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Sri Aurobindos grundlegendes und gewaltiges Lehrgebäude der Briefe in 4 Bänden erklärt in fundamentaler Weise die Lehre und Methode seines Yoga und greift Fragen der spirituellen Praxis auf. Nachdem sich Sri Aurobindo 1926 fast völlig von der Aussenwelt und vom persönlichen Kontakt mit seinen Schülern zurückgezogen hatte, forderte er diese auf, sich mit ihren Problemen und Fragen schriftlich an ihn zu wenden. So entstanden zwischen 1927-38 die Letters on Yoga ? Briefe, die in die Tausende gingen und jeden erdenklichen Aspekt des Integralen Yoga behandeln. Die Antworten auf Fragen seiner Schüler sind von eindrücklichster Klarheit und Unmittelbarkeit. Sie sprechen den spirituell Ausgerichteten an, interessieren durch Umfang und Vollständigkeit an vermitteltem Wissen den Intellektuellen und sind in ihrer Tiefe auch anderen von Nutzen.
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Seitenzahl: 786
Die Macht, die in diesem Yoga wirkt, ist von kompromissloser Art und duldet am Ende nichts Großes und nichts Kleines, wenn es der Wahrheit und ihrer Verwirklichung im Wege steht.
– Sri Aurobindo
(Die Untertitel stammen vom Übersetzer)
Impressum
DIE GÖTTLICHEN UND FEINDLICHEN MÄCHTE
I. Die Götter
II. Die Asuras
DER SINN DES AVATARS
WIEDERGEBURT
SCHICKSAL UND FREIER WILLE, KARMA, VERERBUNG USW.
I. Schicksal und freier Wille
II. Unsichtbare Kräfte
III. Das Opfer
IV. Gewalt und Nicht-Gewalt
V. Zeitgefühl
VI. Größe
VII. Pflanzen und Tiere
VIII. Humor
TEIL II - DIE SADHANA
DAS ZIEL DES INTEGRALEN YOGA
DIE SYNTHETISCHE METHODE UND DER INTEGRALE YOGA
DIE GRUNDVORAUSSETZUNGEN DES PFADES
I. Allgemeines
II. Wahrhaftigkeit
III. Streben
IV. Glaube
V. Hingabe und Bemühung
VI. Gnade
VII. Guru
VIII. Beharrlichkeit
DIE GRUNDLAGEN DER SADHANA
I. Das ruhige Mental
II. Stille, Ruhe und Schweigen
III. Friede
IV. Gleichmut
SADHANA DURCH ARBEIT
I. Karma-Yoga
II. Die Göttliche Arbeit
III. Das doppelte Bewusstsein bei der Arbeit
IV. Das Sich-Öffnen für die Kraft
V. Das Wirken der Kraft bei der Arbeit
VI. Die Einmischung des Mentals
VII. Die Läuterung durch die Arbeit
VIII. Ordnung und Disziplin bei der Arbeit
IX. Die richtige Handhabung der Dinge
SADHANA DURCH MEDITATION
I. Meditation und Konzentration
II. Der samadhi-Zustand
III. Japa und Mantra
SADHANA DURCH LIEBE UND HINGABE
I. Die göttliche und die menschliche Liebe
II. Bhakti und Anbetung
III. Bhakti-Emotion
IV. Bhakti und Glaube
MENSCHLICHE BEZIEHUNGEN IM YOGA
I. Liebe, Freundschaft und Wohlwollen
II. Der Umgang mit anderen
III. Der Wunsch zu helfen
IV. Vitaler Austausch
SADHANA IM ASHRAM UND AUSSERHALB DES ASHRAMS
I. Der Ashram
II. Die Arbeit im Ashram
III. Die Sadhaks des Ashrams
IV. Regel und Disziplin im Ashram
V. Die Rückkehr in das Welt-Leben
VI. Sadhana im Leben der Welt
ANHANG
Zu den Briefen Sri Aurobindos
Zeittafel
Glossar
Zweite durchgesehene Auflage 1989 Copyright 1979 bei Sri Aurobindo Ashram Trust, Pondicherry
Titel der englischen Ausgabe: „Letters on Yoga“ Autorisierte deutsche Übersetzung: Elisabeth Beck
ISBN 81-7058-145-1
Verlag: Sri Aurobindo Ashram, Publication Department, Pondicherry 605002
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Deutsche E-Book Ausgabe: Briefe über den Yoga Bd. II Die Sadhana
Erste Auflage Februar 2014 Zweite überarbeitete Auflage Februar 2015
ISBN 978-3-937701-23-3
© 2014 Verlag Wilfried Schuh
Sri Aurobindo Digital Edition
Unwissenheit bedeutet avidya, das trennende Bewusstsein und das egoistische Mental und Leben, die aus ihm hervorgehen, sowie alles übrige, das diesem trennenden Bewusstsein und egoistischen Mental und Leben eigen ist. Diese Unwissenheit ist das Ergebnis einer Bewegung, durch die sich die kosmische Vernunft vom Licht des Supramentals (der Göttlichen Gnosis) trennte und damit die Wahrheit verlor – die Wahrheit des Seins, die Wahrheit des göttlichen Bewusstseins, die Wahrheit der Kraft und Tat, die Wahrheit des Ananda. Die Folge davon ist, dass wir an Stelle einer Welt integraler Wahrheit und göttlicher Harmonie im Licht der göttlichen Gnosis eine Welt errichtet haben, die auf den Teilwahrheiten einer niedrigeren kosmischen Vernunft beruht, in welcher alles eine halbe Wahrheit und ein halber Irrtum ist. Sie wurde von Denkern der Vergangenheit, wie Shankara, die die größere Wahrheits-Kraft dahinter nicht wahrnahmen, als Maya stigmatisiert in der Meinung, es sei die höchste schöpferische Macht des Göttlichen. Im Bewusstsein dieser Schöpfung ist alles entweder begrenzt oder aber durch die Trennung vom integralen Licht entstellt; selbst die Wahrheit, die sie erkennt, ist nur ein Halb-Wissen. Daher wird sie die Welt der Unwissenheit genannt.
Falschheit hingegen ist nicht diese avidya, sondern ihr extremstes Ergebnis. Sie wird von einer asurischen Macht geschaffen, die sich in diese Schöpfung einmischt, und ist nicht nur von der Wahrheit getrennt und daher in ihrem Wissen begrenzt und dem Irrtum offen, sondern befindet sich auch im Aufruhr gegen die Wahrheit oder aber ergreift diese lediglich, um sie zu entstellen. Diese Macht, die dunkle asurische Shakti oder rakshasische Maya gibt ihr entstelltes Bewusstsein als das wahre Wissen aus und seine vorsätzlichen Verzerrungen oder Verdrehungen der Wahrheit als die eigentliche Wirklichkeit der Dinge. Die Mächte und Personalitäten dieses entstellten und entstellenden Bewusstseins nennen wir feindliche Mächte oder feindliche Kräfte. Und wann immer diese Entstellungen, die sie aus dem Stoff der Unwissenheit schaffen, von ihnen als die Wahrheit der Dinge ausgegeben werden, bezeichnet man es im yogischen Sinn als Falschheit, mithya, moha [Lüge oder Täuschung].
Diese sind Kräfte und Wesen, die danach trachten, die Falschheiten, die sie in der Welt der Unwissenheit erschufen, aufrechtzuerhalten und sie als die Wahrheit auszugeben, der die Menschen zu folgen haben. In Indien werden sie asuras, rakshasas, pishachas genannt (Wesen des jeweilig mentalisierten Vitals, des mittleren Vitals und der niederen vitalen Ebenen), die sich in Widerstreit mit den Göttern, den Mächten des Lichtes, befinden. Auch sie sind Mächte und auch sie haben ihr kosmisches Feld, in dem sie ihre Herrschaft und Tätigkeit ausüben; einige von ihnen waren einst göttliche Mächte (die früheren Götter, purve devah, wie sie im Mahabharata genannt werden), die durch ihr Aufbegehren gegen den göttlichen Willen, der hinter dem Kosmos steht, der Dunkelheit anheimfielen. Das Wort „Erscheinungen“ bezieht sich auf die Formen, die sie annehmen, um die Welt zu beherrschen – Formen, die oft falsch sind und immer die Falschheit verkörpern, manchmal auch pseudo-göttliche Formen.
Der Gebrauch des Wortes Macht wurde bereits erklärt – es kann für alles oder jeden angewendet werden, der eine bewusste Macht im kosmischen Bereich ausübt und über Weltbewegungen oder einige Bewegungen in der Welt gebietet. Doch die vier, von denen du sprichst, sind ebenfalls Shaktis2, Manifestationen verschiedener Mächte des Höchsten Bewusstseins und der Höchsten Kraft, der Göttlichen Mutter, durch die sie im Universum herrscht und wirkt. Und gleichzeitig sind sie göttliche Personalitäten; denn eine jede ist ein Wesen, das verschiedene Eigenschaften und persönliche Bewusstseinsformen der Gottheit manifestiert. Alle größeren Götter sind solcherart Personalitäten des Göttlichen – ein Bewusstsein, das in vielen Personalitäten spielt, ekam sat bahudha. Selbst im menschlichen Wesen gibt es viele Personalitäten und nicht nur eine, wie man früher annahm; denn alles Bewusstsein kann gleichzeitig eins und vielfach sein. „Mächte und Personalitäten“ bezeichnet einfach verschiedene Aspekte des gleichen Wesens; eine Macht muss nicht unbedingt apersönlich sein und mit Sicherheit ist sie nicht avyaktam, nichtmanifest, wie du vermutest –, im Gegenteil, sie ist eine Manifestation, die in den Welten der göttlichen Manifestation wirkt.
