Candors Traum - eine erotische Geschichte - Jack X. Faber - E-Book

Candors Traum - eine erotische Geschichte E-Book

Jack X. Faber

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Beschreibung

Candors Traum entführt Sie in ein zukünftiges Österreich. Die erotische Fiction beschreibt eine Welt, wie sie in 60 - 80 Jahren aussehen könnte. Der Protagonist wird in diese Zeit katapultiert und lebt in einer Welt, die sich nur wenig von der jetztigen unterscheidet. Der technische Fortschritt ist zwar da, ist aber weitaus geringer als man sich es erwartet.
Hingegen muß er sich in einer Monarchie zurechtfinden, denn die Demokratie hat weltweit versagt und das Terrain Autokraten und Monarchen überlassen.
Die Gesellschaft ist sexualisierter als heute, Tabus gibt es nur noch wenige, und auch unser Held lebt mit seiner Sexualität wie alle anderen auch, Sex überlagert das gesellschaftliche Leben wie eine Pandemie, erfaßt alle und jeden unterschiedslos.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Jack X. Faber

Candors Traum - eine erotische Geschichte

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Königsmord

Königsmord

Während der Meister die breite Marmorstiege des Palais Harrach hinunter hastete, zog er den weiten, flatternden schwarzen Umhang um seine Schultern zurecht und ging die Ereignisse der letzten Minuten nochmals in Gedanken durch: das leise, unangenehme Fiepen des Coms hatte ihn geweckt, sein erster Blick galt der Zeitanzeige. Es war halb vier Uhr morgens. Wer...? Er deutete mit dem Finger auf den Com–Stab, es zeigte "Kanzlei, König" an. Es war sehr, sehr ungewöhnlich, zumal der König noch niemals nachts nach ihm gefragt hatte.

Er riß sich zusammen und meldete sich knapp: "Candor, bitte, wer spricht?"

"Die Kanzlei des Königs", zirpte eine leise weibliche Stimme aus den Lautsprechern. "Wenn Sie bitte umgehend zu uns kommen möchten, jetzt gleich, sofort..."

Er unterbrach sie und fragte: "Wer sind Sie, und worum geht es?"

Ein deutliches, langes Zögern. Dann sagte sie: "Königliche Kanzlei, Assistentin Firnbach." Wieder Stille, wieder ein Zögern. "Es geht um den König, die Königin bittet Sie dringend zu sich. – Mehr kann ich nicht sagen."

Er berührte Roxannes Arm, die augenblicklich wach wurde und ihn fragend ansah. "Ich komme gleich, Frau Firnbach. Ich bin in zwei Minuten unterwegs und denke, daß ich in fünf bis sechs Minuten im Leopoldinischen bin." Mit einer Handbewegung beendete er das Gespräch. Während er sich schnell anzog, blickte er zu Roxanne und sah sie nicken. Er griff nach seinem schwarzen Umhang, nahm den langen Stab aus knorrigem Eichenholz in die Hand und ging leise aus dem Schlafzimmer.

Am Fuß der Treppe angekommen, nahm er den Hinterausgang und hastete über die Herrengasse und dem Minoritenplatz zur Hofburg. Die Wachen am Eingang waren verstärkt worden, sie ließen ihn sofort passieren, da ihn das Identifikationsgerät erkannt hatte. Er ging durch die lange Halle zum zentralen Korridor, an dessen Ende die Kanzlei war. Ohne zu Klopfen öffnete er die Tür und trat ein. An einem Schreibtisch saß eine Frau mittleren Alters, die ihn offenbar sofort erkannt hatte. "Guten Morgen, Meister Candor" sagte sie, dann überlegte sie, ob das die richtige Anrede war. "Bitte folgen Sie mir," sagte sie und öffnete eine kleine Tapetentür hinter dem Schreibtisch. Er folgte ihr und befand sich in dem Vorzimmer, der zur königlichen Wohnung führte. Sie deutete auf die Tür und sagte: "Bitte treten Sie ein!"

Er öffnete die Tür, trat ein und sah sich um. Es waren mehrere Personen anwesend, die meisten kannte er. In der Mitte stand die Königin und drehte sich langsam um. Er sah in ihr verweintes Gesicht und wusste sofort, dass hier etwas Schreckliches passiert sein musste. Die Königin betupfte ihr Gesicht mit einem Spitzentaschentuch, bevor sie einen Schritt auf ihn zuging und leise murmelte: "Er liegt im Sterben, Meister, im Sterben!" Er fühlte ihren Blick auf sich ruhen, sah in ihre Augen und verspürte sofort ein tiefes, schmerzliches Unbehagen. Er trat noch einen Schritt vor, und sagte ebenso leise: "Wo ist er jetzt?" Sie wandte sich wortlos um und betrat vor ihm das Schlafzimmer.

König Karl lag im breiten Ehebett, halbsitzend ruhte sein Kopf auf mehreren Kopfkissen. Seine eisgrauen Haare umrahmten das kantige, bärtige Antlitz. Sein Gesicht war kreidebleich, der Schweiß rann ihm über die Stirn und die Wangen, und seine bleichen Finger tasteten unstet über das Bettlaken. Offenbar versuchte er zu sprechen, aber es kam kein Wort über seine Lippen, nur sinnloses, leises Gestammel. Der Meister trat schnell an das Bett und ergriff die Hand des Königs. Sie war eiskalt. König Karl hielt die Augen fest geschlossen und versuchte krampfhaft, sie zu öffnen, was ihm aber nicht gelang. Der Meister stand minutenlang neben dem Sterbenden, sah ihm forschend ins Gesicht und trat dann zurück.

"Was sagt der Arzt?" fragte er die Königin. Sie antwortete ihm sofort: "Der Arzt hat ihm vor 20 Minuten Blut abgenommen und ist damit ins Labor geeilt. Er hat sich noch nicht wieder gemeldet." Die Königin sah verzweifelt in das Gesicht Karls und murmelte: "Er muss vergiftet worden sein, beim Abendessen..." Ihre Stimme versagte. Minutenlang herrschte betretenes Schweigen.

In diesem Schweigen ertönte plötzlich ein leises Zirpen, die Königin machte eine Handbewegung und nahm das Gespräch an: "Dr. Ritzler, was gibt es neues?" die Umstehenden konnten die Antwort des Arztes nicht verstehen, die Königin lauschte aufgeregt und mit einer Handbewegung brach sie das Gespräch ab. Sie wandte sich um und sagte: "Es ist definitiv ein Gift, der Doktor fährt jetzt sofort in die Universität und wird versuchen, weitere Tests vorzunehmen, um die Art des Giftes festzustellen." Sie schnappte tief nach Luft, dann murmelte sie: "Ich kann es nicht glauben, wer kann ihn vergiften wollen?"

Nun traten der Butler und der persönliche Assistent des Königs wieder an das Bett und kümmerten sich darum, dass der König bequem lag, richteten erneut die Kissen, wischten mit Tüchern über sein Gesicht und fächelten ihm Luft zu. Der Meister atmete tief durch und versuchte, seine Gefühle vor den anderen zu verbergen, denn jetzt war es notwendig, daß er sich im Griff hatte und sein Denken klar blieb. Er trat mehrere Schritte zurück, beobachtete die Anwesenden mit tiefem Interesse. Er versuchte, sie genau zu beobachten und auch herauszuspüren, welche Emotionen sie hatten, aber er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Die Königin war sichtlich und spürbar erschüttert, der Butler wie auch der persönliche Assistent waren in heillosen Aufruhr. Auch der Baron von Stetten war in tiefer Trauer, aber es war auch Zorn und Wut in ihm zu erkennen. Die beiden Mägde, die etwas weiter hinten standen, waren ebenfalls erschüttert, die eine flennte leise vor sich hin, die andere presste ihre Lippen fest zusammen. Der Meister betrachtete sie genauer und dachte, sie könnte in dem König wohl mehr als nur ihren Herrn gesehen haben. Je länger er sie betrachtete und in sie hineinlauschte, desto sicherer war er sich, dass sie sein Bett mit ihm geteilt hatte. Vielleicht war sie schon 20 oder jünger, dachte er, ganz nach dem Geschmack des Königs, wie er wusste. Aber so sehr er sich auf sie und ihre Emotionen konzentrierte, eine Giftmörderin schien sie ihm nicht zu sein.

Nach etwa 20 Minuten zirpte das Telefon erneut, die Königin unterhielt sich kurz mit Dr. Ritzler und wandte sich zu den Umstehenden. "Es ist ein Schlangengift," sagte sie, "der Doktor meint, eine afrikanische Mamba. Ein Gegengift ist derzeit nicht verfügbar, in Spanien ist das nächst Verfügbare. Er hat schon mit unserer diplomatischen Vertretung Kontakt aufgenommen und veranlasst, dass das Gegengift sofort mit einer Privatmaschine zu uns geflogen wird. Sie meinten, es sollte in zweieinhalb Stunden bei uns sein." Sie presste ihre Lippen fest aufeinander, dann wandte sie sich ab, und man hörte sie in ihr Taschentuch weinen.

