Briefe der Liebe - Gerrit Engelke - E-Book

Briefe der Liebe E-Book

Gerrit Engelke

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Beschreibung

Briefe Gerrit Engelke's an seine Frau Annie Mai. "Wie diese Liebe anhub an den Ufern des Rheins, wie sie mit ihm zog in die Kaserne, in den Graben, in den Tod und sein einsames Leben mit einem letzten holden Schein umzauberte, das steht in diesem Buch der Liebe zu lesen". #weingeristmehrbuch

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Gerrit Engelke

Briefe der Liebe 

Impressum

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ISBN: 9783756219391

Public Domain

(c) mehrbuch 

Inhaltsverzeichnis
Impressum
Briefe der Liebe
Über den Autoren

Briefe der Liebe

Werteste, Sie sind ein prächtiger Mensch! Wenn ich verraten muß, daß Ihre frischfrommfröhlichfreie weibmenschliche Art einen entzückenden Eindruck auf mich gemacht, werden Sie nicht allzu verwundert sein darüber, daß ich Ihnen zusegle. Ich glaube mich nicht getäuscht zu haben, wenn ich denke, daß Sie der rechte Mensch sind, der eines verschlossenen Mannes offene Rede zu verstehen, würdigen und bewahren weiß. Es ist die norddeutsche Art von Natur her, daß die Zunge nicht sagen kann, was das Innere spricht. Sehen Sie, so per Distanz geht's besser.

Wir wollen alle leben! Miteinander.

Ist der nicht des Mitgefühls wert, den sein ganzes Ich zum Einsamsein zwingt? Viel sind der Bemühungen des Armausreckens zu den andern – doch was hilft's, wenn der Gegenhändedruck sich versagt und das eigne Innere sagt: wende dich um, wende dich wieder in dich. Und dennoch! Wir wollen alle leben miteinander.

Mehr noch als sonst, bin ich jetzt im auflösenden Kriege allein. Allein im Schützengraben, von der Welt abgeriegelt. Könnten Sie die weibweiche Ergänzung zu männlicher Härte, Bereicherung und Aufhebung der Einsamkeit sein – könnte ich von Ihnen als ein Geschenk das Versprechen Ihrer Mitteilsamkeit mit hinausnehmen – ich würde aufgelockerter und froher die Tage um mich fühlen.

– Wissen Sie, es hat keinen Zweck, schneckengleich Fühlhörner auszustrecken, schweifwedelnd oder gar schmeichelnd sich unwahr und geziert (geschniegelt) einander zu nähern – meine bärbeißig ernste Weise geht auf den Kern. Ich weiß schon, ganz können Sie sich ein Lächeln hierüber nicht verkneifen – trotzdem möchte Ihnen das Ohr ein wenig klingen und ein besinnliches Horchen im Innern aufkeimen.

Ich weiß, daß ich auf eigne Rechnung und Gefahr mich entblöße. (Als Nordländer.) Doch, ich wiederhole: Sie sind das Weib, die dies aufzunehmen und zu tragen weiß. Möchte Ihr Plaudern bald plätschern.

Mit dem Klang eines gewissen Lächelns im Ohre –

22. November 1917

Ihr Gerrit Engelke

*

Hannover, den 4. Dezember 1917

Werte Frau, also doch haben Sie geschrieben!

Verständlich wäre ein Schweigen bei Ihnen immerhin gewesen – und ich hätte mich wohl oder übel damit abfinden müssen. Nun freut es mich doch, daß es nicht so ist. Daß Sie erstaunten, ist begreiflich. Hätten Sie aber nicht den Mut, das Fremdgefühl hinter sich zu lassen? Spontane Güte zu sein? Schätzt man doch Weichheit und Güte des Weibes am meisten – so ist es dies auch, was mir fehlt.

