierend.
»Du warst heute Nacht im Rosenborg? Verdammt, Frederik!« Erik rollte mit den Augen und fuhr sich mit der Hand über das gebräunte Gesicht. »Musste das sein?«
Frederik wusste genau, worauf Erik in seiner Frage anspielte. Seit Silvester hatte er noch ausschweifender gelebt als zuvor und nichts, aber auch gar nichts anbrennen lassen. Und mit jeder Party, die er besucht hatte, war er leichtsinniger geworden. Hatte er früher zum Schutz seiner Familie und des Rosenborg-Imperiums noch großen Wert auf Diskretion gelegt und nur mit Frauen verkehrt, denen er meinte vertrauen zu können, war es ihm im vergangenen halben Jahr beinahe egal gewesen, mit wem er die Nacht verbrachte. Oder welche Absicht die Frau, die er mit in sein Bett nahm, verfolgte. Sollte doch ganz Dänemark mitbekommen, wie sehr er sein Playboy-Leben liebte.
»Sag mal, hat mein Bruder dich etwa geschickt?« Frederik legte den Kopf schräg. Wieder seufzte Erik. Volltreffer! Wieso wunderte ihn das nicht?
»Wir machen uns alle einfach nur Sorgen, Fred«, antwortete Erik. »Seit Silvester …«
»Wie gesagt: Es ist vollkommen unbegründet!«, unterbrach ihn Frederik rasch. Über Silvester wollte er nun wirklich nicht reden. Als sich die Aufzugtüren öffneten, schien das auch Erik endlich zu begreifen.
»Gut, aber ich gebe in der Küche Bescheid, dass sie dir ’ne Bowl fertig machen und nach oben bringen. Keine Widerrede!« Erik klopfte Frederik einmal mehr auf die Schulter. »Und einen extra starken Kaffee. Ich denke, Koffein wird dir guttun.«
Frederik nickte gleichgültig. »Wenn du meinst.« Er wollte gerade in den Lift steigen, als sein Mobiltelefon klingelte. Schon wieder. Er kramte es aus seiner Hosentasche und hielt es Erik entgegen.
»Ich muss da rangehen.« Frederik nahm ab, ohne aufs Display zu schauen, und registrierte erleichtert, dass Erik sich zurückzog.
»Frederik Bjerregaard«, sagte er und unterdrückte ein Gähnen.
»Danke fürs Frühstück, auch wenn ich es lieber gemeinsam mit dir genossen hätte, Fred.«
Beim Klang ihrer sanften Stimme zuckte er zusammen. Wie um alles in der Welt war Ivalo an seine Telefonnummer gekommen? Er konnte sie ihr unmöglich gegeben haben! Oder etwa doch? Mist!
»Freut mich, dass du es genossen hast«, antwortete er und nahm erleichtert zur Kenntnis, dass Ivalo nicht beleidigt klang, obwohl er sich vorhin einfach davongeschlichen hatte. Vielleicht steckte hinter ihrem Anruf kein böser Hintergedanke.
»Oh, ich habe in den vergangenen Stunden so einiges genossen«, raunte sie und klang dabei noch genauso sexy, wie er sie in Erinnerung hatte.
Er lächelte zufrieden. »Das freut mich.«
Am anderen Ende der Leitung atmete Ivalo deutlich hörbar ein und aus. Dann sagte sie: »Es schreit förmlich nach einer Wiederholung, Asak?«
Asak. Liebling. Gestern Abend hatte es ihn noch angeturnt, als sie grönländisch gesprochen hatte. Und jetzt? Frederik schluckte. Er wusste doch, dass es an ihrem Anruf einen Haken gab.
»Oder findest du nicht?«, fragte sie, als er nicht sofort darauf antwortete.
Frederik räusperte sich. Was sollte er ihr jetzt nur sagen? Wenn’s nach ihm gegangen wäre, hätten sie sich nie wieder gesehen. Er hätte es lieber bei dieser einmaligen Sache gelassen, zumal er sich nicht bis ins kleinste Detail an die vergangene Nacht erinnern konnte, was ihm, jetzt, wo er näher darüber nachdachte, wirklich zu schaffen machte. Es überraschte ihn längst nicht mehr, wenn er nach einer Party in einem anderen Bett als in seinem aufwachte. Es wunderte ihn auch nicht, wenn er nicht mehr wusste, wie er dorthin gekommen war. Aber dass er größere Gedächtnislücken hatte und auch nicht mehr wusste, dass er seine Handynummer herausgegeben hatte …
»Frederik?«
»Ja.«
Er bemerkte, dass Ivalo am anderen Ende der Leitung ungeduldig wurde.
»Dir hat es doch auch gefallen, oder?«
»Natürlich«, antwortete er, und das war nicht mal gelogen.
»Prima. Dann treffen wir uns zum Frokost. Ich kenne da ein hübsches kleines Bistro in Frederiksberg. Sagen wir in drei Stunden? Ich schick dir die Adresse. Bis später.«
Ohne Frederiks Antwort abzuwarten, legte sie auf. Frederik blieb verdutzt zurück und stieg in den Aufzug. In was war er da nur hineingeraten?
*
Frisch geduscht, rasiert und umgezogen machte sich Frederik zweieinhalb Stunden später auf den Weg nach Frederiksberg. Er wusste nicht, was ihn erwartete, aber er hatte sich fest vorgenommen, die Sache mit Ivalo so schnell wie möglich zu beenden. Sie hatte einfach keine Zukunft.
Zugegeben, er hatte gehofft, dass sich die Sache bereits erledigt hatte, als er sich heute Morgen aus dem Hotelzimmer geschlichen hatte, aber Ivalo schien gewiefter zu sein, als er angenommen hatte. Er hatte sie unterschätzt. Und das wurmte ihn.
