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Ethan Coleridge, siebter Earl of Cheshire, ist nicht glücklich. Die Frau, die er liebt, heiratete einen anderen. Nun ist Lady Boulder Witwe und seine zweite Chance gekommen. Die Lady ist mittellos, ihre Eltern und ihre Schwiegerfamilie haben sie verstoßen und der Nachfolger ihres Mannes bedrängt sie. Anstatt ihr die Ehe anzubieten, überzeugt ihn sein Bruder, sie zu seiner Geliebten zu machen. William hofft, dass Ethan so von der Frau loskommt, die ihm nicht guttut. Allerdings wird Ethan mit jedem Tag klarer, dass er ohne Margarete nicht mehr leben will. Wie aber soll er es der abweisenden Lady sagen?
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Cheshires
Unmoralisches
Angebot
von Katherine Collins
Erstausgabe Februar 2021
© 2021 Katherine Collins
Türkenort 11
45711 Datteln
Made with l♥ve
Alle Rechte vorbehalten Cheshires unmoralisches Angebot
Umschlaggestaltung: Kathrin Fuhrmann
unter Verwendung von Bildmaterial von
© Periode Images, PI Creative Lab © Cover Art Illustration: VJ Dunraven/Mary Chronis
und Shutterstock: NikKuluch (Hintergrund), Jan Engel (Herz)
Lektorat: Jessica Weber
Satz: Katherine Collins
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung wiedergegeben werden. Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Erinnerungen
Edgecomb, Northumberland, 25.09.1820
Ethan Coleridge, siebter Earl of Cheshire, starrte auf seine eigene Handschrift hinab. Das Billett, welches bereits erste Anzeichen seines Alters und auch seiner Nutzung aufwies, steckte für gewöhnlich in seinem Revers und wurde hin und wieder noch herausgezogen und mit Inbrunst gelesen. Meist in Augenblicken tiefer Melancholie, in der er augenblicklich ebenfalls versank. Das Herz schwer vor Gram und in der freien Hand ein fast geleertes Glas guten schottischen Whiskys, gönnte Ethan sich den Luxus, an die Vergangenheit zu denken und sich der müßigen Frage hinzugeben, ob die Übergabe dieses Schreibens etwas geändert hätte.
Dass die Tür aufgerissen wurde und sein viel zu fröhlicher, leichtherziger kleiner Bruder hereinstürmte, störte ihn gewaltig, dennoch steckte er das Billett lediglich schnell zurück an seinen angestammten Platz und setzte sich gefasst gerade hin. »William, nanu.«
»Cheshire! Versinkst du schon wieder in Selbstmitleid?« Williams Strahlen war blendend, ebenso wie sein übersprudelndes Temperament. Er strebte direkt zu den schweren Vorhängen, die den Sonnenschein aussperrten, und riss sie auf.
Ethan hob die Hand, um seine Augen abzuschirmen, während er den Bruder beobachtete, der sich mit dem einen Fenster nicht begnügen wollte. Erst als er auch das letzte Fenster freigelegt und sich ein Glas Bourbon eingegossen hatte, kam er herüber zum Kamin, vor dem Ethan es sich bequem gemacht hatte. William warf sich auf den zweiten Ohrensessel und hing in unziemlicher Manier quer über der Sitzgelegenheit, wobei er Ethan zunächst zuzwinkerte und dann zum Toast das Glas hob.
Ethan seufzte gedehnt.
»Und?«
Erneut stieß Ethan ein Seufzen aus, sah aber ein, dass er seinen viel zu lebenslustigen Bruder nicht dazu brachte, ihn allein zu lassen – ob er nun Rede und Antwort stand oder nicht. »Nein«, beschied er. »Ich versinke nicht in Selbstmitleid, sondern in Erinnerungen.« Er hob die Brauen, sicher, dass seine Aussage zerpflückt werden würde.
William lachte, verschüttete dabei seinen Alkohol auf seine unordentliche Uniform und wischte achtlos über den daraus resultierenden Fleck.
»Angenehme?«
»Aber natürlich.« Er wollte es nicht als Lüge sehen, denn obwohl ihn der Gedanke an die längst vergangene Zeit schmerzte, so erfüllte er ihn doch auch mit bittersüßer Zufriedenheit.
William schnalzte, leerte sein Glas und griff nach der Whiskyflasche, die Ethan auf dem Beistelltisch platziert hatte, um sich den Weg zur Bar zu ersparen. »Lass mich raten: Du denkst an Margarete.«
»Lady Boulder«, korrigierte Ethan leise.
»Dowager Baroness of Boulder«, griff William auf. Der bedeutende Unterton in seiner Stimme ließ Ethan aufschauen. Dass besagte Lady verwitwet war, hatte er selbstredend bereits erfahren, aber letztlich hatte auch nicht ihr Gatte zwischen ihnen gestanden.
William nippte an seinem Glas. »Eine noch junge, hübsche Lady, die ganz allein auf der Welt ist.«
Ethan seufzte, sich bewusst, welches Bild er abgab. Gegenüber seinem Bruder war die Zurschaustellung seiner Schwäche gerade noch akzeptabel, auch wenn er sich außerhalb dieser vier Wände stets zusammenriss.
»Eine Lady mit zwei Kindern und anderen Verpflichtungen.« Er wollte sich gar nicht erst in einer »Was wäre wenn«-Runde mit seinem Bruder verlieren oder auch nur selbiges mit seinen eigenen viel zu sehnsüchtigen Gedanken, denn was auch immer er sich ersann, erbrachte nur weiteres Leid.
»Nicht mehr so vielen, wie ich hörte.«
Ethan horchte auf. Er spürte, wie sich sein Nacken versteifte und sich die Finger fester um das noch halb volle Glas schlossen. Er hatte sein Jackett und das Krawattentuch abgelegt, um es bequemer zu haben, und bereute es nun. Er gab offenbar ein so heruntergekommenes Bild ab, dass ihn sogar die eigenen Familienangehörigen mit Spott bedachten!
William feixte. Sein Blick trug die Aufforderung nachzuhaken, was Ethan sich streng verbat. Was immer im Kopf seines unbedachten Bruders vorging, es war besser, dies zu ignorieren. Leider war dem so gar nicht danach, Dinge ruhen zu lassen.
»Lady Margarete soll sogar sehr ungebunden sein … zukünftig.«
Ein Ruck ging durch Ethan, er beugte sich vor, stemmte die Ellenbogen auf den Knien ab und umfasste das Kristall mit beiden Händen. Faktisch war es für eine Witwe mit Kindern schwierig, tatsächlich ungebunden zu sein, solange sie sich an die Gepflogenheiten ihrer Gesellschaftsschicht hielt. Die besagten, dass sich eine Witwe, gleich welchen Alters, um die Kinder und die anderen weiblichen Familienmitglieder zu kümmern hatte. Da Margarete sowohl besagte Nachkommen hatte, jedoch unglücklicherweise zwei Mädchen, als auch eine Schwiegermutter samt zweier unverheirateter Tanten des verstorbenen Gatten, konnte er sich nicht vorstellen, dass Margarete irgendeine Form von Freiheit auszuleben vermochte.
»William, will ich wissen, was du mir damit sagen willst?«
»Du solltest hin und wieder ausgehen.« Er lehnte sich bequem zurück, um Ethan über den Rand seines Glases zu beobachten. Lange konnte er diese Scharade der Gleichgültigkeit jedoch nicht aufrechterhalten. »Also gut, ich verrate es dir!«
Nichts anderes hatte Ethan erwartet – oder befürchtet? Unruhe wühlte sich durch seine Eingeweide. Es gab einen Grund, warum er sich aus der Gesellschaft zurückgezogen hatte und nur noch für die Tagungen des Oberhauses in die Hauptstadt fuhr.
»William, bitte.«
»Lady Georgette Boulder schickt sie fort!«
Ethans Herz gefror. Von der Familie des verstorbenen Mannes fortgeschickt zu werden, sprach eine deutliche Sprache.
»Es heißt …«
Ethan sog den Atem ein, um den Bruder zu unterbrechen. Er wollte keine Gerüchte hören, wollte nicht, dass seine blütenreine Vorstellung seiner Margarete beschmutzt wurde, und konnte sich doch nicht dazu durchringen, seinem Bruder das Wort zu verbieten. Mit einem ungemütlichen Brennen in der Magengegend wartete er angespannt auf die Eröffnung.
»Sie soll Boulder schöne Augen machen.«
Im ersten Moment war Ethan verwirrt. Sie hatte Boulder schöne Augen gemacht, keine Frage, aber dies lag nun fast acht Jahre zurück. Dann fiel der Groschen. »Dem Erben?«
William ließ seine Brauen wackeln. »Er ist immerhin der Cousin zweiten Grades ihres verstorbenen Gatten.«
In Ethans Ohren rauschte es unheilvoll. Er kannte Henry Mullfort, den derzeitigen Baron Boulder, von den Sitzungen des Oberhauses und hatte daher einen ungefähren Eindruck von dem jüngeren Mann. »Er ist noch ein Kind!«
William brach in wildes Gelächter aus. »So?« Er schüttelte den Kopf mit den schwungvollen Locken und bedachte Ethan dabei mit einem zärtlichen Grinsen. »Dann liege ich wohl noch in den Windeln.«
Ethan sparte sich die Zustimmung. William war mit seinen dreiundzwanzig Jahren geschlagene sechs Jahre jünger als er selbst und wirkte durch seine offene, fröhliche Art häufig tatsächlich wie ein Kind.
