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Skurrile Freundschaftsgeschichte voller Humor für Mädchen und Jungen ab 10.
Aldo hat Mist gebaut! Nun darf er nicht auffliegen, sonst triumphiert ausgerechnet Angeber Florim. Die fünf Skelette kommen da wie gerufen, denn für eine Fahrkarte ins Jenseits reißen sie sich darum, Aldo zu helfen. Doch während der 275 Jahre alte Baron nur in Reimen spricht, zückt Möchtegern-Mafioso Arturo lieber sein Messer als große Worte zu machen. Und Miesepeter Karl hasst Kinder im Allgemeinen und Aldo im Besonderen. So sind die Halbtoten keine Hilfe, im Gegenteil! Aber dann gelingt es Aldo mit Unterstützung seiner Klassenkameradin Ada, die schräge Truppe zu vereinen, und die Mission kann tatsächlich beginnen …
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Aldo hat Mist gebaut! Nun darf er nicht auffliegen, sonst triumphiert ausgerechnet Angeber Florim. Die fünf Skelette kommen da wie gerufen, denn für eine Fahrkarte ins Jenseits reißen sie sich darum, Aldo zu helfen. Doch während der 275 Jahre alte Baron nur in Reimen spricht, zückt Möchtegern-Mafioso Arturo lieber sein Messer als große Worte zu machen. Und Miesepeter Karl hasst Kinder im Allgemeinen und Aldo im Besonderen. So sind die Halbtoten keine Hilfe, im Gegenteil! Aber dann gelingt es Aldo mit Unterstützung seiner Klassenkameradin Ada, die schräge Truppe zu vereinen, und die Mission kann tatsächlich beginnen …
© Marion Eschenlohr
Annette Roeder, geboren 1968 in München, ist Architektin, Illustratorin und Autorin. Seit 2000 veröffentlicht sie neben Kinder- und Jugendbüchern auch Spiele und Rezensionen. Sie lebt mit ihren drei Kindern und Hund Gusti im Süden von München
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Viel Spaß beim Lesen!
12. November, 6:18 Uhr ∞
Manche grausen sich vor Haut auf dem Kakao oder vor dem Geruch ihrer eigenen Pupse. Wenn du zu diesen Menschen gehörst, solltest du besser ein Buch über die putzige Prinzessin Lillifee lesen. Denn das, was ich erlebt habe, ist richtig ekelig! Allerdings nur auf den ersten Blick. Im Nachhinein betrachtet, habe ich genau auf die fünf richtigen Leichen gesetzt!
Das wurde mir aber erst viel später klar. Zunächst dachte ich nämlich, fünf Leichen sind vier zu viel. Wobei auch das nicht ganz richtig ist. Als mich an jenem Dienstagmorgen im November eine Wasserleiche aus dem Tiefschlaf weckte, bin ich als Allererstes furchtbar erschrocken. Mein Herz fühlte sich an, wie wenn es vor Angst gefrieren würde. Dieses Mädchen am Fußende meines Betts hatte sichtbar zu lange unter Wasser gelegen. Ihre Haut schäumte wie Seifenpulver. An der Stirn wuchs bereits ein feiner Rasen aus Algen. In den blau gefärbten, halb abrasierten Zottelhaaren hingen Schlingpflanzen und ein Flipflop. Nur ihr seltsamer Hosenanzug sah überraschend gut gebügelt aus. Allerdings wirkte das orangebraune Muster total unmodern. Die Wasserleiche hielt meinen linken großen Zeh gepackt und zog daran.
