Bruderdienst - Jacques Berndorf - E-Book

Bruderdienst E-Book

Jacques Berndorf

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Beschreibung

Ein Mann kämpft gegen die Übermacht des Bösen

Der BND hat Jacques Berndorf, dem sensationell erfolgreichen Autor der Eifel-Krimis, als erstem Außenstehenden seine Tore zu Recherchezwecken geöffnet. Jetzt legt Berndorf seinen zweiten Thriller um BND-Agent Karl Müller vor. In der Welt der Geheimdienste und Sicherheitsexperten kursieren Gerüchte, dass Nordkorea eine Atombombe verkauft hat. Die Hintergründe des Geschäfts liegen völlig im Dunklen. Klar ist nur: Die Folgen für die Welt könnten verheerend sein.

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Inhaltsverzeichnis
Der Autor
Widmung
ERSTES KAPITEL
ZWEITES KAPITEL
Copyright
Das Buch
Die westlichen Geheimdienste befinden sich in höchster Alarmbereitschaft. Der völlig verarmte nordkoreanische Staat hat 300 Mercedeslimousinen der S-Klasse bestellt. Die Hinweise mehren sich, dass das Land einen lukrativen, aber folgenschweren Deal ausgehandelt und eine Atombombe verkauft hat. Es ergeben sich die verschiedensten Horrorszenarien. Doch egal, ob die Bombe in Israel, Manhattan oder London gezündet würde, man hätte Millionen von Opfern zu beklagen, möglicherweise sogar einen Umsturz der Weltordnung.
Eine Arbeitsgruppe des BND arbeitet auf Hochtouren, um herauszufinden, wer der Käufer sein könnte. Mit dabei ist Karl Müller, der beste Mann des BND, sowie seine Geliebte Svenja, die gerade erst von einem hochgefährlichen Einsatz in Nordkorea zurückgekehrt ist. Dann geht ein Hilfeersuchen des amerikanischen Bruderdienstes ein: Ob man wohl einen Mann für sie aus Nordkorea holen könne? Im festen Glauben, dass in dieser Situation alle westlichen Geheimdienste an einem Strang ziehen, macht sich Müller auf den Weg. Der Einsatz läuft schief…
»Der BND unterstützte Jacques Berndorf bei der Recherche - das merkt man dem Buch auch an. Die Geschichte ist ebenso spannend wie überzeugend.« AP
»Ein Thriller mit genau der richtigen Mischung aus plausibler Gefahr, realistischem Umfeld, Romantik und einem sympathischen Helden mit der Lizenz zum Kämpfen.« Der Tagesspiegel
Der Autor
Jacques Berndorf - Pseudonym des Journalisten Michael Preute - wurde 1936 in Duisburg geboren und lebt seit 1984 in der Eifel. Er arbeitete viele Jahre als Journalist, u.a. für den Spiegel und den Stern, bevor er sich ganz dem Krimischreiben widmete. Seine »Eifel«-Krimis mit dem Ermittler Siggi Baumeister haben Kultstatus erlangt und standen ebenso wie Die Raffkes (2003) auf den Bestsellerlisten. 1996 war Michael Preute für den »Friedrich-Glauser-Preis« nominiert, 2003 erhielt er den »Ehrenglauser« für seine Verdienste um die deutschsprachige Kriminalliteratur. Zuletzt bei Heyne erschienen: Ein guter Mann.
Für meine Frau Geli, die mich mit so viel Geduld trägt.
Für Thea und Günter vom Kleinen Landcafé in Kerpen.
Für Heike und Hans von der Dauner Kaffeerösterei.
»Er zog sich um und setzte sich wieder an den Schreibtisch, aber als Guillam auf Zehenspitzen hereinkam und ihm unaufgefordert Tee brachte, sah er zu seiner größten Verlegenheit seinen Herrn stocksteif vor einem alten Band deutscher Lyrik sitzen, die Fäuste auf der Tischplatte, und lautlos weinen.«
John Le Carré Eine Art Held
ERSTES KAPITEL
Am Ende der chaotischen Tage, als sicher schien, dass der Planet morgen noch existieren würde, kam das große Aufatmen, und man machte sich daran, Bilanz zu ziehen. Dabei gelangte man zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Im Wesentlichen gab es zwei Fraktionen. Die Gegner des Geheimdienstes behaupteten steif und fest, die Truppe des BND mit ihrem Chef Krause habe unendliches Glück gehabt, mit vollen Händen in den dicken Schlamm gegriffen und ausgerechnet das gefunden, was sie zu finden gehofft hatte. Die Befürworter des Dienstes waren dagegen der Meinung, dass allein die genialen Projektionen und Rückschlüsse der Profis die Katastrophe abgewendet hätten.
Diejenigen, die die nervtötende und zuweilen brutale Arbeit verrichtet hatten, schwiegen, was ihnen prompt als Arroganz ausgelegt wurde. Dabei wurde übersehen, dass Geheimdienstler niemals an die Öffentlichkeit treten. Übersehen wurde auch, dass den Opfern, die diese Affäre gekostet hatte, zu keinem Zeitpunkt die letzte Ehre erwiesen worden war.
Die ganze Geschichte begann an einem Montagmorgen, ziemlich exakt um 8.30 Uhr. Krause bereitete eine Konferenz vor, die am folgenden Morgen stattfinden sollte und bei der es um gewisse heikle Vernehmungen in Guantanamo gehen würde. Das ungesicherte grüne Telefon auf seinem Schreibtisch läutete.
»Ja, bitte?«, meldete er sich, verärgert über die Störung.
»Spreche ich mit Wiedemann?«, fragte eine männliche Stimme.
»So ist es. Und wer sind Sie?«, fragte Krause.
»Mein Name tut hier nichts zur Sache«, entgegnete der Anrufer. »Ich habe vorletztes Jahr auf einer Konferenz in Frankfurt einen Vortrag von Ihnen gehört. Es ging um Sicherheit im Bereich der Industrie, und Sie baten darum, angerufen zu werden, falls uns in unserem Tätigkeitsbereich irgendetwas Ungewöhnliches auffiele.«
»So formuliere ich das in der Regel«, bestätigte Krause. »Und worum genau geht es?«
»Um einen Auftrag aus Nordkorea«, sagte der Mann. »Also des Staates Nordkorea, genauer gesagt.«
»Oha!« Krause klang jetzt aufmerksamer. »Was wurde denn in Auftrag gegeben?«
»Also, bestellt wurden dreihundert Einheiten, um genau zu sein, dreihundert Autos. Und, ehrlich gesagt, haben wir uns erst einmal kaputtgelacht.«
Krause ließ zehn Sekunden vergehen, ehe er amüsiert reagierte: »Das Geld dafür werden Sie nie kriegen, das können Sie abschreiben. Und ich kann es Ihnen auch nicht beschaffen.«
»Ja, ja, das dachten wir anfangs auch. Aber seit gestern sind wir um einundzwanzig Millionen Euro reicher.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Krause interessiert.
»Nordkorea hat den Mengenrabatt gleich eingerechnet und für einen Wagen siebzigtausend Euro veranschlagt, mal dreihundert macht das einundzwanzig Millionen. Das heißt, die Ware wurde im Voraus bezahlt.«
»Ist das denn normal?« Krause wusste, dass die Frage von sträflicher Naivität war, aber er brauchte Zeit, um die Flut seiner Gedanken zu ordnen.
»Keineswegs, und schon gar nicht bei den Nordkoreanern. Der Staat ist doch pleite. Ich habe hier eine Liste der schwarzen Löcher, wie wir das nennen. Und Nordkorea gilt in Geschäftskreisen unbestritten als das schwärzeste Loch auf dem Globus.«
Krause brauchte noch mehr Zeit zum Nachdenken, also sagte er: »Sie sollten sich über das Geschäft freuen.«
Der Mann gluckste erheitert. »Das tun wir auch, Herr Wiedemann, das können Sie glauben. Die Frage ist nur: Woher stammt das Geld?«
»Eins nach dem anderen, bitte. Sie sagten, es gehe um dreihundert Autos, richtig? Was sind denn das für Autos?«
»Ausgesprochen gute. Die S-Klasse. Es geht um den S-420-CDI, ein Achtzylinder-Diesel mit 320 PS, langer Radstand. Da kostet einer ohne ein einziges Extra schon achtzigtausend Euro.«
»Von wem kamen denn die einundzwanzig Millionen?«
»Von der China-International«, sagte der Mann. »Aber die Chinesen würden den Nordkoreanern doch keine einundzwanzig Millionen schenken, oder?«
»Sie nehmen also an, die Nordkoreaner haben plötzlich Cash?«, murmelte Krause.