»Deine Margarete ist auch erst fünfundzwanzig – damit ist sie ebenso alt wie Boulder.« Er hob die Brauen. Seine blauen Augen glänzten vor Schalk. »Und du …«
Ethan hob die Hände, um den unverbesserlichen Bruder zu unterbrechen. »Verschone mich.«
»… bist auch noch keine dreißig.« Er rutschte auf seinem Ohrensessel nach vorn und kopierte Ethans Haltung. »Und damit im besten Alter …«
»Verschone mich!«, wiederholte Ethan fester. »Mutter wird nicht müde, mich darauf hinzuweisen!« Von den gemeinsamen Schwestern wollte er gar nicht erst anfangen. Der Whisky war zu warm, deshalb schüttete er auch den Rest hinunter, um sich nachzuschenken. Den Blick auf die warmen, braunen Schlieren der Flüssigkeit geheftet, schob er die Vorstellung, eine Frau heimzuführen, weit von sich.
»Also schön«, gab William nach. »Bleiben wir bei Margarete.«
Obwohl er es nicht wollte, war er gleich wieder hellhörig. Er räusperte sich. »Sicher ist an den Gerüchten nichts dran.«
William zuckte die Achseln. »Wer weiß. Henry ist ein Charmeur.«
Ethan blieb der Mund offen stehen. Allein die Vorstellung, Margarete könnte Interesse für einen Mann aufbringen, der nicht ihr Gatte war, ließ ihn erschauern.
»Allerdings dachte ich an die positiven Aspekte der Geschichte.«
Die sich Ethan beileibe nicht erschlossen. Er schüttelte den Kopf, um sich zu fangen.
»Eine Lady in Nöten …«, soufflierte William bedeutungsvoll.
»Sicherlich ist an dem Gerücht nichts dran.«
»Cheshire, sie soll bereits aufs Land geschickt worden sein und ist definitiv seit zwei Wochen nicht mehr in London zu sehen gewesen.«
Aufregung mischte sich in Ethans Traurigkeit, bis er sich der Auswirkung bewusst wurde. »Mein Gott!« Er hob den Blick, um seinem Bruder direkt in die Augen zu sehen. »Wenn man sie verstößt …«
William nickte begeistert. »Herrlich, nicht wahr?«
Es klingelte in Ethans Ohren. »Von wegen! Herrje, William, wie kannst du so herzlos sein? Wenn die Bennetts ihre Tochter nicht wieder aufnehmen, steht sie auf der Straße!«
William nickte. »Man ist sich allgemein einig, dass sich die Bennetts gegen die Mildtätigkeit aussprechen werden, schließlich haben sie noch ein oder zwei Töchter zu verheiraten.«
»Zwei«, murmelte Ethan abgelenkt. Die Aussicht, dass seine Margarete ein solch unwürdiges Schicksal erleiden sollte, war niederschmetternd. In seinen Augen war sie immer schon unfehlbar gewesen. »Elizabeth und Caroline.«
»Richtig. Sie können es sich gar nicht leisten, Margarete aufzunehmen.« William zwinkerte bedeutend.
»Sie hat doch sonst niemanden«, wisperte Ethan für sich. Vor seinem inneren Auge drehte sich die Angebetete in den Armen ihres späteren Gatten in engen Walzerschritten – seine bei Weitem liebste Erinnerung, da ihre Wangen vor Freude gerötet gewesen waren und ihr anzusehen gewesen war, wie sehr sie den Abend genossen hatte.
»Richtig«, sagte William. Sein Grinsen war zu bedeutend, als dass er nicht etwas im Schilde führte. Ethan war sich nur nicht sicher, ob er in dessen Machenschaften verwickelt werden wollte. »Sie ist allein, schutzlos und sicherlich dankbar für jegliche Unterstützung.«
Ethan schluckte. Es klang unheilvoll.
»Daher dachte ich …«
Schnell hob er die Hände und spreizte so viele Finger ab, dass ihm das Glas aus dem Griff zu rutschen drohte. »Warte. Ich befürchte das Schlimmste.«
William lachte. »Cheshire, ich denke dabei nur an dich.«
Das wagte er doch zu bezweifeln.
»Ich mache mir nichts aus deiner Margarete. Ihr Schicksal ist mir völlig gleich.«
Ethan schluckte. »Sprich es aus.«
»Mach ihr ein Angebot.«
Er brauchte einen Moment, um das Gehörte zu verarbeiten. »Noch einmal? Bist du von Sinnen?« Ethan lehnte sich zurück und lenkte seinen Blick wieder in die schillernde Flüssigkeit. »Sie hat sich entschieden. Die Zeit wird nicht für mich gesprochen haben und …« Eine zweite Niederlage verkraftete er nicht.
»Sei kein Idiot.« William maß ihn mit spöttischer Miene. »Selbstverständlich steht es außer Frage, sich ihr zu erklären!«
Ethan blinzelte. Da blieb nur eine Art von Angebot, die er ihr unterbreiten könnte. »Sie ist eine anständige Lady und keine …« Er wischte die Bezeichnung für Liebesdienerinnen unausgesprochen beiseite. »Es wäre höchst unmoralisch.«
»Oh ja.« Sie sahen sich in die Augen.
»Lady Boulder wird einsehen, dass sie Margarete falsch einschätzt, und sie sicherlich wieder in den Schoß der Familie aufnehmen.« Es kam mit einem verräterischen Krächzen hervor. Die Aussicht, Margarete doch noch nahe zu sein, ließ seine Finger beben. Er hatte es sich in so vielen Nächten detailreich ausgemalt, wie es wäre, sie bei sich zu haben, ihre samtig weiche Haut zu berühren und jene Gefühle in ihren Augen zu lesen, die auch ihn umtrieben, sodass sie ungebeten auftauchten und drohten, ihm die Fassung zu rauben.
»Du hast recht, Cheshire, sicher wird man Margarete begnadigen, sobald Boulder seine Braut gewählt hat.« Auch dahinter schien mehr zu stecken, als der Bruder aussprach.
»Dann hat Boulder bereits eine Lady im Auge?«
Sein Grinsen wurde breiter. »Lady Catriona McDermitt.«
Ethan staunte nicht schlecht, schließlich war es für einen Baron aus der Provinz ein hübsches Unterfangen, die Tochter eines Herzogs einzufangen.
»Du siehst, woher der Wind weht?«
William war deutlich umsichtiger, als er es ihm zugetraut hatte. Ethan nickte bedächtig. »Margarete ist zu jung und zu hübsch. Boulder könnte durch sie zu sehr von der Herzogstochter abgelenkt werden oder auch nur den Anschein erwecken, ein zu großes Interesse an Margarete zu haben, sodass Lady Catrionas Mutter, die Duchess of Skye, eine solche Verbindung gleich untersagt. Immerhin ist er nicht gerade eine glänzende Partie.«
Der Bruder verdrehte die Augen. »Letztlich spielt dir alles in die Hände. Also, ich erwarte, dass du mich morgen zurück nach London begleitest und die Sache selbst in die Hand nimmst.« Er leerte sein Glas, stellte es ab und erhob sich geschwind. »Keine Widerrede, Cheshire. Du unterbreitest deiner unwiderstehlichen Lady ein höchst unmoralisches Angebot und kommst endlich aus deiner verqueren Melancholie heraus!«
Kapitel 1
Eine verfluchte Heimkehr
St. Ives, Land’s End, 18.09.1820
Lady Margarete Mullfort stieg aus der Kutsche. Obwohl ihr letzter Besuch in Epton Cottage einige Jahre zurücklag, hatte sich nichts geändert. Das zweistöckige Haus duckte sich an den Felsen, der es vor den Witterungen der Landzunge Land’s Ends nahe dem Küstenstädtchens St. Ives schützen sollte. Die kleinen Fenster waren mit Spitzengardinen vor Einblicken geschützt und die enge Tür stand offen, um zusätzliches Licht in die Stube zu lassen. Es war das Heim eines einfachen Geistlichen und unterschied sich beachtlich von dem, was sie in den letzten acht Jahren ihr Zuhause genannt hatte. Niemand eilte zu ihrer Begrüßung.
Margarete trat in den dunklen Flur. Zur Linken befand sich die Küche, zur Rechten der Wohnraum. Kein Salon, lediglich ein Zimmer mit längst ausgedienten Sitzgelegenheiten und einem großen Kamin. Der Vater schnarchte in dem einzigen Ohrensessel, wobei die Hand auf dem Buch – sicherlich der Bibel – in seinem Schoß lag und die Pfeife in seinem Mundwinkel hing.
Sie sog den Duft ein. Der Muff der Vergangenheit mischte sich mit dem Rauch des Kamins. Zwar war es Sommer, aber durch den ständigen Wind, der von der Küste aus über das Land strich, war es ganzjährig zugig und es empfahl sich stets, ein kleines Feuer im Gang zu halten.
»Reverend?« Sie hob die Stimme gerade so weit an, wie es nötig war. Der Vater hatte keinen tiefen Schlaf und schreckte für gewöhnlich bereits auf, wenn die Hauskatze mauzte. Wie erwartet riss der alte Mann die Lider auf. Ein Ruck ging durch ihn, wobei er die Bibel von sich schleuderte, die bis an den Rand des Feuers flog und eilig gerettet werden musste.
Margarete lachte auf. Sie lief durch den Raum, zog die alte Familienbibel aus dem Gefahrenbereich und fiel neben ihrem Vater auf die Knie, um nach seinen zittrigen Händen zu greifen.
»So achten Sie das Wort Gottes, Vater?«
Seine ehedem strahlend blauen Augen richteten sich auf sie, die buschigen Brauen zogen sich zusammen und sein Mund formte tonlose Worte. Margarete lächelte in der Erwartung, eine freundliche Begrüßung zu hören.
