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Diese wunderbare Sammlung altindischer Erzählungen, 1922 erstmals von der Indologin Else Lüders herausgegeben und seitdem vielfach wieder aufgelegt, ist ein echter Klassiker. Enthalten sind 70 Jātaka-Geschichten – moralische Lehrstücke in Form von Märchen, Novellen, Legenden, Schwänken oder Fabeln. Alle Texte sind dem Dschatakam entnommen, einer heiligen buddhistischen Schrift. Die Geschichten spiegeln jene feinsinnige buddhistische Lebensweisheit, mit deren Hilfe der Mensch durch die Anfechtungen einer bösen Welt hindurch und zurück auf den tugendhaften Pfad des Buddha geführt werden soll.
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Seitenzahl: 588
Veröffentlichungsjahr: 2024
Buddhistische Märchenaus dem alten Indien
Ausgewählt und übertragen von Else Lüders
Mit einem Nachwort von Heinrich Lüders
Anaconda
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Die »Buddhistische Märchen aus dem alten Indien« erschienenerstmals 1921 bei Eugen Diederichs in Jena. Textgrundlage dieser Ausgabebot die Ausgabe Eugen Diederichs, Düsseldorf, Köln, 1961.Orthografie und Interpunktion wurden für diese Ausgabeauf neue Rechtschreibung umgestellt.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation inder Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2024 by Anaconda Verlag, einem Unternehmender Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagmotiv: Adobe Stock / uliabond (Buddhistische Raute),Anna (Tiere), Chayon Sarker (Buddha)
Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de
Satz und Layout: InterMedia – Lemke e. K., Heiligenhaus
ISBN 978-3-641-32422-3V001
www.anacondaverlag.de
Inhalt
Die in Klammern hinzugefügten Zahlen geben die Nummer des Dschātaka im Originaltext an.
1. Prinz Fünfwaffe (55)
2. Was ist gottartig? (6)
3. Sutanu (398)
4. Dschajaddisa (513)
5. Die Kaufleute und das Flügelross (196)
6. Die glückliche Insel (446)
7. Suppāraka (463)
8. Der Lohn der Tugend (190)
9. Das Marterrad (439)
10. Von dem Brahmanen, der die Fußspuren kannte (432)
11. Die Schlange im Grützsack (402)
12. Gāmanitschanda (257)
13. Der Hauspriester, der zur Unzeit redete (481)
14. Prinz Ohnegleichen (181)
15. Guttila, der Musiker (243)
16. König Tugendreich (51)
17. Das Mädchen Zweifel (380)
18. Der Mittelmango (281)
19. Dadhiwāhana (186)
20. Der ungerechte König (194)
21. Der zauberkundige Brahmane und die Räuber (48)
22. Parantapa (416)
23. Kusa und Pabhāwatī (531)
24. Vom König, der die Tiersprache verstand (386)
25. Die kluge Prinzessin (262)
26. Der betrogene Hauspriester (62)
27. Sussondī (360)
28. Die Frau im Kasten (436)
29. Die betrogene Ehebrecherin (374)
30. Sāmā (318)
31. Prinz Paduma (472)
32. Unmögliche Bedingungen (425)
33. Sulasā (419)
34. Sambulā (519)
35. Der tugendhafte Magha (31)
36. Die vier Patschtschēkabuddhas (408)
37. Das Kurugesetz (276)
38. Die beiden tugendhaften Könige (151)
39. Sawitthaka und sein Sohn (446)
40. König Assaka und der Mistkäfer (207)
41. Wie Sudschāta den Vater tröstet (352)
42. Der Bote des Magens (260)
43. Der Wert eines Bruders (67)
44. Die von Mäusen gefressene Pflugschar (218)
45. Die Wirkung des Niesens (126)
46. Die hochmütige Sudschātā (306)
47. Die falschen Schmeichler (261)
48. König Pingala (240)
49. Eifer nützt bei Einfalt nichts (211)
50. Der Brahmane und der Schafbock (324)
51. Die dankbaren Tiere und der undankbare Mensch (73)
52. Sabbadātha (241)
53. Der freigebige Hase (316)
54. Das tugendhafte Schwein (388)
55. Der Gazellenkönig Nigrōdha (12)
56. Die Krähe und der Pfau in Babylon (339)
57. Der lachende und weinende Widder (18)
58. Der kluge und der dumme Papagei (198)
59. Die Gazelle, der Specht und die Schildkröte (206)
60. Die sich aufopfernde Krähe (292)
61. Der folgsame Elefant (182)
62. Der Reiher und der Krebs (38)
63. Die schwatzhafte Schildkröte (215)
64. Der Esel im Löwenfell (189)
65. Der Affe und das Krokodil (208)
66. Die Affen als Parkwächter (46)
67. Die Eule als König der Vogel (270)
68. Der tanzende Pfau (32)
69. Der Specht und der Löwe (308)
70. Der Panther und das Schaf (426)
Nachwort
Namen und Ausdrücke
1. Prinz Fünfwaffe (55)
Das Folgende erzählte der Meister, als er im Dschētawana weilte, in Bezug auf einen Mönch, der die Anstrengung aufgegeben hatte. Der Meister redete nämlich den Mönch an und fragte ihn: »Ist es wahr, Mönch, dass du die Anstrengung aufgegeben hast?« – »Es ist wahr, Ehrwürdiger«, antwortete der »Mönch«, sagte der Meister, »früher in der Vorzeit erreichten die Wiesen das Glück der Königsherrschaft, indem sie sich anstrengten, wo die Anstrengung am Platz war.« Und dann erzählte er die Geschichte aus der Vergangenheit:
Einstmals, als Brahmadatta zu Benares regierte, wurde der Bōdhisatta im Schoß der Hauptgemahlin dieses Königs wiedergeboren. Am Tag seiner Namensgebung befragte man achthundert Brahmanen, die man mit allen möglichen guten Dingen erfreut hatte, nach seinen Merkmalen. Als die Brahmanen, die sich auf die Merkmale verstanden, gesehen hatten, wie vorzüglich seine Merkmale waren, prophezeiten sie: »Großer König, mit Tugenden ausgestattet, wird der Prinz nach Eurem Tod zur Herrschaft gelangen, und bekannt und berühmt ob seiner Fertigkeit im Gebrauch der fünf Waffen wird er der erste Mann in Indien sein.« Auf diese Rede der Brahmanen hin gab man ihm, als man einen Namen für ihn wählte, den Namen Prinz Fünfwaffe. Als er nun sechzehn Jahre alt und verständig geworden war, wandte sich der König an ihn und sagte: »Erlerne die Kunst, mein Sohn!« – »Bei wem soll ich sie erlernen, Herr?« – »Geh, mein Sohn und erlerne sie in der Stadt Takkasilā im Gandhārareich bei einem weit und breit berühmten Lehrer. Und dies sollst du dem Lehrer als Lohn geben.« Damit gab er ihm tausend Kahāpanas und schickte ihn fort. Der begab sich dorthin, und als er die Kunst erlernt hatte, gab ihm der Lehrer die fünf Waffen. Er nahm sie, verabschiedete sich ehrerbietig von dem Lehrer, zog aus der Stadt Takkasilā hinaus und machte sich, angetan mit den fünf Waffen, auf den Weg nach Benares. Unterwegs gelangte er an einen Wald, in dem ein Jakkha namens Klebehaar hauste. Als die Leute am Eingang des Waldes den Prinzen sahen, suchten sie ihn zurückzuhalten. »Junger Mann, geh nicht in den Wald! Dort lebt ein Jakkha namens Klebehaar. Wen er erblickt, den bringt er um.« Der Bōdhisatta aber, auf sich selbst vertrauend, schritt doch wie ein Mähnenlöwe, der die Furcht nicht kennt, in den Wald hinein. Als er mitten in den Wald gelangt war, zeigte sich ihm der Jakkha. Er war so groß wie ein Palmbaum und hatte sich einen Kopf von der Größe eines Dachpavillons gemacht und Augen so groß wie Schüsseln und zwei Hauer so groß wie ein paar Zwiebelschossen. Er hatte einen Adlerschnabel, sein Bauch war gefleckt, und seine Hände und Füße waren schwarzblau. »Halt«, sagte er, »wo willst du hin? Ich will dich fressen.« Da drohte ihm der Bōdhisatta. »Auf mich selbst vertrauend bin ich hierhergekommen, Jakkha. Gib wohl acht, wenn du mir nahekommst; denn mit einem vergifteten Pfeil werde ich dich durchbohren und auf der Stelle zu Fall bringen.