»Genau das. Und deshalb rufe ich an.«
»Kann ich das Ganze schriftlich haben? Ohne Unterschrift natürlich. Auf einer Seite ohne Briefkopf?«
»Ja, das geht klar«, sagte der Mann nach kurzem Zögern.
»Und vielen Dank auch.« Nachdem Krause das Gespräch beendet hatte, sagte er laut in die Stille seines Büros: »Macht mir nicht das Hemd am Flattern!« Zuweilen fiel er haltlos in das Idiom seiner Vaterstadt zurück, aber nur, wenn er sicher war, allein zu sein. Er war Dortmunder.
Krause wählte den Apparat auf dem Tisch seines Präsidenten an und erklärte ohne Umschweife: »Wir haben hier Gefahr im Verzug. Nordkorea hat dreihundert Mercedes-Limousinen der S-Klasse bestellt und im Voraus bezahlt. Einundzwanzig Millionen Euro. Wir sollten uns fünf Minuten Zeit zum Nachdenken nehmen.«
»Dann kommen Sie her!«
Vor der Tür des Präsidenten kam es zu einem kurzen Stau, weil der Präsident eine Besuchergruppe abrupt und ohne jede Erklärung entlassen hatte. Die Leute standen jetzt führungslos und verunsichert im Dämmerlicht des Flurs herum. Krause murmelte gleich mehrere Male Guten Morgen, drängte sich an ihnen vorbei, glitt in den Raum und setzte sich unaufgefordert in einen der dunklen Ledersessel.
»Ich weiß, ich weiß«, sagte der Präsident lächelnd. »Sie haben immer schon vermutet, dass es eines Tages so kommen könnte. Und jetzt scheint es eingetreten. Was genau bedeutet das jetzt für uns?«
»Ein paar Tage konzentrierte Arbeit und die sofortige Bildung eines kleinen Apparates.«
»Eine heikle Sache, nicht wahr?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Das Bundeskanzleramt?«
»In jedem Fall, wenn Sie mich fragen.«
»Okay.« Der Präsident drückte einen Knopf und sagte übergangslos: »Ich weiß, meine Liebe, dass ich dir auf den Wecker gehe, aber wir brauchen deine Chefin. Irgendwann heute, für zehn Minuten. Das muss sein und ist unaufschiebbar.« Er hörte ein paar Sekunden zu und sagte dann: »Ich liebe euch alle.« Zu Krause gewandt, flüsterte er: »Wir fahren in zehn Minuten los, sie ist nicht mehr lange zu fassen.« Der Präsident war ein Mann, der liebend gern mitten im Chaos stand, der aufblühte, sobald irgendwo massive Probleme auftraten. »Und ziehen Sie sich ein Jackett über«, schickte er Krause überflüssigerweise hinterher.
Zehn Minuten später saßen sie im Dienstwagen. Der Fahrer schaffte die Strecke zum Kanzleramt in weniger als zwanzig Minuten, wobei Krause still voraussetzte, dass der Mann das schon hundertmal geübt hatte. Im Wagen wurde kein Wort gesprochen, mit Ausnahme eines Statements des Präsidenten: »Ich wünschte, Sie hätten weniger häufig recht.«
Es gab den üblichen Einzug der Gladiatoren, bei dem im Foyer alle den Kopf hoben und gleich darauf wieder senkten, als sei es ihnen verboten, auch nur das Geringste zu bemerken.
Sie fuhren nach oben.
Die Kanzlerin saß hinter ihrem Schreibtisch und trug eine orangefarbene Jacke von dem Zuschnitt, den Krause immer als bedenklich einfallslos bezeichnete.
»Setzen Sie sich. Und bitte keine Katastrophen. Machen Sie es bitte kurz und übersichtlich.«
»Es ist etwas passiert, das Sie wissen sollten«, erklärte der Präsident forsch. »Nordkorea hat dreihundert Mercedes-Limousinen gekauft und sie umgehend im Voraus bezahlt. Einundzwanzig Millionen Euro.«
Die Kanzlerin zog fragend eine Augenbraue hoch. »Aber die sind doch total pleite.«
»Ganz richtig«, murmelte der Präsident.
»Sie wollen sagen, dass irgendjemand ihnen Geld gegeben hat.«
»So wird es sein«, bestätigte Krause.
»Was vermuten Sie denn?«
»Wir vermuten noch gar nichts«, antwortete der Präsident. »Aber wir müssen die Möglichkeit haben, zu recherchieren. International, meine ich, und verdammt schnell.«
»Und Sie sind auch pleite und brauchen von mir die Mittel?«, fragte sie tonlos.
»Nicht nötig, alles noch im grünen Bereich«, sagte der Präsident schnell. »Das kann ich über den laufenden Etat machen.«
»Drohen uns heikle Umstände? Oder werden Sie ein bisschen kriminell? Nun knautschen Sie doch nicht so.«
»Wir müssen einen Krisenstab bilden, klein, nicht mehr als sechs, sieben Leute höchstens.«
»Da haben Sie meine Einwilligung, falls Sie nicht gerade Fort Knox anbohren wollen.«
»Eher nein«, sagte Krause zahm. »Es könnte aber sein, dass es viel Lärm in den Medien geben wird. Und wir brauchen Ihre Unterstützung.«
»Männer!«, sagte die Kanzlerin mahnend. »Jetzt drückt euch doch endlich mal klar aus.«
»Im schlimmsten Fall haben die Nordkoreaner eine Atombombe verkauft«, sagte Krause.
Es war eine ganze Weile lang sehr still. Die Kanzlerin drehte sich auf ihrem Stuhl zum Fenster und starrte hinaus.
»Ach, du lieber Gott«, seufzte sie dann. Sie hatte gelernt, mit Kalamitäten umzugehen. »Ich betrachte mich als informiert, und Sie haben die Erlaubnis. Und machen Sie sich so schnell an den Fall, wie Sie können. Ich will sofort informiert werden, falls etwas dran ist. Und auch, falls nichts dran ist. Egal wo ich bin.«
»Selbstverständlich«, sagte der Präsident.
»Wir werden uns melden«, bekräftigte Krause.
Als sie wieder im Auto saßen, sagte der Präsident: »Machen Sie mir einen kurzen Schrieb, wen Sie alles brauchen. Und ich will täglich von Ihnen hören, wenn nötig auch zweimal.«
»Ja«, sagte Krause brav.
Im Büro stellte sich Krause ans Fenster. Als übergeordneter Leiter aller laufenden Operationen und nächster Mann nach dem Präsidenten der Behörde genoss er das Privileg eines geräumigen Büros mit drei großen Fenstern. Sein größter Luxus, wie er fand. Minutenlang starrte er hinaus auf die alten Bäume und das leuchtende Grün der Rasenflächen. Dann rief er Goldhändchen und sagte lapidar: »Herkommen, bitte. Jetzt.«
Goldhändchen erschien nach drei Minuten, schloss die Tür hinter sich und blieb davor stehen, als habe er die Befürchtung, einen Rüffel für irgendeinen verbockten Auftrag zu bekommen. Er bemerkte trocken: »Ich sage es lieber gleich: Ich habe überhaupt keine Zeit.«
»Setzen Sie sich und hören Sie mir zu. Wir müssen eine heikle Kiste öffnen.« Mit knappen Worten informierte Krause seinen Spezialisten für elektronische Recherchen über die aktuelle Situation. »Nach allem, was geschehen ist«, schloss Krause, »interessiert mich jetzt brennend, wie viel Geld die Nordkoreaner auf einmal international gesehen zur Verfügung haben. Bei den Chinesen oder in Macau oder in Schanghai oder in Hongkong oder wo auch immer.«
Goldhändchen näherte sich dem Stuhl so vorsichtig, als sei der mit Starkstrom geladen. Er trug eine weiße Leinenhose zu leuchtend blauen Sportschuhen und darüber etwas glänzend Himmelblaues, was bei großzügiger Betrachtungsweise als Hemd durchgehen konnte. Keinen Schmuck, aber kiloweise Gel im Haar. Dazu gesellte sich der immerwährende Verdacht des ganzen Hauses, dass er sich schminkte, was ihn aber nicht im Geringsten interessierte. Er hatte einmal bei einer nicht genehmigten Sauferei in der Kantine geäußert, er sei Künstler und gebe immer sein Bestes. Dann hatte er unglaublich gut und ergreifend »Nur nicht aus Liebe weinen …« gesungen, und bei seinen ebenfalls betrunkenen Zuhörern waren reichlich Tränen geflossen, ehe er sich ein Taxi bestellte und wie eine Primadonna mit vielen kleinen Trippelschritten ins Freie eilte.