Dass dies kein verspäteter Halloween-Scherz von Florim und seiner Bande sein konnte, war mir gleich klar. Keiner von denen würde freiwillig vor Sonnenaufgang aufstehen. Nicht einmal um mich zu ärgern. Und ein schlimmer Traum war das hier auch nicht. Dazu fühlten sich die Finger an meinem Fuß viel zu kalt und glitschig an. Ich versuchte, mir die Daunendecke über den Kopf zu ziehen. Doch die Wasserleiche war schneller. Sie schnappte sich mit der freien Hand das andere Ende der Decke und hielt es fest. Wer würde in so einer Situation nicht nach seiner Mama schreien? Ich wollte losbrüllen, aber ich konnte nicht! Denn genau in dem Moment, als ich den Mund aufriss, verschloss mir jemand die Lippen. Eine Frauenstimme lispelte in mein Ohr: »Sei leise, Schätzlein. Wir wollen doch niemanden wecken!« Der Geruch von Räucherspeck wehte mir in die Nase. Da erst bemerkte ich, dass weiter oben neben meinem Bett auch noch vier Skelette standen: eine Frau in einem Blümchenkleid, deren Knochen dunkelbraun wie die Schokoglasur einer Sachertorte glänzten, und drei weiße Knochenmänner in sehr unterschiedlichen Klamotten. Dazu ein verdorrter Hund, dessen Pelz wohl schon bessere Tage gesehen hatte. Er musste mal ziemlich groß gewesen sein, möglicherweise ein Hütehund. Meine gruseligen Besucher glotzten mich an, wenn man denn ohne Augen überhaupt glotzen kann.
Schließlich fragte das Skelett neben der Frau näselnd: »Sprecht! Es rief zu welchem Zwecke, mich der Herr unter der Decke?« Es trug einen zerschlissenen, blauen Frack, unter dem eine zur Schleife gebundene Krawatte hervorquoll und eine weiße Perücke mit Zopf wie aus einem dieser albernen Filme. Nach dem ersten Riesenschreck wirkten die fünf gar nicht gefährlich auf mich. Es sah im warmen Schein meiner Nachttischlampe sogar beinahe so aus, als würden sie lächeln. Einer von ihnen musste das Licht angeknipst haben. Und da ging auch mir plötzlich ein Licht auf. Diese Herrschaften hier hatten gar nichts Schlimmes mit mir vor. Im Gegenteil. Sie waren auf meinen eigenen Wunsch hin gekommen. Um mir zu helfen! Mein Plan hatte einfach nur zu gut funktioniert. Es war eben doch nicht so wie im Schrebergarten meiner Mutter, wo man immer mehrere Radieschensamen ins Beet steckt, damit wenigstens einer von ihnen aufgeht. ALLE fünf namenlosen Toten, die ich gestern auf dem Friedhof adoptiert hatte, waren auferstanden. Und einen riesigen Hund hatte ich gratis dazubekommen!
11. November, 13:55 Uhr ∞
Warum ich tags zuvor gleich fünf namenlose Tote adoptiert hatte? Mal abgesehen von der Anzahl ist das Consuelos geniale Idee gewesen! Doch jetzt erst mal der Reihe nach …
Gleich nach der Schule war ich spontan mit dem Bus zu meiner Mutter auf den Friedhof gefahren. Sie verkauft dort vor dem Haupteingang Blumengestecke, Lichter und Grabschmuck aller Art. Über meinen Überraschungsbesuch freute sie sich sichtbar. Im Gegensatz zu August Krämer-Kempen. Der schleimige Friedhofswärter kroch neuerdings auffällig oft um ihren Stand herum. Bei meiner Ankunft verschwand er jedoch schnell wie ein Silberfischchen hinter dem Klohäuschen. Während meine Mutter summend welke Blumen aussortierte, packte ich eine Lieferung Grablichter aus. Nach Allerheiligen sind die schickeren Modelle meistens ausverkauft. Die neuen Lichter, perlmuttweißes Glas mit einem Herzmotiv, gefielen mir sehr. Sie würden in der Dämmerung sicher schön leuchten. Ich stellte sie vor die Töpfe mit den orangefarbenen Lampionblumen und dekorierte ein paar Kunstmarmorengelchen dazwischen. Da raste Fräulein Greif, eine von Mutters Stammkundinnen, hinter ihrem Rollator heran. »Schönen guten Tag, Frau Beinhard! Und der brave Aldo hilft auch tüchtig mit.« Sie stoppte ihre Gehhilfe, indem sie ungebremst damit gegen mein Schienbein fuhr. Während sie mich wie ein unappetitliches Insekt musterte, sagte sie zu meiner Mutter: »Der Junge wächst Ihnen ja noch über den Kopf, Sie füttern ihn wohl zu gut! Nun, von seinem unnützen Erzeuger hat er zum Glück nur den dunklen Schopf und den verträumten Blick geerbt!«