« Und er legte einen mit Halāhalagift getränkten Pfeil auf und schoss ihn ab. Der aber blieb in den Haaren des Jakkha hängen. Darauf schoss er noch einen und so nacheinander fünfzig Pfeile ab, und alle blieben sie in seinen Haaren hängen. Der Jakkha schüttelte diese Pfeile sämtlich ab, sodass sie zu seinen Füßen niederfielen und ging auf den Bōdhisatta los. Und abermals drohte ihm der Bōdhisatta, zog sein Schwert und schlug auf ihn ein, doch auch das dreiunddreißig Zoll lange Schwert blieb in den Haaren hängen. Darauf stach er nach ihm mit dem Speer. Auch der blieb in den Haaren hängen. Als er merkte, dass der Speer festhing, schlug er mit der Keule auf ihn los. Auch die blieb in den Haaren hängen. Als er merkte, dass sie festhing, rief er: »He, Jakkha, du hast wohl noch nicht von mir gehört? Ich heiße Prinz Fünfwaffe. Als ich den Wald betrat, in dem du hausest, da tat ich es nicht im Vertrauen auf den Bogen und die anderen Waffen, sondern auf mich selbst vertrauend habe ich ihn betreten. Jetzt werde ich auf dich losschlagen, bis du zu Staub zermalmt bist.« Als er ihm so seinen Entschluss kundgetan hatte, stieß er einen lauten Schrei aus und schlug mit der rechten Hand nach dem Jakkha. Aber die Hand blieb in den Haaren hängen. Er schlug mit der linken Hand nach ihm. Auch sie blieb hängen. Er trat mit dem rechten Fuß. Auch der blieb hängen. Er trat mit dem linken Fuß. Auch der blieb hängen. »Ich werde dich mit dem Kopf stoßen, bis du zu Staub zermalmt bist!«, rief er und stieß mit dem Kopf zu. Auch der Kopf blieb in den Haaren hängen. Obwohl er fünffach verstrickt und an fünf Stellen gefesselt da hing, blieb er doch furchtlos und unverzagt. Da dachte der Jakkha: ›Das ist ein einzigartiger löwengleicher Mann, ein edler Mann, kein gewöhnlicher Mensch. Er zittert nicht einmal, wenn ihn ein Jakkha wie ich gepackt hat. Solange ich diese Straße unsicher mache, habe ich noch nie einen solchen Mann gesehen. Woher kommt es wohl, dass er sich nicht fürchtet?‹ Und da er ihn nicht zu fressen wagte, fragte er: »Woher kommt es, junger Mann, dass du keine Furcht vor dem Tod hast?« – »Weshalb soll ich mich fürchten, Jakkha? In jedem Dasein kommt der Tod doch einmal. Ich habe aber auch eine diamantene Waffe im Leib. Diese Waffe wirst du nicht verdauen können, wenn du mich fressen solltest. Sie wird dir die Eingeweide in Stücke schneiden und so deinen Tod herbeiführen. So werden wir beide umkommen. Deshalb fürchte ich mich nicht.« Dies sagte der Bōdhisatta nämlich mit Bezug auf die Waffe des Wissens in seinem Innern. Als der Jakkha das gehört hatte, dachte er: ›Dieser junge Mann spricht die Wahrheit. Von dem Körper dieses löwengleichen Mannes wird mein Leib kein Stückchen Fleisch und wäre es nur von Bohnengröße, verdauen können. Ich will ihn loslassen.‹ Und aus Furcht, sterben zu müssen, ließ er den Bōdhisatta los und sagte: »Junger Mann, du bist ein löwengleicher Mann. Ich werde dein Fleisch nicht fressen. Aus meiner Gewalt befreit, wie der Mond aus dem Rachen Rāhus, zieh dahin zur Freude für die Schar deiner Verwandten und Freunde!« Da sagte der Bōdhisatta zu ihm: »Jakkha, ich für mein Teil werde nun fortgehen, was aber dich betrifft, so wisse, du hast schon in einem früheren Dasein Böses getan und bist deshalb als ein grausamer, mörderischer Jakkha, der sich vom Fleisch und Blut anderer nährt, wiedergeboren. Wenn du auch in diesem Dasein fortfährst, Böses zu tun, wirst du aus einem Dunkel in das andere gehen. Seitdem du mich gesehen hast, kannst du aber nichts Böses mehr tun. Die Tötung lebender Wesen führt zur Wiedergeburt in der Hölle, im Leib eines Tieres, im Reich der Gespenster oder in der Klasse der Asuras. Sollte man aber unter den Menschen wiedergeboren werden, so bewirkt sie Kürze des Lebens.« Auf solche und ähnliche Weise setzte er dem Jakkha den Fluch der Übertretung und den Segen des Haltens der fünf Gebote auseinander, schüchterte ihn auf verschiedene Weise ein, unterwies ihn in der Lehre, bekehrte ihn, flößte ihm Selbstverleugnung ein, brachte ihn zur Annahme der fünf Gebote und veranlasste ihn, als eine Spenden empfangende Gottheit in jenem Wald zu leben. Nachdem er ihn noch ermahnt hatte, eifrig zu sein, verließ er den Wald. Am Ausgang des Waldes erzählte er den Leuten, was geschehen und zog dann, angetan mit den fünf Waffen, nach Benares und suchte seine Eltern auf. Später erlangte er die Herrschaft und regierte mit Gerechtigkeit, und nachdem er Almosen gespendet und andere verdienstvolle Werke getan, fuhr er dahin nach seinen Taten.
Als der Meister diese Unterweisung über das rechte Verhalten erteilt hatte, sprach er als vollkommen Erleuchteter den folgenden Vers:
»Der Mensch, der lustgelösten Sinns
im Drang nach sel’ger Sicherheit
Mit lustgelöstem Herzen sich
der Fördrung rechten Wissens weiht,
Der wird im Lauf der Zeit gewiss
von aller Fesseln Last befreit.«
Nachdem der Meister so die Unterweisung über das rechte Verhalten in der Arahatschaft hatte gipfeln lassen, verkündete er schließlich die vier Wahrheiten. Als die Verkündigung der Wahrheiten beendet war, erreichte der Mönch die Arahatschaft. Und den Zusammenhang herstellend, verknüpfte der Meister das Dschātaka: »Damals war Angulimāla der Jakkha, Prinz Fünfwaffe aber war ich.«
2. Was ist gottartig? (6)
Einstmals war Brahmadatta König zu Benares im Kāsireich. Damals empfing der Bōdhisatta ein neues Leben im Schoß von dessen Hauptgemahlin. Am Tag seiner Namensgebung gab man ihm den Namen Prinz Mahingsāsa. Als er laufen konnte, wurde dem König noch ein Sohn geboren; dem gab man den Namen Prinz Tschanda. Als der aber laufen konnte, starb die Mutter des Bōdhisatta. Der König machte eine andere zu seiner Hauptgemahlin. Sie war dem König lieb und wert. Da sie in Liebe mit ihm lebte, gebar sie einen Sohn; dem gab man den Namen Prinz Surija. Als der König den Prinzen gesehen hatte, sagte er erfreuten Herzens: »Meine Liebe, ich gewähre dir einen Wunsch für deinen Sohn.« Die Königin behielt sich vor, von dem Wunsch Gebrauch zu machen, wenn es ihr gut dünkte. Als nun der Sohn herangewachsen war, sagte sie zu dem König: »Der Herr hat mir einen Wunsch gewährt, als mein Sohn geboren wurde. Gib meinem Sohn die Herrschaft!« Der König schlug es ihr ab. »Ich habe zwei Söhne, die wie Feuersäulen leuchten. Ich kann deinem Sohn die Herrschaft nicht geben.« Als er aber sah, dass sie immer wieder bat, da dachte er: ›Sie könnte vielleicht sogar noch etwas Böses wider meine Söhne ersinnen.‹ Er ließ die Söhne kommen und sprach: »Ihr Lieben, ich gewährte zur Zeit, als Prinz Surija geboren wurde, einen Wunsch. Jetzt bittet seine Mutter um die Herrschaft. Ich habe keine Lust, sie ihm zu geben. Aber das Weibervolk ist böse, sie könnte sogar noch etwas Böses wider euch ersinnen. Zieht daher in den Wald, und wenn ich tot bin, sollt ihr in der Stadt, die unserem Haus gehört, die Herrschaft führen.« Klagend und weinend küsste er sie auf das Haupt und entließ sie. Ehrerbietig verabschiedeten sie sich von dem Vater, und als sie vom Palast herabstiegen, sah sie der Prinz Surija, der im Palasthof spielte, und als er die Sache erfuhr, beschloss er, selbst mit den Brüdern fortzugehen und zog mit ihnen von dannen.
