Eine unmoralische Liebschaft - Katherine Collins - E-Book

Eine unmoralische Liebschaft E-Book

Katherine Collins

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Beschreibung

William Coleridges Pläne für eine sorgenfreie Zukunft fern von England an der Seite seines geliebten Ethan wurden von seiner frischgebackenen Schwägerin Margarete zertrümmert, aber so leicht lässt er sich nicht von seinen Zielen abbringen. Mit Ethans Hilfe will er dessen jüngste Schwester Caroline für seine Zwecke einspannen. Allerdings hat die junge Dame durchaus eigene Wünsche, die William ihr jedoch niemals erfüllen könnte. Caroline ist jung und unbedarft. Als Nesthäkchen und Mauerblümchen hegt sie nicht die Erwartung, einen vermögenden oder gar adligen Gatten zu finden. Als der charismatische Mr Coleridge Interesse an ihr zeigt, ist sie hellauf begeistert, denn er verspricht ihr ein einfaches Leben inklusive Abenteuer in Neuseeland. Wie könnte sie seinem Angebot – und seinen hübschen Augen – widerstehen?

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Der Vorgänger zu „Eine unmoralische Liebschaft“ ist „Cheschires unmoralisches Angebot“ und ist im Januar 2021 erschienen.
Leseprobe

 

Katherine Collins

 

Erstausgabe April 2022

Copyright © 2022 Katherine Collins

Kathrin Fuhrmann

Türkenort 11

45711 Datteln

[email protected]

Made with l♥ve

Alle Rechte vorbehalten.

 

Eine unmoralische Liebschaft

 

Umschlaggestaltung: Kathrin Fuhrmann

unter Verwendung von Bildmaterial von © Jan Engel/ Shutterstock.com (Herz), © stuartjames worcs / Shutterstock.com (Hintergrund) und Images by Period Images and 2017-04-12_13.42.48

Illustrationen: alex74 (Shutterstock)

Lektorat: Jessica Weber

Satz: Katherine Collins

 

Druck: BOOKPRESS

 

 

 

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung wiedergegeben werden. Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

William Coleridges Pläne für eine sorgenfreie Zukunft fern von England an der Seite seines geliebten Ethan wurden von seiner frischgebackenen Schwägerin Margarete zertrümmert, aber so leicht lässt er sich nicht von seinen Zielen abbringen. Mit Ethans Hilfe will er dessen jüngste Schwester Caroline für seine Zwecke einspannen. Allerdings hat die junge Dame durchaus eigene Wünsche, die William ihr jedoch niemals erfüllen könnte.

 

Caroline ist jung und unbedarft. Als Nesthäkchen und Mauerblümchen hegt sie nicht die Erwartung, einen vermögenden oder gar adligen Gatten zu finden. Als der charismatische Mr Coleridge Interesse an ihr zeigt, ist sie hellauf begeistert, denn er verspricht ihr ein einfaches Leben inklusive Abenteuer in Neuseeland. Wie könnte sie seinem Angebot – und seinen hübschen Augen – widerstehen?

Kapitel 1

 

Edgecomb, Northumberland, Freitag, 22.12.1820

»Lächle, Liebster«, raunte Ethan ihm zu. Für einen kurzen Moment spürte William seinen heißen, anregenden Atem auf seinem Gesicht, dann hatte sich sein Schwippschwager auch schon wieder in anständige Entfernung zurückgezogen. Sein Grinsen war warm und drang William bis unter die Haut.

»Was gibt es zu lächeln?«, hielt er grimmig dagegen. Sein Blick richtete sich dabei wieder auf seine verfluchte neue Schwägerin, die sich an der Brust seines Bruders rekelte. Schön, er übertrieb vielleicht ein wenig, aber immer, wenn er an Margarete Mullfort, vormals Bennett und nun Coleridge, Countess of Cheshire, dachte, brannte unbändiger Zorn durch seine Adern. »Sie hat alles ruiniert!« Er spürte, wie sich seine eigenen, eigentlich kurz gehaltenen Nägel in seine Handflächen bohrten.

Ethan schnalzte und verstellte ihm den Blick auf das Paar und ihre umstehenden Familienangehörigen. »Du hättest beinahe alles ruiniert«, korrigierte er ruhig. »Und das, nachdem du steif und fest behauptet hattest, einen narrensicheren Plan zu haben.« Seine hübschen braunen Augen verengten sich. »Und ich bin immer noch ungehalten darüber.«

William presste die Lippen aufeinander. Er wusste, wie fragil ihre Beziehung war, und fürchtete kaum etwas mehr, als von Ethan getrennt zu werden. Ein Schauer lief daher, einer Warnung gleich, über seinen Körper und ließ ihn einlenken, obwohl er den Mann vor sich nur packen und kräftig schütteln wollte. »Ich weiß. Es tut mir leid, ich habe das Ziel aus den Augen verloren.«

Dabei war dies das einzig Gute an der derzeitigen Situation: Sie konnten Margarete nicht mitnehmen. William atmete tief durch.

»Ich bin über die Stränge geschlagen, das räume ich ein.«

»Du warst ein Hundesohn, William«, korrigierte Ethan deutlich. »Du hast meine Schwester in eine fürchterliche Lage gedrängt und deine Begründung dafür …« Er schüttelte den Kopf.

William ballte wieder die Fäuste, konnte es so aber nicht stehen lassen. »Es war nötig. Herrgott, du weißt nicht, wie er gelitten hat! So ging es einfach nicht weiter, und wenn du wirklich glaubst, eine Adlige gibt ihr gemütliches Leben auf, um ihrem Bruder in die Wildnis zu folgen, dann bist du ein riesiger Tölpel!«

»Dein Bruder hat Glück, dass Margarete ihn akzeptierte.« Ethan drehte sich um und betrachtete seinen Namensvetter grimmig. Ethan Coleridge, siebter Earl of Cheshire, strahlte mit den Lampen um ihn herum um die Wette. Er war schon albern glücklich, was William nur noch ärgerlicher machte. Alle durften glücklich sein, nur er nicht und das war einfach falsch! »Sonst hätte ich ihn gefordert.«

William schnaubte. »Und uns in noch größere Schwierigkeiten gebracht? Mit seinem Tod wäre ich der Earl of Cheshire mit all seinen Verpflichtungen.« Das wäre das Ende ihrer Beziehung gewesen, dies musste Ethan doch verstehen. »Ich kann nur ungehindert im Niemandsland verschwinden, wenn er hier brav seine Rolle einnimmt, eine Frau heimführt und ganz viele Nachkommen zeugt. Margarete hatte ich als Mutter ganz sicher nicht vorgesehen. Sie sollte nur aus seinem Kopf verschwinden. Es war nötig, Ethan. Das alles habe ich nicht zum Spaß eingefädelt.«

»Ach ja?« Er schüttelte missmutig den Kopf. »Eine Hütte im Nirgendwo?«

»Damit ihrer beider Ruf nicht unnötig leidet.«

Ethan lachte auf und sorgte damit dafür, dass sich die Blicke der anderen Familienangehörigen auch auf sie legten. »Ich bitte dich. Erst hetzt du ihr Boulder auf den Hals, dann deinen Bruder …«

»So war es nicht«, grummelte William. Sein Bruder bedeutete ihm, sich zu ihnen zu gesellen. Allerdings machte er dabei eine recht verkniffene Miene. »Und das ist nicht der passende Ort, um darüber zu diskutieren, meinst du nicht auch?«

Eine der jüngeren Schwestern Ethans wurde ausgesandt, um sie zu holen. Ihre Miene trug Williams eigene Begeisterung darüber vortrefflich zur Schau.

»Mr Coleridge«, grüßte sie ihn verhalten. Sie hatte ebenso wie ihr Bruder und die unangenehme Schwester brünettes Haar, eine lange Nase und die Angewohnheit, an ebendieser auf Menschen herabzusehen. William presste die Lippen aufeinander, nickte aber und bot ihr den Arm, wie es von ihm in Gesellschaft gefordert wurde. Ethan folgte ihnen langsam.

»Elizabeth bestand darauf, euch zu uns zu bitten«, behauptete seine Mutter, die Dowager Countess of Cheshire, und lächelte begeistert in die Runde. »Sie ist so ein freundliches, zuvorkommendes Mädchen, genau wie die gute Margarete.«

Cheshire räusperte sich und streifte ihn lediglich mit seinem Blick. »Nun, Miss Bennett wird uns im neuen Jahr nach London begleiten.«

»Was willst du denn in London?«, knirschte William. Er durchbohrte seine Schwägerin mit Blicken, das ist sicherlich auf ihrem Mist gewachsen war.

»William«, mahnte seine Mutter. Ihre Brauen zogen sich irritiert zusammen und auch seine Schwester Edith starrte ihn überrascht an. Nun, beide kannten zwar sein Temperament, waren aber gewöhnlich nicht von seinen Gefühlsschwankungen betroffen. Er atmete tief durch und ballte die Fäuste.

»Ist es denn eine abwegige Feststellung, Lady Mutter? Wann hat es Cheshire je nach London verschlagen? Ist es nicht deutlich …«

»Dass wir einen sehr guten Grund haben, in London zu sein?«, griff Cheshire auf und begegnete seinem Blick nun mit ungewohnter Härte. »So ist es. Zwar ist es nicht angeraten, zu viel Eile an den Tag zu legen, aber Miss Bennett wird auch nicht jünger.«

Besagte Dame sog neben ihm schneidend den Atem ein.