»Was ist?«, fragte Krause. »Können Sie feststellen, wie viel Geld Nordkorea in den letzten Wochen erhalten hat?«
»Haben wir irgendeine Vermutung, wer die Gelder angewiesen hat?«
»Haben wir nicht.«
»Verlief der ganze Vorgang in US-Dollar?«
»Nein, in Euro.«
Goldhändchen dachte eine Weile nach.
»Wie erledigen die Nordkoreaner ihren internationalen Zahlungsverkehr?«, fragte er.
»Eigentlich haben sie keinen internationalen Zahlungsverkehr. Sie haben eine windige Bank in Wien, aber bisher hat niemand herausgefunden, wozu diese Bank gut sein soll. Es ist ein Institut, in das nie jemand hineingeht und das demzufolge auch nie jemand verlässt. Die Chinesen haben ihnen, wenn ich recht informiert bin, ein paar Konten zur Verfügung gestellt, damit sie ihren Zahlungsverkehr abwickeln können. Mehr weiß ich nicht. Aber wir haben schließlich Fachleute für so etwas.«
»Haben sie die Autos gekauft, um die Entourage des Diktators ruhig zu stellen?
»Weiß ich doch nicht, Junge.«
»Ich müsste in jedem Fall maskiert vorgehen«, sagte er leise.
»Was immer das heißt, tun Sie es sofort.«
»Es ist ganz einfach«, murmelte Goldhändchen, der niemals eine Chance versäumte, sein Genie unter Beweis zu stellen. »In solchen Fällen gebe ich mich als Partnerbank der China-International aus.«
Krause lachte leise. »Ich schätze Ihre Arbeit, mein Lieber. Sie sind ein fantastischer Lügner und Täuscher. Aber machen Sie schnell.«
Und noch ehe Goldhändchen die Tür hinter sich geschlossen hatte, griff er erneut zum Telefon und sagte knapp: »Aus mit der goldenen Freiheit, mein Junge, wir haben um zwölf Uhr eine kleine Konferenz.«
»Ich komme«, sagte Karl Müller.
Krause drückte noch einmal eine Verbindung und sagte: »Tut mir leid, junge Frau, ich brauche Sie hier um zwölf Uhr.«
»Ich werde da sein«, bestätigte Svenja.
Sie lag auf ihrem Bett, den rechten Arm unterm Kopf, den Blick träge zur Decke gerichtet. »Wir haben also zu arbeiten.«
»Ja, sicher«, sagte Müller aus dem Bad. »So etwas soll vorkommen.« Er drehte sich zum Waschbecken um.
»Was machst du eigentlich, wenn er dich fragt, ob wir etwas miteinander haben?« Sie sprang auf und griff nach ihrer Unterwäsche.
»Dann werde ich versuchen, ihm auszuweichen.«
»Und wenn das nicht funktioniert?« Sie kam zu ihm ins Badezimmer und stellte sich unter die Dusche.
»Dann gestehe ich«, sagte er grinsend. »Ich neige mein Haupt und harre der Strafe.« Er wollte noch irgendetwas hinzusetzen, ließ es aber, weil das Wasser laut aus der Dusche prasselte. Stattdessen grölte er einen Schlager, der aus den Jugendtagen seines Vaters stammte. »Der alte Seemann kann nachts nicht schlafen …« Müller war glücklich und überlegte, ob er sich einen Bart wachsen lassen sollte.
»Und wenn ich behaupte, dass der Chef das schon lange weiß?« Sie hatte ihre Stimme erhoben, um das Rauschen des Wassers zu übertönen.
»Dann werde ich sagen, dass du mich verführt hast«, brüllte er zurück.
Svenja drehte das Wasser ab, schob die Tür der Duschkabine auf und sagte mit einem verführerischen Lächeln: »Wir haben noch dreißig Minuten …«
Wenig später lagen sie eng umschlungen auf dem Bett, ihr Atem noch immer schwer und unregelmäßig. Er betrachtete ihr Gesicht und fuhr die Linien ihrer Wange sanft mit dem Zeigefinger nach. »Was meinst du, wie unsere Kinder wohl aussehen würden?«
Sie hatte Mühe, nicht ärgerlich zu werden: »Wir leben vom Verrat. Und du sprichst von Kindern und von ewiger Liebe. Du bist ein Narr, Müller.«
»Ich weiß«, nickte er. »Aber kannst du mir nicht wenigstens ein paar Träumereien gönnen?«
»Doch, sicher. Aber am liebsten, wenn ich nicht dabei bin. Du machst mir Angst mit solchen Ideen.«
»Das wollte ich nicht«, sagte er schnell. Dann lächelte er. »Dein Vater war Japaner, deine Mutter stammte aus Kirgistan, ich bin ein stocktrockener preußischer Berliner. Das würde doch eine sehr interessante Mischung ergeben. Da wird man sich doch wohl ein Bild machen dürfen, oder?«
»Du bist und bleibst ein Träumer«, sagte sie jetzt sanft.
»Ja, manchmal. Wahrscheinlich brauche ich das zum Überleben.«
»Spring jetzt zum Überleben lieber mal in deine Jeans. Wann kommt eigentlich deine Tochter das nächste Mal?«
»Nächstes Wochenende, falls Krause das nicht gleich ändert.«
Sie fuhren wie immer getrennt. Und sie waren pünktlich.
Krause sah ihnen abwesend zu, wie sie hereinkamen, sich auf die Stühle setzten und ihn aufmerksam und erwartungsvoll anblickten. Er begrüßte sie nicht, sondern kam sofort zur Sache.
Nachdem er seine kurze Einführung über die jüngsten Vorkommnisse losgeworden war, lehnte er sich in seinem Stuhl sehr weit zurück und starrte aus dem Fenster.
»Dieser plötzliche Reichtum der Nordkoreaner beunruhigt mich sehr«, erklärte er.
»Wer kümmert sich eigentlich traditionell um Nordkorea?«, fragte Müller sachlich.
»Die Südkoreaner sind naturgemäß nicht schlecht, die Amerikaner agieren von Peking aus, aber niemand weiß, ob sie Agenten dort haben. Die Japaner sind ausreichend vertreten. Und vermutlich sind die Chinesen und die Russen auch ganz gut dabei, weil sie gemeinsame Grenzen haben.« Er legte beide Hände vor sich auf dem Schreibtisch ab. »Irgendjemand von der CIA hat einmal behauptet, geheimdienstlich gesehen sei Nordkorea ein schwarzes Loch. Tatsache ist, dass der Staat die Welt seit Jahren erpresst: Wir haben die Atombombe, und ihr müsst ganz ruhig sein, damit sie euch nicht um die Ohren fliegt. Der amerikanische Präsident hat das Land zu den Schurkenstaaten gezählt. Aber diesen texanischen Cowboy dürfen wir wohl bald vergessen. Gott sei Dank, denn wir müssen mit Staaten wie Nordkorea reden, anstatt ihnen Angst zu machen und sie an den Pranger zu stellen.«
»Warum ist das hier in Berlin überhaupt ein Thema?«, fragte Müller.
»Ich denke, diese Frage können Sie sich selbst beantworten. Sie wissen doch, was wir hinter dem überraschenden Reichtum Nordkoreas vermuten müssen. Sehr wahrscheinlich doch den Verkauf einer Atombombe. Reicht Ihnen das als Grund?
Vorläufig habe ich nur die Meldung von Mercedes, aber ich denke, dass sich in den nächsten vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden noch einiges tun wird. Und dann erwarte ich so etwas wie eine Panik, weil sämtliche Geheimdienste aufgescheucht werden.« Krause starrte wieder aus dem Fenster.
Nach einer Weile sah er zu Svenja und Müller hinüber, die beide einen betroffenen Eindruck machten. Er lächelte. »Leute, das kann euch doch nicht ernsthaft verwundern oder gar in Angst versetzen. Der Pakistani Abdul Qadeer Khan hat den Nordkoreanern seinerzeit alles an Technologie vermittelt und verkauft, was sie brauchten. Jetzt haben sie die Bomben, und sie verkaufen eine.«
»Und wir sollen herausfinden, wer der Käufer ist?«, fragte Svenja.