Irgendwie hatte Ivalo es geschafft, ihm seine Mobilnummer zu entlocken, was dafür sprach, dass sie gestern Nacht deutlich nüchterner gewesen sein musste als er. Normalerweise würde ihn dies nicht weiter beunruhigen. In der Regel tranken Frauen generell weniger als er, außerdem vertrug er eine Menge. Nein, die Frage war vielmehr, was er Ivalo noch erzählt hatte. Von seiner Familie vielleicht?
Frederik schluckte. Er konnte nicht behaupten, dass er seine Familie hasste. Denn das tat er nicht. Weder Nikolaj noch Louise. Sogar für seinen tyrannischen Vater empfand er keinen Hass, auch wenn er weiß Gott allen Grund dazu gehabt hätte. Es war vielmehr so, dass …
Frederik überlegte, während er in den für ihn bereitgestellten Wagen stieg und Christian, seinem Chauffeur, die Adresse des Bistros in Frederiksberg nannte. Kurz darauf setzte sich der Audi in Bewegung.
Wie konnte er es am besten ausdrücken? Seine Familie war … kompliziert. Ja, diese Beschreibung traf es wohl am ehesten. Und, wie gesagt, er war jemand, der lieber einen weiten Bogen um komplizierte Dinge machte. Bislang hatte er dies in seinem Leben ganz erfolgreich geschafft, was ihn sogar ein wenig stolz machte. Auch wenn einige in seiner Familie, allen voran sein Vater Jørgen, das nicht so sahen. In seinen Augen machte Frederik sich immer dann aus dem Staub, wenn’s knifflig wurde.
Frederik sah das natürlich anders. Er besaß einfach nur die Gabe, möglicherweise auftretende Komplikationen schon früh zu erkennen. Und, mal ehrlich, warum sollte man frontal auf ein Problem zulaufen, wenn es doch viel schlauer wäre, rechtzeitig die Kurve zu kriegen?
Er schaute aus dem Fenster und sah die Häuserfronten an sich vorbeisausen. Mehrstöckige Backsteingebäude mit Geschäften oder Restaurants im Erdgeschoss, vor denen einige Leute sich bereits zum Mittagessen niedergelassen hatten. Wie viele von ihnen wohl in einer komplizierten Beziehung ohne Zukunft steckten und wichtige Zeit ihres Lebens damit vergeudeten?
Auch mit Ivalo schien es anstrengend zu werden, was seine Gedanken wieder auf den eigentlichen Grund dieser Fahrt nach Frederiksberg lenkte. Das war ihm spätestens bewusst geworden, als sie ihm die Adresse des Cafés, in dem sie sich mit ihm treffen wollte, genannt hatte.
Ibsens Café hatte sich seit der Eröffnung vor einem knappen Dreivierteljahr zu einem der Places-to-be in Kopenhagen entwickelt und war ein beliebter Treffpunkt für Blogger, Influencer und Möchtegern-Promis. Jeder, der gesehen werden wollte, traf sich hier entweder zum Frühstück oder zum Mittagessen. Ein Ziel, das offensichtlich auch Ivalo verfolgte: Sie wollte gesehen werden. Und zwar mit ihm.
Argh!
Leise fluchend stützte Camilla die Ellenbogen auf den Tisch und presste ihre Handflächen gegen die Stirn. So ein Mist! Sie atmete tief durch, schaute hinunter auf ihren Notizblock und ärgerte sich nur noch mehr. Vom Ehrgeiz gepackt hatte sie die vergangenen Tage etliche Ideen für potentielle Artikelreportagen zusammengetragen, bis spät in die Nacht recherchiert und sogar schon die Telefonnummern möglicher Interviewpartner herausgesucht.
Für die Redaktionskonferenz heute Vormittag war sie bestens vorbereitet gewesen. Und was hatte ihr all das gebracht? Nichts!
Camilla umklammerte ihren Kaffeebecher und nippte daran. Die Wochen seit ihrer Rückkehr aus London waren hart gewesen. Sie hatte angenommen, dass sich die Zeitungen um sie reißen würden, wenn sie mit dem Praktikum in der Tasche aus London zurückkommen würde. Wie naiv war sie nur gewesen? Die Wahrheit war: Niemand hatte sich für sie interessiert. Auf ihre Bewerbungen als Redakteurin hatte es von den Tageszeitungen in Kopenhagen ohne Ende Absagen gehagelt. Und zum ersten Mal in ihrem Leben stand sie nun ohne festen Job da.
Auch wenn es wehtat, es zuzugeben: Sie hatte schlichtweg unterschätzt, wie hart umkämpft der Markt in Dänemark war und wie viele gut ausgebildete Journalisten es hier gab, die, wie sie, nur darauf warteten, einen der gut bezahlten Redakteursposten zu ergattern.
Und das hatte Folgen. Ohne ein regelmäßiges Einkommen waren ihre Ersparnisse schneller geschrumpft als ein Eisberg auf Grönland, was in Zeiten des Klimawandels schon etwas hieß. Das Leben in einer der teuersten Städte Europas gestaltete sich für sie zunehmend schwieriger. Kurzum: Ihr stand das Wasser bis zum Hals. Und würde sie nicht bald einen lukrativen Job an Land ziehen …
Camilla schüttelte den Kopf und schob den Gedanken an eine düstere Zukunft beiseite. Sie war es gewohnt, hart für das, was sie erreichen wollte, zu arbeiten, ja, vielleicht sogar zu kämpfen. Und sie war eine Kämpferin. Noch nie hatte sie sich von etwas kleinkriegen lassen.