Leise entfernte sich der Meister von den anderen und trat ins Vorzimmer, suchte das Fräulein Firnbach und ging mit ihr zu Ihrem Schreibtisch. Er teilte ihr kurz den Stand der Dinge mit und befahl, dass sie ihm eine genaue und vollständige Liste der Gäste des Abendessens erstellen möge. Sie diktierte sofort die entsprechende Befehle in ihr Com und ließ es ausdrucken. Der Meister zog einen Stuhl heran, setzte sich und las die Liste sorgfältig durch. Er fand aber keine Unstimmigkeiten, es war offenbar ein ganz gewöhnliches Abendessen im familiären Rahmen. Neben dem König und der Königin war nur Prinz Ludwig anwesend, bedient wurden sie vom Butler und den zwei Mägden. Der Koch war sicher schon mehrere Jahrzehnte im Dienst Karls, seine beiden Küchengehilfen schienen unauffällig zu sein. "Wo war der persönliche Assistent?" fragte er Fräulein Firnbach, die kurz in ihr Com sprach und dann antwortete, dieser sei laut Kalender bereits vor dem Abendessen in sein Quartier gegangen, laut Anwesenheitsprotokoll genau um 19:37 Uhr. Um 19:55 habe er sein Quartier wieder verlassen und war einige Minuten später beim Haupttor hinausgegangen. Er ließ das Blatt sinken und schloss die Augen, um nachzudenken.

Er berührte kurz sein Com, das an seinem Unterarm befestigt war, und rief den Burgvogt an. Nach einer kurzen Begrüßung forderte er diesen auf, alles, was mit dem Abendessen zusammenhing, sicherzustellen. Die Küche und der Weinkeller mussten sofort abgesperrt und gesichert werden, ebenso musste das benutzte Geschirr sichergestellt werden. Der Burgvogt unterbrach ihn und sagte, das Geschirr sei sicher schon gereinigt und wieder eingeräumt worden. Trotzdem wolle er sich sofort an die Arbeit machen. Er beendete das Gespräch und schloss die Augen, versuchte sich vorzustellen, wie der Anschlag abgelaufen sein konnte. Er nahm an, dass das Gift flüssig wäre, daher war es vermutlich einem der Getränke beigemischt worden.

Plötzlich ging die Tür auf, und Baron von Stetten stürmte in die Kanzlei. "Prinz Ludwig ist ebenfalls erkrankt!" rief er und zog den Meister an seinem Umhang hoch. "Candor, kommen Sie mit!" rief er und stürmte voraus. Meister Candor folgte ihm in schnellen Schritten, eine Treppe höher betraten sie das Schlafzimmer des Prinzen. Auch dieser lag schweißbedeckt im Bett, eine Magd war über den 14–jährigen gebeugt und strich ihm beruhigend über die schweißnasse Stirn. Der Meister trat hinzu und fühlte kurz den Puls des Knaben, berührte ebenfalls die Stirn und sah ihn genau an. Dann wandte er sich um und ging wieder hinunter, betrat das Schlafzimmer des Königs und wandte sich an die Königin: "Der Prinz ist auch vergiftet worden, vielleicht sollte der Doktor nach ihm sehen!" Nach einem Schmerzensschrei schluchzte die Königin auf und rief sofort den Doktor, hieß ihn rasch in die Burg zu kommen und den Prinzen untersuchen. Ermattet ließ sie sich auf das Fußende ihres Ehebettes sinken. "Oh mein Gott, oh mein Gott!" war das Einzige, was sie immer wieder vor sich hinmurmelte.

Baron von Stetten wartete oben beim Prinzen auf den Doktor, der Meister stand unerschütterlich neben der Königin und sah dem Sterben des Königs zu. Nach einigen Minuten ergriff er die Hand Karls, versuchte den Puls zu ertasten und richtete sich dann auf. "König Karl ist tot," sagte er leise und schloss mit einer Hand die Augenlider seines Königs. Er beugte sich zu der Königin hinunter und umarmte sie wortlos. Sie saß reglos und wie gelähmt da, starrte auf das Gesicht Karls und schüttelte immer wieder langsam den Kopf. Die Minuten verrannen wie Sand in einer Sanduhr.

Der Meister wandte sich um und ging mit hängendem Kopf langsam die Stiege hinauf zum Schlafzimmer des Prinzen. Der Doktor war über den Prinzen gebeugt und untersuchte ihn ganz genau. Der Meister sah mit fragendem Blick zu Baron von Stetten und dieser flüsterte ihm leise zu: "Die Maschine ist schon in der Luft, aber es bleiben noch zwei Stunden, bis sie landen." Der Meister sagte leise, aber für den Doktor und den Baron gut hörbar: "Der König ist tot." Die drei Männer und die Magd sahen sich bestürzt und traurig an. Dann sagte der Doktor: "Es ist richtig, der Prinz ist ebenfalls vergiftet worden – vermutlich mit demselben Gift. Hoffentlich kommt die Maschine aus Madrid noch rechtzeitig an!" Der Meister, der besorgte Doktor und der treue Baron verharrten schweigend, die Magd jedoch unterbrach die Stille und sagte: "Ich habe auf dem Nachtkästchen des Prinzen einen Becher gefunden, den muss der Prinz nach dem Abendessen mit hinaufgenommen haben." Sofort fragte der Meister nach dem Becher. Die Magd hatte ihn im Waschbecken ausgeleert und ins Vorzimmer gestellt. Sie trat hinaus und kam anschließend mit dem Becher in der Hand zurück. Der Doktor nahm ihn vorsichtig in die Hand, umwickelte es mit einem Stück Stoff und stopfte ihn in seine Arzttasche. "Wird prompt untersucht," sagte er in seiner kurzen, knappen Art.

Wie es der Baron angeordnet hatte, wurde der König vom Butler und dem persönlichen Assistenten gewaschen und neu eingekleidet auf das frisch bezogene Bett gelegt. Die Königin wurde in ihr Quartier begleitet, wo sie sich ein wenig hinlegen und beruhigen konnte. Der Meister rief Fräulein Firnbach an, damit sie ein knappes Statement an die wichtigsten Persönlichkeiten herausgab und ein zweites, welches einige von ihnen für den nächsten Morgen in die Burg befahl.

Während sie warteten, rief Candor noch einmal bei Fräulein Firnbach an und bat sie, das Anwesenheitsprotokoll oder das Bewegungsprotokoll des vergangenen Abends zwischen 16 und 20 Uhr auszudrucken. Er wusste, dass jede Person zu jeder Zeit im Burggelände beobachtet wurde und die Bewegungen dieser Person genau aufgezeichnet wurden. Er stand geduldig neben Dr. Ritzler, der immer wieder auf seine Armbanduhr sah und den Puls des Knaben fühlte. "Er fiebert hoch" sagte er, "wir wollen hoffen, wir wollen hoffen!" Dann blickte er wieder ungeduldig auf seine Uhr. Baron von Stetten telefonierte immer noch mit dem Piloten, man hörte, wie er wiederholte, dass sie gerade über der Schweiz waren und es noch eine dreiviertel Stunde oder eine ganze Stunde dauern würde, bis sie landen konnten.

Prinz Ludwig war sehr still geworden, seine Augen blickten von einem zum anderen und wieder in weite Ferne. Der Meister beobachtete ihn aufmerksam und voller Trauer. Er wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, denn dass der Knabe sterben musste, war ihm klar bewusst. Die Minuten verrannen im Nu, der Doktor blickte immer wieder auf seine Armbanduhr und konnte nur hilflos zusehen, wie der Knabe langsam verfiel. "Noch 15 Minuten," sagte der Arzt, " sie müssten in 15 minuten landen." Er hielt das Armgelenk des Knaben und sah ihm in die Augen.

Baron von Stetten, der immer noch mit dem Piloten telefonierte, nickte erfreut und sagte, "sie sind im Landeanflug!" Nach einer Weile blickte der Arzt auf und sagte tonlos," Prinz Ludwig ist tot!" er senkte den Kopf, damit man nicht sehe, dass er weinte. Baron von Stetten schlug mit seiner flachen Hand auf seinen Oberschenkel, ballte die Faust und schlug diese in seine andere Hand, immer wieder. Die drei Männer standen lange am Totenbett, legten abwechselnd einander die Hand auf die Schulter und schwiegen.

Baron von Stetten raffte sich als erster auf, rief die Magd mit Namen: "Dina," sagte er, "wasche den Prinzen, kleide ihn sauber an und richte ihm das Bett !" Während die Magd hinausging, um das Erforderliche zu holen, gingen die drei Männer langsam hinaus. Der Baron schloss leise die Tür. Sie gingen die Treppe hinab, betraten die königlichen Wohnräume und klopften an die Tür zum Quartier der Königin. Eine Magd öffnete. Sie traten ein.

Baron von Stetten räusperte sich und sagte leise: "Der Junge ist gerade gestorben. Unsere aufrichtige Anteilnahme.." Seine Stimme versagte, er wandte sich ab und trat zurück. Nacheinander gaben der Doktor und der Meister der entsetzt blickenden Königin die Hand. Sie sackte in sich zusammen, schlug beide Hände vor das Gesicht und heulte. "Mein Gott, mein Gott! Das kann so nicht sein!" wiederholte sie immer wieder und schluchzte. Die drei Männer standen traurig und verzweifelt vor ihr, sahen ohnmächtig der verzweifelt Weinenden zu und schwiegen. Nach einigen Minuten, die ihnen wie eine halbe Ewigkeit vorkamen, drehte sich der Doktor um und öffnete die Tür, um zu gehen und der Baron folgte ihm. Als Meister Candor ebenfalls gehen wollte, blickte die Königin kurz auf und sagte leise: "Bitte bleiben Sie!"