»Cheshire«, mahnte Margarete sanft. »Wir nehmen Elizabeth mit. Das bedeutet nicht, dass wir ihretwegen in die Stadt fahren. Vor der Wintersaison wäre es skandalös, sie in die Gesellschaft einzuführen.« Auch sie seufzte und legte sich verräterisch die Hand auf den Bauch. »Andererseits …« Sie straffte die Schultern und hob das energische Kinn. Ihre Augen funkelten kriegerisch. »… werden wir ohnehin durch den Sumpf von Intrigen und Missgunst waten, nicht wahr, Mr Coleridge?«

William kochte vor Ärger. Seine Handflächen protestierten, grub er die Nägel doch wieder hinein, um die Finger eben nicht um ihren zierlichen Hals zu legen und zuzudrücken, bis sie endlich Geschichte war. Zum Glück brauchte er sie in der Zukunft nicht mehr zu ertragen. »Oh, ich bin mir sicher, dass Ihre Schwiegermutter und Lord Boulder nun um Sie herumscharwenzeln werden und es keiner wagen wird, alte Gerüchte hervorzukramen.«

Ihre Augen verengten sich.

»Dann wiederum werden Fragen aufkommen, wenn Sie sich allzu bald wieder zurückziehen werden, nicht wahr?«, gab er zurück.

»Es ist nicht abwegig, dass sich frisch vermählte Frauen wieder aus der Gesellschaft zurückziehen.« Sie zuckte die Achseln.

»Ich wünschte, es gäbe einen anderen Weg«, mischte sich Mrs Bennett ein. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, um ihrer Trauer gerecht zu werden. Ihre Töchter folgten der Weisung ihrer Mutter, auch wenn Margarete einen weißen Kragen zu ihrem Kleid kombiniert hatte, der sie – objektiv betrachtet – frischer aussehen ließ als ihre Schwester, die immerhin einige Jahre jünger war als sie. »Es ist skandalös, die Trauerzeit nicht abzuwarten!«

»Warten wir doch«, griff Miss Bennett ähnlich aufmüpfig wie ihre ältere Schwester auf. »Ein Jahr, bis die Trauerzeit abgegolten ist, und dann sehen wir, ob Margarete nicht gerade im Kindbett ist, gar darin verstarb. Oder es womöglich schafft, auch diesen Gatten …« Etwas Anstand hatte sie offenbar doch eingebläut bekommen, denn sie klappte den Mund zu und stieß lediglich den Atem aus.

»Nun, ich hoffe, zumindest auf die acht Jahre zu kommen«, murmelte Cheshire.

»Bitte verzeihen Sie, Lord Cheshire, Lady Cheshire, Mutter, es muss die Trauer sein, die mich unachtsam werden ließ.«

William vermutete, dass ihre Formulierung nur zu zutreffend war. Sie hatte jedes Wort genau so gemeint und hatte sie nur nicht aussprechen wollen. Was ihm jedoch gleichermaßen gefiel, wie es ihn abstieß, war, dass sie nicht ihre Schwester mit Lady Cheshire angesprochen hatte, sondern die Dowager Countess. William grinste süffisant. Margarete stand keine ruhige Zeit bevor, auch wenn er sich bald verabschieden würde.

»Vielleicht ist es tatsächlich zu früh«, griff Margarete auf. Sie wandte sich an ihren Gatten. »Es mag gut gemeint sein, aber vielleicht sollten wir uns von diesem Zwang befreien.«

»Meine Liebe«, murmelte Cheshire. »Wir handhaben alles genau so, wie du es wünschst.«

Margarete seufzte und schüttelte den Kopf. »Was ich möchte, ist nicht mit dem zu vereinbaren, was wir tun sollten.« Sie legte ihm für den Bruchteil einer Sekunde die Hand auf die Brust, dann senkte sie sie auf seinen Arm. Sie wusste, dass ihr Cheshire nicht widerstehen konnte, schließlich hatte sie ihn doch erst eingefangen, weil sie ein Gespinst aus Verführung und unerfülltem Verlangen um ihn gewebt hatte.

»Edith kann sich um deine Schwester kümmern«, sagte Cheshire und schaute seine Frau mit einem Blick an, der schmerzlich nach Zustimmung bettelte.

»Wann zum Teufel wird endlich das Essen serviert?«, bellte William. Er stapfte los, da er nicht länger ertrug, zuzusehen, wie diese Chimäre ihre Klauen in seinen Bruder grub. Es half nicht, dass zumindest sein Liebster nun völlig auf ihn konzentriert bleiben konnte. Nein, es war nur ein kleiner Trost.

 

Edgecomb, Northumberland, Montag, 25.12.1820

Caroline hatte sich im Labyrinth der Flure verlaufen. Edgecomb war schrecklich groß. Alles an diesem Anwesen war einfach grässlich. Sie grub die Finger in das Kleid, das aus der Kleiderkiste ihrer großen Schwester stammte und eilig für ihren Gebrauch zurechtgeschneidert worden war. Von einer Zofe, nicht von ihr selbst, so wie sie es gewohnt war. Die hatte ihr auch die Haare aufgedreht und aufgesteckt, sodass es ständig ziepte und sie bereits rasende Kopfschmerzen hatte. Das ungewohnte Fischbeinkorsett stach ihr zusätzlich in das Fleisch, wenn sie sich bückte oder drehte. Sie hasste es. Das Kleid, die Frisur und den Besuch bei ihrer Schwester erst recht!

»Blöde, blöde Margarete!« Sie stampfte auf und ließ sich auf den Boden fallen. Sogleich fehlte ihr der Atem, denn weder Kleid noch Unterbekleidung waren dazu gedacht, damit am Boden zu kauern.

»Darf ich helfen?«

Caroline zuckte zusammen und schaute auf. Vor ihr stand der attraktivste Mann, den sie je gesehen hatte, und so riss sie lediglich die Augen auf und starrte. Sein Haar wellte sich leicht und hatte eine dunklere Färbung als ihr eigenes. Es war fast schon ebenholzschwarz, zumindest wirkte es in dem eher schlecht beleuchteten Gang so. Er trug eine Uniform mit goldenen Epauletten und Knöpfen. Kordeln hingen an seinem Arm herab und er wirkte imposant und fremd. Sie kannte nur den Talar ihres Vaters. Ansonsten natürlich die Männer in ihrem Dorf St Ives in Land’s End, die in ihren braunen Sonntagsanzügen auch kein aufregendes Bild boten. Zwar hatte sie einen Schwager, der Soldat war, aber ihm war sie nie begegnet. Christobel, ihre zweitälteste Schwester, war einfach auf und davon mit ihm und ward seither nicht mehr gesehen. Aber Caroline kannte es auch nicht anders. All ihre Geschwister waren eines Tages fortgegangen und nicht wiedergekehrt. Nun, vielleicht stimmte dies nun nicht mehr, schließlich befand sie sich in dem neuen Haus ihrer ältesten Schwester, die jüngst den Earl of Cheshire geheiratet hatte. Und ihr Bruder Ethan, an den sie sich kaum hatte erinnern können, war seit dem Tag der Beerdigung ihres Vaters plötzlich auch wieder da.

»Ich beiße nicht«, versprach der Gentleman und grinste sie an. »Caroline, nicht wahr? Ich bin William Coleridge.«

Caroline verengte ihre Augen. War das ihr Schwager?

Seine Kutsche hatte sie abgeholt, aber begegnet war sie ihm bisher nicht. Ihre Mutter bestand darauf, dass sie zu jung war und daher nicht am Dinner mit den Erwachsenen oder an anderen geselligen Ereignissen teilnehmen konnte, und so fristete sie ihr Dasein in ihrem riesigen, hübschen Zimmer und zerging vor Langeweile.

William streckte die Hand noch etwas mehr aus. »Bitte. Eine junge Dame sollte nicht auf dem Boden sitzen und ihre feinen Kleider zerknittern.«

Caroline streckte zögerlich die Hand aus und ließ sich aufhelfen.

»Sollte ich mir Sorgen machen oder gibt es einen Grund für deine Rast an diesem unfeinen Ort?« Er bot ihr den Arm und verengte die Augen, als sie ihn lediglich weiter anstarrte. »Dir geht es gut? Deine Schwester hat dir nicht …« Er brach ab und etwas wie Unmut huschte über sein Gesicht. Er hatte eine scharfe Nase, schmale Lippen und markante Wangenknochen. Caroline fand ihn unglaublich attraktiv. »Nun, sie ist vermutlich eifersüchtig, dass ich ihr keine Aufmerksamkeit schenke. Sie ist nicht hübsch genug, um mein Interesse zu wecken.« Er zwinkerte ihr zu und ein Grinsen erhellte seine Züge. Caroline seufzte. »Ich verspreche, ein charmanter Kerl zu sein. Es gibt keinen Grund, sich vor mir zu fürchten.« Er fasste nach ihren Fingern, die gleich warm wurden, und zog sie an seinen Mund. Er stellte sein Bein vor und machte eine Verbeugung. »Miss Caroline.«

Sie seufzte verzückt. Er war so freundlich!

