Cantamus Pädagogik & Campus - Regina Canto - E-Book

Cantamus Pädagogik & Campus E-Book

Regina Canto

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Beschreibung

In ihrem Buch überzeugt Regina Canto mit der Darstellung ihres Pilotprojekts einer gebundenen Ganztagsgrundschule auf einem interdisziplinär angelegten Schulcampus. Ihr Ziel ist es, eine bestmögliche Chancengleichheit für alle Kinder und Jugendliche zu schaffen. Das inklusive pädagogische Angebot bietet u. a. in Lernbüros, Partnerklassen und kooperativen Projekten eine Binnendifferenzierung im Schulalltag an, die die individuellen Kompetenzen zur Entfaltung bringen, die ansonsten brachliegen. Auf dem Plan steht sowohl die Unterstützung von schulischen Fähigkeiten, Insel- und speziellen Begabungen, von Kreativität wie auch die Förderung geistiger Entwicklungen. Neun verschiedene Durchlässigkeiten durch das Schulsystem motivieren selbst die hartnäckigsten Schulschwänzer, sich in Richtung Schule zu bewegen, um mit ihren Peer-Groups am Schulprojekt teilzunehmen. Das vielseitige Schulangebot kommt Familien und Alleinerziehenden zugute; es dient der Entdeckung und Förderung der individuellen Ressourcen der Berufsvorbereitung. Die "Cantamus-Pädagogik" veranschaulicht, wie bei einem gut durchdachten pädagogischen Konzept Schule heute gelingen kann. Das theoretische und praktische Wissen der Autorin Regina Canto aus jahrzehntelanger Erfahrung an Schulen, Hochschulen und in der Politik gibt die Sonderpädagogin an alle weiter, die für die Erziehung und Bildung verantwortlich sind, z. B. an Schulpolitiker, Studierende, Pädagogen und Eltern. Für alle, die Genaueres wissen wollen, steht die Autorin als Beraterin, Referentin, Interview-und/oder Diskussionspartnerin gerne zur Verfügung. Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite: www.cantamus-campus.de

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Widmung

Ich widme dieses Buch

der Kärntnerin Mathilde Krammer.

Sie war eine außergewöhnliche Frau und Lehrerin.