»Mrs Bennett? Ist es schon so weit?«
In ihrer Irritation runzelte sie die Stirn. »Vater?«
Reverend Bennett fasste sich an den Kopf und strich sich das abstehende Haar glatt. »Einen Kamm, Mrs Bennett, und meinen Talar.«
»Vater?« Verwirrt sah sie sich um. »Was hast du denn?«
Er erhob sich zittrig, fuhr sich durch das schüttere Haar, wodurch seine vorigen Bemühungen zunichtegemacht wurden, und drehte sich dann um die eigene Achse. »Wo ist denn Mr Calvin? Er muss doch die Orgel spielen, und wir haben die Auswahl der Stücke noch nicht getroffen.«
Margarete sperrte den Mund auf. Besagter Gehilfe war bereits seit mehreren Jahren tot. Sie streckte die Hand nach ihrem Vater aus, um ihn zu berühren. »Reverend …«
»Der alte Kauz wird zunehmend unzuverlässig.« Er hastete durch den Raum und verschwand im Flur. Margarete schaute ihm verdattert nach. Sie hockte noch immer vor dem knisternden Kamin, hatte die Hand erhoben und ausgestreckt, als wären nicht bereits unzählige Sekunden verronnen. Langsam ließ sie die Finger sinken und erhob sich, schließlich gab es keinen Grund, vor einem leeren Sessel zu hocken, und ihr Korsett schnürte ihr in der gebeugten Haltung zusätzlich den Atem ab.
Aus den Tiefen des Hauses erklang eine weitere Stimme, die sie als die der Mutter erkannte. Margarete strich sich über den Rock und fasste sich. Sicherlich war die Szene, die sie soeben beobachtet hatte, leicht zu erklären. Ihre Schuhe klackerten auf dem baren Holzboden, als sie den Flur betrat. Elizabeth, die zweitjüngste Tochter des Hauses, eilte auf Margarete zu und blieb stehen, als sie sie erkannte.
»Maggie?«
»Lizzy.« Sie bemühte sich, zu lächeln. »Was ist denn hier los?«
Die Schwester setzte sich wieder in Bewegung und drängte sich an ihr vorbei, um in die Küche zu gelangen. »Vater ist außer sich.«
Margarete folgte ihr. »Er sprach von Mr Calvin und …« Sie schüttelte den Kopf.
Elizabeth füllte Wasser aus dem irdenen Trog in den Kessel, um ihn auf dem Herdfeuer zu erwärmen. Aus alter Gewohnheit holte Margarete den Tee aus dem Regal und spülte auch den Becher aus, damit die Schwester ihrem Vater den Aufguss bereiten konnte.
»Hast du ihn aufgeregt?« Der Blick der achtzehnjährigen Miss Bennett war voller Tadel. »Was tust du hier eigentlich? Solltest du nicht dein sorgenfreies Leben in London genießen?«
Margarete stellte die Zuckerdose ab. »Wie sprichst du denn mit mir?«
Elizabeth zuckte die Achseln. Mit beladenem Tablett stapfte sie los.
»Lizzy!« Sie folgte ihr durch den engen, dunklen Gang hinauf in den ersten Stock, wo ihre Mutter mit ruhiger Stimme auf den Reverend einredete, der sich die Haare raufte.
»Die Messe findet statt, Mrs Bennett, herrje, wo kommen wir denn hin, wenn …«
»Es ist doch Montag, Reverend.« Sie folgte ihm, legte die Hände begütigend auf seiner Brust ab und verkniff die Lippen, als der alte Mann sich lediglich befreite und nach seinem Talar verlangte. »Um die Messe vorzubereiten, brauchst du doch deinen Talar nicht, Mr Bennett!«
»Der Tee.« Elizabeth huschte in das Schlafzimmer der Eltern, stellte das Tablett auf dem Bett ab und machte direkt wieder kehrt. »Und Lady Boulder.« Der Ton war bereits beredet, aber als die jüngere Schwester an ihr vorbeitrat, stieß sie auch noch gegen Margarete.
»Lady Boulder?« Mrs Bennett wandte sich um. Ihr Blick legte sich verständnislos auf sie.
»Wo habe ich denn nur meine Predigt gelassen? Gerade lag sie doch noch hier!«
Mrs Bennett presste die Lippen aufeinander. »Elizabeth, kümmere dich um den Reverend! Lady Boulder, bitte.« Sie deutete in den Flur.
»Mutter, was ist denn mit Vater los?«
Elizabeth drängte sich erneut an Margarete vorbei, nicht weniger ungehalten als Augenblicke zuvor. »Er reagiert nicht auf mich«, beschwerte sie sich. »Bitte, Mutter, Maggie hatte es bisher nicht eilig, mit uns zu sprechen, warum …«
»Du wirst tun, was ich dir sage, Elizabeth Bennett!«
Es stoppte die Beschwerde der Schwester, die lediglich weiter murrte und an die Seite des Vaters trat. »Reverend, es ist Teezeit. Setzen wir uns doch und …«
Mrs Bennett schob die älteste Tochter derweil durch den Gang und die Stufen hinunter. »Was verschafft uns die Ehre deines Besuchs, Margarete? Sicherlich nicht Elizabeths anstehender Geburtstag.«
Margarete sah über die Schulter zurück. »Tatsächlich möchte ich einige Tage bei euch bleiben und freue mich darauf, Lizzys neunzehnten Geburtstag …«
»Das ist ausgeschlossen.«
Margarete stockte auf der letzten Stufe. Sie drehte sich um und sah ihrer Mutter in das starre Gesicht. »Wie bitte?«
»Glaubst du, weil wir hier am Ende der Welt leben, bekommen wir nicht mit, was du in London treibst?« Sie hatte die Hände in der Hüfte abgestemmt und starrte sie mit verkniffener Miene an. Margarete rutschte das Herz bis hinunter in die Kniekehlen.
»Ich verstehe nicht …«
Mrs Bennett schnaubte. »Du hattest diese eine Aufgabe, Margarete, du solltest dich gut verheiraten und deinen Schwestern den Eintritt in die feine Gesellschaft ebnen.«
Eine Aufgabe, der sie nachgekommen war, trotzdem sparte sie sich die Verteidigung.
»Boulder war die perfekte Wahl, du kamst weg von dieser verfluchten Steilküste, du hast Schwägerinnen, die ebenfalls debütieren sollten, ein großes Stadthaus, um alle zu beherbergen …«
Margarete atmete tief durch. Sie brauchte keine Belehrung, schließlich hatte man ihr bereits seit ihrer Kindheit damit in den Ohren gelegen, welche wichtige Aufgabe sie für die Geschwister erfüllen musste.
»Stattdessen versagst du bei allem.«
Sie schluckte. Diese Anklage hörte sie nicht zum ersten Mal. Sie hatte häufig versagt, nicht nur als Tochter und Schwester. Als Ehefrau hatte sie die Bedürfnisse des Gatten nicht erfüllen können, und dem Anliegen der Familie, einen Erben zu gebären, war sie ebenfalls nicht nachgekommen. Als Schwiegertochter war sie zu aufsässig und als Mutter zu besorgt, schließlich wagte sie es, ständig um einen Besuch bei ihnen zu bitten, um für sie da sein zu können, ohne je die Erlaubnis zu erhalten, wenn sie nicht gerade ein Kind erwartete. Ganz gleich, wie man es bedachte, sie war eine Enttäuschung auf ganzer Linie.
Margarete nickte, schließlich ließen sich Tatsachen nicht leugnen.
»Du bist nutzlos. Schlimmer noch.« Sie sog den Atem ein. »Wir können dich hier nicht brauchen.«
»Ich weiß nicht«, gestand sie, »wo ich hingehen soll.«
Die Mutter lachte trocken auf. »Als wüsste ich nicht, warum du wirklich hier bist!«
»Lady Boulder schickte mich …«
»Fort aus London, weil du dem jetzigen Lord Boulder schamlos schöne Augen machst? Ja, das kam uns zu Ohren.« Mrs Bennett stieß sie an, sodass sie den Abstieg fortführte.
»Das entspricht nicht den Tatsachen.« Sie rang die Hände, während sie nach den richtigen Worten suchte. »Lady Boulder weiß, dass die Befürchtungen nicht zutreffen. Sie ist lediglich besorgt um den guten Ruf …«
»Und unser Ruf?« Der Grimm in der Stimme der Mutter deckte sich mit jenem in ihren Zügen. »Denkst du für einen Moment auch an deine Schwestern? Lizzy und Caro brauchen einen Gemahl, aber uns fehlen die Mittel. Der Reverend …« Sie brach ab und senkte den harten Blick. Für einen Moment huschte Schmerz über ihre Miene. »Wir können dich nicht beherbergen, bitte geh.«
Margarete ließ sich vor die Tür schieben, die dann mit einem Klappern zuschlug. Sie starrte eine kleine Ewigkeit lang auf den Türklopfer, lauschte dem Rauschen des nahen Meeres und den mannigfaltigen Geräuschen der Heimat.
Ihr Gepäck stand vor der Tür im Dreck und von der Kutsche war weit und breit nichts mehr zu sehen. Margarete seufzte und nahm die Taschen auf. Es war ein ganz schönes Stück Weg bis ins Dorf, wo es zumindest ein gutes Gasthaus gab, und ihr blieb nichts anderes übrig, als es zu Fuß zurückzulegen.
*
Fox and Pheasant, St. Ives, 28.09.1820
Ethan sah sich um und verfluchte William. Er hatte ihn aus dem Haus gelockt, aber anstatt nach London waren sie ans Ende der Welt gereist.
»Cheshire, kommst du?« Sein Bruder stand bei der Tür zum Gasthaus und gab ihm ein Zeichen, endlich zu ihm aufzuschließen. »Es ist spät.«
Tatsächlich drohte die Sonne am Horizont zu versinken. »Wo sind wir?«
»Im wunderschönen St. Ives.«
Ethan rann ein kalter Schauer über den Leib. Margarete stammte aus St. Ives. Er starrte seinen grinsenden Bruder an.