William legte ihre Finger auf seinem Arm ab. »Darf ich dich hinunterbegleiten?«

Sie nickte zaghaft. Er drehte sich und führte sie mit auf den Rücken gelegtem Arm die Stufen hinab. Sie fühlte sich wie eine Prinzessin und glühte innerlich vor Stolz, dass sich so ein interessanter Mann für sie erwärmen konnte. Es tat so gut, dass jeder Schritt leichter gelang und sie trotz des Korsetts befreit aufatmen konnte.

Niemand nahm Notiz von ihnen, als sie den Salon betraten, aber das wunderte Caroline nicht. Es herrschte ein wildes Durcheinander, das sie selbst völlig überwältigte.

Margarete kniete vor zwei Mädchen mit blonden Zöpfen und weinte. Ein Mann stand hinter ihr, der Carolines Begleitung ähnlich sah, und schaute liebevoll auf das Trio herab.

Mrs Bennett, Carolines Mutter, stand schräg hinter ihnen und schüttelte den Kopf. Weitere Mädchen, im ungefähren Alter wie die in Margaretes Umarmung, saßen manierlich auf der Couch, aber drei Jungs flitzten durch den Raum und stießen die Erwachsenen an.

»Ah, das jährliche Spektakel hat begonnen«, murmelte William und tätschelte ihre Finger. »Du wirst deine Nichten kennen, also stelle ich dir meine vor.« Das stimmte zwar nicht, denn Caroline war keinem der Mädchen zuvor begegnet, aber sie brachte sicherlich kein Wort hervor, also schwieg sie. Er zog sie zur Couch. »Lady Clara und Lady Charlotte sowie Miss Maria und Miss Victoria. Du möchtest dich sicherlich zu ihnen setzen.« Er grinste auf sie herab und nahm ihre Finger von seinem Arm. Ihr Herz schlug nicht mehr. Sie war soeben ins Reich der Vergessenen gewechselt, da war sie sich sicher. Er meinte doch wohl nicht, dass sie sich nahtlos in die Riege seiner Nichten einfügte!

Sie schaute von ihm zu den aufgereihten Mädchen, die alle wesentlich jünger waren als sie selbst, und schluckte. »Wie zauberhaft, deine Nichten kennenlernen zu dürfen«, sagte sie. »Aber ich wäre in einem Gespräch mit ihren Müttern besser aufgehoben.«

Er lachte. Es war ein so angenehmer, warmer Laut, dass sie unwillkürlich näher zu ihm trat. »Unsere Schwestern liegen im Alter nicht weit auseinander und wir sind beide die Jüngsten aus dem jeweiligen Stall.« Er zwinkerte. »Ich kann verstehen, dass du lieber …« Er drehte sich leicht in die Richtung, in der sich die Erwachsenen befanden. »Aber es gibt wohl einen Grund, warum du gestern auf deinem Zimmer bleiben musstest, und am besten bringt man seine Mutter zum Einlenken, wenn man als Paradebeispiel für gutes Benehmen herhält. Ich werde dich erwähnen. Du siehst brav und manierlich aus und ich wette, jemand wird sich erweichen, dich aus deinem Schattendasein zu erlösen.« Wieder zwinkerte er ihr zu. »Hat bei Edith Wunder gewirkt.«

Caroline runzelte die Stirn. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihm glauben sollte, allerdings blieb ihr letztlich ohnehin keine Wahl. »Also gut, ich setze meine Hoffnung in dich, William Coleridge.« Ihre Stimme bebte leicht und sie spürte, wie sich Hitze in ihren Wangen ausbreitete. Also wandte sie sich eilig ab und setzte sich zu den Mädchen. Der Gentleman machte eine Verbeugung zum Abschied und flanierte dann durch den Raum. An der Bar goss er sich ein Getränk ein. Ethan, ihr Bruder, gesellte sich zu ihm, aber Carolines Aufmerksamkeit wurde abgelenkt.

»Ich bin Lady Clara Grandville. Mein Vater ist der Marquess of Darlington.« Sie reichte ihr die Hand. »Ich bin 10 Jahre alt.«

Caroline atmete tief durch und ergriff die schlaffen Finger der Lady. »Miss Caroline Bennett, sehr erfreut, Mylady.«

»Aha.« Das Mädchen musterte sie. »Sie sind die Schwester von Lady Cheshire, der neuen Gattin meines Onkels?«

»Margarete ist meine Schwester«, bestätigte sie. Eben diese fand sich zur gleichen Zeit bei ihr ein, die Arme um die Mädchen gelegt, die sie zuvor so enthusiastisch umarmt hatte.

»Caroline, hallo.« Sie schob die Kinder vor. »Darf ich euch miteinander bekannt machen? Dies sind meine Töchter, Miss Henrietta und Miss Georgette Mullfort.«

Caroline lächelte angestrengt.

»Caroline, du musst knicksen«, forderte Margarete sie leise auf. »Hat Mutter dir nicht beigebracht …« Sie brach ab und presste die Lippen aufeinander. Sie zwängte dann ein Grinsen auf ihren Mund, das nicht echt wirkte. »Nun, da wartet Arbeit auf uns. Aber zunächst, dies sind …«

Ihre Schwester spulte die Namen ab, wobei die Mädchen sich erhoben und artig einen Knicks machten, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung. Generell mussten ihre Nichten vor den anderen Mädchen tiefer sinken, da sie nur die Kinder eines Barons waren, der auch noch verstorben war, während es sich bei den anderen Mädchen um Töchter eines Marquess und eines Viscounts handelte.

Caroline ließ sich ablenken. Ihr Blick schweifte durch den Raum und blieb wieder an William hängen. Er sprach mit einer großen, blonden Lady, die ihm vertraut die Hand auf den Arm legte.

»Das sind die Viscountess of Conwy und Mr Coleridge«, raunte Margarete ihr zu. »Du musst vor beiden knicksen, aber der Herr ist eigentlich unbedeutend. Wichtiger sind die Ladys. Der Marchioness gegenüber musst du besonders ehrerbietig sein, wenn du ihr vorgestellt wirst. Komm mit.« Margarete griff nach ihrer Hand und führte sie zum Fenster. »Ich habe nicht genug Zeit für dich und das wird sich rächen. Aber wir haben das ganze nächste Jahr, um dich vorzubereiten. Bis dahin sei einfach höflich, nicke viel, knickse viel und versuche, nicht im Weg zu stehen.«

Caroline klappte vor Empörung der Mund auf. »Aber …«

»Kein Aber, Caroline. Wir schaffen das, aber ich kann nicht an allen Fronten zur gleichen Zeit kämpfen. Sei bitte ein gutes Kind und lass mich nicht gegen Windmühlen kämpfen wie bei Elizabeth. Ich bin doch bereit, euch zu unterstützen, auch wenn ich Mutter gern …« Sie biss die Zähne zusammen. Ressentiment huschte über ihre Züge. »Nun, damit sollte ich dich nicht belasten. Sei freundlich zu den anderen Mädchen, sie werden deine einzigen Freundinnen sein.« Sie seufzte getragen. »Und achte doch auf meine Töchter.« Sie strich ihr über das Haar. »Du erinnerst mich so an Ethan, als wir jung waren.«

Caroline klappte einmal mehr der Mund auf. Wie konnte Margarete so schrecklich ungalant sein und sie mit ihrem gemeinsamen Bruder vergleichen?

Tränen schossen ihr in die Augen und sie schlug die Hände vor den Mund, um nicht laut zu schluchzen. Dann stürmte sie los. An der Schwester und weiteren hochwohlgeborenen Ladys vorbei und dem Diener in die Arme, der das Dinner verkündete. Sie riss ihn zu Boden. Ein Heidendurcheinander folgte und endete damit, dass Caroline ohne Festtagsschmaus auf ihr Zimmer geschickt wurde.

 

Edgecomb, Northumberland, Mittwoch, 27.12.1820

William schlich durch den Korridor. Es war eine nötige Vorsichtsmaßnahme, die er aber abgrundtief hasste. Es wurde Zeit, dass sie dieses bigotte Land verließen und in Neuseeland ihr neues Leben begannen, allerdings standen sie einmal mehr vor Problemen, die Ethan den Mut raubten und ihm die Geduld.

Er vernahm das gedämpfte Rascheln von sich schnell bewegenden Röcken und fluchte leise. Da er sich mitten auf der Treppe befand, konnte er nicht ausweichen und musste die unliebsame Begegnung über sich ergehen lassen. Er konnte nur hoffen, dass er nicht lange aufgehalten wurde.

Es war die kleine Caroline, die im nächsten Augenblick um die Ecke der Treppe flitzte und mitten im Schritt stoppte. Ihre Hand, mit der sie sicherlich den Handlauf fassen wollte, blieb in der Luft hängen. Ihre Augen waren vor Schreck weit aufgerissen und sie hatte auch den Mund geöffnet.