Der Meister schloss die Tür hinter dem Baron und wandte sich der Königin zu. Sie beruhigte sich offenbar und tupfte die Tränen mit einem Taschentuch ab. Dann blickte sie entschlossen zu ihm auf und herrschte ihn an: "Wer immer dafür verantwortlich ist, finden Sie ihn! Bringen Sie ihn mir gefesselt, auf Knien, damit ich ihm ins Gesicht sehen kann, bevor ich ihn zerfetze!".

Der Meister war bei ihrem heftigen Ausbruch einen Schritt zurückgetreten. Er kannte die Königin ziemlich gut, aber einen solch wilden Ausbruch hatte er nicht erwartet. Gedankenfetzen und kleine Visionen sah er: sie war ein ausnehmend hübsches Mädchen um die 20 gewesen, wild forderte ihre Jugend Lust und Parties. Wild und sexy umgarnte sie den alten Herrn, und als sie den König für sich gewann, wurde sie bald Königin neben dem mindestens 40 Jahre Älteren. König Karl war hocherfreut, als Prinz Ludwig geboren wurde, und ernannte ihn schon bei seiner Geburt zum Kronprinzen. Die Königin wie auch der König hatten ihre kleinen Eskapaden, aber im Großen und Ganzen lebten sie harmonisch miteinander und hielten das Reich zusammen. Ludwig war der Garant für die Zukunft.

Der Meister sah der Königin in die Augen, dann nickte er und versprach: "Ich werde mein bestes geben, liebe Elisabeth!" Nur sehr selten sprach er die Königin mit Ihrem Namen an. Er reichte ihr die Hand, sie tauschten einen festen Händedruck, dann nickte er und ging hinaus.

In der Kanzlei von Frau Firnbach erwartete ihn schon der Baron. "Und, was hat sie gesagt?" fragte dieser ungeduldig. "Sie hat mich beauftragt, die Schuldigen umgehend zu finden!" antwortete der Meister und wandte sich zu Fräulein Firnbach: "Bitte richten Sie mir das kleine Zimmer nebenan als Provisorium ein, ich benötige einen Tisch, 3 Stühle und eine Com–Einrichtung." Fräulein Firnbach nickte.

Der Meister und der Baron verbrachten die nächste Stunde damit, die erforderlichen Statements an die wichtigsten Persönlichkeiten herauszugeben so wie die Medien über den Stand der Dinge mit aller gebotenen Vorsicht zu informieren. Er unterhielt sich mit dem Baron über die Frage, wie das Reich weiter regiert werden könne und wo man einen Nachfolger für die Verstorbenen fände. Der Baron führte einige Gespräche mit dem Archiv sowie dem Geheimdienst und sagte dann lapidar: "Es gibt nur noch einen Nachkommen Karls, den Prinzen Erich aus einer früheren Ehe, der zurzeit in London lebt." der Baron ließ keinen Zweifel daran, dass er mit der Lebensführung dieses Prinzen gar nicht zufrieden war, denn dieser führte ein ziemlich sorgloses Partyleben in London. Nach einer kurzen Besprechung mit dem Meister veranlasste er, dass die Kanzlei eine Expressnachricht nach London schickte.

Fräulein Firnbach sagte, das Zimmer sei bereit. Meister Candor stand auf, ging in das Zimmer und sagte zu Fräulein Firnbach, sie solle die Magd Dina rufen. Er setzte sich hinter den Schreibtisch, richtete Papier und Bleistift und drückte die Com–Einrichtung. Das Gerät stellte er auf Aufnahme. Der Baron war ebenfalls hereingekommen, schnappte sich einen Stuhl und setzte sich etwas abseits. Sie warteten.

Die Magd trat ein, ihr Gesicht drückte Trauer und tiefen Schmerz aus. Sie war eine nicht besonders schöne, aber doch sehr hübsche junge Frau Ende 20, schätzte er. Sie hatte sich offenbar umgezogen und hatte ein hübsches Kleid an. Ihre langen, brünetten Haare hatte sie zu einem Knoten gebunden, was der Mode dieser Zeit entsprach. Der Meister bat sie, sich hinzusetzen. Dann blickte er sie sehr lange schweigend an. Währenddessen versuchte er, so tief es ging, in ihre Gedanken hineinzuhören, aber die Trauer und der Schmerz überdeckten alles.

"Was hatte dieser Weinbecher, von dem wir wissen, dass er vergifteten Wein enthalten hatte, beim Kronprinzen zu suchen?" fragte der Meister überraschend in die Stille hinein. Zu seiner Freude sah er plötzlich vage Bilder, wie der Junge immer wieder Wein stibitzte. Und prompt sagte die Magd, in Tränen ausbrechend, der junge Prinz habe immer wieder Wein mitgenommen, erst wohl aus Neugier, aber vielleicht gefiel ihm das leicht berauschende Gefühl. Ja, sagte sie unsicher und seufzte tief. In diesem Augenblick sah der Meister ein Bild, wie Dina und Ludwig nackt auf dem Bett um ein Kissen rangen und dabei glücklich lachten.

"Wie lange geht das schon, zwischen dir und Ludwig?" fragte er streng. Dina blickte erschreckt auf, dann wandte sie sich zum Baron um und blickte wieder den Meister an. Er wiederholte streng: "Wie lange schläfst du schon mit dem Jungen?" Dina senkte den Kopf und schwieg. Dann flüsterte sie leise: "Erst ein paar Wochen, Meister Candor." Der Meister spürte ganz deutlich, dass der Baron sehr schuldbewusst dreinblickte, doch das wollte er sich für später aufheben. "Und du hast ihn wohl auf diese Weise an Dich binden wollen?" sagte er streng. Dina blickte ihm direkt in die Augen, dann sagte sie: "Nein, mein Herr, das war nicht meine Absicht, sondern." Sie brach ab, dann blickte sie ihn beinahe trotzig an: "Ich glaube, es hat ihm Freude bereitet, er war glücklich damit." Nach einer kleinen Pause ergänzte sie: "Er war so neugierig, er war so jung." Dann brach ihre Stimme ab. Sie schluchzte leise, und die beiden Männer schwiegen.

Der Meister unterbrach die Stille: "Du glaubst also, dass der Prinz den Wein vom Abendessen mit hinaufgenommen hat?" Unverzüglich sagte Dina: "Ja!" und blickte ihm fest in die Augen. "Er hat jeden Abend nach dem Abendessen den Becher seines Vaters mit Wein befüllt und mit hinaufgenommen, und wenn ich dann später zu ihm ging, um...." sie unterbrach sich und fügte hinzu: "Wenn ich zu ihm kam, hatte er den Becher meist schon geleert." Der Meister sah sie noch lange forschend an, dann nickte er und ließ sie gehen.

"Und nun, mein lieber Baron, heraus mit der Sprache!" Der Baron, ein kleiner, untersetzter Mann mit Wohlstandsbäuchlein, kratzte sich am Kopf, bevor er trotzig sagte: "Mensch, Candor, so schlimm ist das ja wohl nicht. Der Junge wusste nicht so recht, wie er sich der holden Weiblichkeit annähern könnte, er hatte ja keine Spielkameradinnen. Er hat in manchen Gesprächen seine Gefühle durchklingen lassen, und ich sagte ihm immer wieder: "Das kommt noch, mein Junge, das kommt noch!" Dann habe ich mit Dina gesprochen, von der ich wußte, daß sie häufig heftige Liebschaften hatte, von der ich aber auch wußte, daß sie eine grundanständige Frau war. Sie hat sich nicht lange geziert und versprochen, die Gefühle des Prinzen niemals zu verletzen. Und so kam es, und ich allein trage die Verantwortung!" Der Meister hatte, während der Baron berichtete, immer wieder genickt und sagte schlussendlich: "Das ist zwar nicht meine Welt, aber ich glaube Ihnen, dass Sie es nur gut meinten." Der Baron war sichtlich erleichtert, er blickte dem Meister fest in die Augen und sagte: "Candor, ich habe mit dem, was dem König und dem Prinzen geschah, nichts zu tun!" Da Meister sah ihn lange an, dann nickte er und sagte: "Mein lieber Baron, ich glaube Ihnen!" Das klang endgültig, und das war es auch. Die beiden Männer sprachen noch lange darüber, wie sie hinsichtlich des Prinzen Erich vorgehen konnten, und vor allem, wie sie die Statements gegenüber dem Reich und den Medien halten wollten. Der Meister, immerhin einer der engsten Berater des Königs, und der Baron, der erstens für die Erziehung von Prinz Ludwig und zweitens im Auftrag des Königs für die absolute Geheimhaltung der kleinen, heimlichen Affären der Königin verantwortlich war, verständigten sich über diese beiden wichtigen Ereignisse und waren grosso modo einer Meinung.

Der Meister war in die Küche im Erdgeschoss gegangen, setzte sich an den langen hölzernen Tisch und bekam ein gutes, herzhaftes Frühstück. Er aktivierte kurz sein Com und rief Roxane an. Er schilderte kurz die Ereignisse, dann sagte er, dass er am Vormittag in der Burg bleiben würde, denn die Granden des Reiches würden sicher einen publikumswirksamen Auftritt veranstalten, an dem er teilnehmen müsste. Roxane hatte still zugehört, dann sagte sie leise, das sie und Marco daheim gut aufgehoben wären, er solle sich ruhig Zeit lassen und sich keine Sorgen machen.