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

Dank

Vorbemerkung

DAS ANLIEGEN DIESES BUCHES

BASISKOMPETENZEN FÜR ERFOLGREICHES LERNEN

1.1. Lernende

1.2. Durchhaltevermögen und Motivation

1.3. Aufmerksamkeit und Konzentration

1.4. Sinne und Wahrnehmung

1.5. Kreativität

1.6. Musik

DIE INNERE SCHULSTRUKTUR

2.1. Unterrichtsgestaltung

2.2. Lehrperson

2.3. Eltern

2.4. Integration und Inklusion

2.5. Projektorientierter Unterricht und Projekte

ÄUßERE SCHULSTRUKTUREN – SCHULORGANISATION

3.1. Curricula und die Schule der Zukunft

3.2. Was ist ein Campus?

3.3. Die gebundene Ganztagsgrundschule

3.4. Partnerklassen

3.5. Was ist eine Förderschule?

3.6. Lernbüros

DER CANTAMUS-CAMPUS

4.1. Rahmenbedingungen der Pilotschule

4.2. AGs, Kurse und Projekte

4.2.1. Musikausbildung

4.2.2. Literatur / Sprache / Schauspiel

4.2.3. Kunst und Malerei

4.2.4. Handwerkliche Tätigkeiten

4.2.5. Essen / Gesundheit / Garten

4.2.6. Naturwissenschaften / Experimente

4.2.7. Sport / Bewegung / Tanz

4.2.8. Digitale Medien

4.2.9. Abenteuerpädagogik / Adventure-Programme

4.3. Personalsituation und Finanzierung der Mitarbeiter

4.4. Bauliche Gegebenheiten

4.5. Finanzierung der Bauten

4.6. Wissenschaftliche Begleitung

DURCHLÄSSIGKEITEN IN DER SCHULSTRUKTUR

EIN SCHULTAG IM LEBEN VON ELSA

NACHWORT

ÜBER DIE AUTORIN

QUELLENANGABEN / LITERATURVERZEICHNIS

WEBLINKS

Vorwort

„Gleich ist nicht gerecht“ von Harald Martenstein

Seit einiger Zeit wird in Deutschland die „Inklusion“ vorangetrieben. Darunter ist zu verstehen, dass behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam unterrichtet werden. Sonderschulen soll es nicht mehr geben. Eine Schule für alle! Bei Kindern mit einer körperlichen Behinderung ist das vergleichsweise unkompliziert, sie können den Schulstoff genauso gut lernen wie Kinder ohne Handicap. Aber was ist mit den geistig Behinderten?

In Baden-Württemberg, im Ort Walldorf, streitet man über ein Kind, das Henri heißt. Henri hat das Down-Syndrom. Solche Kinder können viel mehr, als man ihnen früher zugetraut hat, einige schaffen sogar das Abitur. Es sind leichte Fälle. Henri ist kein leichter Fall. Seine Mutter besteht nun darauf, dass ihr Sohn nach der Grundschule zusammen mit einigen Klassenkameraden auf das Gymnasium wechseln darf, im Namen der Inklusion. Henri sollte seine gewohnten Spielkameraden nicht verlieren. Eine Chance, den Schulstoff zu begreifen, hat er nicht. Das sieht auch die Mutter so.

Das Gymnasium hat Henri abgelehnt, die Schule steht seitdem unter schwerem, öffentlichem Beschuss. Wer ist hier gut, wer ist böse? In Karlsruhe hat man seit einigen Jahren Erfahrung mit einem Schüler gesammelt, der ebenfalls unter dem Down-Syndrom leidet und ein Gymnasium besucht. Die Lehrer dort sagen: Wir schaden dem Kind, indem wir es im Mathe-Unterricht herumsitzen lassen. Wenn das Kind auf einer Sonderschule wäre, würde es Dinge lernen, die es im Leben brauchen kann. Wie koche ich ein Essen? Wie lese ich einen Fahrplan, wie kaufe ich ein?

Jahrelang habe ich von Bildungspolitikern den vernünftigen Satz gehört, dass Kinder möglichst individuell gefördert werden sollen. Die Menschen sind verschieden, der eine braucht dies, die andere braucht jenes. Unter der neuen Parole „Inklusion“ wird diese Erkenntnis nun weggewischt wie ein lästiger Staubfleck.

Wenn die Lehrer es mit Klassen zu tun haben, in denen ein geistig behindertes Kind neben einem hörbehinderten Kind und neben einem hochbegabten Kind sitzt – wie sollen die Lehrer das eigentlich schaffen? Es ginge nur, indem in jeder Klasse künftig drei oder vier Lehrer unterrichten, kein Staat der Welt könnte das finanzieren.

Was bedeutet „Gleichheit“? Die Menschen sind ja nicht gleich, das ist offensichtlich. Meiner Ansicht nach bedeutet Gleichheit, dass jeder die gleichen Rechte und die Chance auf ein gelungenes Leben besitzen sollte, auch das gleiche Recht auf Respekt. Wenn wir alle in den gleichen Topf werfen, dann kommt am Ende nicht Gerechtigkeit heraus. So einfach ist es leider nicht. Und dass die Menschen verschieden sind, anders als Roboter, ist ja auch ein großes Glück.

Harald Martenstein, Der Tagesspiegel, 13.04.2014

Dank

Dem bekannten Essayisten Harald Martenstein bin ich sehr dankbar für die Überlassung seiner Kolumne als Vorwort.

Mein ganz besonderer Dank geht an unseren Freund Professor Peter Hellwig für die fach- und sachgerechte Überarbeitung.

Lediglich mit der Hilfe und Unterstützung von Ursula Maria Gérard, meinem Mann Joe, meiner Tochter Ricci sowie Kay habe ich das Buch schreiben können.

Vorbemerkung

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Sie mögen es mir nachsehen, dass ich nicht jedes Mal die Form Schülerinnen und Schüler (oder SchülerInnen), Lehrerinnen und Lehrer (oder: LehrerInnen), Leserinnen und Leser (oder: LeserInnen) benutze.