Erleichtert grinste er und deutete eine Verbeugung an. Es hätte schlimmer kommen können. »Nanu, ist es nicht etwas zu spät für Ausflüge?«

»Ich verbringe den Tag damit, vor mich herzustarren, William, da schläft es sich dann schlecht.« Ihre Wangen färbten sich und sie erinnerte sich offenbar an die Konventionen. Sie knickste fahrig und trat eilig an die Seite. »Gute Nacht.«

William ging die Stufen hinauf, die sie trennten. »Muss ich mir Sorgen machen?«, fragte er, da das Mädchen Stiefel und einen dicken, wärmenden Mantel trug. »Du wirst doch nicht fortlaufen wollen?« Müsste er ihr dann nicht folgen? Sein Blick schoss den Gang entlang. Da war er so nah bei seinem Liebsten und musste sich stattdessen mit einem Mädchen herumschlagen.

Sie atmete tief ein, wobei sich ihr schmaler Brustkorb hob. »Nun, wo sollte ich hin? Es ist zu weit, um nach Hause zu laufen, und hier oben kenne ich niemanden.« Sie zuckte die Achseln. »Mir bleibt nur, auszuharren, nicht wahr?«

»Wie vernünftig«, murmelte er und fasste sie erneut ins Auge. Vielleicht war die Zeit, die er hier investierte, doch nicht umsonst. »Dann verrate mir doch, wohin es gehen soll.«

»In den Garten. Es hat geschneit und …« Sie brach ab. Erschrecken weitete ihre Augen und sie schlug sich die Hand vor den Mund.

»Ah, der magische Schnee. Du durftest nicht hinaus und wolltest dich fortstehlen, um im Schnee herumzutollen, wie es die Kinder den halben Nachmittag getan haben.«

Sie presste die Lippen aufeinander, aber er war sich bereits sicher, dass es so war, und brauchte ihre Bestätigung nicht.

»Na komm, ich begleite dich und zeige dir den besten nächtlichen Ausgang des Anwesens.« Den er selbst viel zu oft in seiner Jugend genutzt hatte. Er machte kehrt und blieb dann stehen, um auf das Mädchen zu warten. Sie war ganz hübsch, erinnerte ihn etwas an Ethan, da sie dieselbe Färbung der Haare aufwiesen und diese Art, vorsichtig und gewitzt zugleich auszusehen.

»Hm, ich sollte dir besser nicht trauen. Das letzte Abkommen hast du auch gebrochen.«

William lachte und schüttelte den Kopf. »Oh nein, Caroline, du hast den armen Balthasar umgerannt und einen Aufruhr verursacht, anstatt artig auf meinen Einsatz zu warten.«

Sie grummelte. »Das war Maggies Schuld«, sagte sie und verschränkte die Arme trotzig vor der Brust. »Sie war gemein zu mir.«

Oh, noch ein Opfer der Lady Margarete Coleridge. »Zu mir auch.« Er hob den Arm, damit sie sich bei ihm einhaken konnte.

Sie blinzelte heftig. »Wirklich?«

William nickte und hob den Ellenbogen etwas höher, damit sie auf seine Geste aufmerksam wurde. »Sie mag mich nicht.« Dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte und sie irgendwie auch guten Grund dazu hatte, ließ er unerwähnt. Die Details waren schließlich nicht wichtig, wenn er gerade an einem neuen Plan feilte, der die Zukunft in seinem Sinne gestalten sollte.

Caroline trat näher und legte ihre Hand auf seinem Arm ab. Sie schaute mit geröteten Wangen zu ihm auf. »Und warum nicht?«

Ah, da war sie entweder neugierig oder nicht so dumm wie erhofft. Er musterte sie wieder. Sie war jung, was zu seinen Gunsten sein sollte, und nicht wirklich hübsch zu nennen. Von einer Frau wünschte man sich eine filigrane Figur. Sie war eher stämmig gebaut: breite Schultern, breite Hüfte, keine nennenswerte Taille, soweit er sich erinnern konnte. Natürlich hatte er sich ihren Körper nicht näher angeschaut, aber der erste Eindruck war gewesen, dass er es mit einem hausbackenen Dummerchen zu tun hatte.

»Sie ist oberflächlich.« Er feixte und tätschelte ihre Hand. »Und langweilig. Ich interessiere mich viel mehr für dich, Caroline.«

Die Röte auf ihren Wangen breitete sich aus. »Oh.«

»Kannst du haushalten? Hilfst du deiner Mutter in der Küche und kennst dich mit den Fertigkeiten eines einfachen Lebens aus?« Er brauchte keine Lady, die in Ohnmacht fiel, wenn sie einem Maori gegenüberstand, sondern eher eine Frau wie Margarete: tatkräftig und bereit, sich durchzubeißen, koste es, was es wolle. Dann wiederum machte die Countess rein körperlich nicht den Eindruck, für das Leben geboren zu sein, das sie in Neuseeland erwartet hätte, Caroline schon. Sie wirkte wie ein Esel, den man einspannen konnte.

»Äh …« Sie biss sich auf die Lippe.

»Caroline? Erzähl mir doch von deinem Leben.« Es war wichtig, die richtige Wahl zu treffen. Seine Gattin musste Durchhaltevermögen besitzen, Stärke und Entschlossenheit. Sie würde es brauchen. Allein die Seefahrt um die halbe Welt war eine Belastungsprobe. Was danach kam, konnte auch nicht als Spaß bezeichnet werden. Eingeborene zu missionieren, konnte durchaus gefährlich werden und bedurfte eines sicheren Auftretens.

»Oh, ich helfe meiner Mutter.« Sie zuckte die Achseln.

»Was tust du genau? Verzeih mir, dass ich so unwissend bin. Ich bin hier aufgewachsen.« Er deutete mit der freien Hand durch das Treppenhaus. »Es war eine sehr langweilige Zeit, in der ich nur auf dem Hosenboden sitzen und lernen durfte.«

Caroline seufzte zart. »Nun, über Langeweile kann ich mich nicht beklagen.« Sie schaute gewitzt zu ihm auf. »Mein Tag ist gewöhnlich angefüllt mit häuslichen Aufgaben.«

»Kochen, putzen, Kleidung ausbessern«, griff William ungeduldig auf.

»Oh ja.«

»Bist du geschickt darin?«, hakte er weiter nach, während sie in den Gang abbogen, der sie zum Arboretum führen sollte.

»Ja.«

William seufzte erleichtert. »Welche Wünsche hast du für die Zukunft?«

Sie schaute mit unnatürlich großen Augen zu ihm auf. »Wie bitte?«

»Einen Ehemann wünschst du dir vermutlich, oder? Meine Schwestern waren kaum zu bändigen, als sie ihre jeweiligen Debüts begingen.«

Caroline runzelte die Stirn. »Es wird wohl erwartet …« Sie brach ab und wirkte verwirrt. »Elizabeth ist auch ganz verrückt danach, endlich aus dem Haus zu kommen.«

»Und du bleibst bei deiner Mutter und versorgst sie.« Es war als Spott gemeint, da sie sicherlich ebenfalls in die Fußstapfen der Schwestern treten wollte. Und auch sollte, wenn es nach ihm ginge.

»Oh, herrje«, wisperte sie. Die Röte verschwand von ihren Wangen. »Wenn auch Lizzy geht, bin ich ganz allein mit Mutter.«

»Hm. Du hast eine Schwester, die sich einen Earl geangelt hat. Eine, die nun die Gattin eines Reverends ist, und eine, die einen Soldaten geheiratet hat. Welcher möchtest du nacheifern?« Er hielt ihr die Tür auf und geleitete sie auch durch den dunklen Wintergarten zur hinteren Tür.

»Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht«, murmelte Caroline.

Ethan schob sie hinaus. »Genieß den Schnee.«

Sie schaute auf.

»Dein Bruder spricht in den höchsten Tönen von dir. Er mag dich wirklich gern und ist besorgt, dass es dir hier nicht gutgehen wird.« William lächelte. »Weißt du, dass er bald das Land verlassen wird? Er hat den Auftrag, Einheimische in Kerikeri zu bekehren.«

»Oh.« Sie runzelte die Stirn.

»Das liegt in Neuseeland. Es ist ein wundervoller Ort, nur gibt es dort kaum hübsche Damen.« Er zwinkerte. »Das werde ich sicherlich am meisten vermissen.«

»Dann wirst du …« Sie biss sich wieder auf die Lippe.

»Ja. Mit deinem Bruder.« Und einem ahnungslosen, dummen Mädchen, wenn es nach ihm ginge. Es gab keinen anderen Weg. Es war nötig. William musterte Caroline. Sie war nun wirklich keine Schönheit und hätte ohnehin keinen Erfolg. Er tat ihr einen Gefallen. Er gab ihr eine Aussicht, eine Aufgabe. Sie wäre ihm eines Tages dankbar für seine kleine Lüge. »Es wird mich schmerzen, allen Liebreiz zurücklassen zu müssen.«

»Oh.« Die Röte war zurück auf ihren Wangen.

»Ich sollte gehen. Wir sind zwar nun miteinander verwandt, aber … es schickt sich dennoch nicht, allein miteinander zu sein.« Er streckte die Hand aus und wischte ihr eine Strähne aus dem Gesicht, die es gar nicht gab. Er nutzte die Berührung nur, um ein Band zu formen, eine tiefere Verbindung zwischen ihnen in Aussicht zu stellen, damit sie ganz das törichte Kind sein konnte, das sie noch war.

»Neuseeland«, wisperte sie mit Sternen in den Augen.