Kaum hat er aufgelegt, rief schon der Baron an, um ihm mitzuteilen, dass die Medienveranstaltung in 15 Minuten im großen Saal beginnen werde und er rechtzeitig dazustoßen müsse. Der Meister ging in den Waschraum, wusch sein Gesicht und kämmte sich die langen weißen Haare. Im Spiegel überprüfte er noch einmal sein Aussehen, dann ging er in den ersten Stock in den großen Saal. So, wie der gesamte leopoldinische Trakt in der Burg in einfachem Weiß gehalten war, waren die Wände mit roten Stofftapeten überzogen und die mit Gold versetzten Rahmen der riesigen Spiegel verliehen dem Saal eine würdige Atmosphäre, in der schon in der Vergangenheit Könige, Kanzler und Bundespräsidenten ihre Auftritte hatten. Er sah sich kurz in dem überfüllten Saal um und entdeckte die anderen Meister, die an der linksseitigen Wand auf den Bänken Platz genommen hatten. Er nickte ihnen zu, setzte sich zu ihnen und legte seinen Stab auf den Boden. Alle großen Persönlichkeiten, Vertreter der Stände und der Regierung, aber auch Medienleute und eine große Anzahl Fotografen und Kameraleute waren anwesend.

Der Sprecher der Königskanzlei trat an das Mikrofon, und es wurde still im Saal. Er las aus einem Dokument und berichtete, dass König Karl und Prinz Ludwig einem hinterhältigen Anschlag zum Opfer gefallen waren. Obwohl alle bereits informiert waren, ging ein dumpfes Raunen durch den Saal. Dann trat der Sprecher zurück und überließ das Mikrofon dem nächsten Redner, dem Regierungspräsidenten. Dieser, ein weißhaariger, würdiger alter Mann, zählte die Verdienste des Königs und die Erfolge des Reiches auf. Dann folgten weitere Reden, Ansprachen und Nachrufe, eine verlogener als die andere. Die Veranstaltung zog sich in die Länge, und der Meister hatte sich zurückgelehnt, die Augen geschlossen und ließ seinen Gedanken freien Lauf.

Er wollte es nur ungern zugeben, aber der Mörder bzw der Auftraggeber des Attentats war sicher im Saal anwesend. Unter herabgelassenen Augenlidern betrachtete er all die Menschen, die den Reden zuhörten. Er kannte sie alle, zumindest dem Namen nach, und versuchte sich bei jedem vorzustellen, dass diese Person den Auftrag zu dem Anschlag gegeben haben könnte. Aber sein Instinkt versagte völlig, keiner der Anwesenden erschien ihm auch nur im entferntesten verdächtig. Er neigte sich zu Meister Edelmann, der neben ihm saß und flüsterte: "Wer von diesen wäre überhaupt in der Lage, solch ein Attentat anzuordnen?"

Meister Edelmann, der in etwa im gleichen Alter war wie er selbst, schüttelte nur den ergrauten Kopf und flüsterte zurück: "Wir müssen jeden von ihnen untersuchen, so eine grauenhafte Tat kann nicht ungestraft bleiben!" Er machte eine längere Pause, dann fügte er hinzu: "Wir müssen herausfinden, welches Interesse dahinter stand, dann haben wir auch den oder die Täter." Meister Candor raunte: "Die Königinwitwe hat mich schon damit beauftragt". Edelmann sah ihn kurz an, dann nickte er: "Sie hat die richtige Wahl getroffen!" Die beiden verstummten und überließen sich wieder dem Zuhören.

Die Gedanken des Meisters schweiften ab. Es war noch vor der Zeit, bevor er wiedererweckt wurde, dass das vereinte Europa praktisch wieder in Einzelstaaten auseinanderfiel. Das übriggebliebene Konglomerat Vereintes Europa wurde ein hohler, leerer Papiertiger. Die Einzelstaaten blieben Republiken wie Deutschland oder Frankreich, aber in anderen rissen Autokraten die Führung an sich, so auch in Österreich. Der letzte Bundespräsident ernannte sich in einer Nacht– und Nebelaktion zum König. In seiner Fernsehansprache an die Nation sagte er, dass das Chaos nur dadurch beendet werden könne, dass jemand mit starker Hand die Republik wieder aufrichtete und die endlosen Querelen, politischen Intrigen und Ränkespiele parteipolitischer Gruppierungen, die das Land lähmten, beendete. So proklamierte er die Republik Österreich zum Königreich Österreich und sich selbst zum König Franz.

Es war ein Aufatmen im ganzen Reich zu spüren, als König Franz begann, Ordnung zu schaffen. Zum Motto hatte er sich "Gerechtigkeit zuerst!" auf die Fahnen geschrieben, und er gab sich alle Mühe, dies auch in die Tat umzusetzen. Eine seiner klügsten Entscheidungen beispielsweise war, die 100 reichsten Menschen oder Unternehmen des Reiches einmal im Jahr im Thronsaal zu versammeln und es ihnen zur freien Entscheidung zu überlassen, zu welchem Teil sie mit ihrem Vermögen zur Gemeinschaft beitragen wollten. Natürlich wollte keiner, aber der König ließ ihnen keine Wahl. Diejenigen, die sich zunächst verweigerten, belegte er – voller Zorn und Abscheu – mit einer 30% prozentigen Steuer beziehungsweise ließ er 30% ihres Vermögens eintreiben. Ab dem zweiten Jahr gab es niemanden mehr, der nicht freiwillig einen Teil seines Vermögens an die Staatskasse ablieferte. Mit solchen Aktionen wurde König Franz sehr populär beim Volk, natürlich nicht bei den Granden.

König Franz beließ es dabei, dass der Regierungspräsident und die Minister sowie das Parlament mit gut 400 Abgeordneten das Reich führten, zunächst einmal. Doch im Hintergrund scharte er eine Handvoll kluge Köpfe um sich, die ihn und seine Ideen unterstützten, aber die auch bereit waren, ihm im Streitgespräch zu widersprechen, wo sie es für nötig hielten. Alle großen und wichtigen Entscheidungen wurden in diesem Rat der Meister, wie König Franz sie insgeheim nannte, getroffen. Alle außenpolitischen Entscheidungen fielen in diesem Gremium, Franz beobachtete mit großer großem Interesse, wie sich die Beziehungen zu den großen Staaten wie Deutschland, China, Russland und die Vereinigten Staaten entwickelten. Er scheute sich nicht, vor die Regierung zu treten und eine Anordnung zu verkünden. Die Debatten verliefen kurz, denn alle wussten, wenn der König eine Entscheidung gefällt hatte, dann war sie auszuführen. Franz war zutiefst davon überzeugt, das nur eine Verbindung zwischen einem mächtigen König und einem gewählten Parlament, dass das Volk vertrat, funktionieren konnte. Besser ein König, der dem Parlament zuhören konnte, als eine demokratische Regierung, die sich in ewigen, endlosen Debatten fruchtlos totlief. So regierte König Franz länger als 20 Jahre, bis nach seinem Tod sein Sohn Karl ihm auf dem Thron folgte.

Das Erwachen

Das Erwachen

Nun will ich kurz darstellen, wie ich erwachte und wie ich von Leo Puchmann zu Meister Candor wurde.

Mein Erwachen geschah ganz langsam, in mehreren Schritten. Ich erwachte in einem hellen weißen Zimmer, und schlagartig war mir bewusst, dass ich in einem Krankenhaus lag.

An die ersten Wochen kann ich mich nur bruchstückhaft erinnern, ich war an Schläuche und Elektroden angeschlossen und war nur minutenweise bei Bewusstsein. Meistens aber schlief ich.

Nach einer gewissen Zeit begannen mich die Schwestern zum Aufstehen zu ermuntern, ich war völlig entkräftet, hatte Schmerzen in den Hüften und kaum Muskeln. Ich erhielt ausgezeichnete Mahlzeiten, die Schwestern waren Tag und Nacht um mich bemüht.

Als ich später in der Lage war, aufrecht zu sitzen, begann man mit mir eine Physiotherapie, in der ich gehen, mich bewegen, die Arme verwenden lernte. Zu dieser Zeit begannen auch die Gespräche mit dem behandelnden Arzt, Doktor Fürböck.

Er hatte ja schon seit meinem Erwachen begonnen, mich täglich zweimal zu untersuchen, ordnete verschiedenste Untersuchungen an wie Röntgen, MRT, verschiedenste neurologische Untersuchungen und anderes. Nun setzte er sich täglich einmal zu mir, und ich hatte viele Fragen an ihn.

Wie war ich hierhergekommen? Wann war ich, wie lange war ich im Koma? Er hörte mich geduldig an, dann gab er mir kurze, präzise Antworten.

Er fragte mich, ob ich mich erinnern konnte, dass ich gemeinsam mit seinem Vorgänger, Dr. Giese, dieses Institut gegründet hatte. Ich veneinte, also sagte er, dass ich mit Dr. Giese, mit dem ich seit der Schulzeit persönlich befreundet war, das Institut Giese gegründet habe. Ich hatte einen sehr großen Betrag für die Forschungen investiert und mit ihm einen langfristigen Vertrag gemacht, indem ich 45% stillen Anteil am Institut erwarb und ihm die Fortführung seiner Forschungen mit einem großzügigen, jährlichen Zuschuss ermöglichte.