Es wäre Schwätzerei und Ihnen auch (weil unverlangt) gar nicht willkommen, wollte ich jetzt sagen, warum mir hinter Ihrem Brief und seit jenem Tage, da ich Sie sah – Ihre Persönlichkeit menschlich und liebwert steht. Schreiben ist ja doch nur Notbehelf und unvollkommene Überbrückung räumlichen Getrenntseins, das Ideale wäre immer: Nachbarlichkeit miteinander und offener Austausch dessen, was sich auf die Zunge drängt, von Mund zu Mund. Geben Sie mir Ihre Hand und sagen Sie, daß Sie freundlich zu mir sein wollen. Welche Hand wäre berufener als die eines Weibes, Ballast von einer Seele zu wälzen. Kann doch die Frau zugleich sein: mütterlich und gleichgenossig. Lächeln Sie, wenn ich zuweilen das Kind in mir fühle, das die streichelnden Finger der Mutter auf dem Haar spüren möchte, tröstend und gut. Lächeln Sie nicht, wenn ich sage, daß ein Mann nicht aussprechen mag, wie er sich wieder und wieder sehnt nach einem Wesen, zu dem er gut sein könnte, sei es eine Blume, sei es ein treuer Hund oder ein Freund. Ein Weib aber wäre die Summe alles dessen.

Mein langjährigster und vertrautester Freund ist vor noch nicht langer Zeit gefallen. Ich brauche nicht zu sagen, welch ein Verlust das ist. Seien Sie nur nicht ungehalten oder erkältet, wenn ich das angestaute Gefühl auf Sie, die ich schätze und für würdig halte, unmittelbar und unbekümmert um Förmlichkeit, übertrage.

Übrigens werde ich vor Weihnachten nicht mehr ins Feld kommen! Morgen Mittwoch früh geht's zum Ersatz-Bataillon nach Düren (Rheinland). Hier in Hannover war's ziemlich nüchtern und öde. Wie sind doch die südlicheren Menschen ganz anders als dieser kalte Menschenschlag hier. Eine Stunde des Plauderns mit Ihnen wäre mir mehr gewesen als die sechs hier verbrachten Tage. Nun – hoffentlich sehen wir uns, sofern der Friede nicht mehr allzulange Verstecken spielt, bald einmal wieder.

Ihr Gerrit Engelke

*

Düren, den 14. Dezember 1917

Den Teufel auch! Wollte Ihnen noch allerlei sagen im letzten Brief – hab's vergessen – und nun sitz ich im Kantinenraum (der einzige geheizte Raum der Kaserne) und kann vor Geschwätz und Gerauch und Krakeelerei der jungen Rekruten, die ihre Abendsuppe löffeln, nicht zu Wort kommen. So nehmen Sie dies Blatt denn wenigstens als ein Zeichen des guten Willens und daß ich herzlich an Sie gedacht! Selbst durch unsere dicken Kasernenmauern dringt schon ein Ruch von Weihnachtsaufgeregtheit. Sela, Gott hab sie selig, die Hirten von Bethlehem – wir sind beim Kommiß, und hier heißt der Herrgott der preußische Weihnachten!

Allerdings: Kuchen soll's trotz alledem bei der Kompanie geben. Wie vermisse ich hier in fremder Stadt die Stuben der Bekannten – Tag und Nacht im Kasernenquadrat hocken – doch habe ich allen Grund, vergnügt und wirklich festlich gestimmt zu sein! Ein neues Licht fällt da herein, gibt der Welt einen neuen Schein – nämlich meiner Welt. Von wem anders könnte das unerwartete Licht kommen denn von Ihnen?

Also: Eben gab's Nudeln, Nudelsuppe – tadellos! Versteht sich: zwei »Schläge« – einen richtiggehend und einen so, das heißt ermogelt. Denn nur »ehrlich« währt beim Preußen am längsten. Hätten Sie mitlöffeln mögen, zierliches Persönchen?

Guten Abend! Es denkt an Sie

Gerrit Engelke

*

Düren, den 21. Dezember 1917

Liebe Mai S. Eben erfahre ich, daß ich schon heute auf Munitionstransport muß. Weihnachten auf der Bahn –, das ist eine schlechte Perspektive. Na – wer weiß, wozu es gut ist. Für Ihren lieben Brief, den ich gestern erhielt, schönsten Dank. Also auch Sie sind traurig, Sie kleine Frau – können Sie denn traurig sein? Trösten Sie sich mit mir diese Weihnachten, mir geht's nicht besser. Nun wünsche ich Ihnen ein schönes und ruhiges Fest! Nehmen Sie beiliegendes Gedicht in Ermangelung eines Bessern.

