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Lady Johanna wird zurück nach England gerufen, aber nicht an den Hof ihres Onkels, König Stephan, sondern in die väterliche Burg nahe der schottischen Grenze. Da ihr Vater, der Duke of Knightsbridge ein rauer und gefährlicher Mann ist, flüchtet Johanna, kaum dass sie Fuß auf englischen Boden setzt. Leider ist sie weniger gut vorbereitet auf die Unbill, die sie erwartet, als angenommen und wird just von einem Haufen Strauchdiebe gefangengenommen! Wird ihr die Flucht gelingen? Oder wird der Gauner Hawk sie zur freiwilligen Kapitulation bringen, indem er ihr all das verspricht, was sie sich so sehr wünscht?
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Seitenzahl: 307
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Katherine Collins
Hawks fall in love
Verliebt in den Feind
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Epilog
Leseempfehlung
Impressum neobooks
Katherine Collins
Lady Johanna wird zurück nach England gerufen, aber nicht an den Hof ihres Onkels, König Stephan, sondern in die väterliche Burg nahe der schottischen Grenze. Da ihr Vater, der Duke of Knightsbridge ein rauer und gefährlicher Mann ist, flüchtet Johanna, kaum dass sie Fuß auf englischen Boden setzt. Leider ist sie weniger gut vorbereitet auf die Unbill, die sie erwartet, als angenommen und wird just von einem Haufen Strauchdiebe gefangengenommen! Wird ihr die Flucht gelingen? Oder wird der Gauner Hawk sie zur freiwilligen Kapitulation bringen, indem er ihr all das verspricht, was sie sich so sehr wünscht?
Impressum
Siehe letzte Seite.
ISBN 9781976914331
Nur die rosigsten Aussichten
Die Strahlen der Sonne wärmten Johannas Wangen, und der Wind spielte mit ihren Haaren. Die Wiese, über die sie, gefolgt von ihrer Freundin, jagte, fand vor ihr ein Ende, und ein dichter Hain schloss sich an. Johanna lenkte ihren stattlichen Hengst Hektor nach rechts, um auf den breiten Hauptweg zu gelangen, der das kleine Wäldchen teilte, das die Grenze des Landes ihres Onkels markierte.
»Jo!«, rief Gretchen ihr von der Weide nach, weil das Mädchen niemals im gestreckten Galopp auf einen nicht einsehbaren Weg einbog. Johanna indes verließ sich ganz auf ihren Instinkt und den ihres Reittieres. Einen schnellen Reiter würde man hören, ganz zu schweigen von einem Karren, beladen oder nicht. Natürlich könnte auch ein scheues Reh auf der Straße stehen oder ein Wolf, aber Johanna ging das Risiko ein. Sie preschte vorwärts, wobei sie einen lachenden Blick zurückwarf und der Freundin zuwinkte, ihr zu folgen.
»Nun komm schon, Gretchen! Sei kein Häschen!« Sie hörte es nicht, erahnte aber den Widerspruch der Gräfin: »Ich bin kein Häschen! Aber es ist gefährlich! Du solltest mehr Acht geben!« Deren mürrische Miene stand ihr mahnend vor Augen. Johanna stob unbeeindruckt weiter. Keinen Kilometer entfernt, auf dem Land, welches dem Grafen von der Weide, Gretchens Bruder, gehörte, lag eine idyllische kleine Lichtung. Diese war das Ziel ihrer Hetzjagd. Ein einsamer Apfelbaum stand in deren Mitte, der um die Zeit herrlich saftige Früchte trug. Hektor verlangsamte sein Tempo auf ihre Weisung hin und stoppte unter einem niedrigen Ast besagten Baumes. Johanna zog sich hoch und stellte sich nahe dem Stamm auf, um nach einem höher gelegenen Ast zu greifen. Sie saß bereits speisend in schwindender Höhe, als Gretchen endlich ankam.
»Das wird noch einmal dein Tod sein!«, prophezeite sie düster und saß ebenfalls ab.
»Komm herauf!«, lachte Johanna und erahnte auch den nun folgenden Widerspruch ihrer Freundin: »Mit Sicherheit nicht, Johanna! Damen klettern nicht auf Bäume!«
Die Gescholtene verdrehte die Augen. »Nein, Damen sticken und nähen und lesen aus der Bibel vor!«
»Nun, was spricht dagegen?«, fragte Gretchen verdrossen und legte den Kopf in den Nacken, um zu der wilden Freundin aufzusehen.
»Die tödliche Langeweile?«
»Unser Pastor hat erst am vergangenen Sonntag …«
»Ich habe es vernommen, Gretchen!«, fuhr Johanna dazwischen. »Das Weib hat zu dienen und zu gehorchen. Ich frage mich, ob es tatsächlich Gottes Wille ist oder bloß der der Männer!«
Gretchen machte ein gurgelndes Geräusch, das ihre Not deutlicher bezeugte als jeder Widerspruch.
»Wundert es dich nicht, dass an jedem Übel eine Frau schuld sein soll? Also ich finde es merkwürdig. Warum stellt Gott einen Baum der Erkenntnis in den Garten Eden, wenn er nicht möchte, dass die Früchte gegessen werden? Warum ist es Evas Schuld, wenn Adam entscheidet, die Frucht, die sie ihm anbietet, zu nehmen? Wenn Adam so willensschwach ist, keine eigene Meinung zu haben, oder nicht in der Lage ist, eine Entscheidung eigenständig zu fällen und dahingehend zu handeln, ist er unfähig, für das Wohl der Menschheit zuständig zu sein!«
»Johanna!«, quietschte Gretchen und schlug sich die Hände vor den Mund. »Oh, was redest du denn da?«
»Von Schuld, Gretchen. Wir Frauen tragen eine Urschuld, weil Eva vom Baum der Erkenntnis naschte. Davon sprach euer Pastor doch. Das Weib als Verführerin aufrechter Männer.«
Die Freundin schüttelte den Kopf. »Ich kann dir nicht folgen, Jo.«
Das Mädchen im Baum seufzte und biss von seinem Apfel ab. Johanna sah über die Lichtung, während sie Gretchen bat, ihre Worte einfach zu vergessen. Aus der Ferne hörte sie das Getrappel trabender Hufe. »Ich glaube, der Graf sucht nach dir«, murmelte sie und stellte sich auf, um in den Weg hineinzusehen.
