Heiße Nächte in Cherryoke Falls - Katherine Collins - E-Book

Heiße Nächte in Cherryoke Falls E-Book

Katherine Collins

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Beschreibung

Chase Mitchells Liebesleben ist wild, sein Job gefährlich und sein Alltag ruhig, bis er auf Evangeline trifft. Ausgerechnet die schüchterne Schwester seines neuen Stellvertreters - eine Künstlerin - stellt seine Ansicht auf den Kopf, ein perfektes Leben zu führen. Evangeline Patronelli ihrerseits kann mit muskelbepackten Möchtegernhelden absolut nichts anfangen. Schon gar nicht mit Mike, dem besten Freund ihres Zwillingsbruders, der ihr kaum von der Seite weicht, sobald sie aufeinander treffen. Aber Chase geht ihr schlicht unter die Haut.

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1. Kapitel 1
2. Kapitel 2
3. Kapitel 3
4. Kapitel 4
5. Kapitel 5
6. Kapitel 6
7. Kapitel 7
8. Kapitel 8
9. Kapitel 9
10. Kapitel 10
11. Kapitel 11
12. Kapitel 12
13. Kapitel 13
14. Kapitel 14
15. Kapitel 15
16. Kapitel 16
17. Kapitel 17
18. Kapitel 18
19. Kapitel 19
20. Kapitel 20
21. Kapitel 21
22. Kapitel 22
23. Kapitel 23
24. Kapitel 24
25. Kapitel 25
26. Kapitel 26
27. Kapitel 27
28. Kapitel 28
29. Kapitel 1
Cherryoak Falls-Reihe

 

 

 

 

Heiße Nächte in

Cherryoak Falls

 

Hearts on fire

Band 1

 

 

Katherine Collins

 

 

 

 

Erstausgabe Juni 2020

© 2020 Katherine Collins

Türkenort 11

45711 Datteln

[email protected]

Made with l♥ve

Alle Rechte vorbehalten Heiße Nächte in Cherryoak Falls

 

Umschlaggestaltung: Kathrin Fuhrmann

unter Verwendung von Bildmaterial von (c) firefighter montreal / Shutterstock.com (firefighter), (c) LeksusTuss / Shutterstock.com (Hintergrund) und (c) volcebyyoiu / Shutterstock.com (Aquarellblütenrahmen), (c) MSSA / Shutterstock.com (blühender Sakura Textillustration)

Lektorat: Jessica Weber

Satz: Katherine Collins

ISBN: 9798652295769

Imprint: Independently published

 

 

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung wiedergegeben werden. Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

 

 

Chase Mitchells Liebesleben ist wild, sein Job gefährlich und sein Alltag ruhig, bis er auf Evangeline trifft. Ausgerechnet die schüchterne Schwester seines neuen Stellvertreters - eine Künstlerin - stellt seine Ansicht auf den Kopf, ein perfektes Leben zu führen.

Evangeline Petronelli ihrerseits kann mit muskelbepackten Möchtegernhelden absolut nichts anfangen. Schon gar nicht mit Mike, dem besten Freund ihres Zwillingsbruders, der ihr kaum von der Seite weicht, sobald sie aufeinandertreffen. Aber Chase geht ihr schlicht unter die Haut.

 

 

 

1. Kapitel 1

Tag der offenen Tür

 

Evangeline Petronelli schlürfte ihren Kaffee, während sie sich aufmerksam umsah. Es herrschte ein Riesenandrang beim Tag der offenen Tür der Firestation 21. Die Stände reichten noch ein Stück die Straße hinab, da zusätzlich ein Trödelmarkt stattfand. Die Durchfahrt auf der West Castle Avenue war gesperrt worden, damit die Löschfahrzeuge auf der Straße stehen konnten, um von Neugierigen angeschaut zu werden. Die Fahrzeuge blockierten aber auch die Aussicht.

Eva streckte sich, wodurch ihr Überblick nicht besser wurde. Mit ihren knappen 1,60 m überragte sie gerade mal die Kinder, die sich auf dem Platz vor der Feuerwache tummelten, aber sonst kaum jemanden. Dennoch streckte sie sich so weit wie möglich und balancierte auf den Zehenspitzen. Zum Glück war Kelly, ihre beste Freundin und Begleiterin, größer, sodass Eva sie trotz ihres eigenen Mankos ausmachen konnte. Kelly wuselte durch die Menge auf sie zu. Erleichtert nahm Eva den letzten Schluck von ihrem Kaffee und steckte die Thermotasse in ihre Umhängetasche. Sie hatte schon befürchtet, Kelly hätte sich abgesetzt und sie müsste den Rest des Tages allein verbringen anstatt mit der Freundin, wie es geplant gewesen war. Kelly lebte hundertdreißig Meilen entfernt in Santa Barbara, weshalb sie sich nur noch sporadisch sahen. Leider war sie aber auch sprunghaft und für jeden Flirt zu haben.

Kelly wich einer Traube Kinder aus, ohne sie zu beachten, und schwenkte etwas.

»Schau mal«, rief sie, als sie endlich bei ihr ankam, »ich habe dir auch einen mitgebracht!«

Eva nahm ihr die Tüte ab und warf einen flüchtigen Blick hinein. »Ah, ein Kalender«, murmelte sie, wobei sie ihn hinauszog und die Deckseite umschlug.

»Und was für einer!«, frohlockte Kelly, aber es war zu spät. Eva starrte auf einen nackten Männerkörper mit Feuerwehrhelm auf dem Kopf und Wasserrohr im Schritt, aus dem auch noch ein Schwall Wasser schoss. Kelly stieß sie an. »Heiß, was?«

Eva hob geschockt den Blick. »Was ist denn das?«

Kelly zwinkerte, breit grinsend. »Sexy Firefighter!« Sie streckte die Hand aus und drehte die Seite um. »Und die werden immer besser!«

Eva wollte gar nicht, sah aber trotzdem auf das Hochglanzbild herab. Ein dunkelhaariger Typ, nass von Kopf bis Fuß und, bis auf die bedenklich tief hängende Hose, nackt. »Eric!«, fiepte sie mit schmerzhaft hoher Stimme.

»Dein Bruder?« Kelly beugte sich vor und drehte den Kalender halb. Sie pfiff beeindruckt. »Wann stellst du ihn mir endlich vor?«

Zumindest riss dies Eva aus ihrer Erstarrung. Sie schlug die Seiten zu und senkte den Kalender. »Gar nicht! Er ist verheiratet und sie bekommen Zwillinge!«

»Und? Das macht ihn nicht weniger sexy.« Kellys Brauen zuckten vielsagend nach oben. Eva stöhnte und hob die freie Hand, um ihren Zeigefinger in das Gesicht der Freundin zu halten.

»Nein, Kelly! Meinen Bruder lässt du in Ruhe! Es gibt hier doch genug andere …« Sie blätterte abwesend in dem Kalender und schlug eine Seite auf, um sie Kelly zu präsentieren. »… sexy Firefighter«, schloss sie und deutete auf das Bild. Die Freundin betrachtete es mit unverhohlener Begeisterung.

»Hm, was glaubst du, wie er den Helm hält?«

Eva wollte nicht hinschauen, musste aber. Sie bereute es. Dieser Feuerwehrmann war tatsächlich völlig nackt. Sein bestes Stück versteckte sich gerade so hinter seinem Helm. Die Hände hatte er in die Hüften gestemmt. »Oh, das ist doch …!« Eva ließ Kelly stehen, um ihren Bruder zu finden, gab aber schnell auf. Es war dumm zu glauben, ihm in dem Gewusel über den Weg zu laufen, und bei ihrem Glück stand sie stattdessen Mr September gegenüber. Sie zog ihr Telefon aus der Tasche und wählte die Nummer ihres Bruders. Ihre Schritte lenkte sie weg von der Masse und schlüpfte zudem durch die angelehnte Tür ins Nebengebäude. Dort stand einer der großen Löschzüge im Sonnenlicht, das durch das Oberlicht in die Halle fiel. Sie umrundete den Wagen, um zusätzlich Abstand zu den Menschen draußen zu bekommen, und lehnte sich in dessen Schatten. Nach einigen Atemzügen, die sie sich zur Beruhigung gönnte, hob sie den vermaledeiten Kalender erneut an. Eric ließ sich deutlich zu viel Zeit zum Abnehmen.

»Hey, Schnecke!«

Eva entließ zischend den Atem. »Eric!«

»Am Apparat.«

»Was machst du für Schweinskram!«

Eric lachte schallend und Eva musste das Telefon kurz vom Ohr nehmen.