Für sie war das Glas immer halbvoll statt halbleer. Anders konnte sie sich auch nicht erklären, warum sie diesen schlecht bezahlten Freelancer-Job als Reporterin bei Dagens Tidene, einer mittelgroßen Tageszeitung, deren Hauptredaktion am Kopenhagener Stadtrand lag, angenommen hatte. Wäre sie nicht so sehr auf das Geld angewiesen, hätte sie schon längst wieder gekündigt. Aber was tat man nicht alles, um im Haifischbecken nicht unterzugehen?
»Man geht nicht unter, solange man den Kopf über Wasser hält«, hatte ihre beste Freundin Louise Bjerregaard vor gar nicht allzu langer Zeit einmal zu ihr gesagt. Damals, als sie beide noch ein Team waren und zusammen für den Erhalt von Louises ökologischem Lifestyle-Magazin GRØN gekämpft hatten.
Camilla schluckte bei dem Gedanken an die gemeinsame Zeit, die sie mit Louise verbracht hatte. Sie hatten sich auf der Uni in Odense kennengelernt und dort gemeinsam Kommunikationswissenschaften studiert. Nach dem erfolgreichen Abschluss war Louise mit ihrem Freund Mads nach Kopenhagen gezogen und hatte schließlich die Leitung eines kleinen Verlags übernommen. Als es darum gegangen war, ein eigenes ökologisches Lifestyle-Magazin auf den Markt zu bringen, hatte Louise schließlich Camilla mit ins Boot geholt.
Bei GRØN hatte sie als Ressortleiterin gearbeitet, war für den Inhalt des Magazins und das Layout verantwortlich gewesen. Es waren tolle, wenn auch turbulente Monate gewesen, die auf einmal Lichtjahre von dem Leben, das sie jetzt führte, entfernt zu sein schienen …
Camilla seufzte und presste die Handflächen gegen ihre Stirn. Was hatte sie sich vor ein paar Monaten nur dabei gedacht, nach London zu gehen? Hatte sie hier in Kopenhagen nicht alles gehabt, wovon sie geträumt hatte? Einen tollen Job, eine gemütliche Wohnung, fantastische Freunde? Aber nein, sie hatte ja nach den Sternen greifen müssen. Wollte eine ernstzunehmende Nachrichten-Journalistin sein und keine weichgespülte Redakteurin, die für ein Lifestyle-Magazin arbeitete. War sie denn wahnsinnig gewesen, das alles aufzugeben?
Sie griff nach ihrer schwarzen Shopping-Bag, von der niemand außer ihr wusste, dass es sich um ein gut gemachtes Imitat handelte, und suchte darin nach ihrem Mobiltelefon. Als sie es gefunden hatte, scrollte sie durch die Kontaktliste ihres Handys, bis Louises Name auftauchte. Wie hätte sich alles wohl entwickelt, wenn sie geblieben wäre?
Seit sie wieder in Kopenhagen war, hatte Camilla sich noch nicht wieder bei Louise gemeldet. Irgendwie hatte es sich bislang nicht richtig angefühlt, auch wenn sie sich beinahe täglich danach sehnte, Louises Stimme und ihr Lachen zu hören. Sie vermisste Louises freundschaftlichen Rat. Gerade jetzt, wo … Doch sie schämte sich dafür, dass sie damals mit wehenden Fahnen nach London gegangen war und jetzt, nach ihrer Rückkehr, mit leeren Händen dastand. Es war ihr peinlich, auch wenn sie sicher war, dass es Louise rein gar nichts ausmachen würde. Sie seufzte abermals und fuhr mit dem Daumen über das Display. Es wäre so einfach, jetzt auf Anrufen zu drücken. Wenn sie sich doch nur dazu überwinden könnte …
»Gibt’s ein Problem, Carlotta?«
Echt jetzt?!
Ein großer, schlanker Mann mit gewaltig hohen Wangenknochen tauchte vor Camillas Schreibtisch auf. Thorvald Lønvig. Ressortleiter. Sklaventreiber. Blödmann! Allein die Tatsache, dass er sich nach drei Wochen immer noch nicht Camillas Namen merken konnte, machte ihn für sie durch und durch unsympathisch.
Thorvald trat näher und schwang einen Teil seines knochigen Hinterns auf die vordere Schreibtischkante. Er hatte verblüffende Ähnlichkeit mit dem alternden Mick Jagger, den man versehentlich in die ausgefallenen Glitzer-Klamotten von Harry Styles gesteckt hatte.
Camilla holte tief Luft. »Nun, da du schon fragst …«, sagte sie und überlegte. Wie sagte man auf die feine englische Art, dass man die Schnauze gestrichen voll hatte?
»Warum schaffen es meine Story-Vorschläge nicht auf den Redaktionsplan, geschweige denn in die Zeitung?«, fragte Camilla schließlich so diplomatisch wie möglich und bemühte sich um ein Lächeln, das nicht allzu aufgesetzt wirkte. Doch sie war sich ziemlich sicher, dass ihr dies nicht gelang.
Da Thorvald dennoch keine Miene verzog, redete Camilla weiter: »Meine Nachbarin …«, begann sie und wurde prompt von Thorvald unterbrochen.
»Hatten wir alles schon Hunderte Male.« Er machte eine abwehrende Handbewegung und gähnte übertrieben. »Es sind doch immer die gleichen Geschichten. Tut mir leid, Charlie, aber deine Themenvorschläge sind langweilig! Come on, du hast für die britische Presse gearbeitet. Da erwarte ich etwas mehr … Sensationslust.« Thorvald zeigte mit seiner schmalen Hand, die ebenso knochig war wie der Rest seines Körpers, auf einen der Zettel, der auf Camillas kleinem Schreibtisch lag. »Rosenborg« stand in krakeligen Buchstaben darauf gekritzelt. Denk nicht mal dran!
Camilla schüttelte den Kopf und wechselte das Thema. »Also, der fahrradfahrende Papagei, um den Søren sich kümmern soll, ist nun auch nicht gerade eine Sensation, oder?«, protestierte sie.