Emanationen stimmen mit der Beschreibung der matrikas in deinen Briefen überein. Eine Emanation der Mutter ist ein Teil ihres Bewusstseins und ihrer Macht, der, aus ihr hervorgebracht, in enger Verbindung mit ihr gehalten wird, solange er am Weltenspiel teilhat, der aber in seinen Ursprung zurückkehrt, sobald sein Spiel nicht länger benötigt wird; er [dieser Teil oder die Emanation] kann jedoch immer wieder hervorgebracht und im Spiel tätig werden. Doch kann der ihn haltende Verbindungsfaden ebenfalls gelöst oder gelockert werden und das, was als Emanation hervortrat, als ein unabhängiges göttliches Wesen auf seinem Weg und mit seinem eigenen Spiel in der Welt weitergehen. Alle Götter können solche Emanationen aus ihrem Wesen hervorbringen, die in ihrem essentiellen Bewusstsein und ihrer Macht mit ihnen identisch aber nicht gleich sind. In gewisser Weise kann man sagen, dass das Universum selbst eine Emanation des Höchsten ist. Im Bewusstsein des Sadhaks wird eine Emanation der Mutter gewöhnlich die Erscheinungsform und den Charakter annehmen, mit denen er vertraut ist.
In gewisser Weise können die vier Mächte der Mutter [Maheshvari, Mahakali, Mahalakshmi, Mahasarasvati] aufgrund ihres Ursprungs ihre Emanationen genannt werden – genau wie man die Götter als die Emanationen des Göttlichen bezeichnen kann –, doch sind sie ihrem Charakter nach beständiger und fixierter; sie sind unabhängige Wesen, deren Spiel die AdyaShakti zustimmt, und dennoch Teile der Mutter, der Mahashakti; diese kann sich durch sie immer entweder als getrennte Wesen manifestieren oder sie als ihre eigenen verschiedenen Personalitäten zusammenfassen und in sich halten, manchmal im Hintergrund, manchmal im Spiel – wie es ihr gefällt. Auf der supramentalen Ebene sind sie immer in ihr und handeln nicht unabhängig, sie sind die inneren [Wesens-] Teile der supramentalen Mahashakti und stehen in enger Verbindung und Harmonie untereinander.
Diese vier Mächte sind die kosmischen Gottheiten der Mutter, die sich immer im Weltenspiel befinden; sie gehören zu den größeren kosmischen Gottheiten, was in der Bemerkung zum Ausdruck kommt, dass die Mutter als Maha-Shakti der dreifachen Welt „über den Göttern steht“ (auf der Obermental-Ebene). Die Götter sind wie gesagt in ihrem Ursprung und ihrer Essenz ständige Emanationen des Göttlichen, die der Höchste durch die Transzendente Mutter, die Adya Shakti, hervorbringt; in ihrem kosmischen Wirken sind sie Mächte und Personalitäten des Göttlichen, und jeder von ihnen hat seinen selbständigen kosmischen Rang sowie seine Aufgabe und Arbeit im Universum. Sie sind keine apersönlichen Wesenheiten, sondern kosmische Personalitäten, obwohl sie sich gewöhnlich hinter den Bewegungen von apersönlichen Kräften verbergen oder verbergen können. Doch während sie im Obermental und in der dreifachen Welt der Unwissenheit als unabhängige Wesen erscheinen, kehren sie im Supramental in den Einen zurück und sind dort in einem einzigen harmonischen Wirken als vielfache Personalitäten in der einen Person vereint, im Göttlichen Purushottama.
Das Wort „Gegenwart“ soll das Gefühl und die Wahrnehmung des Göttlichen als ein Wesen zum Ausdruck bringen, das im Dasein und Bewusstsein des Menschen als gegenwärtig oder damit in Beziehung stehend empfunden wird, ohne dass die Notwendigkeit einer weiteren Bestimmung oder Beschreibung besteht. Daher kann man von der „unsäglichen Gegenwart“ nur soviel sagen, dass sie vorhanden ist, und nichts weiteres kann oder braucht darüber gesagt werden; gleichzeitig aber weiß man, dass sie alles enthält, Personalität und Apersonalität, Macht und Licht und Ananda usw., und dass all dies jener unbeschreiblichen Gegenwart entspringt. Das Wort mag manchmal in einem weniger absoluten Sinn gebraucht werden, doch das ist immer die grundlegende Bedeutung – die essentielle Wahrnehmung der essentiellen Gegenwart, die alles übrige stützt.
Sie ist es, die die Adya Shakti genannt wird; sie ist das Höchste Bewusstsein, die Höchste Macht über dem Universum, und durch sie werden alle Götter manifestiert; selbst der supramentale Ishvara gelangt durch sie in die Manifestation – der supramentale Purushottama, dessen Mächte und Personalitäten die Götter sind.
1 Dieser Brief wurde geschrieben, um gewisse Ausdrücke in dem Buch „Die Mutter“ zu erklären.
2 Maheshvari, Mahakali, Mahalakshmi, Mahasarasvati.
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Natürlich existieren die Götter – das heißt, es gibt Mächte, die über der Welt stehen und das göttliche Wirken vermitteln. Das physische Mental ist es, das sie leugnet und nur an das glaubt, was physisch ist. Es gibt auch Wesen anderer Welten – Götter und asuras usw.
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Götter gibt es überall, auf allen Ebenen.
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Nicht die Götter sind der dynamische Aspekt des Göttlichen, sondern der Höchste Brahman ist es. Die Götter sind Personalitäten des dynamischen Göttlichen. Du tust, als ob die Evolution die einzige Schöpfung sei; die Schöpfung oder Manifestation ist sehr weit und enthält viele Ebenen und Welten, die vor der Evolution bestanden, alle von unterschiedlichem Charakter und mit unterschiedlichen Arten von Wesen. Die Tatsache, dass sie vor der Evolution bestanden, macht sie nicht undifferenziert. Die Welt der asuras ist älter als die Evolution, ebenso die Welten der mentalen, vitalen oder feinstofflichen devas – doch all diese Welten sind voneinander verschieden. Die großen Götter gehören der Obermental-Ebene an; im Supramental sind sie als Aspekte des Göttlichen vereint, doch auf der Obermental-Ebene erscheinen sie als getrennte Personalitäten. Jede Gottheit kann durch eine Emanation auf die physische Ebene herabkommen und sich mit der Entwicklung eines Menschenwesens assoziieren, zu dessen Form der Manifestation sie sich hingezogen fühlt. Diese Dinge jedoch können vom Mental nicht ohne weiteres verstanden werden, denn das Mental hat von der Personalität eine zu starre Vorstellung – das Problem hört erst dann auf zu bestehen, wenn man in ein plastischeres Bewusstsein über sich eintritt, in dem man der Erfahrung des Einen in allen und von allem in Einem näher ist.
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Das Obermental ist nichts Schlechtes – die niederen Kräfte, die vom Obermental beeinflusst werden, sind es, die seine Formen entstellen.
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In ihrem Herabkommen beginnt die Falschheit im Mental, doch es ist schwer zu sagen, wo sie in ihrem evolutionären Anstieg beginnt – denn hier besteht der Anfang aus Unbewusstheit und Unwissenheit; doch vermutlich kann man behaupten, dass die bewusste Falschheit mit den Anfängen eines Mentals beginnt, das noch mit dem Leben verflochten ist oder sich gerade daraus erhebt.
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Die Götter befinden sich im universalen Selbst – wenn man sich mit dem universalen Selbst identifiziert, kann man ihre Gegenwart fühlen. Dort findet auch die Erfahrung des Mikrokosmos statt (das Universum in einem selbst), worin alles, was im Makrokosmos besteht (das größere Universum), vorhanden ist. All diese Dinge müssen erfahren und erkannt werden, und so muss man sie auffassen. Man sollte ihnen keine persönliche Bedeutung beimessen.
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Nochmals, was stellst du dir unter der Seele vor? Meine Behauptung sollte lediglich ausdrücken, dass es kein Dasein gibt, das nicht von etwas Göttlichem dahinter gestützt wird. Das Wort Seele aber hat je nach dem Zusammenhang verschiedene Bedeutungen; es kann der Purusha sein, der die Gestaltungen der Prakriti stützt – das, was wir das Sein nennen, obwohl das richtige Wort dafür „das Werden“ wäre; es kann aber auch speziell das seelische Wesen in einem evolutionären Geschöpf wie dem Menschen bedeuten; es kann der göttliche Funke sein, der in die Materie durch die Herabkunft des Göttlichen in die stoffliche Welt gelangte und hier alle sich entwickelnden Gestaltungen aufrechterhält. Es gibt kein seelisches Wesen in einem nicht-evolutionären Geschöpf wie dem asura, und kann auch keines geben, ebensowenig in einem Gott, der es für sein Dasein nicht braucht. Im Gott jedoch gibt es einen Purusha und eine Prakriti oder die Energie der Natur dieses Purusha. Wenn ein Wesen der fixierten Welten sich entwickeln will, muss es zur Erde herabkommen, einen menschlichen Körper annehmen und willens sein, an der Evolution teilzuhaben. Die vitalen Wesen wollen aber diese Zustimmung nicht erteilen und versuchen daher, den Menschen zu besitzen, damit sie die Stofflichkeit des physischen Lebens genießen können, ohne die Bürde der Evolution auf sich zu nehmen oder sich dem Vorgang der Wandlung, in dem diese ihren Höhepunkt erreicht, zu unterziehen. Ich hoffe, dies ist soweit klar und löst das Problem.