Sie kamen in den Himalaja. Der Bōdhisatta setzte sich abseits von der Straße unter einem Baum nieder und wandte sich an den Prinzen Surija. »Lieber Surija, geh zu jenem Teich, und wenn du gebadet und getrunken hast, so bring auch uns etwas Wasser in ein paar Lotusblättern!«
Diesen Teich aber hatte ein Wasserrakkhasa von Wessawana bekommen, und Wessawana hatte ihm gesagt: »Außer den Leuten, die wissen, was gottartig ist, darfst du alle fressen, die in diesen Teich hineinsteigen. Wer aber nicht hineinsteigt, den darfst du nicht fressen.« Von da ab fragte der Rakkhasa die Leute, die in jenen Teich hineinstiegen, was gottartig wäre, und wer es nicht wusste, den fraß er auf. Nun kam der Prinz Surija zu jenem Teich und stieg arglos hinein. Da packte ihn der Rakkhasa und fragte: »Weißt du, was gottartig ist?« Er antwortete: »Gottartig sind Sonne und Mond.« – »Du weißt nicht, was gottartig ist«, sagte jener, zog ihn ins Wasser hinab und brachte ihn dahin, wo er wohnte. Als der Bōdhisatta sah, dass er lange ausblieb, schickte er den Prinzen Tschanda aus. Auch ihn packte der Rakkhasa und fragte ihn: »Weißt du, was gottartig ist?« – »Allerdings weiß ich es, gottartig sind die vier Himmelsrichtungen.« – »Du weißt nicht, was gottartig ist«, sagte der Rakkhasa, packte auch ihn und verwahrte ihn an demselben Ort. Als auch Tschanda lange ausblieb, dachte der Bōdhisatta: ›Da muss etwas passiert sein‹ und ging selbst dorthin, und als er die hinabführende Fußspur der beiden erblickt hatte, dachte er: ›Dieser Teich ist offenbar im Besitz eines Rakkhasa‹ und blieb stehen, umgürtet mit dem Schwert und den Bogen in der Hand. Wie der Wasserrakkhasa sah, dass der Bōdhisatta nicht ins Wasser hineinstieg, nahm er die Gestalt eines Waldarbeiters an und sprach zu dem Bōdhisatta: »He, Mann, du bist ermüdet von der Wanderung, warum steigst du nicht in diesen Teich hinein und badest und trinkst und issest Lotuswurzeln und steckst dir Blumen an und ziehst dann wieder behaglich deines Wegs?« Als der Bōdhisatta ihn erblickte, erkannte er, dass er ein Jakkha sein müsste und sprach: »Du hast meine Brüder geraubt.« – »Ja, das habe ich getan.« – »Warum denn?« – »Die Leute, die in diesen Teich hineinsteigen, sind mir verfallen.« – »Sind sie dir alle verfallen?« – »Die, welche wissen, was gottartig ist, sind ausgenommen. Die Übrigen sind mir verfallen.« – »Hast du denn wirklich Verlangen nach dem, was gottartig ist?« – »Ja, das habe ich.« – »Wenn dem so ist, so will ich dir verkünden, was gottartig ist.« – »So sag es mir denn! Ich will erfahren, was gottartig ist.« – »Ich könnte dir sagen, was gottartig ist«, sagte der Bōdhisatta, »aber ich fühle mich noch angegriffen.« Da badete der Jakkha den Bōdhisatta, gab ihm zu essen und Wasser zu trinken, steckte ihm Blumen an, salbte ihn mit Wohlgerüchen und richtete inmitten einer geschmückten offenen Halle einen Diwan für ihn her. Der Bōdhisatta setzte sich auf den Sitz und hieß den Jakkha sich zu seinen Füßen niedersetzen und sagte: »So leihe mir denn dein Ohr und vernimm aufmerksam, was gottartig ist.«
Und er sprach den folgenden Vers:
»Wer lichter Tugend sich geweiht,
wen Scham und Scheu vor Sünde wahrt,
Wer gut und heilig in der Welt,
den heißet man ›von Gottes Art‹.«
Als der Jakkha diese Unterweisung in der Lehre vernommen hatte, sprach er gnädig zu dem Bōdhisatta: »Weiser, ich bin dir gnädig gesinnt. Ich will dir einen Bruder schenken. Welchen soll ich holen?« – »Hole den Jüngeren.« – »Weiser, du weißt nur, was gottartig ist, aber du handelst nicht danach.« – »Inwiefern?« – »Weil du mit Hintansetzung des Älteren den Jüngeren holen lässt und nicht die Pflicht, den Älteren zu ehren, erfüllst.« – »Ich weiß, was gottartig ist, Jakkha und handle auch danach. Um dieses Knaben willen sind wir nämlich in den Wald gezogen, denn für ihn erbat seine Mutter von unserem Vater die Herrschaft. Unser Vater gewährte ihr zwar diesen Wunsch nicht, gestattete uns aber, um unserer Sicherheit willen im Wald zu leben. Der Knabe aber ist, ohne umzukehren, mit uns hergezogen. Wenn wir sagen, ein Jakkha habe ihn im Wald gefressen, wird es niemand glauben. Aus Furcht vor übler Nachrede bitte ich dich daher, gerade ihn zu holen.« – »Bravo, bravo, Weiser«, rief der Jakkha, gnädig gesinnt dem Bōdhisatta Beifall spendend, »du weißt, was gottartig ist und handelst auch danach.« Damit holte er beide Brüder herbei und übergab sie ihm. Da sagte der Bōdhisatta zu ihm: »Mein Lieber, um böser Tat willen, die du früher begangen hast, bist du als ein Jakkha wiedergeboren worden, der das Fleisch und Blut anderer frisst. Auch jetzt wieder tust du Böses. Dieses böse Tun wird dich hindern, von der Wiedergeburt in der Hölle und den anderen niederen Welten freizukommen. Daher gib von nun ab das Böse auf und tue Gutes!« Und es gelang ihm, ihn zu bekehren.
Nachdem er den Jakkha bekehrt hatte, blieb er unter seinem Schutz dort wohnen. Eines Tages aber betrachtete er die Gestirne und erkannte, dass sein Vater gestorben sei. Da ging er zusammen mit dem Jakkha nach Benares, nahm die Herrschaft an sich, machte den Prinzen Tschanda zum Vizekönig und gab dem Prinzen Surija die Stelle des Generals. Dem Jakkha aber ließ er an einem lieblichen Ort ein Haus erbauen und sorgte dafür, dass er die schönsten Kränze, die schönsten Blumen und die schönsten Speisen erhielt, und nachdem er in Gerechtigkeit regiert hatte, fuhr er dahin nach seinen Werken.
3. Sutanu (398)
Einstmals, als Brahmadatta zu Benares regierte, wurde der Bōdhisatta in der Familie eines armen Haushalters wiedergeboren, und man gab ihm den Namen Sutanu. Als er herangewachsen war, diente er um Lohn und erhielt seine Eltern, und als der Vater gestorben war, erhielt er die Mutter.
Zu der Zeit war aber der König von Benares der Jagd ergeben. Eines Tages zog er mit großem Gefolge in den ein bis zwei Meilen großen Wald und ließ allen ankündigen: »Der, an dessen Platz eine Gazelle durchbricht, hat ihren Wert zu zahlen.« Die Hofleute errichteten an der Stelle, wo das Wild vorbeizukommen pflegte, eine versteckte Hütte und wiesen sie dem König an. Als nun die Gazellen von den Leuten, die ihre Lagerplätze umringt hatten, mit lautem Geschrei aufgescheucht waren, da rannte eine schwarze Gazelle auf den Standort des Königs los. Der hoffte sie treffen zu können und schoss einen Pfeil ab. Als die Gazelle, die in Listen erfahren war, merkte, dass der Pfeil auf ihre Flanke zukam, warf sie sich herum und ließ sich zu Boden fallen, als wenn sie vom Pfeil getroffen wäre. Der König dachte, er habe die Gazelle getroffen und lief hin, um sie zu holen. Die Gazelle aber sprang auf und entfloh schnell wie der Wind. Die Höflinge und die übrigen Leute lachten den König aus. Da jagte er hinter der Gazelle her, und als sie ermattet war, hieb er sie mit dem Schwert in zwei Teile, hängte sie an einen Stock, und wie er nun so, gleichsam eine Tragstange tragend, dahinwanderte, gelangte er zu einem Feigenbaum, der am Weg stand und dachte: ›Ich will ein wenig ausruhen‹ und legte sich nieder und schlief ein. In diesem Feigenbaum aber war ein Jakkha namens Makhādēwa wiedergeboren; der hatte von Wessawana die Erlaubnis erhalten, alle, die dahin kämen, zu fressen. Als der König aufstand und gehen wollte, packte der Jakkha ihn an der Hand und rief: »Halt, ich will dich fressen!« – »Wie heißt du?« – »Ich bin ein hier wiedergeborener Jakkha, und ich darf diejenigen, die diesen Ort betreten, fressen.« Der König nahm seinen Mut zusammen und fragte: »Willst du nur heute oder willst du für immer etwas zu fressen haben?« – »Wenn ich kann, will ich für immer zu fressen haben.« – »Dann friss heute diese Gazelle und lass mich los! Von morgen ab werde ich dir einen Menschen mit einer Schüssel voll gekochten Reis schicken.« – »Dann sei nur sorgsam damit! An dem Tag, wo du nichts schickst, werde ich dich fressen.« – »Ich bin der König von Benares, bei mir gibt es nichts Unmögliches!« Der Jakkha ließ es sich versprechen und ließ ihn los.