»Friedrich ist in Worms.« Gretchen reckte den Hals. »Wirst du nun herunterkommen?«
Johanna seufzte und wollte ihr den Gefallen erweisen, als sie den Reiter entdeckte. Sie grinste und streckte sich nach einer Frucht.
»Gretchen!«, rief der Neuankömmling »Ich habe mir schon gedacht, dass ich euch hier finde!«
Die Angesprochene drehte sich zum Ankömmling. Die Verblüffung war ihr von der Nase abzulesen. »Friedrich! Ich wähnte dich …«
Der Graf zügelte sein Tier und stieg ab, um der Schwester einen Begrüßungskuss zu geben. » … in Worms. Die Deichsel brach, und ich entschied, dass ich ebenso gut zu Hause auf deren Reparatur warten kann.« Er zuckte die Achseln und tätschelte dem friedlich grasenden Hektor den Hals. »Steckt Johanna schon wieder in den Wolken?«
»Fangt!«, rief Johanna und ließ den Apfel fallen, den der Graf überrascht auffing. »Anscheinend steckt ein Funken Wahrheit in des Pastors Ansprache. Es genügt ein Wort, um einen Herrn zu verführen.«
Friedrich suchte in dem dichten Blättermeer über ihm nach dem Ursprung der Stimme. »Macht Ihr Euch wieder über die Kirche lustig, Johanna? Ihr spielt mit dem Feuer.«
Johanna schwang sich von ihrem Horst und landete geschickt vor dem Geschwisterpaar. »Gott wird sich meiner annehmen, Friedrich. Der Sünderin …« Sie grinste verschmitzt. »Ich brauche lediglich um Verzeihung zu bitten und zu beichten.«
Gretchen fasste nach dem Arm ihres Bruders, scheinbar hatten ihre Worte die Freundin an den Rand der Ohnmacht getrieben. »Zu allererst jedoch, bitte ich Euch um Vergebung, Gretchen, Ihr wisst, wie schwer es mir hin und wieder fällt, den Mund zu halten.« Johanna hielt ihr die Hand hin, die sie alsbald ergriff.
»Nun, da Ihr Euch wieder benehmen mögt … erlaubt mir, Euch und Euren Onkel zum Abendmahl zu bitten.« Friedrich hob eine Braue. Sein schmales Gesicht leuchtete vor Hoffnung.
»Heute Abend?«, erkundigte sich Johanna und nahm ihm den Apfel wieder weg. »Mögt Ihr ihn?« Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern biss hinein. »Onkel Friedhelm stimmte bereits zu, bei Herrn Treibel zu speisen. Seine Schwester ist mit ihren Kindern zu Besuch.«
Friedrich griff nach den Zügeln seines Pferdes und dachte über die Worte nach, wobei er ihr einen Blick zuwarf. »Sie hat zwei Söhne, nicht wahr?«
Johanna bestätigte seufzend. »Wie Ihr seht, wir werden wohl die Einladung nicht annehmen können.«
Johanna hielt das Gesicht in die Brise. Das Handelsschiff, das sie nach England brachte, war schwer beladen und brauchte für die stürmische Überfahrt länger, als es angedacht gewesen war. Dennoch näherten sie sich nun unaufhaltsam der Küste Britanniens. Sie war nicht allein. Ihr Onkel, Graf von Berg, begleitete sie, und ihre Freundin Gretchen von der Weide hatte sich dem Geleit ebenso angeschlossen. Friedrich musste seine Reise nach Worms antreten, bevor er seinerseits auf die Insel kommen wollte, um bei ihrem König um ihre Hand zu bitten. Johanna war nicht beruhigt. Zwar schien es keine königliche Order zu ihrer Eheschließung zu geben, aber der Hauptmann der Knightsbridge Garde hatte angetrunken einige beunruhigende Details verraten. Es schien, als wolle sich der Duke, ihr Vater, über das Geheiß des Königs hinwegsetzen und sie, Johanna, mit dem Jarl of Leverham verheiraten. Johanna wälzte das Problem in ihrem Kopf hin und her. Ihr Onkel wollte sie zu König Stefans Hof bringen, um sich für sie zu verwenden. Die Order Knightsbridge lautete aber, sie in den Norden des Landes zu schaffen, nach Northumberland. Nach Knightsbridge, einer klobigen, dunklen Festung, deren Gemäuer nach Blut und Angst stanken. Johanna schloss die Augen. Die Gischt spritzte ihr ins Gesicht und wusch damit alle Unklarheiten beiseite. Auf Knightsbridge zu vertrauen war dumm, darauf zu hoffen, dass sich ihr Onkel Friedhelm durchsetzte und ihm erlaubt wurde, sie zum König zu bringen, war ebenso dumm. Sie musste ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Johanna öffnete die Augen. Sie würden in Hampton gegen Abend anlegen und erst am nächsten Morgen weiterreisen. Damit hatte sie eine Nacht Vorsprung. Jetzt musste sie nur einen Weg finden, Hektor und einige wertvolle Besitztümer ungesehen von Bord zu schmuggeln.
Hawk
Der Mond stand hoch am Himmel, als das Lager in Aufruhr geriet. Hawk, der seine nächtliche Wache gerade abschloss, blieb stehen. Das erste, das ihm ins Auge stach, war sicherlich das prächtige Pferd. Ein großer, edler Hengst mit breiter Brust und wachen Augen. Seine Ohren spielten aufgeregt, er warf den Kopf hoch. Auf seinem Rücken saßen ein Bursche und ein brünettes Mädchen. Das Mädchen klammerte sich an den Jungen und der sich in die Mähne des Tieres, die Zügel hatte Wulf an seinem Pferd befestigt. Hawk behielt den Tross gelassen im Auge, obwohl er ein Wort mit Wulf zu sprechen gedachte. Brachten sie nun schon Kinder auf? Pferdediebe oder nicht?