»So ist es«, nickte Krause.
»Und? Ist diese Bombe Ihrer Meinung nach bereits irgendwohin unterwegs?«, fragte Müller.
»Ich denke, ja.«
»Haben Sie ein Szenario?« Svenjas Gesichtszüge hatten sich plötzlich verhärtet, und ihre Augen waren nur noch dünne Striche.
»Es ist alles noch zu frisch. Aber stellen Sie sich eine solche Bombe in New York vor. Manhattan, zum Beispiel. Da müssen wir mit Millionen Toten rechnen. Man muss wissen, wie so eine Bombe wirkt. Sie ist etwa so groß wie ein Fußball. Dann baut man um diesen Fußball herum ein paar Kammern mit herkömmlichem Plastiksprengstoff, die in einer genau festgelegten zeitlichen Abfolge von Millisekunden zur Explosion gebracht werden und damit die Atombombe selbst zünden. Sowinski hat mir das eben genau erklärt. Eine solche Bombe, auf der Erde gezündet, zerstört jedes Leben in einem Umkreis von etwa fünfundzwanzig bis dreißig Kilometern. In einem weiteren Kreis von etwa fünfzig Kilometern wird immer noch alles pulverisiert, und die Menschen sterben innerhalb kürzester Zeit an Rückenmarksschäden und allen möglichen Formen von Krebs. Das Gebiet um den Explosionsherd kann etwa fünfundzwanzig Jahre lang nicht mehr betreten werden.
Und wir müssen auch den Mut haben, uns ein derartiges Szenario für Israel auszumalen. Stellen Sie sich vor, die Bombe wird irgendwo auf der Strecke zwischen Jerusalem und Tel Aviv zur Explosion gebracht. Wir müssten dann von etlichen Millionen Sofortopfern ausgehen und noch einmal so vielen Verletzten, die sehr schnell dahinsiechen würden. Das würde Israel praktisch auslöschen.«
»Kann der Iran der Käufer sein?«, fragte Müller.
»Natürlich. Und wenn er der Käufer ist, könnten dadurch die Machtverhältnisse im Nahen Osten auf den Kopf gestellt werden - und auch die in Europa. Das Geld jedenfalls hätten sie. Ahmadinedschad hat in einem Spiegel-Gespräch ja ganz klar sämtliche historischen Tatsachen bezüglich des Holocausts angezweifelt. Er ist schrecklich ungebildet und ein extremer Hasser. Es wird zwar nicht darüber geredet, aber wenn wir die Israelis im Blick haben, muss uns klar sein, dass die in ihrem Kampf auf den Einsatz ihrer eigenen Atomwaffen nicht verzichten werden.
Aber wir sollten beim Nächstliegenden bleiben. Wir haben die ziemlich gut fundierte Hypothese, dass Nordkorea eine Atombombe verkauft hat. Für uns bedeutet das, dass wir sehr schnell arbeiten und so viel an Information zusammentragen müssen, wie nur irgend geht. Es existiert ab sofort eine Arbeitsgruppe unter meiner Leitung, die regelmäßig den Präsidenten informiert. Wir waren bei der Kanzlerin. Sie ist einverstanden und will schnell Ergebnisse sehen. Sie beide sind dabei. Außerdem Goldhändchen, Sowinski. Letzter wird mein Stellvertreter und Leiter der Operation. Esser wird uns den Hintergrund liefern. Wenn Sie also laufende Arbeiten haben, geben Sie sie sofort ab. Ich möchte, dass alle Memos und Berichte in dieser Sache allen Mitglieder der Arbeitsgruppe zur Kenntnis geschickt werden.«
»Müssen Sie nicht auch alle Freunde benachrichtigen?«, fragte Svenja.
»Ich warte noch bis morgen früh und hoffe, dass Goldhändchen bis dahin schon irgendetwas über den Zahlungsvorgang herausgefunden hat.«
»Und wie viel Geld bringt so eine Atombombe?«, fragte Müller.
»Ich habe erfahren, dass die Nordkoreaner für die Aufbereitungsanage eine runde Milliarde Euro ausgegeben haben. Entsprechend werden sie für eine fertige Bombe eine Summe ab etwa fünfhundert Millionen aufwärts verlangen. Das heißt, es ist denkbar, dass sie achthundert Millionen Euro oder eine Milliarde verlangen und auch bekommen haben.«
»Wer hat denn so viel Geld?«, fragte Svenja.
»Viele Leute, glauben Sie mir. Denken Sie nur an die Hedgefonds, die mühelos jederzeit viele Milliarden Euro aus dem Hut ziehen können, wenn sie wollen. Ich frage mich aber in diesem Zusammenhang eher, wem würde so eine Bombe ins Konzept passen? Und bei den möglichen Antworten wird mir ganz schlecht.«
»Was können wir tun? Und was soll ich dabei?«, fragte Müller. Dann wurde er unsicher und versuchte, das hinter einem schiefen Grinsen zu verbergen. »Ich meine, Naher Osten ist okay, von mir aus auch Afrika, Afghanistan geht so gerade noch. Aber Fernost?«
»Kein besonderer Grund«, entgegnete Krause. »Ich brauche einfach Leute, auf die ich mich verlassen kann.«
»Sieh mal einer an«, murmelte Svenja und zeigte ihr Lausbubenlächeln.
»Sie machen sich reisefertig mit kleinem Gepäck und stehen zur Verfügung - und zwar rund um die Uhr. Am besten wäre es, wenn Sie hierher umziehen würden. Das ist alles.«
»Wann haben Sie eigentlich zum ersten Mal daran gedacht, dass so eine Bombe verkauft werden könnte?«, wollte Müller unbedingt noch wissen.
»Von dem Zeitpunkt an, an dem wir erfuhren, dass sie eine haben. Das ist schon Jahre her.«
»Muss man für London auch ein Bombenszenario annehmen?«, fragte Svenja und sah Krause dabei nicht an. Es war bekannt, dass sie Familie und Freunde dort hatte.
»Das kommt darauf an, wer die Bombe gekauft hat. Bei einer Explosion in einer der Londoner U-Bahn-Röhren kann man auch ohne genaue Berechnungen von Millionen Toten ausgehen.« Krauses Blick wanderte zwischen Svenja und Müller hin und her. »Sie haben unruhige Zeiten vor sich, aber Sie können sich doch auch gegenseitig stärken, oder?«
Müller wurde innerhalb einer Sekunde so wütend, dass er mit hochrotem Kopf aufsprang und dabei den Stuhl mit seinen Kniekehlen umwarf. Gab es denn in diesem verdammten Verein überhaupt kein Privatleben?
»Lass es«, sagte Svenja leise. Dann wandte sie sich wieder an Krause. »Woher wissen Sie es denn?«
»Sie riechen beide völlig identisch«, erklärte er grinsend.
Müller war dabei, seinen Stuhl aufzuheben und wieder ordentlich hinzustellen, was überaus schwierig schien. Er rückte ihn mehrere Male zurecht, sodass die beiden Vorderbeine eine präzise Parallele zur Schreibtischkante bildeten. Dann setzte er sich wieder hin.
Krause amüsierte sich innerlich über Müllers Einlage und schob nach: »Aber ich bin nicht pingelig.« Seine Augen funkelten. »Was für ein Parfüm tragen Sie denn eigentlich? Riecht gut.«
»Laura Biagiotti«, antwortete Svenja. »Heißt das, dass ich möglicherweise wieder in Nordkorea zum Einsatz komme?«
»Eher nein. Ich schätze, gerade Nordkorea wird kein Gebiet sein, das infrage kommt.«
»Selbst wenn man die Bombe findet, ehe sie hochgeht, was wird aus Nordkorea werden?«, überlegte Svenja laut.
»Nicht unwahrscheinlich, dass es gewaltige Anstrengungen kosten wird, die Amerikaner davon abzuhalten, das Land umzupflügen und jeden einzelnen Einwohner zu töten. Jetzt raus mit Ihnen, ich habe zu arbeiten.«
»Er ist manchmal wirklich ein Arsch!«, bemerkte Müller wütend, als sie auf dem Flur standen.