Das hat drei Gründe: die Vielzahl von Geschlechtern vermag ich nicht zu benennen, der Sprachfluss ist mir zu holprig und drittens möchte ich vor allem viele abzuholzende Bäume schonen, die wir so dringend für unsere Umwelt brauchen.

Ich hoffe auf Ihr Verständnis!

Alle Angaben in diesem Buch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Jegliche Haftung der Autorin und aller Mitwirkenden ist ausgeschlossen.

Das Anliegen dieses Buches

Mit diesem Buch möchte ich Sie, liebe Leserinnen und Leser, in die Cantamus-Pädagogik einweihen und Sie für das Schul-Pilot-Projekt des Cantamus-Campus begeistern.

Mein Buch ist ein Vorschlag auf dem Weg zur Bildung für alle Kinder und Jugendliche. Das Recht auf Bildung ist ein Menschenrecht gemäß Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10.12.1948. Das Recht auf Bildung für Kinder ist in Artikel 28 der UN-Kinderrechtskonventionen vom 20.11.1989 (Convention of the Rights of the Child, CRC) festgeschrieben. Die Konvention garantiert den allgemeinen, menschlichen Anspruch auf freien Zugang zur Bildung, auf Chancengleichheit sowie auf das Recht zum Schulbesuch.

Die Umsetzung des Anspruchs auf Bildung und Chancengleichheit halte ich für eine der vorrangigsten Aufgaben, die wir zu erfüllen haben.

Wie aber sieht es mit der Chancengleichheit in Deutschland aus?

Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung (2013) bestimmt im Wesentlichen die soziale Herkunft der Eltern den Schulerfolg eines Kindes. Auch die PISA-Studien besagen: Wer aus einem bildungsfernen Umfeld kommt, dem wiederfährt keine Chancengleichheit, denn Kinder aus Akademikerfamilien haben eine sieben Mal höhere Chance, die Allgemeine Hochschulreife zu erlangen als Kinder aus sozialschwachen Familien.

Wie aber kann Chancengleichheit gelingen? Welche Strukturen müssen in unserem Schulsystem geändert werden, zumal viele neue Probleme der Beschulung zu lösen sind: zukünftig steigende Schülerzahlen, überforderte Lehrer, Integration von Ausländerkindern, Inklusion für alle. Die Vielfalt und die Vielseitigkeit der Lernenden birgt ein großes kreatives Potenzial in sich, verlangt aber auch ein hohes Maß an Flexibilität, Geduld, Teamfähigkeit, um eine gerechte und angemessene Bildung und Erziehung zu ermöglichen.

Wir haben die Verantwortung für entwicklungsverzögerte, normale, hochbegabte, geistig-behinderte, autistische und schwerbehinderte Kinder und Jugendliche. Die inter- und intra-individuellen Unterschiede sind bei allen Menschen sehr ausgeprägt und sind im Schulalltag zu berücksichtigen. Werden Kinder gleichen Alters miteinander – also inter-individuell – verglichen, erkennen wir aufgrund der Vorerfahrungen und Begabungen unterschiedlich ausgeprägte Kompetenzen, Interessen und auch Entwicklungsstufen. Denken Sie an die Verschiedenheiten von Geschwistern, die in einer Familie aufwachsen. Betrachten wir intra-individuell den Menschen, so treten bei jedem Einzelnen ganz verschiedenartige Stärken, Schwächen, Ressourcen, Inselbegabungen, Eigenarten und Charakterzüge auf. Sie kennen dieses Phänomen von sich selber: im sprachlichen Bereich sind Sie zu erstaunlichen Leistungen fähig, Sie halten sogar Vorträge; in Mathematik trauen Sie sich selber nicht besonders viel zu.

Wie soll bei einer solchen inter- und intra-individuellen Vielfalt schulisches Lernen greifen? Wie müssen Schulstrukturen gestaltet werden, damit sie auch nur annähernd diesen hohen Ansprüchen genügen?