Am liebsten hätte ich ihr den Marmorengel, den ich gerade in den Händen hielt, auf den Fuß fallen lassen! Ich hasste Fräulein Greifs Anspielungen darauf, dass mein Vater kurz nach meiner Geburt mit Mamas Erspartem zurück nach Italien verschwunden ist. Selbst wenn sie begründet waren! Aber jetzt beherrschte ich mich, indem ich tief durchatmete. Ich quetschte sogar ein Lächeln aus meinem Gesicht. Das Geschäft ging schließlich vor. Da musste man professionell bleiben und durfte seine Wut nicht zeigen. Meine Mutter bemerkte wohl, wie sehr ich mich zusammennahm. Sie zwinkerte mir zu und sagte: »Ich komme nun auch alleine klar, danke, Aldo. Du kannst dich gerne noch mit deinen Freunden treffen! Bei mir wird es heute später, ich gehe abends zur Chorprobe.« Dann wandte sie sich an Fräulein Greif. »Darf es wie immer eine kleine Rote für Ihren armen Maunzi drüben am Tierfriedhof sein?«
Während die alte Essiggurke Greif wie immer so tat, als müsste sie noch überlegen, dachte ich wirklich darüber nach, was ich mit diesem Nachmittag anfangen sollte. Natürlich hätte ich mich gerne mit Freunden getroffen. Das Problem war allerdings, dass ich keine Freunde hatte. Mit den Menschen ist es nämlich wie mit den Tönen in der Musik. Mehrere zusammen können einen klangvollen Akkord ergeben. Aber wenn dann nur ein einziger unpassender Ton dazukommt, ist die ganze Harmonie gestört. Und anscheinend war ich genau dieser unpassende Ton in der 6b. Die Jungs aus meiner Klasse und ich klangen einfach nicht gut zusammen. Und die Mädchen waren eben Mädchen. Sie kicherten, als würde man in langen Unterhosen vor ihnen stehen, und verstopften den Klassenchat mit Einhornstickern. Wobei mir das eigentlich egal sein konnte, nachdem mich Florim ja noch vor den Herbstferien aus der Gruppe »entfernt« hatte. Aber über die Beziehung zwischen mir und meinen Mitschülern sollte meine Mutter sich keine Sorgen machen. Sie hatte schon genug damit zu tun, das Geld für uns beide heranzuschaffen. Mit ihrem Stimmt-was-nicht-Blick schielte sie zu mir herüber, während sie Fräulein Greif ein elektrisches Edel-Licht in Kreuzform vorführte. Es war höchste Zeit zu verschwinden! Außerdem bekam ich langsam kalte Füße vom Herumstehen. Ein feuchter Nebel, der nach Schnee roch, hing in der Luft. Bei so einem Wetter hielt sich niemand freiwillig lange draußen auf. Im Gegensatz zu sonst war an diesem Montagnachmittag auf dem kleinen Platz vor dem Friedhof auch nur wenig los. Aus dem Toilettenhaus stöckelte eine Frau auf bleistiftdünnen Stiefelabsätzen. Eine zirkusreife Leistung! Sie redete auf einen hochgewachsenen Jungen ein, der unter dem Vordach auf sie gewartet hatte. Wahrscheinlich ihr Sohn, der versuchte, mit Schnauzbärtchen und Hut älter auszusehen, als er in Wirklichkeit war. Ein Mädchen, das sich die halb abrasierten Haare in Neonpink gefärbt hatte, sprühte unleserliche Worte auf die Friedhofsmauer. Es schien sich nicht darum zu scheren, dass das verboten war. Außer diesen dreien hockte noch ein blasser junger Mann, der in seinem Pelzmantel wie ein Riesenbiber aussah, im Bushäuschen und las eine Anzeigenbeilage. Selbst bei Consuelos Bratwurst-Bude standen gerade keine Kunden an. Die alte Kolumbianerin putzte die Glasscheibe, hinter der ihre Würstel wohlig in der Wärme bruzelten. Wir kannten uns, seitdem ich auf der Welt war und mich Consuleo mangels eigener Nachkommen zu ihrem Leihenkel ernannt hatte.