Als der König in die Stadt zurückgekehrt war, erzählte er einem mit den Geschäften betrauten Minister die Sache und fragte: »Was ist jetzt zu machen?« – »Habt Ihr die Zahl der Tage begrenzt, Herr?« – »Das ist nicht geschehen.« – »Das war nicht recht von Euch getan, dass Ihr es so gemacht habt. Aber habt keine Sorge, es sind viele Leute im Gefängnis.« – »So besorge du diese Angelegenheit, rette mir das Leben!« Der Minister erklärte sich dazu bereit. Täglich nahm er aus dem Gefängnis einen Menschen und schickte ihn, ohne ihn etwas wissen zu lassen, mit einer Schüssel Reis zu dem Jakkha. Wenn dann der Jakkha den Reis verzehrt hatte, fraß er den Mann. Nach einiger Zeit waren die Gefängnisse leer von Menschen. Da erzitterte der König vor Todesfurcht, weil er keinen mehr bekommen konnte, der den Reis hintrug. Der Minister beruhigte ihn und sagte: »Herr, stärker als das Verlangen zu leben ist das Verlangen nach Geld. Wir wollen einen Beutel mit tausend Kahāpanas auf die Schultern eines Elefanten legen und unter Trommelschlag verkünden lassen: ›Wer will für dieses Geld dem Jakkha Reis bringen?‹ « Und so ließ er es machen. Da dachte der Bōdhisatta: ›Ich bringe durch meine Arbeit nur einen Groschen oder einen halben zusammen und kann davon nur mit Mühe meine Mutter ernähren. Ich will dies Geld nehmen, es meiner Mutter geben und zu dem Jakkha gehen. Sollte ich imstande sein, den Jakkha zu bezwingen, so ist es gut; sollte ich nicht dazu imstande sein, so wird meine Mutter ein behagliches Leben haben.‹ « Er erzählte der Mutter die Sache. Zweimal wies sie ihn zurück. »Rede nicht davon, mein Sohn, ich brauche das Geld nicht.« Zum dritten Mal fragte er nicht mehr um ihre Einwilligung, sondern sagte: »Ihr Herren, bringt die Tausend her! Ich will den Reis hinbringen.« So nahm er die Tausend, gab sie der Mutter und sagte: »Sorge dich nicht, Mutter, ich werde den Jakkha bezwingen und dem Volk Heil bringen. Heut noch werde ich wiederkommen und dein tränenfeuchtes Antlitz wieder lachen machen.« Damit verabschiedete er sich ehrerbietig von der Mutter und begab sich mit den Dienern des Königs zum König und blieb nach ehrerbietigem Gruß stehen. Als der König ihn fragte: »Mein Lieber, willst du den Reis hinbringen?«, antwortete er: »Ja, Herr!« – »Was musst du dazu haben?« Er sagte: »Eure goldenen Schuhe, Herr.« – »Zu welchem Zweck?« – »Herr, der Jakkha darf alle, die auf dem Platz am Fuß des Baumes stehen, fressen. Ich werde mich aber nicht auf den Platz, der ihm gehört, stellen, sondern werde in den Schuhen stehen.« – »Musst du noch etwas anderes dazu haben?« – »Euern Sonnenschirm, Herr.« – »Warum denn?« – »Herr, der Jakkha darf alle, die im Schatten seines Baumes stehen, auffressen. Ich werde mich nicht in den Schatten seines Baumes stellen, ich werde im Schatten des Sonnenschirmes stehen.« –»Musst du noch etwas anderes dazu haben?« – »Euer Schwert, Herr.« – »Wozu brauchst du das?« – »Herr, auch die Dämonen fürchten sich vor denen, die Waffen in den Händen haben.« – »Musst du noch etwas anderes dazu haben?« – »Reis, wie Ihr ihn esst, in Eurer goldenen Schüssel.« – »Aus welchem Grund, mein Lieber?« – »Herr, für einen weisen Mann, wie ich es bin, ist es nicht passend, gewöhnliche Speise in irdener Schüssel zu bringen.« – »Gut, mein Lieber«, sagte der König, ließ ihm alles geben und gab ihm Diener mit, seine Befehle auszuführen. Dann verabschiedete sich der Bōdhisatta ehrerbietig von dem König, indem er sagte: »Großer König, fürchte dich nicht! Ich werde noch heute zurückkommen, nachdem ich den Jakkha bezwungen und Euch Heil gebracht habe.« Dann ließ er die Gerätschaften aufpacken, begab sich dorthin, ließ unweit von dem Baum die Leute sich aufstellen, stieg in die goldenen Schuhe, gürtete sich das Schwert um, hielt sich den weißen Sonnenschirm über den Kopf und, den Reis in der goldenen Schüssel tragend, näherte er sich dem Jakkha. Als der Jakkha den Weg entlangsah, erblickte er ihn und dachte: ›Dieser Mann kommt nicht in der gleichen Weise, wie die Männer an den anderen Tagen kamen; was kann wohl der Grund sein?‹ Der Bōdhisatta aber ging nahe an den Baum heran und schob mit der Spitze des Schwertes die Reisschüssel in den Schatten hinein, und am Rand des Schattens stehend, sprach er den ersten Vers:
»Der König schickt dir hier den Reis,
der säuberlich mit Fleisch gemischt.
Der du im Makhādēwa wohnst,1
1 Es scheint, wenn die Lesung richtig ist, dass der Name des Jakkha auf den Baum, in dem er wohnt, übertragen ist.
tritt vor! Iss, was dir aufgetischt!«
Als der Jakkha das hörte, dachte er: ›Ich werde diesen Mann überlisten und ihn, wenn er in den Schatten getreten ist, fressen‹, und so sprach er den zweiten Vers:
»Komm etwas näher, Knabe! Bring
dein würzig Mahl nur hier herein!
Du, Knabe, und dein Reisgericht,
ihr beide sollt mein Fressen sein.«
Darauf sprach der Bōdhisatta zwei Verse:
»Geringem Vorteil jagst du nach,
derweil der große dir entgeht.
Wer wird dir Speise bringen wohl,
wenn ihm der Tod vor Augen steht?
Leckre, saubre, saft’ge Speise –
immer kannst du auf sie zählen.
Doch wenn du mich frisst, o Jakkha,
wird es an dem Bringer fehlen.«
Da erkannte der Jakkha, dass der junge Brahmane das Richtige gesagt habe und sprach freundlich gestimmt zwei Verse:
»Es ist mein Vorteil, Sutanu,
wie, Knabe, du mich lehrst.
So will ich dir’s erlauben, dass
du heim zur Mutter kehrst.
Nimm Schwert und Schirm und Schüssel, Knab!
In Frieden magst du gehn.
Gesund soll dich die Mutter schaun
und du die Mutter sehn.«
Als der Bōdhisatta die Rede des Jakkha vernommen hatte, dachte er erfreuten Herzens: ›Mein Werk ist vollendet, ich habe den Jakkha bezwungen, viel Geld hab ich erlangt, ich habe des Königs Auftrag ausgeführt‹, und indem er sich bei dem Jakkha bedankte, sprach er den Schlussvers:
»So wünsche ich dir, Jakkha, Heil,
dir und der Sippe dein.
Des Königs Auftrag ist erfüllt,
und all das Geld ist mein.«
Nach diesen Worten aber sprach er zu dem Jakkha: »Lieber, du bist als ein wilder, grausamer Jakkha, der sich vom Fleisch und Blut anderer ernährt, wiedergeboren, weil du in einem früheren Dasein eine schlechte Tat begangen hast. Von heut ab gib das Vernichten von Leben und ähnliches böses Tun auf!« Und nachdem er dem Jakkha den Segen der Tugend und den Fluch der Sünde auseinandergesetzt und ihn in den fünf Geboten befestigt hatte, sprach er: »Was willst du in dem Wald wohnen? Komm, ich will dir eine Wohnung am Stadttor verschaffen und veranlassen, dass du den besten Reis erhältst!« Damit brach er zusammen mit dem Jakkha auf und wanderte nach Benares, und der Jakkha musste das Schwert und die anderen Dinge tragen. Da meldete man dem König, dass der junge Brahmane Sutanu mit dem Jakkha käme. Der König, umgeben von seinen Hofleuten, zog dem Bōdhisatta entgegen. Er gab dem Jakkha eine Wohnung am Stadttor und ließ ihm den besten Reis reichen. Als der König dann in die Stadt eingezogen war, ließ er die Trommel schlagen und alle Stadtbewohner zusammenrufen und erzählte ihnen von der Trefflichkeit des Bōdhisatta und machte ihn zu seinem General. Er selbst aber ließ sich immer von dem Bōdhisatta leiten, und nachdem er Almosen gespendet und andere verdienstliche Werke getan hatte, kam er in den Himmel.
4. Dschajaddisa (513)
Das Folgende erzählte der Meister, als er im Dschētawana weilte, in Bezug auf einen Mönch, der seine Mutter ernährte. Die Geschichte aus der Gegenwart gleicht der Geschichte, die im Sāmadschātaka2 erzählt wird. Damals aber sagte der Meister: »Die alten Weisen gaben den weißen Schirm mit den goldenen Kränzen auf und ernährten ihre Eltern«, und er erzählte die Geschichte aus der Vergangenheit:
2 Das Sāmadschātaka ist Nr. 540.
Einstmals lebte im Reich von Kampilla in der Stadt der nördlichen Pantschālas ein König namens Pantschāla. Dessen Hauptgemahlin wurde schwanger und gebar einen Sohn. In einer ihrer früheren Geburten hatte eine Nebenfrau von ihr in der Wut den Wunsch ausgesprochen, sie wolle die Macht haben, die Kinder, die der Königin geboren würden, aufzufressen und war daher eine Jakkhinī geworden. Damals ergriff sie nun die Gelegenheit und packte vor den Augen der Königin das Knäblein, das wie ein Stück rohes Fleisch aussah, fraß es, dass es nur so knirschte und machte sich davon. Das nächste Mal machte sie es ebenso. Das dritte Mal aber, als die Königin sich in die Wochenstube begeben hatte, umstellte man das Haus und hielt scharfe Wacht. Am Tag, wo die Königin gebar, kam die Jakkhinī herbei und ergriff wieder den Knaben. Die Königin stieß einen lauten Schrei aus: »Die Jakkhinī!« Mit Waffen in den Händen stürzten die Diener herbei und verfolgten auf das von der Königin gegebene Zeichen die Jakkhinī. Da diese so keine Gelegenheit hatte, den Knaben aufzufressen, floh sie und schlüpfte in ein Rohr der Wasserleitung. Das Kind, in dem Gefühl, dass sie seine Mutter sei, fasste mit dem Mund ihre Brust. Da fühlte sie Mutterliebe in sich erwachen. Sie ging auf die Leichenstätte, tat den Knaben in eine Felsenhöhle und zog ihn auf. Als er nun im Laufe der Zeit heranwuchs, holte sie Menschenfleisch und gab es ihm. So lebten beide von Menschenfleisch. Der Knabe wusste nicht, dass er ein Mensch sei; er dachte vielmehr, er sei der Sohn der Jakkhinī. Er konnte aber nicht seine körperliche Erscheinung aufgeben und sich unsichtbar machen. Da gab ihm die Jakkhinī eine Wurzel, um sich unsichtbar zu machen. Durch die Kraft der Wurzel sich unsichtbar machend, schweifte er umher und fraß Menschenfleisch. Die Jakkhinī aber ging fort, um dem großen König Wessawana Dienste zu leisten und starb dort.