»Morgen schauen wir uns die Kapelle an und …«
Er schüttelte den Kopf, was William nur dazu anregte, erneut wie wild zu lachen. Es dauerte, bis er sich wieder beruhigt hatte.
»Was führst du im Schilde?«, fragte Ethan, nachdem er sich dazu durchgerungen hatte, die Kutsche stehen zu lassen und sich zu seinem belustigten Bruder zu gesellen. Sie traten in die Gaststube, wodurch er auf die Antwort noch länger warten musste. Es war laut und warm im Inneren, auch wenn sich die Gästezahl in Grenzen hielt. Erst als sie sich in dem abgetrennten Salon vor dem Kamin niederließen, in dem aufgrund der sommerlichen Temperaturen kein Feuer brannte, kamen sie wieder auf den Grund ihrer Reise zu sprechen.
»Nun wirst du mich einweihen?« Ethan streckte die langen Beine aus und schlug die Füße übereinander.
»Da Lady Boulder nicht in London ist, dachte ich, es sei müßig, dort vorbeizuschauen.« William fläzte sich in seinen Sessel. Er trug private Kleidung und nicht seine Uniform, wodurch er zumindest nicht ganz so verboten ungepflegt wirkte wie am Vortag in Ethans Arbeitszimmer. Leider zeigte William stets über seine Haltung und sein Auftreten, wie er zu einer Sache stand. Bei Familienfesten war er als Kind zumeist auf das Kinderzimmer zurückgeschickt worden, selbst, als er vom Alter her daran hätte teilnehmen dürfen. Auch während seiner Schulzeit hatten Ethan so häufig Beschwerden über Williams unangemessenen Gebrauch seiner Schuluniform nebst deren Zustand erreicht, dass er bereits Entschuldigungsschreiben vorsorglich aufgesetzt hatte, damit seine Mutter immer eins zur Hand hatte und Ethan nicht beständig damit konfrontiert werden musste, wie unbezähmbar William war.
»Das hast du vorher gewusst.«
»Ich hielt es für besser, dich im Ungewissen zu lassen.« William zuckte die Achseln. »Nun, es ist Zeit für das Dinner.« Er gähnte demonstrativ hinter vorgehaltener Hand, das Feixen ließ sich dadurch aber nicht verdecken. »Mensch, bin ich müde!«
Ethan klappte beinahe der Mund auf, als William sich erhob und streckte.
»Ich lasse dich dann mal allein, alter Junge.« Sein Zwinkern weckte gelinde Panik. Ethan erhob sich ebenfalls, nicht sicher, ob er den Bruder nicht zurückhalten sollte. »Wir sehen uns am Morgen.«
»Möchtest du nicht zu Abend essen?«, rief er seinem Bruder nach, als der im Begriff stand, den Raum zu verlassen.
»Keinen Appetit, lass dir Zeit!«, schlug er aus und verschwand.
Ethan sah ihm trotzdem noch nach. Die ganze Reise war völlig unsinnig. Schon in der letzten Nacht war er zu dem Entschluss gekommen, allerdings war es ihm nicht möglich gewesen, Williams Enthusiasmus zu dämpfen.
Langsam nahm er wieder Platz und starrte in den grauen Kamin. Das hatte er nun davon, dass er sich bei seinem kleinen Bruder nicht durchsetzte, er saß Meilen von daheim in einem leeren Salon. Er sog den Atem ein, legte den Kopf an die Lehne und schloss die schweren Lider.
Acht Jahre. Ethan versank in der Erinnerung. Es war das Jahr nach dem Tod des Vaters gewesen, sein erster offizieller Auftritt als Earl of Cheshire. Er war nervös gewesen, etwas neben der Spur, weil ihm die Mahnungen der Mutter und der beständige Ärger, den sich William im Internat einhandelte, an die Substanz gingen. Margarete war als Begleitung der Gattin ihres Cousins zweiten Grades vorgestellt worden und hatte ihn gleich in ihren Bann gezogen. Ihr Lächeln, ihre sanfte Stimme … Sie war ihm vom ersten Abend an nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
»Oh!«
Ethan schreckte auf.
»Verzeihen Sie, ich wusste nicht …«
Ein Schauer rollte über seinen Leib, meinte er doch, die Stimme zu erkennen. Er sprang auf, schwankte und stützte sich dann wenig elegant an seinem Sessel ab. Er blinzelte, da er seinen Augen nicht trauen wollte.
»Mylady.« Seine Stimme war ebenso uneben wie der Boden unter seinen Füßen. »Guten Abend.« Ethan machte eilig einen Diener.
Lady Boulder hob die Brauen. Ihre blauen Augen glitten über ihn hinweg, was ihn den Atem anhalten ließ. Hatte er einen ähnlich bleibenden Eindruck hinterlassen, oder blieb er ein Fremder für sie?
»Verzeihung.« Sie schloss die Hände vor dem Bauch.
Ethan verbeugte sich erneut. »Cheshire, zu Ihren Diensten.«
Margaretes Lippen formten ein O, bevor sie knickste. »Wie unangenehm.« Sie sah zur Tür zurück. »Nun, verzeihen Sie, dass ich Ihre Privatsphäre missachtete.« Sie machte kehrt.
»Lady Boulder.« Er folgte ihr, blieb dann aber wieder stehen. Er wollte sie keinesfalls bedrängen, lediglich halten. »Ihre Gesellschaft wäre mir willkommen.«
Sie stockte, warf einen Blick zurück und runzelte die Stirn. »Das wäre nicht probat, Mylord. Wir sind einander nicht vorgestellt worden, und selbst dann wäre es nicht sonderlich schicklich, in Ihrer Gesellschaft zu bleiben.«
Ethan räusperte sich. »Tatsächlich sind wir uns vor Jahren bereits begegnet.«
Ihre Augen wurden groß und das Oh war zurück auf ihren schimmernden Lippen. »Verzeihung«, wisperte sie. Ihr Blick flog erneut über ihn. »Ich fürchte, ich kann Sie nicht zuordnen.«
So niederschmetternd es war, er konnte es ihr nicht übelnehmen. »Es war während Ihrer Saison, Mylady. Ich werde mich verändert haben.« Er räusperte sich. »Bitte leisten Sie mir doch beim Dinner Gesellschaft.« Er deutete zum rustikalen Tisch.
»Das …«
»Bitte.«
Sie atmete tief ein. »Also gut.« Margarete trat an den Tisch, und Ethan beeilte sich, ihr beim Platznehmen zu helfen und ihr den Stuhl heranzuschieben.
»Danke.«
Ethan suchte nach Worten, aber ihm mochte einfach kein Gesprächsthema einfallen.
»Nun, Lord Cheshire, was bringt Sie an unsere Gestade?« Margarete schaute zu ihm, ein leichtes Lächeln zierte ihre Lippen, auch wenn es starr wirkte.
»Mein Bruder.« Ethan biss sich auf die Zunge. Offenheit war hier fehl am Platz.
»Ah.« Sie sah ihn mit dieser Aufforderung in den herrlichen Augen an, die ihn dazu bringen sollte, weiterzusprechen, nur wusste er nicht, was er ihr als Erklärung sagen sollte. »Ihr Bruder hat … hier …«
»Er ist hier stationiert.« Ethan klappte den Mund zu.
»Ihr Bruder ist Soldat?«
»Er ist Dragoner.« Ethan rieb die Hände aneinander. »Es überrascht mich immer wieder, dass sie ihn noch nicht rausgeworfen haben.«
Margarete runzelte die Stirn.
»William ist …« Wieder fehlten ihm die passenden Worte, und der Druck wuchs, irgendetwas von sich zu geben. »Unbezähmbar.«
»Dann ist die Soldatenlaufbahn keine sonderlich gute Wahl.« Margarete legte den Kopf schräg. »Mein Onkel war jahrelang in Übersee stationiert und predigt immer noch gern über die Notwendigkeit des unabdingbaren Gehorsams.« Das Runzeln blieb auf ihrer Stirn. »Coventry, mein Cousin zweiten Grades …« Sie unterbrach sich mit einem schnellen Blick zu ihm. »Bitte verzeihen Sie, ich rede zu viel.«
Ethan, der an ihren Lippen gehangen hatte, drückte die Fingerspitzen in die Tischplatte. »Oh, bitte, erzählen Sie ruhig. Es tut gut, hin und wieder jemanden sprechen zu hören.«
Ihre Brauen hoben sich. »Sind Sie sich sicher? Mein Gatte war meines Geschwätzes stets überdrüssig.«
Er zuckte die Achseln. »Ich bin nicht Lord Boulder.« Und zumindest in diesem Moment war er verdammt froh darüber. »Und seit meine Schwestern ausgezogen sind, ist es zu Hause ungewohnt still.« Lediglich die Mutter war ihm zur Gesellschaft geblieben, und die machte sich einen Spaß daraus, all ihre Sprösslinge reihum zu besuchen.
»Was einem Gentleman doch gefallen dürfte.«
»Bisweilen«, gab er zu. »Aber mir fehlt die Leichtigkeit von früher, als jeder Winkel von Edgecomb mit Gelächter und Musik gefüllt war.« Nun hallte lediglich Einsamkeit durch die Hallen seines Landsitzes.
»Gelächter und Musik«, wiederholte sie mit einem Echo in der Stimme. »Das muss lange zurückliegen.« Sie seufzte schwer, wobei ein melancholisches Lächeln ihre Lippen zierte.