Er machte eine lange Pause. Dann sagte er: "Sie haben einen schweren Autounfall überlebt, wurden operiert, aber Sie wachten nicht auf, blieben im Koma." Einem Schreiben zufolge konnte Doktor Giese beanspruchen, mich weiter zu pflegen. Da das Institut darauf ausgerichtet war, an der Verlängerung des Lebens zu forschen, hatte mich Doktor Giese im Koma belassen und für meine Pflege die neuesten Ergebnisse seiner Forschung angewendet.

Dr. Giese war der Meinung, dass die Kryomedizin eine Sackgasse war. Er setzte darauf, daß lebensverlängernde Maßnahmen in der Lage waren, Komapatienten über viele Jahre lang am Leben zu erhalten. Das hatte er auch mit mir vor. Nachdem ich nach dem Autounfall erfolgreich an der Hüfte wie auch an vielen gebrochenen Rippen und einer angeknacksten Wirbelsäule operiert wurde, wachte ich trotz intensiver Bemühungen nicht auf, sondern blieb im Koma. Also beließ er mich im künstlichen Koma, senkte meine Körpertemperatur auf zwischen 10 und 20 Grad und sorgte dafür, daß meine Lebensfunktionen verlangsamt, aber völlig intakt blieben. Es war eine Fortführung des Gedankens, daß der Mensch eine Art Winterschlaf haben könne, was auch durch Experimente für die Raumfahrt belegt werden konnte. Allerdings blieben diese Experimente bruchstückhaft, nur Giese schien in der Lage zu sein, die Lebenserhaltung zu perfektionieren.

Dr. Fürböck begann, sehr detailliert und technisch diese Vorgänge zu beschreiben, vornehmlich war das Herabsetzen der Körpertemperatur, die Verlangsamung des Herzschlags auf vierzehn Schläge pro Minute wie auch die Elektrostimulation des Gehirns, des Thymus und anderer Nervenbahnen von großer Bedeutung. Mir wurde es bei diesen detaillierten technischen Angaben richtiggehend schwindelig, ich konnte mich bald nicht mehr an jede Einzelheit erinnern. Aber Dr. Fürböck bestätigte mir, dass Dr. Giese eine ausgezeichnete Arbeit geleistet und mich so am Leben erhalten hatte.

Ungeduldig unterbrach ich ihn und fragte: "Wie lange?" Dr. Fürböck sah mich ernst an, dann sagte er: "Sie haben über 60 Jahre im Koma verbracht."

Mir wurde schwindelig. 60 Jahre! Das heißt ich war jetzt – ich kramte in meinen Erinnerungen – ich war jetzt über 120 Jahre alt! Dr. Fürböck machte eine Pause, denn er merkte, dass ich dies erst verkraften musste. Wir schwiegen lange und dann fragte ich nach meiner Frau – doch mir wurde sofort klar, dass sie seit 60 Jahren tot war. Dr. Fürböck bestätigte, dass meine Frau Helene den Autounfall nicht überlebt habe.

Mir rannen die Tränen über die Wangen, Dr. Fürböck stand auf und ließ mich allein mit meinen Gedanken. 60 Jahre! Und Helene war tot, und alle anderen mit denen ich mein Leben damals geteilt hatte. Helene, meine Elaine, mit der ich noch "gestern" gesprochen hatte....

An den folgenden Tagen sprachen wir immer wieder darüber, den ich wollte mehr darüber wissen, wie ich diese Zeit überstehen konnte. Dr Giese hatte während dieser Zeit seine Forschung im Geheimen bzw. völlig zurückgezogen geführt, nur die engsten Mitarbeiter wussten, woran er arbeitete. Er veröffentlichte über 100 Publikationen zu seinem Thema, jedoch niemals aus der Sicht des Forschenden, der seine Ergebnisse bekannt geben wollte, sondern fasste klugerweise seine Hinweise immer in Fragen zur Fortführung und Verlängerung von Leben an sich. Leider war Doktor Giese vor fünf Jahren im Alter von über 90 Jahren gestorben, und er, Fürnböck, hatte als sein engster Assistent seine Nachfolge angetreten.

Dr. Fürnböck war sehr bemüht, mich aus dieser Niedergeschlagenheit herauszuholen und erklärte mir, daß ich rein körperlich dank der einzigartigen Behandlung körperlich kaum zwei Jahre gealtert war, demnach etwa einem Alter von 58 oder 60 entsprach. Zum Zeitpunkt des Autounfalls war ich 58 Jahre alt. Er machte mir auch klar, daß ich zwar zur Zeit noch auf Krücken ging oder im Rollstuhl geschoben wurde, aber bei erfolgreicher Weiterführung der Physiotherapie und geduldigem Training bald wieder selbständig gehen und vollständig wiederhergestellt sein werde.

Die folgenden Tage verbrachte ich in tiefer Trauer. Für mich war es, als ob ich Elaine gestern verloren hätte, in Wirklichkeit war sie schon vor 60 Jahren gegangen. Ich wußte überhaupt nicht mehr, worüber wir gestritten hatten, warum sie sich betrunken und wütend ans Steuer gesetzt hatte und wir beide uns nicht angeschnallt hatten. Jedenfalls verunglückten wir auf der Höhenstraße. Ich war für meine Umwelt überhaupt nicht mehr ansprechbar, wiederwillig ließ ich mich zur Physiotherapie oder zu kleinen, vorsichtigen Spaziergängen führen. Ansonsten aber verließ ich mein Zimmer nicht, blickte aus dem Fenster und dachte voller Trauer und Schmerzen an sie. Der Ausblick auf den Park und der an die Scheiben trommelnde Regen ließen mich sehr schwermütig werden.

Dr. Fürböck ließ nicht locker. Täglich besuchte und untersuchte er mich, insbesondere fiel mir auf, daß er sich stark auf die neurologischen Untersuchungen konzentrierte. Eine Tages fragte ich ihn, wieso er dies tat, doch er ließ mich mit der einfachen Antwort zurück, daß dies reine Routine sei. Ich konnte es fast körperlich spüren, daß er mir etwas verheimlichte. Es war in der Tat so, daß ich zu meiner eigenen Verwunderung oft das Gefühl hatte, die Emotionen meines Gegenübers ganz klar und deutlich zu "spüren". Manchmal konnte ich geradezu hellseherisch in deren Gedanken lesen, und dies, obwohl ich mein Leben lang streng naturwissenschaftlich orientiert war und an so einen Firlefanz nicht glaubte.

Dennoch, etwas mußte an diesem Firlefanz dran sein, denn im fünften Monat meines Aufenthalts im Institut wurde mir eine neue Krankenschwester, Brigitte, zugeteilt. Vom ersten Tag an las ich ihre Signale, "sah" ich geradezu bildlich, wie sehr sie sich zu mir hingezogen fühlte, ich konnte in ihren Gedanken lesen und nach eingen Tagen spürte ich, wie sehr sie sich nach Intimität sehnte. Tatsächlich hatten wir bald einvernehmlich Sex, obwohl ich sie kaum kannte und auch keine Anzeichen dafür fand, daß sie mir einmal mehr bedeuten konnte. Sie war von einfachem Gemüt und unsere kurze Affäre war nicht mehr als körperliche Entspannung. Erst nach einigen Wochen entdeckte ich, daß sie Dr. Fürböck von unseren heimlichen Treffs getreulich und mit allen Details berichtete, was er mir gegenüber natürlich nie erwähnte. Dieser kleine Schlaumeier, dachte ich und beendete die Affäre mit Brigitte recht bald. Irgendwie ärgerte es mich, auf diese Art medizinisch examiniert zu werden.

Gegenüber Dr. Fürböck erwähnte ich mit keinem Wort mein neues, quasi hellseherisches Talent. Ich sprach ihn jedoch immer wieder auf die häufigen neurologischen Untersuchungen an, denn es war doch auffällig, wie oft er mich zum MRT schickte.

Nach einigen Versuchen meinerseits gab Dr. Fürböck widerstrebend zu, dass er untersuchte, wie sehr sich meine Gehirnaktivität bzw die Menge der Areale, die ich nutzen konnte, gestiegen waren. Er sagte, dass es ihn sehr erstaunte, dass ich zwischen 35 bis 50% meines Gehirnvolumens verwenden würde, das sei höher als die durchschnittlichen 15 bis 25%. Er hatte keine Erklärung dafür, außer der Vermutung, dass eventuell die 60 Jahre lang anhaltende Stimulation meines Gehirns das verursacht haben könnte.

Ich behielt meine Gedanken dazu für mich, obwohl es sehr verlockend war, ihm von meinen neuen Talenten zu berichten. So vergingen die Tage, nach zirka zwei Monaten konnte ich mit Krücken gehen, später brauchte ich nur mehr einen Gehstock. Dann kam der Tag, an dem mir Dr. Fürböck eröffnete, dass mich die Rechtsanwaltskanzlei Roma und Partner zu sprechen wünschten. Roma und Partner hatten meine geschäftlichen Angelegenheiten während all dieser Zeit wahrgenommen, nun wollten sie vermutlich den neuen alten Leo sprechen.