»Wir sind im Sommerloch, Kleines. Tiergeschichten kommen bei den Lesern immer sehr gut an. Solche Storys bringen Klicks auf unserer Homepage. Und je mehr Traffic wir dort haben, desto erfolgreicher sind wir.« Thorvalds dunkle Augen verharrten einen Moment zu lange auf Camillas Dekolleté, so wie immer, wenn er mit ihr das Gespräch unter vier Augen suchte.
Sie straffte die Schultern, um ihm weitere allzu tiefe Einblicke zu verwehren.
»Aber, ich bin mir sicher, wenn ich die Geschichte von meiner Nachbarin verfolgen könnte, würde ich wirklich auf etwas Sensationelles stoßen«, sagte Camilla fest entschlossen, nicht lockerzulassen. »Weißt du, die Sache ist die …«
Thorvald seufzte. »Scheint, als möchte da jemand unbedingt Karriere machen, was?«
»Was spricht dagegen?« Camilla wurde noch gerader im Kreuz. »Ich bin eine gute Journalistin.«
»Mag sein, aber hast du wirklich das Potential dazu, einen Skandal aufzudecken? Den Biss, den man dazu braucht? Die Ausdauer und den richtigen Riecher?«
»Du wirst es nie erfahren, wenn ich du mir keine Chance dazu gibst, es zu beweisen.«
Thorvald stand auf, ging um den Schreibtisch herum, positionierte sich vor Camilla und beugte sich leicht vor, um einen weiteren Blick in ihren Ausschnitt zu riskieren. Wenn er nicht aufpasste, würden ihm seine Stieraugen noch aus dem Kopf fallen. Ekelhaft! Reflexartig wich Camilla noch ein Stück weiter zurück.
»Für dich gibt’s hier nichts zu sehen, Thorvald! Merk dir das endlich«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.
Als Thorvald Camillas Abneigung bemerkte, dehnte er seinen Nacken und stand auf. »Du meinst also, du könntest einen Skandal aufdecken?«
Camilla nickte entschlossen, woraufhin Thorvald erneut auf den Zettel auf ihrem Schreibtisch tippte.
»Und warum hast du dich dann darum noch nicht gekümmert? Du kennst die Familie Bjerregaard gut. Soweit ich weiß, hast du letztes Jahr noch für die Tochter des alten Patriarchen gearbeitet. Jemand wie du müsste doch leicht an Informationen kommen.«
»Die Bjerregaards sind tabu!«, sagte Camilla entschlossen, die Arme immer noch vor der Brust verschränkt.
»Weiß der Teufel, warum du dich so zierst, Kleine. Ich versichere dir, dass eine Reportage über das Rosenborg-Imperium deiner Karriere auf die Sprünge helfen würde. Gerade der Alte hat für die Medien nichts übrig. Er würde sich eher eine Hand abhacken, als uns ein Interview zu seinem Lebenswerk zu geben. Er hasst es, wenn die Öffentlichkeit Einblicke ins private Familienleben bekommt. Auch wenn sein jüngster Sohn Frederik gerade die Blätter der Regenbogenpresse beherrscht wie kein zweiter Junggeselle in diesem Land.« Thorvald machte eine bedeutungsschwere Pause.
»Hab davon gehört«, meinte Camilla und schmunzelte bei dem Gedanken an Frederiks ausschweifendes Partyleben. Dass die bunten Klatschblätter in ihm einen neuen Party-Prinzen sahen, wunderte sie keinesfalls. Frederik war der geborene Playboy. Gutaussehend, intelligent und charmant. Und er hatte sein Leben lang nichts anderes getan, als diesem Bild, das die Öffentlichkeit von ihm hatte, auch gerecht zu werden.
»Aber wenn du es versuchst, quasi als alte Freundin der Familie, könnte unsere Zeitung eine Chance bei dem Alten haben.«
»Jetzt übertreibst du wirklich.« Camilla winkte ab. Sie hatte sich geschworen, nie wieder auch nur ein Wort mit Jørgen Bjerregaard zu wechseln. Nicht nach all dem, was er seiner Tochter Louise im vergangenen Sommer angetan hatte. Sie wusste, wozu dieser Mann fähig war. Und daher war es besser, wenn sie sich von ihm fernhielt.
»Überleg doch mal, dein Name unter der Titelstory … Das Geheimnis des Rosenborg-Imperiums von …« Thorvald machte eine ausladende Handbewegung, die für Camillas Geschmack ein wenig zu theatralisch wirkte.
»Ja, von …?« Camilla räusperte sich, während Thorvald sichtlich angestrengt sein Gedächtnis durchkramte, um nach ihrem Namen zu suchen. Wie schaffte er es nur, sich ihren halben Lebenslauf zu merken und ihren Namen dabei trotzdem immer wieder zu vergessen?
Camilla wartete noch ein, zwei Sekunden und winkte dann erneut ab. »Ich muss dich enttäuschen, Thorvald. Ich bin keine Freundin der Bjerregaards. Und jemand wie Jørgen Bjerregaard würde mich wahrscheinlich nicht einmal mehr ins Haus lassen.«
»Jetzt machst du mich neugierig.« Thorvald setzte sich wieder zurück auf die Schreibtischkante, dieses Mal allerdings ohne seine Stieraugen auszufahren. »Ist in der Vergangenheit zwischen euch etwas vorgefallen?«
Camilla rollte genervt mit den Augen. Sie wusste genau, worauf Thorvald anspielte.