Vielerorts wird pädagogisch bereits das umgesetzt, was das individuelle Lernen fördert, wie z. B. die Durchführung von Projekten, projektorientiertem Unterricht, AGs, Kursen, Teamarbeit vs. Frontalunterricht u. v. m. Das reicht aber nicht!

Deshalb stelle ich in dem Theorieteil des Buches die Basiskompetenzen für ein erfolgreiches Lernen sowie die inneren und äußeren Strukturen einer anzustrebenden Pädagogik vor, die die Schülervielfalt berücksichtigt.

Zu den inneren Strukturen gehören u. a. wichtige Lernvoraussetzungen wie Durchhaltevermögen, Aufmerksamkeit, Motivation, Konzentration und Kreativität. Um die Kompetenzen entfalten zu können, müssen die Unterrichtsangebote dementsprechend flexibel gestaltet werden. Was bedeutet es, Binnendifferenzierung, Inklusion, Integration im Schulalltag umzusetzen?

Kann die äußere Schulstruktur weiterhin Bestand haben, wenn sich die inneren pädagogischen Erfordernisse verändern? Eine Schule der Zukunft wird hier – vielleicht etwas utopisch – beschrieben.

Mit den zahlreichen Fragen, deren Beantwortung und Umsetzung, befasst sich der praktische Teil des Buches und deren Entwurf des Cantamus-Campus als gebundene Ganztagsgrundschule.

Warum habe ich das lateinische Wort „Cantamus“ (auf Deutsch: wir singen) gewählt? Wir singen gemeinsam im Chor, wir singen voller Freude, wir singen zu Festen aber auch zu einer Beerdigung. Das gemeinsame Singen ist etwas Schönes, Völkerverbindendes, Raum- und Zeitübergreifendes, etwas, das Emotionen bei Sängern und Zuhörern weckt.

Solo darf derjenige singen, der eine besonders gute Stimme hat, ansonsten soll jeder so singen, wie es ihm möglich ist. Das gemeinsame Singen ist das Sinnbild dieser Cantamus-Pädagogik. Sie hat zum Ziel, jeden Lernenden in der Gemeinschaft, durch sie und das gemeinsame Zusammenspiel zu stärken, ihm das Gefühl der Anerkennung, der Zusammengehörigkeit zu geben, auch dann, wenn er nicht so gut wie der Solo-Sänger auftreten kann. Unser gemeinsames Tun macht uns selbstbewusst, diszipliniert uns, stärkt die Ausdauer, fordert das Durchhaltevermögen, setzt Ziele. Dies alles nur annähernd zu erreichen, ist ein großartiger Auftrag.

1 – Basiskompetenzen für erfolgreiches Lernen

1.1. Lernende

Um das Lernen zu erlernen, bedarf es einiger wichtiger Voraussetzungen.

Zwei grundlegende menschliche Urbedürfnisse sind die Basis für alle Kompetenzentfaltungen, zum einen sind es die sozialen Beziehungen und zum andern das Bedürfnis nach Selbständigkeit.

Das enge Zusammengehörigkeitsgefühl, das bereits prä- und perinatal im Mutterleib entsteht, setzt sich in sicheren, sozialen Bindungen fort, zuerst zu Bezugspersonen und später in Freundschaften, Klassenverbänden und dann in eigenen Familien. Der soziale Kontakt und die Anerkennung in einer festen Bindung gehören zu den ureigenen Bedürfnissen eines Menschen. Manche Schüler unterliegen besonders dem Einfluss der Freunde und Klassenkameraden. Das sind dann die sogenannten „peerabhängigen Lerner“. Bei anderen Schülern spielt der Lehrer eine größere Rolle. Diese heißen „lehrerabhängigen Lerner“. Es gibt aber noch eine dritte Gruppe, die leistungsmäßig fast immer konstant abschneidet, unabhängig davon, mit welchen Freunden oder Lehrpersonen sie zusammenarbeitet. Sie nennt man die „unabhängigen Lerner“.