Ich winkte ihr von Weitem zu, weil ich beschlossen hatte, nach Hause in unsere geheizte Wohnung zu gehen. Dort wollte ich an meinem Schlagzeug weitertüfteln. Im letzten Jahr hatte ich begonnen, aus Abfall eine Art »Percussion-Objekt« zu bauen. Anfangs war das eher ein Projekt gegen die Langeweile gewesen, bestehend aus drei Eimern, einer Regentonne und einem angeschlagenen Blumentopf. Aber nach und nach ist das Ding zu einem richtigen Drum-Set mit einzigartigem Klang gewachsen. Und es wuchs ständig weiter. Ich spielte auch schon ziemlich gut darauf, obwohl wir uns keinen Schlagzeuglehrer leisten konnten und ich mir alle Beats mithilfe von Youtube-Anleitungen selbst beigebracht hatte. Jetzt fehlten mir noch ein paar Rhythmus-Instrumente zur Ergänzung. Dafür brauchte ich allerdings noch etwas Material.
Hinter dem Denkmal für den unbekannten Soldaten steht eine riesige Roterle. Dort konnte ich schnell ein paar kleine Zapfen ernten. Die würde ich in Plastikflaschen füllen und zu großen Rasseln, die auch Maracas heißen, umbauen. Ich schnappte mir also eine alte Zeitung vom Verpackungsmüll, faltete aus dem Sportteil eine Tüte und marschierte durch den Haupteingang in den Friedhof. Der ganze Baum hing voll mit diesen Minizapfen, da hatte ich mich nicht getäuscht. Das Blöde war nur, dass der Stamm der Erle höher war, als ich ihn in Erinnerung gehabt hatte. Nachdem ich mir beim Versuch hinaufzuklettern, die Hose zerrissen hatte, stieg ich auf die Rückenlehne einer Parkbank. Von dort aus konnte ich drei mickrige Zapfen erwischen, aber nicht mehr. Also versuchte ich, den Ast kräftig zu schütteln. Um ihn richtig in Schwung zu bringen, musste ich mich jedoch auf der Rückenlehne der Bank auf die Zehenspitzen stellen. Eine ausgesprochen wackelige Angelegenheit! Ein paar Zapfen prasselten in den Kies, bevor ich selbst das Gleichgewicht verlor und hinterherpurzelte. Nach der Landung fühlte sich mein Körper an wie ein geklopftes Schnitzel. Dieser Tag war wirklich nicht mein Tag! Erst die verpatzte Ausfrage in Bio bei Dr. Daumer, dann die Bemerkung vom dummdämlichen Fräulein Greif über meinen Vater und jetzt das. Aber immerhin konnte es nun auch nicht mehr schlimmer werden. Wie leicht es doch ist, sich zu täuschen!
11. November, 15:08 Uhr ∞
Ich blieb erst mal auf dem Bauch liegen, um herauszufinden, was genau mir wehtat. Bis auf die aufgeschürften Handflächen und ein brennendes Knie schien jedoch alles in Ordnung zu sein.
»Hey, bist du okay?«, fragte da eine Stimme über mir. Ich hob den Kopf und sah drei Paar Turnschuhe vor meiner Nase. Dieser Anblick machte mir auf Anhieb klar: Schlimmer geht immer! Die Sohlen des linken Paares blinkten blau-grün-rot-blau wie ein Christbaum in einem Einkaufszentrum. Solche Angeberschuhe trug nur Florim Popovich. Er war der Schlaueste der Dummen und damit der Boss der Affenhorde aus meiner Klasse. Das Paar rechts musste demnach seinem Freund Walter, auch »die Walze« genannt, gehören. Der folgte Florim immer wie ein Schatten. Außerdem hat sonst kein anderer Junge in der Unterstufe die Schuhgröße eines Yeti. Und das dritte, kleine, orange-gelbe Paar in der Mitte konnte ich zwar niemand Speziellem zuordnen, dafür aber umso besser die Stimme, die mich angesprochen hatte.
»Alles okay?«, wiederholte sie. Eine Tonlage im Mezzosopran, also etwas tiefer als hoch, in die sich ein hauchzartes Kratzen mischte. So klang nur Ada! Sie war die einzige meiner Klassenkameradinnen, die nicht wie ein Quietschentchen quiekte, um sich anderen mitzuteilen.