»Mama und Papa rotieren in ihren Gräbern!«, zischte sie und klemmte das Handy zwischen Schulter und Ohr ein, um in dem Kalender zu blättern. »Verflixt, kann man dich denn einfach nicht aus den Augen lassen? Was hast du dir nur dabei gedacht?«

»Charity, Schneckchen«, stellte Eric fest und lachte immer noch auf ihre Kosten. »Sie gehen weg wie warme Semmeln!«

»Was sagt Rosa dazu, dass dich die ganze Stadt nackt an die Wand pinnen kann?«, hielt Eva dagegen und wagte dabei einen zweiten Blick auf ihren ausgezogenen Bruder. »Mein Gott, ist das eine Fotomontage?«

»Das ist Kunst, Schnecke, das solltest gerade du …«

»Das ist Pornographie, Eric!«, korrigierte sie fest und schüttelte den Kopf. »Und hat nichts mit Kunst zu tun. Geschmacklos ist es auch noch.«

»Nein, Eva, du bist nur prüde.«

Eva schnaubte verdrossen. »Dir ist klar, dass ich von nun an einen großen Umweg werde machen müssen, um von der Arbeit nach Hause zu kommen?« Allein der Gedanke, ihr könnte September über den Weg laufen, ließ heißes Blut in ihre Wangen schießen. Vermutlich würde sie ihm unentwegt in den Schritt starren, wo er den Wasserschlauch gehalten hatte, genau diese Szene vor Augen. Die anzüglichen Bilder bekam sie nie wieder aus dem Kopf, ohne Ähnliches auf die Leinwand zu bringen. Und nackte Männerkörper wollte sie schon deswegen nicht in ihrem Atelier stehen haben, weil sie Eric und Kelly nur darin bestärkten, dass Eva unglaublich einsam war. Wieder lachte ihr Bruder und sie musste das Telefon vom Ohr nehmen. Dabei fiel ihr der Kalender herunter.

»Aber warum denn? Dich werden doch ein paar leicht bekleidete Männerkörper nicht aus der Bahn werfen?«

»Haha«, murrte sie, kniete sich nieder und quietschte: »Oh nein!« Der Typ auf dem Bild war auch kein Unbekannter. »Mike!«

»Er lässt fragen, ob du deine Meinung nun ändern wirst.«

»Meinung?«, haspelte sie und schlug das Bild um. »Ich werde wieder wegziehen! Ich werde das Land verlassen. Nach Venedig wollte ich immer schon mal.« Gab es ein einziges Bild in diesem Kalender, das man sich aufhängen konnte, ohne bei jedem Blick darauf rot anzulaufen?

Eric konnte sich vor Belustigung kaum halten. »Geh mit ihm aus.«

»Nein! Ich gehe nicht mit Typen aus, die sich mit Nacktaufnahmen profilieren wollen. Verflixt, Eric! Ich werde die nächsten Wochen dank furchtbarer Albträume nicht schlafen können!«

»Vielleicht werden es erotische Träume, Schneckchen, und du steckst dein Köpfchen mal aus deinem Schneckenhäuschen.«

Eva erschauerte. »Na danke! Ich brauche keine erotischen Träume.« Sie hob den Kalender vom Boden auf und kam hoch, um sich wieder an den Löschzug zu lehnen. »Schon gar nicht von Mike«, murrte sie. »Aber Kelly hätte wohl Interesse.« Sie verdrehte die Augen.

»Kellys Einsamkeit geht mich nichts an, Schwesterchen.« Eric schnalzte. »Wer gefällt dir denn? Ich kann sicher was organisieren.«

»Hast du mir nicht zugehört? Ich habe generell kein Interesse an muskelbepackten, ölverschmierten Typen, die sich in aufdringlichen Posen ablichten lassen!« Sie drehte sich um und setzte sich auf den Tritt, wobei sie den Kalender auf dem Schoß ablegte. Er rutschte und sie musste die Hand auf die Ablichtung eines nackten Feuerwehrmannes legen, damit er ihr nicht erneut vor die Füße fiel. »Was ist mit dem Rundgang, den du mir versprochen hast?«, lenkte sie mit bebender Stimme ab. Zwischen ihren Finger glotzte Mike sie an, also schloss sie die Lücke. »Das war doch keine Finte, um mich herzulocken, damit ich über dein schmutziges Hobby stolpere?«

Eric lachte schallend. »Was hältst du von August?«

Sie verdrehte die Augen, da er ihre Frage ignoriert hatte, und schlug besagten Monat auf. »Habe ich mir nicht angesehen. Warum?« Ein weiterer gestählter Körper erwartete sie. Schwarz-weiß und mit einem undeutlichen Tattoo in der Leistengegend. Immerhin besser, als den Freund des Bruders ansehen zu müssen, zumal dieser Typ zumindest nur von der Hüfte aufwärts abgebildet worden war. Er wandte den Kopf ab, sodass man sein Gesicht nicht erkennen konnte.

»Single. Ebenso September, Januar und Mike natürlich. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich meinen Chief anpreisen sollte.«

Offenbar hatte ihr Bruder die Botschaft nicht verstanden. »Eric, ich habe kein Interesse an …«

»Bodenständigen, fleißigen Männern mit Touch zum Heldentum?«

Eva prustete. Ihre Finger trommelten auf dem Bild herum. »Eric, ich habe kein Interesse an deinem Chief! Ihr testosterongesteuerten Möchtegernhelden könnt mir gestohlen bleiben. Ganz besonders jene, die in diesem Skandalkalender verewigt sind. Ich gehe jetzt und schnappe mir so viele von diesen pornographischen Teilen, wie ich tragen kann, und verwandle sie in hübsche, graue Asche!« Sie stopfte den Kalender in ihre Tasche und sprang auf. Es mochte eine übertriebene Reaktion sein, aber irgendwer musste darauf achten, dass ihr Familienname nicht in den Dreck gezogen wurde. Ihr Bruder war dazu offenbar nicht imstande. »Wie hoch ist die Auflage?« Sie mochte es nicht einmal im Geiste überschlagen, was sie ausgeben musste, um tatsächlich alle Schundwerke aufzukaufen.

Eric lachte wieder und sie stellte sich vor, ihn gleich mit in Flammen zu setzen.

»Schneckchen, heute werden nur die Reste verscherbelt.«

Sie stöhnte verzweifelt, während sie den Löschzug umrundete. »Du weißt, dass, sollte bei mir ein Feuer ausbrechen, ich niemals anrufen würde, um es löschen zu lassen? Weil es mir einfach zu peinlich wäre …« Hinter ihr kam etwas schwer auf dem Boden auf und sie fuhr erschrocken herum. »… stände ich einem von ihnen gegenüber.« Ihr Blick zuckte über ihn und sie keuchte erleichtert, weil sie ihn nicht wiedererkannte. Jedoch trug er die typische Uniform des Cherryoak Falls Fire Department: dunkelblaue Hose, dunkelblaues Hemd mit kurzen Ärmeln, die sich um seinen beeindruckenden Bizeps spannten, und schwarze Schuhe, die auf Hochglanz poliert waren. Seine Marke blitzte ebenfalls im einfallenden Sonnenlicht, als er sich aufrichtete.

Nicht nur die Ärmel spannten, bemerkte sie mit brennenden Wangen, auch die Schenkel und die Brust drohten den Stoff seiner Uniform zu sprengen.

Er war genau die Art Mann, die sie soeben erst verunglimpft hatte, und wenn er auf dem Löschzug gewesen war, hatte er mit Sicherheit alles hören können. Eva versuchte es mit einem zittrigen Lächeln und nickte ihm zu. Dabei ermahnte sie sich, ruhig zu bleiben, schließlich hatte sie lediglich ihre Meinung gesagt, und das konnte ihr niemand verbieten.

Nur übel nehmen, daher wurde sie zunehmend nervös. Sein Blick glitt mit undeutbarer Miene über sie.

»Hallo.« Sie deutete mit dem Telefon in der Hand über die Schulter, was ihren Eindruck verstärkte, herumzuzappeln wie ein Kaninchen auf Speed. »Ich muss noch was anzünden.«

Sie drehte sich um, machte zwei unsichere Schritte und bemerkte dann, was sie gesagt hatte. Erschrocken fuhr sie erneut herum und stakste schnell zu dem Feuerwehrmann zurück, der ihr kritisch entgegensah. Sie hob in einer abwehrenden Geste die Hände, wobei ihr das Telefon auffiel. Eric amüsierte sich sicherlich köstlich am anderen Ende. Schnell legte sie auf und stopfte das Handy in ihre Umhängetasche. »Ich meinte, ich muss noch was erledigen. Selbstverständlich werde ich nichts anzünden. Wenn also etwas brennen wird …« Dann waren es ihre Wangen. Sie musste die Lippen befeuchten, um weitersprechen zu können. »… dann nicht, weil ich herumzündele.«

Sie hob die starren Mundwinkel in der Hoffnung, ihn von ihren verrückten Worten genügend abzulenken. War bereits die Androhung, ein Feuer zu legen, eine Straftat? Eva stockte das Herz. Besser sie beließ es dabei und verschwand so schnell wie möglich.

»Ich geh dann.« Wieder deutete sie über die Schulter. »Und … schau mal …« Mittlerweile brannten nicht nur ihre Wangen, und ihr Kopf war völlig leer. Sie ließ ihn stehen, mit den Nerven am Ende, und stolperte über ihre eigenen Füße.

