Emmas Flucht ins Glück - Katherine Collins - E-Book

Emmas Flucht ins Glück E-Book

Katherine Collins

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Beschreibung

Emma Scott ist verzweifelt. Verlobt mit dem zwielichtigen Marquess of Belmont, gibt es für sie nur einen Weg dem Unglück zu entkommen: die Flucht. Unterstützt von ihren Freundinnen verschwindet sie aus dem Pensionat. Anstellung findet sie bei der Countess of Eastwick. Dass der Herr des Hauses nur zu häufig ein Auge auf seine Angestellten wirft, macht ihre Lage schwierig, und dass der Bruder ihrer Arbeitgeberin sie völlig durcheinander bringt, macht es auch nicht leichter eine Entscheidung zu treffen. Soll sie bleiben? Soll sie James Verführung stattgeben? Oder erneut flüchten?

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Seitenzahl: 311

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Katherine Collins

Emmas Flucht ins Glück

Love is waiting

 

 

 

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- gekürzte Vorschau -

Inhaltsverzeichnis

Titel

1. Kapitel 1 Lord Severins Hochzeit

2. Kapitel 2 Ein Ausweg aus der Hölle dringlichst gesucht!

Impressum tolino

1. Kapitel 1 Lord Severins Hochzeit

Severin Court, Bath, April 1815

Eine laue Brise wehte über die bevölkerte Wiese und bot den ausgelassen feiernden Hochzeitsgästen eine leichte Abkühlung. Unter den unzähligen Pavillons fanden diese auch eine Vielfalt von Delikatessen und Schutz vor der ungewöhnlich warmen Frühlingssonne. Livrierte Diener trugen Tabletts mit Champagner, Ratafia, Wein und anderen Alkoholika durch die Menge, während Hausmädchen bereitstanden, den Herrschaften jeden Wunsch zu erfüllen. Die Küche hatte ein formidables, leichtes Mittagsmahl bereitet und würde nun bereits wieder die Kochlöffel schwingen, um das Dinner vorzubereiten, das vor dem Ball am Abend den bereits Anwesenden gereicht werden sollte.

Emma Scott sah sich verwundert um. Sie kannte so gut wie niemanden auf dem Fest, obwohl man annehmen sollte, dass auf der Hochzeitsfeier ihrer eigenen Familie jede Menge bekannter Gesichter wären. Jedoch: Nicht ein Verwandter war erschienen.

Besorgt runzelte sie die Stirn. Es gab nicht viele Verwandte, mit denen sie in Kontakt stand, was allein ihrem Vater anzurechnen war. Der Baron war nicht von der geselligen Sorte, eher grob und laut. Aber zumindest jene Wenigen hätte sie auf einer Feierlichkeit wie dieser erwartet, der Hochzeit ihres Vaters, dem Baron Severin. So mussten die Feiernden zum Teil zumindest zu der Familie der Braut gehören, was ihr allerdings ebenso seltsam erschien.

Ihre frischgebackene Stiefmutter Maria-Luisa, vormals Cunnings, nun Scott, war bis zu Beginn der Wintersaison Schülerin in jenem Internat gewesen, das auch Emma besuchte. Sie kannten sich, wenn auch flüchtig, war Maria-Luisa doch zwei Jahre älter als Emma und suchte eher die Gesellschaft gleichaltriger Mädchen. Die jüngere Schwester Maria-Luisas jedoch war recht gut mit Emma bekannt, wenn sie einander auch nicht Freundinnen nennen würden. Clara-Catherina, jene Schwester, war nicht zugegen, obschon sie im gleichen Alter wie Emma war. Das war es jedoch nicht, was sie verunsicherte, da Emma auf strikten Befehl des Vaters teilnehmen musste. Mit sechzehn war es zwar möglich, dass Maria-Luisas und Clara-Catherinas Vater die Teilnahme verwehrte, aber dann sollten der Gentleman und seine Gemahlin doch anwesend sein. Oder die sicherlich geladenen Großeltern, immerhin Viscount Thornton und der Earl of Sussex. Die Mädchen hatten auch noch einen Bruder und diverse Cousins und Cousinen, die Emma zwar nicht alle benennen, aber von denen sie mit Sicherheit sagen konnte, dass nicht einer der Anwesenden eindeutig als eben jene Verwandte bezeichnet werden konnte. Für den Bruder waren die anwesenden Herren bei weitem zu alt, für die Großeltern wiederum zu jung. Abgesehen davon, dass sich die Herrschaften keinesfalls angemessen betrugen.

Emma senkte den Kopf, um unter einen Pavillon zu treten und nahm sich ein Horsd´œuvre. Nur wenige Meter weiter saß ihre Stiefmutter und sah mindestens so verwirrt aus, wie Emma sich fühlte. Suchte Maria-Luisa ebenfalls nach einem vertrauten Gesicht? Ihre Augen trafen sich für einen kurzen Moment, dann wurde die Aufmerksamkeit der Braut von ihrem Bräutigam auf sich gezogen. Baron Severin riss sein frischgebackenes Weib an sich und drückte ihr vor aller Augen einen mehr als unschicklich intimen Kuss auf.

Emma wandte erschaudernd den Blick ab. Nur zu gern verließe sie die Feierlichkeiten, nicht nur, weil sie Maria-Luisa bedauerte. Ihr Vater war kein Mensch von Zartgefühl. Im Gegenteil zeichnete er sich doch eher durch seine Gefühlskälte aus, die er nicht nur ihr, seiner Tochter, angedeihen ließ. Gerade litt seine Braut darunter, griff er doch schamlos in den Ausschnitt und verkündete lauthals, welch prachtvolle Rundungen ihn in der Nacht erquicken würden.