Wie soll man in so einer Situation die Würde bewahren? Ich sprang möglichst leichtfüßig auf und stammelte: »Ja ja, alles gut!« Mir fiel auf, dass niemand einfach zum Spaß im Dreck herumliegt, und setzte schnell hinzu: »Ich habe nur etwas gesucht. Die Zap… ähm … die Zeitung. Sie ist mir runtergefallen.« Dabei versuchte ich, nicht rot zu werden, was so natürlich erst recht nicht gelang. Um Adas Scanner-Blick von meinem Gesicht abzulenken, tippte ich mit dem Zeigefinger auf die Zeitungstüte. Nachrücker der Extraklasse – Ein deutscher Eishockeyprofi beim NHL-Allstar-Spiel. Darunter war ein Foto von irgendeinem Eishockeyspieler in seiner breitschultrigen Montur zu sehen, der stolz einen Pokal in die Höhe reckte.
»Ui, der Draisaitl hat schon wieder abgesahnt!«, sagte Ada mit Kennermine.
Florim riss mir daraufhin die Zeitung aus der Hand, um sich das Bild genauer anzuschauen. Dabei bemerkte er, dass ich eine Tüte daraus gefaltet hatte. Er schüttete den Inhalt in seine Handfläche und starrte ihn verdutzt an. »Drei Nüsse für Aschenblödel?«, fragte er schließlich mit einem dümmlichen Grinsen.
Die Walze lachte wie ein Baustellenfahrzeug dazu.
»Bravo, es wird ja noch mit dem Zählen«, lobte ich Florim. »Mit ein bisschen Übung schaffst du es zum Schuljahresende bis zehn.« Obwohl ich dafür ein Kichern von Ada erntete, hätte ich mir den Spruch vielleicht besser verkneifen sollen. Sofort ballte die Walze seine Fäuste und machte einen Schritt auf mich zu. Ich überlegte, wie ich den Angriff abwehren könnte. Aber Florim hielt seinen Freund am Arm zurück, bevor der auf mich losgehen konnte. »Lass das Würstchen in Ruhe, Walze, nur Dumme hauen.« Anscheinend wollte er vor Ada den Vornehmen spielen. Er füllte die drei Erlenzapfen zurück in die Tüte und warf sie mir zu. »Hier hast du deine Nüsschen für dein Abendessen wieder, du Eichhörnchen. Tschau Kakao.« Er wandte sich zum Gehen.
Ada sah mich an. »Aldo kann doch mit uns kommen!«, schlug sie vor und erklärte mir: »Florim will mit uns Mausoleen anschauen. Je mehr wir sind, desto lustiger wird es.«
Florim zog ein langes Gesicht. Er schien an meiner Begleitung nicht besonders interessiert zu sein. Ausnahmsweise war ich da ganz seiner Meinung. Wer wollte schon freiwillig mit ihm und der Walze über den Friedhof spazieren und Grabhäuser besichtigen?
»Wie kommt ihr denn auf so eine komische Idee?«, fragte ich zögernd.
Nun blähte sich Florim wie ein Ochsenfrosch auf und erklärte: »Mein Vater wird für unsere Familie auch ein Mausoleum errichten. Wie die Paläste von den ganzen Promis hier, Betti Ofen und Wolfi Motzer und so.« Er machte eine ausladende Geste über die prächtigen Grabmäler der berühmten Musiker, mit ihren Marmorsäulen, Bronzestatuen und Kupferdächern.
»Geil«, sagte die Walze.
»Damit wir genug Platz haben, müssen ein paar andere Gräber dran glauben. Für so ein Mausoleum bekommen normale Menschen übrigens gar keine Genehmigung«, gab Florim an.
»Dann ist es ja kein Wunder, dass ihr eine bekommt«, meinte ich.
»Genau!« Florim bemerkte anscheinend gar nicht, dass dies nicht als Kompliment gedacht gewesen war.
Aber Ada lachte sofort wieder wie die Glöckchen im Schlagwerk eines Orchesters.
Plötzlich hatte ich sehr große Lust, einen gemeinsamen Spaziergang mit ihr über den Friedhof zu machen. Selbst mit den beiden stumpfsinnigen Schimpansen im Schlepptau.