Am Tor stieß sie mit Kelly zusammen. »Hey! Du hast mich stehen lassen!« Ihr Blick huschte an Eva vorbei und blieb an etwas hängen, das sie dazu brachte, einen Pfiff auszustoßen. »Holla.« Natürlich hatte sie den Baumstamm von einem Mann bemerkt.

Eva stöhnte, schließlich kannte sie die Freundin lang genug, um vorherzusehen, wie sie auf Männer reagierte – ob nun bekleidet oder nicht. »Bitte nicht«, murmelte sie. »Kelly …«

Diese hob die Hand und war bereits an Eva vorbei.

»Kelly!«

Eva blieb nichts anderes übrig, als zu verfolgen, wie die Freundin mit wiegenden Hüften auf den Feuerwehrmann zuging. »Hi«, säuselte sie dabei. »Ich bin Kelly.«

Eva stöhnte erneut. Sie hatte lediglich die Wahl, der Freundin hinterherzugehen oder sie mit ihrem neuen Fang allein zu lassen.

Kelly sah keck zu dem Hünen auf und leckte sich über die Lippen. »Und wer bist du?«

Nichts stellte sich zwischen die Freundin und ihren Flirt, also gab Eva auf. »Ich suche Eric. Ruf mich an, ja?«

»Und?«, säuselte Kelly in Evas Rücken, ohne auf sie einzugehen. »Wer beeindruckt mich gerade?«

Eva verdrehte die Augen. Es war offensichtlich nicht viel nötig, um Kelly zu beeindrucken.

»Mitchell.« Seine tiefe Stimme rollte Eva einem Schauer gleich über den Rücken, also ließ sie die Halle mitsamt der Freundin und ihrem neusten Liebhaber zurück.

Sie hob die Hand, um die Augen abzuschirmen, da die Sonne dem Horizont entgegensank. Um sie herum herrschte fröhliche Betriebsamkeit, die sie langsam von dem Schock ablenkte, einem von Erics Kollegen gegenübergestanden zu haben. Sie wühlte sich durch die Menge auf ihrem Weg zur Leitstelle am anderen Ende des Gebäudes. Zwar konnte sie nicht mit Sicherheit sagen, dass ihr verfluchter Bruder dort sein würde, aber sie wusste, dass es einen Balkon gab, von dem aus sie die Menschenmenge überblicken konnte. Es war aber nicht nötig, auf die schmale Plattform zu treten, denn als sie die Stufen in den ersten Stock emporstieg, konnte sie ihn lachen hören.

»Wenn du meinst, Mike, aber darauf verwette ich keinen Dollar.« Er schlug seinem Freund Mike gerade auf den Rücken, als Eva die Leitstelle betrat. »Sie ist deutlich eine Nummer zu groß für dich.« Er sah auf. »Hey, Schneckchen!«

Mike fuhr herum, direkt das Grinsen auf den Lippen, das sie nicht mochte. Eva fand es anzüglich, wie alles, was Mike tat. Jeder Blick von ihm schien sie auszuziehen und jedes Gespräch nur auf eines abzuzielen: sie ins Bett zu kriegen. Dabei war er absolut nicht ihr Typ. Er war eben einer jener überproportionierten Männer mit Hang zur Selbstüberschätzung, die sie in ihrem Telefonat zuvor angeprangert hatte.

»Evaaa!«, grüßte er mit einem Brummen im Ton, das dort nicht hingehörte.

»Hallo, Mike«, gab sie verhalten zurück und wandte sich an ihren Bruder. »Hier versteckst du dich also?«

»Mein Job, Schnecke, aber gleich werde ich abgelöst, dann zeige ich dir hier alles. Obwohl …« Er legte den Kopf schräg.

Natürlich war es unnötig, ihr das Interieur zu zeigen, kannte sie sich doch bereits aus. Sie zuckte die Achseln, damit er das Thema fallen ließ. »Ja, bitte! Ich kann es kaum erwarten, hier alles zu sehen.«

Eric schlang den Arm um sie und drückte sie an sich. Zwar waren sie Zwillinge, aber sie unterschieden sich erheblich voneinander, nicht nur im Geschlecht. Eric war mit seinen stattlichen 1,80 m größer als sie und auch seine Brust war deutlich breiter. Er gehörte ebenfalls zu den von ihr diffamierten Männern mit Muskeln, die einem auch dann ins Auge stachen, wenn sie anständig bekleidet waren. Seine Augen waren braun, nicht blau wie ihre, aber sie teilten das tiefschwarze Haar. Zusammengefasst war nicht auf den ersten Blick erkennbar, dass sie Zwillinge waren, aber ihre Verwandtschaft war doch offenkundig.

»Wir müssen noch auf Kelly warten«, murrte sie. »Sie …« Eva befreite sich von ihrem Bruder und strich sich über ihr Kleid. Es war gepunktet, dunkelgrün und schloss eine Handbreit über ihren Zehen ab. Sie mochte es, da es einen breiten, weißen Kragen hatte und kein Dekolleté verlangte. »… ist noch beschäftigt.« Sie räusperte sich verlegen. »Erzähl mir doch, wozu dieser Raum gut ist.« Zwar kannte sie sich durchaus auf Feuerwachen aus, auch auf dieser, aber es war immer besser, Mike ein Gesprächsthema vorzugeben, anstatt ihn eines auswählen zu lassen. Ansonsten musste sie sich wieder Geschichten über seine Großartigkeit anhören. Eva trat zu der Konsole, in die einige Lämpchen, Schalter und ein gelbes Telefon eingelassen waren. »Das sieht verdammt alt aus.« Und damit war tatsächlich alles noch genau so, wie sie es in Erinnerung hatte. Sie verkniff sich ein wehmütiges Seufzen.

»Ist es.« Mike stellte sich zu nah neben sie. »Wir warten auf die Umrüstung.« Seine Finger rutschten über die Fläche der Konsole in ihre Richtung, wobei sie sich so nah am Rand hielten, dass er drohte, ihre Beine zu berühren. Schnell trat Eva zurück.

»Aha.« Sie wandte sich ab und ließ die Augen über die Rückwand gleiten. Auch dort gab es nur veraltete Technik zu bestaunen.

»In diesem Winter.« Sein Atem wusch über ihr Ohr. Eva hastete vor, um Abstand zu ihm zu erlangen, und flüchtete an die Seite ihres Bruders. Der zwinkerte ihr zu.

»Ich werde hier offenbar nicht gebraucht. Was hältst du davon, wenn Mike dich herumführt und ich mal schaue, ob ich uns ein kühles Blondes organisieren kann?« Eric schob sie zurück, obwohl sie sich an ihm festzuhalten versuchte.

»Nein, das … mir wäre es lieber, wenn du mir alles zeigst, so wie du es mir versprochen hast.« Eva warf einen unsicheren Blick zu dem zweiten Mann im Raum, der breit feixte.

»Bei mir bist du gut aufgehoben, Eva. Vertrau mir.« Mike streckte die Hand nach ihr aus und zog sie am Ellenbogen zu sich. »Ich zeige dir alles und wir treffen deinen Bruder später am Ausschank.« Mit der freien Hand wedelte er, was Eric zum Anlass nahm, zu verschwinden. Eva grollte, schließlich wusste er genau, dass sie sich nicht gern in der Gesellschaft von Männern aufhielt, und ihre Vorbehalte gegen Mike kannte er ebenso.

»Also, hier haben wir die Leitstelle. Notrufe werden hier verarbeitet und die Mannschaften eingeteilt.« Er schob sie wieder an das Pult und deutete auf die darüber angebrachten Monitore. »Hier haben wir die Wache auf einen Blick.« Er deutete auf den linken Bildschirm. »Dort ist die Maschinenhalle und hier die Fahrzeughalle. Nanu.« Mike beugte sich vor und verengte die Augen, als er das grobkörnige Bild musterte.

»Stimmt was nicht?«, fragte Eva. Sie machte einen Schritt von ihrem Begleiter fort, der sie endlich losgelassen hatte. Ein flüchtiger Blick auf den Monitor ließ ihr das Blut in die Wangen schießen. Es war unverkennbar, dass das Nebengebäude, in dem sie sich kürzlich versteckt gehalten hatte, überwacht wurde. Und sie konnte Kelly mühelos auf dem Bildschirm erkennen. Peinlich berührt senkte sie den Blick und drehte sich weg.

»Nichts.« Mike grinste breit, als er sich zu ihr gesellte und nach ihrem Ellenbogen griff. »Komm, ich zeige dir die Umkleidekabinen.«

 

 

 

 

2. Kapitel 2

Chief Mitchell

 

Eva hastete vorwärts. Es war, als verfolgte sie ein Oktopus, denn wann immer sie Mikes Berührung auswich, kam sie an einer anderen Stelle zurück.