»Wir leben in einem Cottage, verbringen die Tage damit, uns um die seelsorgerischen Belange unserer neuen Gemeinde zu kümmern, und bringen Ungläubigen die Wege des Herrn näher. Eine selbstlose Aufgabe, die uns sicherlich, trotz etwaiger Sünden, in den Himmel auffahren lässt, wenn unsere Zeit erst einmal gekommen ist.« Das musste er hoffen und beteuerte es Ethan gegenüber so oft, dass es ihm auch nicht schwerfiel.

»Das klingt wundervoll«, flüsterte Caroline. »Das hätte Reverend Bennett bestimmt gefallen.«

William grinste trotz zusammengebissener Zähne. Seine Meinung über den Vater des Mädchens tat er besser nicht kund, denn sie war alles andere als herzlich. »Es ist eine Berufung, Caroline.«

Sie nickte und faltete die Hände vor dem Körper.

»Gute Nacht.« Er nickte ihr zu. Eigentlich sollte er sie nicht allein lassen, aber er hielt es für angeraten, sich rar zu machen. Kein junges Mädchen träumte davon, unzivilisierte Menschen zu missionieren. Zumindest soweit er es einschätzen konnte.

»Gute Nacht«, gab sie leise zurück.

Er beobachtete sie noch einen Moment aus der Dunkelheit des Arboretums heraus. Sie starrte eine Weile vor sich hin, hockte sich dann hin und rollte den Schnee zu einer Kugel auf. Sie war noch ein Kind, und es war nicht gerecht, sie zu benutzen. Aber die Welt war kein Ort für Zimperlichkeit. Glück musste man sich erkämpfen und William wollte verdammt sein, wenn er nicht alles, wirklich alles dafür tat, das seine zu sichern.

 

Edgecomb, Northumberland, Sonntag, 31.12.1820

Caroline stand auf, als Margarete in ihr Zimmer trat. Ihre Schwester schaute sich um.

»Ich dachte, dass Lizzy bei dir ist.«

Ihr Mut sank. »Wann darf ich wieder raus?«, preschte sie vor. »Bitte, ich werde artig sein.«

Margarete runzelte die Stirn. »Wie bitte?«

»Ich weiß nichts mit mir anzufangen«, gestand sie. »Ich habe die Bibel schon so oft durchgelesen, dass die Seiten herausfallen. Bitte, ich …«

»Vaters Familienbibel?«, fragte Margarete schrill und hastete zum Nachttisch, um sie aufzunehmen. Der anklagende Blick richtete sich dann auf Caroline. »Warum achtest du nicht …« Ihre Stimme verklang und sie schüttelte den Kopf. »Wie kannst du so unachtsam sein? Und warum hast du sie? Sie steht Ethan zu!«

Caroline senkte den Blick. Hatte sie tatsächlich geglaubt, Margarete hörte sich ihre Bitte an?

»Sie ist völlig zerfleddert. Schau!« Sie hielt ihr das Buch, aus dem auch gleich eine Seite herauspurzelte, unter die Nase. Margarete bückte sich eilig nach ihr und ächzte. »Unser Stammbaum.«

»Ich habe sie gelesen«, murmelte Caroline. »Mir blieb keine andere Beschäftigung.«

»Wie bitte?«

Sie wagte aufzublicken, aber ihre Hoffnung, Gehör zu finden, zerbarst direkt. Die Schwester war wütend und stemmte die Hände in die Hüfte.

»Caroline, ich habe einfach keine Zeit, um mich mit dir auseinanderzusetzen, bis Lizzy aus dem Haus ist.« Sie seufzte und strich sich über die Stirn. »So lange …«

»Bleibe ich hier eingesperrt?«

Margarete lachte. »Bitte sei kein Dummkopf.«

Caroline schnaufte und ballte die Fäuste. »Wenn ich auch nicht in der Bibel lesen darf, womit soll ich mich dann beschäftigen?«

»Bist du denn nicht im Unterricht?«, fragte Margarete ungeduldig. »Du wirst dich doch nicht hier verstecken, wenn du sticken lernen solltest?«

»Ich sticke passabel«, murrte Caroline. »Aber ich habe …«

»In Ordnung. Wenn ich Lizzy gefunden und etwas Zeit mit den Mädchen verbracht und mich für das Dinner umgekleidet habe … Nach dem Dinner …« Sie runzelte die Stirn. »Klingle nach dem Mädchen. Sie wird dir bringen, was immer du benötigst.« Damit hastete sie bereits aus dem Raum und nahm die einzige Ablenkung mit sich, die Caroline in den letzten Tagen gehabt hatte.

Sie klingelte nach dem Mädchen und wartete. Der Schnee war geschmolzen und draußen war alles grau und kahl, aber hin und wieder tollten die Jungs über den Rasen oder ein Häschen hoppelte von einem Ende zum anderen.

»Miss?«

Caroline zuckte zusammen und fuhr herum. »Oh, ich …« Jetzt hatte sie sich keine Gedanken um das gemacht, was sie erbitten wollte. »Bücher.« Sie trat an das Hausmädchen heran, das die Augen aufriss. »Bitte bringe mir Bücher.«

Sie knickste und verschwand. Caroline wanderte in ihrer Kammer auf und ab. Diese war deutlich größer als das Zimmer, das sie sich in Epton Cottage mit ihrer Schwester teilte, trotzdem sehnte sie sich zurück nach Hause. Zumindest war sie dort beschäftigt. Sie durfte zur Messe gehen und traf Menschen!

Als das Hausmädchen zurück war, stürzte Caroline sich auf die mitgebrachten Bücher. Nach einer schnellen Durchsicht hob sie anklagend den Blick. »Aber das sind Enzyklopädien.«

»Verzeihung, Miss, aber ich kann nicht lesen und habe genommen, was ich finden konnte.« Sie knickste wieder. »Wenn Sie keine weiteren Wünsche haben, muss ich wieder an die Arbeit.«

Caroline nickte abwesend. Es war wohl gleich, was sie las. Immerhin konnte sie das Dienstmädchen nicht gezielt nach einer bestimmten Geschichte losschicken, ohne überhaupt zu wissen, was die Bibliothek von Edgecomb hergab. Sie setzte sich auf den Boden vor dem Kamin und zog den ersten Band der Encyclopædia Britannia auf ihren Schoß.

»A«, murmelte sie und lachte. »Abakus.« Ihr Finger fuhr die Einträge entlang. »Abalone – auch Irismuschel genannt. Heimisch in warmen Meeren …«

Caroline zog die Beine an und verkroch sich in ihre Lektüre.

 

 

 

 

Kapitel 2

 

Edgecomb, Northumberland, Dienstag, 02.01.1821

William schaute sich um, bevor er sacht an die Tür klopfte. Wie an jedem Abend öffnete sie sich und Ethan winkte ihn eilig herein. Als sie allein waren, zog er ihn in die Arme zu einem sehnsüchtigen Kuss.

»Ich halte das keinen Tag länger aus«, raunte er, getrieben, seinem Liebsten nah zu sein. »Wir müssen unseren Plan endlich vorantreiben!«

Ethan seufzte und löste sich von ihm. »Du bist zu ungeduldig.« Er schüttelte den Kopf, während er durch den Raum zur Fensterfront ging und die schweren Brokatvorhänge ein Stück zur Seite zog. »Und ich bin …«

»Unentschlossen.« William schnaubte. »Das sehe ich dir an. Willst du mich nicht mehr? Bist du meiner bereits überdrüssig? Ich liebe dich, Ethan!« Er ballte die Fäuste. Dies alles verdankte er nur der feinen Margarete, die ihn ebenso hasste wie er sie.

Ethan seufzte und ließ den Stoff fallen. »Es ist keine Frage des Gefühls, William, sondern der Vernunft.«

William presste die Lippen aufeinander. Vernunft! Was war an dieser Welt schon vernünftig? Dass Soldaten in den Krieg zogen? Dass Missionare Andersgläubigen ihre Meinung aufzwangen und Männer Frauen heirateten?

Sah Ethan nicht, wie falsch alles lief und dass das Leben nur den einen Zweck hatte: seinen Seelenverwandten zu finden und so lange wie möglich glücklich zu sein?

Er wollte daran glauben, er wollte daran festhalten und verdammt sein, wenn er sich durch Widrigkeiten aufhalten ließe. Er atmete tief ein. »Liebst du mich?«

Ethan fuhr sich durchs Haar und nickte abgehackt. »Mehr als mein Leben.«

Damit war doch alles gesagt. William grinste zufrieden und überwand die Schlucht, die sich so plötzlich zwischen ihnen aufgetan hatte, mit einem fröhlichen Sprung seines Herzens. »Dann ist ja gut.«

Ethan warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Deine Leichtigkeit hätte ich gern.«

Er grinste und trat an den geliebten Mann heran. »Die ist schwer erarbeitet.« Er streichelte die bärtige Wange seines Liebsten und betrachtete ihn für einen Moment genügsam. »Und sehr leicht zu erschüttern.«

»Maggie …«

»Oh ja, sie schafft es mit ihrer bloßen Erwähnung.« Er ließ die Hand sinken. »Ich bin froh, dass wir sie nicht mitnehmen. Mir war der Punkt immer schon ein Dorn im Auge.«

Ethan fluchte und bekreuzigte sich schnell. Er wandte sich wieder ab und trat an den Kamin, um in die Flammen zu starren. »Wir können nicht ewig hierbleiben«, brummte er. »Und werden womöglich nie zurückkehren.«

»Was bedeutet, dass du dich von deiner geliebten Schwester endgültig verabschieden musst.« William nickte, auch wenn der andere Mann gar nicht in seine Richtung blickte. »Ich weiß, was das für dich bedeutet. Es fällt mir auch nicht leicht, meine Familie zurückzulassen.« Auch wenn er keinen von ihnen so abgöttisch liebte wie Ethan Maggie.