Ich schlenderte also neben ihnen her an den Ehrengräbern entlang. Um die Zeit von Allerheiligen wirkten sie wie die Werbeauslagen von Blumenläden. Es wurde langsam dämmerig und nun war schön zu sehen, wie viele künstliche und echte Kerzen hier leuchteten. Einzelne Schneeflocken segelten sanft vom Himmel. Vor der Grabsäule vom großen Komponisten Franz Schubert stand mitten in einem kleinen See aus Lichtern ein hagerer Mann, der so grau wirkte wie sein langer Wollschal. Es war einer von diesen Typen, die wahrscheinlich schon als griesgrämige Fünfzigjährige auf die Welt kommen und sich niemals verändern. Vorsichtig steckte er dem Engelchen eine frische Aster unter den steinernen Arm. Nicht weit von ihm entfernt hob ein Berner Sennenhund sein Hinterbein und pinkelte gegen eine Laterne. Ich kannte die beiden von Consuelos Würstchenbude. Dort strichen sie häufig herum und hofften wahrscheinlich auf Essbares.
»Hunde sind hier verboten!«, rief Florim dem Mann zu, hob einen Stein auf und warf ihn auf den Vierbeiner.
Ich spürte, wie Ada neben mir zusammenzuckte, als Florim ihn hart an der Flanke traf. Doch der Hund ließ sich vom Pieseln nicht abhalten, als ob er den Stein gar nicht gespürt hätte.
Dafür reagierte sein Besitzer mit einem bösem Knurren: »Und Kinder gehören generell verboten. Vor allem solche kleinen Klugscheißer. Braucht ihr eine Tracht Prügel? Könnt ihr gerne haben!«
Weil wir nicht wussten, ob er es ernst meinte, verdrückten wir uns schnell durch die Buchenhecken und liefen auf einem Nebenweg weiter. Florim machte Bilder mit seinem Smartphone von besonders protzigen Gräbern. »Krass, da hat einer ein Foto von sich und seinem Mercedes gepostet, schaut mal her!«, rief er uns zu sich. Tatsächlich war auf dem Grabstein ein Bild von einem glatt gegelten Heini mit Sonnenbrille und dickem Auto zu sehen. Ich fand das geschmacklos, doch Florim war hingerissen. »Das kann mein Tati auch so machen. Wir fahren nämlich Ferrari. Und ihr?«
»Wir fahren sogar Fahrradi«, sagte ich.
»Geil«, befand die Walze prompt.
»Nie gehört.« Florim glotzte mich misstrauisch an. »Was soll das sein?«
»Fahrradis sind so was wie Rennrettiche«, erklärte Ada mit einem zauberhaften Grinsen. Nun lachte ich laut heraus. Von Minute zu Minute fand ich Ada netter. Sie hatte nicht nur Haare wie frische Kastanien im Oktober sondern auch lustige Ideen hinter den Sommersprossen auf ihrer Stirn. Vielleicht musste ich meine Meinung über Mädchen noch mal überdenken.
»Was hast du eigentlich mit den Erlenzapfen da vor?« Ada tippte auf die Zeitungstüte in meiner Hand. Außer meiner Mutter wusste niemand von meinem Schlagzeug. Aber Adas Interesse wirkte so ehrlich, dass ich ihr, ohne zu zögern, davon erzählte.
Florim und die Walze prusteten sofort los. Die Anwesenheit der beiden hatte ich leider ganz vergessen.
Doch Ada ignorierte ihr Gelächter und sagte: »Schlagzeug ist so cool! Ich lerne Tuba. Wir können ja mal zusammen spielen. Aus was baust du die Maracas?«
Ich beschrieb ihr, wie ich die Rasseln zusammenbasteln wollte.
Feixend schrie Florim dazwischen: »Hast du gehört, Walze? Baby Aldo baut sich seine Rasseln, weil seine Mutter schon ihr ganzes Geld für seinen Schnuller ausgegeben hat! Rabäh, rabäh!«
»Geil!«, sagte die Walze.