Wulf entdeckte ihn und hob die Hand. Ein Zeichen, dass er mit ihm sprechen musste. Hawk runzelte die Stirn und deutete zu seinem Zelt. Trotzdem blieb er einen Moment länger, um seinen Hauptmann zu beobachten. Er riss das Duo vom Rücken des Hengstes und wurde verwünscht. Hawk grinste ob der unflätigen Worte des Knaben. Das Mädchen klammerte sich voller Furcht an ihren jungen Begleiter. Ein Pärchen auf der Flucht. Keine Gefahr für das Lager. Man hätte sie ungehindert passieren lassen sollen. Hawk setzte sich in Bewegung und stoppte durch den neuerlichen Tumult. Wulf hatte nach dem Halfter des Pferdes gegriffen, das sich sogleich wild aufbäumte.
»Nehmt Eure dreckigen Hände fort!«, spie der Knabe und warf sich in Wulfs Rücken. Beide gingen zu Boden, und die Hufe des Rappen schwangen bedrohlich über ihnen.
»Hektor, lauf!«
Das Pferd bäumte sich erneut auf und riss sich damit los. Es galoppierte los, direkt auf ihn zu. Hawk stellte sich der Herausforderung und machte sich darauf gefasst, nach dem Zaum des Tieres zu greifen. Aber es wich im letzten Moment aus. Männer hasteten auf ihn zu und zogen dabei ihre Waffen.
»Nein!«, rief Hawk und hob die Hände, um sich Gehör zu verschaffen. »Verletzt es nicht.« Es war ein in der Tat herausragendes Tier, mit stolzer Haltung und kräftigen Gliedern. Murrend wurden die Waffen fortgelegt, und die Hatz begann. Der Bursche rief dem Hengst Anweisungen zu, und es schien exakt darauf zu reagieren. Merkwürdig. Es dauerte ungewöhnlich lange, bis die Männer das Tier endlich einfingen, und Hawk fragte sich, ob es womöglich an den ausbleibenden Anweisungen des Knaben lag. Der war von Wulf unsanft zum Schweigen gebracht worden, und lediglich das Wehklagen des Mädchens übertünchte das Aufgebot seiner Männer. Hawk trat auf das Tier zu, das wild die Augen rollte und die Ohren zurücklegte. Als er die Hand nach den Nüstern ausstreckte, versuchte das Pferd erneut, seine Bezwinger abzustreifen. Gleich zehn Mann waren nötig, um den Rappen am Boden zu halten. Ein verflixt kräftiges Kerlchen.
Wulf schliff den Knaben mit sich heran. Das Mädchen folgte von selbst. Hawk seufzte.
»Bitte haltet ein. Euer Wehklagen ist sicherlich im ganzen Land zu hören!«, befahl er und sorgte damit tatsächlich für Ruhe. Das Mädchen schluchzte nur noch und versuchte, sich der Verfassung seiner Begleitung gewahr zu werden. Das lenkte Hawks Blick auf den Burschen, und eine Ahnung dämmerte ihm. Der Knabe trug nur zu bekannte Farben am Leib. Er gab Wulf einen Wink, ihm zu folgen. Erst in seinem Zelt ließ Wulf den Jungen los. Das Mädchen kauerte sofort bei ihm und schluchzte seinen Namen. Sam. Sie war einfach gekleidet und doch stach sie sicherlich aus dem Gros der Mägde heraus. Sie besaß eines jener porzellanartigen Gesichter, die man ansehen musste. Sie war viel zu hübsch für eine Magd, und sicherlich war dies der Grund für ihre Wanderung mit diesem Knecht aus dem Hause Knightsbridge.
»Östlicher Rand«, murrte Wulf. »Dachte, wir hören uns an, was sie zu sagen haben.«
Als Mitglieder des Knightsbridge-Hofstaates hatten sie sicherlich etwas Interessantes zu berichten. Hawk nickte und lehnte sich gegen seinen groben Holztisch. Wulf leerte den Wassertrog über dem Pärchen aus. Das Mädchen schrie erschrocken auf und wich zurück, während in den Knaben etwas Leben kam. Er stöhnte.
Hawk behielt ihn scharf im Auge. Seine Lider hoben sich. Blaue Augen. Sie fokussierten sich, und mit einem Mal barst der Knabe vor Spannung. Er drehte sich und kam auf die Füße, in die Runde sehend.
»Gretchen!« Seine Stimme war heiser und recht hoch. Noch nicht einmal im Stimmbruch, seufzte Hawk und musste innerlich den Kopf schütteln. Was wollte ein Bübchen wie dieses mit einem solchen Mädchen?
»Ihr Hundsfott!«, spie der Knabe und stellte sich vor das Mädchen, um sie vor ihnen zu verteidigen. Dummer kleiner Junge.
»Na, na«, mahnte er. »Wer wird denn gleich so unfreundlich sein?«
Sein Blick glitt zu ihm, und die blauen Augen verengten sich. Die Lippen verzogen sich, und man konnte ihm seine Meinung nur zu deutlich ablesen. Seine Verachtung.
»Wo kommt ihr her?«
»Ich bin Euch keine Rechenschaft schuldig!«, spie der Bursche. »Ihr seid ein Halsabschneider! Ein Vogelfreier! Ein gemeiner Bandit!«
Hawk nickte unbeeindruckt. Er war schon gekonnter beschimpft worden. »Richtig.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Deswegen ist es nicht sonderlich klug, mich aufzubringen.«
Das stoppte den Knaben, und lediglich seine Haltung blieb aggressiv.
»Wir haben nichts von Wert. Wir sind nur zwei arme Reisende auf dem Weg.«
»Und wohin führt der Weg?«
Die Augen des Buben verengten sich. »Nach London.«
Hawk wartete, aber der Bube gab sonst nichts preis. Wulf wurde ungeduldig und trat vor. »Aus welchem Grund?«, verlangte er zu wissen. Der Bub fletschte die Zähne.