»Lass mich dir den Löschzug zeigen.« Mike dirigierte sie durch die Halle und an den Ständen vorbei. Über ihnen befand sich ein Durchlass in der Decke, sodass sie die hohen Fenster des ersten Stocks betrachten konnte, durch die das Sonnenlicht in einem weichen Goldton fiel. Die Tür zum Balkon stand offen und weckte ihre Sehnsucht. Sie wäre nun lieber dort und allein, als sich auch weiterhin mit Mike beschäftigen zu müssen. Der Raum vor ihr war überfüllt mit neugierigen Menschen und wurde nur durch die drei Pfeiler unterbrochen. Vor ihnen waren die beiden Rolltore geöffnet worden, aber die Tür ganz zur Rechten blieb geschlossen.

»Danke, ich habe genug gesehen, und eigentlich war die Führung auch für Kelly gedacht«, widersprach sie fest. Sie atmete angespannt aus, denn ihn deutlich in die Schranken zu weisen, benötigte jedes Mal von Neuem Mut. »Ich möchte lieber nach ihr sehen.« Zu spät erinnerte sie sich daran, in welcher Situation sie die Freundin zurückgelassen hatte. Es war nur minimal besser, in Kellys Techtelmechtel zu platzen, als Mikes Tatschereien auszuweichen. Er mochte sich an Ellenbogen und Rücken halten, trotzdem war es ihr unangenehm. »Könntest du bitte deine Hände bei dir lassen?«

»Dieses Schmuckstück musst du sehen, Eva. Die neuste Technik! Das Baby kommt frisch aus der Herstellung und ersetzt den alten Löschzug, den wir heute in der hinteren Maschinenhalle verstecken. Den zeige ich dir auch gern.« Dabei umfasste er ihren Ellenbogen und wollte sie zum Ausgang ziehen, aber sie entwand sich ihm gleich wieder.

»Nein. Ich möchte lieber zu Eric.« Oder sonst etwas machen, selbst auf Mr Januar zu treffen wäre ihr nun recht, wenn sie damit nur Mike loswurde. Sie befreite sich aus seinem Griff und streckte sich, um endlich ernst genommen zu werden. »Mike, ich möchte nicht angefasst werden.«

Er hob die Hände. »Verzeihung, ich habe doch nur …« Er setzte ein strahlendes Lächeln auf, das seine blaugrauen Augen aufleuchten ließ. »Komm schon, es war dein Ellenbogen.«

»Ich mag es nicht, in Ordnung?« Erneut straffte sie sich. »Ich rufe Eric an, damit wir uns treffen können.« Sie wühlte in ihrer Tasche, richtete ihren Blick in das Durcheinander und war damit abgelenkt. Mike nutzte es, um ihr eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht zu streichen. Eva zuckte zurück. Bei der Bewegung rutschte der Träger von ihrer Schulter und die Tasche landete auf dem Boden, wo ihr Inhalt herausfiel. Ihr Thermobecher mit der Aufschrift »Carpe diem« rollte klackernd davon, das Telefon schlitterte hinterher und dutzende Stifte folgten. Ihr Skizzenblock und der Kalender klatschten vor ihren Füßen auf den kalten Betonboden. Das Deo und das Mäppchen mit dem Make-up blieben ebenfalls nicht verstaut.

»Oh nein.«

»Wow, das ist nicht ganz das, was man in der Handtasche einer Frau erwartet.« Mike bückte sich nach ihrem Skizzenblock und schlug ihn auf.

»Hey!« Eva wollte ihn ihm entreißen, aber sein Griff war zu fest.

Er blätterte ungeniert durch ihre Entwürfe. »Kinder?«

Erneut versuchte sie, ihm den Block zu entwinden.

»Blumen?« Er lachte auf. »Hände?«

»Gib mir meinen Block zurück«, forderte sie und zerrte erneut an dem Papier. »Das ist privat.«

Mike schüttelte belustigt den Kopf, reichte ihr aber endlich ihre Zeichnungen.

»Danke!« Dann ging sie in die Knie, um auch den Rest aufzuklauben. Nachdem der Block, das Mäppchen und das Deo zurückgestopft worden waren, musste sie weiterrutschen und sich nach den Stiften strecken. Ein Pfiff unterbrach ihre konzentrierte Suche nach ihrem Arbeitsmaterial, und als sie über die Schulter zurücksah, starrte Mike ihr immer noch auf den Hintern. Schnell rappelte sie sich auf. Ihre peinliche Berührung machte sie sprachlos, was sein Zwinkern nicht verbesserte.

Ihr Telefon klingelte, sonst hätte sie in ihrer Schockstarre wohl weitergegafft.

Um das Handy aufzuheben, ging sie nun stocksteif in die Hocke. Es vibrierte unter ihren Fingerspitzen, bevor es verstummte. Der verpasste Anruf war von Kelly, weshalb sie sich gleich abwandte und den Rückruf tätigte.

»Bist du fertig?«, murrte sie. »Kümmerst du dich nun um mich?« Sie bückte sich nach einem weiteren Bleistift. »Ich musste die Führung ganz allein machen, dabei wolltest du dir doch alles ansehen.«

Kelly lachte tief auf. »Ich habe genug gesehen, Süße.« Wieder stieß sie dieses Lachen aus, das nahe an einem Gurren lag. »Wir sehen uns.«

Irritiert nahm Eva das Telefon vom Ohr, um auf das Display zu sehen, nicht ganz sicher, ob die Verabschiedung für sie gedacht gewesen war.

»Kelly?«

»Also, wo versteckst du dich?«, säuselte die Freundin jedoch. »Es ist verdammt voll hier. Meinst du, das liegt an den heißen Firefightern, die man hier zu Gesicht bekommt?«

»Oder an der spitzenmäßigen Verköstigung.« Eva schüttelte den Kopf. »Ich bin in der Maschinenhalle. Wenn du durch das hintere Tor gehst, findest du mich schon.« Sie unterbrach sich, konnte es so aber nicht stehen lassen. »Beeil dich!« Dann legte sie auf.

»Also, Kelly sollte jeden Augenblick …« Sie stieg auf die Zehenspitzen. Durch die aufgebauten Stände, auf denen Feuerlöscher, Sprechfunkgeräte, Brechstangen und Fluchthauben ausgestellt wurden, herrschte auch in der Halle ein gehöriger Andrang. Dadurch war es ebenso schwierig für Eva, jemanden zu finden, wie vor einer Stunde auf dem Vorplatz. Das wusste sie selbstredend, aber ihr war alles recht, solange sie sich nicht mit Mike beschäftigen musste.

»Eine gute Freundin, diese Kelly?«

Innerlich stöhnte sie. »Ja.« Sie suchte intensiver nach der untreuen Tomate, deretwegen sie überhaupt erst allein in Mikes Gesellschaft geraten war. »Oh, da ist sie!« Obwohl Eva Kelly nicht gesehen hatte, lief sie los. Mike folgte ihr. Erst an dem Tor, durch das die Einsatzwagen herein und hinaus fuhren, blieb Eva stehen und blinzelte in das Sonnenlicht. Einzugestehen, gelogen zu haben, fiel ihr schwer. »Da muss ich …«

»Eva!«, rief die Stimme der Freundin. »Eva!« Sie klang nah, aber ausmachen konnte Eva sie dennoch nicht, bis Kelly ihr um den Hals fiel. »Ah, was für ein wundervoller Ausflug!« Sie strahlte über das ganze Gesicht. »Und? Hast du was Aufregendes erlebt?« Ihr Blick glitt hinter Eva. Ihre Brauen gingen in die Höhe und sie pfiff leise. »Mr Juli.«

»Mike.« Er trat vor und hielt ihr die Hand hin, die Kelly begeistert schüttelte.

»Mike«, gurrte Kelly mit einladendem Augenaufschlag. »Schön, dich kennenzulernen.«

Eva seufzte schwer. Die Freundin war eine Katastrophe, sobald Männer ins Spiel kamen. »Werde ich dich heute nur zum Schlafen sehen, oder …« Womöglich gar nicht?

Kelly lachte auf, hakte sich bei ihr ein und drückte sich an Evas Seite. »Na, ich will dir nicht in die Suppe spucken. Wenn du dein Bett für dich brauchst, finde ich sicherlich ein passendes Örtchen für mich.«

Das war so absurd, dass Eva nicht einmal über eine verbale Reaktion nachdachte. Sie marschierte los, schließlich waren sie nicht auf dem Feuerwehrfest, um Männer anzuschmachten. »Ich habe Durst.«

Für das leibliche Wohl wurde mittels einiger Getränkewagen, eines riesigen Grills, mehrerer Terrinen und einer Salatbar gesorgt. Alles zu einem angemessenen Preis, wobei der Erlös an die Stiftung zur Unterstützung Hinterbliebener ging.

»Oh ja! Was haben sie denn im Angebot? Cosmo? Caipi?«

Eva stockte, sicher, sich verhört zu haben. »Cola.«

Kelly lachte und ruckte an ihrem Arm. »Das klingt furchtbar!«

»Du bist furchtbar!«, murrte Eva. »Es ist ein Familienfest, kannst du dich etwas zurückhalten?«

Zum Glück wartete Eric bereits auf sie und lenkte Kelly erfolgreich von ihrem Wunsch nach Alkohol ab.