Die Königin aber gebar zum vierten Mal wieder einen Sohn; der blieb, da die Jakkhinī gestorben war, am Leben, und weil er bei seiner Geburt der Feindin, der Jakkhinī, Herr geworden war, gab man ihm den Namen Prinz Dschajaddisa, das heißt der Feindebezwinger. Als er herangewachsen war und die Meisterschaft in allen Künsten erlangt hatte, richtete er den Schirm auf und regierte das Reich. Damals wurde der Bōdhisatta im Schoß der Hauptgemahlin des Königs wiedergeboren. Man gab ihm den Namen Prinz Alīnasattu. Als er herangewachsen war und alle Künste erlernt hatte, wurde er Vizekönig.
Nach einiger Zeit verlor aber der Sohn der Jakkhinī aus Unachtsamkeit die Wurzel, und da er sich nicht mehr unsichtbar machen konnte, fraß er in sichtbarer Gestalt Menschenfleisch auf der Leichenstätte. Als die Leute ihn erblickt hatten, kamen sie voller Angst herbei und beklagten sich beim König: »Herr, ein Jakkha in sichtbarer Gestalt frisst Menschenfleisch auf der Leichenstätte. Der wird nach und nach auch noch in die Stadt kommen und die Leute töten und fressen. Du musst ihn fangen lassen.« Der König war damit einverstanden und befahl, ihn zu fangen. Ein Trupp Soldaten ging hin und stellte sich rings um die Leichenstätte auf. Der Jakkha, nackt, grausig anzusehen, stürzte sich, vor Todesangst laut brüllend, mitten unter die Leute. »Der Jakkha!«, schrien die Leute und stoben in Todesangst auseinander. Er aber floh von dort, zog sich in den Wald zurück und kam nicht wieder zu den Stätten der Menschen. Er ließ sich in einem Wald an der Landstraße nieder, und wenn die Leute des Wegs gezogen kamen, packte er sie, einen nach dem anderen, schleppte sie in den Wald, tötete sie und verzehrte sie unter einem Nigrōdhabaume, unter dem er seine Wohnung aufgeschlagen hatte.
Nun kam einmal ein Karawanenführer, ein Brahmane, der den Waldwächtern tausend Kahāpanas gezahlt hatte, mit fünfhundert Wagen des Weges gezogen. Brüllend stürzte der Menschenjakkha hervor. Entsetzt warfen sich die Leute auf den Bauch. Er packte den Brahmanen; als er aber mit ihm davonlief, verwundete er sich an einem Baumstumpf. Als nun die Waldwächter ihm nachsetzten, ließ er den Brahmanen fallen, machte sich davon und legte sich unter dem Baum, wo er sich aufzuhalten pflegte, nieder.
Sieben Tage, nachdem er sich dort niedergelegt hatte, befahl der König Dschajaddisa eine Jagd und zog aus der Stadt hinaus. Als er eben aus der Stadt hinaus war, wandte sich ein Brahmane an ihn, der hieß Nanda und stammte aus Takkasilā, ein Mann, der seine Eltern ernährte. Er war mit vier Versen gekommen, die hundert Kahāpanas wert waren. »Ich will sie anhören, wenn ich zurückgekommen bin«, sagte der König, ließ ihm ein Haus als Herberge anweisen und ging auf die Jagd. »Auf wessen Seite ein Stück Wild durchbricht, der muss dafür zahlen«, sagte der König. Da sprang eine gefleckte Gazelle auf, lief auf den König zu und brach durch. Die Höflinge brachen in ein lautes Gelächter aus. Der König aber nahm sein Schwert und verfolgte die Gazelle. Nach drei Meilen holte er sie ein, zerhieb sie mit dem Schwert, und nachdem er die beiden Teile an einem Tragholz aufgehängt hatte, machte er sich auf den Rückweg. Als er so dahinwanderte, kam er zu dem Ort, wo der Menschenjakkha saß. Er setzte sich ins Kusagras nieder, und nachdem er sich ein wenig ausgeruht hatte, machte er sich auf, weiterzugehen. Da erhob sich der andere. »Halt, wohin gehst du?«, rief er. »Du bist mein Fressen!«, ergriff ihn bei der Hand und sprach den ersten Vers:
»Ach, endlich kommt mir heut ein fetter Bissen.
Sechs Tage hab’ ich fastend zugebracht.
Wer bist du, und woher? Das möcht’ ich wissen.
Geschlecht und Name nenne mit Bedacht!«
Als der König den Jakkha erblickte, waren ihm vor Schreck die Schenkel wie gelähmt, und er konnte nicht fliehen. Er nahm aber seinen Mut zusammen und sprach den zweiten Vers:
»Dschajaddisa bin ich – du wirst mich kennen –,
Der König der Pantschālas. Wald und Moos
Wollt’ ich in frischem Jagen heut durchrennen.
Friss die Gazelle! Lass mich selber los!«
Als der Jakkha das gehört hatte, sprach er den dritten Vers:
»Friss die Gazelle! An des Todes Pforte,
Mein Lieber, schacherst du mit dem, was mein.
Erst fress ich sie und ohne viele Worte,
Verspür’ ich Hunger, dich noch hinterdrein.«
Als der König das gehört hatte, erinnerte er sich des Brahmanen Nanda und sprach den vierten Vers:
»Mich loszuhandeln, ist verlorne Mühe.
Doch gab ich dem Brahmanen ja mein Wort.
Das muss ich halten. Morgen in der Frühe
Stell’ ich mich wieder ein an diesem Ort.«
Als der Jakkha das gehört hatte, sprach er den fünften Vers:
»Was drückt das Herz dir, da des Todes Schatten
Dich schon umschweben? König, sag es mir!
Vielleicht könnt’ ich dir ja zu gehn gestatten;
Doch morgen Früh bist du mir wieder hier!«
Darauf teilte ihm der König die Sache mit, indem er den sechsten Vers sprach:
»Noch liegt auf mir ein bindendes Versprechen,
Es fordert ein Brahmane Lohn von mir.
Ich muss mich lösen, darf mein Wort nicht brechen.
Hab’ ich’s erfüllt, kehr’ ich zurück zu dir.«
Als der Jakkha das gehört hatte, sprach er den siebten Vers:
»Liegt noch auf dir ein bindendes Versprechen,
Und fordert der Brahmane Lohn von dir,
Musst du dich lösen, darfst dein Wort nicht brechen.
Hast du’s erfüllt, so komm zurück zu mir!«
Als er aber so gesprochen hatte, ließ er den König los. Der aber sprach, von jenem befreit: »Sei nur unbesorgt, in der Frühe werde ich zurückkommen.« Dann kehrte er, indem er auf die Wegzeichen achtgab, zu seinen Soldaten zurück. Nachdem er an der Spitze seines Heeres in die Stadt eingezogen war, ließ er den Brahmanen Nanda kommen, ließ ihn auf einem kostbaren Sitz Platz nehmen und hörte jene Verse an. Dann reichte er dem Brahmanen viertausend Kahāpanas, ließ ihn einen Wagen besteigen und verabschiedete sich von ihm, indem er Leute mitschickte mit dem Auftrag, ihn nach Takkasilā zu geleiten. Am zweiten Tag aber, als es ihn trieb, zurückzukehren, wandte er sich an seinen Sohn und gab ihm Anweisungen.
Zur Erklärung dieser Sache sprach der Meister zwei Verse:
»Vom Menschenfresser losgelassen, kehrt’ er
Voll Eifer in sein Schloss zurück; den Lohn
Bezahlt’ er dem Brahmanen, dann belehrt’ er
Alīnasattu, seinen lieben Sohn:
›Noch heute will ich dich zum König krönen.
Erzeige Freund wie Feind gerechten Sinn!
Lass niemanden im Reich das Recht verhöhnen!