Die zweite wichtige Erfahrung neben der sozialen Bindung ist die Bestätigung, die sich einstellt, wenn das Kind etwas selbständig zustande bringt, wenn es zunehmend Kompetenzen entwickelt, die schließlich zur Autonomie und Freiheit führen.

Nach neurobiologischen Experimenten kommt u. a. der Psychologe Nikolas Westerhoff zu der Erkenntnis, dass Lernen dann besonders viel Spaß macht, wenn der Lernende selbst entscheiden kann, was und wie er lernen will (Westerhoff, N. 2008). Löst das Kind aus eigenem Antrieb eine schwierige Rechenaufgabe, wird vermehrt durch das Glücksempfinden das Glückshormon Dopamin – ein Neurotransmitter – ausgeschüttet.

Werden diese beiden Urbedürfnisse, die der sozialen, festen Bindung und die des selbständigen Lernens und Erforschens nicht erfüllt, können sich Kinder und Jugendliche auf die Suche nach Ersatzbefriedigungen machen. Sie zeigen dann Arbeits-Vermeidungsverhalten und schwänzen die Schule; es können sich hoher Fernsehkonsum, Spielsucht, Drogen- oder Alkoholmissbrauch einstellen. Der Weg, sie mit Geldbußen oder Polizeibegleitung zur Schule zwingen zu wollen, ist denkbar ungeeignet. Eine Motivation zum Lernen kann nicht erzwungen werden.

Dann müssen die Heranwachsenden Unterstützung in positiven sozialen Verknüpfungen erhalten und in ihrem Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen aufgebaut werden. Es gilt herauszufinden, welche Erfahrungen die Kinder bisher gewonnen haben; denn jeder Mensch erhält andere emotionale und kognitive Eindrücke. Er hat dadurch persönlich sehr verschiedene Vorstellungen über sein Selbstbild, das Menschenbild, das Weltbild entwickelt.

Die bisher gemachten Lernerfahrungen sind als innere Einstellungen, Überzeugungen, Haltungen und der sich daraus entwickelnden Vorstellungen über sich selbst (Selbstbild), über die anderen (Menschenbild) und über die Welt als Ganzes (Weltbild) im Frontalhirn verankert. Die Eindrücke sind nicht zu trennen von den Verbindungen emotionaler und wahrnehmungsgebundener Strukturen. Jeder Mensch hat zudem individuelle, multiple Erbanlagen. Man kann sich vorstellen, wie groß die inter- und intraindividuellen Unterschiede sein müssen. Auch Untersuchungen belegen: jeder Mensch macht je nach seiner eigenen Denkstruktur mit individuellen Verknüpfungen neuronaler Nervenzellen andere Vorerfahrungen, auf denen sich weiteres Wissen aufbaut. Somit besitzt Jeder ein eigenes Leistungsmuster, das sich immerzu verändert, das aber auch in festen Entwicklungsstrukturen verhaftet ist.

Einen grundlegenden Beitrag hat Jean Piaget zu diesem Thema geleistet. Jean Piaget (1896 1980) legt in seiner Theorie die schrittweise Intelligenzentwicklung des heranwachsenden Menschen dar. Dabei sind die Entwicklungen von Lernstruktur und Lernhandlung zirkulär aufeinander bezogen. Der Mensch handelt frühzeitig auf der Grundlage bestehender Strukturen, die er besitzt und die Strukturen bilden sich aufgrund der Handlungen des Menschen aus.