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Die drei Stadien, von denen du sprichst, sind keine Stadien der Evolution, sondern der Involution des Göttlichen in der Materie. Die Entwicklung der Götter und asuras findet nicht in der Materie statt; für ein typgebundenes Wesen ist nur ein Purusha mit seiner Prakriti notwendig – dieser Purusha kann zu seiner Vertretung einen mentalen und vitalen Purusha hervorbringen, und entsprechend seiner Zentrierung gehört er dann der mentalen und vitalen Welt an. Das ist alles.
Es gibt nirgendwo eine essentielle Verschiedenheit, denn alles ist grundlegend das essentielle Göttliche – die Verschiedenheit liegt in der Manifestation. Praktisch kann man es so formulieren, dass der Jivatman einer der göttlichen Vielen ist und auf dem Einen beruht, während der Atman der Eine ist, der die Vielen stützt. Das seelische Wesen verschmilzt nicht mit dem Jivatman, es eint sich mit ihm, so dass kein Unterschied besteht zwischen dem ewigen Wesen, das die Manifestation von oben stützt, und dem gleichen Wesen, das die Manifestation von innen stützt, denn die Seele hat durch dieses voll das Spiel des Göttlichen erkannt. Das was Verschmelzung genannt wird, findet im Göttlichen Bewusstsein dann statt, wenn der Jivatman sich so sehr eins mit dem Göttlichen fühlt, dass nichts anderes mehr besteht.
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Die Götter können zwar nicht umgewandelt werden, da sie typengebundene und keine evolutionären Wesen sind, sie können sich aber ändern, das heißt ihre eigene Vorstellung und Anschauung der Dinge aufgeben und sich dem höheren Willen und der supramentalen Wahrheit des Göttlichen unterwerfen.
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Die feindlichen Kräfte bestehen tatsächlich und sind der yogischen Erfahrung in Asien seit den Tagen des Veda und Zarathustra (den ägyptischen Mysterien und der Kabbala) und auch seit alten Zeiten in Europa bekannt. Diese Dinge können natürlich nicht gefühlt oder verstanden werden, solange man im gewöhnlichen Mental mit seinen Ideen und Wahrnehmungen lebt; denn dort gibt es nur zwei erkennbare Kategorien von Einflüssen, einmal die eigenen Ideen, Gefühle und Taten sowie die der anderen und dann die Einwirkung der Umgebung und der physischen Kräfte. Wenn man jedoch einmal zur inneren Anschauung der Dinge gelangt ist, sieht es anders aus. Man beginnt die Erfahrung zu machen, dass alles ein Wirken von Kräften ist, von Kräften der Prakriti, psychologischen und physischen, die mit unserer Natur spielen – und es sind bewusste Kräfte oder sie werden von einem Bewusstsein oder mehreren Arten von Bewusstsein hinter ihnen gestützt. Man steht inmitten eines großen universalen Wirkens und kann keinesfalls weiterhin alles als das Ergebnis der eigenen, alleinigen und selbständigen Persönlichkeit betrachten. Du hast selbst einmal geschrieben, dass deine Krisen der Verzweiflung usw. über dich gekommen wären, als hätte man sie auf dich geworfen, und dass sie sich selbst ausarbeiteten, ohne dass du in der Lage gewesen wärst, sie zu beherrschen oder ihnen ein Ende zu bereiten. Das bedeutet das Wirken von universalen Kräften und nicht etwa ein unabhängiges Wirken deiner eigenen Persönlichkeit – obwohl es tatsächlich etwas in deiner Natur gibt, wovon sie Gebrauch machen. Aus dem oben angeführten Grund aber bist du dir der Herkunft dieser Einmischung und dieses Druckes nicht bewusst. Jene, die die innere Schau auf der vitalen Ebene entwickelten, verfügen über eine reiche Erfahrung der feindlichen Kräfte. Dennoch brauchst du dich nicht selbst mit ihnen zu befassen, solange sie inkognito bleiben.
Auf der mentalen Ebene kann man Erfahrungen ohne dieses Wissen haben; denn dort herrschen der Verstand und die Idee, und man empfindet das Spiel der Kräfte nicht – nur im Vital vermag man es zu erkennen. Auf der Mental-Ebene manifestieren sie sich höchstens als mentale Suggestionen, nicht aber als konkrete Mächte. Wenn man diese Dinge nur mit dem Mental betrachtet, kann man zwar (auch wenn es das innere Mental wäre) das subtile Spiel der Naturkräfte erkennen, nicht aber die bewusste Absicht, die wir feindlich nennen.
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Sicher, für das Erdbewusstsein ist die reine Tatsache der Manifestation des Göttlichen die größte aller Herrlichkeiten. Betrachte diese Finsternis hier und stelle dir vor, wie es wäre, wenn das Göttliche nicht unmittelbar eingreifen, wenn das Licht des Lichtes nicht aus dieser Finsternis hervorbrechen würde – und das ist der Sinn der [göttlichen] Manifestation.
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Eine Inkarnation ist das Göttliche Bewusstsein und Wesen, das sich durch einen Körper manifestiert. Sie ist von jeder Ebene aus möglich.
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Es ist das allgegenwärtige kosmische Göttliche, welches den Ablauf des Universums stützt; eine Inkarnation mindert nicht im geringsten die kosmische Gegenwart und das kosmische Wirken in den drei oder dreißig Millionen Universen.
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Die herabkommende Macht (avatar, das Göttliche, das sich in einem Menschen manifestiert) wählt selbst Ort, Körper und Zeit für ihre Manifestation.
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Der avatar wird gebraucht, wenn eine besondere Arbeit verrichtet werden muss, sowie in den Krisen der Evolution. Der avatar ist eine besondere Manifestation, sonst wirkt das Göttliche innerhalb der normalen menschlichen Grenzen als ein vibhuti.
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Das Phänomen des avatars hat zwei Seiten, das Göttliche Bewusstsein und die ausführende Persönlichkeit. Das Göttliche Bewusstsein ist allmächtig, es hat aber die ausführende Persönlichkeit in der Natur unter den Bedingungen der Natur hervorgebracht und gebraucht sie entsprechend den Regeln des „Spiels“ – manchmal allerdings verändert es auch die Regeln des „Spiels“. Wenn Avatarschaft nur ein aufleuchtendes Wunder ist, kann ich nichts damit anfangen. Wenn sie dagegen fester Bestandteil der Ordnung des allmächtigen Göttlichen in der Natur ist, kann ich sie verstehen und akzeptieren.
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Ich sagte, dass der avatar jemand ist, der der Menschheit den Weg zu einem höheren Bewusstsein ebnet – wenn niemand diesem Weg zu folgen vermag, dann fassen wir die ganze Sache entweder falsch auf – und auch die von Christus, Buddha und Krishna –, oder das Leben des avatars ist sinnlos. X scheint der Ansicht zu sein, es gäbe keinen Weg und keine Möglichkeit, dem avatar zu folgen, und seine Kämpfe und Leiden seien unwirklich und unsinnig – jemand, der das Göttliche verkörpert, hätte es nicht nötig, hier zu kämpfen. Eine solche Auffassung lässt die ganze Idee des avatars widersinnig erscheinen, denn es bestünde demnach für sein Dasein keine Notwendigkeit, und dieses hätte auch keinen Sinn; das Göttliche, das allmächtig ist, könnte die Menschen erheben ohne sich damit abzugeben, auf die Erde herabzukommen. Die Avatarschaft aber hat nur dann einen Sinn, wenn es [das Göttliche] ein Teil der Weltordnung ist, wenn es die Bürde der Menschheit auf sich nimmt und ihr den Weg auftut.
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Man erwartet von einem avatar nicht, dass er in einer nichtmenschlichen Weise handelt – er nimmt das menschliche Tun an und gebraucht menschliche Methoden mit dem menschlichen Bewusstsein im Vordergrund und dem göttlichen dahinter. Wenn er dies nicht täte, hätte sein Annehmen eines menschlichen Körpers keine Bedeutung, und es wäre für niemanden: von Nutzen. Er hätte genauso gut oben bleiben und die Dinge von dort aus tun können.
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Jedes Mal wenn die Seele in eine Geburt eintritt, wird ein Mental, Leben und Körper aus den Substanzen der universalen Natur geformt, die der vergangenen Evolution der Seele sowie ihrem Erfordernis für die Zukunft entsprechen.
Sobald der Körper sich auflöst, wandert das Vital zur vitalen Ebene, um dort eine Zeitlang zu bleiben, dann fällt die vitale Hülle ab. Schließlich zieht sich die Seele oder das seelische Wesen in die seelische Welt zurück, um dort zu ruhen, bis eine neue Geburt naht.
Das ist der allgemeine Verlauf für ein normal entwickeltes menschliches Wesen. Es gibt jedoch Abweichungen, die der individuellen Natur und ihrer Entwicklungsstufe entsprechen. So kann zum Beispiel das mentale Wesen, wenn das Mental stark entwickelt ist, [bei der Seele] bleiben und ebenso das Vital, vorausgesetzt sie sind um das wahre seelische Wesen geordnet und um dieses zentriert – sie teilen dann die Unsterblichkeit der Seele.