Ich muss nun zu dem Menschenfresser hin.‹ «
Als der Prinz das gehört hatte, sprach er den zehnten Vers:
»Mit welcher Tat hab’ ich denn je im Leben
Dich nicht befriedigt, Herr? Das wüsst’ ich gern.
Und willst du heut mich auf den Thron erheben,
Mich lockt die Herrschaft nicht, bist du mir fern.«
Als der König das gehört hatte, sprach er den folgenden Vers:
»Ich weiß, mein Sohn, von keinerlei Vergehen;
Nie hast du mich gekränkt mit Werk noch Wort.
Doch will ich treu bei dem Vertrage stehen.
Drum muss ich zu dem Menschenfresser fort.«
Als der Prinz das gehört hatte, sprach er den Vers:
»Bleib du hier, Vater! Lass mich selber gehen!
Nicht lebend löst du dich von jenem Feind.
Und solltest du auf deinem Kopf bestehen,
So geh auch ich. Der Tod treff’ uns vereint.«
Als der König das gehört hatte, sprach er den Vers:
»Fürwahr, hier zeigt sich deines Herzens Güte,
Doch schlimmer wär’s als eigne Todesqual,
Wenn dich, mein Sohn, Kammāsapāda briete
Auf einen Baum gespießt zu grausem Mahl.«
Als der Prinz das gehört hatte, sprach er den Vers:
»Mein Leben will ich für das deine geben.
Doch bleibe du dem Menschenfresser fern!
Kann so ich Rettung bringen deinem Leben,
Wähl’ ich den Tod anstatt des Lebens gern.«
Als der König das gehört hatte, da sah er ein, wie stark sein Sohn war und gab seine Einwilligung. »Gut, mein Sohn, geh!« Und nachdem der sich ehrerbietig von Vater und Mutter verabschiedet hatte, ging er aus der Stadt hinaus.
Zur Erklärung dieser Sache sprach der Meister den halben Vers:
»Den Eltern bot mit ehrfürcht’ger Gebärde
Der Prinz den Abschiedsgruß. Fest blieb sein Herz.«
Seine Eltern aber und seine Schwester und seine Gattin und die Hofleute zogen mit hinaus. Als er aus der Stadt heraus war, fragte er den Vater nach dem Weg, und nachdem er ihn genau ermittelt hatte und die anderen ermahnt hatte, stieg er wie ein Mähnenlöwe, der die Furcht nicht kennt, den Weg hinan und schritt der Wohnstätte des Jakkha zu. Als die Mutter ihn gehen sah, konnte sie sich nicht beherrschen und stürzte zu Boden. Sein Vater aber rang die Hände und weinte laut.
Zur Erklärung dieser Sache sprach der Meister den halben Vers:
»Die Mutter sank in ihrem Gram zur Erde,
Der Vater, händeringend, schrie vor Schmerz.«
Und dann sprach er, den Segen, den der Vater3 erteilte und die Wahrheitsbetätigung, die die Mutter, die Schwester und die Gattin vornahmen, verkündend, noch weitere vier Verse:
3 Die Prosaerzählung ist ungenau, wenn sie der Mutter eine Wahrheitsbetätigung zuschreibt; die Mutter spricht vielmehr einen Segen aus.
»Der Vater sah, dass er bereit zur Reise;
Da faltet’ er die Händ’ und flehte leise:
›Mein Sohn, dich schirme Waruna in Gnaden,
Sōma, Padschāpati samt Sonn’ und Mond,
Auf dass du wiederkehrest ohne Schaden,
Von jenes Menschenfressers Wut verschont!
Als Rāma zog zum Dandaka-Gefilde,
Sprach im Geheim die Mutter Segen aus.
Die sprech’ ich jetzt für dich, mein Sohn. Der Wilde
Gestatte dir die Heimkehr in dein Haus!‹
›So wahr, Alīnasattu, ich vermieden,
Dir gram zu sein in irgendwelchem Stück,
Sei, Bruder, dir der Götter Schutz beschieden,
Sei dir vergönnt der sichern Heimkehr Glück!‹
›So wahr ich ganz allein dir lieb hienieden
Und ich dir diese Liebe gab zurück,
Sei, Gatte, dir der Götter Schutz beschieden,
Sei dir vergönnt der sichern Heimkehr Glück!‹ «
Nun machte sich der Prinz nach der Weisung des Vaters auf den Weg zu der Behausung des Jakkha. Der Jakkha aber dachte: ›Fürsten verstehen sich auf so manche List. Wer weiß, was geschehen wird?‹ Und er kletterte auf den Baum und saß da, die Ankunft des Königs erwartend. Als er den Prinzen kommen sah, da überlegte er: ›Offenbar hat der Sohn den Vater zurückgehalten und ist selbst gekommen. Ich brauche mich nicht zu fürchten.‹ Und er stieg wieder herunter und setzte sich, ihm den Rücken zukehrend, nieder. Der Prinz blieb, als er herangekommen war, vor ihm stehen. Darauf sprach der Jakkha den Vers:
»Wer bist du, Knab’, an Wuchs so schlank und eben?
Du weißt wohl nicht, wer hier im Walde wohnt?
Wer würde sonst doch, wenn ihm lieb sein Leben,
Dem Menschenfresser nahn, der keinen schont?«
Als der Prinz das gehört hatte, sprach er den Vers:
»Ich weiß, du Wilder lebst vom Menschenfleische,
Ich weiß auch, dass du hier im Walde wohnst.
Ich bin der Sohn Dschajaddisas und heische,
Dass du mich frissest und den Vater schonst.«
Darauf sprach der Jakkha den Vers:
»Fürwahr, du bist Dschajaddisa entsprossen;
Man braucht euch beide ja nur anzusehn.
Ein Wunder dünkt’s mich, dass du dich entschlossen,
Für deinen Vater in den Tod zu gehn.«
Darauf sprach der Prinz den Vers:
»Nichts Wunderbares liegt in dem Entschlusse,
Für seine Eltern in den Tod zu gehn.
Dem, der sich opfert, sind ja zum Genusse
Im Jenseits Himmelsfreuden ausersehn.«
Als der Jakkha das gehört hatte, fragte er: »Prinz, es gibt kein Wesen, das sich nicht vor dem Tod fürchtete. Warum fürchtest du dich denn nicht?« Er erklärte es ihm, indem er die beiden Verse sprach:
»Kein sündig Tun beschwert mir das Gewissen,
Nicht offen fehlt’ ich noch in Heimlichkeit.
Ich weiß, dass Tod und Leben wechseln müssen.
Die Zukunft bringt mir nur das alte Leid.
So geh denn, Herr, daran, mich zu verzehren!
Bereite schnell dem armen Leib sein Grab!
Entschlossen, dich nach deinem Wunsch zu nähren,
Stürz’ ich mich auch von einem Baum herab.«
Als der Jakkha seine Rede gehört hatte, da dachte er voll Schrecken: ›Das Fleisch dieses Knaben darf man nicht essen. Ich will mir etwas ausdenken, dass er sich davonmacht.‹ Und er sprach:
»Es sei, mein Prinz. Du magst mit deinem Leben
Den Vater lösen, da es dein Begehr.
So musst du eilig dich ans Werk begeben.
Brich Holz im Wald und richt’ ein Feuer her!«
Der tat so und trat dann zu ihm.
Um diese Sache klarzumachen, sprach der Meister den folgenden Vers:
»Da trug der tapfre Prinz nun Holz zusammen
Und schichtete das Reisig hoch und breit.
Dann setzte er den mächt’gen Stoß in Flammen
Und meldete: ›Das Feuer steht bereit.‹ «
Der Jakkha betrachtete den Prinzen, der herbeigekommen war, nachdem er das Feuer angezündet hatte und dachte: ›Das ist ein löwengleicher Mensch. Auch vor dem Tod hat er keine Furcht. In meinem ganzen Leben habe ich keinen so furchtlosen Menschen gesehen.‹ Und er saß da, in den Anblick des Prinzen versunken, indem die Härchen seines Körpers sich sträubten. Als der Prinz sein Gebaren sah, sprach er den Vers:
»Schlag zu und friss! Lass dich nicht länger halten!
Was starrst du mich wie in Verzückung an?
Dir ganz nach Wunsch die Mahlzeit zu gestalten,
Tu ich voll Eifer alles, was ich kann.«
Als der Jakkha seine Rede gehört hatte, sprach er den Vers:
»Wer darf ihn fressen, der, sein Wort zu halten,
Sich selbst zu opfern pflichtgetreu begehrt?