Um die einflussreiche Familie Bjerregaard rankten sich zahlreiche Mythen. Manche bezeichneten sie sogar als die dänischen Kennedys. Viele Menschen im Land verfolgten die Geschichte der Familie mit großem Interesse und nahmen Anteil am Schicksal der drei Kinder, die ihre Mutter Ellen schon in jungen Jahren durch einen tragischen Unfalltod verloren hatten. Das Leben von Nikolaj, Louise und Frederik war schon immer ein Fressen für die Klatschpresse gewesen. Teilweise waren sie von den Medien sogar auf Schritt und Tritt verfolgt worden. Kein Wunder, dass Jørgen Bjerregaard diesen Teil der Presse verabscheute. In dieser Hinsicht hatte er jedes Recht dazu.
Immer wieder hatte es Versuche gegeben, die Familie in Verruf zu bringen. Doch viele potentielle Skandale waren, nicht zuletzt auch dank Jørgen Bjerregaards großem Einfluss und Macht, bereits im Keim erstickt worden, bevor sie irgendeinen Schaden hätten anrichten können.
»Nein, Thorvald. Zwischen den Bjerregaards und mir ist nichts vorgefallen. Ich habe mir bloß geschworen, nichts über diese Familie zu schreiben. Und meinen Prinzipien bleibe ich treu.«
Der knochige Ressortleiter nickte und wirkte verbittert. »Gut, wenn das so ist«, sagte er, stand auf und drehte sich um. »Ich gebe dir noch achtundvierzig Stunden Zeit, deine Prinzipien zu überdenken. Andernfalls muss ich mir eine andere Reporterin suchen.«
»Das kannst du nicht machen.«
»Schon mal was von Arbeitsverweigerung gehört?«
»Ich bin Freiberuflerin. Schon vergessen? Ich kann mir meine Aufträge aussuchen und kann dementsprechend ablehnen, was ich möchte«, protestierte Camilla.
»Das Gleiche gilt auch für unsere Zeitung. Wir können uns auch aussuchen, mit welchen freiberuflichen Journalisten wir zusammenarbeiten wollen. Und ich bin ehrlich: Diejenigen, die gefügiger sind, sind mir lieber.« Er haute mit der Hand gegen den Türrahmen. »Denk darüber nach, wenn du im nächsten Monat noch die Miete für deine Wohnung zahlen möchtest«, sagte er und verschwand.
Kaum hatte er Camilla den Rücken zugedreht, streckte sie ihm die Zunge raus. Es war kindisch, das wusste sie, aber in diesem Moment war es die einzige Reaktion, die ihr einfiel.
»Das hab ich gesehen.«
Morten Henriksen steckte seinen Kopf über die schwarze Trennwand, die seinen Schreibtisch von ihrem abgrenzte.
»Ich dachte, du bist im Homeoffice. Hast du geschlafen?«, scherzte Camilla und lehnte sich im Schreibtischstuhl zurück.
Seit sie als Freiberuflerin bei Dagens Tidende arbeitete, teilten Morten und sie nicht nur dasselbe Büro, sondern in gewisser Weise auch das gleiche Schicksal. Auch wenn Morten weitaus erfolgreicher war als sie. Er hatte zwar eine Woche nach Camilla bei der Zeitung angefangen, aber schon drei Storys auf der Titelseite platzieren können. Etwas, wovon Camilla nur träumen konnte. Und dabei hatte Morten nicht mal ein Dekolleté, mit dem er bei Thorvald punkten konnte. Das Leben war ungerecht!
»Ich hab ein kleines Appartement unter dem Dach. Weißt du, wie heiß es da heute ist? Ich hab noch nicht mal einen Balkon«, sagte Morten und kam um die Trennwand herum.
Camilla sah aus dem Fenster und betrachtete den wolkenlosen Himmel. »Ich kann’s mir vorstellen. Mir geht’s ganz ähnlich. Ich hab auch keine Klimaanlage in meiner Wohnung«, sagte sie und seufzte.
»Das ist der Vorteil von unserer kleinen Abstellkammer hier.« Morten lachte und sah sich im Büro um.
Camilla nickte. Es war wirklich nicht sehr groß und gemessen daran, dass sie es sich teilen mussten, beinahe eine Zumutung. Außerdem waren die Möbel abgenutzt, und durch das kleine Fenster fiel auch nicht viel Licht hinein. Aber: Der Raum war klimatisiert, was im Sommer in Kopenhagen ein echter Pluspunkt war.
»Ist dir aufgefallen, dass Thorvald immer noch nicht meinen Namen kennt?«
»Ärgere dich nicht.« Morten winkte ab. »Irgendwann wird er ihn kennen.«
Camilla stimmte ihm zu, auch wenn es ihr im Moment nicht gelang, den gleichen Optimismus auszustrahlen wie Morten. Es passte gar nicht zu ihr. Normalerweise war sie es, die die Dinge mit einer gewissen Gelassenheit sah. Doch Thorvalds penetrantes Bohren in Sachen Rosenborg-Imperium sowie ihre derzeitige finanzielle Situation schlugen ihr auf den Magen und ließen Zweifel in ihr aufkommen. Was, wenn sie doch keine so gute Journalistin war, wie sie angenommen hatte? Was, wenn sie sich einfach immer nur etwas vorgemacht hatte? Den Job bei GRØN hatte sie damals doch auch nur bekommen, weil ihre beste Freundin die Chefin gewesen war, oder etwa nicht? Je mehr sie darüber nachdachte und je größer ihre Zweifel wurden, desto weniger gelang es ihr, rational zu denken. Und das ging ihr gehörig auf den Keks!
»Ich wusste gar nicht, dass du die Bjerregaards kennst«, sagte Morten plötzlich.
»Jetzt fang du nicht auch noch damit an.« Camilla stand auf, ging zum Fenster und sah hinaus. Kein Wölkchen am Himmel. Der Tag war viel zu schön, um ihn in der Redaktion zu verbringen.