»Zu lange«, gestand Ethan ein. »Und ich vermisse es doch so.«
»Das kann ich nachempfinden. Früher waren meine Schwestern und ich unzertrennlich, aber die Zeit ändert Dinge offenbar.«
Die Stille, die sich nun auf sie legte, war durchdrungen von Verlust. Erst die Wirtsfrau unterbrach ihre nachhängenden, dräuenden Gedanken. Sie stellte eine dampfende Terrine auf den Tisch und rauschte dann wieder hinaus. Erst als auch Brot, Schüsseln und Braten bereitgestellt worden waren, wischte sie sich die Hände an dem Küchentuch an ihrem Gürtel ab.
»Wenn Sie noch Wünsche haben, Mylord, Mylady.« Sie knickste fahrig und verschwand.
»Darf ich?« Ethan schöpfte Suppe aus der Terrine und legte ihr auch Brot und Fleisch bereit.
»Danke, das ist sehr zuvorkommend.« Sie wartete, bis er sich ebenfalls bedient hatte, bevor sie den Löffel aufnahm. »Guten Appetit.«
»Ihnen ebenfalls einen guten Appetit, Lady Boulder.« Ethan nickte ihr zu, sicher, in ihrer Gegenwart keinen Bissen herunterzubekommen.
»Ihr Bruder ist in der Nähe stationiert?«, griff Margarete nach einer Weile auf.
Er erstarrte, denn Williams Kaserne lag unweit von London. »Oh ja.« Er nickte schnell und hielt es für angeraten, das Thema zu wechseln. »Und was führt Sie her?«
Margarete stockte wie er zuvor. »Ich …« Sie befeuchtete sich die Unterlippe, was seinen Blick bannte. »… besuche meine Familie.« Ihr Lächeln schwankte und sie senkte den Blick auf ihre Schüssel.
»Und übernachten in einem Gasthaus?« Die Frage war raus, bevor er sich zurückhalten konnte. Natürlich war ihm bewusst, dass es keine sonderlich einfühlsame Frage war. Margarete senkte die Hand, warf ihm einen vorsichtigen Blick zu und versuchte das Lächeln beizubehalten.
»Ja, die … Wohnverhältnisse meiner Familie sind angespannt.«
»Natürlich. Verzeihen Sie meine unangebrachte Frage.«
Sie nickte, aber der Abend war dahin.
Kapitel 2
Carte blanche
Fox and Pheasant, St. Ives, 29.09.1820
Als es klopfte, reckte Ethan den Hals. Sein Kammerdiener zupfte an seinem Krawattentuch.
»Mylord, halten Sie bitte still.«
Es klopfte erneut, dann verlor die Person vor der Tür die Geduld und stieß sie auf. Dass William hereinkam, wunderte ihn nicht. Mit einem gedehnten Seufzen richtete er seinen Blick in den Spiegel.
»William, guten Morgen.«
»Guten Morgen, Cheshire.« Der Bruder schlenderte herein. »Wie ist es gelaufen?«
»Wie meinen?« Ethan bedeutete seinem Kammerdiener, seine Bemühungen einzustellen. »Lassen Sie uns allein, Becks.«
»Einen Moment noch, Mylord, Ihr Kragen …« Becks fummelte weiter an ihm herum, was Ethan unterband, indem er aufstand.
»Frühstück, William?«
Der Bruder betrachtete den Kammerdiener, der nicht etwa wie aufgefordert das Zimmer verließ, sondern begann, Dinge fortzuräumen.
»William?« Ethan suchte seinen Blick, ohne ihn auffangen zu können.
»Becks, werden Sie das Zimmer heute noch verlassen?«
Der Kammerdiener sah auf. »Wie meinen, Sir?«
»Cheshire bat Sie, zu gehen.« Er deutete zur Tür, wobei seine Miene hart und aus seinen Lippen jener unbeugsame Strich wurde, den Ethan nur zu gut von ihrem Vater in Erinnerung hatte.
»Natürlich, Sir.« Becks verbeugte sich und hastete hinaus. William wartete, bis sich die Tür schloss, dann richtete er seinen wieder belustigten Blick auf seinen älteren Bruder. »Du solltest dir nicht so auf der Nase herumtanzen lassen.« Auch die Mahnung in der Stimme erinnerte an Kindertage.
»Was dir auch zugutekommt, William, vergiss das nicht.« Schließlich war seine Einmischung impertinent.
Der Bruder lachte auf, winkte ab und warf sich dann auf das ungemachte Bett. »Da du nicht in weiblicher Gesellschaft bist, befürchte ich Böses.«
Ethan riss die Augen auf. »Es sollte dich wahrlich nicht verwundern …«
»Dass du den Stier nicht bei den Hörnern packtest?« William seufzte gedehnt. »Hör zu, dies ist nicht die Zeit zu zaudern.«
»Lady Boulder …«
»Steckt in einer Situation, die sie unweigerlich ruinieren wird. Die Frage ist, ob Henry ihr Gönner sein wird oder du.«
Ethan wurde es eisig kalt. »Du weißt nicht, wovon du sprichst.«
»Glaubst du?« Er schüttelte den Kopf. In seinem Blick lag wieder dieser unterschwellige Tadel, der Ethan ins Fleisch drang. »Lass dir gesagt sein, Cheshire, dass die meisten Männer keinen zweiten Gedanken daran verschwenden, was aus ihren Mitmenschen wird. Besonders nicht bei von ihnen abhängigen Personen. Boulder hätte die Verbannung verhindern können.«
Ethan schluckte. Er hatte das Gefühl zu wissen, worauf sein Gegenüber hinauswollte.
»Er könnte ihr Geld schicken.«
Ethan presste die Lippen aufeinander, um nicht herauszuplatzen, dass dies sicher der Fall war. Es war jämmerlich, bedürftigen Familienangehörigen die Tür zu weisen, ganz besonders, wenn es sich dabei um eine Frau handelte.
»Stattdessen verscherbelt Lady Boulder ihren Schmuck.« William hob die Brauen. »Wie lange, glaubst du, wird sie sich über Wasser halten können? Wann wird sie so verzweifelt sein, jede Avance anzunehmen?«
»Sie ist eine Lady, sie wird nicht …« Seine Entrüstung brach sich Bahn.
William lachte ihn aus. »Sei kein Dummkopf.« Er rollte sich aus dem Bett, um Ethan zu stellen und ihm fest in die Augen zu sehen. »Lady Boulder interessiert mich nicht, aber dein Wohl liegt mir am Herzen. Damit du endlich von ihr loskommst, musst du diese Gelegenheit beim Schopf ergreifen.«
Ethan brach den Blickkontakt. »Ich kann das nicht.«
»Deswegen bin ich hier.« Er feixte. »Ich habe ihr ein Billett geschickt, warten wir doch auf ihre Antwort.«
Ethan erstarrte. Seine Gliedmaßen wurden so schwer, dass er Mühe hatte, aufrecht stehen zu bleiben. Sicherlich hatte er ihn falsch verstanden. »Was hast du getan?«, keuchte er.
William zuckte die Achseln, bevor er ihm gegen die Schulter schlug. »Den ersten Schritt gemacht.« Er wandte sich ab, und Ethan folgte ihm gehetzt.
»William! Was hast du geschrieben?«
»Dass du ihre Gesellschaft gern längerfristig genießen würdest.« Sein Grinsen war dummerweise alarmierend.
»In diesen Worten?«, hakte er daher nach. »Du hast ihr keine ungehörigen Avancen geschickt?« Die deutlich zeigten, in welche Richtung ihre Bekanntschaft gehen sollte.
William zwinkerte bloß. »Wir sollten frühstücken, meinst du nicht auch?«
»Verflucht!« Er folgte ihm in den Flur, um ihn erneut aufzuhalten. »Will…«
»Ich verspreche Ihnen, Mrs Cox, ich werde …« Die gehetzten, leisen Worte erregten augenblicklich seine Aufmerksamkeit, schließlich besaß ihre Stimme die Eigenschaft, selbst im Menschengetümmel eines vollen Ballsaales zu ihm zu finden. Er wandte sich um, den Bruder bereits vergessend, und stieß den Atem in einem kleinen Seufzen aus. Sie war unzureichend gekleidet, stand halb verborgen im Rahmen ihrer Zimmertür und raffte ihren Morgenrock mit einer Hand am Hals.
»Es tut mir leid, Lady Boulder, aber das versprechen Sie bereits seit fast zwei Wochen!« Die Gastwirtin stemmte die Arme in der Hüfte ab, ihr rotes Gesicht zeigte deutlich, dass sie die Geduld verlor. »Sie müssen abreisen.«
Margarete erbleichte. »Mrs Cox …«
Ethan wurde angestoßen, bevor die Stimme seines Bruders an sein Ohr drang. »Los, das ist deine Chance!« Der zweite Schubs bewirkte, dass Ethan vorstolperte und die Aufmerksamkeit der Lady einfing. Ihre Augen wurden riesig und sie schob die Tür noch weiter zu.
»Verzeihung«, haspelte er. Er spürte, wie sein Blut siedend heiß in sein Gesicht schoss, was nicht half, die Gedanken beisammenzuhalten. »Ich kam nicht umhin, Ihr Gespräch mit anzuhören.«
»Cheshire übernimmt die Rechnung der Dame«, mischte sich William ein.
Zwar hatte er das auch vorschlagen wollen, aber doch etwas subtiler. Ethan wandte sich halb von den Frauen ab, um seinem Bruder einen verärgerten Blick zu schicken.
»Und bietet ihr selbstredend Geleit an.« Sein breites Feixen war selbst für Ethan zu anstößig, wie musste es auf Margarete wirken? Er schoss auch ihr einen Blick zu.
Ihre Augen waren nicht nur riesig, sondern schimmerten vor Schreck. Ihr Mund stand offen, der Griff an ihrer Kehle hatte sich gelockert, wodurch der Morgenmantel einen Hauch mehr von ihrem Nachthemd freigab.