Muss dem nicht siebenfach das Haupt sich spalten,
Der einen so getreuen Mann verzehrt?«
Als der Prinz das gehört hatte, sagte er: »Wenn du keine Lust hast, mich zu fressen, warum heißest du mich dann Reisig brechen und ein Feuer machen?« – »Um dich zu versuchen, ob du wohl davonlaufen würdest«, erwiderte der Jakkha. »Wie kannst du mich jetzt in Versuchung führen?«, sagte der Prinz. »Habe ich doch, als ich als Tier wiedergeboren war, mich durch den Götterkönig Sakka nicht versuchen lassen.« Und er sprach:
»Einst speist’ ein Hase mit dem eignen Leibe4
4 Siehe die Erzählung Nr. 53.
Den Götterkönig im Brahmanenkleid,
Und freundlich zeigt des heil’gen Mondes Scheibe
Seitdem des Hasen Bild für alle Zeit.«
Als das der Jakkha gehört hatte, ließ er den Prinzen frei mit den Worten:
»Gleichwie aus Rāhus Mund befreit, dort oben
Der Mond erstrahlet in der Vollmondsnacht,
So strahle in Kampilla ruhmumwoben,
Entronnen aus des Menschenfressers Macht,
Des Vaters und der Mutter Glück und Freude,
Der ganzen Sippe Stolz und Augenweide!«
»Geh, großer Held!«, sagte er und entließ das große Wesen. Als nun der Prinz ihn dazu gebracht hatte, sich selbst zu überwinden, lehrte er ihn die fünf Gebote, und in dem Wunsch, zu erkennen, ob er ein Jakkha sei oder nicht, dachte er: ›Die Jakkhas haben rote Augen, die nicht blinzeln; man bemerkt bei ihnen keinen Schatten; sie haben keine Furcht. Das ist gar kein Jakkha, es ist ein Mensch. Mein Vater hatte ja drei Brüder, die von einer Jakkhinī geraubt wurden. Zwei von ihnen wird sie gefressen haben, einen aber wird sie mit Mutterliebe aufgezogen haben und das muss dieser sein. Ich werde ihn mit mir nehmen und es meinem Vater berichten und veranlassen, dass er die Herrschaft erhält.‹ Und er sagte: »So ist es, Herr. Du bist kein Jakkha, du bist der ältere Bruder meines Vaters. Komm, geh mit mir und richte den Schirm auf in dem Reich, das deinem Geschlecht gehört.« – »Ich bin kein Mensch«, sagte der andere. »Du glaubst mir wohl nicht?«, fragte der Prinz. »Gibt es denn jemanden, dem du glaubst?« – »Ja«, sagte der Jakkha, »es gibt an dem und dem Ort einen Büßer, der das göttliche Auge besitzt.« Da ging er mit ihm dorthin. Kaum hatte ihn der Büßer erblickt, so sprach er: »Was führt euch beide, Vater5 und Sohn, in den Wald?« und offenbarte damit ihre Verwandtschaft. Da glaubte ihm der Menschenfresser. »Mein Lieber«, sagte er, »geh du nur fort! Ich bin in einem einzigen Leben doppelt geboren. Was soll mir die Herrschaft? Ich will Einsiedler werden.« Und er blieb bei dem Büßer und wurde Einsiedler nach der Weise der Isis. Darauf verabschiedete sich der Prinz ehrerbietig von ihm und begab sich in die Stadt zurück.
5 vater ist häufig auch die Bezeichnung des Bruders des Vaters.
Um diese Sache klarzumachen, sprach der Meister den Vers:
»Als ihn der Prinz, die Hände faltend, ehrte,
Da sprach der Menschenfresser: ›Zieh dahin!‹
Und wohlbehalten nach Kampilla kehrte
Alīnasattu heim mit frohem Sinn.«
Um zu zeigen, was die Städter und das übrige Volk ihm erwiesen, als er in die Stadt gekommen war, sprach er den Schlussvers:
»Aus Land und Stadt zog ihm das Volk entgegen,
Zu Elefant, zu Wagen und zu Fuß,
Und rief, die Hände hebend, Heil und Segen
Dem Wundertäter als Willkommensgruß.«
Als der König hörte, der Prinz sei gekommen, zog er ihm entgegen. Der Prinz, der von einer großen Menge umringt daherkam, begrüßte den König ehrerbietig. Der aber fragte ihn: »Wie kamst du von einem solchen Menschenfresser frei, mein Sohn?« – »Vater«, sagte er, »das ist gar kein Jakkha, es ist Euer älterer Bruder und mein Oheim.« Und er erzählte ihm die ganze Begebenheit. »Ihr müsst meinen Oheim aufsuchen«, sagte er. Da ließ der König sofort die Trommel schlagen und begab sich mit großem Gefolge zu den Büßern. Der große Büßer erzählte ihm alles ausführlich, wie die Jakkhinī den Bruder geraubt, aber nicht gefressen, sondern aufgezogen habe, wie er ein Jakkha geworden und wie er mit ihnen verwandt sei. »Komm, Brüderlein«, sagte der König, »führe du die Herrschaft!« – »Das sei ferne von mir, großer König.« – »So kommt denn und wohnet im Park! Ich werde euch mit den vier Dingen, die der Asket braucht, versehen.« – »Ich komme nicht, großer König.«
Da schlug der König in einem Gebirgstal unweit der Einsiedelei der beiden ein Lager auf und ließ einen großen Teich graben und Felder anlegen. Dann ließ er tausend wohlhabende Familien herbeiholen und gründete ein großes Dorf und ordnete an, dass die Büßer dort ihre Nahrung erbetteln sollten. Dies Dorf wurde zu dem Flecken Klein-Kammāsadamma. Der Ort aber, wo das große Wesen Sutasōma den Menschenfresser bezwang, heißt bekanntlich Groß-Kammāsadamma.
Als der Meister diese Unterweisung erteilt und die Wahrheiten verkündet hatte, verknüpfte er das Dschātaka: (Als die Verkündigung der Wahrheiten beendet war, erlangte der Mönch, der seine Mutter ernährte, den Genuss des Grades der in den Strom Gelangten.) »Die Eltern von damals waren die Angehörigen des Großkönigs, der Büßer war Sāriputta, der Menschenfresser war Angulimāla, die jüngere Schwester war Uppalawannā, die Hauptgemahlin war die Mutter des Rāhula, der Prinz Alīnasattu aber war ich.«
5. Die Kaufleute und das Flügelross (196)
Das Folgende erzählte der Meister, als er im Dschētawana weilte, in Bezug auf einen Mönch, der sich fortsehnte. Als nämlich der Meister den Mönch fragte: »Sie sagen, Mönch, dass du dich fortsehnst. Ist das wahr?«, erwiderte der: »Es ist wahr.« Und gefragt, was der Grund sei, sagte er: »Weil ich ein geputztes Weib gesehen und mich verliebt habe.« Da sagte der Meister zu ihm: »Diese Weiber, o Mönch, verführen die Männer durch ihr schönes Aussehen, ihre Stimme, ihren Wohlgeruch, ihren Wohlgeschmack, ihre Formen und durch weibliche Listen und kokettes Gebaren und bringen sie in ihre Gewalt, und wenn sie gemerkt haben, dass sie in ihre Gewalt geraten sind, dann bringen sie sie um ihre Tugend und um ihr Geld, und darum werden sie Jakkhinīs genannt. Denn auch in der Vorzeit haben sich Jakkhinīs mit weiblichen Listen an eine Menschenkarawane herangemacht, haben die Kaufleute verführt und sie in ihre Gewalt gebracht, und wenn sie wieder andere Männer erblickten, so brachten sie jene sämtlich ums Leben und fraßen sie schmatzend auf, während das Blut zu beiden Seiten von den Kiefern herabtroff.« Und dann erzählte er die Geschichte aus der Vergangenheit:
Einstmals war auf der Insel Tambapannī eine Jakkhastadt, Sirīsawatthu mit Namen. Dort lebten Jakkhinīs. Wenn Schiffbrüchige dorthin kamen, so pflegten sie sich prächtig herauszuputzen, mit allerlei fester und breiartiger Speise zu versehen und, umgeben von der Schar ihrer Sklavinnen und ihre Kinder auf der Hüfte tragend, sich zu den Kaufleuten zu begeben. Damit diese denken sollten, sie wären zu menschlichen Wohnstätten gekommen, ließen sie bald hier, bald da Menschen, die das Feld pflügten, Vieh hüteten und ähnliche Beschäftigungen trieben, Kuhherden, Hunde und dergleichen mehr erscheinen. Sie gingen dann zu den Kaufleuten und sagten: »Trinkt von diesem Reiswasser, esst diesen gekochten Reis und genießt von dieser festen Speise!« Ahnungslos genossen die Kaufleute, was sie ihnen darboten. Wenn sie dann gespeist hatten und sich ausruhten, pflegten die Jakkhinīs ein freundliches Gespräch mit ihnen anzufangen. »Wo wohnt ihr?«, fragten sie. »Woher seid ihr gekommen? Wohin wollt ihr gehen? Und was für Geschäfte haben euch hergeführt?« Wenn die dann sagten: »Wir sind als Schiffbrüchige hergekommen«, so pflegten sie zu antworten: »Das trifft sich gut, ihr Herren. Drei Jahre sind nun vergangen, seit auch unsere Männer zu Schiff fortgezogen sind. Sie werden wohl tot sein. Auch ihr seid Kaufleute, wir wollen euch als Gattinnen dienen.« Und sie betörten die Kaufleute mit weiblichen Listen und Lockkünsten und kokettem Gebaren und führten sie in die Jakkhastadt. Und wenn früher eingefangene Männer da waren, so banden sie die mit einer Zauberkette und warfen sie in das Folterhaus. Wenn sie aber da, wo sie lebten, keine Schiffbrüchigen bekamen, so pflegten sie die Meeresküste entlang zu streifen, auf der einen Seite bis an die Kaljānī, auf der anderen bis zur Nāgainsel. Das war ihre Gewohnheit.