Maria-Luisa erbleichte, und Emma schloss die Augen. Emma hatte noch kein Wort mit dem Mädchen wechseln können. Sie wunderte sich, seit sie von der angestrebten Verbindung Kenntnis erlangte, was Maria-Luisa dazu bewogen haben mochte, Baron Severins Antrag anzunehmen. Nach einer Antwort suchend, warf sie erneut einen Blick auf das Hochzeitspaar. Maria-Luisa war den Tränen nahe und wendete den Kopf von ihrem Gatten ab. Das Mädchen war nicht sonderlich groß gewachsen, reichte ihrem ebenfalls kleinen Ehemann aber bis zur Schulter. Sie hatte rötlich-blondes Haar und sensible braune Augen. Sie war hübsch anzusehen. Ihr Stammbaum war nicht so schlecht, dass einen Baron einzufangen, gleich welchen, einen Erfolg bedeuten konnte. Und da Clara-Catherina stets ihre hohe Mitgift anpries, würde auch mangelndes Vermögen keinen Grund darstellen, Baronin Severin werden zu wollen.

Emma wechselte die zu betrachtende Person. Ihr Vater konnte weder mit seinem Aussehen noch mit seinem Benehmen einen Blumentopf gewinnen. Selbst für seine 54 Jahre sah Leslie Scott erbärmlich aus. Nicht nur, dass seine beleibte Gestalt nur leidlich in den vor drei Wochen maßgeschneiderten Anzug passte. Sein unförmiger Leib war auch noch von offenen Stellen bedeckt, die leider nicht vor seinen Händen und dem Gesicht haltmachten. Sein früh ergrautes, schütteres Haar und der gierige Ausdruck in seinem entstellten Gesicht machten ihn zudem noch unsympathisch. Seine gesellschaftliche Stellung war selbst für einen Baron eine Beleidigung, schließlich mied ihn ein großer Teil seiner eigenen Familienangehörigen. Selbst jene, die wie er selbst auch nahe Bath lebten, empfingen ihn nicht.

Was hatte Maria-Luisa nur in diese bedauernswerte Situation gebracht?

Emma seufzte und biss in ihr Häppchen. Sie selbst war nur zu glücklich, alsbald in das Pensionat zurückkehren zu können, in dem sie dann, mit etwas Glück, weitere zwei Jahre ausharren konnte, bevor sie ihr Debüt beging. Sie strich die Krümel von ihren weißen Satinhandschuhen und sah dabei an sich herab. Ihr Kleid war ein Skandal. Der Ausschnitt war so tief angesetzt, dass sie kaum wagte zu atmen. Nur ein schmaler Streifen Taft schloss die Kante ihres Mieders ab, die gerade eben das Allernötigste bedeckte. Sie hatte ihren Vater am Morgen schriftlich verständigt, dass sie dieses Gewand unmöglich tragen konnte. Daraufhin war ihr Vater höchstpersönlich in ihr Zimmer gestürmt, um sie von oben bis unten zu begutachten.

»Es ist genau so, wie es sein soll, Mädchen!«, hatte er gebellt und eine scharfe Warnung hintangestellt: »Wage es nicht, meine Gäste zu brüskieren oder dich ohne meine Erlaubnis zurückzuziehen! Sei freundlich zu den Herren, einer mag dein zukünftiger Herr sein!«

Sie erschauerte in der Reminiszenz des Morgens, der ähnlich desaströs fortgeschritten war. In der Kirche war sie von einem Herrn bedrängt worden. Er hatte sie in die Arme gezogen, sie geküsst und versucht das Kleid von seinem Platz zu schieben, um seine Hand in ihren Ausschnitt zu quetschen. Sie war ihm gerade noch entwischt.

Maria-Luisa sah sich ähnlichen Übergriffen ausgesetzt. Von ihrem Gatten. Vor der gesamten Hochzeitsgesellschaft. Emma erschauderte angewidert und verließ den kleinen Pavillon. Es war schwierig, jedem Gentleman aus dem Weg zu gehen. Zumal der missbilligende Blick ihres Vaters immer auf ihr lag, wenn sie einer Begegnung aus dem Weg ging oder sie sich schnell wieder verabschiedete.

»Miss Scott.«

Emma seufzte verzweifelt und drehte sich mit einem gequälten Lächeln zu dem Mann um, der sie angesprochen hatte. Der Gentleman grinste mit kalten Augen auf sie herab. Er schien im gleichen Alter zu sein wie ihr Vater und beugte sich über ihre Hand. Seine Lippen drückten sich fest auf ihre Knöchel. Als er sich wieder aufrichtete, wanderte sein Blick genüsslich über sie hinweg.

»Wie schön, dass wir uns kennenlernen, Miss Scott. Darf ich Ihnen versichern, dass Sie von eben solch großer Anmut sind wie Ihre werte Mutter.«

Er schenkte ihr ein weiteres schmieriges Grinsen und klemmte ihre Hand in seine Armbeuge, um sie sogleich mit sich zu ziehen.

»Verzeihen Sie, meine Hübsche, habe ich mich eigentlich vorgestellt?« Er zog seine buschige Augenbraue hoch, und seine Lippen verbogen sich überheblich. »Belmont, zu Ihren Diensten.«

Der Marques zog führte sie mit sich in Richtung Herrenhaus und bedeckte ihre Finger auf seinem Arm mit der Hand, damit sie sich ihm nicht entziehen konnte.

Emma huschte ein unangenehmer Schauer über den Rücken. Alles in ihr wünschte sich, der Berührung des Mannes zu entgehen. Ein schneller Blick über die Schulter bewies ihr aber, dass ihr Vater sie noch immer im Auge behielt. Emma schluckte und ging resigniert auf das Gespräch ein, indem sie seinen Hinweis aufnahm. »Sie kannten meine Mutter, Mylord?«

»Oh, ja.« Belmont grinste anzüglich auf sie herab, als er versicherte: »Wir waren sehr eng befreundet.« Seine Augen fuhren erneut über ihre Gestalt, und die Intensität in seinem Blick ließ sie wünschen, weit weg zu sein. Allein!

»Ich hoffe, Emma, dass Sie mir bald genauso geneigt sein werden, wie es einst Ihre Mutter war.« Belmonts Stimme senkte sich. »Ich freue mich bereits darauf, Emma.« Er verharrte in seinem schnellen Schritt über die Festwiese und wendete sich ihr zu. Damit war sie gezwungen, ebenfalls stehen zu bleiben. Der Lord legte seine behandschuhte Hand an ihr Kinn, um es anzuheben.