»Was geht euch das an!«
Hawk griff ein. »Wulf!« Sein Hauptmann behielt den Knaben im Blick, hielt sich sonst aber zurück. »Ihr seid fortgelaufen.«
Der Bube riss die Augen auf, während das Mädchen spitz aufschrie.
»Bei wem erhofft ihr euch Unterschlupf zu finden?«
»Antwortet!«, donnerte Wulf und brachte das Mädchen zum Weinen. Der Bube ergriff deren Hand und drückte sie fest.
»Ich gehöre zur Dienerschaft des Duke of Knightsbridge«, offenbarte der Bursche knirschend. »Ebenso wie mein Weib.«
Wulf lachte dröhnend auf, was Hawk sich ohne Mühe verkniff.
»Sie ist die Zofe der jungen Lady und musste fort. Eine Delegation des Bruders Ihrer Gnaden ist am Königshof. Wir erhoffen uns des Grafen Unterstützung.« Der Knabe funkelte ihn an.
Hawk sah an ihm herab, dann an dem Mädchen. »Warum sollte er euch unterstützen?«
»Weil Gretchens Familie zu seinem Gefolge gehört. Sie muss Knightsbridge verlassen.« Hawk konnte sich sehr gut vorstellen, warum. »Wir haben nichts von Wert.«
»Kommt ihr aus Knightsbridge?«
Der Junge verengte erneut seine strahlenden Augen und durchbohrte ihn damit. »Nein.«
»Sondern?«
»Seine Gnaden Tochter reiste kürzlich an die Küste. Wir haben sie begleitet.«
Hawk runzelte die Stirn. Von einer Reise der Lady hätte er sicherlich gehört. »So?«
»So ist es.«
Irgendwie hatte Hawk so seine Zweifel.
Der Bursche kauerte in der Ecke, die Felle um sich gewickelt, als wären sie eine Bastion aus Stein und nicht nur gegerbtes Haar und Haut. Er starrte ebenso zu ihm rüber, wie er zu ihm. Merkwürdig für einen Burschen seines Standes. Sein Ärger stand in jedem noch so weichen Zug seines schmalen Antlitzes und blitzte in seinen Augen. Da brodelte ein Hexenkessel in der schmalen Brust, der nur darauf wartete, in die Luft zu gehen.
Hawk war sich sicher, dass ihm die Selbstbeherrschung fehlte und er Probleme bereiten würde. Wulf sah es ebenso, und ihm vertraute er nicht nur sein Leben an, sondern sein ganzes Sein. Dieser Bursche bedeutete Ärger, aber Wulfs Vorschlag ließ sein Nackenhaar sich sträuben. Da war etwas an dem Knaben, was Hawk fesselte, das gestand er sich ein, und es waren nicht die möglichen Informationen, die er durch ihn erlangen konnte, sicher nicht. Denn in dem Punkt war der Bursche - Sam - verdammt standfest, beharrte auf Punkten, die einfach nicht der Wahrheit entsprechen konnten.
»Wie heißt deine Herrin?«
Aus Sams Kehle stieg ein tiefes Grollen empor. »Ihre Gnaden, die Duchesse of Knightsbridge.«
»Und dein Herr?« Hawk wusste nicht, was er mit der endlosen Wiederholung immer derselben Fragen erreichen wollte, aber er hatte deutlich das Gefühl, dass der Knabe log, und ebenso wie Wulf vertraute er eben auch auf seinen Instinkt.
»Es wäre klüger, du gäbest deinen Widerstand auf. Du kannst dadurch nichts gewinnen.« Nicht, dass diese Warnung oder irgendeine andere den Burschen zur Vernunft brächte. Bisher hatte Hawk ihn nur dann zurückschrecken sehen, wenn Ross oder Dame des Herzens involviert waren. Ein Weg zum Ziel? Das Pferd war bereits in seinem Besitz, wie auch alles, was das Paar bei sich gehabt hatte. Kleidung und nicht irgendwelche. Offenbar war das Paar mit einigen Gewändern der Herrin aufgebrochen, um sie in Barschaft zu verwandeln. Diebe.
»Weißt du, was man mit Dieben, speziell Pferdedieben, anstellt? Sie werden gehängt. Umgehend.« Wieder blitzten die klaren Augen des Buben auf, und seine Lippen pressten sich zusammen, als müsse er eine scharfe Replik zurückhalten.
»Ein Los, das Vogelfreie teilen, die Reisende überfallen!« Eine schmale Braue hob sich in dem Milchgesicht des Burschen, und eine ihm nicht zustehende Überheblichkeit machte sich auf ihm breit. »Wie Euch und Eurem Gesindel.«
Gescheit, das musste man ihm lassen. »Wohl wahr«, räumte Hawk also ein und nippte an seinem Weinschlauch. Sein Mahl hatte er zwar beendet, aber gewöhnlich wurde es nicht abgetragen, bis das nächste gereicht wurde, wenn überhaupt. Also lagen die Überreste des Wildschweins vor ihm auf dem Brett und zwei Knusten seines frischen Brotes, das er nicht mehr geschafft hatte und den feinen Saft des Bratens aufsog.
Sam hatte nur altes Brot bekommen und hatte es verschmäht wie bei den letzten drei Mahlzeiten ebenfalls. Er drohte nicht zu speisen, bis man ihm sein Weib zeigte. Unversehrt.
»Du musst hungrig sein.« Perfide, aber wenn der Bursche nicht nachgab, bliebe nur Wulfs Vorschlag, den Burschen und sein Weib zu eliminieren. Gefangenhalten funktionierte auf lange Sicht nicht und lohnte auch nur, wenn aus ihm etwas rauszubringen war oder er sonst wie von Nutzen sein konnte. Und danach sah es derzeit nicht aus.
Hawk stand träge auf und nahm sein Brett, um auf den Buben zuzugehen und sich vor ihn zu hocken. Sams Hände waren vor seinem Leib zusammengebunden, und er war auf Waffen abgesucht worden. Er war demnach keine Gefahr.