Eines Tages nun kamen fünfhundert schiffbrüchige Kaufleute in der Nähe ihrer Stadt ans Land. Die Jakkhinīs gingen zu ihnen und betörten sie, brachten sie nach der Jakkhastadt und banden die früher eingefangenen Leute mit der Zauberkette und warfen sie in das Folterhaus. Dann machten die fünfhundert Jakkhinīs die fünfhundert Kaufleute zu ihren Gatten, und zwar nahm die älteste den ältesten Kaufmann und so der Reihe nach die anderen. Zur Nachtzeit aber, als der Kaufmann eingeschlafen war, stand die älteste Jakkhinī auf, ging hin und brachte die Leute in dem Folterhaus um, fraß von ihrem Fleisch und kam wieder zurück. Die übrigen Jakkhinīs machten es ebenso. Als die älteste Jakkhinī zurückkam, nachdem sie von dem Menschenfleisch gefressen hatte, da war ihr Körper kalt. Der älteste Kaufmann erkannte, als er sie umarmte, dass sie eine Jakkhinī sei und dachte: ›Alle diese fünfhundert Frauen werden Jakkhinīs sein. Wir müssen fliehen.‹ Am anderen Tag in der Frühe, als er ging, um sich das Gesicht zu waschen, sagte er zu den übrigen Kaufleuten: »Dies sind Jakkhinīs, keine Menschen. Wenn andere Schiffbrüchige anlangen, werden sie die zu ihren Gatten machen und uns auffressen. Kommt, wir wollen fliehen!« Zweihundertundfünfzig von ihnen sagten: »Wir können diese Frauen nicht verlassen. Geht ihr fort! Wir wollen nicht fliehen.« Zweihundertundfünfzig aber folgten seinem Wort, und mit ihnen begab sich der älteste Kaufmann aus Furcht vor den Jakkhinīs auf die Flucht.
Zu dieser Zeit aber war der Bōdhisatta im Leib eines Flügelrosses wiedergeboren. Er war ganz weiß, hatte einen Krähenkopf und eine Mähne wie Mundschagras, er war mit Zaubermacht begabt und konnte durch die Luft fliegen. Er pflegte sich vom Himalaja in die Luft zu erheben und nach der Insel Tambapannī zu fliegen und nachdem er dort am Tambapannī-Teich den im Sumpf wild wachsenden Reis gefressen hatte, wieder zurückzukehren. Beim Aufbruch pflegte er dreimal mit menschlicher Stimme voller Mitleid zu rufen: »Sind hier Leute, die ins Land der Menschen wollen? Sind hier Leute, die ins Land der Menschen wollen?«
Als die Kaufleute seinen Ruf vernommen hatten, eilten sie herbei und riefen, die gefalteten Hände erhebend: »Herr, wir wollen ins Land der Menschen!« – »So steigt denn auf meinen Rücken!«, sagte er. Da stiegen einige auf, andere klammerten sich an seinen Schwanz, noch andere standen da, die gefalteten Hände erhebend. Der Bōdhisatta brachte alle zweihundertundfünfzig Kaufleute, sogar diejenigen, welche, die gefalteten Hände erhebend, dastanden, durch seine Zaubermacht in das Land der Menschen, setzte jeden an seinem Ort ab und begab sich an den Ort, wo er wohnte. Die Jakkhinīs aber töteten, als andere kamen, die dort zurückgebliebenen zweihundertundfünfzig Leute und fraßen sie auf.
»Ihr Mönche«, fuhr der Meister zu den Mönchen gewandt fort, »gleichwie die Kaufleute, die sich den Jakkhinīs hingegeben hatten, ums Leben kamen, die aber, die das Wort des edlen Flügelrosses befolgten, alle in ihre Heimat gelangten, jeder an seinen Ort, so erfahren auch diejenigen, die den mahnenden Worten des Buddha nicht folgen, Mönche und Nonnen, Laienbrüder und Laienschwestern, großes Leid in den vier Reichen der niederen Geburt, an den Orten, da fünffache Fesselung und Arbeit und andere Qualen sie erwarten. Diejenigen aber, die den mahnenden Worten folgen, gelangen zu den drei höheren Reichen, den sechs Freudenhimmeln, den zwanzig Brahmawelten, und wenn sie zu diesen Orten gelangt sind, erreichen sie das ewige, große Nirwana und genießen große Glückseligkeit.« Und er sprach als völlig Erleuchteter die folgenden Verse:
»Befolgst du nicht des Buddha Wort
und nimmst nicht seiner Predigt wahr,
Gehst du zugrunde gleichwie durch die Rakkhasīs
die Kaufmannsschar.
Doch folgest du des Buddha Wort
und nimmst du seiner Predigt wahr,
So rettest du dich gleichwie auf dem Flügelross
die Kaufmannsschar.«
Als der Meister diese Unterweisung über das rechte Verhalten erteilt und die Wahrheiten verkündet hatte, verknüpfte er das Dschātaka: (Als die Verkündigung der Wahrheiten beendet war, erlangte der Mönch, der sich fortgesehnt hatte, den Genuss des Grades der in den Strom Gelangten, und auch viele andere erreichten den Genuss des Grades der in den Strom Gelangten, oder der nur einmal Wiederkehrenden, oder der nicht mehr Wiederkehrenden, oder der Arahats.) »Die zweihundertundfünfzig Kaufleute von damals, die das Wort des edlen Flügelrosses befolgten, waren die Buddhagemeinde, das edle Flügelross aber war ich.«
6. Die glückliche Insel (446)
Das Folgende erzählte der Meister, als er im Dschētawana weilte, mit Bezug darauf, dass Dēwadatta mitsamt den fünfhundert Familien in die Hölle gefahren war. Als nämlich die beiden Hauptschüler mit seinen Anhängern fortgegangen waren, da konnte Dēwadatta den Schmerz nicht länger bemeistern. Heiß stürzte ihm das Blut aus dem Mund und heftige Krankheit bereitete ihm Pein. Da erinnerte er sich der Vorzüge des Tathāgata und dachte: ›Ich habe neun Monate lang nachgesonnen, wie ich dem Tathāgata schaden könnte; der Meister aber hegt keinen bösen Gedanken gegen mich, und auch die achtzig großen Ältesten fühlen keinen Hass gegen mich, ich aber bin jetzt durch die Tat, die ich begangen, ein Verlassener geworden. Der Meister hat mich verstoßen und ebenso die großen Ältesten und der Älteste Rāhula, der Erste meiner Verwandten und die Mitglieder der Königsfamilie der Sakjas. Ich will hingehen und den Meister um Verzeihung bitten.‹ Er gab seinen Begleitern ein Zeichen und ließ sich auf seinem Bett forttragen, und indem er Nacht für Nacht reiste, gelangte er in das Land der Kōsalas. Der Älteste Ānanda teilte dem Meister mit: »Ehrwürdiger, Dēwadatta kommt, Euch um Verzeihung zu bitten.« – »Ānanda, Dēwadatta wird mich nicht zu sehen bekommen.« Als Dēwadatta dann in der Stadt Sāwatthī angelangt war, teilte es ihm der Älteste noch einmal mit, der Erhabene aber gab dieselbe Antwort. Als Dēwadatta nahe bei dem Dschētawanateich am Tor des Dschētawana war, da war das Maß seiner Sünden voll. Fieberglut durchdrang seinen Körper, und er fühlte das Bedürfnis, zu baden und Wasser zu trinken. Und er bat: »Brüder, setzt mein Bett nieder, ich will Wasser trinken.« Kaum aber hatte man ihn herabgehoben und auf die Erde gestellt, da öffnete sich, noch ehe er sich erfrischen konnte, die große Erde, und im selben Augenblick schoss aus der Awītschihölle eine Flamme und hüllte ihn ein.
›Das Maß meiner Sünden ist voll geworden‹, dachte er, und indem er sich an die Vorzüge des Tathāgata erinnerte, sprach er:6
6 Der Vers ist nicht kanonisch.
»Der hundert Zeichen trägt, er sei mein Retter,
Der Menschen, wie ein Lenker Stiere, zwingt,
Der Wesen Höchstes, er, der Gott der Götter,
Der alle Fernen mit dem Blick durchdringt;
Mit diesen Knochen hier, mit diesem Leben
Will ich mich in des Buddha Schutz begeben.«
Während er noch mit diesem Vers seine Zuflucht nahm, fuhr er zur Awītschihölle. Er hatte aber fünfhundert Familien, die ihm aufwarteten. Auch diese Familien wurden, weil sie ihm anhingen und den mit den zehn Kräften Versehenen geschmäht und gescholten hatten, in der Awītschihölle wiedergeboren. So fand er mitsamt den fünfhundert Familien seine Stätte in der Awītschihölle.
Eines Tages begannen nun die Mönche in der Lehrhalle ein Gespräch. »Brüder, der böse Dēwadatta ist mitsamt den fünfhundert Familien zur Awītschihölle gefahren, weil er aus Sucht nach Ehre und Gewinn ohne Anlass dem vollkommen Erleuchteten grollte und der in Zukunft drohenden Gefahr nicht achtete.« Da kam der Meister herzu und fragte: »Wovon sprecht ihr jetzt, ihr Mönche, während ihr hier beieinander sitzt?« – »Von dem und dem«, antworteten sie.