»Sie sind ihr verdammt ähnlich, Emma. Sie war ebenso zart. Ihre Wangen so rosig wie ihre Lippen nachgiebig.«

Emma riss die Augen auf. Sie musste sich verhört haben. Seine Lippen wellten sich, als mokierte er sich über sie. Sein Blick haftete sich kurz auf ihren Mund.

»Als ich Ihre Mutter kennenlernte, war sie kaum älter, als Sie es nun sein können«, stellte er fest. »Sie war etwas fraulicher, wobei ich kleine Brüste bevorzuge.«

Emma klappte der Mund auf, nicht das einzige Anzeichen ihres Schocks, denn ihre Wangen brannten, und sie starrte ihn mit großen, entsetzten Augen an.

»Und pralle Pobacken.« Er grinste schmierig auf sie herab, entließ ihr Kinn und fuhr mit der Hand über ihren schlanken Hals und weiter über ihr Dekolleté. Schnell trat Emma zurück, um der Berührung zu entgehen.

»Mylord!«, quiekte sie und wurde aufgehalten. Seine Hand fing ihren Ellenbogen ein, und er zog sie weiter.

»Nun, vielleicht ist dies nicht das passende Sujet für diesen Moment. Ihr Vater trug mir auf, eine Bitte an Sie zu richten: Helfen Sie Lady Severin dabei, sich für den Ball umzukleiden. Selbstverständlich erst, wenn Sie selbst angekleidet sind.« Seine Lippen kräuselten sich. »Erweisen Sie mir die Ehre eines Tanzes? Der Walzer nach dem Supper? Hervorragend.«

Emma öffnete den Mund, um ihn darauf hinzuweisen, dass sie nicht tanzen würde. Schon gar keinen Walzer, aber er verbeugte sich bereits vor ihr. Also schluckte sie den Widerspruch herunter, verabschiedete sich mit dünner Stimme und beeilte sich, die Stufen zu erklimmen. Am Absatz warf sie einen Blick zurück. Der Marques sah ihr mit einem Blick nach, der ihr das Herz in die Hose rutschen ließ.

Emma hatte sich von ihrer Zofe für den Ball herrichten lassen und eilte in ihrem hellrosa Abendkleid mit den unzähligen rosaroten Blüten auf den wogenden Gazeröcken und an ihrem Dekolleté zum Gemach ihrer Stiefmutter. Sie klopfte an die Tür zu dem kleinen Aufenthaltsraum und öffnete sie langsam, obwohl sie keine Aufforderung zum Eintreten erhalten hatte. Sie war schon halb durch den dunklen Raum gelaufen, als sie bei einem schauderhaften Geräusch erschrocken stehen blieb. Was war das? Die Tür zum Schlafzimmer stand offen, und sie konnte sehen, wie jemand die junge Baronin aufs Bett warf.

Die Braut schrie wieder panisch auf und erhielt eine Ohrfeige, die die Gegenwehr des Mädchens durchbrach. Ohne einen weiteren Mucks von sich zu geben, ließ sie sich das Mieder ihres Brautkleides herunterziehen. Emma war schockiert über den rüden Umgang ihres Vaters mit seiner Braut, aber nicht wirklich verwundert. Baron Severin war kein zartfühlender Mann, nicht einmal seiner Tochter gegenüber. Emma drehte sich, im Begriff das Zimmer zu verlassen. Sich einzumischen, bedeutete lediglich, eine Strafe zu kassieren.

»Ich habe mich schon gefreut, dich kennenzulernen«, lachte Belmont heiser. »Komm, lehn dich über das Fußende.«

Schockiert blieb Emma stehen und verfolgte, wie die schluchzende Stiefmutter vom Bett gerissen und über das erhöhte Ende desselben gedrückt wurde. Eindringlich flehte das Mädchen um Gnade und um Hilfe. Sie riss damit Emma aus ihrer Erstarrung. Sie musste Maria-Luisa helfen! Sie konnte nicht zulassen, dass sich der Marques of Belmont der Braut aufdrängte. Dass er genau das vorhatte, war sogar für ein unbedarftes Mädchen wie sie offensichtlich.

Die kalte Stimme ihres Vaters hielt Emma nach zwei raschen Schritten zurück. »Nun hör schon auf zu flennen, du dummes Ding! Umso ruhiger du hältst, umso schneller ist es vorbei.«

Emma erstarrte in der Bewegung. Ihr Vater war hier? Verwirrt blinzelte sie. Severin war vorgetreten und drückte das Gesicht seiner Gattin in die Decke.

»Sei still!«

»Lass sie schreien, Severin. Es gibt nichts Vergnüglicheres, als einem schreienden Weib den Grund dazu zu liefern!«

Was folgte, würde Emma zukünftig in ihren Träumen verfolgen. Sie floh entsetzt. Sie wollte fort von diesen Monstren und wusste doch, dass es keinen Ausweg für sie gab. Sie konnte ihr Schicksal nicht ändern, ihre Familie oder auch nur den Moment. Sie war machtlos der Unbill ihres Vaters ausgesetzt und fürchtete sich nun mehr denn je vor dem, was auf sie warten mochte.

Emma nahm nicht am Ball teil, sondern verbarg sich auf dem Dachboden in den vergessenen Hinterlassenschaften ihrer Mutter, die, verstaut im hintersten Winkel des Dachbodens, nur auf sie zu warten schienen. Es beruhigte sie, deren abblätterndes Porträt zu betrachten und ihr Gesicht in den eingemotteten Kleidern der Toten zu verstecken. Vergessen ließ es sie nicht. Auch am nächsten Tag ließ sie sich wegen einer Krankheit entschuldigen und folgte am dritten Tag nur widerwillig dem Befehl ihres Vaters, sich in seinem Arbeitszimmer einzufinden. Zu ihrem schieren Entsetzen war auch der widerwärtige Marques anwesend und begrüßte sie mit einem anzüglichen Grinsen.