Die Seele sammelt die essentiellen Elemente ihrer Erfahrungen im Leben und macht sie zur Grundlage ihres Wachsens in der Evolution; sobald sie in das Leben zurückkehrt, nimmt sie mit ihren mentalen, vitalen und physischen Hüllen so viel karma auf, wie sie im neuen Leben zur weiteren Erfahrung braucht.
Es ist eigentlich der vitale Teil des Wesens, für den sraddha und Riten abgehalten werden, und dies geschieht, um dem Wesen zu helfen, sich von den vitalen Schwingungen zu befreien, die es noch an die Erde oder die vitalen Welten binden, so dass es rasch zu seiner Ruhe im seelischen Frieden gelangen kann.
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Was ich sagte, bezog sich lediglich auf die Zeremonien – auf die Riten. Ich meinte nicht, Kastenangehörige oder Brahmanen zu speisen, was weder ein Ritus noch eine Zeremonie ist. Ob sraddha, so wie es abgehalten wird, tatsächlich wirksam ist, ist eine andere Frage, denn diejenigen, die es abhalten, haben weder Wissen noch okkulte Macht.
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Die Seele, nachdem sie den Körper verlassen und bestimmte Erfahrungen in anderen Welten gesammelt hat, wirft ihre vitalen und mentalen Persönlichkeiten ab und tritt in einen Ruhezustand ein, um die Essenz ihrer Vergangenheit zu assimilieren und sich für ein neues Leben vorzubereiten. Diese Vorbereitung bestimmt die Umstände der neuen Geburt und leitet die Seele bei ihrer Wiederherstellung einer neuen Persönlichkeit und der Wahl ihrer Substanzen.
Die abgeschiedene Seele bewahrt die Erinnerung ihrer vergangenen Erfahrungen nur in der Essenz, nicht aber in Form von Einzelheiten. Nur wenn die Seele eine vergangene Persönlichkeit oder verschiedene vergangene Persönlichkeiten zurückbringt und als einen Teil in ihre gegenwärtige Manifestation mit einbezieht, ist es wahrscheinlich, dass man sich der Einzelheiten des vergangenen Lebens erinnert. Andernfalls kann man allein durch yogadrsti [die yogische Schau] zu einer Erinnerung kommen.
Der Karana-Purusha ist das, was von uns das zentrale Wesen genannt wird, der Jiva. Er steht über dem Spiel und erhält es immer aufrecht.
Es kann scheinbar rückläufige Bewegungen geben, doch sind dies nur Zick-Zack-Bewegungen, kein wirkliches Zurückfallen; es ist eine Rückkehr zu etwas, das noch nicht verarbeitet ist, damit man dann umso leichter vorwärtsschreiten kann. Nicht die Seele ist es, die zum Tierzustand zurückkehrt, es ist vielmehr ein Teil der vitalen Persönlichkeit, der sich ablösen und in eine Tiergeburt eintreten kann, um dort seine Tierneigungen auszuarbeiten.
An dem allgemeinen Glauben, dass ein habgieriger Mensch zu einer Schlange wird, ist nichts Wahres. Das ist volkstümlich romantischer Aberglaube.
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Die Seele durchwandert nach dem Verlassen des Körpers verschiedene Zustände oder Ebenen, bis das seelische Wesen seine zeitweiligen Hüllen abgeworfen hat; darauf erreicht sie die seelische Welt, wo sie in einer Art Schlaf ruht, bis sie für die Wiedergeburt bereit ist. Das, was sie von der menschlichen Erfahrung bewahrt, ist letzten Endes nichts als die Essenz all dessen, was sie erlebte und für ihre Entwicklung braucht. Dies ist die allgemeine Regel, die aber nicht für Ausnahmefälle oder für sehr entwickelte Wesen gilt, die ein größeres Bewusstsein als das der gewöhnlichen menschlichen Ebene erreicht haben.
Nicht die Seele nimmt eine geringere Form an, sondern ein Teil des manifestierten Wesens, meist ein Teil des Vitals, und zwar aufgrund eines Begehrens, einer gegenseitigen Anziehung oder dem Erfordernis einer bestimmten Erfahrung. So etwas widerfährt durchschnittlichen Menschen ziemlich häufig.
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Beim Tod verlässt das Wesen den Körper durch den Kopf; es tritt in den feinstofflichen Körper ein und begibt sich für kurze Zeit zu verschiedenen Daseinsebenen, um bestimmte Erfahrungen zu durchlaufen, die das Ergebnis seines Erdendaseins sind. Dann erreicht es die seelische Welt, wo es in einer Art Schlaf ruht, bis es Zeit ist, ein neues Leben auf Erden zu beginnen. Das ist der gewöhnliche Ablauf, den jedoch entwickeltere Wesen nicht einzuhalten brauchen.
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Deine Auszüge sind für sich genommen sehr eindrucksvoll, wenn man jedoch das Buch liest, vermindert sich der entstandene Eindruck und schwindet schließlich dahin. Du führst Cheiros Erfolge an, wie aber steht es mit seinen Misserfolgen? Ich habe das Buch durchgesehen und war ziemlich verblüfft über die Zahl der Weissagungen, die sich nicht erfüllten. Du kannst aus einer kleinen Zahl von Prophezeiungen, wie genau auch immer sie gewesen sein mögen, nicht schließen, dass alles vorherbestimmt ist, einschließlich deiner Frage in dem Brief und meiner Antwort. Das kann so sein, doch reichen die Tatsachen nicht aus, um es zu beweisen. Ganz offensichtlich gibt es im Ablauf der Ereignisse ein Element des Vorhersagbaren – und zwar sowohl genau und im einzelnen als auch in großen Zügen vorhersagbar. Dies aber war bereits bekannt und lässt die Frage weiterhin ungelöst, ob alles vorhersagbar ist, ob Schicksal der einzige Faktor im Dasein ist oder ob es noch andere Faktoren gibt, die es modifizieren können; oder aber, wenn wir das Schicksal als gegeben annehmen, ob es nicht andere Quellen, Mächte oder Ebenen des Schicksals gibt und wir jenes Schicksal, mit dem wir begannen, ändern können, indem wir eine dieser anderen Quellen, Mächte oder Ebenen herbeirufen und sie in unserem Leben aktivieren. Metaphysische Fragen sind nicht so einfach, dass sie entweder in diesem oder einem anderen, entgegengesetzten Sinn ein für allemal gelöst werden können – das ist die volkstümliche Art, die Dinge zu klären, die jedoch ziemlich summarisch und nicht überzeugend ist. Entweder ist alles freier Wille oder aber alles ist Schicksal – so einfach ist es nicht. Diese Frage des freien Willens oder der Vorherbestimmung ist die schwierigste aller metaphysischen Fragen und konnte noch von niemandem beantwortet werden – aus dem guten Grund, weil sowohl das Schicksal als auch der Wille existieren und irgendwo sogar ein freier Wille existiert – die Schwierigkeit ist nur, wie man an ihn herankommt, um ihn wirksam zu machen.
Astrologie? Viele astrologische Vorhersagen erfüllen sich, insgesamt sogar eine große Zahl. Doch daraus folgt nicht, dass die Sterne unser Geschick lenken; die Sterne berichten lediglich über ein Schicksal, das bereits geformt wurde, sie sind Hieroglyphen und keine Kraft – oder wenn ihre Tätigkeit eine Kraft einsetzt, ist es eine übermittelte Energie, aber keine verursachende Macht. Wir können es auch so ausdrücken, dass es jemanden gibt, der das Schicksal bestimmt, und dass es etwas gibt, das Schicksal ist – die Sterne aber sind nur Indikatoren. Die Astrologen selbst sagen, dass es zwei Kräfte gibt, daiva und purusakara, Schicksal und individuelle Energie – und die individuelle Energie kann Schicksal verändern, ja sogar zunichte machen. Überdies zeigen die Sterne häufig mehrere Schicksalsmöglichkeiten an, zum Beispiel, dass man im mittleren Alter sterben wird, aber auch ein voraussagbar hohes Alter erreichen kann, wenn diese Vorherbestimmung überwunden wird. Schließlich gibt es Fälle, in denen sich die Vorhersagen des Horoskops mit großer Genauigkeit bis zu einem gewissen Alter erfüllen und dann nicht mehr stimmen. Dies geschieht meist, wenn sich die betreffende Person vom gewöhnlichen Leben abkehrt und dem spirituellen Leben zuwendet. Wenn es eine sehr drastische Wende ist, kann die Vorhersagbarkeit unmittelbar aufhören; im anderen Fall dauern gewisse Ergebnisse noch eine Zeitlang an, es besteht aber nicht länger die gleiche Unausweichlichkeit. Dies scheint anzuzeigen, dass es eine höhere Macht oder Ebene oder Quelle spirituellen Schicksals gibt oder geben kann, die, wenn ihre Stunde gekommen ist, die niedere Macht oder Ebene oder Quelle des vitalen oder materiellen Schicksals, das die Sterne anzeigen, zunichte zu machen vermag. Ich sage vital, da der Charakter ebenfalls aus dem Horoskop ersehen werden kann, und zwar viel vollständiger und befriedigender als die Ereignisse des Lebens.