»Wundervoll!«, beschied Mrs Cox. »Die Lady muss trotzdem heute noch abreisen. Dies ist ein respektabler Gasthof und soll es bleiben!« Sie nickte Cheshire zu, der das gar nicht richtig mitbekam, so vertieft, wie er in Lady Boulders Betrachtung war.
»Wir bekommen noch einen wärmenden Schluck Whisky, bevor wir abreisen«, orderte der Bruder, schlug Ethan auf die Schulter und wandte sich an die Lady. »Und vielleicht ein Frühstück? Wir warten jedenfalls auf Ihr Eintreffen, Lady Boulder.« Damit zog er Ethan mit sich den Flur hinunter. Erst hinter verschlossener Tür des Speisezimmers seufzte William gedehnt. »Das hätten wir!«
»Du hast sie in Verlegenheit gebracht.« Ethan konnte nur ahnen, wie schockiert Margarete sein musste. »Es war absolut nicht nötig …«
»Sie muss verstehen, dass du ihr einziger Ausweg bist.«
Ethan klappte der Mund zu. Sein kleiner Bruder klang verflucht abgebrüht.
»Und das bist du.«
Ethan atmete tief durch. »Ich habe nachgedacht …«
»Und festgestellt, dass du einer Lady keine Liebschaft antragen kannst?« Er klang nicht überrascht, sondern gelangweilt. »Legen wir die Karten doch auf den Tisch.« An diesen setzte er sich und deutete auf den Stuhl neben sich. »Bitte. Wir werden sicherlich eine Weile auf die Lady warten müssen und sicher ebenso lange auf unseren Whiskey. Ich denke, wir sollten klarstellen, wo wir stehen und wo wir hinwollen.«
»Alkohol zum Frühstück!«, brummte Ethan und nahm nur Platz, weil es ihm nicht behagte, auf den Bruder hinabzusehen. »Da fängt es bereits an. Wir haben nicht dieselben Ziele!«
William lachte auf, auch wenn es harsch und abgehackt klang. »Dann sage ich es dir noch einmal: Mein Ziel ist es, dich von deiner albernen Verliebtheit zu befreien, damit du dein Leben endlich wieder genießt! Du stehst in der Verpflichtung, eine Frau heimzuführen, Kinder zu zeugen und das Erbe deines Titels zu verwalten!«
Ethan klingelte es in den Ohren. Seine Kindheit war angefüllt gewesen mit dieser Mahnung und er hatte sie selbstverständlich auch verinnerlicht. Er wusste, dass er heiraten und Kinder zeugen musste, er ließ sich eben nur noch ein wenig Zeit. Als läse William seine Gedanken, wanderten dessen Brauen in die Höhe.
»Und wie viel Zeit willst du dir noch nehmen?«
Ethan schluckte unangenehm berührt.
»Du bist fast dreißig!« William beugte sich vor. »Du brauchst einen Erben.«
»Ich habe einen …«, wollte er sich verteidigen, aber der Bruder kam ihm zuvor.
»Oh nein! Ich werde nicht in zweiter Reihe stehen, um deinen Unsinn zu unterstützen. Du wirst dich zusammennehmen, diese Sache mit Margarete durchexerzieren und anschließend frei und fröhlich dein Leben wieder aufnehmen!«
Ethan kaute auf seiner Zunge herum.
»Also. Wir haben einen guten Ausgangspunkt. Sie hat Schulden, die sie nicht begleichen kann, sie muss ausziehen und kann niemanden um Hilfe bitten.« Williams Augen funkelten vor Begeisterung. »Sie wird mit dir abreisen. Wohin magst du sie bringen? Gemeinhin ist London eine gute Adresse für eine Liaison, aber in deinem Fall würde es nur Fragen aufwerfen.«
Ethan war zu fassungslos, um seine Gedanken zu formulieren.
»Wie wäre es mit der Jagdhütte im Sherwood?«
Sein kleinstes Gut, das abgelegen lag und nur zwei Bedienstete beinhaltete. Es musste niemand sehen, wie tief er sank, wenn er sich einer Lady aufdrängte, die nicht seine Gattin war. Ethan räusperte sich.
»Du machst dir zu viele Gedanken, Cheshire!«, mahnte William. »Lady Boulder hat keine Wahl.«
»Damit bist du versöhnt?«, krächzte Ethan, dem es wesentlich schwerer fiel, das Ungemach der Lady auszunutzen.
»Ja, völlig«, stellte William fest. »Sie hat keine finanziellen Mittel, um sich über Wasser zu halten, kann nicht bei ihrer Familie unterkommen, und Boulder … Er wartet nur darauf, sie in die Finger zu bekommen.«
Ethan legte die Fingerspitzen an die Stirn und rieb fest.
»Er wird keinen zweiten Gedanken an das Wohlergehen der Lady verschwenden, glaube mir.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er seine angeheiratete Cousine …«
William lachte auf. »Du kennst ihn nicht!«
Natürlich war dies die reine Wahrheit.
»Ich aber kenne ihn zur Genüge, und nicht nur ich habe mitbekommen, welche unfeinen Absichten er mit der Lady verbindet.« William wurde ernst. »Wie gesagt, das Wohlergehen der Lady ist mir ebenfalls gleich, aber ich weiß, wie du leiden würdest, müsstest du ihren tiefen Fall verfolgen. Du bist zu feinfühlig, Cheshire.« Er klopfte ihm auf die Hand. »Es ist eine liebenswerte Charaktereigenschaft, aber … hinderlich.«
Ethan räusperte sich. »Als wäre die Situation eine andere, wenn ich derjenige bin, der sie ruiniert! Ich glaube nicht, dass ich in der Lage sein werde, Forderungen zu stellen.« Schon gar keine, die einer Frau wie Margarete zuwider sein mussten.
»Natürlich wäre sie anders«, beharrte sein Bruder am Rande seiner Geduld. »Du würdest penibel darauf achten, dass ihr Ruf unangetastet bleibt. Boulder wird sich mit seiner Eroberung brüsten. Glaube mir, diesem Mann fehlt jedwedes Taktgefühl.«
Ethan haderte mit sich. »Ich kann mir nicht vorstellen …«
William schnalzte ungeduldig. »Dann werde ich nachhelfen.« Seine Augen kühlten aus. »Ich weiß, dass du zu gutherzig bist und ihr vermutlich alles ohne Gegenleistung zur Verfügung stellen würdest.«
Das war tatsächlich eine Alternative, mit der Ethan gut zurechtkäme. Das Jagdhäuschen besuchte er ohnehin nie, und auch seine Mutter hatte dort nie einen Fuß hineingesetzt. Es fiele gar nicht weiter auf, wenn Margarete dort lebte. Er fand Gefallen an der Vorstellung und spürte, wie sich seine Anspannung löste.
»Du hast recht, ich …«
»Wenn du es nicht tust, tue ich es.«
Ethan zuckte zurück. »Wie bitte?«
»Sie wird nicht auf deine Kosten leben, während es für uns den gleichen Gang weitergeht!« Seine Augen funkelten gefährlich. »Ethan, es ist mein verfluchter Ernst, dass diese Frau ihre Rechnung auf dem Rücken begleichen wird.«
»William, du …«
Der Bruder hob die Hände. »Nein! Du hast jetzt die Chance, diese Frau zu besitzen und dich von ihrem Einfluss zu befreien. Du wirst sie nutzen. Wenn du danach beschließt, sie unterstützen zu müssen, fein. Aber du wirst sie ins Bett nehmen.« Er wedelte mit der Hand.
»William, du machst Vater alle Ehre.«
»Ich bin mir sicher, dass er das anders sähe, wäre er noch unter uns.« Letztlich senkte der Jüngere doch den Blick, und die Härte schwand aus seinem Antlitz. »Nun, wir sollten uns auf die Zukunft konzentrieren.« Eine Spur Melancholie zeigte sich im harten Schwung seiner Lippen und hing ihm auch in den Augen nach. »Wir sind uns einig?«
Ethan seufzte schwer. »Ich bin …«
»Im Zugzwang«, unterbrach William ihn fest. »Du möchtest nicht, dass Henry seinen Willen mit ihr bekommt.« Er hob die Brauen, als warte er auf eine Bestätigung.
»Nein«, murrte William daher.
»Und dein Interesse fängt sie immer noch ein, oder?«
Ethan grummelte eine Zustimmung.
»Sie könnte es schlimmer treffen, Cheshire. Letztlich ist sie Witwe und verschenkt sich nichts, wenn sie auf dein generöses Angebot eingeht.« Er zuckte die Achseln und lehnte sich befreit zurück. »Sobald Boulder sein Augenmerk auf eine andere gelenkt hat, kann sie in den Schoß der Familie zurückkehren und ihr sorgenfreies Leben fortführen. Du sorgst indes nur dafür, dass ihr nichts Schlimmes widerfährt und ihr Ruf keinen maßgeblichen Schaden nimmt.« William grinste breit. »Du hast etwas Spaß, reißt dich endlich aus deinen trüben Gedanken los und das Leben geht weiter!«
Es klang so einfach aus dem Mund seines verantwortungslosen, wilden Bruders, dass es eine süße Sehnsucht weckte, die zur Abwechslung nichts mit Margarete zu tun hatte. Wie wäre es wohl, allem entsagen zu können? Seinen Pflichten? Seiner Verantwortung? Wenn er tun könnte, wonach ihm der Sinn stand? Was wäre es?
Die Frage lenkte seine Gedanken dann doch wieder auf die junge Witwe. Er mochte es vor William verleugnen, aber das Begehren, sie zu besitzen, brannte in ihm. Die Aussicht, zu ihr ins Bett zu kriechen und ihre samtig weiche Haut zu spüren, während er … Allein die Vorstellung weckte seine Lust und sorgte für unangenehme Enge in seiner Hose. Einmal bekommen, was er sich ersehnte, war es nicht etwas Ruchlosigkeit wert?