Ihr Gerrit Engelke

Frage

Nun Du! Du neuer Blick und Atem gegenüber – Dir zwing ich meine Lippen, weil ich muß Und sage:

Sieh mich an! Gesicht laß ruhen in Gesicht, Es geht nicht anders mehr.

Wo ist denn Schuld, Daß Stirne nun an Stirne stößt; Das Herz, das sonst in Einsamkeit hinfror, In taubem Kummer sich verlor, Im Drang die schwere Zunge löst, Ergriffen stürzt: Du Weib!

Schließ auf, schließ auf Den engen Ring, der meine Brust umpreßt! Der mich nicht atmen läßt, Der mich zum qualgepflügten Boden niederwarf, Sooft ich meine Stirn erhob – Du hast die Macht. Du brauchtest nur mit Deinem Finger An mein Herz zu rühren, Damit es wieder sehend würde: Und alle Türen, Horizonte, alle Himmel Sprängen offen mir entgegen: Ich schritte mächtig aus auf brausenden Wegen, Bestürmt und durchwellt, Zu neuem Lebensland! Zu Deinem Herzen in der Welt! Verbirgst Du Deine Hand?

Mai S. als Zeichen meiner Zuneigung Gerrit Engelke

*

Worringen, den 22. Dezember 1917

Liebe kleine Frau Mai, da sitz ich nun oben im Stellwerk und warte, daß mein Wagen Pikrinsäure ausrangiert wird. Das kann bei den jetzigen Verhältnissen einen Tag, kann auch zwei Tage dauern. Gestern und heute mußte ich in der Munitionsfabrik verweilen. (Dormagen bei Worringen, Köln.) Ich wurde das Gefühl eines merkwürdigen, taumelhaften innern Gespanntseins nicht los, solange ich in diesem riesigen Bezirk, angefüllt mit Laboratorien, Werkstätten, Feuerwachen usw., war. Es kam mir vor, als ob ich mit diesen tausend Arbeitern auf einer einzigen riesigen Mine herumtanzte, deren Zündung in irgendeines Unbekannten Händen läge. Und auf diesem überdeckten Vulkan: der Tanz der Menge ums goldene Kalb, die Jagd nach dem Golde. Die Nacht verbrachte ich neben belgischen Arbeitern in einer Baracke unter sechs wollenen Decken.

Vor dem Einschlafen dämmerte mir so etwas wie Erkenntnis auf. Dieses mein ewiges Unbefriedigtsein der letzten Jahre – es ist wohl der Übergang zum Mann. Die Jünglingsillusionen, so wenig und kurz sie waren, fallen langsam aber um so sicherer ab, und unmerklich fast treibt die Zeit einen in die nüchterne Klarheit des Mannesalters. Einem Unkundigen könnte es komisch vorkommen, daß ein Siebenundzwanzigjähriger so spricht. Aber ich bin schon von Kindheit an sehr frühreif gewesen und komme mir seit langem so vernünftig vor wie ein alter Mann. Bis dann ab und zu mal wieder irgendwie und durch irgendwen diese Vernunft glücklicherweise über den Haufen geworfen wird. – Da haben Sie wieder ein Stückchen Konfession.

Hören Sie, Mai, Sie müssen mir etwas von sich erzählen – von Ihrer Seele (die beim Weib Gefühl heißt). Ich habe so lange keine weichen Worte vernommen und sehne mich danach.