»Dir muss doch der Mund wässrig werden bei dieser Aussicht. Ein weiches, saftiges Stück Wildschwein. Hm.«
»Ihr seid ein Barbar«, knurrte er und wendete das Gesicht ab. Der Schwung seines Nackens fiel Hawk auf, was ziemlich irritierend war. Das Lager war voll mit Männern aller Altersklassen, nie war ihm ein Nacken aufgefallen. Sich losreißend, ließ er das Brett sinken und stand auf. Aus diesem Blickwinkel war die Gestalt des Burschen noch angenehmer zu betrachten. Wohl, weil ihm der böse Blick erspart blieb. Hawk wendete sich ab.
»Nein. Bursche, du bist in keiner glücklichen Lage.«
Sam schnaubte betont abfällig. »Gebt mir einen Dolch, und wir werden sehen, wer in einer unglücklichen Lage steckt.«
»Ihr seid ein Narr.« Es war völlig zwecklos, was er hier versuchte. Verärgert ließ er den Burschen allein und stapfte durch das nächtliche Lager. Wulfs Zelt befand sich am anderen Ende und obwohl sein Rat bereits eingeholt und ausgeschlagen worden war, war es das vernünftigste Ziel, das ihm einfallen mochte.
Wulf sah auf, als er sein Zelt betrat, blieb aber in seinem Lager gefläzt liegen. »Na, hat Euch der Bursche etwas verraten?« Seine Zweifel schwangen dank seines Spotts offen durch. »Seine dunkelsten Geheimnisse vielleicht? Dass er seine Männlichkeit noch nie erprobte zum Beispiel?« Er lachte auf. »Weib, was für ein schlechter Spaß! Vermutlich war er der Narr an des Dukes Hof!«
»Da die Stelle nun vakant ist, mögt Ihr euch vielleicht darauf bewerben?« Hawk zog sich einen Hocker ran und ließ sich tief seufzend nieder. »Er ist erstaunlich stur.«
»Er braucht eine Abreibung, die ihn an seinen Stand erinnert.«
»Vergesst Ihr da nicht etwas von Bedeutung? Wir sind Vogelfreie, er ein Pferdedieb, derzeit tun wir uns nicht viel.«
Wulf grunzte und kam mit Schwung hoch. »Das Mädchen ist der Schlüssel.«
»Schlagt ihr nun vor, wir malträtieren kleine Mädchen anstatt kleiner Jungs?« Das machte es nicht angenehmer, ganz im Gegenteil.
»Vielleicht gibt es andere Wege«, murmelte Wulf, wobei sich ein zufriedenes Grinsen auf seine Lippen schlich. Hawk ahnte, worauf es hinauslief.
»Sie ist eine verheiratete Frau.«
»Eben.« Wulf zuckte die Achseln. »Eine verheiratete Frau, die sich von einem Kind anfassen lassen muss. Sie wird mir dankbar sein für mein Interesse.«
»Ich bin davon überzeugt, dass wir uns an den Burschen halten sollten. Wir brauchen einen Weg …« Seine Gedanken wanderten ab auf der frenetischen Suche nach diesem Weg. Sicher war, dass er es versuchen wollte – auf Teufel komm raus – bevor er zuließ, dass dem Knaben ein Leid geschah, und der Weg über das Mädchen wäre erst der vorletzte. »Lass sie. Wenn Ihr Langeweile habt, übt Euch im Zweikampf.«
Obwohl es ihn nicht zurück in sein Zelt zog, bedeutete ein Rundgang über das Gelände immer eine unerwünschte Ablenkung. Es gab dutzende Stationen und ebenso viele Anfragen, die ihn erreichten. Was war der nächste Schritt, woher kamen die Neuankömmlinge, wie sollte mit ihnen verfahren werden … Diese Fragen beherrschten nicht nur ihn.
»Jo!«, rief das Mädchen in schriller Tonlage und flog dabei nahezu durch das Zelt, wo sie sich dann auf ihren Gefährten warf. Heulend und Wehklagend. Sam tätschelte ihre Hand und versicherte ihr, es ginge ihm wohl. Eine Lüge, denn mittlerweile hatte er fünf Tage nichts zu sich genommen und dementsprechend schwach war er.
»Er wird die Woche nicht überstehen«, mischte sich Hawk ein und erntete einen bösen Blick. Das Mädchen quiekte voller Entsetzen.
»Bitte, Ihr dürft Jo nichts zuleide tun! Ich flehe Euch an!«
»Gretchen!«, zischte Sam und griff nach ihren Fingern, um sie fest zu drücken. »Ich sterbe lieber als …« Der Rest blieb ein stummes Zwiegespräch zwischen den Beiden.
»Und ich?«, wisperte das Mädchen. »Was wird aus mir?«
Ein Ruck ging durch Sam, und die Frage hatte endlich die Wirkung, die sein Wohl nie in ihm auslöste. Er setzte sich auf, was ihn schier unendliche Kraft kosten musste, verlor er doch den letzten Rest an Farbe.
»Gretchen …« Verzweiflung machte sich auf seinem Antlitz breit, und er wirkte noch unmännlicher als jemals zuvor. Auf wie viele Lenze mochte er kommen?
»Es liegt an Euch«, mischte Hawk sich nach einem Räuspern wieder ein. »Mir liegt nichts daran, Kindern den Garaus zu machen.«
Wieder quiekte das Mädchen und drängte sich noch fester in die Umarmung ihres Gefährten, wo sie leise zu weinen begann. Sams Blick richtete sich mit einem Ärger auf ihn, der wohl gerechtfertigt war. »Es gibt Schlimmeres als den Tod!«
»Wohl wahr.« Allerdings war es eine sehr endgültige Weltansicht. »So suchst du ihn und wünscht ihn auch deiner Gefährtin?«
Sams Miene wurde eisig. »Es fehlt an Möglichkeiten.«
»Ich biete dir einen Ausweg.« Hawk lockerte seine Haltung, hatte er doch bisher breitbeinig vor dem Paar gestanden und die Arme vor der Brust verschränkt. Nun kniete er sich zu ihnen. »Du bist ein gescheiter Junge, und sie liegt dir doch am Herzen.«
Sam bestätigte es, indem er das Mädchen enger an sich zog.