»Sie ist ein Teil von mir«, brummte er, was William vor Unverständnis grummeln ließ.

»Zum Glück ist er so winzig, dass er kaum auffällt.« Er gesellte sich schnell zu Ethan und nahm ihn in den Arm. »Es tut mir für dich sehr leid, dass es anders gekommen ist.«

»Ach, wirklich? Ich denke, dass du die Sache sabotiert hast.« Ethan musterte ihn aus verengten Augen. »Du hast ihren Ruf beschmutzt, sie mit deinem Bruder in die Einöde geschickt, damit er sie …« Er kaute das Wort auf seiner Zunge klein, ohne es auszusprechen. »Und führtest sie dann auch noch vor!«

William seufzte. Wurde er dies je wieder los?

»Boulder war ohne mein Zutun hinter ihr her und wir waren uns einig, dass sie schnellstens aus London raus musste.«

»Sie hätte in die Hütte in Towedneck ziehen können, wie ich es vorschlug!«

»Aber du wolltest sie auch nicht damit überraschen, dass du noch am Leben warst!« William fluchte unterdrückt. »Ja, es war nicht selbstlos, vorzuschlagen, sie solle in Edwinstowe untertauchen. Und ja, ich hatte bezweckt, dass sie meinem Bruder nahekommt. Das habe ich dir auch lang und breit erklärt.«

»Nur nicht, warum Cheshires Verlangen höher zu bewerten ist als die Unberührtheit meiner Schwester!«

»Heiliges Kanonenrohr«, donnerte William, um sich gleich zurückzunehmen und die Hände zu heben. »Entschuldige. Sie war Witwe. Eine Liebelei hätte sie nicht in Bedrängnis gebracht.«

»Nur wäre sie auf keine Liebelei eingegangen.« Ethan deutete mit dem Finger auf ihn. »Du hast sie dazu gezwungen, und so sehr ich dich liebe …« Er schüttelte den Kopf. »Es fällt mir schwer, das zu verzeihen.«

»Muss ich bei ihr zu Kreuze kriechen, damit du mir wieder wohlgesinnt bist?« Vermutlich würde er dabei zugrunde gehen, aber besser er selbst als ihre Liebe, und die vertrug diese Streiterei nicht ewig. »Was kann ich tun, um dir zu beweisen, dass ich vorrangig uns im Blick hatte, ein klein wenig meinen Bruder, den ich eben auch liebe, und nur zu einem winzigen Teil meinen Groll auf diese perfekte Mischung aus Weiblichkeit und Freude?«

»Sprich nicht so abwertend von ihr. Herrgott, ich weiß einfach nicht, was dein Problem ist.« Ethan ließ die Hände sinken. »Sie hat mich nicht verraten und ich weiß absolut nicht, wie du ihr so schlecht gesinnt sein kannst.«

William verdrehte die Augen. »Es wurde alles nur falsch aufgefasst.« So zumindest versuchte sie, es ihm und allen anderen zu verkaufen. Und das Schlimme war, dass selbst Cheshire und Ethan ihr immer zustimmten, aber er fiel nicht auf sie herein. Angeblich hatte sie seinen Bruder auch gar nicht abgewiesen und er war absolut ohne Grund in tiefe Melancholie verfallen, wenn man ihr Glauben schenken wollte, was er natürlich nicht tat. Sie hatte Ethan angeblich nicht überredet, ein dummes Spiel zu spielen, sodass er in Frauenkleidern erwischt und aus dem Elternhaus geworfen wurde, mit gerade mal sechzehn Jahren und keinerlei Unterstützung, um sein Überleben zu sichern. Nein, ihrer Erinnerung nach war alles ganz anders gewesen! Lachhaft! William hatte es nur als gerecht empfunden, ihr zu zeigen, wie aussichtslos beide Männer gelitten hatten.

»Du kannst einem Kind nicht die Schuld an einer Unbedachtheit geben.« Ethan knirschte mit den Zähnen. »Und im gleichen Zug mir jede Verantwortung absprechen. Herrgott, ich war der Ältere, ich hätte es besser wissen müssen!«

William wollte einwenden, dass sie sich so leicht nicht rauswinden konnte, ließ es aber. Sein Bedürfnis, Ethan zu beschützen, war zu mächtig und er wusste durchaus, dass er es schon mal übertrieb. In diesem Fall vermutlich sogar, auch wenn es ihm schwerfiel, es einzuräumen und von seinem Groll Margarete gegenüber abzukommen. »Du wurdest vor die Tür gesetzt und sie heiratete einen Baron.« Er hob die Brauen. »Ich räume ein, dass ich Boulder nicht in meinem Bett gewollt hätte, aber sie hatte es deutlich bequemer als du.«

»Das hoffe ich«, brummte Ethan. »Alles, was ich bisher so hörte, spricht aber nicht dafür!«

»Und? Wäre es besser geworden, wenn wir sie mitgenommen hätten?«

Sein Blick sprach Bände.

»Sie wird es bei Cheshire gut haben, dessen kannst du dir gewiss sein.« Ob es seinem Bruder auch gut ging, blieb fraglich. »Sie hat ihre Kinder, bekommt ein weiteres … Sie hat eine höhere Stellung als zuvor und wird sicherlich mit Tand überschüttet werden. Anstatt im Dreck herumzuwühlen und Kartoffeln zu ziehen.«

Ethan stieß den Atem aus und fuhr sich durch den hellbraunen Schopf. »Aye. Es war eine egoistische Vorstellung, meine Schwester mit nach Neuseeland zu schleppen, nur damit wir zusammen sein können.«

»Nein, war es nicht.« William räusperte sich. »Eigentlich war es eine gute Idee.«

Sein Gegenüber runzelte die Stirn. »Ein Kind in der Wildnis großzuziehen? Eine schwangere Frau auf ein Schiff zu setzen, wenn sie sich schon an Land ständig übergibt?«

»Schön, aber das war auch nicht eingeplant gewesen.« Er zuckte die Achseln. »Nehmen wir eine, die sicher kein Kind in sich trägt.«

Ethan blinzelte. »Wie bitte?«

»Es hat sich nichts geändert, außer dass Maggie in England bleiben muss und für die Fortsetzung der Linie der Coleridges verantwortlich ist.« Wieder hob er die Schultern. »Oder?«

Einen Moment starrten sie einander an, dann sank Ethans Blick langsam ab, seine Schultern folgten, und dann nahm er auch noch auf dem Boden vor dem flackernden Feuer Platz, um hineinzustieren. »Die Notwendigkeit lässt sich nicht bestreiten, aber die moralische Verantwortung …« Er seufzte abgrundtief. »Wie soll ich guten Gewissens einer Frau …«

William setzte sich eilig zu seinem Liebsten und legte ihm die Hand auf das Knie, um es beruhigend zu reiben. »Nicht irgendeiner. Ich habe mir Gedanken gemacht und …«

»Oh Gott, will ich das hören?« Ethan starrte ihn entsetzt an. William klappte den Mund zu. »Deine Pläne sind entweder schlecht durchdacht oder völlig gewissenlos.«

So hätte er es nicht dargestellt, aber völlig von der Hand zu weisen war es wohl auch nicht, also zuckte er die Achseln. »Ich weihe dich dieses Mal in jedes Detail ein«, schlug er vor. »Ich bin zielstrebig und übersehe womöglich hin und wieder unbedeutende Kleinigkeiten. Aber wir können deine moralischen Bedenken vorweg besprechen.« Natürlich war es eine Finte und er würde nur Dinge absprechen, von denen er zumindest annahm, dass der Geliebte damit leben konnte.

»Oh. Ich hätte nicht erwartet, dass du Fehler einräumst.« Ethan griff nach seinen Fingern, um sie zu drücken. »Dein Ungestüm ist das am wenigsten Liebenswerte an dir.«

Das war fast als Beleidigung aufzufassen. »Deine Lethargie …«, deutete er an.

Sein Gegenüber prustete. »Bitte was?«

»Du zerdenkst alles. Liebster, wir stehen mit dem Rücken zur Wand, das musst du doch auch sehen.« So manches Mal wollte er ihn einfach nur schütteln. »Wir können die Abreise nicht mehr ewig aufschieben und in Neuseeland haben wir dann ein Problem.«

Ethan nickte. »Ich weiß. Vielleicht ist es besser …« Seine Stimme brach und er räusperte sich. »Wenn ich allein gehe.«

William lachte, obwohl der Vorschlag alles andere als lustig war. »Nur über meine Leiche, Liebster!« Und bevor es dazu kam, müssten einige andere dran glauben, denn er war bereit, wie ein Berserker für seine Liebe zu kämpfen.