Gerrit Engelke

*

1. Weihnachtstag 1917

Liebe kleine Frau Mai, erhielt eben Ihren Brief vom 23. Aber hören Sie: ich mag nicht, daß man sich irgendwie um mich sorgt. Haben Sie doch sicher auch Ihre täglichen Sorgen. Ich bin ein fremder Mensch für Sie, der nichts beanspruchen kann und mag. Sehen Sie, ich habe einen breiten Rücken, der allerhand zu tragen versteht. Wir sitzen hier gemütlich beim Teepunsch in unserer Kasernenstube. Es schneit wie verrückt draußen. Großartig! Unsere Weihnachtsfeier gestern abend war ganz hübsch. Von der Kompanie war alles mögliche auf die Beine gestellt. Kuchenmänner, Äpfel, Taschentücher, Rauchbares und gutes Essen gab es genügend. Morgen abend gehe ich ins Konzert. Musik! Vor allen Dingen! Mehr noch als auf dies alles freue ich mich auf zehn Tage Urlaub, die ich wahrscheinlich am 28. erhalten werde. Ich hoffe bestimmt, Sie dann oder wann, hier oder da zu treffen! Auch nehme ich an, daß Sie nicht ausweichen werden. Ich freue mich auf eine Begegnung mit Ihnen. Haben Sie wirklich an mich gedacht? Daß ich's getan, brauch ich nicht zu sagen. Wie sollte ich schlecht von Ihnen denken, daß das Paketchen nicht kommt? Wie gut ich von Ihnen denke, mögen Sie daraus ersehen, daß ich Ihnen zur kleinen Freude ein anderes Gedicht abgeschrieben habe. (Könnte ich mich besser und dankbarer zeigen!) Ganz Ihr

Gerrit Engelke

*

2. Weihnachtstag 1917

Sie Liebe, ich weiß nicht recht, wie ich Ihnen danken soll für Ihren lieben Brief, der mich so glücklich gemacht. Wann hätte ich je ein solches »Ja« gehört. – Doch wie eigennützig muß ich mir selber vorkommen, da ich soviel von Ihnen erhalte – denn was gebe ich Ihnen? Wie werde ich mich freuen, wenn ich erst, als ein äußeres Dankzeichen, meinen Band, der bald erscheinen soll, in Ihre Hände legen kann. In Ermangelung von etwas Besserem. Ihre Aufforderung zu rückhaltloser Offenheit gibt mir Mut. Wie schön haben Sie das gesagt, daß der Verstand wohl, nicht aber der Geist dem Gefühl fremd ist – und daß durch Nachdenken erst Empfindungen gesteigert werden. Sind doch auch die besten Gefühle immer die innigernsten.

Ich habe den ganzen Tag, da ich Ihren Brief erhielt, Musik in mir gehört. Das kommt vom Freuen. Wann kann ich mich einmal recht wieder an Musik berauschen – wann die Alten, die ich so schätze, Rameau, Boccherini, Gluck ... wieder hören? Und – mit Ihnen. Ich liebe nichts mehr als Musik, und danach: das Meer, das Weib – die Grenzenlosen.

Lassen Sie mich Ihnen nochmals danken für den Brief, der mich so glücklich gemacht. Wohl habe ich einen Freund (der auch der Ihre ist) – doch wie löst sich so vieles aus dem Hin- und Herneigen männlicher Härte und weiblicher Weichheit vollkommener ins Licht.

9 Uhr abends. Komme eben vom Konzert zurück, und nun ich das erste Geschriebene übersehe, kommt es mir wie Stückwerk vor. Ich denke, es wird sich so manches besser und unbeschwerter sagen lassen, wenn ich nächstens Sie sehe.

Ihr Gerrit Engelke

*

29. Dezember 1917, abends

Liebe kleine Frau Annie, wie bin ich glücklich, Sie bei diesem Namen nennen zu dürfen, den Sie am liebsten hören. Ist es mir doch ein Zeichen für die Wärme Ihrer Zuneigung.

Der arme Junge hat nun, wie Sie aus zwei voraufgegangenen Briefen schon ersehen, die Weihnachtstage nicht auf der Güterbahn zubringen brauchen; er kam noch rechtzeitig zum Heiligen Abend zurück. Gott sei Dank. Für Ihre Teilnahme meinen Dank. Es ist mir aber wirklich noch nicht ganz recht, daß Sie sich um zwei Paketchen für mich mühten. Ich kann Ihnen recht nachfühlen, wie sehr Sie gerade zu Weihnachten Ihre Kinderchen vermissen. Sind doch auch die kindlichen Gemüter am empfindlichsten.

Am 28. bin ich nun unvermutet auf Urlaub gefahren und sitze nun seit dem Morgen des 29. hier im Diezer Mühlchen. Schloßmühle von Oranienstein bei Diez a.d. Lahn.

Nun seien Sie so lieb und bringen mir eine Freude in diese weiße Wintereinsamkeit – durch ein Zusammenkommen. Ich glaube, wir treffen uns am besten in Niederlahnstein. Was meinen Sie? Am 5. Januar morgens fahre ich von hier wieder ab.