»Nein, mal ehrlich. Ich weiß nicht, warum du dich so zierst. Wenn Thorvald mich fragen würde, ich hätte bestimmt keine Skrupel, über das Rosenborg-Imperium zu schreiben. Die Familie hat gewiss ein paar Leichen im Keller.« Morten zog eine Augenbraue hoch und betrachtete Camilla herausfordernd.
»Skrupel habe ich auch nicht, nur irgendwie … keine Lust.« Camilla versuchte, das Thema beiseitezuschieben. Sie hatte nicht mit Thorvald über die Bjerregaards geredet, und das würde sie ganz bestimmt auch nicht mit Morten.
»Keine Lust? Spinnst du?«, stutze Morten und griff sich an den Kopf. »Die Bjerregaards sind eine der spannendsten Familien dieses Landes, neben der Königsfamilie natürlich. Und ich gebe Thorvald zwar ungern recht, aber eine Reportage über diese Familie könnte dein Durchbruch sein … und du sagst, dass du keine Lust hast.«
Camilla zuckte mit den Schultern und beobachtete ein Taubenpärchen, das auf dem gegenüberliegenden Dach miteinander turtelte. Sie würde alles dafür geben, Morten jetzt auf andere Gedanken zu bringen. »Weißt du was? Ich hab schrecklichen Hunger. Wollen wir etwas essen gehen?«
»Du meinst wir zwei?« Morten wirkte überrascht. Kein Wunder. Bislang hatte sie seine Einladungen zum Frokost immer ausgeschlagen. Doch jetzt musste sie dringend an die frische Luft und sich die Familie Bjerregaard aus dem Kopf schlagen.
»Ja.« Camilla nickte.
Morten sah auf die Uhr und lächelte. »Ich hab ’ne bessere Idee. Lass uns für heute einfach Feierabend machen. Wir sind Freelancer, schon vergessen? Wir sollten die Vorzüge, die der Beruf des Freiberuflers mit sich bringt, ausnutzen. Oder meinst du nicht?« Er zwinkerte Camilla zu.
»Gute Idee.« Sie ging zurück an ihren Schreibtisch, klappte ihren Laptop zusammen und steckte ihn in ihre Tasche. »Dann nichts wie raus aus diesem Laden, bevor wir es uns doch noch anders überlegen.«
Morten sprintete um die Trennwand herum, schnappte sich ebenfalls seinen Laptop und klemmte ihn sich unter den Arm. »Nichts wie weg«, flüsterte er, als er an Camilla vorbei aus dem Büro huschte.
*
Ibsens Café lag ein wenig abseits des Trubels in einer Seitenstraße der Vesterbrogade unweit des Frederiksberg Have. Mit dem Fahrrad waren sie nur eine knappe halbe Stunde unterwegs gewesen. Als Camilla ihr Rad an der Hauswand abstellte, waren die wenigen Tische auf der kleinen Terrasse vor dem Café bereits belegt. Das Café, in dem ausschließlich ökologische Produkte aus der Region angeboten wurden, hatte erst im Winter des vergangenen Jahres eröffnet, sich aber innerhalb der wenigen Monate seit der Eröffnung vom Geheimtipp zu einem Hotspot in Kopenhagen entwickelt. Camilla erinnerte sich daran, dass die Eigentümer zur Eröffnung eine kleine Anzeige in GRØN geschaltet hatten. Werbung, die sie jetzt ganz offensichtlich nicht mehr nötig hatten. Der Laden brummte.
Camilla konnte die Beliebtheit des Ibsens nachvollziehen. Das Café war zauberhaft und versprühte schon von außen den Charme eines Pariser Bistros. Über den großen, bodentiefen Fenstern waren grün-weiß gestreifte Markisen angebracht, die den Gästen, die auf der Terrasse saßen, ein wenig Schutz vor der Mittagssonne boten. Links und rechts vom Eingang standen neben schwarzen Laternen zwei große Kübel, die mit Buchsbäumen bepflanzt waren.
»Scheint, als müssten wir uns drinnen einen Platz suchen.« Morten stellte sein Fahrrad neben Camillas an die Hauswand und ging dann an ihr vorbei in Richtung Eingang.
»Sieht ganz so aus«, meinte Camilla und folgte Morten hinein.
Drinnen war es ebenfalls gut besucht, wenn auch nicht so überfüllt wie auf der Terrasse, was bei den Temperaturen, die im Café herrschten, auch nicht weiter überraschte. Es war ziemlich heiß und stickig.
Camilla seufzte und sah sich um. Sie mochte die Einrichtung. Helles Eichenholz und schwarzes Metall verliehen dem Raum ein modernes Aussehen. Während an der linken Wand angebrachte Birkenstämme dafür sorgten, dass der Raum nicht zu kühl wirkte. Hier musste man sich einfach wohlfühlen.
»Da drüben wird was frei.« Als Morten plötzlich nach ihrer Hand griff, zuckte Camilla vor Schreck zusammen. Er ging so zügig in Richtung eines runden Bistrotisches mit Aussicht auf einen kleinen Innenhof, dass er sie beinahe hinter sich herzog. Sie konnte kaum mit ihm Schritt halten. Das war ja schlimmer als beim Sprint in die erste Reihe eines Robbie-Williams-Konzerts.
Als er sein Ziel erreicht hatte, blieb Morten so abrupt stehen, dass Camilla fast in ihn hineingerannt wäre, hätte sie nicht im richtigen Moment abgebremst.
Warum er sich ausgerechnet diesen Tisch ausgesucht hatte, war ihr ein Rätsel. Er lag abseits der anderen Tische, in der Nähe der Kaffeebar und offensichtlich auch am Durchgang zur Küche, denn die Kellner liefen quasi im Minutentakt an ihnen vorbei. Auch der Blick in den Innenhof war nicht weiter lohnenswert, denn es zeigte sich, dass dieser vor allem als Getränkekisten-Lager diente.