»Er ist wie ein Vater«, korrigierte sie sanft. »Er achtet auf uns.«
Gegen vierzehn Uhr an diesem Tag meldete sich Goldhändchen bei Krause und bemerkte, er habe da was und es sei in diesem Fall besser, wenn Krause zu ihm komme, statt umgekehrt. Also ging Krause in den ersten Stock hinunter in Goldhändchens Reich, einen großen fensterlosen Raum, in dem mehrere Bildschirme flackerten und eine Unzahl von durch Kabel miteinander verbundenen Apparaturen auf Tischen und Regalen herumstanden. Hinzu kamen etwa fünfzehn große Pflanzenkübel unter Speziallampen, in denen tropische Gewächse wucherten. Krause konnte sich in diesem Raum nicht länger als eine halbe Stunde aufhalten, weil er sonst unweigerlich Atemnot bekam. Er hasste das permanente Dämmerlicht.
»Setzen Sie sich«, sagte Goldhändchen und wies auf einen wuchtigen dunkelbraunen Ledersessel neben sich. Eine Betriebslegende besagte, dass Goldhändchen grundsätzlich niemals so etwas Profanes wie eine Besprechung oder Konferenz ansetzte, sondern diese Zusammenkünfte als Audienz bezeichnete. Und die bekam durchaus nicht jeder.
Krause versank in dem ledernen Ungetüm, das Goldhändchen in einem Gebrauchtmöbelmarkt im Wedding aufgetrieben hatte, und wie üblich empfand er das Teil als massive Behinderung. Er konnte nämlich die Arme nicht auf die Seitenpolster legen, weil er sie dann in Schulterhöhe hätte lagern müssen.
»Also, ich erkläre es Ihnen, damit Sie es verstehen.«
»Das wäre äußerst liebenswürdig«, entgegnete Krause sarkastisch.
»Ich habe mich maskiert an die China-International angeschlichen. Ich bin davon ausgegangen, dass Banken in Hongkong immer noch den direktesten Draht nach Peking haben. Also bekam die China-International Besuch von der Group-Miami, einem Konsortium, das in Hongkong mit einem Ableger vertreten ist. Meine Anfrage lautete in etwa: Liebe Mädchen und Jungens, ich habe ein Problem. Ich müsste bei euch in das Haben der Nordkoreaner rein, um runde sechshunderttausend für ein Paar Abwasserpumpen aus Deutschland zu kassieren. Da ich aber weiß, dass diese Leute grundsätzlich keine Mücken haben, frage ich freundlich an, ob die Abbuchung denn überhaupt möglich ist. Der Kollege in Peking, der heißt übrigens Hua Weng, muss am Platz gewesen sein, denn er antwortete sofort und schrieb: Kein Problem, mein Freund, die Nordkoreaner haben einen reichen Onkel aufgetrieben, denn hier stehen im Haben vierhundertzwanzig Millionen Euro. Wollen Sie, dass ich das ausdrucke?« Er sah Krause fragend an.
»Wie bitte?«, fragte der, weil er nicht gleich begriffen hatte, dass der letzte Satz ihm galt. »Ach so, natürlich hätte ich das gern ausgedruckt. Haben Sie denn auch sehen können, woher das Geld stammte und von wem?«
»Noch nicht, aber ich denke, dass ich das auch noch knacken kann - mit etwas Glück.« Seine Finger glitten mit geradezu wahnwitziger Geschwindigkeit über eine Tastatur. Dann meldete sich ein Drucker, der hinter Krauses Kopf auf einem Regal stand. »Ich mache es immer langsam und vorsichtig«, erklärte er nachsichtig, »damit ich niemanden aufschrecke.«
»Kommt es häufig vor, dass Sie mit Bankleuten zu tun haben?«
»Eigentlich schon. Es tut von Zeit zu Zeit gut, ein wenig privat mit ihnen zu verkehren - rein elektronisch versteht sich. Wenn sie merken, dass wir den gleichen stressigen Alltag wie sie selbst haben, sind sie handzahm, nett und umgänglich. Ich hatte mal einen mir persönlich nicht bekannten Kumpel im Pentagon, der mir die Leidensgeschichte mit seiner Frau berichtet hat. Ich musste sehr privat sein und sehr zartfühlend. Aber es lohnte sich, er schickte mir Daten über den Irak rüber.« Dann drehte er den Kopf zu Krause: »Sie können die Blätter dort mitnehmen.«
»Ja, ja, das ist nett«, sagte Krause und machte den Eindruck, als sei er schon kilometerweit entfernt.
»Es ist nämlich so«, erklärte Goldhändchen mit penetranter Arroganz. »Seit der Ostblock zusammenbrach, haben die Nordkoreaner überall in den sogenannten Bruderländern eine Menge Schulden gemacht. Denn die Bruderländer waren plötzlich nicht mehr kommunistisch und wollten für ihre Lieferungen bezahlt werden. Es ist passiert, dass Gelder, die eigentlich Nordkorea erreichen sollten, auf den Konten ehemaliger Ostblockbanken schlicht verloren gingen. Sozusagen eine perfide Methode, Schulden einzutreiben.«
»Ja«, nickte Krause wie ein gelehriger Schüler, »das leuchtet mir ein. Unter diesem Aspekt habe ich das noch nie betrachtet.« Dann räusperte er sich. »Heißt das jetzt, dass Sie auf irgendeinem Konto die sechshunderttausend Euro haben, ich meine, in Besitz genommen haben?«
»Nein, natürlich nicht. Ich könnte sie abbuchen und irgendwie einstreichen, aber das ist ja nicht mein Job hier, oder? Stattdessen schicke ich ein ›sorry‹ mit dem Vermerk, dass ich mich geirrt habe. Beim nächsten Besuch habe ich dann schon den besten Draht zur China-International, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Goldhändchen wirkte sehr zufrieden. Dann schien ihm noch etwas einzufallen, und er setzte zu einer weiteren Lektion an: »Sie müssen das Internet und seine viel gerühmten Sicherheitsschranken nicht so ernst nehmen, Chef. Ich gehe dort einfach spazieren wie in einer Landschaft. Neulich habe ich für Claude, einen meiner engsten Freunde, eine sehr exklusive Vorführung eingelegt. Er wollte nicht glauben, dass ich von seinem Bankkonto fünfhundert Euro abheben kann. Ohne seine Zustimmung, versteht sich, und ohne dass der Auftraggeber ersichtlich wird. Die meisten Leute haben keine Ahnung, dass ich ihre PIN für das Konto gar nicht brauche. Ich fingere mich an den Zwischenmodulen ihrer Nachrichten an ihre Bank ein, auf denen ihre Klartexte erscheinen. Claude war jedenfalls völlig von den Socken, als ich ihm seine fünfhundert auf meinem Konto zeigte. Jede deutsche Bank behauptet natürlich, dass ihre Netze sicher sind. Aber es gibt keine sichere Technik, Chef.« Er nickte ihm beinahe väterlich zu.
Krause stemmte sich aus den Tiefen des Ledersessels hoch, griff nach den Blättern im Drucker und brummte: »Sehen Sie zu, dass Sie diesen gottverdammten Sessel austauschen.«
»Oh, er ist doch himmlisch«, säuselte Goldhändchen. »Irgendwie fesselnd, nicht wahr?«
Auf dem Flur atmete Krause ein paarmal tief durch, rief dann in seinem Sekretariat an und teilte mit, dass er für die nächste halbe Stunde nicht erreichbar sei. Er ging auf den Gardeschützenweg hinaus und trieb wie ein welkes Blatt im November an der roten Backsteinfront entlang. Sein Gesicht wirkte faltig und grau, und unter seinen Augen lagen dunkle Ringe wie bei jemandem, der Probleme mit dem Herzen hat. Er dachte an seine Frau, und er dachte an die Möglichkeit, dass sie sterben könnte. Er dachte ihren Namen wie ein Stoßgebet, er dachte: Waltraud, Waltraud, Waltraud. Und er hörte sie antworten: Das kommt schon wieder in Ordnung, das kriegen wir in den Griff, mein Lieber. Wie immer.
Müller wusste nun, dass er Anna-Maria am Wochenende nicht würde sehen können, und wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen. Er rief seine Exfrau an und sagte: »Ich bin es, wie geht es bei euch?«
»Alles im grünen Bereich«, antwortete sie wie immer sehr neutral.