 

 

Chase Mitchell inspizierte die Stände. Die Mannschaft erledigte ihre Aufgaben tadellos, etwas anderes hatte er auch nicht erwartet. Er nickte Muhammed zu, der einer Gruppe Kinder anhand von Pappständern zeigte, wie ein Feuer gelöscht wurde. Einige Meter weiter konnten die Zwerge Bälle auf Pappflammen werfen und Kleinigkeiten gewinnen. Es gab zwanzig dieser Spiele, damit Familien lange auf diesem Fest blieben. Sie sollten nach Möglichkeit das Angebot an Speisen und Getränken nutzen, dessen Erlös an die Hinterbliebenenhilfe ging.

Mitchell beendete seinen Rundgang an der Maschinenhalle, von wo aus er auch gestartet war, und sah auf seine Armbanduhr. So wichtig diese Feierlichkeiten waren, ihn nervten sie gehörig. Sie stellten den Dienstplan auf den Kopf, verbrauchten Ressourcen und Zeit. Ganz zu schweigen davon, dass die anderen drei Feuerwachen von Cherryoak Falls ihren Bezirk mitbetreuen mussten. Was die Frage aufwarf, ob Cherryoak Falls tatsächlich vier eigenständige Wachen benötigte.

Mitchell wandte sich ab, um den Rest des Tages der offenen Tür in seinem Büro auszuharren. Seine Leute hatten alles im Griff und waren für die Publicity wesentlich besser geeignet als er selbst. Immerhin war die Aktion nicht umsonst gewesen und auch er war auf seine Kosten gekommen, obwohl ihn das Intermezzo mit Kelly ruhelos zurückgelassen hatte. Auf halbem Weg fing er ihren Blick auf und sie zwinkerte ihm zu. Er blieb stehen. Er hatte nicht vor, ihr den Abend zu vertreiben, so nett es mit ihr auch gewesen war. Leider blieb ihre Geste nicht unbemerkt und die dunkelhaarige Begleitung wandte sich um. Ihre blauen Augen weiteten sich, als sie ihn erkannte, dann verkniff sich ihr Mund. Sie murmelte einige Worte, die Kelly auflachen ließen.

»Chief!«, rief Petronelli und schwenkte die Arme. Auch Klosowski drehte sich um, allerdings ohne Aufforderung, sich zu ihnen zu gesellen. Das gab den Ausschlag. So albern es war, durchrieselte ihn jedes Mal, wenn er entgegen Klosowskis Wünschen handelte, eine herbe Genugtuung. Immerhin war der Jüngere ihm seit guten dreißig Jahren ein schmerzender Stachel im Fleisch und erinnerte Chase nur zu gern an das, was er verloren hatte. Chase blieb einen knappen Schritt von der kleinen Dunkelhaarigen entfernt stehen.

»Alkohol, Petronelli?« Obwohl er nicht zu ihr sah, sondern zu dem Kollegen, bemerkte er, wie sie die Schultern hochzog.

»Feierabend, Chief.« Petronelli grinste breit. »Eva, mein Boss Chief Mitchell.«

Die Frau vor ihm stieß eine Art Jaulen aus, das aber so leise war, dass er es sich auch eingebildet haben könnte. Dann wiederum sah sie infolge der Vorstellung derart erschrocken zu ihm auf, dass er sich sicher war.

»Mein Zwilling Evangeline.«

Chase streckte die Hand aus, die sie aber nicht ergriff. Sie klammerte sich stattdessen an ihre Tasche. Ihre strahlend blauen Augen rutschten langsam hoch in sein Gesicht. »Chief Mitchell«, murmelte sie dabei. »Entschuldigen Sie mich bitte. Eric, ich muss kurz …« Ihre Hand flog Richtung Hauptgebäude und sie setzte sich in Bewegung, bevor noch irgendjemand etwas sagen konnte. Kellys Lachen übertönte Petronellis Worte.

»Du kannst doch nicht …«

»Ich wusste, dass Eva perfekt ist«, stellte Klosowski fest. Er sah der Frau nach, wobei er breit feixte. »Sie interessiert sich nicht die Bohne für dich, Chase! Wie fühlt es sich an, die kalte Schulter gezeigt zu bekommen?«

Chase biss die Zähne zusammen, um seinen Ärger zu kontrollieren.

Kelly lachte erneut auf, wodurch er Klosowski nicht gleich zur Ordnung rufen konnte.

»Ach, Mike, so reagiert sie immer. Ich schau mal, ob ich sie beruhigen kann.« Sie zwinkerte Chase erneut zu und zwickte ihm in den Hintern, als sie an ihm vorbeikam.

»Zum einen kann ich mit der einen kalten Schulter leben, Klosowski.« Chase zuckte die Achseln und drehte ihm den Rücken zu, um interessiert an Kelly zu erscheinen. »Ich halte mich ohnehin lieber an andere Körperteile. Zum anderen magst du Feierabend haben, Freunde werden wir dadurch nicht! Ganz abgesehen davon, dass ich mir die Personen, die mich mit meinem Vornamen ansprechen dürfen, sehr genau aussuche. Du gehörst nicht dazu.« Er tippte sich zur Verabschiedung an die Stirn und folgte der hochgewachsenen Blondine. Zwar hatte er kein Interesse an einer Wiederholung ihres Techtelmechtels, aber es konnte nicht schaden, ihre Nummer einzuheimsen. Vielleicht änderte er später seine Meinung noch.

Er schlenderte ihr nach und verfolgte, wie sie auf Petronellis Schwester traf. Sie fiel ihr um den Hals und küsste sie auf die Wange.

»Das war verrückt!«, hielt Kelly ihr vor. Die Dunkelhaarige schnaubte bloß. Chase bog ab, um sich hinter einem der Pfeiler zu verstecken. »Du bist förmlich vor Mitchell davongelaufen.« Sie lachte herzlich.

»Natürlich«, murmelte Miss Petronelli. »Ich wollte keinem der Nackedeis aus dem Kalender über den Weg laufen und dem Chief habe ich auch noch jede Menge Unsinn über Brandstiftung erzählt.« Sie schnaubte mit verzweifelter Miene. »Gott, ich hasse Männer!«

Wieder lachte Kelly schallend und kuschelte sich an die Freundin. »Erzähl mir was Neues!«

»Ich will nach Hause. Ich hasse Firefighter, Wachen und alles drumherum!« Verdruss schwang in ihrer Stimme mit. Chase warf einen Blick auf das Paar.

»Ich weiß.« Kelly drückte Petronellis Zwilling an sich. »Aber wir haben einen Deal. Wir machen uns einen schönen Tag, und zu Hause zu hocken, schließt das bereits aus.«

»Ich hasse es so!«

»Na komm, wir haben doch gerade so viel Spaß mit deinem Bruder und Mike!« Kelly hakte sich bei ihr ein und wollte sie mitziehen.

»Du vielleicht. Hey, was hältst du davon, wenn du noch eine Weile herumflirtest und ich beruhige mich ein wenig? Du hättest was gut bei mir, wenn du mir Mike vom Hals hältst.« Sie befreite sich aus der Umklammerung.

Chase tauchte in das Halbdunkel der Halle ab und umrundete den Pfeiler.

»Ah«, schnurrte Kelly. »Macht er dich etwa nervös?«

»Nein«, beschied die andere. »Ganz sicher nicht!«

»Er ist doch süß!«

»Kelly, er ist ein Idiot, aber bitte, greif zu. Gib mir eine Stunde für mich, dann geselle ich mich zu euch, versprochen.« Die Anspannung in ihrer Stimme schwand und sie brachte sogar ein Lächeln zustande. Chase runzelte die Stirn. Bisher waren an Evangeline Petronelli gerade mal die Augen ansprechend erschienen, aber dieses Lächeln gab ihren weichen Zügen ein Strahlen, das sie veränderte.

»Weißt du, ich denke, er wäre ganz gut für dich. Jemand, der dich aus der Reserve lockt und dir nicht erlaubt, deinem Spleen zu huldigen.«

»Definitiv und beständig: nein!« Petronelli schulterte ihre Umhängetasche. »Eine Stunde. Amüsier dich.« Sie wandte sich von Kelly ab, stockte dann aber und drehte sich wieder herum. »Ach, Finger weg von meinem Bruder, verstanden?«

Kelly salutierte. »Aye, aye!«

Chase folgte Petronellis Schwester mit etwas Abstand. Sie huschte die Wendeltreppe in den ersten Stock hinauf und schlüpfte unter der Sicherheitsabsperrung durch. Die obere Etage war nicht komplett nutzbar. Vor seinem Büro und der Leitwarte befand sich eine Balustrade, durch die man hinunter in die Halle schauen konnte. Sie war von allen vier Seiten begehbar und führte auf der Fensterfront, die zur Straße lag, zu einem kleinen Balkon. Da der aber kaum mehr als drei Personen beherbergen konnte und um für mehr Ruhe im Obergeschoss zu sorgen, war der Gang abgesperrt worden. Chase behielt sie im Auge, während er die andere Richtung nahm. Eigentlich sollte er sie dort augenblicklich herunterholen, war es Besuchern doch nicht gestattet, die Absperrung zu durchqueren. Faktisch war der Weg gefährlich und der Balkon wurde auch nicht genutzt. Allerdings trieb ihn die Neugierde. Sie befand sich auf einem Bürgerfest, an einem öffentlichen Ort, warum versteckte sie sich da an einem erhöhten Platz?