»Will…«

»Nein«, beschied er felsenfest. Er warnte ihn mit einem strengen Blick, ihm nicht weiter zu widersprechen. »Wir brauchen nur eine Alibi-Frau. Es hat sich nichts geändert.«

»Es hat sich alles geändert«, widersprach Ethan nun doch. »Ich wollte nicht irgendeine Frau ins Unglück stürzen, sondern meine Schwester vor der Einsamkeit der frühen Witwenschaft retten.«

»Jetzt retten wir eine andere davor, als spätes Mädchen zu enden.« Er zuckte die Achseln. »Manchmal denke ich, dass ich dir nicht wichtig genug bin, damit du ebenfalls für unser Glück kämpfst.«

»Auf Kosten anderer?«, hielt Ethan dagegen. »Und wenn du an Lizzy denkst, sie ist kein spätes Mädchen.«

»Gott bewahre!« Er lachte schallend. »Lizzy hat Haare auf den Zähnen. Sie ist eine jüngere, bissigere Ausgabe deiner Maggie und hat nicht einmal den Vorteil, dass du dich nach ihrer Gesellschaft verzehrst.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, unser Mädchen muss reizlos sein, folgsam und fromm.«

»Ja, da fällt mir gleich ein ganzes Bataillon Frauen ein, auf die diese freundliche Beschreibung zutrifft.« Er verdrehte die Augen. »Reizlos. Herrgott, ich hoffe, mir kommt keines der Mädchen unter die Augen, die du so betiteln würdest.«

William schmunzelte. »Jedes weibliche Wesen ist per se für mich reizlos, also beruhige dich wieder.«

»So hast du es aber nicht gemeint.«

»Nein«, gab er zu. »Ich spreche davon, für Männer mit entsprechenden Gelüsten nicht von Interesse zu sein.«

Ethan seufzte schwer. »Du wirst dich nicht davon abbringen lassen, oder?«

»Nein.«

Sein Gegenüber atmete tief durch. »Eine reizlose Frau, die bereit ist, ein Abenteuer einzugehen. Wo bekommen wir die her?«

William schmunzelte. Sein Liebster wäre überrascht zu erfahren, dass sich so ein Geschöpf gar nicht weit entfernt aufhielt und sich vermutlich bereits den Kopf zerbrach, wie es ihm gefallen könnte. »Welche Wünsche haben wir an unsere zukünftige Gesellschafterin?«

Ethan schnaubte verdrossen. »Wenn du es so hinstellst: belesen und aufgeschlossen zu sein.«

»Ein Bücherwurm im Hause eines Missionars?« Ethan hielt sich den Bauch vor Lachen. »Wir haben unterschiedliche Vorstellungen von deiner Rolle, mein Lieber!«

»Ja, offensichtlich. Soll ich den bigotten Geistlichen mimen, der alles und jeden verdammt?« Er sprach nicht aus, dass er damit seinem Vater gleichen würde, aber das war auch nicht nötig. William hatte sich genügend Geschichten angehört, um sich ein sehr genaues Bild von jedem Angehörigen der Familie Bennett zu machen.

»Ich sehe es geradezu vor mir.« Er prustete und schlug ihm auf das Knie. »Oh, herrlich!«

»Nein, heuchlerisch! Ich sollte gar nicht mehr Gottes Wort predigen. Seit wir uns kennen schon nicht mehr.« Ethan rieb sich kräftig über das Gesicht. »Aber was wird dann aus uns?«

»Wir spielen Farmer in den Kolonien. Schafe, Kühe, Korn, was immer du willst.«

Ethan schnaubte. »Du nimmst mich nicht ernst.«

»Oh doch.« Er beugte sich vor, um ihn sacht zu küssen. »Du vergisst nur einen Punkt: Es ist egal, was wir tun, wir werden immer für Verachtung und Ablehnung sorgen. Egal wo auf dieser verflucht engstirnigen Welt.«

»Ja«, murmelte Ethan. »Und das macht mir Sorgen.«

»Die Alternative beunruhigt mich, Ethan«, sagte William ernst. »Willst du dir eine Frau nehmen? Mit ihr Kinder zeugen? Dich dein Lebtag selbst verhehlen, um dann doch gerichtet zu werden für das, was du nun mal bist?« Er streichelte seine bärtige Wange. »Wir sterben. Und ja, der Weg, den wir gewählt haben, steckt voller Gefahren. Aber ich lebe lieber diesen Moment mit dir als Jahre in Gesellschaft einer reizenden Lady.« Und alles, was er sich wünschte, war, dass dieser Mann es genauso sah. »Bleiben wir realistisch. Wir brauchen jemanden, der uns nicht verrät. Jemanden, der harte Arbeit und Entbehrungen gewohnt ist. Jemanden, der formbar und fügsam ist. Und verzweifelt genug, uns zu folgen.«

Ethan schüttelte den Kopf. »Nein, du wirst niemanden …«

»Von sich aus«, beruhigte er ihn. »Eben weil sich kein Mann je mit ihr vermählen würde. Eine unscheinbare, arme … Verwandte.«

Ethan sog den Atem ein. Seine Augen wurden rund und William konnte sich sicher sein, dass er verstand. Er sagte nichts, formulierte keine Verteidigung, sondern starrte ihn nur an.

»Ohne Aussichten. Ohne Zukunft.«

»Sie ist zu jung«, krächzte Ethan und zog die Hände zurück, um aufzustehen und durch den Raum zu wandern. »Und du irrst dich. Maggie wird sie …«

»Oh, bestimmt. Aber hast du dich auf dem Heiratsmarkt schon mal umgesehen?« Er lachte und beschloss, besonders harsch zu sein, um dem liebenswerten Dummkopf keine Illusionen zu lassen. »Ein Haufen Mädchen aus gutem Haus, mit hervorragender Reputation, einer dicken Mitgift und untadeligen Manieren flutet jede Saison die Ballsäle der Stadt. Ein Niemand wie Caroline hat Glück, wenn er überhaupt wahrgenommen wird, und vergessen wir nicht, dass sie … ungeschickt ist.«

Ethan stöhnte gedehnt. »Das war bestimmt nur ein Versehen. William, sie wird …«

»Noch bildhübsch werden?«

Sein Liebster starrte ihn grimmig an.

»Überraschend eine große Erbschaft machen? Plötzlich nicht mehr unter Maggies Reputation zu leiden haben?« Das brachte Ethan dazu, Einspruch zu erheben, und William schüttelte bedeutend den Kopf. »Die Eheschließung mit meinem Bruder schützt Maggie, aber Lizzy und Caro …«

Ethan fluchte und stapfte durch den Raum.

»Lizzy können wir nicht retten.«

Ethans Blick schoss sich auf ihn ein. »Warum nicht Lizzy? Caro hat noch Zeit. In einigen Jahren könnte sich die Situation geändert haben. Mit einem Erben stände Maggie besser da und jeder Skandal verblasst mit den Jahren.«

»Und wird hervorgekramt, wenn es wieder interessant wird, wie zum Beispiel zum Debüt der Schwester.« William hielt seinem Zorn stand. »Meine Mutter hörte von deiner Verbannung, als Maggie vorgestellt wurde. Sie war sich sicher, dass Maggie keinen Antrag erhalten würde, und glaubst du, deine anderen Schwestern Agnes und Christobel hätten sich tatsächlich aus Liebe für ihre Gatten entschieden? Einen glücklosen Soldaten und einen Priester.« Er verdrehte die Augen. »Sei bitte kein Narr.«

»Ich …« Ethan presste die Lippen aufeinander.

»Lizzy ist zu …« Er suchte nach dem passenden Ausdruck, ohne ihn zu finden.

»Hübsch?«, schlug Ethan verärgert vor.

»Selbstständig? Sich ihres Grolles auf die Welt bewusst?«

Ethan schnaubte.

»Ihre Launen auszuhalten, könnte sehr unangenehm werden. Caroline scheint seichter im Gemüt zu sein. Sie denkt nicht darüber nach, was man ihr alles genommen hat.« William stand auf. »Lizzy ist wütend. Auf Maggie vermutlich.«

»Dabei ist es nicht ihre Schuld!«, knirschte Ethan. »Herrje, schön, sie hat keinen Erben geboren, aber Boulder ist auch vor seiner Zeit gestorben.«

William zuckte die Achseln. Ihm waren Boulder und Maggie ziemlich egal. »Es wird nicht besser werden. Sie wird sich immer betrogen vorkommen. Lizzy hat aber diesen kleinen Vorteil, einigermaßen hübsch zu sein. Mit einem finanziellen Anreiz bestände die Möglichkeit, doch jemanden zu finden, der sich ihrer erbarmt.«

»Aber Caroline …« Ethan fluchte und hieb auf den Bettpfosten ein.

»Ist keine Schönheit, harte Arbeit gewohnt und hat keine Träume, die unseren Plänen im Wege ständen.« Simpel und einfach.

 

Caroline schlich durch den dunklen Korridor. Sie hatte nur eine ungefähre Vorstellung davon, wo sich die Bibliothek befand, aber in der Nacht sollte es auch kein Problem sein, einige Zimmer abzuklappern. Ihre Lampe gab nicht besonders viel Licht ab, aber sie hatte nicht wieder durch ein völlig unbeleuchtetes Haus tapsen wollen. Die nächste Tür führte in einen großen Raum mit einem Pianoforte. Caroline seufzte. Da das Haus riesig war, konnte sie eine Weile mit der Suche beschäftigt sein. Das nächste Zimmer, das sich anschloss, war ein Salon und darauf folgte noch ein Salon. Sie blieb in der Tür stehen und schüttelte den Kopf. So eine Verschwendung von Raum! Wozu brauchte man mehrere Aufenthaltsräume, wenn sie kaum zur selben Zeit genutzt werden konnten?