»Die Informationen, die ich suche, betreffen dich doch nicht. Sie sind so allgemein, dass man sie auch nicht auf dich zurückführen könnte. Was ficht es dich an, ob wir es auch wissen? Ihr seid geflohen, habt ein Streitross entwendet und edle Gewänder eurer Herrin. Es gibt keinen Weg zurück für euch, das muss euch doch bewusst sein.«
»Wir haben nicht vor, jemals nach Knightsbridge zurückzukehren!« Das nahm er ihm bedenkenlos ab.
»Was hindert dich dann, mir von Knightsbridge zu erzählen?«
Sam schnaubte und maß ihn mit einem Blick, der mehr als deutlich sagte, was er von ihm hielt. »Es wäre unser Tod.«
»Knightsbridge …«
»Es ist das einzige, womit wir Euch dienlich sein könnten, und Ihr werdet Euch unser entledigen, sobald ich auch nur einen Ton verliere!«, spie er und wirkte wie ein angriffslustiger Hund. Trotzdem blieb etwas Weiches an ihm, etwas, das einen Instinkt in Hawk auslöste, den er nicht verstand.
»Ich schwöre dir …«
Sam spuckte aus. »Ihr seid so glaubwürdig wie jeder andere Halsabschneider!«
»Wie du selbst, nicht wahr?« Wieder wirkte Sam, als wolle er etwas sagen und verkniff es sich gerade noch so.
»Ihr seid nicht mit mir vergleichbar.«
»Du hast kein Vertrauen zu mir.«
Ein Schnauben war die Antwort, und Sam hob die gebundenen Hände. »Wir wurden überfallen, misshandelt und gefangen gehalten.«
Da war es schwer, Vertrauen zu fassen. Hawk starrte ihn an. Er hatte Augen, die strahlten wie der Morgenhimmel. »Vertrauen ist auf beiden Seiten notwendig«, murmelte er noch immer abgelenkt. Dieser Bube rührte etwas in ihm, keine Frage. »Ich bin bereit, dir zu vertrauen.« Er zog seinen Dolch aus der Scheide und hielt ihn hoch. Die Magd keuchte und drängte sich gegen ihren Gefährten, der ihn wiederum gelassen anfunkelte. Langsam senkte er den Dolch zwischen die gebundenen Hände und schnitt die Seile mit einem schnellen Ruck entzwei.
»Ich mache den Anfang.«
Sam rieb sich die Gelenke, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
»Du hast freien Zugang zu jedem Ort innerhalb dieses Camps.«
Er schnaubte verdrossen, und Hawk hob die freie Hand, um seine Aufmerksamkeit zurückzuerlangen. »Vorerst müsst ihr bleiben, aber euch wird kein Leid zugefügt werden, darauf gebe ich dir mein Ehrenwort.«
Sams geschwungene Lippen verzogen sich verächtlich.
»Eure Flucht war nicht durchdacht. Du kannst das Wohl deiner Gefährtin nicht gewährleisten. Ich biete dir zwei Dinge, die dir in Zukunft gute Dienste erweisen werden: Wir lehren dich die Kampfkunst und dein Weib das Überleben in karger Natur.«
Viel mehr könnte der Bursche dem Mädchen ohnehin nie bieten.
Sams durchdringender Blick ruhte auf ihm, ein deutlicher Beweis, dass er dessen Aufmerksamkeit eingefangen hatte. Sehr gut!
»Ich will Euren Schutz! Niemand wird Gretchen zu nahe kommen! Und ich will mein Pferd!«
Der Bursche war deutlich zu gierig, aber da er derzeit in ungewöhnlich nachgiebiger Laune war, stimmte er zu.
Sam atmete aus und verlor dabei einiges seiner zuvor verbissenen Haltung. Er sackte zusammen.
»Im Gegenzug erwarte ich deinen Gehorsam und deine Dienste. Gretchen wird die anderen Frauen unterstützen und von ihnen lernen.« Angespannt wartete Hawk, als ginge es um mehr als die Zustimmung eines bockigen Jünglings.
»Dienen?«, hauchte die Magd und starrte Sam dabei an, als wäre es ein monströser Vorschlag.
»Ordnung halten, mein Essen bringen, meine Ausrüstung pflegen …« Die Aufgaben eines Knappen, auf den er hier im Sherwood bereits viel zu lange verzichten musste.
»Ich lerne zu kämpfen, und Gretchen wird nicht angetastet!«
Darauf beharrte der Knabe deutlich zu heftig, aber irgendwie war es auch beruhigend, wie zugetan er der Magd war. Vermutlich war sie tatsächlich der Schlüssel zu seinem Gehorsam.
»Gretchen steht unter meinem Schutz. Niemand wird es wagen, sich ihr zu nähern, darauf gebe ich dir mein Wort.«
»Schön«, murmelte Sam und sackte weiter zurück. Seine Lider schlossen sich. »Gretchen …« Seine weiche Stimme verlor sich, aber Hawk lauschte ihr nach. Sein Blick ruhte noch immer auf dem blassen Antlitz des Knaben mit eigenartiger Faszination.
Ein Lager vollerHalsabschneider
Johanna sah auf. Sie hasste es. Sie war einfach zu klein und musste ständig zu jedem aufblicken. Man nahm sie einfach nicht ernst. Man verspottete sie und ganz besonders Wulf. Er nannte sie Zwerg oder Bübchen und traktierte sie mit gemeinen Angriffen. So wie gerade eben.