Die beiden jungen Herrn, die anderntags erschienen und sich mit mir und Dr. Fürböck im Konferenzraum trafen, waren viel zu jung, als dass ich sie kennen konnte. Dennoch erwiesen sie sich als kompetent und wussten über jedes Detail Bescheid. Sie hatten einen ganzen Stapel Papier mitgebracht und legten mir diese vor, es waren zunächst die Berichte über die Zeit, die ich im Institut verbracht hatte und sich die Kanzlei in regelmäßigen Abständen vom Fortgang überzeugten. Die Korrespondenz mit Dr. Giese gab darüber Aufschluss, dass es mir gut ging und dass die Kanzlei jährlich von ihm mit der Fortführung all meiner Geschäfte beauftragt wurde. Er hatte auch die jährlichen Honorare der Kanzlei gegengezeichnet.

Dann legten sie mir einen Bericht über meinen Vermögensstand dar, und im ersten Moment erfasste mich ein heftiger Schwindel, den ich war tatsächlich reich. Ich besaß mehrere Häuser in guter Lage, meine letzte Wohnung war eine sehr geräumige Halbetage im Palais Harrach auf der Freyung. Das Palais gehörte offenbar mir, ich konnte mich aber überhaupt nicht mehr daran erinnern, wie ich es erworben hatte. Die beiden jungen Herren lasen mir die Ergebnisse der Einkünfte aus den Immobilien vor. Dann berichteten sie, dass sich meine riesigen Aktienpakete in 60 Jahren ausgezeichnet entwickelt hatten und ich außerordentlich gute Einkünfte daraus bezog. Zuletzt legten sie mir Bestätigungen vor, daß meine Steuern pünktlich und akkurat entrichtet worden waren. Zuletzt legten sie einen Bericht über die Honorare von Roma und Partner vor, welche ich nur kurz überflog und nickte, denn billig waren sie nicht, aber vermutlich hatte ich es vor über 60 Jahren so mit ihnen ausgehandelt. Ich lehnte mich zurück und ließ mir diese neuen Ergebnisse durch den Kopf gehen.

Nach einer Pause räusperte sich einer der beiden Herren und sagte, dass es wohl notwendig sei, dass ich eine neue Identität erhielte. Vorausschauend hatten sie gedacht, dass ich meinen Namen behalten wollte, aber ich würde eine völlig neue Legende und auch neue Urkunden und Dokumente brauchen. Sie hatten das schon vorbereitet und legten diese vor. Tatsächlich war das gut durchdacht, ich erhielt zum Beispiel eine Geburtsurkunde, die mein jetziges Alter in etwa bestätigte, Schulzeugnisse und diverse andere Dokumente, die dieses neue Leben bestätigten. Es lag nun an mir, zu entscheiden, ob ich dies annehmen wollte. Nach kurzem Nachdenken stimmte ich zu und unterschrieb alle hierzu notwendigen Papiere.

Leo Puchmann war zu Leo Puchmann geworden. Ich gab den Herren den Auftrag, mir ein neues laufendes Konto bei meiner Bank, der Austro Invest Bank, einzurichten und dieses Konto bei Abgängen laufend aufzufüllen. Über dieses Konto wollte ich den Alltag bestreiten, mein Vermögen sollte wie bisher von Roma und Partner verwaltet werden. Wir schlossen eine zweijährige Verlängerung dieses Vertrages ab.

Als die Herren gegangen waren, blieb ich noch kurz mit Doktor Fürböck sitzen. Ich dankte ihm für die außerordentlich gute Betreuung, die er und Dr. Giese mit Roma und Partner für mich gemacht hatten. Dann unterhielten wir uns angeregt darüber, wie ich seine weitere Forschungsarbeit und das Institut unterstützen konnte. Er war sehr erfreut, als ich ihm sagte, dass die jährliche Unterstützung um 10% erhöht und indexgebunden weiterlaufen würde. Ich war dem Institut dankbar, dass sie mein Leben gerettet und mich in diesem neuen Leben auferstehen ließen. Er war sehr erleichtert und dankte mir.

Ab diesem Tag war all meine Traurigkeit verflogen. Ich begann, mich über mein früheres Leben zu informieren, begann aber auch, mich um meine Wohnung zu kümmern. Auf Anraten Dr. Fürböcks lud ich einen Baumeister ein, dem er sehr vertraute und den ich mit den Arbeiten an der Wohnung beauftragen wollte. Ich wollte eine gründliche Sanierung, eine neue Einrichtung nach aktuellem Stand und ließ mir ein Angebot geben. Nach kaum einer Woche hatte ich dieses und beauftragte den Baumeister mit der Ausführung dieser Arbeiten.

Ich fuhr mehrere Male mit dem Taxi in die Innenstadt und besah mir die alte Wohnung. Sie lag im ersten Stock des Palais Harrach, war aber völlig verstaubt und mit altem Mobiliar gefüllt. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass ich dort gewohnt hatte, aber es gab mir einen Stich, wenn ich ein Möbelstück betrachtete und dieses mich an Elaine erinnerte. Nein, das mußte alles weg, alles musste neu eingerichtet werden.

Nach einem dieser Besuche, als ich in das Institut zurückgekehrt war, hatte ich das erste Mal eine Vision. Ja, eine Vision, denn ich war mir sicher, dass ich etwas nicht Reales sah. Ich hatte mich kaum auf einen Stuhl gesetzt und ein Glas Limonade getrunken, als meine Gedanken abschweiften und ich sie plötzlich in der Ecke des Zimmers sah. Es war Elaine, ganz ohne Zweifel. Doch gleichzeitig erkannte ich, dass dies nur ein Gesicht war. Wir sahen uns lange an, sie lächelte und ich sagte: "Meine liebe, liebe Elaine!" Ich bemerkte nur am Rande, dass mir die Tränen die Wangen hinunterliefen. Es dauerte vielleicht einige Minuten, vielleicht aber auch nur einige Sekunden, dann war sie wieder verschwunden. Ich blieb unbeweglich sitzen und dachte nach.

Es konnte nicht sein! Doch andererseits war die Vision so klar und so deutlich, dass ich es für wahr halten musste. Nun saß ich häufiger beim Tisch und ließ meinen Gedanken freien Lauf, doch es dauerte mehrere Tage, bis sie wieder erschien. Ich konnte sie deutlicher als das erste Mal sehen, sie hatte jenes bezaubernde Kleid an, das sie in Griechenland auf unserer Hochzeitsreise getragen hatte – ein dünnes, durchsichtiges weißes Kleid, unter dem sie nichts trug. Ich betrachtete sie und lächelte, denn sie hatte in Griechenland in diesem Kleid hinter unserem Haus auf der Wiese getanzt, fröhlich und ausgelassen jauchzend.

Elaine war wieder die junge, wunderschöne Frau, die mich geheiratet hatte. Keine Spur ihres Alters, das wunderschöne braune lockige Haar umrahmte ihr Gesicht, das mich anlächelte. So unwirklich dies auch war, ich sprach sie an und sagte, wie sehr ich sie liebte. Sie lächelte zurück, ihr wunderbares Lächeln, und sie sagte, dass sie mich auch liebte. Ich fragte, wie es ihr gehe, und sie antwortete, es sei wunderbar hier, in Griechenland, es sei doch wunderschön!

Ich war davon überzeugt, dass sie ein Produkt meiner Erinnerungen war, denn die Zeit, die sie erwähnte, war sicher schon 80 oder 90 Jahre her, unsere Hochzeitsreise nach Griechenland. Dennoch wollte ich sie und ihre Anwesenheit solange wie möglich aufrecht erhalten. Als ich meine Hand ausstrecken und sie zu berühren versuchte, spürte ich nichts – sie musste wirklich eine Projektion meines Hirns sein.

Ich entschloss mich, so zu tun, als ob wir immer noch auf Hochzeitsreise wären. Unsere Unterhaltung drehte sich um Liebe, um körperliche Empfindungen und immer wieder sagten wir uns, wie sehr wir uns liebten. Nach einiger Zeit wurde sie jedoch ernst und sagte: "Ich muss dich warnen, mein Lieber, es wird in drei Tagen eine Steinlawine bei Landeck niedergehen und den Zugverkehr behindern. Hoffentlich kannst du etwas dagegen unternehmen, dass keine Menschen zu Schaden kommen." Sie sah mich noch eine Weile an, doch ihr Bild verblasste.

Ich saß noch eine Weile da und war benommen von der Macht, die von dieser Vision ausging. Dann aber fasste ich einen Entschluss und ging zu Doktor Fürböck. Ich berichtete ihm, dass ich ganz plötzlich von dem Gedanken besessen war, es könne in den nächsten Tagen, genauer in drei Tagen, zu einem Unglück kommen und ich die Pflicht verspüre, die Bahngesellschaft zu informieren. Dr. Fürböck war zunächst äußerst skeptisch und versuchte herauszubekommen, wie ich auf diese Idee kam und wie ernst er das nehmen müsse. Natürlich sagte ich kein Wort über meinen Kontakt zu Elaine, bestand jedoch darauf, die Bahn zu verständigen. Er war nicht wirklich überzeugt, also sagte ich, ich würde selbst bei der Bahn anrufen.