So schnell kann sich der Charme eines Cafés in Luft auflösen, dachte Camilla, behielt es aber für sich, da Morten mit der Wahl ihres Tisches mehr als zufrieden zu sein schien. Warum auch immer … Er hatte sich bereits hingesetzt und studierte die Speisekarte, ohne weiter auf seine Begleitung zu achten.
Camilla setzte sich ebenfalls und schlug ihre Beine übereinander, sodass ihr der Saum ihres roséfarbenen Plisseerocks leicht über das Knie rutschte. Sie holte ein Scrunchie aus ihrer Handtasche und band sich ihre blonden, schulterlangen Haare am Hinterkopf zu einem Messy Bun zusammen. Der leichte Windzug, den sie kurz darauf in ihrem nun freigelegten Nacken vernahm, tat gut und verschaffte ein wenig Abkühlung. Intuitiv schloss sie die Augen und atmete bewusst ein und aus.
»Weißt du schon, was du nimmst?«, fragte Morten, ohne zu ihr aufzuschauen. Wie unhöflich! Er war so sehr in das Lesen der Speisekarte vertieft, dass er die Kellnerin gar nicht bemerkte, als diese zu ihnen an den Tisch kam.
Camilla wartete einen Moment, doch Morten zeigte keine Reaktion.
»Gut, dann fange ich an«, sagte sie und legte die Speisekarte auf den Tisch. »Ich nehme ein Smørrebrød mit Avocado und Ei. Dazu bitte einen leichten Weißwein«, gab sie ihre Bestellung auf und lächelte der Kellnerin freundlich zu. Erst jetzt schien Morten seine Umgebung wieder wahrzunehmen.
»O wow, wir sind schon dran«, sagte er und kratzte sich am Hinterkopf. »Ich hätte gern das Croque Monsieur und ein Bier. Frisch gezapft«, betonte er.
»Sehr gern«, antwortete die Kellnerin, tippte die Bestellung in eine Art Mobiltelefon und verschwand ohne ein weiteres Wort. Sie war offenbar sehr im Stress.
»Bist du oft hier?«, fragte Camilla.
Morten lächelte. »Ein-, zweimal die Woche. Meist nach der Arbeit auf das eine oder andere Bier. Hier kann man den Tag gut ausklingen lassen, wenn du verstehst, was ich meine.« Er nickte einer Rothaarigen zu, die sich an den Nachbartisch gesetzt hatte und die er offenbar kannte, denn im nächsten Moment beugte er sich zu Camilla herüber und flüsterte: »Das ist Frieda.«
Camilla schielte unauffällig an Morten vorbei, um Frieda in Augenschein zu nehmen. Es war offensichtlich, dass Morten ein Auge auf sie geworfen hatte und nun von Camilla ein Urteil einforderte.
»Sie ist hübsch«, sagte Camilla, woraufhin das Lächeln auf Mortens Gesicht noch ein wenig größer wurde.
»Ja, nicht wahr.«
»Sagst du ihr nicht Hallo?«
Morten schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Später. Ich möchte sie erst ein wenig zappeln lassen.« Er nickte und lächelte Frieda erneut zu, die das Lächeln kurz erwiderte, bevor sie sich umdrehte und ihm die kalte Schulter zeigte.
Richtig so! Camilla schmunzelte. Wer ließ hier wohl wen zappeln?
»Kennt ihr euch schon lange?«, fragte Camilla neugierig. Wenn Morten sie schon in dieses Café geführt hatte, um Frieda eifersüchtig zu machen, wollte sie mehr Informationen von ihm haben. Doch Morten zierte sich, was ungewöhnlich für ihn war.
»Ach, das ist eine lange Geschichte«, sagte er und sah sich nach der Bedienung um. »Langsam bekomme ich Durst.«
»Hattet ihr mal was miteinander?«, fragte Camilla dieses Mal direkter.
Morten grinste. »Nicht nur einmal, wenn es das ist, was du wissen möchtest. Aber …« Er stoppte, als die Kellnerin mit den Getränken zu ihnen an den Tisch kam, und redete erst weiter, als sie wieder in Richtung Tresen verschwunden war. »… es ist kompliziert.«
»Das kenne ich. Komplizierte Beziehungen ohne Zukunft … davon lass ich auch lieber die Finger.« Camilla kostete vorsichtig von ihrem Weißwein. Er war ein wenig zu trocken für ihren Geschmack, aber dennoch genießbar.
»Du sagst es.« Er prostete ihr zu und trank. »Frieda und ich kommen einfach nicht aufs nächste Level. Wir fangen immer wieder von vorne an, dabei haben wir beide uns schon voreinander ausgezogen. Ich meine, mehr als nackt kann man sich nicht machen, oder?«
Camilla runzelte die Stirn. Morten hatte eine merkwürdige Art, die Dinge zu sehen. »Vielleicht solltest du einfach direkt auf sie zugehen, statt hier mit einer anderen Frau zu sitzen und einen auf Gigolo zu machen.« Sie riskierte einen weiteren Blick auf Frieda, die ihnen noch immer den Rücken zugedreht hatte. Doch auch wenn sie desinteressiert tat, war Camilla sich ziemlich sicher, dass Frieda dem Gespräch von Morten und ihr aufmerksam zuhörte. »Das macht man nicht, Morten!«
»Ach.« Er zuckte mit den Schultern, so als hätte er Camillas kleine Rüge gar nicht gehört. »Und was soll ich deiner Meinung nach tun?«
»Puh.« Camilla schnaufte durch. Sie war nun wirklich keine Beziehungsratgeberin. Wo war sie da bloß hineingeraten? »Beweg deinen Hintern zu ihr rüber, und rede mit ihr statt mit deiner Kollegin«, sagte sie schließlich, wobei sie Kollegin so sehr betonte, dass selbst die beiden Männer, die hinter ihnen einen Kaffee an der Bar tranken, es mitbekamen.