In Indien wird Schicksal mit karma erklärt. Wir selbst sind durch unsere Taten unser Schicksal, doch bindet uns dieses Schicksal, das durch uns geschaffen wurde; denn was wir gesät haben, müssen wir in diesem oder einem anderen Leben ernten. Und während wir in der Gegenwart die Folgen des Schicksals aus der Vergangenheit auf uns nehmen, schaffen wir gleichzeitig unser Schicksal für die Zukunft. Das verleiht unserem Willen und Tun einen Sinn und erzeugt nicht, wie europäische Kritiker falsch annehmen, einen starren und unfruchtbaren Fatalismus. Doch unser Wille und Tun können sogar oft vergangenes karma annullieren oder modifizieren, nur bestimmte starke Einflüsse, utkata karma genannt, sind nicht modifizierbar. Auch hier kann durch die Erlangung von spirituellem Bewusstsein und Leben karma aufgehoben oder aber die Macht gewonnen werden, es aufzuheben. Denn wir treten in die Einung mit dem Göttlichen Willen ein, kosmisch oder transzendent, der annullieren kann, was er unter bestimmten Bedingungen gewährte, und der neu erschaffen kann, was er bereits erschuf – die festgelegten engen Richtlinien lösen sich auf, und es entsteht eine plastischere Freiheit und Weite. Weder karma noch Astrologie weisen daher auf ein fixiertes und für immer unveränderliches Schicksal hin.
Was nun die Vorhersage anbelangt, so habe ich niemals einen Weissagenden gekannt oder getroffen, der, wie berühmt auch immer, unfehlbar gewesen wäre. Einige Vorhersagen erfüllen sich wortgetreu, andere nicht – oder sie erfüllen sich halb oder gehen ganz und gar daneben. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Fähigkeit der Vorhersage etwas Unwirkliches ist oder dass man alle genauen Vorhersagen durch Wahrscheinlichkeit, Schicksal oder zufälliges Zusammentreffen erklären kann. Die Tatsache, dass viele Vorhersagen sich so unterschiedlich erfüllen, muss man entweder durch eine unvollkommene Fähigkeit des Weissagenden erklären, die manchmal erfolgreich ist und manchmal versagt, oder dadurch, dass die Dinge nur zum Teil vorhersagbar, da nur zum Teil vorherbestimmt sind, oder aber durch verschiedene Faktoren oder Linien von Macht, verschiedene Serien von Möglichem und Tatsächlichem. Solange man einer Linie folgt, ist die Vorhersage genau, im anderen Falle nicht; oder wenn sich die Linien der Macht ändern, fällt auch die Vorhersage unter den Tisch. Immerhin kann man sagen, dass es, wenn Dinge überhaupt vorhersagbar sind, eine Macht oder Ebene geben muss, durch die oder auf der alles vorhersehbar ist; wenn es ein göttliches Allwissen und eine göttliche Allmacht gibt, muss es so sein. Selbst dann aber muss das, was vorausgesehen wird, ausgearbeitet werden, und es wird durch ein Spiel von Kräften ausgearbeitet – spirituelle, mentale, vitale und physische Kräfte –, und auf dieser Ebene von Kräften gibt es keine absolute Starrheit. Persönlicher Wille oder persönliches Bemühen ist eine jener Kräfte. Napoleon befragt, warum er immer plane und arbeite, da er doch an eine Vorherbestimmung glaube, antwortete: „Da es vorherbestimmt ist, dass ich arbeite und plane“; in anderen Worten, sein Planen und Arbeiten waren ein Teil des Schicksals und trugen zu den Ergebnissen bei, die vom Schicksal vorgesehen waren. Selbst wenn ich ein ungünstiges Ergebnis voraussehe, muss ich für das Ziel, das ich im Auge habe, arbeiten; denn dies hält die Kraft, das Prinzip der Wahrheit, dem ich diene, am Leben und gibt ihm die Möglichkeit eines späteren Sieges; auf diese Weise wird es Teil des künftigen günstigen Schicksals, selbst wenn das gegenwärtige feindlich ist. Menschen wenden sich von einer Sache nicht ab, weil sie ihr Scheitern erkannten oder vorhersahen – und vom spirituellen Standpunkt ist ihre hartnäckige Ausdauer gerechtfertigt. Zudem leben wir nicht allein für ein äußeres Ergebnis; das Ziel unseres Lebens ist vielmehr das Wachsen der Seele – nicht der äußere Erfolg der Stunde oder der nächsten Zukunft. Die Seele aber vermag trotz eines oder sogar dank eines feindlichen materiellen Geschicks zu wachsen.
Und schließlich, auch wenn alles vorherbestimmt ist, besteht kein Grund zu sagen, Leben sei wie in Shakespeares oder vielmehr Macbeths Ausspruch „eine Geschichte, die ein Idiot erzählt, voller Lärm und Aufruhr und ohne Sinn“. So wäre das Leben, wenn alles Zufall und mutwillige Ungewissheit wäre. Wenn es jedoch etwas Vorhersehbares ist, etwas in jeder Einzelheit Geplantes, so heißt das, dass Leben tatsächlich eine Bedeutung hat, dass ihm ein geheimes Ziel innewohnen muss, auf das durch ganze Zeitalter hingearbeitet wurde, machtvoll, ausdauernd, mit uns als einem Teil davon, als Mitwirkende an der Erreichung jenes unüberwindlichen Zieles.
PS. Nun, eine der größten Seligkeiten ist, sich vom Göttlichen getragen zu fühlen, nicht von den Sternen oder dem karma, denn letzteres ist etwas Trauriges, trocken und ungemütlich – als ob man auf einer Maschine gewendet würde, „yantrarudhani mayaya“.
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Was X sagt, ist richtig; das Spiel der Kräfte ist sehr komplex, man muss sich ihrer bewusst sein und gleichsam sehen und beobachten, wie sie arbeiten, bevor man wirklich verstehen kann, warum die Dinge auf die Weise stattfinden, wie es der Fall ist. Alles Tun ist von einem komplizierten Kräftespiel umgeben, und wenn man eine Kraft einsetzt, muss man darauf achten, es sorgsam zu tun und sie zu bewahren und die Tür nicht dem Eindringen anderer, entgegengerichteter Kräfte zu öffnen. Jeder Mensch ist in sich ein Bereich für viele Kräfte – einige arbeiten für seine Sadhana, andere für sein Ego und seine Begierden. Zudem gibt es Mächte, die versuchen, einen Menschen ohne sein Wissen zu einem Instrument für fremde Zwecke zu machen. Sie alle können sich verbinden, um ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Jede dieser Kräfte arbeitet dafür, ihren eigenen Impuls durchzusetzen – es müssen durchaus keine feindlichen Kräfte sein, sondern es sind einfach Kräfte der Natur.
Die Anwandlung von Eifersucht und abhimana war natürlich ein Überbleibsel der vergangenen Bewegungen deiner Natur. Tatsächlich verlassen einen diese Dinge, wenn sie zurückgewiesen werden; sie verlieren allmählich ihre Kraft und können sich immer weniger halten und immer weniger das Bewusstsein beeinträchtigen – schließlich berühren sie einen nicht länger und treten nicht mehr auf.
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Mit etwas Verstand und Beobachtungsgabe kann jeder, der mehr in einem inneren Bewusstsein lebt, das Spiel der unsichtbaren Kräfte erkennen, die auf die Menschen bei jedem Schritt einwirken und ohne ihr Wissen Geschehnisse hervorrufen. Der Unterschied, der durch den Yoga oder ein inneres Bewusstsein entsteht – es gibt auch Menschen, wie zum Beispiel Sokrates, die ein inneres Bewusstsein ohne Yoga entwickelten – besteht darin, dass man diese unsichtbaren Kräfte wahrnimmt, aus ihnen bewusst Nutzen zieht oder sie gebrauchen und steuern kann. Das ist alles.
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(Vitaler Austausch:) Schwierig, genauer zu bestimmen. Dieses gegenseitige Entziehen von vitalen Kräften findet in dem Durcheinander unseres menschlichen Zusammenlebens automatisch und ständig statt. Liebe ist eine der machtvollsten Methoden, sich gegenseitig die vitale Kraft zu entziehen oder dem anderen die Kraft zu entziehen, was auch auf einseitige Weise oft sehr zum Schaden des „anderen“ geschieht. In der Folge kommen dann viele Dinge auf, gute und schlechte, gehobene Stimmung, das Gefühl der Stärke und Hilfe, das Einsickern von guten oder schlechten Eigenschaften, der Wechsel von seelischen Stimmungen, Zuständen und Bewegungen, Niedergeschlagenheit, Erschöpfung – die ganze Stufenleiter. Die Menschen wissen nichts davon, und das ist ein Geschenk Gottes an sie. Wenn man aber in ein bestimmtes yogisches Bewusstsein eintritt, wird man sich dieser ganzen Wechselwirkung, dieses Wirkens und Gegenwirkens durchaus bewusst und empfindet es – man kann aber auch eine Mauer dagegen errichten, es zurückweisen usw. usw.
Es ist eine Mauer aus Bewusstsein, die man zu bauen hat. Bewusstsein ist nichts Abstraktes, es ist wie das Dasein, wie Ananda oder Mental oder prana etwas durchaus Konkretes. Sobald man das innere Bewusstsein wahrnimmt, kann man alles mögliche damit tun, man kann es als einen Kraftstrom aussenden, man kann einen Kreis oder eine Mauer aus Bewusstsein um sich errichten, man kann eine Idee lenken, und sie wird Eingang in den Kopf eines Menschen in Amerika finden usw. usw.