Chase trat in sein Büro, ließ die Tür offen und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er hatte sie gut im Blick. Miss Petronelli kramte Dinge aus ihrer Tasche hervor. In der nächsten Stunde saß sie vornübergebeugt auf dem luftigen Balkon und kritzelte in ihrem Block herum.

 

Evas Handy vibrierte. Es war nicht das erste Mal in der Stunde, aber bisher hatte sie es ignoriert.

»Kelly, was ist denn?« Sie steckte das Telefon zwischen Ohr und Schulter, um den Kohlestift wieder aufnehmen zu können.

»Endlich nimmst du ab.« Die Freundin schnaubte. »Zeichne noch etwas weiter, okay?«

»Hm, gern. Mike?«, fragte sie. Es wäre ein Segen, sollte die Freundin den aufdringlichen Freund des Bruders ablenken können.

»Nein, ich bin auf Mr Januar gestoßen.«

Ungebeten kam die Fotografie in Evas Gedächtnis zurück und sie musste die Lider fest aufeinanderpressen, um das Bild wieder zu vertreiben.

»Ich hasse dieses Fest.«

»Es war dein Vorschlag.« Kelly lachte. »Ich klingle durch, wenn sich absehen lässt, wann ich bei dir sein werde.«

»So schlimm?« Eva schraffierte die Seite des aufgezeichneten Löschzugs.

»Na, wir werden sehen. Also, verstecke dich ruhig weiter vor den sexy Firefightern.«

»Mache ich. Ciao.« Eva legte auf und stopfte das Telefon ohne hinzusehen zurück in die Tasche. Etwas stimmte nicht an der Perspektive, und das fesselte sie wesentlich mehr als ein Gespräch über Männer.

»Eva!«

Sie ignorierte den Ruf ihres Bruders. Waren es die Räder? Standen sie etwas zu schräg? Lag es am Schriftzug? War das C von Cherryoak größer als das D vom Department?

»Eva! Verflixt!« Sie ignorierte ihn noch, als er bereits hinter ihr stand. »Was machst du denn hier?«

»Was machst du hier?«, gab sie die Frage immer noch abgelenkt zurück.

»Schnecke, ich hoffe, du versteckst dich hier nicht.« Eric quetschte sich hinter ihr an der Wand entlang und setzte sich im Schneidersitz zu ihr. Sein Schatten fiel auf ihren Block. »Und malst.« Er schnalzte. »Natürlich.«

»Du sitzt mir im Licht.« Sie beugte sich vor.

Er pfiff. »Wie lange arbeitest du schon daran?«

»Eric, gib mit noch etwas Zeit, ja? Ich bin hier fast fertig.« Sie rutschte vor, um das gute Licht wieder einzufangen.

»Ich dachte, wir verbringen etwas Zeit miteinander.« Er zupfte an ihrem Block. »Zeichnen kannst du auch ein andermal.«

Das sah sie anders, aber diskutieren brachte bei Eric nichts. Seufzend ließ sie sich ihren Skizzenblock aus den Fingern ziehen. Er betrachtete flüchtig ihre Arbeit, bevor er den Block zuklappte und ihn auf dem Schoß ablegte. »Also?«

»Ja, ich verstecke mich«, gab sie zu. »Das hier ist die Hölle!«

Eric lachte auf. Er legte den Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. »Nein, das hier ist eine Feuerwache und ein Feuerwehrfest.«

Eva boxte ihm auf die Brust. »Die Hölle!«

»Schnecke, du musst das endlich hinter dich bringen.«

Eva stöhnte verhalten. »Musst du schon wieder damit anfangen?«

»Ja, ich fürchte schon. Du hast dich zehn Jahre nicht in Cherryoak Falls blicken lassen.«

Sie schluckte den Frosch herunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. »Das stimmt ja nicht.«

»Nein, aber drei Besuche, für die ich wochenlang auf dich einreden musste, zählen nicht.« Er stieß sie spielerisch mit der Schulter an.

»Du warst noch nie gut mit Zahlen, es waren fünfzehn. Jedes Weihnachten, deine Hochzeit, um Mama zu pflegen, zu ihrer Beerdigung und zum ersten Jahrestag von Lewis’ …« Ihre Stimme brach und sie musste sich räuspern und das Gesicht abwenden.

»Zehn Jahre, Evangeline«, mahnte Eric leise.

»Ich kann meine Gefühle nicht ändern«, verteidigte sie sich, obwohl sie es gar nicht anders wollte. Sie fühlte sich Lewis verpflichtet, auch über seinen Tod hinaus.

»Darum geht es nicht. Du sollst nicht aufhören, ihn zu lieben, lediglich …«

»Petronelli!«, rief eine dunkle Stimme.

Eric zuckte zusammen, seine Lippen formten shit, bevor er aufsprang und sich an ihr vorbeidrängte. Evas Herz klopfte hart in ihrer Brust. Sie stand ebenfalls auf und schob ihren Block in ihre Tasche.

»Chief Mitchell.« Eric sah zu ihr zurück, Erklärungsnot in seiner Miene. »Das …«

»Der Bereich ist nicht zum Spaß gesperrt.«

Eva lief ein Schauer über den Körper, da ihr Bruder nun Ärger bekam, weil sie sich unter der Absperrung hindurchgemogelt hatte.

»Ja, ich weiß …«, grummelte Eric mit einem weiteren Blick zurück. »Es ist nur …«

»Es ist meine Schuld«, unterbrach Eva ihn, wobei sie laut wurde, da der Chief sich auf der anderen Seite der Balustrade befand. Sie drängte sich nun an ihrem Bruder vorbei, und obwohl es sie einiges an Kraft kostete, hob sie den Blick, um dem des Chiefs zu begegnen. »Eric hat mich bereits darauf hingewiesen, dass ich hier nichts verloren habe. Es tut mir leid.« Sie bemühte sich zu lächeln, obwohl sie ihm am liebsten aus dem Weg gegangen und augenblicklich im Boden versunken wäre. »Ich gehe jetzt und mache keine Probleme mehr.«

Mitchells Blick fiel an ihr herab. Obwohl zwischen ihnen eine etwa fünf Meter breite und ebenso lange Schlucht lag, durch die man auf die Halle unter ihnen schauen konnte, spürte sie es auf ihrer Haut. Um dem zu entkommen, stürzte sie den engen Steg an der Fensterseite entlang.

Dort erwartete sie der Chief. Er hob das Absperrband hoch, damit sie darunter hindurchschlüpfen konnte. Sie murmelte einen Dank, ohne ihn erneut ansehen zu können. »Es tut mir leid.«

»Halten Sie sich zukünftig an Verbote, Miss.« Mitchell deutete zur Wendeltreppe. »Zwar haben wir die Tür heute geöffnet, aber das bedeutet nicht, dass es uneingeschränkten Zugang gibt. Keine Abstecher in abgelegene Hallen oder unsichere Balkone mehr.«

Eva erschrak. War das etwa eine Anspielung auf ihr erstes Zusammentreffen?

»Natürlich nicht«, haspelte sie daher.

»Petronelli?«

»Ich passe auf sie auf«, versprach ihr Bruder und es klang wie ein Eid.

 

 

 

 

3. Kapitel 3

 

Auf der Wache

 

Chase verließ die Umkleidekabine. Obwohl er noch gute zwanzig Minuten bis zum Schichtwechsel hatte, wollte er keine Zeit vertrödeln. Der Monat näherte sich dem Ende und die Pläne für den übernächsten mussten erstellt werden. Eine verzwickte Aufgabe, da ihnen schlicht die Männer fehlten – oder um politisch korrekt zu bleiben: die Einsatzkräfte, denn längst schon waren Frauen bei der Feuerwehr keine Seltenheit mehr, auch wenn es in seiner Truppe nur Sanitäterinnen und keine Feuerwehrfrauen gab.

Trotzdem ließ er sich ablenken. Seine Leute trudelten ein und Petronelli blockierte das morgendliche Sonnenlicht, als er in der Tür stehen blieb. »Kommst du nicht?«

»Geh schon mal, ich versuche mein Glück«, rief Klosowskis Stimme. Petronelli lachte schallend und ließ seinen Kollegen stehen. Die Tür fiel zu und sperrte das Sonnenlicht aus. Trotzdem konnte Chase mühelos verfolgen, wie der schwarzhaarige Hüne zwischen den beiden Löschzügen hindurch auf ihn zukam.