Sie hörte ein Lachen. Im ersten Moment wollte sie die Tür zuschlagen und davonrennen, so schnell sie ihre Beine trugen, aber etwas hielt sie im letzten Moment davon ab. Stattdessen huschte sie auf das Geräusch zu und lehnte sich atemlos an die doppelflüglige Tür.

»Du bist unmöglich, Ethan«, säuselte Margarete. Caroline stieß sich ab und starrte die Maserung an. Ethan?

Sie sollte gehen. Was auch immer hinter dieser verschlossenen Tür geschah, ging sie nichts an. Ihre Finger bebten, trotzdem streckte Caroline sie nach der Klinke aus und schob diese herunter. Es knatschte leise und ihr Herz klopfte wild. Sie konnte sagen, dass sie sich nur ein Buch ausleihen wollte, dass sie nicht gehört hatte, dass sich jemand in dem Raum befand. Sie senkte die Hand mit der Lampe und schob sie hinter sich, als sie die Tür einen kleinen Spalt aufdrückte. Flackerndes Licht begrüßte sie.

Die Laute, die sie nun vernahm, waren merkwürdig. Schmatzend und seufzend. Sie schob die Tür ein Stück weiter auf und schaffte es endlich, einen Blick auf ihre Schwester zu werfen, die in den Armen eines Mannes lag. Carolines Herz stockte, da sie zunächst nur das dunkle Haar erkennen konnte, das sie augenblicklich an William erinnerte. Dann seufzte der Mann und murmelte: »Ich liebe dich, Maggie.«

Die Stimme war anders.

»Oh, Ethan, du ahnst nicht …«

»So sehr wie ich dich.« Er lachte leise. »Ich bin so wahnsinnig glücklich.« Anstatt sich aufzurichten, schien er weiter abzusinken. Margarete legte den Kopf zurück, ihre Finger fuhren durch das volle dunkle Haar ihres Gatten, der diese schmatzenden Geräusche verursachte.

»Wir sollten uns zurückziehen.« Margarete kicherte, machte aber keine Anstalten, sich aus den Armen des Earls zu lösen. Sie schien sich eher noch gegen ihn zu pressen. »Wenn es nicht so weit wäre!«

Caroline bekam heiße Wangen, als sie beobachten musste, wie sich der Lord am Kleid ihrer Schwester zu schaffen machte. Er öffnete es und zog es über ihren Oberkörper herab, um das Gesicht dann in ihre Büste zu stecken.

Caroline quiekte. Das erschreckte sie zusätzlich und sie ließ die Lampe fallen. Nun schrie sie erneut. Die Tür wurde aufgerissen und der derangierte Lord stand vor ihr.

»Was … Caroline?«

Sicher glühte sie ähnlich wie er, zumindest spürte sie, dass ihre Wangen lichterloh brannten. Sie kniete sich schnell hin, um die Lampe aufzunehmen. »Das … das tut mir leid, ich wollte nicht …« Sie rieb über den Teppich.

»Caro«, sagte ihre Schwester und berührte ihre Schulter. »Was machst du mitten in der Nacht auf dem Flur?« Sie hatte das Kleid wieder hochgezogen, aber es rutschte, da es im Rücken geschlossen werden musste.

»Bücher. Lesen.« Sie keuchte. »Ich sollte mir doch Beschäftigung suchen.«

»Ah.« Margarete wechselte einen Blick mit ihrem Gatten. »Komm doch bitte kurz rein, Caro. Ich denke, wir sollten über das sprechen, was du gesehen hast.« Ihre Hand schloss sich um Carolines Oberarm, wodurch sie keine Wahl hatte. Sie musste ihrer Schwester in das Zimmer folgen, das sich als die gesuchte Bibliothek herausstellte und nicht nur vom flackernden Kaminfeuer beleuchtet wurde, sondern auch durch etliche Kandelaber auf den Tischen.

Margarete räusperte sich, rang die Hände und suchte den Blick ihres Gatten. »Ich nehme an, dass du … gesehen hast, wie seine Lordschaft und ich einander … küssten.« Sie räusperte sich erneut. »Es erscheint dir sicherlich skandalös und ja, gemeinhin sollte sich ein Paar zu jeder Zeit …«

»Maggie«, murmelte Cheshire. »Ist es nicht zu viel Druck? Sicherlich ist gegen ein gewisses Maß an … Vertrautheit nichts einzuwenden.«

Margaretes Augen weiteten sich. »Cheshire«, zischte sie. »Küsse? Berührungen? Lösen der Kleidung? Das ist absolut indiskutabel!« Sie blinzelte und runzelte die Stirn. »Für ein unverheiratetes Mädchen«, schränkte sie ein. »In einer ehelichen Verbindung sollte dergleichen auch nur …« Sie presste die Lippen aufeinander.

»Im stillen Kämmerlein stattfinden«, endete der Earl mit einem tiefen Seufzen. »Miss Caroline, ich muss mich in aller Form für mein schlechtes Benehmen entschuldigen. Ihrer werten Schwester ist kein Vorwurf zu machen.«

Caroline schüttelte den Kopf. »Ich …«

»Nein, so stimmt das nicht«, widersprach Margarete energisch. »Ich habe mich hinreißen lassen. Ich bin ebenso schuldig wie du, Ethan. Wir wissen es beide besser.« Sie verhakte ihren Blick mit seinem und aus ihrer Miene wich die Strenge. Auch in sein Gesicht schlich sich eine gewisse Entrückung. Caroline schaute von einem zum anderen, sicher, bereits vergessen worden zu sein. Tatsächlich streckte Margarete die Hand nach ihm aus und ein zartes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen.

Caroline schüttelte den Kopf. Das hier war verrückt. Sie räusperte sich und beide schreckten auseinander.

»Oh!« Margarete strich hastig ihr Kleid glatt. Ihre Wangen waren gerötet. »Natürlich. Caro, Küsse und … Weiteres sind ein Ausdruck ehelicher Zuneigung. Du darfst keinesfalls einem Herrn gestatten, dich so oder ähnlich zu berühren. Ein wahrer Gentleman …« Wieder schweifte ihr Blick zu dem Earl of Cheshire. »… bringt dich nicht in eine Lage, in der du ihn abweisen müsstest.« Sie hob spöttisch die Brauen.

»Womöglich nicht«, grummelte ihr Gatte. »Aber …«

»Oh nein, keinen Widerspruch in dieser Angelegenheit.« Sie richtete den Finger auf ihn. »Herrgott, ja, nicht alle Männer sind verdorben.« Sie verdrehte die Augen. »Und nicht jeder Annäherungsversuch ist negativ auszulegen, aber jedem Gentleman muss bewusst sein, dass er auf eine Ohrfeige zusteuert, wenn er eine Dame zu küssen versucht, die nicht seine Gemahlin ist!«

Cheshire zuckte die Achseln. »Einer jungen Dame sollte bewusst sein, dass jeder Gentleman auch nur ein Mensch ist, der Fehler macht. Oder nicht in der Lage ist, seine Gefühle adäquat zu äußern.«

»Nun, das darf aber nicht das Problem der Dame sein. Wir können nicht die Gedanken des Gentlemans lesen, der sich uns unsittlich nähert.« Margarete stemmte die Hände in die Hüfte.

»Ja, vielleicht ist es schwierig, aber glaube mir, leicht ist es für uns auch nicht.« Cheshire streckte die Hände nach ihren aus und ergriff sie. Caroline hatte einmal mehr das Gefühl, vergessen worden zu sein. Er zog ihre Schwester zu sich, und sie schmiegte sich an seine Brust. Skandalös.

»Darling, eine Lady für sich zu gewinnen, ist tatsächlich nicht gerade eine leicht zu lösende Aufgabe.« Er drückte seinen Mund auf die Stirn seiner Gattin, und Caroline hielt es für angeraten, sich bemerkbar zu machen.

»Bevor ihr euch hier wieder im Skandalösen ergeht …«

Margarete schreckte auf.

»Ich würde mir gern ein Buch aussuchen und dann zu Bett gehen.«

»Oh.« Margarete strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Ja, wir sollten … Moment!« Sie löste sich aus den Armen ihres Mannes und streckte die Schultern, wodurch das Kleid ins Rutschen geriet. »Caroline, ganz gleich, was Lord Cheshire dazu zu sagen hat: Du wirst den Avancen eines Mannes unter allen Umständen entgegenwirken. Es ist unabdinglich, dass kein Zweifel an deiner Reinheit entsteht, und Menschen …« Sie presste kurz ungehalten die Lippen aufeinander, bevor sie fortfuhr: »Sie reden und ihnen ist es völlig gleich, wessen Ruf dabei zunichtegemacht wird. Selbst ein untadeliges Benehmen kann zu Gerede führen, aber es ist immer besser, zumindest selbst zu wissen, dass es haltlose Lügen sind.« Sie hob das Kinn. »Caroline, bitte versprich mir, äußerte Obacht zu geben.

---ENDE DER LESEPROBE---