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Ein Opfer hat immer einen moralischen und einen psychologischen Wert. Dieser Wert bleibt ungeachtet der Ursache, für die das Opfer gebracht wird, bestehen, vorausgesetzt derjenige, der es bringt, glaubt an die Wahrheit, Gerechtigkeit oder irgendeinen anderen Wert seiner Sache. Wenn man ein Opfer für eine Sache bringt, die man als falsch oder unwert erkennt, hängt alles von dem Beweggrund und Geist des Opfers ab. Bishma, indem er den Tod für eine Sache hinnahm, die er als ungerecht erkannte, gehorchte seinem Treuegefühl für das, was er als seine persönliche Pflicht ansah. Viele Menschen in der Vergangenheit haben so gehandelt – die Moral und der seelische Wert einer Tat liegen in dem Adel ihres Motivs und nicht in ihrem Anlass.
Nun zu der anderen Frage. Das Wort Opfer kann nicht angewandt werden, wenn ein Mensch etwas aufgibt, was ihm nichts wert ist, sondern nur dann, wenn er tatsächlich einen Verlust auf sich nimmt oder die Ächtung und Verleumdung der Gesellschaft, oder auf andere Weise den Preis für seine Befreiung zahlt. Ich möchte jedoch behaupten, dass ein Mensch von einem spirituellen Ruf oder von einer großen Aufgabe für die Menschheit derart ergriffen werden kann, dass für ihn die Familie oder andere Bande nicht mehr zählen; er braucht dabei nicht einmal kalt oder lieblos zu sein, er verlässt vielmehr alles freudig und ohne Qual und gehorcht der gebietenden [inneren] Stimme.
Im spirituellen Sinn jedoch hat Opfer einen anderen Sinn – es besagt nicht so sehr ein Aufgeben dessen, was einem lieb ist, als eine Darbringung von einem selbst, des eigenen Wesens, Mentals und Herzens, des eigenen Willens, Körpers, Lebens und aller Tätigkeiten an das Göttliche. Es hat den ursprünglichen Sinn von „heiligen“ [weihen] und wird in der Bedeutung des Wortes yajna gebraucht. Wenn die Gita vom „Opfer des Wissens“ spricht, so heißt das nicht, irgendetwas aufzugeben, es heißt vielmehr, dass sich das Mental auf der Suche nach Erkenntnis dem Göttlichen zuwendet und hierdurch selbst darbringt. In diesem Sinn spricht man auch von einer Darbringung oder einem Opfer der Werke. Die Mutter hat irgendwo geschrieben, dass das spirituelle Opfer seiner Natur nach freudvoll und nicht leidvoll sei. Wenn der Suchende die alten Bande und Verantwortlichkeiten noch als stark empfindet, braucht er sie auf dem spirituellen Pfad meistens weder zu lösen noch aufzugeben. Er soll vielmehr den Ruf in sich anwachsen lassen, bis innerlich alles bereit ist. Manche brechen allerdings vorher mit allem, da sie fühlen, dass die Trennung ihre einzige Chance ist, und diese müssen sich manchmal durchkämpfen. Doch Schmerz und Kampf gehören nicht zum eigentlichen Wesen dieser spirituellen Selbst-Darbringung.
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Krieg gab es beinahe immer auf der Welt – in der Geschichte der Römischen Republik wurden die Tore des Janus-Tempels nur ein oder zweimal in den vielen Jahrhunderten seines Bestehens geschlossen – ein Zeichen, dass die Republik in Frieden mit der übrigen Welt war. In neuerer Zeit gab es lange Pausen zwischen langen Kriegen, doch kleinere Kriege gab es immer hier und dort. Der Mensch ist ein streitendes und kämpfendes Tier und solange es ihn gibt, gibt es keinen Frieden.
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Kampf und Eroberung sind Teil des Haushalts der vitalen Natur – es ist sinnlos, die Menschen dafür zu tadeln – jeder, der Macht und Gelegenheit hat, kämpft und erobert. China, das sich nun beklagt, war in all den Jahrhunderten, in denen Japan sich religionszugewandt innerhalb seiner Grenzen hielt, ein imperialistisches und kolonisierendes Land... Wenn es nicht einbringend wäre, würde vermutlich niemand kämpfen. England ist über dem geplünderten Wohlstand Indiens reich geworden. Frankreich hängt wegen vieler Dinge von seinen afrikanischen Kolonien ab. Japan braucht ein Ventil für seine überreiche Bevölkerung sowie nahe und sichere wirtschaftliche Märkte. Jedes Land wird von Kräften getrieben, die die Intelligenz seines Herrschers und seiner Menschen gebrauchen, um sich zu verwirklichen – und keine noch so große Menge eines moralisierenden Willens wird dies ändern, es sei denn, die menschliche Natur ändert sich selbst.
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Die Idee der Zeit mag eine mentale Konstruktion sein, das Gefühl für die Zeit jedoch sicher nicht. Die Wilden haben zwar eine Vorstellung von der Zeit, aber in Verbindung mit der Sonne und den Sternen, mit Tag und Nacht und den Jahreszeiten; vielleicht ist dies keine für sich bestehende mentale Konstruktion – man darf sich dessen jedoch nicht zu sicher sein, denn sie haben ihre eigenen metaphysischen Auffassungen. Tiere, glaube ich, sind in ihrem Bewusstsein nicht so begrenzt – sie haben nicht nur Gefühle, sondern eine scharfe Erinnerung an gewisse Dinge, eine Beobachtungsgabe, klare Assoziationen und eine planende Intelligenz, sie haben ein sehr genaues Gefühl für einen Ort sowie die Erinnerungen an diesen Ort, eine anfängliche Fähigkeit des Folgerns (nicht reflektiv wie die des menschlichen Mentals, sondern praktisch wie die eines vitalen Mentals). Ich habe eine junge Katze gesehen, die etwas beobachtete, dann zu einer richtigen Schlussfolgerung kam und tat, was für ihren Zweck notwendig war, eine Notwendigkeit, die sich aus dieser Schlussfolgerung ergab – genauso hätte sich ein Menschenkind verhalten können. Wir dürfen daher nicht sagen, dass Tiere keine Vorstellung von der Zeit hätten. Vielleicht kein klares Verhältnis zu gestern und morgen, doch ist die Wahrnehmung von vergangenen und künftigen Erfordernissen vorhanden sowie die der rechten Zeit und Jahreszeit – alles vital, praktisch und nicht mental-reflektiv wie beim Menschen.
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Mit Größe ist eine außergewöhnliche Befähigung der einen oder anderen Art gemeint, durch die ein Mensch unter seinen Mitmenschen hervorragt.
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Diese Art von Größe hat nichts mit der Seele zu tun. Es ist eine besondere mentale Befähigung (wie zum Beispiel bei Raman und Tagore) oder eine große vitale Kraft, welche die Menschen befähigt zu führen und zu herrschen. Diese Fähigkeiten werden oft, jedoch nicht immer, von etwas Göttlichem oder Asurischem in der Persönlichkeit begleitet, das ihre Tätigkeit unterstützt und auf die Menschen, unabhängig von einer besonderen Befähigung, einen Eindruck von Größe ausübt – das Gefühl einer großen Persönlichkeit.
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(Das Streben der Tiere) Es besteht hauptsächlich in der Befriedigung ihrer Gefühle und Begierden und ihrer körperlichen Erfordernisse. Die Tiere sind überwiegend die vitale Schöpfung auf Erden – auch das Mental in ihnen ist ein vitales Mental – sie handeln dem Trieb ihrer Kräfte entsprechend und haben einen vitalen, aber keinen mentalen Willen.
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Sogar das Tier fühlt mehr als der Mensch eine gewisse Harmonie in den Dingen. Des Menschen einzige Überlegenheit besteht in einem komplexeren Bewusstsein, einer komplexeren Auffassungsgabe (durch Missbrauch des Mentals jedoch schrecklich entstellt und verbogen) und in der Fähigkeit, höhere Dinge zu erreichen (von der er bislang noch nicht viel Gebrauch gemacht hat).
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Es ist mir nicht bekannt, dass hochentwickelte Persönlichkeiten keinen Sinn für Humor hätten – von einem Menschen, dem dieser Sinn fehlt, kann wohl schwerlich behauptet werden, dass er vollständig sei. Das Wort „Lockerheit“ wird für eine frivole, substanzlose Leichtfertigkeit angewandt. Es gibt kein Gesetz, dass Weisheit etwas streng Erhabenes ist und kein Lächeln kennt. Sinn für Humor? Er ist das Salz des Lebens. Ohne ihn wäre die Welt schon seit langem aus dem Lot geraten – sie ist bereits zur Genüge aus dem Gleichgewicht und in den Händen des Teufels.
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Das Ziel des Yoga ist, in die Göttliche Gegenwart, in das Göttliche Bewusstsein einzutreten und davon erfüllt zu sein, das Göttliche allein um des Göttlichen willen zu lieben, in unserer Natur auf die Natur des Göttlichen abgestimmt und in unserem Willen, unseren Werken und unserem Leben das Instrument des Göttlichen zu sein. Es ist nicht das Ziel des Yoga, ein großer Yogi oder ein Übermensch zu werden (obwohl dies möglich ist) oder sich an das Göttliche um des Egos, des Stolzes oder des Vergnügens willen zu klammern. Nicht moksa [ist das Ziel des Yoga], obwohl durch sie die Befreiung und alles übrige kommen kann – all dies darf nicht unser Ziel sein. Das Göttliche allein ist unser Ziel.