»Morgen.«

»Morgen, Petronelli.« Er machte Platz, um den anderen Mann durchzulassen. »Klosowski kommt auf den letzten Drücker?«

»Bitte?« Petronelli drehte sich um, ohne stehen zu bleiben. »Ach!« Und lachte erneut. »Er lauert meiner Schwester auf.« Sorgen bereitete es ihm offenkundig nicht, denn er wandte sich bereits ab, um in den Gang zu den Sanitäranlagen zu verschwinden.

Chase zuckte die Achseln und wollte sich wieder auf den Weg in sein Büro machen. Allerdings hielt ihn etwas davon ab. Neugierde? Oder lediglich der Spaß daran, Klosowski in die Suppe zu spucken?

Statt die Wendeltreppe in das Obergeschoss zu nehmen, lief er zwischen den Wagen hindurch zur Tür neben den Rolltoren und zog sie auf. Klosowski lehnte zwei Schritte weiter gegen das Tor und sah angespannt den Bürgersteig entlang. Chase folgte seinem Blick und entdeckte tatsächlich eine kleine, dunkelhaarige Frau, die die Straße entlanggeeilt kam.

Ob es Petronellis Schwester war, konnte Chase nicht mit Bestimmtheit sagen, denn in dem wadenlangen Kleid und dem Hut sah sie eher aus wie eine Mittfünfzigerin. Lediglich die übergroße Tasche passte nicht in das Bild. Sie achtete nicht auf das, was vor ihr lag, richtete ihren Blick gerade mal zu ihren Füßen, während sie in ihr Telefon sprach. In der anderen Hand hielt sie einen Becher leicht von sich fortgestreckt, wodurch die Tasche beständig gegen ihren Körper stieß.

»… klingt nicht schlecht. Wann wäre denn die finale Abgabe?« Ein Runzeln legte sich auf ihre Stirn, die beinahe von der Krempe ihres Hutes verdeckt wurde. »Aha. Ja, das …« Als sie auf selber Höhe mit dem Rolltor war, das zum Hauptgebäude der Wache gehörte, erkannte Chase sie dann an ihrem Strahlen.

»Eva, hi!«, rief Klosowski, wobei er sich vom Rolltor abstieß, das, in Bewegung gesetzt, schepperte. Miss Petronelli zuckte zusammen, die Flüssigkeit schwappte über und rann über ihre Finger. Sie schrie auf und im nächsten Moment flog der Becher davon. Der Firefighter eilte auf sie zu und ergriff ihre Hand.

»Hast du dich verletzt?«

»Mike?« Sie hatte auch das Telefon fallen gelassen. »Verflixt!«

»Zeig mal.«

Chase bemerkte das Widerstreben in den feinen Zügen der Frau und stieß sich ab. Klosowski war kein Ersthelfer und wusste nicht, wie er mit Verbrühungen umzugehen hatte.

»Au!« Sie durchbohrte Klosowski mit verärgerten Blicken.

»Zeigen Sie mal her.«

Miss Petronelli zuckte zusammen und entriss dem Freund ihres Bruders die Finger. Chase hielt ihr die Hand hin.

»Kaffee oder Tee?«

Klosowski drängte sich zwischen sie. »Wir sollten dich verarzten.«

»Nein, ich …« Sie trat zurück und sah sich um. Ihr Blick fiel auf ihr Telefon und sie klaubte es auf. »Es geht schon. Ich bin spät dran und …«

Chase atmete tief ein. Ihre Feuerwehrmannphobie war kontraproduktiv, aber man konnte auch niemanden zwingen, sich vernünftig zu verhalten. Also bückte er sich nach der Thermotasse, deren Deckel fehlte.

»Danke, Chief Mitchell«, murmelte sie, als sie ihm den Plastikbecher mit bunter Aufschrift abnahm. Ihre Hand war feuerrot.

»Sie haben sich verbrüht.« Auch ihr Blick senkte sich auf die Rötung und ein Runzeln huschte über ihre Stirn.

»Komm mit rein, ich verarzte dich«, lockte Klosowski weich, wobei er den Arm bereits um die junge Frau legte und sie in Richtung Eingangstür dirigierte.

»Ich komme zu spät«, beharrte sie, konnte sich aber nicht aus Klosowskis Griff winden.

Chase folgte ihnen.

»Es ist nichts, es tut nicht einmal weh und ich kann nicht zu spät zum Unterricht erscheinen!«

»Fünf Minuten, Miss Petronelli, und im Anschluss fährt Ihr Bruder Sie zur Arbeit.« Chase hielt es für einen guten Kompromiss.

Klosowski sah zu ihm zurück, kommentierte die Order aber nicht, was ungewöhnlich für ihn war. Chase nahm den Umweg, um den Verbandskasten aus seinem Einsatzwagen zu holen. Und traf wieder mit dem Paar zusammen, als Klosowski Miss Petronelli gerade auf einen Stuhl niederdrückte. Chase nahm schnell den daneben und stellte den Kasten zwischen ihnen auf dem Tisch ab.

»Zeigen Sie mal«, brummte er, mit dem Material beschäftigt. Er brauchte Verbandszeug, Klebestreifen, sterile Kompressen und die Salbe.

Miss Petronelli schloss die Faust, zischte, weil es wohl doch schmerzte, und streckte sie ihm entgegen. Die heiße Flüssigkeit war ihr über den Handrücken und das Gelenk geronnen, was die Verfärbung gut sichtbar machte.

»Keine offenen Stellen, also eine leichte Verbrühung«, beruhigte er sie. »Die Salbe wird die betroffenen Partien kühlen.« Während er sprach, drückte er eine erbsengroße Portion des Gels in ein steriles Tuch und begann vorsichtig die Haut abzutupfen. Trotzdem sog sie scharf den Atem ein. »Es tut mir leid, Miss Petronelli.«

»Es tut doch weh«, murrte sie. Ihr Blick klebte an ihrer Hand.

»Ich gebe Ihnen noch ein leichtes Schmerzmittel mit, damit sollte das Gröbste ausgestanden sein.«

»Danke.«

»Ein Deckel hätte das verhindert.« Vermutlich hätte er einfach den Mund halten sollen.

»Ich konnte ihn nicht finden.« Ihre Lider senkten sich, wodurch sich ihre dicken, langen Wimpern bemerkbar machten. Sie flatterten leicht.

Klosowski räusperte sich vernehmlich. »Wie ist die Arbeit so?«

Miss Petronelli verkniff die Lippen. »Bald Geschichte, wenn ich es nicht schaffe, pünktlich im Haus zu sein.«

Chase nahm diesen Hinweis zum Anlass, das Auftragen des Gels abzubrechen. Er griff nach der Mullbinde und einem frischen sterilen Tuch.

Klosowski lachte auf. »Du bist lustig! Komm schon, ob deine Schüler ein paar Minuten länger auf dich warten, interessiert doch niemanden.«

Sie sog gedehnt den Atem ein, wodurch sich ihre Brust hob. Ihr Kleid spannte sich dadurch. Es war ein ausgesprochen hässliches Kleid. Eher ein Sack, wenn man ihn fragte, mit übergroßem Blumenprint. Dennoch sah er hin.

»Glaubst du, ja?« Ungeduld schwang in ihrer Stimme mit, aber auch eine Spur Ressentiment.

»Ich kann ja verstehen, warum man Zeichnen lehrt, aber Kunstgeschichte?« Klosowski schüttelte den Kopf. Er stand neben ihnen, die Arme vor der breiten Brust verschränkt und die Beine für einen sicheren Stand ein Stück auseinander.

Chase riss sich los und richtete sein Augenmerk darauf, Miss Petronelli zu verbinden.

»Natürlich verstehst du das nicht«, sagte sie mit mühsam gefasster Miene. »Es ist für einen Mann wie dich sicherlich eine widersinnige Vorstellung.«

Chase hätte ihm sagen können, dass man auf eine solche Bemerkung weder lachte noch sie bestätigte, ließ es aber, und so beging der Kollege den doppelten Fehler. Er lachte, wobei er sich zurückbog und ihr seine Lende fast ins Gesicht drückte.

»So ist es. Na ja, wenn es dich beschäftigt hält.« Er stieß gegen Chase’ Arm.

»Klosowski, vielleicht könntest du etwas Abstand halten?« Chase war nahe dran, den Kollegen von sich zu stoßen, auch wenn er sich geschworen hatte, sich nie wieder von einem Klosowski provozieren zu lassen.

»Du bist fertig, oder?«, überging Klosowski ihn, trat aber zurück. »Komm, Eva, ich bringe dich zum Campus.«

»Du bist noch nicht umgezogen.« Chase packte schnell die Utensilien ein. »Das bedeutet, du kommst zu spät zum Dienst.«

»Ach, komm schon!« Klosowski wedelte mit der Hand in Miss Petronellis Richtung. »Du hast ihr versprochen, dass ich sie zur Arbeit bringen kann, damit sie nicht zu spät kommt.«

»Petronelli wird seine Schwester zur Arbeit fahren.« Ein Blick aus strahlend blauen Augen legte sich mit deutlicher Dankbarkeit auf ihn. Chase zuckte die Achseln und erhob sich. Er musste Klosowski zur Seite drängen, wollte der ihm doch den Weg verstellen.