»Auf, Kleiner!«, befahl er hämisch grinsend. »Wir sind noch nicht fertig!«
Johanna rappelte sich auf. »Sam!«, zischte sie. »Ich habe einen Namen, benutzt ihn gefällig!«
Wulf wechselte die Schwerthand. »Schön, Kleiner. Ich sage dir was, wenn du mich schlägst, benutze ich deinen Namen, und damit du eine klitzekleine Chance hast, benutze ich nicht meine starke Hand.«
Johanna schnaubte ärgerlich. Er führte sie vor! Sie hob das Schwert, das viel zu schwer für sie war, und machte sich auf seinen Angriff gefasst. Er hob das Schwert und ließ es mit einem großen Bogen auf sie nieder donnern. Johanna ging in die Knie. Der nächste Hieb lähmte ihren Arm. Sie würde es nie schaffen. Sie war einfach nicht stark genug dafür. Der nächste Schlag zwang sie gnadenlos zu Boden.
»Also bleibt es wohl bei Kleiner!«
Er ließ sie liegen.
»Sam!« Gretchen kam auf sie zu geflogen und warf sich neben ihr auf den Boden. »Bist du verletzt?« Tränen standen in ihren Augen, Angst vibrierte in ihrer Stimme.
Johanna schüttelte den Kopf. »Es geht schon«, murmelte sie, obwohl sie ihren Schwertarm noch nicht wieder spüren konnte. Sie kam auf die Beine und zog Gretchen mit.
»Freut Ihr Euch wieder, weil Ihr einen Knaben besiegt habt?« Hawks Stimme barst vor Amüsement.
»Nun, der Kleine hält sich für einen Mann, soll er doch auch kämpfen wie einer!« Wulf warf einen Blick auf sie und grinste überheblich.
»Seid Ihr noch in einem Stück, Sam?«, fragte der Bandenführer und musterte sie kritisch. Johanna wäre lieber tot umgefallen, als die Wahrheit kundzutun, also log sie: »Mir geht es gut.«
»Sehr gut! Ich habe eine Aufgabe für dich.«
»Eure Hemden nähen, Hawk?«, frotzelte Wulf. »Oder Euer Zelt fegen?«
Johanna biss die Zähne zusammen. Sollte Hawk tatsächlich solche Aufgaben für sie bereithalten, würde er sein blaues Wunder erleben.
»Komm mit, Sam.« Er drehte ihr den Rücken zu, als bezweifelte er ihr Folgen nicht im Geringsten. Johanna drückte Gretchens Hand.
»Ich komme, sobald ich fertig bin«, versprach sie und trottete hinter Hawk her. Sie fragte nicht, was es zu tun gab, sondern folgte dem Anführer der Räuber wortlos.
»Was hältst du von einem Ausritt?«
Johanna stolperte bei der unerwarteten Anrede.
Hawk bedeutete ihr aufzuschließen. »Ich möchte dir etwas zeigen. Komm.«
Johanna folgte ihm zum Gatter, in dem die Pferde der Meute eingepfercht waren. Johanna suchte nach Hektor und fühlte sich gleich etwas besser, als ihr Hengst ihr zur Begrüßung zuwieherte.
Hawk befestigte einen Sack am Sattel seines Reittieres und schwang sich auf dessen Rücken, ohne ihr Hilfe anzubieten. Johanna führte Hektor zum Gatter und schwang sich mit etwas Mühe selbst auf das Pferd. Sie folgte ihm schweigend und warf ihm lediglich hin und wieder einen irritierten Blick zu. Nach gefühlten Stunden bedeutete er ihr leise zu sein und rutschte vom Pferd. Im Nu waren sie umrundet, und Johanna stockte das Herz. Hawk hingegen nickte lediglich zufrieden und übergab die Zügel.
»Komm, Sam«, flüsterte er und schlich los. Sie folgte noch verwirrter als zuvor und duckte sich, als sich die Bäume lichteten und eine breite Straße freigaben, die hinter einigem Gesträuch verborgen gewesen war. Johanna sah den Weg hinab und hätte beinahe erschrocken aufgeschrien, als ihr bewusst wurde, wo sie waren. Whitescorn. Hawk deutete auf die kleine Trutzburg. »Wir müssen dort hinein und die Wachen zählen.« Er sah sie an, und Johanna schüttelte den Kopf.
»Du wirst das übernehmen.«
Johanna klappte der Mund auf. Sie konnte unmöglich in die Burg spazieren und die Wachen zählen! Wenn ihr Vater dort war!
»Keine Sorge, man wird dich nicht erkennen«, missinterpretierte Hawk ihr Erschrecken und grinste sie an, wie es sonst nur Wulf tat. Die eigentliche Schmähung hätte bei dem noch ausgestanden. »Du wirst Brot verkaufen.«
Johanna entließ langsam den angehaltenen Atem. »Mägde verkaufen Brot«, murmelte sie den Kopf schüttelnd. »Ich würde auffallen …«
Hawks Grinsen vertiefte sich. »Wulf hat in dem Punkt nicht unrecht, Sam, man wird dir die Magd abkaufen.«
Johanna fiel die Contenance aus dem Gesicht. »Nein!«, zischte sie und dachte mit Grauen an ihre Enttarnung.
»Na, komm schon, Sam«, lockte Hawk begütigend. »Denk an all die hübschen Mädchen, die sich ohne Scheu mit dir unterhalten werden.«
Johanna verkniff die Lippen. »Mich interessieren keine Mädchen!«, knirschte sie angespannt und setzte dann hintenan: »Außer Gretchen!«
»Fein«, murmelte Hawk, das Amüsement verlierend und mit sich verengenden Augen. »Dann, weil ich es dir befehle!«
Johanna schluckte. Sie hatte Gehorsam geschworen. Um Gretchen und ihr Leben zu bewahren, nicht, um der Bande beitreten zu dürfen. Nichtsdestotrotz blieb ihr keine Wahl, wenn sie überleben wollte. Wenn sie Gretchen beschützen wollte. Sie richtete ihren Blick zurück auf die Trutzburg. Eine Fahne flatterte im Wind. Es war nicht die von Whitescorn, und soweit sie es aus der Entfernung ausmachen konnte, auch nicht die von Knightsbridge, ihrem Vater. Warum wehte eine fremde Fahne auf den Zinnen von Whitescorn?