Piaget unterscheidet vier Entwicklungsstufen des kindlichen Lernprozesses: die sensomotorische, die prä-operationale, die konkret-operationale, die formal-operationale Phase. Auf jeder Entwicklungsstufe gibt es Veränderungen in den Formen der Prozesse, von der senso-motorischen Phase des Kleinkindes über die Wahrnehmungsprozesse des Kindes im frühen Schulalter bis hin zu den Anfängen abstrakt logischen Denkens bei Pubertierenden. Assimilation, Aneignung neuer Sachverhalte, Problemstellungen, Lerninhalte vollziehen sich stets in einer Art Eingliederung in vorangehende Schemata. Erworbene Schemata passen sich an eine neue Situation an, an ein neues Problem, an einen neuen Lerninhalt, ordnen, verfeinern, strukturieren sich immer wieder aufs Neue. Die Bewältigung einer neuen Problemstellung bewährt sich, verstärkt sich, das Wissen festigt sich. Es verbindet sich der Prozess der Selbstverstärkung mit dem „sinnvollen Lernen“. Sinnvoll bedeutet, dass ein neuer, aufzunehmender Sachverhalt auf bereits Erlerntem aufbaut. Jede Stufe sollte gefestigt und abgeschlossen sein, sonst kann sinnvolles Lernen nicht stattfinden. Keine Entwicklungsstufe darf übersprungen werden. Hat z. B. ein Kind die sensomotorische Phase noch nicht abgeschlossen (vielfach ist das der Fall bei Kindern mit einer geistigen Behinderung), kann die nächste Stufe des abstrakten Buchstaben- und Zahlen-Erlernens nicht erfolgreich eingeleitet werden. Allerdings fängt die kognitive Entwicklung des Kindes nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen viel eher an, als von Piaget beschrieben (s. Roth, G. 2011). Wolfgang Jantzen (1992) kritisiert, dass Jean Piaget die emotionalen Kompetenzen völlig außer Acht lässt. Trotz der berechtigten Kritik sind die Erkenntnisse dieses bedeutenden Entwicklungspsychologen über die kognitiven Entwicklungsstufen eines Kindes grundlegend und gehören zum „Rüstzeug“ eines jeden Pädagogen. Sie sind noch heute die Basis für die Grundschul-Rahmenrichtlinien.

Wie Kinder logisch denken und wie dieses Denken durch das Entwicklungsstadium bestimmt wird, hat Einfluss auf die Auswahl des Lernstoffes und dessen Schwierigkeitsgrad. Die richtige Einordnung in die kognitiven Fähigkeiten kann den Lernenden vor einer Über- bzw. Unterforderung bewahren. Da gibt es zweierlei Beurteilungsmöglichkeiten: einmal die Sichtweise von außen, vom Lehrer, von den Eltern und zum andern von einem selbst. Um die eigenen Ressourcen ausschöpfen zu können, muss der Lernende in die Lage versetzt werden, sein eigenes Lernniveau genau einzuschätzen. Die Reflexion des eigenen Lernens und Denkens – auch Metakognition genannt – ergibt in der Regel eine relativ realistische Einschätzung, jedenfalls eine genauere, als dies Eltern, Lehrer oder andere Außenstehende leisten können. Nach John Hattie (2015) hat die Lernvariable: „Selbsteinschätzung des eigenen Lernniveaus“ den höchsten gemessenen Einfluss auf den schulischen Lernerfolg.

Wie kann aber das eigene Denken – die Metakognition – am wirkungsvollsten zur Entfaltung gebracht werden?

Besonders bevorzugte Methoden sind die der Lernstrategien; so dienen sie zur Erreichung von Lernzielen (Mandl 1993) und verhelfen dem Lernenden zum meist selbständigem Wissens- und Informationserwerb.

Von J. Baumert (1993) werden die kognitiven, die metakognitiven und die ressourcenbezogenen Lernstrategien näher beschrieben.

Die kognitiven Lernstrategien dienen der allgemeinen Anwendung unmittelbarer Informationsaufnahme und -wege als Handlungssequenzen, als konkrete Arbeitstechniken, als Planung von Lernhandeln, als Basis konkreter Beispiele und Analogien aus bereits Erlerntem.

Die metakognitiven Lernstrategien beziehen sich weniger auf den eigentlichen Lernvorgang, sondern mehr auf die Reflexion und Kontrolle des individuellen Lernfortschrittes und des selbstregulierenden Lernens. Das bedeutet: Wie plane und überprüfe ich selbständig die Lernschritte meiner zu bewältigenden Aufgabe? Wie unterscheide ich Wichtiges von Unwichtigem? Welches Ziel und welche Arbeitsschritte setze ich für mich persönlich fest? Erkenne ich Fehler und wie gehe ich mit ihnen um?