»Darf ich meiner Hoffnung kundtun, Emma, dass Sie sich von Ihrer Unpässlichkeit erholt haben?«

Emma schluckte nervös und hielt ihre Augen auf ihre vor ihrem Körper verschränkten Hände gerichtet. Die Nähe der monströsen Männer ließ sie erzittern, und sie wünschte sich sehnlichst, vor ihnen fliehen zu können. Das Gefühl verstärkte sich noch, als Belmont näher an sie herantrat und ihr Gesicht anhob. Ihr blieb der Atem weg, als sie an seiner kalt-amüsierten Miene erkannte, dass er es wusste. Er wusste, dass sie es wusste. Angeekelt biss sie die Zähne zusammen und entriss ihm ihr Kinn.

»Ich fühle mich noch angegriffen, Mylord«, murmelte sie erschaudernd und fuhr an den Baron gewandt fort: »Mylord, warum wünschten Sie, mich zu sprechen?«

Ihr Vater sah sie nicht einmal an, als er ihr beiläufig verkündete, dass sie schon bald die Marchioness of Belmont sein würde und er darüber nachdachte, den Brautwerbeprozess so kurz wie möglich zu halten. Erstarrt sah sie auf den Mann herab, der sie gezeugt hatte. Wie war es ihrer Mutter nur möglich gewesen, dieses Tier zu heiraten, fragte sie sich angestachelt vom ihrem Ekel Belmont gegenüber. Ihr blieb keine Wahl, es gab niemanden, der sich für sie verwenden konnte.

War es bei ihrer Mutter ebenso gewesen? Sie wusste nichts von diesem Teil ihres Stammbaums. Von der Familie ihrer Mutter. Nicht einmal einen Namen. Aber dies würde sich ändern. Unter den verstauten Kleidern ihrer Mutter hatte sie drei Bücher gefunden. Der erste Band war datiert auf den siebzehnten Geburtstag Deirdres, ihrer Mutter.

Emma versuchte, ihren Ekel zu unterdrücken und begegnete den wässrigen Augen ihres Erzeugers. Kein Flehen würde ihn erweichen, kein Argument seine Meinung ändern. Ihr zukünftiger Gatte riss sie grob aus ihren fruchtlosen Überlegungen, indem er sie in die Arme zog und sie gierig küsste.

2. Kapitel 2 Ein Ausweg aus der Hölle dringlichst gesucht!

Oxfordshire, Miss Hellyworths Institut für junge Damen, April 1815

Apathisch stieg Emma Scott vor Miss Hellyworths Institut aus der Kutsche. Sie folgte dem Diener mit ihrem Gepäck, ohne die freudigen Rufe der anderen Mädchen wahrzunehmen. Die letzte Woche war die Hölle auf Erden gewesen, und sie würde sich nicht im Geringsten wundern, wenn Maria-Luisa, ihre kurzweilige Stiefmutter, sich am Tag vor ihrer ersehnten Abreise, tatsächlich das Leben genommen hätte, wie es ihr Vater behauptete.

Noch immer gefror Emma das Blut in den Adern, wenn sie an die grauenvolle Szene dachte, die sie durch das Fenster des Arbeitszimmers aus dem Garten heraus beobachtet hatte. Nachdem das Mädchen genötigt worden war, hatte sie nach dem Brieföffner gegriffen und gedroht, aller Welt zu sagen, was sie ihr antaten. Man hatte ihr die Waffe entwunden und ihre Handgelenke aufgeschnitten. Wenn Emma die Augen schloss, konnte sie immer noch Maria-Luisas Schreie hören und das Blut sehen, das ihr fontänenartig aus dem Körper geschossen war.

Emma fühlte sich mitschuldig am Tod des armen Mädchens. Sie wusste, was ihr angetan worden war und hatte geschwiegen. Ihr Vater hatte seine Braut züchtig angekleidet und alle Anzeichen von Misshandlung sorgfältig verborgen. Kein Wort drang über ihre Lippen, selbst dem gerufenen Friedensrichter hatte sie nicht die Wahrheit gesagt, sondern eine Lüge aufgetischt, gerade so, wie ihr Vater es befohlen hatte.

Maria-Luisas Schicksal allein verdankte sie ihre Rückkehr ins Internat. Dessen war sie sich bewusst. Die geplante Hochzeit war aus Gründen der Schicklichkeit um ein halbes Jahr verlegt worden und sollte nun kurz vor ihrem Geburtstag stattfinden. Die Sondergenehmigung für die Trauung während der Trauerzeit war bereits beantragt, und der Marques hatte sie jede verbliebene Minute bis zum Abschied wissen lassen, wie es wäre, seine Gattin zu sein.

»Emma! Herr im Himmel, bist du spät dran. Wir haben uns bereits Sorgen um dich gemacht!«, warf Lady Sandrine Stewart ihr vor und schüttelte ihren blonden Schopf. Sandrine gehörte zu den Mädchen, mit denen Emma sich den Schlafsaal teilte, und war aus der Lektüre ihres Lehrbuches mit dem klingenden Namen `Etikette - Das Who isWho des vornehmen Benehmens´ aufgetaucht, als Emma in den Bogengang zum Dormitorium trat. Sandrine legte das Buch, dankbar für die Unterbrechung, zur Seite und musterte besorgt die Freundin.

»Warum hast du nicht geschrieben?«, fragte sie und ließ ihren scharfen Blick über Emma gleiten. Offensichtlich alarmiert von ihren blassen Wangen und der Angst in ihren Augen, zog Sandrine sie kurzerhand aus dem überdachten Rundgang. Weiter führte Sandrine sie über den blühenden Rasen in den Schatten einer alten Esche, unter der zwei weitere Zimmergenossinnen über Briefen von zu Hause saßen. Widerstandslos ließ sich Emma mitziehen und zu den Mädchen auf die Decke drücken. Noch bevor jemand einen Ton herausbrachte, wurde sie von wildem Schluchzen geschüttelt.

Sandrine zog sie in eine tröstende Umarmung und fuhr ihr beruhigend über den bebenden Rücken, wobei sie den beiden überraschten Freundinnen einen vielsagenden Blick zuwarf. Der Tod einer ihrer ehemaligen Mitschülerinnen war Hauptgesprächsthema seit der gestrigen Ankunft deren kleiner Schwester gewesen. Clara-Catherina war nur bei der kirchlichen Trauung anwesend gewesen und hatte anschließend mit dem Rest der Familie den Ort der Feierlichkeiten gesucht, die nicht wie angegeben im Haus eines Freundes der Familie des Bräutigams stattgefunden hatte. Sie hatte jedem, der es wissen wollte, gesagt, dass sie fest daran glaubte, Baron Severin habe ihre Schwester umgebracht.