»Ich verkaufe Brot? Wie soll ich da die Wachen zählen? Ich bin an meinen Stand gebunden. Was ist, wenn man mich erkennt?«, presste sie hervor und wurde mit einem nachdenklichen Blick bedacht.
»Wer sollte dich erkennen?«, fragte Wulf nach.
»Das ist Whitescorn«, offenbarte sie und sah ihn an. »Es mag nicht das Whitescorn-Wappen sein, das gehisst wurde, aber die Burg …«
Wulf betrachtete sie vorsichtig. »Du kennst die Burg?«
Johanna rollte die Augen. »Sie gehört zu Knightsbridge«, gab sie an. »Ich war schon dort.«
»Wie viele Wachen?«
Johanna schüttelte den Kopf. »Das ist Jahre her, und mich haben die Bewaffneten wahrlich nicht geschert.« Die halbe Wahrheit. Sie wusste, wie viele Mannen die Burg hielten. Sie kannte auch die ungefähre Zahl des Gesindes und den Verbrauch und das Einkommen der Güter, die sie erwirkte. »Du warst Knappe …«, hielt er ihr vor, und Johanna berichtigte umgehend: »Nur ein Laufbursche. Für die Ladys.«
Hawk nickte langsam. »Dann müssen wir das Risiko eingehen. Oder wir schicken Gretchen.«
Johanna stockte der Atem und er konnte ihr die Antwort aus dem Gesicht ablesen. Sie schluckte und äußerte das Erste, was ihr in den Sinn kam: »Sie ist Magd der Lady Knightsbridge. Aus Berg, vom Festland. Deswegen ist ihr Englisch so holprig.«
Seine Brauen zogen sich zusammen und er musterte sie erneut, deutlich kritisch. Dann nickte er. »Ich brauche die Zahl der Wachen. Du wirst die Ohren aufhalten. Vielleicht hörst du etwas, das von Interesse ist.«
»Nun, Liebchen«, raunte die Wache und lehnte sich gefährlich weit über ihr schmales Auslagebrett. »Was bekomme ich für einen Gulden?«
Johanna verkniff sich ihren Ekel. »Drei Laib Brot«, gab sie gepresst zur Antwort und verfluchte Hawk für diesen Auftrag. Die Wache lachte auf und versuchte nach ihr zu haschen, aber Johanna wich aus. »Ihr behindert meinen Verkauf. Gehabt Euch wohl!«
Leider verstand der Bewaffnete den Hinweis nicht.
»Ein Leib genügt mir vollauf, Liebchen. Komm, dort hinten wird man uns nicht sehen.« Er deutete zum Ausfalltor, das hinter einer Mauer, einer Treppe und derzeit hinter einem Haufen Unrat verborgen war. Johanna kniff die Lippen zusammen. Ihr Onkel hätte diesem Kerl das Fell über die Ohren gezogen für sein Gebaren.
»Ich verkaufe Teigwaren!«, spie Johanna und griff nach einem harten Bauernbrot. Eine unzureichende Waffe, wenn es ernst wurde, aber besser als mit bloßen Händen dazustehen. Sie war die Tochter eines britischen Dukes, Enkelin eines Königs! Dieser Kerl würde sich nicht an ihr vergehen!
»Gut«, murmelte der Bewaffnete. »Dann nehme ich ein Brot dazu. Ich habe immer Hunger … danach.« Er grinste zufrieden und sah bedeutsam an ihr herab.
Johanna verfluchte Hawk innerlich erneut und schloss Wulf gleich mit ein. Eine Magd aus ihr zu machen, war ganz sicher dessen Idee gewesen.
»Mein Herr?«
Die Wache drehte sich unwillig um, und auch Johanna schwenkte ihre Aufmerksamkeit auf den hinzugetretenen, alten Mann. »Dürfte ich einen Laib erstehen, solange Ihr feilscht?«
Johanna versuchte sich an einem Lächeln. »Drei Schilling für das Weizen und fünf für das Korn, mein Herr.«
»Ihr wartet!«, beschied der Wachmann und schubste den Alten zur Seite.
»So lasst ihn!«, ging Johanna dazwischen und verließ dafür ihren Verkaufsstand. »Schert Euch fort, wenn Ihr kein Brot kaufen wollt!«
Der Wachmann fing sie ein und drückte sie an seinen stinkenden Leib. Johanna verging der Atem, aber nicht ihre Wehrhaftigkeit. Sie stieß ihm den Ellenbogen in den Magen, so fest sie konnte und bohrte ihre Nägel gleichsam in sein Gesicht. Sie verfehlte das Auge und brachte ihm tiefe Kratzer über die Wange bei. Der Wachmann stieß sie aufschreiend von sich.
»Verfluchte Dirne!«, keifte er, sich die Wange haltend und gleichsam sein Schwert ziehend. »Dafür wirst du büßen, Hexe!«
Johannas Griff ging ins Leere. Das Kleid behindert ihren Rückzug und, obwohl sie durch jahrelanges Kleidertragen daran gewöhnt sein sollte, brachte es sie zu Fall. Der alte Mann stieß den Stand mit dem Brot um und riss sie mit überraschender Kraft auf die Füße.
»Kommt schon«, hisste er und schubste sie zum Tor.
»Haltet Euch zurück, alter Mann!«, warnte der Bewaffnete, dem ein Haufen Kinder in den Weg lief, die sich auf das Brot stürzen wollten. Johanna haderte mit sich. Sollte sie den alten Mann zurücklassen und ihn der Wut des Tölpels ausliefern?
»Nun kommt schon!«, knurrte der alte Mann und zog sie mit sich. Erstaunlich flink. Am Tor warteten zwei Pferde auf sie. Sie wurde gepackt und auf den Rücken geschwungen. Johanna starrte auf den erstaunlich kräftigen alten Mann herab in zwei nur zu bekannte Augen. Hawk. Er hatte sie nicht allein gelassen.