Zu den ressourcenbezogenen Lernstrategien gehören:

die Gestaltung meines persönlichen Zeitmanagements,

das Erfassen meiner individuell besten Lernzeit am Tag, meiner höchsten Konzentrationsfähigkeit, die Länge und Gestaltung meiner Pausenzeiten,

die Vorbereitung eines ansprechenden, aufgeräumten und ruhigen Arbeitsplatzes,

die Bereitstellung von Hilfsmitteln, Medien,

die Organisation der Arbeit in Lerngemeinschaften, in Lerngruppen, in Peer-Groups,

die richtige Einschätzung der Anstrengungsbereitschaft, meines Interesses für ein bestimmtes Arbeitsgebiet / Projekt, meine Motivation, meine Willenskraft und Selbstkontrolle.

Willenskraft und Selbstkontrolle haben einen speziellen Einfluss auf das selbständige Lernen. Die psychologische Erforschung der Selbstkontrolle ist den berühmt gewordenen Arbeiten von Walter Mischel (W. Mischel, 2015, Stanford University) zu verdanken.

Bei seinem „Marshmallow-Experiment“ stellte er Kinder vor die Wahl, entweder sofort ein Marshmallow zu bekommen oder später zwei, vorausgesetzt die Kinder warten solange, bis der Versuchsleiter wieder in den Raum zurückkommt. Nach Jahren stellte sich heraus, dass diejenigen ehemaligen Probanden, die selbstdiszipliniert den Belohnungsaufschub durchstanden hatten, ob beruflich oder privat im Leben erfolgreicher waren als diejenigen, die die Süßigkeit sofort hatten haben wollten.

1.2. Durchhaltevermögen und Motivation

Wenn Sie wissen wollen, was der Schlüssel zu jedwedem Erfolg ist, dann schauen Sie sich die Veröffentlichungen der Wissenschaftlerin Angela Lee Duckworth und die der Motivationsforscherin Carol Dweck an. Nach Duckworth (Duckworth, L. 2016) steht das Durchhaltevermögen im Mittelpunkt ihrer Untersuchungen auf dem Weg zum Schulerfolg und manifestiert sich, wenn man wirklich hart, ausdauernd und intensiv über einen längeren Zeitraum an einem Zukunftsplan arbeitet. Durchhaltevermögen bedeutet für sie, das Leben als Marathon zu sehen und nicht als Sprint.

Carol Dweck (Dweck, C. 2006) von der Stanford University meint, zum Durchhaltevermögen gehört eine prozess- und wachstumsorientierte Haltung. Am Anfang des Kapitels „Lernen“ habe ich u. a. die Entwicklung des Selbstbildes beim Menschen erwähnt. C. Dweck hat in ihren Studien zwei verschiedene Arten des Selbstbildes beschrieben: Es sind Schüler, die ein „statisches Selbstbild“ aufzeigen, ein sogenanntes „Fixed Mindset“; es gibt wiederum andere Lernende mit einem sogenannten „dynamischen Selbstbild“, dem „Growth Mindset“. Menschen mit einem statischen Selbstbild denken, ihre Kompetenzen sind angeboren, unveränderlich, eben statisch. Sie haben Angst davor, bei Fehlern verlacht zu werden und trauen sich deshalb nicht viel zu. Ihr Persönlichkeitsbild ist abhängig von der Meinung anderer und sie stellen sich keinen Herausforderungen, um Rückschläge zu vermeiden.

Lernende mit einem dynamischen Selbstbild vertrauen auf ihre Fähigkeiten, sie riskieren auch mal, einen falschen Weg einzuschlagen; sie lernen aus ihren Fehlern, arbeiten aber trotz mancher Misserfolge weiter. Die Geschichte gibt Carol Dweck Recht, große Erfinder, Dichter, Wissenschaftler haben zäh und unverdrossen an ihren Ideen und Zielen festgehalten und sind meist mit Hilfe ihres Durchhaltevermögens zum Erfolg gelangt. Ich denke an Virchow, Schliemann, Edison, die Gebrüder Wright, Zuse, Curie; die Reihe ließe sich endlos fortführen.