Kapitel 3
Ein unangenehmes Gespräch
Margarete bebten die Knie. Sie musste sich an der Türzarge abstützen, um nicht zusammenzusinken, und schloss nun die bleischweren Lider. Sie hatte es geahnt. Spätestens, als er anbot, ihre Rechnung zu übernehmen, hatte sie befürchtet, dass es keine altruistische Geste war, sondern Kalkül. Nun sah sie sich bestätigt und wusste nicht, wie sie mit dieser unschönen Wandlung der Dinge umgehen sollte. Am vergangenen Abend war Cheshire ihr erfrischend zuvorkommend erschienen. Wie ein Gentleman, aber offenbar war es nur ein Schauspiel gewesen, um sie einzuwickeln. Leider lag seine Begleitung – vermutlich der Bruder, schließlich hatten sie nicht nur die Augen gemein – schmerzlich richtig. Ihr gingen die Optionen aus. Sie musste eine Entscheidung treffen, die ihr alles andere als leichtfiel. Da waren ihre Mädchen, an die sie denken musste, aber natürlich auch ihre beiden noch unverheirateten Schwestern.
Sie fluchte innerlich. Zwar behauptete Mrs Bennett, sie hätte ihre Aufgabe nicht erfüllt, jedoch hatte sie zwei Saisons für die mittleren Schwestern Christobel und Agnes ausgerichtet, bevor es zu dem unsäglichen Unfall ihres verstorbenen Gatten gekommen war und sie keine Möglichkeit mehr gehabt hatte, Elizabeth nach London zu holen. Leider hatte sich Christobel mit einem Soldaten verheiratet, der gleich nach Übersee abkommandiert worden war, und die Schwester befand sich nun in eigener Bedrängnis, sodass Margarete sich ihr nicht aufdrängen wollte. Auch Agnes hatte eine dumme Wahl getroffen – in allerwelts Augen, nicht aber in jenen der Schwester. Sie war die Gattin eines Reverends nahe der schottischen Grenze. Auch ihr Haus, in dem beständiger Mangel herrschte, war daher keine Alternative.
So sehr sie die Schwestern liebte, verspürte sie auch unsäglichen Ärger. Ihr war es nicht vergönnt gewesen, auf ihr Herz zu hören. Sie hatte zum Wohl der Familie heiraten müssen, während Christobel und Agnes alle guten Ratschläge in den Wind geschossen hatten. Die Ältere war sogar ausgebüxt, um sich in Gretna Green zu verheiraten. Natürlich hatte man dies ihr, Margarete, angekreidet. Sie habe ihre Aufsicht schleifen lassen, sei nicht aufmerksam genug gewesen …
Vermutlich war die Anklage nicht gänzlich von der Hand zu weisen, dennoch empfand sie es als zusätzliche Belastung, die sie nicht brauchen konnte. Und nun, da sie selbst Hilfe benötigte, stand sie vor verschlossenen Türen.
Margarete lehnte sich gegen die Wand. Ihre Hände schlossen sich um das feine Wildleder ihrer Handschuhe, die sie zu deren Schutz noch nicht übergestreift hatte. So sehr sie es hasste, sie musste sich mit der hässlichen Realität auseinandersetzen und eine Entscheidung fällen. Oder durfte sie diese vertagen, bis der unleidliche Adlige seine Forderung in Worte kleidete?
Letztlich hatte sie um keine Unterstützung gebeten. Er hatte ihr die Begleichung ihrer Schulden förmlich aufgedrängt. Noch konnte sie ihn mit der Vertröstung, sie entrichte ihm ihre Außenstände, abspeisen. Natürlich konnte es schlimmer kommen.
Ihr Magen knurrte. Zwar hatte sie das Abendmahl zur Gänze ausgeschöpft, dennoch war es seit Wochen die einzige Mahlzeit am Tag und es schien, dass ihr Leib durchaus wusste, dass es noch schlimmer kommen konnte. Sie straffte die Schultern und fasste ihren Entschluss. Ein Frühstück in Gesellschaft dieser Gentlemen würde sie sich gönnen, bevor sie entschied, ob sie dem ungeheuerlichen Begehr des Lords stattgeben sollte. Die Alternativen waren schließlich ähnlich vernichtend. Da wäre Lord Boulder – Henry, wie sie ihn nennen sollte –, der ihr tatsächlich bereits Avancen gemacht hatte. Und die andere wäre der einzige Ausweg, der einer adligen, in Bedrängnis geratenen Frau offen stand, und im Hinblick darauf, dass sie das Leben noch nicht aufgeben wollte, einfach indiskutabel. Ein kalter Schauer erfasste sie und ließ sie beben. Dieser Ausweg weckte eine bittere Erinnerung, die sie nur zu gern wieder verdrängte, wie alles, was Ethan – ihren älteren Bruder – betraf. Er hatte sich umgebracht, daher empfand sie es fast als Frevel, es auch tun zu wollen. Er hatte mit dieser schrecklichen Sünde so viel Leid über sie gebracht, dass es ihr unmöglich erschien, sich das Leben nehmen zu können. Also?
Margarete stieß die Tür auf und trat in den Raum, bevor sie ihre Bedenken noch daran hindern konnten. Der eiskalte Blick des jüngeren Mannes schoss augenblicklich zu ihr.
»Mylords.« Sie nickte, während Cheshire aufsprang und wie ein aufgeschrecktes Huhn auf sie zuhastete.
»Lady Boulder.« Er machte eine Verbeugung, fasste dann nach ihrer Hand, um sie an die Lippen zu heben. »Verzeihen Sie, ich verpasste Ihr Eintreten.«
Was absolut kein Grund war, so aus dem Häuschen zu sein. Er zog sie mit sanftem Nachdruck zum Tisch. Der zweite Herr war aufgestanden und verbeugte sich ebenfalls vor ihr.
»Lady Boulder.«
Sie neigte den Kopf, reichte ihm aber nicht die Hand.
»Oh, Mylady, darf ich Sie mit meinem Bruder bekannt machen? William Coleridge, Unterleutnant des dreizehnten Dragonerregiments seiner Königlichen Hoheit.« Er räusperte sich, wobei er ihr einen unsicheren Blick zuwarf. »Bitte setzen Sie sich doch.« Er beeilte sich, den Stuhl bereitzustellen.
Margarete sank darauf nieder und strich über ihre Röcke. Ihre Reisekleidung wies bereits einige Knicke auf, die sie nicht zu beheben wusste. Immerhin hatte sie die Säume nicht beschmutzt, da sie bei Regen im Haus blieb und das Zimmer nur verließ, um eine Mahlzeit zu bekommen und in St. Ives nach einem Pfandleiher zu suchen, der ihren dürftigen Schmuck ankaufte. Sie hob das Kinn und begegnete Mr Coleridges Blick.
»Ich hoffe, Ihnen kommt mein Angebot entgegen«, haspelte der Lord, der sich setzte und dabei die Beine des Stuhls über den Boden zog. »Ich versichere Ihnen …«
Margarete wandte sich ihm zu, was ihn dazu brachte, mitten im Satz abzubrechen. Sie wartete, aber er schien sich nicht fassen zu können.
»Was Cheshire sagen möchte«, griff der Bruder fest auf, wodurch er sich ihre Aufmerksamkeit zurückholte.
Sie verengte die Augen, da sie selbst eine gewisse Beunruhigung verspürte. Es stand außer Frage, dass der Leutnant der gefährlichere Mann aus diesem Duo war, auch ohne die zuvor gehörten Worte einzubeziehen. Er glich Henry in erschreckender Weise. Beide wussten genau, was sie wollten, und verfolgten ihre Ziele gewissenlos. Margarete warf einen Blick auf den Lord, als Mr Coleridge fortfuhr.
»Es ist ihm eine Freude, Ihnen in Ihrer schweren Zeit beiseitezustehen.«
Cheshire schluckte unter ihrer Musterung, bekräftigte die Worte des anderen Mannes aber sogleich mit einem Nicken. »So ist es.«
»Ferner bietet er Ihnen an, Sie an jeden Ort zu bringen, den Sie ihm nennen.« Mr Coleridge grinste schmuck. »Nicht wahr, Cheshire?«
»So ist es.« Wieder nickte er deutlich zu oft.
Margarete presste die Lippen aufeinander. Dieser Soldat war unglaublich hinterhältig. »Wie überaus freundlich, Lord Cheshire.«
Der Earl räusperte sich und senkte den Blick. Er hatte offenkundig mehr Skrupel, was ihn fast angenehm erscheinen ließ – im Gegensatz zu seinem Bruder.
»William, schau doch, wo die Wirtsfrau mit unserem Morgenmahl bleibt.« Es war eine Bitte, was Margarete erneut irritierte.
Leutnant Coleridge blieb einen Moment länger sitzen. Sein Blick durchbohrte sie. »Gern.« Selbst als er sich erhob, starrte er sie an. Sollte es eine Warnung sein, oder wollte er sie lediglich einschüchtern?
Margarete war sich sicher, dass er sie selbst auf seinem Weg durch den Raum nicht aus den Augen ließ, es zwickte unablässig in ihrem Nacken. Ein deutliches Zeichen, schließlich hatte sie immer schon dieses unsägliche Feingefühl besessen, zu merken, wenn sie bewertet wurde.
»Verzeihen Sie Williams Benehmen.« Cheshire hatte ihm auch nachgesehen und wandte sich nun zu ihr um. »Er ist … forsch.«
Sie hätte ihn anders beschrieben, hütete sich aber davor, den Lord zu korrigieren.