»Hör zu, ich habe ab sofort Bereitschaftsdienst, Anna-Maria kann also nicht herkommen. Ich muss rund um die Uhr verfügbar sein.«
Ihre Stimme wurde augenblicklich quengelig. »Das ist jetzt das dritte Mal, dass du absagst, und sie hat sich so gefreut.«
»Es geht nicht«, sagte er. Sie prügelte ihn häufig mit dem Satz: Sie hat sich so gefreut. Und es ärgerte ihn, dass es immer funktionierte. »Vielleicht kann Volker etwas mit ihr unternehmen?« Volker war ihr Neuer, präzise: ihr dritter Neuer, seit sie geschieden waren.
»Also, Volker kann auch nicht immer, und wir wollten endlich mal an die Müritz. Und überhaupt kümmert Volker sich schon genug. Im Gegensatz zu dir.«
»Dann grüß ihn bitte und sag ihm, er sei ein feiner Kerl und ich wäre ihm von Herzen dankbar.« Damit beendete er das Gespräch.
Er ließ sich rücklings auf das Bett fallen und starrte an die Decke seiner Einraumwohnung. Hier ist nichts von mir, dachte er. Hier werde ich auf Dauer verrückt. Wieso habe ich nicht längst eine andere Wohnung, irgendetwas, das ich mir selbst einrichte? Er erinnerte sich, dass er vor Wochen Svenja mit hierher genommen hatte. Er wollte sich nur schnell ein anderes Hemd anziehen. Sie hatte in diesem Raum gestanden, sich umgeschaut und mit einem sichtbaren Schrecken begriffen … ja, was eigentlich? Dass er verluderte, dass er sozial abrutschte?
»Das war einmal eine sichere Wohnung des Dienstes«, hatte er ihr erklärt. »Das ist billig, und mehr brauche ich nicht.«
Sie hatte mit bestürzender Offenheit erwidert: »Also, das hier … das könnte ich nicht ertragen.« Dann hatte sie sich zu ihm umgewandt und ruppig gesagt: »Mach schnell!« Der Zauber des Tages war auf einen Schlag zerstört gewesen, und in den Stunden danach hatte sie ihn immer wieder angesehen, als sei er ihr vollkommen fremd.
»Ich verkomme«, sagte er in die Stille hinein. »Ich habe, verdammt noch mal, keine Bleibe.«
Dann stand er auf und goss sich einen beachtlichen Schluck Whisky ein. Er wollte Svenja anrufen, ließ es aber, weil sie abwehrend geäußert hatte, sie wolle Besorgungen machen, die Wohnung putzen, ihre Spesenabrechnungen nachholen und vielleicht etwas über Nordkorea lesen.
Der Ficus geriet in sein Blickfeld, ein besenartiges Gewächs, das er gekauft hatte, um dem Raum einen Hauch von Wohnlichkeit zu verleihen. Das war jetzt weit länger als ein Jahr her. Die Pflanze war inzwischen vertrocknet und ähnelte all den muffigen, verstaubten Rosensträußen, die manche Frauen auf ihren Schränken platzieren, um die Erinnerung an irgendein großartiges, vergangenes Ereignis zu bewahren. Er trat mit aller Wucht gegen den tönernen Topf, der mit einem leisen Knacken zerbarst. Der tote Ficus blieb stehen, als wäre er unbesiegbar. Er nahm die Pflanze und stellte sie auf den Balkon, der diesen Namen eigentlich nicht verdiente, weil nicht einmal eine Liege Platz darauf hatte und die Sonne den kleinen Fleck niemals erreichte.
Sein Telefon klingelte, und er hoffte insgeheim, dass er zu irgendeinem Einsatz gerufen wurde. Aber es war seine Mutter, die mit vor Aufregung schriller Stimme sagte: »Junge, wie schön, dass du zu Hause bist. Ich will mich nur mal melden.«
»Das ist aber eine Überraschung. Wie geht es dir denn, und wo bist du?«
»Ich bin auf Rügen, Junge, auf der Insel Rügen. Und wir haben herrliches Wetter.«
Er wollte fragen: Wer ist wir? Stattdessen fragte er: »Wie kommst du dorthin?«
»Aber das habe ich dir doch erzählt. Tante Gerlinde lebt in Rostock. Bei der war ich ein paar Tage. Dann bin ich losgefahren, mir Rügen anzusehen. Man muss was tun in meinem Alter.«
Er wusste nicht, wer diese Tante war, er erinnerte sich an keine Tante Gerlinde. »Und wie ist es dort so?«
»Fantastisch, sage ich dir, ganz fantastisch, Junge. Warst du auf dem Friedhof?«
»Ja, war ich. Am vergangenen Freitag. Ich habe eine Blumenschale auf Papas Grab gestellt. Sieht hübsch aus. Wann kommst du nach Berlin zurück?«
»Vorerst nicht«, jubelte sie freudetrunken. »Wir haben eine Pension mit akzeptablen Preisen gefunden und gehen jeden Tag am Strand spazieren.«
»Wer ist wir, Mama? Tante Gerlinde und du?«
»Ach, Tante Gerlinde doch nicht«, antwortete sie in leichter Empörung. »Ich rede von Harry.«
»Aha. Und wer ist Harry?«
Eine Sekunde für den Anlauf. »Einfach ein wunderbarer Mensch, Junge. Wirklich. Und so ungeheuer feinfühlig.«
»Das freut mich aber«, sagte Müller sehr zurückhaltend. »Ich nehme an, du hast ihn auf Rügen kennengelernt.«
»Nein, in Flensburg.« Dann wurde sie verschwörerisch. »Stell dir vor, er hat mich regelrecht verfolgt. Von Flensburg nach Rostock und dann bis auf die Insel. Aber ganz unaufdringlich, also kein bisschen vulgär. Er sagt, er ist aus dem Alter raus, in dem man wissen will, wie schnell man eine Frau ins Bett kriegt.« Sie kicherte wie ein Schulmädchen.
»Das ist ja wunderbar, Mama. Und wie alt ist er?«
»Stell dir vor, genauso alt wie ich. Zusammen sind wir einhundertzweiundvierzig, sagen wir immer.«
»Das freut mich für dich«, stellte er tonlos fest.
»Weshalb ich aber eigentlich anrufe, Junge, das ist das Haus. Ich meine unser Haus in Berlin. Harry hat gesagt, davon hätte ich doch nichts. Also, nichts von einem Haus in Berlin. Und ich finde, er hat eigentlich recht. Was meinst du, soll ich es verkaufen? Du willst es ja doch nicht haben. Hier an der Ostsee ist es so herrlich, und da könnte ich das Geld doch gut gebrauchen. Da reicht ja auch eine Eigentumswohnung hier auf Rügen oder so was in der Art.«
»Das Haus gehört dir«, äußerte Müller zurückhaltend. »Du kannst damit machen, was du willst, Mama.«
»Deswegen rufe ich dich ja an, Junge. Was meinst du, kannst du dich mal mit einem Immobilienmakler in Verbindung setzen? Kannst du das für mich tun, mein Lieber?«
»Wenn du das willst, tue ich das, Mama.«
»Dass man mal einen ungefähren Anhaltspunkt hat, was so ein Haus bringen kann«, plapperte sie weiter. »Muss ja auch nicht heute sein, kann morgen oder übermorgen sein. Nur dass ich ungefähr weiß, womit ich rechnen kann. Du verstehst das schon, Junge.«
»Ja, das verstehe ich«, sagte Müller. »Aber wäre es nicht besser, du kommst mit diesem Harry zusammen hierher? Dann könnt ihr das doch viel gründlicher erledigen. Du weißt doch, ich habe wenig Zeit.«
»Ich bitte dich doch nun weiß Gott selten um irgendetwas.« Ihre Stimme wurde weinerlich. »Und Harry hat mir heute noch mal gesagt, er macht sich nichts aus Berlin, er will auf keinen Fall nach Berlin.«
»Ja«, murmelte er resigniert. »Ich frag mal bei der Bank nach.«
»Also, das ist aber lieb von dir, mein Junge.«
Er wollte noch sagen: »Viel Spaß mit Harry«, aber das kam ihm dann doch irgendwie komisch vor. Stattdessen sagte er: »Ich muss ins Amt, Mama. Mach es gut. Und melde dich wieder.«
Er versuchte, sich seine Mutter mit einem gewissen Harry im Bett vorzustellen. Es gelang ihm nicht, allein der Gedanke erschien ihm grotesk. Ihm fiel ein, was sein Vater vor langer Zeit einmal zu ihm gesagt hatte: »Deine Mutter lebt in einer ganz eigenen Welt.«
Als er den letzten Tropfen Whisky trank, wurde ihm auf einmal klar, dass er erschreckend wenig von seinen Eltern wusste. Er empfand einen Anflug von Trauer.