Seien Sie nicht hartherzig, Annie-Mai.

Gerrit Engelke

*

2. Januar 1918, morgens

Annie, Du weißt, daß ich Dich lieb habe. Und wenn Du es nicht weißt, so mußt Du es gefühlt haben. Ich war so grenzenlos allein, als Du fortgefahren. Wen habe ich denn? So klammert sich nun alles, was mir ich heißt, an Dich. Wirf mich nicht fort! Sieh her, ich bin ein Kind – und lege meine Hand so gläubig in die Deine – – Ich rede wie ein Kind, und muß es doch. Ich war so glücktraurig gestern abend. Wann trage ich nicht mehr diese Mauer mit mir? Wann wird die Wärme ihre Hülle sprengen?

Immer denke ich an Dich. Wenn ich einschlafe, denke ich an Dich. Ehe es dämmert, bin ich wach und denke an Dich. Immer denke ich an Dich! Wie lange schon sage ich in meinen innersten Gedanken Du zu Dir. Sind wir nicht beide so sehr Menschen, daß es eigentlich nicht anders zu denken ist?

Ich hatte noch einen schönen Apfel in der Tasche, den solltest Du haben. Als ich zum Bahnhof komme, merke ich Tropf, daß ich ihn noch immer im Mantel habe. Könnte ich Dir etwas Liebes erweisen!

Wie endlos werden mir jetzt Zeit und Raum, die sich zwischen uns drängen, vorkommen. Wann seh ich Dich wieder – könntest Du hier sein, lange, den ganzen Tag, die ganze Woche – denn nur so könnte ich mich überwinden und auch äußerlich zu Dir hinwachsen. Hilf mir, daß das Leere zwischen uns weicht. Du kannst es. Entscheidung reift und fällt. So wie ich bin, will ich Dein sein. Kenntest Du mich ganz! Aber warte – im Frieden, da soll es schön werden. Da bin ich in Deiner Nähe. Unbedingt. Muß da nicht ein neuer Frühling werden? Wie lange bin ich in Ernst und Lieblosigkeit gegangen. Nun tut sich alles so merkwürdig auf, wie ein unbekanntes Fenster, durch das man mit einemmal ins Weite sieht.

Ich denke, Du streichelst mir wieder die Hand und sähest mich an.

Gerrit

*

2. Januar 1918, Nachmittag

Ich sitze heute den ganzen Tag im Sofa. Es ist so schön, dazusitzen und nur an Dich zu denken. Vom 2. Weihnachtstag-Konzert klingt mir noch immer Schubert-Goethes Musensohn im Ohr.

Ihr gebt den Sohlen Flügel Und treibt durch Tal und Hügel Den Liebling weit von Haus. Ihr lieben holden Musen, Wann ruh ich ihr am Busen Auch endlich wieder aus? –

Könnt ich in Deinem Arm mich ausweinen – ich tat es so lange nicht – einmal wieder den Schlamm vom Herzen spülen. Es wäre auch Glück.

Mir ist, als müßte alles anders werden, als müßte alles ein neues Gesicht bekommen. Als müßte jetzt alles Gute und Frohe in mir wieder aufatmen an Deiner Wärme.

Ich bin so voll von Dir, und habe Dich doch nicht, und muß Sehnsucht tragen. Annie – weit weg. Annie, wie lange wohl noch so – weit weg? Deine Augen waren so zärtlich matt – ich hätte sie küssen mögen.

Von den Bildern darfst Du eins behalten. Ja, sieh: so sah ich früher aus. Magst Du mich leiden?

2. Januar, abends

Toter Abend. Still. Ganz allein. Nun hab ich den ganzen Tag nichts anderes tun können als an Dich denken und schreiben. Aber, ich will Dir noch eins verraten, kleine Annie-Mai, wenn Du kühn genug und »schlecht« genug bist, darfst Du Dir die Bilder alle widerrechtlich aneignen.

Wann bekomme ich Dein Bild?

Liebe kleine Annie, Du mußt Dir etwas wünschen! Ich muß Dir etwas schenken! Sonst bin ich betrübt und böse!

Ganz Dein Gerrit

*

9. Januar 1918