So begleite ich ihn in sein Büro, in dem es noch ein altmodisches Telefon gab, und rief die Bahngesellschaft an, nachdem er mir die Nummer herausgesucht hatte. Als ich endlich jemanden an in der Leitung hatte, wurde ich von Amt zu Amt weitergereicht bis zum Büro des Regionaldirektors, wo ich meinen Verdacht deponierte. Man versuchte mich auszufragen und herauszubekommen, ob ich vielleicht selbst jemand sein könnte, der einen Anschlag auf die Bahn vor hatte. Ich gab aber sowohl meine Personalien als auch meinen Aufenthaltsort im Institut an und sagte, dass dies kein Attentat, sondern ein natürliches Ereignis wäre, vermutlich ein Felssturz. Man solle bitte eventuelle Vorkehrungen treffen. Man war mir gegenüber höflich und bedankte sich. Dr. Fürböck, der über Lautsprecher mitgehört hatte, schüttelte den Kopf, als ich aufgelegt hatte und brummte: "Die werden das unter der Rubrik >Bekloppte< ablegen."

Wie groß aber war sein Erstaunen, als die Bahn drei Tage später direkt bei ihm anrief und ihm mitteilte, dass man vorsorglich die Bahnstrecke von Landeck westwärts wegen technischer Maßnahmen kurzzeitig stillgelegt habe. Und, so hieß es weiter, es hätte tatsächlich einen gewaltigen Felssturz gegeben, der die Schienen verlegt habe – es wäre wohl ein großes Unglück mit vielen Toten gewesen, hätte man die Strecke nicht vorsorglich gesperrt. Der Typ von der königlichen Bahngesellschaft ließ durchblicken, dass er sich sehr über diese Warnung gewundert habe, ob Dr. Fürböck eventuell näher darauf eingehen könnte? Dieser konnte jedoch nichts sagen und beendete höflich das Gespräch.

Natürlich sprachen wir noch tagelang darüber. Ich gab nicht nach und gab meine Quelle nicht Preis, ich bestand darauf, dass es sich nur um ein Gefühl, ein sehr starkes Gefühl allerdings, gehandelt habe. Für Dr. Fürböck war dies alles unerklärlich und verunsicherte ihn nachhaltig.

Ich habe tagelang nachgedacht, wie es denn sein konnte, dass Elaine, deren Vision ja nur meinen eigenen Gehirn entsprungen sein mußte, so etwas im Voraus wissen konnte. Ich fand aber trotz heftigen Nachdenkens keine Antwort. Wie ich es auch drehte und wendete, es blieb dabei, dass mein naturwissenschaftlich orientierter Verstand keine Antwort hatte und ich nicht in der Lage war, mir selbst eine vernünftige Erklärung zu geben.

Inzwischen waren die Arbeiten in meiner Wohnung weitergegangen, ich fuhr nun beinahe täglich mit dem Taxi in die Stadt, um den Fortgang zu beurteilen. Der Baumeister hatte nicht zu viel versprochen. Die Böden waren neu verlegt, die Wände frisch geputzt und gestrichen, die Einrichtung eher modern. Meinem Wunsch entsprechend gab es einen großen Wohnraum, 6 kleine Zimmer und eine gut ausgestattete Küche, die selbstständig kochen konnte. Wozu es ein zweites Badezimmer gab konnte ich nicht herausfinden, ließ es aber dabei bewenden. Die Möbel hatte ich selbst ausgesucht, sie waren vor allem gediegen und dennoch elegant. Ich wollte auch in den Gästezimmern die besten Betten, gut gepolsterte Sitzmöbel und hohe, bis zum Boden reichende dunkle Vorhänge. Der Baumeister versprach, dass es in spätestens acht Wochen schlüsselfertig zu beziehen sei.

Während meiner Besuche zur Besichtigung der Wohnung fand ich schnell heraus, dass in derselben Etage, in einem Bereich der doppelt so groß wie meine Wohnung war, eine gewisse Madame Veronique ein Etablissement der besonderen Art führte. Nach außen völlig unscheinbar war es in Wirklichkeit, das konnte ich nicht übersehen, ein Etablissement der gehobenen Art. Madame Veronique war eine hübsche Dame mittleren Alters und war sehr freundlich. Wir begrüßten uns als Nachbarn, und sie lud mich ein, das Etablissement zu besichtigen. Wir unterhielten uns sehr angeregt, sie servierte Brötchen und einen ausgezeichneten Tee. Schon bald lud sie mich zu einem Abendessen ein und ich konnte feststellen, dass sie eine ausgezeichnete Küche hatte. Ihr vorsichtig formuliertes Angebot, mich zum Besuch des Etablissements zu bewegen, brachte mich in die unangenehme Lage, es zurückzuweisen. Doch entgegen meinen Befürchtungen nickte sie nur verständnisvoll und sagte, das sei schon okay so. Ich war sehr erleichtert, denn mit Nachbarn sollte man immer auf freundlichem Fuß stehen. Es wurde nun beinahe eine Gewohnheit, dass ich abends mit ihr gemeinsam speiste. Ich bestand aber darauf, für das Essen zu bezahlen, was sie nach kurzem Zögern auch annahm.

Beim gemeinsamen Abendessen plauderten wir über dies und das, und langsam erfuhren wir einiges über den anderen. Sie fand es interessant, dass ich durch Immobilien und Aktien zu einem kleinen Vermögen gekommen war und sagte mehrmals, wie sehr sie sich über diese Nachbarschaft freute. Ich verschwieg ihr sehr lange, daß das Palais eigentlich mir gehörte und die Vermietung einer Hausverwaltung oblag. Ich hingegen erfuhr, dass sie aus Südosteuropa eingewandert war und nach einigen Jahren ihr Etablissement eröffnet hatte. Dieses war sehr edel im Retro–Stil des 19. Jahrhunderts eingerichtet, mit weichen Teppichen ausgelegt und mit roten Stofftapeten ausgestaltet. Diese Mädchen waren ausnahmslos erstklassig wie auch ihre Kunden, die aus den höchsten Kreisen des Königreichs kamen. Und, betonte sie immer wieder, Diskretion sei für sie absolut wichtig und unabdingbar. Und natürlich stellte sie von Anfang an klar, daß es kein Puff oder Bordell sei, sondern ein Salon. Mein Lächeln akzeptierte sie mit einem unmerklichen Schmunzeln.

Ich hatte mich inzwischen aus dem Institut verabschiedet und bezog meine Wohnung im Palais Harrach. Der Baumeister zeigte mir die gesamte Wohnung mit allen Einzelheiten, alle Möbel und alle eingebauten Finessen. Bei der Erklärung der Küche musste ich passen, denn ich war es nicht gewohnt zu kochen und sagte ihm, es wäre sicher alles in Ordnung und ich würde mir bei Gelegenheit die Details näher ansehen. Zum Ende der Führung blitzen seine Augen kurz auf, als er sagte, das feinste Zuckerl habe er sich zum Schluss aufgehoben. Er sagte "Lucy!", und eine weiche Frauenstimme antwortete aus versteckten Lautsprechern: "Was kann ich für Euch tun?" Der Baumeister sah mein Erstaunen und sagte: "Das ist der augenblicklich modernste Haushaltsroboter" und fügte hinzu, dass diese auf mich bzw. meine Stimme trainiert sei und jegliche Tätigkeit im Haushalt bzw. jeden Befehl wie Lichtsteuerung, Musiksteuerung, die Küche und Ähnliches beherrsche. Man könne mit Lucy wie mit einem Hausangestellten kommunizieren.

Ich bekam Bedenken, denn schon in meinem alten Leben habe ich mich von all den neumodischen sozialen Medien wie auch sogenannten smart Things skeptisch distanziert und fühlte jetzt, dass mir dieser Hausroboter nicht geheuer sei. Trotzdem ließ ich mir vom Baumeister alle Details erklären und notierte die wichtigsten Befehle in meinem kleinen Notizbuch. Dann sagte ich: "Lucy, schalte dich ab!" Ein leiser, kaum hörbarer Piepton kam zur Bestätigung. Lucy ließ sich wieder einschalten und der Baumeister gab mir den Hinweis, mir von Lucy all ihre Funktionen erklären zu lassen. Lucy sei das derzeit Modernste, was man derzeit für Geld bekommt. Dann setzte ich mich mit dem Baumeister zum Schreibtisch und wir gingen noch einmal die endgültige Abrechnung durch, wir hakten jeden Posten einzeln ab und am Schluss unterschrieb ich, dass alles seine Richtigkeit habe. Zum Ende sagte ich dem Baumeister, dass ich seine Rechnung noch am selben Tag begleichen würde und dankte ihm für diese ausgezeichnet gelungenen Arbeiten an meiner Wohnung.

Natürlich ging ich gleich zu Veronique hinüber und bat sie, die neu eingerichtete Wohnung zu besichtigen. Sie kam, besah sich alles genau und meinte dann, dass es wirklich sehr schön sei. In der Küche gab sie einen kleinen anerkennenden Pfiff von sich, so gut gefiel ihr deren Einrichtung, die blitzenden Pfannen, das edle Geschirr und die schönen, sicher teuren Geräte. Das ist eine autonome Küche, versicherte sie, sie habe es in einigen Magazinen gesehen, aber sie koste ein Vermögen. Ich aber ging wieder zurück in den großen Wohnraum, auf dessen Einrichtung ich selbst stolz war. Es hatte neben einem großen, aus einer versenkten Halterung hochfahrbaren Fernseher, einen großen altmodischen Schreibtisch mit einem Retro Telefon und einem Retro Bildschirm, die heute sicherlich kaum mehr woanders Verwendung fanden. Ich aber fand, dass ich auf einem großen Bildschirm meine Nachrichten und meine Arbeiten besser erledigen konnte, als nur mit dem Com, welcher zwar immer präsent, aber nur begrenzte Möglichkeiten für die Anzeigen bot. Selbstverständlich verbanden sich das Com und der Bildschirm automatisch (was mich daran erinnerte, daß man dies zu "meiner Zeit" Bluetooth nannte).