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Diesen Yoga aufzunehmen mit der Idee, ein Übermensch zu werden, wäre ein Akt von vitalem Egoismus, der sein eigenes Ziel zunichte machen würde. Diejenigen, die dieses Ziel in den Vordergrund ihrer Bemühung stellen, geraten unweigerlich in Schwierigkeiten, spirituell oder auf andere Weise. Das Ziel dieses Yoga ist erstens, in das göttliche Bewusstsein einzutreten, indem man sein trennendes Ego damit verschmilzt (hierdurch findet man sein wahres individuelles Selbst, das nicht das begrenzte, eitle und selbstsüchtige menschliche Ego ist, sondern ein Teil des Göttlichen), und zweitens, das supramentale Bewusstsein auf die Erde herabzubringen, um Mental, Leben und Körper umzuwandeln. Alles übrige kann sich nur aus diesen beiden Zielen ergeben und darf nicht das oberste Ziel des Yoga sein.
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Du musst gewisse falsche Vorstellungen, die du über den Yoga zu haben scheinst, ablegen, denn diese sind gefährlich und sollten von jedem Sadhak gemieden werden.
1. Das Ziel dieses Yoga ist nicht, wie Sri Aurobindo oder die Mutter zu werden. Diejenigen, die diese Vorstellung hegen, können sich weiterhin sehr leicht einbilden, sie wären ihnen ebenbürtig oder könnten gar größer werden als sie. Doch hierdurch wird nur das Ego genährt.
2. Das Ziel dieses Yoga ist nicht, Macht zu erlangen oder machtvoller als andere zu sein, große Verwirklichungen, siddhis, zu haben oder große, wunderbare oder übernatürliche Dinge zu tun.
3. Das Ziel dieses Yoga ist nicht, ein großer Yogi oder Übermensch zu sein. Das ist eine egoistische Art, den Yoga zu betrachten, und kann zu nichts Gutem führen; meide dies ganz und gar.
4. Über das Supramental zu sprechen und daran zu denken, es in dich herabzubringen, ist das gefährlichste von allem. Es kann zu gänzlichem Größenwahn und Gleichgewichtsverlust führen. Wonach der Sadhak trachten muss, ist die volle Öffnung gegenüber dem Göttlichen, die seelische Wandlung seines Bewusstseins, die spirituelle Wandlung. Die unerlässlichen Voraussetzungen dieser Bewusstseinswandlung sind Selbstlosigkeit, Wunschlosigkeit, Demut, bhakti, Hingabe, Ruhe, Ausgeglichenheit und ruhige Wahrhaftigkeit. Daran zu denken supramental zu sein, bevor man die seelische und spirituelle Wandlung erlangt hat, ist eine Absurdität, und zwar eine arrogante Absurdität.
Alle diese egoistischen Vorstellungen können, sofern man sich ihnen hingibt, das Ego vergrößern, die Sadhana verderben und zu ernsthaften spirituellen Gefahren führen. Sie sollten insgesamt zurückgewiesen werden.
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Natürlich kannst du den Yoga ausüben, ohne ein großer Mensch zu sein. Es besteht keine Notwendigkeit von Größe. Im Gegenteil, Demut ist das erste Erfordernis, denn einer, der voller Ego und Stolz ist, kann das Höchste nicht verwirklichen.
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Zu X's Frage: Dies ist nicht allein ein Bhakti-Yoga; er ist oder er will zumindest ein integraler Yoga sein, was eine Hinwendung des ganzen Wesens in all seinen Teilen zum Göttlichen bedeutet. Daraus folgt, dass er Wissen und Werke ebenso enthält wie bhakti, und darüber hinaus bezieht er eine völlige Wandlung der menschlichen Natur mit ein, ein Suchen nach Vollendung, damit auch die Natur mit der Natur des Göttlichen eins wird. Nicht allein das Herz muss sich dem Göttlichen zuwenden und sich wandeln, sondern auch das Mental – daher ist Wissen notwendig sowie der Wille und die Fähigkeit des Handelns und Erschaffens –, und daher sind auch die Werke notwendig. In diesem Yoga werden die Methoden anderer Yogasysteme aufgegriffen, wie diejenige von Purusha-Prakriti, doch das letzte Ziel ist verschieden. Der Purusha trennt sich von der Prakriti, nicht um sie zu verlassen, sondern um sich und sie zu erkennen und nicht länger ihr Spielzeug zu sein, vielmehr der Wissende, der Herr, der Erhalter der Natur; doch nachdem dies in einem geschehen ist oder selbst während es geschieht, bringt man es dem Göttlichen dar. Man kann mit Wissen oder mit Werken beginnen, mit bhakti oder der tapasya der Selbstläuterung, um die Vollendung zu erreichen (die Wandlung der Natur) und das übrige als eine nachfolgende Bewegung entwickeln, oder man kann alles in einer Bewegung vereinen. Es gibt keine feste Regel für alle, es hängt von der Persönlichkeit und der einzelnen Natur ab. Hingabe ist die Hauptmacht des Yoga, doch muss diese Hingabe notwendigerweise fortschreitend sein; eine vollkommene Hingabe ist zu Beginn nicht möglich, sondern nur der Wille des Wesens zu dieser Vollkommenheit – tatsächlich dauert es lange Zeit. Doch nur bei einer gänzlichen Hingabe ist das volle Strömen der Sadhana möglich. Bis dahin ist die persönliche Bemühung erforderlich sowie eine zunehmende Realität der Hingabe. Man ruft die Macht der Göttlichen Shakti, und wenn diese einmal in das Wesen einzutreten beginnt, stützt sie zuerst die persönliche Bemühung, dann übernimmt sie mehr und mehr das gesamte Tun, wobei aber immer die Zustimmung des Sadhaks erforderlich ist. In dem Maß wie die Kraft zu wirken beginnt, löst sie verschiedene Entwicklungen aus, die für den Sadhak notwendig sind; die Entwicklung des Wissens, der bhakti, des spiritualisierten Wirkens, der Umwandlung der Natur. Die Vorstellung, diese könnten nicht miteinander in Einklang gebracht werden, beruht auf einem Irrtum.
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Das Ziel der Sadhana ist das Sich-Öffnen des Bewusstseins gegenüber dem Göttlichen und die Wandlung der Natur. Meditation oder Kontemplation ist ein Mittel hierfür, doch nur eines; bhakti ist ein anderes; Arbeit ist wiederum ein anderes. Von den Yogis wurde citta suddhi, die Läuterung des Bewusstseins, als wichtigstes Mittel der Verwirklichung gelehrt; durch sie erlangten sie die Heiligkeit des Heiligen und die Stille des Weisen, doch die Umwandlung der Natur, die wir meinen, ist mehr als das, und diese Umwandlung erfolgt nicht allein durch Kontemplation; Werke sind notwendig, der Yoga der Tat ist unerlässlich.
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Das Wachsen aus dem gewöhnlichen Mental in das spirituelle Bewusstsein kann entweder durch Meditation erfolgen, durch hingebungsvolle Arbeit oder durch bhakti für das Göttliche. In unserem Yoga, der nicht nur einen statischen Frieden oder die Versenkung sucht, sondern auch ein dynamisches spirituelles Wirken, ist Arbeit unerlässlich. Die supramentale Wahrheit ist etwas anderes; sie hängt allein von der Herabkunft des Göttlichen und vom Wirken der Höchsten Kraft ab und ist durch keine Methode oder Regel gebunden.
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Ich habe niemals die Wahrheit der alten Yoga-Systeme angezweifelt – ich selbst hatte die Erfahrung der Vaishnava-bhakti und des nirvana in Brahman; ich anerkenne ihre Wahrheit in ihrem Bereich und für ihren Zweck – die Wahrheit ihrer Erfahrung, soweit diese eben reicht; ich fühle mich jedoch keinesfalls verpflichtet, die Wahrheit der mentalen Philosophien zu akzeptieren, die auf dieser Erfahrung gründen. Ebenso bin ich der Meinung, dass mein Yoga in dem ihm eigenen Bereich – ich nehme an, ein größerer Bereich – und für das ihm eigene Ziel wahr ist. Das Ziel der alten [Yoga-Systeme] ist die Abkehr vom Leben und die Hinwendung zum Göttlichen – und daher karma, die Werke, außer acht zu lassen. Das Ziel des neuen Yoga ist, das Göttliche zu erreichen und die Fülle des Erreichten in das Leben einzubringen – daher ist der Yoga der Werke unerlässlich. Ich vermag hierin nichts Geheimnisvolles zu entdecken oder etwas, das einen verwirren könnte – es ist rational und unausweichlich. Nur du sagst, es sei unmöglich, doch wird dies von allem gesagt, bevor es geschieht.