ZWEITES KAPITEL
Es war Nachmittag, als Krause sich mit Klaus Esser zusammensetzte, der sich im BND wahrscheinlich am besten mit Nordkorea auskannte. Er war, wie auch Sowinski, längst über die Neuigkeiten informiert worden.
Esser, der Leiter eines ganzen Heeres unterschiedlicher Fachleute von Sprachspezialisten über Politologen bis hin zu Waffenexperten, war ein ruhiger Mann, der auch in hektischen Diskussionen niemals laut wurde. Seine stärkste Waffe war eine leise Bestimmtheit, mit der er jedermann zwang, ihm genau zuzuhören. Er hatte wie üblich keinerlei Unterlagen bei sich - er hatte Nordkorea im Kopf. Und er scheute sich auch nicht, privat zu werden. »Ich höre, deiner Waltraud geht es nicht gut.«
»Nein«, antwortete Krause sehr steif. »Man hat Brustkrebs bei ihr festgestellt.«
Wahrscheinlich dachten sie in dem Augenblick beide an die seltenen privaten Treffen in irgendeiner Wohnung zurück, wenn ein Geburtstag oder eine silberne Hochzeit gefeiert worden waren. Selbstverständlich unter strikter Vermeidung aller Themen, die irgendwie mit dem Geheimdienst zu tun hatten. Es waren eindeutig rührende Treffen gewesen mit einem Hauch von Vertraulichkeit und der Betonung darauf, dass Geheimdienstler tatsächlich so etwas wie Privatleben hatten. Aber irgendwann hatten sie die Versuche aufgegeben, hatten nicht mehr gefeiert, weil Festefeiern zu Menschen wie ihnen einfach nicht passte.
»Ist er heilbar?«
»Wenn sie Metastasen finden, kaum. Das wird sich in diesen Tagen klären.«
»Schlimm«, sagte Esser. »Was willst du genau wissen?«
»Zunächst, für wie plausibel du unsere These vom Verkauf einer Bombe hältst.«
»Oh, das ist durchaus vorstellbar. Es ist das konsequente Durchziehen einer Politik, die zwischen extremer Arschkriecherei und penetranter Erpressung der Welt schwankt. Die herrschende Clique ist absolut skrupellos. Das gilt für den Diktator Kim Jong Il, der seinem Vater nachfolgte, ebenso wie fürs Militär und die gesamte Administration. Man kann von etwa siebenhundert herrschenden Männern ausgehen, Frauen kommen so gut wie nicht vor. Der Staat ist ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg. Er wird kommunistisch genannt, dabei ist es ein Land der Autokraten, ein unglaublich bizarres Gebilde. Der Vater des jetzigen Diktators hat immer noch den Posten des Präsidenten inne, obwohl er schon seit 1994 tot ist. Er wird der ewige Präsident genannt. Er ruht in einem Mausoleum, genauso wie Ho Chi Minh in Hanoi, für das sein Sohn zweihundert Millionen Dollar hingeblättert hat.«
»Also wieder mal ein Fall von massivem Personenkult. Erzähl mir noch ein bisschen davon«, bat Krause.
»Vater und Sohn nutzen aus, was in Korea zum guten Ton gehört: Die innige und fraglose Verehrung der Ahnen und lebenden Mächtigen. Gemessen an der Fläche des Landes, haben sie dort eine der größten Armeen dieses Planeten, Militarismus ist Alltag, Militärs sind absolute Götter. Und sie stellen sich gegenüber ihrem Volk ständig so dar, als lebten sie in einem Krieg. Sie spannen Fahnen über die Straße, auf denen steht: Fest zum Gedenken an den Sieg Nordkoreas über die Vereinigten Staaten am 27. Juli. Dabei gab es einen solchen Sieg im Koreakrieg nicht. Es gab nur bizarre Waffenstillstandsverhandlungen. 1953 war das.«
»Innenpolitisch galt die Lage doch als sehr stabil«, hakte Krause nach.
»Kein Wunder«, erklärte Esser. »Mit seinen dreiundzwanzig Millionen Einwohnern ist Nordkorea ein Staat, der sich weitgehend auf Lager und Straflager verlässt. Ein Staat voller geheimer Zuträger, eine wahnwitzige Zusammenballung von Spitzeln, weshalb ich nach Ende der Diktatur - wenn es jemals so weit kommt - dazu raten würde, die Türen zu schließen und das Völkchen allein zu lassen. Die werden sich ihr Chaos selbst schaffen. Derzeit lebt vermutlich weit mehr als eine Million Menschen in Straflagern, zum Teil wegen geradezu lächerlicher Vergehen. Da reicht schon die Lektüre einer veralteten westlichen Tageszeitung. Und nicht selten wird gleich die ganze Familie inhaftiert.«
»Was wissen wir noch, was nicht im Konversationslexikon steht?«, fragte Krause.
»Es gibt als einzige internationale Bank der Nordkoreaner die Golden Star Bank in Wien, die aber im Wesentlichen dadurch auffiel, dass sie gefälschte Hundertdollarnoten verbreitete und ständig Geld wäscht. Das Land lebt in Wirklichkeit vom Schwarzmarkt und vom schwarzen Geld, kann aber seine Einwohner nicht ernähren, muss also von der Welthungerhilfe Hunderttausende Tonnen Grundnahrungsmittel annehmen, fast jedes Jahr.
Der nordkoreanische Geheimdienst hat bei Diplomaten einen sehr schlechten Ruf, weil man glaubt, dass nicht einmal die wichtigsten Auslandsvertretungen ohne Wanzen sind, und weil dieser Geheimdienst nachweislich Flugzeugabstürze arrangierte und Attentate ausheckte. Und dieser Geheimdienst hat die Möglichkeit, jederzeit ohne Angabe von Gründen zu verhaften, wen auch immer. Kein Fremder kann sich in diesem Land frei bewegen, und die meisten Landschaften sind ohnehin verbotene Zonen. Und abends gehen die Lichter aus, es herrscht tiefste Finsternis, der Staat hat keinen Strom. Das dürfte so alles in allem das sein, was du zunächst einmal wissen solltest.«
»Was kannst du mir über das Transportwesen sagen?«
»Hoffnungslos veraltet. Eigentlich gibt es so etwas wie ein Transportwesen gar nicht. Die Eisenbahn ist in einem desolaten Zustand. Von Zeit zu Zeit fahren Lkw, die hinten auf der Ladefläche so viele Menschen mitnehmen wie möglich. Nordkorea ist das Land der leeren Straßen, ein durchfahrender Mercedes ist schon eine Sensation. Den meisten Verkehr erzeugen die Fußgänger. Um an Nahrungsmittel zu kommen, legen die Nordkoreaner unglaubliche Strecken zu Fuß zurück. Wir haben Berichte von Flüchtlingen darüber, wie die Menschen während der Hungerperioden dort Gras und Stroh gegessen und sich Suppen aus Baumrinde gekocht haben, ganz zu schweigen vom Verzehr von Ratten, Maulwürfen, Igeln und ähnlichem Getier. Und ganz zu schweigen davon, dass immer wieder über Kannibalismus gesprochen wird. Nordkoreanische Kinder sind so mager und kleinwüchsig, dass sie um drei bis vier Jahre hinter ihren gleichaltrigen Genossen in normalen Gesellschaften zurückbleiben.«
»Wenn du eine Atombombe aus dem Land bringen wolltest, wie würdest du das anstellen?«
»Weißt du, wie so ein Ding aussieht?«, fragte Esser zurück.
»Bislang weiß ich nur so viel, dass eine Bombe etwa so groß wie ein Fußball ist, aber dafür unglaublich schwer. Sie hat, richtig verpackt, eine kaum wahrnehmbare Strahlung, ist also de facto ungefährlich. Das heißt, das Ding fällt kaum auf und hat möglicherweise nicht mehr Volumen als eine gut gefüllte Aktentasche.«
»Wenn diese Bombe wirklich so handlich ist, hast du ein Riesenproblem, mein Lieber. Es ist ja anzunehmen, dass der Käufer ein reicher Mensch ist oder eine reiche Institution - nehmen wir einen Staat -, dann verfügt er über ein Flugzeug. Das Flugzeug kann in diesem obskuren Staat landen, die Bombe wird unter den Sitz des Kopiloten geschoben, und los geht die Reise.« Er starrte aus dem Fenster.