Florim haute ihm mit der flachen Hand auf die Mütze. »Idiot, das ist nicht geil!«
»Nicht geil?«, wiederholte die Walze. »Was'n dann geil?«
»Geil ist es zum Beispiel, die richtigen Sneaker zu tragen«, erklärte Florim. Seine kindischen Schuhe blinkten wie zur Bestätigung grün auf. »Geil ist es, einen Vater zu haben, der sich einen Ferrari leisten kann«, fuhr er fort und starrte mich herausfordernd an. Weil ich immer noch nicht reagierte, setzte er eines drauf: »Und keinen, der die eigene Mutter beklaut.«
Er machte eine Pause, um die Wirkung seiner Worte abzuwarten. Natürlich hatte Florim genau das Richtige gesagt, um mich maßlos wütend zu machen. Aber das war ja auch seine Absicht gewesen. Ich war zwar groß und kräftig, aber alleine gegen zwei hatte ich natürlich keine Chance. Wenn ich nun zuerst auf ihn losging, würde nicht er, sondern ich als der dumme Haudrauf dastehen. Vor Ada wollte ich ihm diesen Triumph nicht gönnen. Also konzentrierte ich mich auf die Zeitungstüte in meinen Händen und buchstabierte die Schlagzeile rückwärts. rekcürhcaN red essalkartxE. Auf diese Weise konnte ich mich meistens beruhigen, wenn tief Durchatmen nicht mehr weiterhalf. Das war ein guter Tipp von Consuelo gewesen, den sie mir mal zu einer ihrer leckeren Bratwurstsemmeln gegeben hatte. nie rehcstued iforpyekcohsiE.
Florim merkte wohl, wie nah er an seinem Ziel war. »Aldo, du bist und bleibst ein Loser«, sagte er und grinste breit. Eine Schneeflocke wirbelte in die Lücke zwischen seinen Schneidezähnen und verschwand wie in der Einfahrt einer Geisterbahn. »Du wirst niemals im richtigen Club mitspielen. Du Loser.«
Ada tippte mit ihren Fingerspitzen besänftigend auf meinen Handrücken. Trotz der Kälte waren sie ganz warm. Ohne diese Berührung wäre ich jetzt wahrscheinlich wirklich auf Florim losgegangen, denn ich konnte ja nicht die ganze Zeitung rückwärts buchstabieren. Aber stattdessen tat ich noch etwas viel Dümmeres und log einfach drauflos: »Ich spiele schon längst in einem Club, von dem du nur träumen kannst, Florim Popovich.« Denn wie bereits erwähnt: Schlimmer geht eben immer!
11. November, 16:18 Uhr ∞
»Hast du gehört, Walze? Unser Loser spielt in einem coolen Club!« Florim stieß die Walze an. »Lass mich raten. Du bist Mitglied in der Uno-Abteilung beim Tatterverein Altenheim?«
Jetzt wäre vielleicht die Gelegenheit gewesen, noch einen Rückzieher zu machen. Aber die Walze hielt sich mit einer Hand Zeigefinger und Daumen im rechten Winkel als L für Loser an die Stirn, dann deutete er mit beiden Armen ein großes L an. Also sagte ich, ohne mit der Wimper zu zucken: »Knapp daneben ist auch vorbei. Ich bin Mitglied bei den Sea Lions«
»Boah! Geil!« Sofort ließ die Walze die Arme sinken.
Florim gab ihm wieder eines auf die Mütze. »Lass dich nicht vergackeiern, Alter«, sagte er, »Baby Aldo spielt niemals im Leben Eishockey. Der kann ja nicht mal ein Eis am Stiel halten.«
»Und warum sollte Aldo uns Quatsch erzählen?«, fragte Ada. Sie schaute mir direkt in die Augen. »Das würdest du nicht, oder?«
Wie konnte ich Ada da enttäuschen? Also setzte ich auf meine dreiste Lüge gleich noch eine drauf: »Übernächsten Sonntag tragen wir ein Freundschaftsspiel gegen die Red Noses in der Eissporthalle aus. Kommt doch und schaut zu!« Hier kam mir mein Kika-Wissen zugute. Da war nämlich kürzlich ein Beitrag über die U-13-Spieler der Sea Lions gezeigt worden, dem bekanntesten Eishockeyclub der Stadt.
»Seht ihr, es stimmt!« Ada wirkte beinahe erleichtert. »Eishockey ist der tollste Sport der Welt! Ich gebe den anderen Mädchen in der Klasse Bescheid. Die haben sicher Lust, dich anzufeuern!«
»Dann kommen wir Jungs natürlich auch«, sagte Florim, »Aldos Blamage will sich ja keiner entgehen lassen.«
»Geil!«, bestätigte die Walze. »Können wir jetzt endlich Angry Birds?«