Langsam verebbte Emmas Schluchzen, und sie erzählte ihren Freundinnen von den Ereignissen der Osterferien.

»Dein Vater wusste … mein Gott!« Lady Gillian Richmond riss entsetzt die moosgrünen Augen auf und schlug sich eine Hand vor den Mund, um ihr Erschrecken zu kaschieren.

»Ja!«, flüsterte Emma schockiert von sich selbst: »Oh Gott! Ich habe ihr nicht geholfen! Ich bin schuld, dass sie tot ist!«

»Das ist doch Unsinn«, widersprach die Vierte im Bunde, Lady Alina Wright, sanft und legte dem aufgelösten Mädchen beruhigend die Hand auf den Arm. Ihre sanften Augen harmonierten perfekt mit ihrem meerblauen Vormittagskleid und legten sich mitfühlend auf sie. Emma konnte die Bestürzung aus den Gesichtern ihrer Freundinnen herauslesen und versteckte ihr tränenfeuchtes Antlitz hinter ihren Händen.

»Es ist ganz klar, wer die Schuld trägt, und genau da liegt auch dein Problem, Emma«, tröstete Lady Sandrine Stewart und drückte die Freundin fest an sich.

»Sandrine hat recht. Du kannst dieses Scheusal nicht heiraten«, stieß Lady Gillian hervor, sie eindringlich ansehend.

»Das ist so furchtbar!«, bemerkte Lady Alina leise und schüttelte den Kopf. Sie sah zu Sandrine, dann zu Gillian und sprach Emmas ärgsten Gedanken aus: » Was bleibt ihr denn übrig? Ich meine …« Alinas Augen wurden ganz groß, als sie feststellte: »Sie kann nicht mal zu ihrem Vater gehen und ihn bitten, die Verlobung zu lösen.« Sie ließ ihre Worte sacken, bis auch den anderen beiden Mädchen die Ungeheuerlichkeit bewusst wurde. Das Laub an den Bäumen raschelte überlaut.

»Ganz im Gegenteil«, flüsterte Alina schließlich, purer Horror sprach aus ihrem Blick. »Was soll sie denn machen? Weglaufen?«, fragte sie verzweifelt und sah Hilfe suchend in die Runde. Gillian runzelte angestrengt überlegend die Stirn, wobei sie sich eine Locke aus der Schläfe strich.

»Keine schlechte Idee«, murmelte sie. »Die Frage ist: wohin?«

»Nicht nur wohin, das Wie spielt auch eine Rolle«, gab Sandrine zu bedenken und tippte sich abgelenkt an die gespitzten Lippen.

»Es müsste etwas Dauerhaftes sein«, meinte Alina aufgeregt, wobei sie konzentriert die Stirn runzelte. »Für den Fall, dass dein Vater dich verstößt.«

»Ja, etwas Eigenständiges. Du könntest arbeiten«, fügte Sandrine an, recht skeptisch, denn sie selbst konnte sich wohl nicht vorstellen, eine Tätigkeit auszuüben. Nach einer kleinen Pause machte sie einen Vorschlag: »Ich habe eine schrullige Tante, wenn du willst, frage ich sie, ob sie nicht eine Gesellschafterin einstellen möchte.«

»Bitte, Sandy, du meinst doch nicht die berüchtigte Tante Arabella? Warum verheiratest du sie nicht gleich mit deinem Bruder?«, bemerkte Gillian lachend und erntete einen seelenvollen Blick von der Gescholtenen. Sandrine riss einen Grashalm aus dem Teppich zu ihren Füßen und wickelte ihn um ihren Finger.

»Ich glaube nicht, dass ich Robin dazu überreden könnte.« Sie seufzte gedehnt und erklärte Augen rollend: »Er denkt nämlich, er sei in Lady Brianna Barrows verliebt.« Sandrine seufzte enttäuscht. »Eigentlich ist er ein so wundervoller Mensch, aber …« Sie sah leidend in die Runde. »In dem Punkt ist er fürchterlich dumm. Wenn Brianna ihm also nicht schnell das Herz bricht …« Sie hob die Hände. »Was Gott verhüten mag, wird er sich wohl nicht schnell genug besinnen, um von Nutzen zu sein.« Sie zuckte die Schultern und warf den Grashalm fort, um einen neuen herauszureißen. »Und Raphael hat nicht vor zu heiraten. Er betitelt die Ehe als Gefängnis der Lebensfreude. Keine Ahnung, was er damit meint.« Sie spitzte die Lippen und fasste die schwarzhaarige Freundin ins Auge. »Was ist mit deinem Bruder, Gil?«

Gillian schnaubte enttäuscht. »Soll ich ihn fragen, wenn ich ihn sehe«, höhnte sie bitter, »oder ihn in einem Brief darum bitten? Nein, ich glaube leider nicht, dass ich ihn dazu bringen könnte.« Nachdenklich musterte Gillian die bedauernswerte Freundin, die hoffnungslos den Kopf hängen ließ. Ihre bleichen Wangen, die feuchten Augen und die bebenden Lippen weckten Gillians Wut und damit auch ihren Starrsinn. Es musste etwas geben, was Emma vor diesem Schicksal errettete.

»Ich glaube, ich werde ihn trotzdem fragen. Anthony ist zwar nicht gerade …« Sie presste auf der Suche nach den passenden Worten die Lippen aufeinander. Sie sah auf in Emmas verzagte Augen. »Er ist nett«, versicherte sie schnell. »Er ist Viscount und wird einmal der Earl of Winchester sein. Es ist an der Zeit, dass er heiratet, und das wäre der leichteste Ausweg, nicht wahr?«

Verzweifelt senkte Emma die Lider und versteckte ihr Gesicht in den Händen. Nach einem Moment des Haareraufens schüttelte sie bestimmt den Kopf.