»So ein Scheiß, Mann! Ich bin zur Stelle, warum …«

»Vorsicht. « Chase bedachte ihn mit einem zornigen Blick. Mikes Verhalten wurde von Jahr zu Jahr unakzeptabler, allerdings war nun nicht der passende Augenblick, ihn zu maßregeln. Ohne den Blick zu brechen, fischte er nach seinem Mobiltelefon, den Anruf konnte er sich aber sparen. Petronelli kam mit zwei weiteren Kollegen in den Aufenthaltsraum. Sie lachten.

»Petronelli!« Chase maß Klosowski, der den Punkt nicht ruhen lassen wollte.

»Ich kann sie genauso gut fahren.«

»Vermutlich.«

»Chief?« Petronelli schloss zu ihnen auf und bemerkte seine Schwester. »Eva? Ach herrje!«

»Bring deine Schwester …«

»Ich kann sie fahren«, unterbrach Klosowski ihn angespannt.

»… zur Arbeit.« Chase wandte sich demonstrativ an die junge Frau. »Noch einen guten Tag, Miss.« Er nickte ihr zu. Im Abwenden begriffen, erhielt er doch noch eine Reaktion von ihr.

»Danke, Chief Mitchell.«

Mit einem Grinsen startete er in die wenig erbauliche Aufgabe der Personalplanung.

 

Chase wartete ungeduldig. Erneut hatte sich Klosowski eine Unbotmäßigkeit erlaubt und Chase musste ihn heranzitieren. Gemeinhin beeilte sich der Kollege aber nicht, Chase’ Order nachzukommen – gleich welcher.

Als es klopfte, stieß er den Atem aus und mahnte sich zur Ruhe. Die Situation durfte nicht eskalieren und dummerweise lag dies an ihm als Vorgesetztem.

»Komm rein.«

»Chief? Hast du einen Moment?«, fragte Petronelli. Chase runzelte in seiner Irritation die Stirn. Ein Blick an dem dunkelhaarigen Mann vorbei offenbarte ihm nicht den Gesuchten, also war Petronellis Besuch vermutlich kein Beistand für seinen Freund. Chase winkte ihn herein.

»Wenn du dich kurzfassen kannst, gern. Ich erwarte Klosowski.«

Petronellis Wangen röteten sich und er warf selbst einen Blick in den Flur, bevor er die Tür hinter sich zuzog.

Chase kannte die Dynamik zwischen den beiden, also legte er den Finger in die zu erwartende Wunde: »Wo hält er sich auf?«

Der erschrockene Blick sagte ihm bereits alles. Petronelli räusperte sich. Man sah ihm sein Widerstreben an, aber letztlich hatte er einen guten Sinn für Gerechtigkeit. Er senkte den Blick. »Er hat sich hingelegt.«

Chase entließ kontrolliert den Atem. Das war unglaublich dreist, aber genau das, was er von Klosowski erwartet hatte.

»Danke, Petronelli, also, wie kann ich dir helfen?«

Der jüngere Mann räusperte sich verlegen. »Es ist mir etwas peinlich«, gestand er. »Ich wollte fragen, ob es eine Möglichkeit gibt, meinen Urlaub umzulegen, sodass ich in den kommenden Monaten bei den Vorsorgeuntersuchungen dabei sein kann. Rosa …«, sein Blick schoss zu Chase mit deutlichem Ressentiment, »… wünscht sich Unterstützung.«

»Du weißt, dass dein Urlaub bereits zum Ende des letzten Jahres fest gebucht wurde. Das lässt sich nicht so einfach umverteilen. Schon gar nicht bei unserem Personalmangel.«

Petronelli seufzte herzzerreißend. »Ja, das wissen wir natürlich, Chief, aber die Zwillinge waren schließlich nicht geplant.« Seine Schultern sackten herab.

»Das beruhigt mich, ich dachte schon, ihr wollt mich in die Verzweiflung treiben, indem Rosa plötzlich ausfiel, obwohl wir gerade erst Cooper verloren hatten.« Chase grinste, da Petronelli seinen Rüffel ernst nahm. Er hob die Hände und schwor, dass die Schwangerschaft ein Unfall war.

Chase zuckte die Achseln. »Ich schaue, was sich tun lässt, aber sieh das nicht als Hoffnungsschimmer. Bist du sicher, dass du nicht lieber nach der Geburt frei haben willst? Ein Baby ist schon anstrengend, zwei werden Rosa in den Wahnsinn treiben, wenn sie keine Hilfe hat.«

Petronelli seufzte und winkte ab. »Meine Schwester hilft uns. Sie ist vernarrt in Kinder.« Nach einem weiteren Seufzen zwang er sich zu einem Grinsen. »Einen Versuch war es wert. Danke, Chief.«

Chase hielt ihn auf, als Petronelli gerade die Tür aufzog. »Tu mir den Gefallen und setz eine Übung an.«

Die breiten Schultern des Kollegen versteiften sich und er reckte den Hals, bevor er sich zu ihm umdrehte. »Wie bitte?«

»Eine Übung für den Leiterwagen sollte genügen. Zehn Minuten, dann will ich alle in der Halle sehen. Ausrückfähig.« Zehn Minuten waren eine Ewigkeit, aber ohne die Sirene, die die Männer gewöhnlich zu einem Einsatz rief, müsste Petronelli zunächst in die Schlafräume auf dieser Ebene und dann in die Aufenthaltsräume gehen, die sich auf beiden Etagen befanden, um jedes Mitglied der Leiterwagencrew persönlich zu benachrichtigen. Das wurde eng.

Petronelli nickte mit großen Augen. »Mike schläft.«

»Habe ich mitbekommen«, gab er zu und zuckte die Achseln.

»Das ist gemein.«

Chase lachte. Er hob die Hände. »Ich muss mich zwar nicht mit dir absprechen, aber: Klosowski hatte die Order, nach dem Duschen bei mir vorstellig zu werden. Eine Order, Petronelli!«

Sein Gegenüber nickte bedächtig. »Ich verstehe. Ich informiere die Männer. Willst du Mike persönlich wecken?«

»Nein. Und ich überlasse es dir, wem du einen Vorsprung gibst: den Männern oder deinem Freund.«

Petronelli nickte mit gerunzelter Stirn, bevor er das Büro verließ. Chase sah ihm kurz nach, bevor er in seinem Computer nach dem passenden Formular suchte. Eine offizielle Abmahnung ließ sich offenbar nicht vermeiden, damit Klosowski seinen Platz endlich verstand.

Kaum waren die Seiten ausgedruckt, stürmte Klosowski herein. Die Tür schepperte gegen die Wand und er schrie: »Was soll der Scheiß?«

Chase schaute zur Uhr und faltete die Finger auf der Tischplatte. »Umgehend bedeutet für dich nach 123 Minuten?«

»Was?«

»Willst du die Tür nicht schließen?«, fragte Chase angespannt. Eine Reaktion, die ihn stets überfiel, wenn sein Gegenüber den Raum betrat.

Klosowski stapfte auf ihn zu. »Du hast die Übung nur befohlen, weil ich dir nicht wie ein geprügelter Hund folge?«

»Nicht ganz. Eigentlich wollte ich dich tatsächlich sehen, um mit dir über deine Befehlsverweigerung zu sprechen, aber du zogst es vor, dich hinzulegen.« Er hob die Hände. »Mir bleibt kaum etwas anderes übrig, als dein Gebaren zu Protokoll zu geben.«

»Das ist doch was Persönliches«, knurrte Klosowski und trat noch näher an den Tisch heran. Seine bedrohliche Haltung verfehlte ihren Zweck. Chase lehnte sich lässig zurück.

»Du hast offen gegen meinen ausdrücklichen Befehl gehandelt, als du den Wagen vorhin mit dem Halligantool aufbrachst, anstatt den Trennschneider zu nehmen. Das Unfallopfer hätte schwerwiegende Verletzungen davontragen können …«

»Hat es aber nicht! Stattdessen kam es zehn Minuten früher ins Krankenhaus, was sein Leben gerettet hat!«, spie Klosowski. »Du bist hier der Unfähige!«

Chase hielt seinem brennenden Blick stand. »Ich bin dein Vorgesetzter. Wenn du anderer Meinung bist, kannst du es gern anmerken, aber du wirst nicht so mit mir sprechen, verstanden?«

Klosowski lachte wild. »Du verlangst Respekt? Ist das ein Witz? Du …«

»Ich bin dein Chief. In der Feuerwehr herrschen klare Strukturen, wenn du die nicht einhalten willst oder kannst, bist du hier fehl am Platz.

---ENDE DER LESEPROBE---