»Wird gemacht«, antwortete Morten zu Camillas Überraschung. »Aber erst wird gegessen. Ich habe einen Mordshunger.« Er nahm den Teller entgegen, den die Kellnerin ihm reichte, und griff zu Messer und Gabel. »Velbekomne.«
Camilla lachte und schüttelte den Kopf. »Guten Appetit.«
Ivalo redete seit mehr als einer halben Stunde nahezu ununterbrochen, was es schwer für ihn machte, die Dinge, die sie von sich gab, zu behalten. Selbst beim Essen hatte sie keine Pause eingelegt. Auch wenn Frederik sie auf eine gewisse Art und Weise dafür bewunderte, dass es ihr gelang, mit vollem Mund zu sprechen, ohne dabei unverständlich zu klingen. Außerdem sah sie auch dabei noch absolut hinreißend aus.
Aber sie quasselte wie ein Wasserfall. Hatte sie das gestern Abend auch schon getan? Er konnte sich kaum auf das konzentrieren, was sie sagte. Was allerdings nicht nur daran lag, dass er mit einem Meer an für ihn unwichtigen Informationen überschüttet wurde, sondern auch daran, dass seit etwa zwanzig Minuten eine Blondine seine Aufmerksamkeit erregte, die er schon lange nicht mehr gesehen hatte.
Sie saß in der anderen Ecke des Cafés an einem kleinen Bistrotisch, der jedes Mal wackelte, wenn sie sich bewegte. Ihre endlos langen Beine hatte sie übereinandergeschlagen, und sie griff immer wieder ein wenig unsicher an ihren Dutt, während sie mit einem eher unscheinbar wirkenden Mann sprach, der sich für sie genauso wenig interessierte wie er sich für Ivalo. Zumindest machte es für ihn den Eindruck, denn der Mann schielte nahezu unaufhörlich zu einer rothaarigen Frau am Nachbartisch herüber, statt sich auf die Schönheit zu konzentrieren, die vor ihm saß: Camilla.
Er war baff. Was machte sie hier? Und warum hatte Louise ihm nicht gesagt, dass ihre beste Freundin wieder in der Stadt war?
Sechs Monate waren seit ihrem letzten Treffen vergangen. Ein ganzes halbes Jahr. Gott, er hatte ganz vergessen, wie sexy sie war. Als sie sich vorhin einen Dutt gebunden hatte, hatte er an nichts anderes mehr denken können als daran, die weiche Haut an ihrem Nacken zu berühren. Vielleicht sollte er einfach …
»Frederik?« Ivalos Stimme drang in seine Fantasien ein. »Du hörst mir doch zu, oder?«
Frederik nickte geistesabwesend. Um seine Aufmerksamkeit zu erlangen, verpasste Ivalo ihm unter dem Tisch einen leichten Tritt gegen das Schienbein. Autsch!
Erst jetzt bemerkte er, wie sehr er die vergangenen Minuten in seine Gedanken vertieft gewesen war. Hoffentlich hatte er nicht allzu offensichtlich in Camillas Richtung gestarrt. Das wäre ihm dann doch peinlich gewesen. Um es wiedergutzumachen, schenkt er Ivalo sein Fünf-Sterne-Lächeln. Ihre Reaktion sprach Bände.
»Schon klar«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich glaube, du bist mit deinen Gedanken wirklich ganz woanders gewesen.«
Just in dem Moment erhob sich Camillas Begleiter und verschwand in Richtung der Toiletten. Kurz darauf folgte ihm die rothaarige Frau vom Nachbartisch.
»Ich habe dort jemanden gesehen, den ich kenne. Entschuldige mich bitte kurz, ich sage nur eben mal Hallo.« Frederik wischte sich hastig den Mund mit der Serviette ab und stand auf.
»Aber …«
»Ich bin gleich zurück, versprochen.« Er drehte ihr den Rücken zu, war sich aber sicher, dass sie ihm nachsah, während er sich Camillas Tisch näherte und schließlich davor stehen blieb.
»Gott, verdammt, du bist es wirklich!«, platzte es ein wenig zu laut aus ihm heraus.
Camilla zuckte zusammen. »Frederik«, entfuhr es ihr, während sie sich schnell atmend an die Brust fasste.
»Ich wollte dich nicht erschrecken, tut mir leid.« Er beugte sich zu ihr herunter und gab ihr einen sanften Wiedersehenskuss auf die Wange. Sie umgab ein fruchtig-blumiger Duft. Nicht, dass er ein großer Parfümkenner war, aber er meinte Pfingstrosen, Himbeeren und … ja, vielleicht ein wenig Pfeffer darin erkennen zu können.
»Was machst du hier?« Sie sah ihn mit großen grünen Augen an.
»Das Gleiche könnte ich dich fragen.« Wie selbstverständlich setzte Frederik sich auf den freien Platz, auf dem eben noch Camillas Begleiter gesessen hatte.
»Nun, wonach sieht es denn aus? Ich bin zum Essen hergekommen«, antwortete Camilla und deutete auf die Reste ihres Smørrebrød auf dem Teller vor sich. »Jetzt du«, forderte sie ihn auf.
»Ich auch.« Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. Von all den Fragen, die ihm eben durch den Kopf gegangen waren, war dies wohl mit Abstand die blödeste Frage gewesen, die er ihr hatte stellen können.
»Louise hat mir gar nicht erzählt, dass du wieder in Kopenhagen bist.« Er wollte so schnell wie möglich das Thema wechseln.
Camilla lächelte verlegen. »Sie weiß ja auch nicht, dass ich wieder zurück bin.«