»Nein! Ich meine, dein Bruder ist bestimmt nett, aber ich kann ihn nicht heiraten.«

»Emma, denke noch einmal darüber nach. Er ist Viscount Richmond, pflegt enge Kontakte zu sehr wichtigen Persönlichkeiten wie zum Beispiel dem Earl of Castlereagh. Weder Belmont noch Severin sind sonderlich gut gelitten in der höheren Gesellschaft«, beteuerte Gillian und ergriff die Hand der Freundin, um sie zu drücken. »Du wärst in Sicherheit. Und ich glaube, dass Anthony sehr«, sie unterbrach sich einmal mehr, um nach dem passenden Wort zu suchen, »beschützend ist.«

»Sie hat recht, Gillian«, unterbrach Alina den Einwand der Freundin seufzend. Alina legte Gillian eine Hand auf den Arm und schüttelte eindrücklich den Kopf. »Wenn sie wirklich offiziell verlobt ist, kann sie nicht einfach einen anderen heiraten. Denk an den Skandal.«

Die Mädchen ließen unisono die Schultern hängen. Alina runzelte die Stirn und beobachtete, wie andere Mitschülerinnen über den Rasen schritten, in Büchern schmökerten oder mit anderen Mädchen lachten.

»Nicht, solange diese Verlobung Bestand hat«, murmelte Alina, als ihr Blick auf ein bestimmtes Mädchen fiel. »Aber wenn sie gelöst werden würde, ihr wisst schon, wie bei Lady Ipswich. Der Hochzeitstermin stand fest, aber sie wurde krank und konnte demnach nicht vor dem Altar erscheinen.«

Sandrine nahm den Faden begeistert auf. »Drei Tage später ist sie mit Ipswich durchgebrannt! Ich erinnere mich daran, weil Lady Lynnwood meiner Mutter gegenüber beteuerte, dass kein Wortbruch stattgefunden hatte!«

Alina drehte sich begeistert zu Emma, um sie aufmunternd anzusehen. »Wenn du die Hochzeit platzen lässt, wäre doch alles Klasse!«

Das Mädchen errötete leicht bei ihrem Vorschlag, und Gillian knuffte ihr in die Seite.

»Und das würde keinen Skandal auslösen?«, erkundigte die sich ungläubig und erwartete von Sandrine eine tiefere Erklärung, die diese nicht bieten konnte.

»Vielleicht können wir deinen Vater und Belmont erpressen. Ich meine, du hast gesehen, was sie Maria-Luisa antaten«, erwog Sandrine und kniff leicht die Lider zusammen. Ihr Grashalm landete bei seinem Vorgänger. Sie setzte sich gerade auf und strich sich über den Falten werfenden Rock. »Was meint ihr, würde Emmas Aussage genügen, um Severin und Belmont des Mordes zu überführen?«

Panisch schüttelte Emma den Kopf. »Das kann ich nicht!«

»Das musst du auch nicht«, wiegelte Alina ab und schüttelte, den beiden anderen Mädchen bedeutend, warnend den Kopf. »Was wäre gewonnen, wenn Emma die Umstände von Maria-Luisas Tod bekannt machte? Wenn man ihr glaubt und ihr Vater und ihr Verlobter angeklagt werden, was geschieht mit ihr? Wer würde sie aufnehmen? Wie sollte sie sich je in der Gesellschaft sehen lassen? Wie sollte sie mit dem Fleck auf ihrem Renommee einen Gatten finden? Oder eine Anstellung? Man würde sie doch schneiden, über sie tuscheln.« Alina schüttelte den Kopf und sah eindringlich in die Runde. »Was soll aus ihr werden? Und bedenkt bitte, was geschieht, wenn man ihr nicht glaubt. Wie werden Severin und Belmont Emma eine solche Schmach vergelten? Sie haben Maria-Luisa eiskalt ermordet, ohne einen Wimpernschlag des Bedenkens, ohne spätere Reue.«

Die Mädchen ergriffen erschauernd ihre Hände und drückten sie versichernd. Sie sahen in die Runde und entdeckten in den Gesichtern der anderen ihre eigenen Befürchtungen.

»Sie hat doch niemanden, der sie beschützen könnte«, flüsterte Alina niedergeschlagen.

»Alina hat recht«, seufzte Gillian nicht weniger entmutigt, und die anderen Mädchen gaben murmelnd ihre Zustimmung. Einen Moment herrschte bedrückte Stille zwischen den Mädchen, dann seufzte Sandrine laut auf, straffte die Schultern und begab sich in ihre alteingesetzte Rolle. Sie gab die Richtung vor. »Also gut, lasst uns überlegen, wie wir Emma verschwinden lassen können.«

Emma nickte ergeben und überließ sich bedenkenlos ihren Freundinnen, die sich sogleich eifrig auf die Suche nach einer Fluchtmöglichkeit machten.

»Etwas Langfristiges«, hob Alina hervor und krauste ihre mit Sommersprossen übersäte Nase.

»Etwas Sicheres!«, strich Gillian hervor und erklärte: »Severin und Belmont werden sicherlich nicht zulassen, dass Emma einfach so verschwindet.«

Alina stimmte bestürzt zu: »Bestimmt nicht, schließlich kann man nie wissen, ob ihr Wissen nicht doch für Scherereien sorgt.«

»Ich frage Tante Arabella, ob sie nicht eine Gesellschafterin braucht. Sie ist furchtbar, aber dort ist man absolut sicher. Niemand kommt sie je besuchen, schon gar nicht freiwillig.« Sandrine erschauerte sichtlich und verzog die Lippen. »Sie ist komisch«, gab sie zu. »Sie ist streng und hat recht merkwürdige Ansichten zu allen möglichen Themen, aber sie ist zumindest nicht ungerecht.«

»Du könntest auch als Gouvernante arbeiten. Das habe ich mir überlegt.« Alina biss sich nach diesem Geständnis verlegen auf die Lippe. »Ihr wisst schon, als mittelloses Mädchen, ohne Familie … man hätte den ganzen Tag nichts mit den Herrschaften zu tun.«

Gillian sah Alina verblüfft an und schüttelte ihre schwarzen Locken. »Du wirst doch keine Gouvernante, Alina!«

Achselzuckend tat das Mädchen den Einwand der Freundin ab und sah Emma fragend an.