»Mit Sicherheit könnte der nordkoreanische Staat die Landung eines solchen Flugzeuges geheim halten. Bekanntlich haben wir selbst ein Flugzeug mit wechselnden Kennungen um den ganzen Erdball geschickt, ohne dass ein einziger Mensch es gemerkt hat. Ich habe auch noch nicht genügend nachgedacht, es ist alles noch sehr frisch. Ich kann jede Hilfe brauchen. Melde dich, wenn dein Hirn die möglichen Wege für eine Atombombe ausgespuckt hat. Außerdem denke ich, wir müssen noch mehr über ihre Verpackung wissen.«
»Ich werde mich mühen«, versprach Esser. Er stand auf und reichte Krause über den Schreibtisch hinweg die Hand. »Und grüß mir deine liebe Frau ganz herzlich.«
»Ja, ja danke«, murmelte Krause verwirrt und sah Esser nach, wie er die Tür ganz sanft hinter sich schloss, als habe er gestört.
Krause informierte sein Vorzimmer, dass er etwas Privates zu erledigen habe und für zwei Stunden außer Haus sei - aber ständig erreichbar. »Wenn ich wieder zurück bin, werde ich voraussichtlich noch ein paar Stunden arbeiten. Und wir sollten ab morgen früh sieben Uhr Ortszeit Berlin unsere wichtigsten Leute in Südostasien an der Strippe haben. Keine Konferenzschaltung, sondern schön nacheinander. Und bestellen Sie mir bitte ein Taxi.«
Irgendwann hatten seine Frau und er die stillschweigende Vereinbarung getroffen, dass seine Arbeitszeiten nicht zur Diskussion standen, und im Lauf der Jahre hatte sich Wally daran gewöhnt, dass er phasenweise erst gegen Morgen zu Hause erschien und zuweilen für viele Tage und Nächte überhaupt nicht. Er erinnerte sich an ein denkwürdiges Wiedersehen nach drei Wochen totaler Funkstille, als er morgens gegen sechs Uhr vollkommen erschöpft vor der Tür stand und seine Frau kopfschüttelnd bemerkte: »Woher hast du denn diesen scheußlichen Anzug?« Er hatte verärgert geantwortet: »Aber ich war doch in Washington und Tokio!«, und sie hatte schnippisch erwidert: »Sieh mal an, was du nicht sagst!« Es hatte dreißig wortlose Sekunden gedauert, bis sie beide in lautes Gelächter ausgebrochen war. Er hatte die nächsten drei Tage und Nächte fast nur geschlafen, und sie war auf Zehenspitzen durch die Wohnung geschlichen und hatte wütend vor sich hin geflüstert: »Dieser Scheißgeheimdienst macht mir noch meinen Mann kaputt!«
Krause ging durch den Park zum Haupteingang, stieg in das wartende Taxi und nannte dem Fahrer die Adresse des Krankenhauses. Er sagte: »Sie können sich Zeit lassen«, womit er im Grunde sich selbst meinte.
»Auch mal wieder da?«, fragte ihn eine Krankenschwester auf dem Flur, und er hob wortlos und linkisch die Schultern.
Dann nahm er hinter sich eine Bewegung wahr. Er drehte sich um und sah, wie sich die Krankenschwester zu einem Mann im weißen Kittel beugte. Er hörte sie flüstern: »Ich sollte Ihnen Bescheid geben, wenn er kommt. Das da ist er.«
Der Weißkittel nahm Tempo auf, näherte sich Krause mit ausgestrecktem Arm und sagte eifrig: »Haben Sie in paar Minuten Zeit für mich?«
Krause dachte: So machen sie es immer, sie strahlen diese mitfühlende Herzlichkeit aus, erschlagen dich fast damit. Und dann sagen sie dir, dass leider alles zu spät ist.
»Selbstverständlich«, antwortete er.
»Dann darf ich Sie in mein Büro bitten.«
Krause wusste nicht einmal, wie der Arzt hieß.
Der Mann eilte mit ganz kleinen Schritten vor ihm her und wirkte dabei wie ein beflissener Oberkellner, der ihn an den richtigen Platz geleiten wollte.
»Es ist mir wirklich wichtig, ein paar Minuten Ihrer Zeit zu bekommen, Herr Doktor Krause.« Er öffnete eine Tür, auf der nur SAUER stand, ließ Krause vorgehen, schloss die Tür hinter sich und erklärte: »Wissen Sie, ich kriege die Daten meiner Patienten so einfach auf den Tisch geknallt und muss damit fertig werden. Bei Ihnen fiel mir Ihr hoher militärischer Rang auf und dazu der Doktortitel. Und da frage ich mich doch: Was steckt dahinter?« Er wies auf einen Sessel vor dem Schreibtisch, trippelte selbst um den Schreibtisch herum und setzte sich. Er war um die fünfzig und vermutlich der Professor der Abteilung. Seinen runden Kopf zierte ein Kranz weißer Haare, er wirkte leicht unrasiert und trug eine kleine Wampe vor sich her.
»Haben Sie Metastasen gefunden?«, fragte Krause direkt.
Der Mann war augenblicklich fröhlich. »Oh, nein, nein, nein, mein Lieber. Wir haben sozusagen gar nichts gefunden. Aber das nur nebenbei. Sagen Sie, tun Sie Dienst in der Bundeswehr?«
»Nein«, antwortete Krause.
Sie hat Glück, sie hat unverschämtes Glück. Und ich natürlich auch. Und wenn dieses Arschloch mich nicht bald gehen lässt, werde ich handgreiflich. Wenn er noch einmal sagt: Das nur nebenbei, kriegt er von mir eins aufs Maul.
»Und woher und worüber dieser Doktor?«
»Über den Einfluss Hegels auf die philosophischen Denkweisen dieser Zeit. Aber das ist sehr lange her, das ist schon Geschichte. Wie geht es meiner Frau?«
»Ich würde sagen gut. Wir hatten sie heute in der Röhre. Sehr gründlich. Wie gesagt, keine Metastasen, nix. Wir werden ihr raten, die linke Brust zu amputieren, vorsichtshalber, aber damit müsste dann alles in Ordnung sein. Sie weiß es noch nicht, ich wollte erst mit Ihnen sprechen. Sagen Sie, das würde mich nun wirklich interessieren: Wie kommt man denn in Ihren Kreisen an Hegel?«
Krause war nahe dran, eine obszöne Bemerkung zu machen, hielt sich aber zurück. »Ich habe mich für den lieben Gott interessiert, da kommt man an Hegel nicht vorbei.« Er stand auf und reichte dem Mann über den Tisch hinweg die Hand. »Sie haben mich ausgesprochen glücklich gemacht«, sagte er, drehte sich herum und rannte fast zur Tür.
»Alles Gute, Herr Doktor!«, brüllte der Mediziner ihm nach.
Krause klopfte schüchtern, als wolle er sie nicht wecken, stieß dann die Tür auf und sagte mit ausgebreiteten Armen: »Es ist alles gut. Keine Blumen, aber eine gute Nachricht. Sie haben nichts mehr gefunden.«
Sie hatte ein ganz kleines Gesichtchen und wirkte sehr zerbrechlich. Sie antwortete nicht, schniefte nur ein wenig und suchte unter ihrem Kissen nach einem Taschentuch.
»Setz dich hierher auf das Bett. Du siehst müde aus«, sagte sie nach einer Weile.
Bevor sie in das Krankenhaus eingeliefert worden war, hatte sie sich die Haare dunkelrot färben lassen, um - wie sie trocken erwähnte - dem Teufel Angst einzujagen. Jetzt wirkte es so, als habe sie einen sehr roten Igel auf dem Kopf.
Krause setzte sich in den Halbkreis, den ihr auf der Seite liegender Körper formte. Er sagte: »Ich habe eben mit jemandem gesprochen, der Ahnung zu haben scheint. Er sagte mir, es gebe keine Metastasen. Sie werden mit dir sprechen, und sie machen einen zufriedenen Eindruck. Mein Gott, Wally, ich bin so froh.«
Vollständige Taschenbuchausgabe 02/2009 Copyright © 2007 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
eISBN : 978-3-641-02420-8
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