»Aber er hat ein gutes Herz und ist treu wie ein Hund.«
»Als ich jung war, hatten wir einen Hund.« Margarete spielte mit ihren Handschuhen in ihrem Schoß. »Er war wahnsinnig treu und anhänglich.« Sie richtete ihren Blick auf ihre Finger. »Aber er hatte auch diese Marotte, Fremde zu zwicken.«
»Wie war sein Name?«, erkundigte sich Cheshire, was sie aus den Gedanken riss. Sie sah auf in seine blauen Augen.
Margarete stockte. Als ihr auffiel, dass nicht nur ihr Mund offen stand, sondern sie ihn überdies noch anstarrte, wandte sie schnell den Blick ab. »Barry.«
»Barry«, murmelte er.
»Ja.« Sie räusperte sich leise. »Barry.« An welchem Punkt ihrer Geschichte hatte er sie unterbrochen? »Er biss eines Tages den Marquess of Holburn.«
Ein Runzeln huschte über die Stirn des Earls. Er schüttelte den Kopf, bevor sich seine Augen weiteten und seine Lippen ein O formten.
»Er erschoss Barry.« Sie hob die Brauen. »Nachdem er ihn einen tollwütigen Bastard genannt hatte. Und all dies nur, weil unser armer, kleiner, vierbeiniger Freund nicht verstand, dass er niemanden grundlos anspringen und zwicken durfte, so sehr ich auch bemüht war, es ihm abzugewöhnen.«
»Nun, ich hoffe, Lady Boulder, Sie werden meinen Bruder nicht erschießen.« Ein schwaches Grinsen legte sich auf den Mund des Adligen. »Auch wenn ich keine Hoffnung habe, ihm seine Flausen noch austreiben zu können.«
»Ich nicht, nein«, beruhigte sie ihn. Margarete sog den Atem ein. »Aber sicherlich gerät er früher oder später an den Falschen.«
Cheshire starrte sie verblüfft an. »Nun, ich kann nur hoffen …«
»Die Wirtsfrau wird jeden Moment herkommen«, sagte Mr Coleridge.
Sie zuckte zusammen, war sie doch ganz auf das Zwiegespräch fokussiert gewesen. Mr Coleridge ließ sich auf den Stuhl fallen, wobei sich seine schneidenden Augen direkt wieder auf sie legten.
»Entschuldige, Cheshire, ich wollte dich nicht unterbrechen.«
»Ich bin mir sicher, William, Lady Boulder und ich werden dieses Thema bei Gelegenheit aufgreifen können.« Er lockerte sein Krawattentuch um wenige Zoll und zwängte ein versicherndes Lächeln auf seine schmalen Lippen.
Margarete bemerkte seine Anstrengung mühelos, schließlich hatte sie jahrelange Übung darin, die Gemütsverfassung von Männern zu erahnen. Es stellte sich die Frage, warum sich der Earl in Gesellschaft des eigenen Bruders unbehaglich fühlen sollte. Sie entzog sich dem Gespräch, um das Duo zu beobachten.
»Ich hoffe, ihr findet interessantere Themen als meine Wenigkeit.« Sein Blick schoss zu Cheshire, wobei er deutlich weicher wurde. Deutete es auf eine gewisse Zuneigung hin? Ihr Vater sah ihre Mutter mit einem ähnlichen Blick an, wenn er sich unbeobachtet wähnte.
»Als Entrée magst du durchaus herhalten. Als Floskel womöglich, um einander die Belanglosigkeit des ständigen Regens in London zu ersparen.« Auch der Earl grinste mit ungeheurer Wärme. Margarete sah sich an die Vergangenheit erinnert, als sie sich ihren Schwestern noch ähnlich verbunden gefühlt hatte. Von Ethan wollte sie gar nicht erst anfangen, schließlich hatte sie seinen Verlust noch immer nicht verwunden. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals und die Schwere der Zeit legte sich erneut unerbittlich auf ihre Schultern. Wie närrisch sie einst gewesen war, wie überzeugt davon, dass eine goldene Zukunft auf sie warten mochte.
»Ich erspare dir gern Belanglosigkeiten, Cheshire. Darf ich mich erkundigen, als wie nichtig ich mich erweise?«
»Womöglich sollte ich dir Weiteres ersparen, mein Lieber. Belassen wir es dabei, dass Lady Boulder und ich nun ein Gesprächsthema teilen, das einzigartig ist.«
»Einzigartig, in der Tat?« Sein Blick schweifte zu ihr. »Dann sollten wir anstoßen, meinen Sie nicht auch, Lady Boulder? Auf einzigartige Gemeinsamkeiten.«
Sie war gleich auf der Hut. Was hatte er nur an sich, dass er diese Unruhe in ihr weckte, während sein Bruder diese zu zerstreuen wusste?
»Es ist früher Morgen, Mr Coleridge, da halte ich mich an Tee.« Sie hob die Brauen, da sie sich von diesem unverschämten Kerl nicht einschüchtern lassen wollte, der sicherlich noch jünger war als sie selbst.
»Wir werden uns Ihnen anschließen, Lady Boulder«, beschied Cheshire mit einem Schmunzeln. »So die Wirtsfrau …«
Schritte näherten sich. Ein schneller Blick zur Tür ließ ihn abbrechen und sich recken.
»Tee und ein reichhaltiges Frühmahl, gute Frau.« Seine Stimme festigte sich, auch wenn Margarete meinte, Widerstreben herauszuhören.
»Wenn wir heute noch abreisen wollen, sollte es schnell aufgetischt werden.« Mr Coleridge hatte hingegen kein Problem damit, eine Order mit entsprechendem Nachdruck zu geben.
»Wie Sie wünschen, Mylords.« Sie ignorierte Margarete und zog sich eilig zurück.
»Nun, Lady Boulder.« Erneut legte sich der Blick des Soldaten mit unangenehmer Eindringlichkeit auf sie. »Da Sie Ihren Aufenthalt abbrechen müssen, wohin soll es nun gehen?«
Margarete atmete bedacht ein. »Es ist bedauerlich, dass ich mich tatsächlich gezwungen sehe, abzureisen.« Sie spürte die erwartungsvollen Blicke der Männer auf sich und zog den Moment noch etwas in die Länge, schließlich hatte sie keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. »Zumal meine Schwester Elizabeth am Freitag ihren Geburtstag begeht. Zudem hatte ich mich bereits darauf gefreut, die Messe meines Vaters zu besuchen und …«
»Dann werden Sie übersiedeln?«, unterbrach Mr Coleridge. »Sicherlich wird Ihre Familie auch Ihre Außenstände begleichen. Bitte verzeihen Sie unsere Einmischung.« Er stemmte die Ellenbogen auf dem Tisch ab und faltete die Finger. »Wir waren einigermaßen irritiert, dass Sie in einem Gasthaus unterkommen mussten.«
Ganz sicher war er sich bewusst, wie fürchterlich unangenehm er war. Margarete hielt seinen Blick. Er erinnerte sie tatsächlich an Henry, den neuen Lord Boulder, und ebenso an ihren verstorbenen Gatten. Bei beiden war es stets ratsamer, sich bedeckt zu halten, allerdings war sie nicht aus London geflohen, um sich weiterhin kleinhalten zu lassen – ob nun von ihrem angeheirateten Cousin oder der ebenso aufdringlichen Schwiegermutter.
»Es war ein Überraschungsbesuch.« Sie winkte ab. »Unglücklicherweise hinterließ der letzte Sturm einige Schäden am Dach meines Elternhauses und …« Sie zuckte die Achseln und lächelte nichtssagend.
Die Augen des Soldaten hatten sich bei ihrer Erklärung verengt, was Margarete nicht weiter wunderte, schien er über ihre tatsächliche Situation doch unangenehm genau informiert zu sein.
»So?«
»Die Reparatur verschlingt ein Vermögen.« Sie wollte ihn nicht bestätigen, auch wenn er es natürlich bereits deutlich ausgesprochen hatte: Sie hatte kaum eine andere Wahl, außer auf das unmoralische Angebot des Earls einzugehen.
»Je nachdem, was man ein Vermögen nennt«, murmelte Mr Coleridge, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Da sind Gasthausrechnungen sicherlich eine unangenehme Zusatzbelastung.«
Sie hatte nicht vor, es zu kommentieren, und lächelte lediglich. Endlich hatte Cheshire ein Einsehen. »William, du dringst in die Dame.«
Die Lippen des Soldaten hoben sich, sicherlich wusste er genau, dass sie sich lediglich aus der Affäre ziehen wollte.
»Elizabeth, nicht wahr? Wird sie in Bälde debütieren?« Erneut war es der jüngere Mann, der sie unter Beschuss nahm. Margarete war sich sicher, dass er auch über ihre Schwester bestens Bescheid wusste.
»Elizabeth ist eine äußerst pflichtbewusste junge Frau«, behauptete sie daher lediglich. »Sie unterstützt unsere Mutter und ist auch dem Reverend eine Hilfe.«
Mr Coleridge nickte bedächtig. »Sie wird ganz nach Ihnen geraten, nicht wahr?«
Margarete unterdrückte ihr Lachen, schließlich hatte man sie vor unendlichen Jahren ähnlich angepriesen, was dieser Kerl aber nicht wissen konnte. »Sind Sie ganz nach Seiner Lordschaft geraten?«
Mr Coleridges Augen weiteten sich.
»Wir sind Schwestern, viel mehr als unsere Herkunft haben wir nicht gemein.«
Wieder räusperte sich Cheshire. »Sicherlich gibt es weitere Übereinstimmungen zwischen Ihnen und Ihren Geschwistern, Lady Boulder.« Er warf einen Blick zu seinem Bruder. »Wie auch zwischen uns, die auf den ersten Blick vielleicht nicht deutlich zutage treten.«