»Aber ich bin doch noch viel zu jung. Wer stellt denn eine Gouvernante ein, die kaum älter ist als die zu behütenden Kinder? Ich glaube, Sandrines Tante wäre keine schlechte Wahl.« Emma seufzte bedrückt. Ihr Leben würde sich ändern. Grundlegend. Vermutlich würde sie die Freundinnen allzu bald nicht wieder sehen. Sie blinzelte die aufsteigenden Tränen fort. Es war nun wichtig, die Gedanken beisammenzuhalten, ihre Flucht zu planen, ihr weiteres Leben. Es mochte nicht so verlaufen, wie sie es bisher gedacht hatte, aber jeder Weg, der sie von Belmont fortbrachte, war es wert, gegangen zu werden.

»Tante Arabella ist die Patin meiner jüngeren Schwester Susannah. Die Schwester unserer Mutter. Sie ist … eigen. Vermutlich hat sie deswegen nie geheiratet.« Sandrine zuckte die Schultern und sah nachdenklich in die Runde. »Sie pflegt kaum Kontakte. Ich weiß, dass sie Susi schreibt, aber sonst?«

»Nun, vermutlich ist dies sogar von Vorteil«, murmelte Gillian mit einer Miene, die deutlich bekundete, dass ihr der Vorschlag noch immer nicht recht gefiel. Alina biss sich auf die Lippe, bevor sie erneut ihre Zweifel kundtat: »Wie lange lebt sie denn schon allein? Und warum sollte sie ausgerechnet nun den Gedanken hegen, eine Gesellschafterin anzustellen?«

Sandrine gab notgedrungen zu, es nicht zu wissen. »Aber sie schlägt Susannah keinen noch so unsinnigen Wunsch aus.«

»Du willst deine Schwester involvieren?«, hauchte Emma bestürzt. »Sie soll für mich bitten?« Sie schloss die Augen und vergrub das Gesicht in ihren Knien.

»Susannah wird uns sicherlich den Gefallen erweisen«, versicherte Sandrine fest. »Sie ist ein Schatz.« Sie streckte die Hand aus, um sie auf Emmas Schulter zu legen. »Und wenn sie nicht so verrückt nach ihren Gäulen wäre, wäre sie längst schon Schülerin dieser Anstalt.«

»Ihre Gäule sind durchweg Sieger aller möglichen Rennen«, schnaubte Gillian. »Anthony versucht seit Jahren, einen Rappen aus eurer Zucht zu ergattern.« Sie winkte ab. »Aber das tut nichts zur Sache.«

»Sandy, vor kurzem erwähntest du, dass eine Freundin von dir eine Gouvernante sucht? Meinst du nicht, wir könnten es nicht zumindestens versuchen?«, beharrte Alina auf ihrer Idee und beugte sich leicht vor, um nach der Hand des zwei Jahre älteren Mädchens zu fassen. »Immer wenn du von dieser Tante sprichst, nennst du sie einen Drachen!«

Lady Sandrine Stewart runzelte die Stirn. »Fiona? Nein, sie braucht noch keine … Oh, natürlich! Fiona hat mir geschrieben, dass ihre Schwester Caroline ständig eine neue Gouvernante sucht. Ich werde Fiona schreiben!«

Cornwall, Eastwick Park, Mai 1815

Drei Wochen später stieg Emma aus der wankenden Kutsche, die sie bei einem genehmigten Stadtgang nach Oxford bestiegen hatte, nachdem die Freundinnen die anderen Mädchen und die beiden Aufsichtspersonen abgelenkt hatten. Hier war sie nun, mitten im Nirgendwo und trat ihre Stelle als Gouvernante im Hause des Earls of Eastwick an. Langsam erklomm sie die breite Steintreppe zur Eingangstür und wischte sich die nervösen Finger an ihrem grauen Reisekleid ab. Ein Gutglückgeschenk von Gillian. Es war neu und nach der zurückhaltenden Art geschnitten, die einer Angestellten gut zu Gesicht stand. Ihre gesamte Garderobe, die drei Kleider umfasste, war in unauffälligen Farben gehalten. Sie sahen streng und langweilig aus und machten sie hässlich, wie Gillian ihr versicherte.

Der Butler, der ihr die Tür öffnete, musterte sie kritisch und schien mit ihrem Auftreten unzufrieden, denn er zog eine graue, buschige Braue hoch, und sein hochmütiges Gesicht verzog sich sichtbar in deutlicher Ablehnung. Er wies sie kurz angebunden an, in der Halle zu warten und machte sich gemächlich auf den Weg, die neue Angestellte der Herrin zu melden. Emma sah sich derweilen in der düsteren Eingangshalle um und entschied, dass es der traurigste Ort war, den sie je besucht hatte. Man müsste ein Dutzend Fenster einbauen, um die Düsternis aus den Ecken neben dem geschwungenen Treppenaufgang zu vertreiben und die Ahnenporträts auf der Galerie aus ihrer kummervollen Schattenexistenz zu befreien. Sie seufzte und blinzelte durch das Dämmerlicht in den hinteren Teil des Hauses, aus dem eine leise Melodie zu ihr herüber wehte. An der Treppe im ersten Geschoss erschien eine junge Frau, die ihr ein begeistertes »Hallo« entgegenwarf und alsdann die Stufen herabeilte, um Emma um den Hals zu fallen.

»Wie schön, dass du endlich hier bist! Ich bin Fiona. Komm, lass dich zu Caroline führen.« Fiona ergriff Emmas Hand und zog sie mit sich. Emma war viel zu verdutzt von der vertrauten Geste, als dass sie ihren sorgsam einstudierten Text aufsagen konnte. Also folgte sie Lady Fiona in das Musikzimmer. Dort unterbrach eine Frau, die Lady Fiona auf das Haar genau glich, ihr Spiel, um der neuen Gouvernante einer ebenso liebevollen Begrüßung zu unterziehen wie durch die andere Dame zuvor.

»Emma Scott … Kaum zu glauben!«

Emma sah verwirrt, wie sich die beiden Damen zuzwinkerten und sie mit erfreuten Gesichtern musterten.