Nun begann ich, meine Wohnung nach meinem Geschmack weiter einzurichten. Die wertvollen Teppiche der alten Einrichtung hatte ich reinigen lassen, nun wurden sie auf allen Böden ausgelegt. Abends ging ich regelmäßig zu Veronique und fragte eines Abends, wer die junge Dame sei, die manchmal die Speisen auftrug, zumeist aber im Hintergrund blieb. Sie stellte uns vor, Leo und Roxane. Sie war die Witwe von Veroniques Bruder Gregori, der in den Bürgerkriegswirren in Rumänien ums Leben gekommen war. Veronique hatte sie sofort nach Wien geholt, ebenso ihren achtjährigen Sohn Marco. Da mir Roxane vom ersten Tag an sehr gut gefiel, bat ich Veronique, Roxane möchte doch an unseren Abendessen teilnehmen.

Bei diesen Abendessen unterhielten wir uns vor allem über die kleinen Probleme des Alltags, ich aber nutzte die Zeit, um mehr über Roxane zu erfahren. Ich betrachtete immer wieder Roxanes Körper und fand sie sehr hübsch, gleichzeitig schalt ich mich einen alten chauvinistischen Esel, der sich an ihrem hübschen Aussehen ergötzte. Dennoch bildete ich mir ein, daß sie sich bald sehr körperbetont anzog und meine Blicke offenbar genoß. Sie war sehr bescheiden, versuchte in Veroniques Privathaushalt fleißig mitzuhelfen und kümmerte sich ansonsten nicht um das Etablissement, das sie offenbar nicht sehr schätzte. Natürlich kam es für sie nicht in Frage, für Veronique im Etablissement zu arbeiten, was Veronique mit einem leisen Lächeln quittierte. In einem leichten Anflug von Eifersucht stellte ich mir vor, wie dieses herzige Kind wohl in einem Puff verkommen würde.

Für Roxane war Marco das Zentrum ihres Lebens, sie lernte täglich mit ihm und kümmerte sich darum, dass er fleißig und aufmerksam lernte und besprach auch zwischenmenschliche Probleme mit ihm, da ihn seine Mitschüler wegen seiner Herkunft oft ärgerten. Alles in allem kam sie mir sehr lieb und herzensgut vor, ich ertappte mich dabei, dass ich häufig an sie dachte und wunderte mich, ob ich denn in sie verliebt sei. Bei unserem gemeinsamen Abendessen tauschten wir oft lange Blicke, ich stöberte und suchte in ihren Gedanken und fand, dass auch sie mich von Tag zu Tag interessanter und anziehend fand.

Nun lud ich sie manchmal in meine Wohnung ein, ich versuchte ihr Kaffee anzubieten, scheiterte aber an der Kaffeemaschine. Lächelnd stand sie auf und befahl Lucy, uns Kaffee zuzubereiten, dann saßen wir in den bequemen Sesseln der Sitzgruppe und unterhielten uns. Sie erzählte von ihrer Jugend und ihrem Gregori, den sie von Kindesbeinen an gekannt und recht jung geheiratet hatte.

Stockend berichtete sie, wie Gregori eines Abends blutüberströmt nach Hause kam. Er stammelte, daß er in eine Auseinandersetzung zweier verfeindeter Clans geraten und angeschossen worden war, obwohl er nichts mit ihnen zu tun hatte und sofort Deckung gesucht hatte. Sie hielt weinend seinen Kopf in ihrem Schoß, immer wieder stammelten sie beide ihre Namen, bis Gregori immer stiller wurde. Als der Notarzt endlich kam, konnte er nur noch den Tod Gregoris feststellen. Wenige Tage später wurde Gregori beerdigt, sie packte schweigend ihre Habseligkeiten und fuhr mit Marco nach Wien, zu Veronique.

An einem dieser Nachmittage geschah es dann. Wir hatten uns lang unterhalten, die Hände berührten sich, ihr Kopf lehnte an meiner Schulter und ich spürte ihre freudige Erregung. Die Lippen berührten sich zu einem langen, innigen Kuss und an diesem Nachmittag wurden wir ein Paar. Erschöpft, aber sehr glücklich lagen wir noch lange schweigend nebeneinander. Ich setzte mich auf und rauchte, zum ersten Mal seit 60 Jahren.

Vor Veronique konnten wir nichts geheimhalten. Sie blickte beim Abendessen schweigend von einem zum anderen, dann sagte sie: "Roxane ist meine einzige Verwandte, bitte gehe gut mit ihr um und verletze sie nicht!" Ich nickte zustimmend und versprach es ihr. Das Abendessen verlief weitgehend in Schweigen, und bevor ich mich verabschiedete, nahm ich Roxanes Hände und blickte ihr in die Augen: "Bitte, übersiedle zu mir, wohne bei mir!" Roxane blickte zu Veronique, und als diese nickte, sagte sie: "Ich komme gerne zu dir, Leo!" Und so kam es, dass wir zu dritt – Roxane, Marco und ich – in meiner Wohnung zusammenlebten.

Roxane war eine ausgezeichnete Köchin, sie konnte mit den automatisierten Vorgängen der hochmodernen Küche gemeinsam mit Lucy vom ersten Tag an umgehen und zaubern, wie ich es verstand. So luden wir Veronique immer öfter zu uns zum Abendessen ein. Sie kümmerte sich nun um beide Haushalte – meinem und Veroniques – und kochte mal hier, mal bei Veronique. Marco hatte sich am Anfang zurückhaltend gezeigt, er empfand die Vertrautheit zwischen Roxane und mir als etwas, das ihn verstörte. Doch ich zeigte mich dem Jungen gegenüber von meiner freundlichsten Seite, übernahm nun häufig das gemeinsame Lernen und allmählich verlor sich sein Widerstand. Er hatte nun sein eigenes Zimmer, zum ersten Mal in seinem Leben konnte er sich dort einrichten, wie er wollte. Ich glaube, dies war für uns alle drei eine wunderbare Zeit.

Zögernd und voller Unsicherheit erzählte ich Roxane von meiner Vergangenheit. Nach und nach gab ich ihr zu verstehen, dass ich durch ein medizinisches Experiment einen langen Teil meines Lebens im Koma verbracht hatte. Als ich sagte, das dieses Experiment 60 Jahre gedauert hatte, merkte ich, wie sie rechnete und ihre Augen sich weiteten. Ich setzte hinzu, dass ich unter normalen Umständen etwa 120 Jahre alt wäre, aber dass ich während dieses Komas kaum gealtert sei und jetzt nur etwa 60 Jahre alt war. Roxane blickte mich lange schweigend an, dann sagte sie: "Ich bin 34". Ganz scheu fügte sie hinzu, daß sich meine Sexualität viel jünger anfühlte. Du meinst mein Glied, sagte ich und sie war unsicher, denn diese Dinge konnte sie nicht benennen. Nach einem kurzen Unterricht in Sachen Geschlechtsteile wurde sie zwar puterrot, aber dann nickte sie eifrig, "Ja, dein Schwanz! Er fickt prima!" Sie lernte sehr schnell. Doch dann erwachte ihre Neugier, sie wollte alles ganz genau wissen und ich erzählte ihr alles, was ich noch wusste.

Ich konnte ihr erzählen, dass ich nach dem Abitur in eine Banklehre gegangen war und dort auf das Börsengeschäft spezialisiert hatte. Durch geschickte Geldanlage war es mir gelungen, mehrere Häuser in der Innenstadt zu erwerben, von diesen Mieteinnahmen zu leben und dass ich viel Geld in Aktienpaketen angelegt hatte. Mit einem gewissen Stolz sagte ich, dass ich dadurch reich geworden sei und in Zukunft keine Sorgen finanzieller Natur haben müsste.

Ich hatte wieder ein Familienleben, ich hatte eine Geliebte und einen Stiefsohn. Wir wurden zu einer engen Gemeinschaft, unterstützten uns gegenseitig und pflegten einen liebevollen Umgang miteinander. Ich sah Marco zum ersten Mal seit langer Zeit wieder lachen, und wenn Roxane und ich abends bei einem Glas Wein beisammen saßen, erlebte ich, wie sie langsam aufblühte und zuversichtlich in die Zukunft sah.

Es dauerte mehrere Wochen, bis ich Roxane von Elaine erzählte. Sie war nicht überrascht, dass ich früher verheiratet war, und wollte vor allem wissen, ob wir Kinder gehabt hatten, was ich verneinte. Es fiel mir sehr schwer, über den Autounfall zu sprechen. Ich wusste doch selbst sehr wenig darüber, nur dass ich mit Elaine verunglückt war. Es widerstrebte mir zu sagen, dass Elaine betrunken gefahren war. Ich berichtete nur, dass sie dabei gestorben und ich schwer verletzt war. Ich wechselte rasch das Thema, denn ich wollte nicht mehr daran denken.