Ich möchte betonen, dass der Karma-Yoga kein neuer, sondern ein sehr alter Yoga ist; die Gita wurde nicht gestern geschrieben, und der Karma-Yoga ist älter als die Gita. Deine Behauptung, die einzige Rechtfertigung der Werke in der Gita bestünde darin, dass sie ein unvermeidliches Übel seien und man daher das Beste daraus zu machen habe, ist ziemlich summarisch und grob. Wäre dies alles, dann wäre die Gita das Produkt eines Toren, und es gäbe kaum eine Rechtfertigung für mich, darüber zwei Bände zu schreiben, oder dafür, dass die Welt sie als eine der größten Schriften bewundert, und zwar besonders deshalb, weil sie die Notwendigkeit der Werke im spirituellen Bemühen darlegt. Natürlich ist noch mehr als das in ihr enthalten. Jedenfalls widerspricht dein Zweifel daran, dass Werke zur Verwirklichung führen können – oder vielmehr deine glatte, summarische Leugnung dieser Möglichkeit –, der Erfahrung jener, die diese vermeintliche Unmöglichkeit zustande brachten. Du sagst, Arbeit senke das Bewusstsein und bringe dich aus dem inneren in das äußere Bewusstsein – ja, wenn du zustimmst, dich in der Arbeit zu veräußerlichen, statt sie von innen her zu tun; doch dies ist es, was du lernen musst, nicht zu tun. Gedanke und Gefühl können dich in der gleichen Weise veräußerlichen; es hängt davon ab, ob man Gedanken, Gefühl und Tat fest an das innere Bewusstsein zu binden vermag, indem man in diesem lebt, und das übrige zu seinem Instrument macht. Schwierig? Selbst bhakti ist nicht einfach, und nirvana ist für die meisten Menschen das schwierigste von allem.
Ich weiß nicht, warum du Menschenfreundlichkeit, Aktivismus, philanthropisches Dienen, seva usw. zur Debatte stellst. Nichts davon gehört zu meinem Yoga oder stimmt mit dem überein, was ich unter Werken verstehe – daher berührt mich das nicht. Ich war nie der Meinung, dass Politik oder die Armen zu speisen oder schöne Gedichte zu verfassen, einen geradewegs nach Vaikuntha oder zum Absoluten bringen würden. Wäre dies der Fall, dann wären Romesh Dutt auf der einen und Baudelaire auf der anderen Seite die ersten, die das Höchste erreicht und uns dort willkommen geheißen hätten. Nicht die Art der Arbeit als solche oder eine reine Aktivität, sondern das Bewusstsein und der auf Gott gerichtete Wille dahinter sind die Essenz des Karma-Yoga; die Arbeit ist lediglich die erforderliche Instrumentierung für die Einung mit dem Meister der Werke, der Übergang vom Willen und von der Macht der Unwissenheit zum reinen Willen und zur Macht des Lichtes.
Und schließlich, warum nimmst du an, ich sei gegen Meditation und bhakti? Ich habe nicht das geringste dagegen, dass du eines davon oder beides als Hilfsmittel der Annäherung an das Göttliche benützt. Ich sehe nur nicht ein, warum du über die Werke herfällst und die Wahrheit jener Menschen leugnest, die – wie die Gita sagt – durch Werke die vollkommene Verwirklichung und das Einssein der Natur mit dem Göttlichen erreichten, samsiddhim sadharmyam (wie Janaka und andere); und all das nur deshalb, weil du selbst ihr tieferes Geheimnis nicht finden kannst oder nicht gefunden hast – daher meine Verteidigung der Werke.
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Das Ziel des Yoga ist immer schwer zu erreichen, doch dieser Yoga ist schwieriger als irgendein anderer und nur für jene geeignet, die den Ruf für ihn haben, die die Fähigkeit und den Willen besitzen, allem zu begegnen, jeder Gefahr, selbst der des Fehlschlags, und die den Willen haben vorwärtszuschreiten einer völligen Selbstlosigkeit, Wunschlosigkeit und Hingabe entgegen.
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Dieser Yoga bezieht nicht nur die Verwirklichung Gottes mit ein, sondern auch eine völlige Weihung und Wandlung des inneren und äußeren Lebens, bis es bereit ist, ein göttliches Bewusstsein zu manifestieren und Teil einer göttlichen Arbeit zu werden. Dies bedeutet eine innere, viel anspruchsvollere und schwierigere Disziplin als es die rein ethischen und physischen Enthaltsamkeit sind. Man darf diesen Pfad, der ungleich weitreichender und mühsamer als die meisten Yogawege ist, nicht betreten, wenn man sich seines seelischen Rufes und seiner Bereitschaft, bis zum Ende durchzuhalten, nicht gewiss ist.
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Mit Bereitschaft meine ich nicht eine Befähigung, sondern das Bereitsein. Wenn der innere Wille vorhanden ist, allen Schwierigkeiten zu begegnen und sie auf sich zu nehmen, ohne Rücksicht darauf, wie lange es dauern wird, dann kann man sich auf den Weg machen.
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Ein bloß rastloses Unbefriedigtsein mit dem gewöhnlichen Leben ist keine genügende Vorbereitung für diesen Yoga. Ein eindeutiger innerer Ruf, ein starker Wille und große Stetigkeit sind für den Erfolg im spirituellen Leben vonnöten.
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Mentale Theorien haben keine grundlegende Bedeutung, denn das Mental formt oder akzeptiert nur die Theorien, die die Wende des Wesens stützen. Was wichtig ist, das ist diese Wende und der Ruf in dir.
Das Wissen, dass es ein Höchstes Dasein und Bewusstsein, eine Höchste Seligkeit gibt, die nicht ein bloß negatives nirvana oder ein statisches und eigenschaftsloses Absolutes, sondern von dynamischer Natur sind, und weiterhin die Erkenntnis, dass dieses Göttliche Bewusstsein nicht nur im Jenseits, sondern auch hier verwirklicht werden kann, sowie das sich hieraus ergebende Akzeptieren eines göttlichen Lebens als Ziel des Yoga, haben nichts mit dem Mental zu tun. Dies sind keine Fragen einer mentalen Theorie – obwohl diese Auffassung mental ebenso gut wie jede andere aufrechterhalten werden kann, wenn nicht besser –, es ist vielmehr eine Frage der Erfahrung, und bevor diese Erfahrung stattfindet, eine Frage des Glaubens der Seele, welcher die Einwilligung des Mentals und Lebens mit sich bringt. Einer, der in Berührung mit dem höheren Licht ist und die Erfahrung hat, kann sich auf diesen Weg machen, wie schwierig es auch für seine niederen Wesensteile sein mag, Schritt zu halten; und es kann ihm auch einer folgen, der vom höheren Licht angerührt ist, ohne die Erfahrung zu haben, der aber den Ruf und die Überzeugung hat und den eine standhafte Seele zwingt.
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Eine idealistische Vorstellung oder ein religiöser Glaube, eine religiöse Empfindung sind etwas ganz anderes als das Empfangen des spirituellen Lichtes. Eine idealistische Vorstellung kann dich dorthin bringen, das spirituelle Licht zu empfangen, sie selbst ist aber nicht das eigentliche Licht. Es stimmt jedoch, dass der „Geist wehet, wo er will“ und dass wir einen emotionalen Impuls oder eine Berührung oder eine mentale Verwirklichung spiritueller Dinge aus beinahe allen Ereignissen empfangen können – so wie es Bilwamangal geschah bei den Worten seiner Geliebten, die eine Kurtisane war. Ganz offensichtlich kann es deshalb geschehen, weil irgendwo etwas bereit ist – das seelische Wesen, wenn du es so ausdrücken willst, das auf seine Gelegenheit wartet und eine beliebige Möglichkeit im Mental, Vital oder Herzen ergreift, um irgendwo ein Fenster aufzustoßen.
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Reiner Idealismus kann nur dann eine Auswirkung haben, wenn das Mental einen starken Willen hat, der das Vital zwingt, ihm zu folgen.
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Die eine unerlässliche Bedingung ist Wahrhaftigkeit.
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Aufrichtig ist einfach ein Eigenschaftswort und bedeutet, dass der Wille ein aufrichtiger Wille zu sein hat. Wenn du zu streben meinst und dann Dinge tust, die mit dem Streben unvereinbar sind, oder dich deinen Begierden hingibst oder dich entgegengerichteten Einflüssen öffnest, dann ist dies kein aufrichtiger Wille.
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Das stimmt. Innere Wahrhaftigkeit ist nicht genug, außer für den Anfang und als Grundlage; die Wahrhaftigkeit muss sich, wie du sagst, in der gesamten Natur ausbreiten. Und trotzdem reicht diese Grundlage im allgemeinen aus, es sei denn, eine gespaltene Natur, die von keinem zentralen Bewusstsein harmonisiert wird, wäre vorhanden.
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Harmonie ist, wenn alles sich in Einklang mit einer Wahrheit oder einem Ausdruck von ihr befindet.
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Wahrhaftigkeit im Vital ist am schwierigsten zu erreichen und wird am dringendsten benötigt.
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Du sprichst von der Unwahrhaftigkeit deiner Natur. Wenn Unwahrhaftigkeit bedeutet, dass ein Teil des Wesens nicht bereit ist, gemäß dem höchsten Licht, das man besitzt, zu leben oder den inneren mit dem äußeren Menschen gleichzuschalten, kann man sagen, dass dieser Teil immer in allen unwahrhaftig ist. Der einzige Weg ist, dem inneren Wesen mehr Nachdruck zu verleihen und in ihm das seelische und spirituelle Bewusstsein zu entwickeln, bis jenes [Licht] in es herabkommt und die Finsternis auch vom äußeren Menschen vertreibt.
Ich habe niemals gesagt, das Vital solle keinen Anteil an der Liebe zum Göttlichen haben; ich sagte vielmehr, dass es sich im Lichte des seelischen Wesens läutern und veredeln müsse. Das Resultat selbstsüchtiger Liebe zwischen Menschen ist armselig und endet meist im Gegenteil – ich meine die gewöhnliche vitale Liebe –, weshalb ich auch im Vital etwas Reineres, Edleres und Höheres für die Bewegung auf das Göttliche hin will.
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