»Viel zu hübsch«, entschied die Ältere, deren blonde Locken in einer aufwändigen Frisur gefangen waren und deren sanfte, graue Augen auf dem Gesicht des Neuankömmlings verweilten. Emmas Mut sank. Was sollte sie tun, wenn man sie nicht dabehielt?

»Sie sieht auch ziemlich jung aus«, kritisierte nun die Jüngere, deren Frisur weniger ausgefallen war und einigen Strähnen die Freiheit gewährte.

»Wenn Eastwick sie sieht …« Angewidert brach Lady Caroline ab, und die Sanftheit ihrer Augen wandelte sich in Bitterkeit.

»Wir werden ihn einweihen. Aber sonst niemanden! Wer weiß schon, wo Cedric sich herumtreibt und was er so alles von sich gibt, wenn er betrunken ist?« Lady Fiona rümpfte empört die Nase, als sie von ihrem Bruder sprach, und schaffte es, der Schwester ein Lachen zu entlocken.

»Bloß nicht!«, stimmte diese ein. »Wahrscheinlich kennt er den Widerling persönlich … Und James besser auch nicht. Er ist immer so korrekt.«

»Ja, wahrscheinlich würde er sie sogleich verpackt und verschnürt in die Kutsche setzen und bei ihrem Vater abgeben.« Beide Ladys schüttelten unisono den Kopf und sahen Emma dabei betrübt an.

Emma riss erschrocken die Augen auf. Hatte Sandrine ihnen alles gesagt? Peinlich berührt schoss ihr die Röte ins Gesicht, und sie senkte ihren Blick auf ihre um die Reisetasche verkrampften Hände.

»Zumindest weiß man nie«, bestätigte Fiona düster. Die beiden Frauen zogen nachdenkliche Schnuten und ließen Emma nicht aus den Augen. »Blond ist zu auffällig. Wir müssen das Haar abdunkeln.«

»Und eine Brille für diese viel zu erinnerungswürdigen Augen, was ist das überhaupt für eine Farbe?« Neugierig starrte Fiona Emma in die Augen und versuchte, ihre Frage zu ergründen. »Das ist doch kein blau, oder?«

»Nun, zumindest ist es kein braun.«

»Sie sind blau-grau«, gab Emma Auskunft und wühlte in ihrem Retikül nach dem Gestell, das Alina ihr geschenkt hatte. Es war schauderhaft, aber es verunstaltete ihr herzförmiges Gesicht so weit, dass man nicht ein zweites Mal hinschaute. Zumindest waren sich ihre Freundinnen darüber einig gewesen.

»Ich habe eine Brille. Ich vergaß, sie aufzusetzen.«

Befriedigt nickte Lady Caroline. »Die ist schrecklich hässlich! Wundervoll!«

»Sie könnte das Haar mit Asche einreiben. Am besten, wir probieren es aus, und hast du nicht gesagt, dass deine Schwiegergroßmutter auf dem Dachboden einen Künstlerkoffer hat? Du musst wissen, Emma, sie war Schauspielerin!«

»Das bin ich immer noch«, ertönte hinter den drei Frauen eine harsche Stimme und ließ sie erschrocken zusammenfahren. Die alte Frau stakste mit ihrem Stock auf sie zu und verlangte zu wissen, was hier gespielt wurde.

»Eine Scharade.«

Über das papierene Antlitz der rüstigen Dame huschte ein Grinsen, und sie musterte das junge Mädchen wohlwollend, was der Hausherrin und deren Schwester einen Schrecken einjagte. Lady Farah Fenton, Dowager Countess of Eastwick, mochte niemanden!

»Gut, Kindchen, lass uns sehen, wie wir dein hübsches Gesicht verstecken können.«

Emma benötigte einige Zeit, um den Anweisungen der alten Dame perfekt nachzukommen. Und als sie sich den aufgeregt wartenden Damen zeigte, blieb ihnen die Spucke weg. Emmas hellblondes Haar hatte eine gräuliche Einfärbung bekommen und wirkte glanz- und kraftlos. Die Brille verbarg einen großen Teil ihres bleichen Gesichts, dessen Haut welliger wirkte, nahezu alt. Ein großer schwarzer Fleck verunstaltete ihre Oberlippe, und ihre Zähne schimmerten gelblich. Emma war hässlich, und ein sandgefüllter Sack um ihren Bauch machte sie zudem noch fett.

Die Dowager Countess nickte zufrieden. »An das Mädchen geht auch mein verfluchter Enkel nicht dran, vertrau mir, Caroline!« Sie tätschelte der verdutzten Frau die schlaffe Hand und orderte Tee. »Wenn jemand fragt: Sie ist eine Empfehlung von mir. Miss Burham. Die Tochter einer alten Freundin, die gibt es wirklich, und man kann die Lüge nicht so schnell entlarven. Ihr Vorname ist Deirdre.«

Emma lächelte leicht. »Meine Mutter hieß auch Deirdre. Es ist ein schöner Name.«

Caroline und Fiona wechselten einen schnellen Blick, konnten aber keinen Kommentar mehr abgeben, da in diesem Moment der Hausherr in den Salon seiner Frau platzte. Eastwick blieb an der Tür stehen, als er seine Großmutter gewahrte, die ihm mit einem Abscheu bekundenden Blick entgegensah. Er verbeugte sich leicht in ihre Richtung, bevor er seine Gattin begrüßte und die Hand seiner Schwägerin an die Lippen zog.

»Eastwick, darf ich dir unsere neue Gouvernante vorstellen? Miss Deirdre Burham. Mein Gemahl: Lord Richard Fenton, Earl of Eastwick.«

Eastwick verzog angewidert das Gesicht, als sich Emma aus ihrem Knicks erhob und er ihre Erscheinung gewahrte.

»Meine Liebe, möchtest du unseren Kindern Albträume bescheren? Entschuldigen Sie, Miss Burham, aber …«

»Sie bleibt!«

Der Lord zuckte unter dem eisigen Befehl seiner Großmutter zusammen.

»Madame, muss ich Sie daran erinnern …«

»Nicht in diesem Ton!

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ISBN: 978-3-7393-6020-1