Verliebt wider Willen - Katherine Collins - E-Book

Verliebt wider Willen E-Book

Katherine Collins

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Beschreibung

England, 1815: Lady Amelie Mannings will eines ganz sicher nicht: heiraten. Nachdem sie beinahe auf einen Hochstapler hereingefallen wäre, hält sie sich fern von allen Männern. Doch als Tochter des Duke of Kent ist sie in der Londoner Gesellschaft heiß begehrt. Vor allem vom gutaussehenden Julien Moore, der als Verführer und Frauenheld gilt. Obwohl Amelie ihn ein ums andere Mal abweist, lässt Julien nicht locker. Schließlich geraten die beiden in eine verfängliche Situation und die Hochzeit scheint unvermeidlich. Doch Amelie würde lieber ins Kloster gehen, als einen Mann zu heiraten, der sie offenbar nicht liebt … Von Katherine Collins sind bei Forever in der Regency-Reihe erschienen: Melodie der Hoffnung Tränen des Herzens Verliebt wider Willen

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Die AutorinKatherine Collins, Jahrgang 1980, ist in Castrop-Rauxel geboren und teilweise dort, im Kreis Unna und Dortmund aufgewachsen. Heute lebt sie mit ihren zwei kleinen Töchtern in einem kleinen Dörfchen in Mitten des Vest. Als passionierte Leseratte, die sich im Laufe der Zeit durch jeden Bereich der Belletristik fraß, kam sie schon in ihrer Jugend zum Schreiben. Erst nach langer Testphase durch Leseproben auf Internetforen, stellte sie 2013 beim Latos-Verlag ihr Erstlingswerk Verzeih mir, mein Herz! vor. Obwohl neben ihrem Laborantenjob und den Kindern wenig Zeit bleibt, wächst ihr Repertoire beständig. Derzeit befinden sich diverse abgeschlossene Werke in der Überarbeitung und mindestens ebenso viele warten auf ihr Ende.

Das Buch

England, 1815: Lady Amelie Mannings will eines ganz sicher nicht: heiraten. Nachdem sie beinahe auf einen Hochstapler hereingefallen wäre, hält sie sich fern von allen Männern. Doch als Tochter des Duke of Kent ist sie in der Londoner Gesellschaft heiß begehrt. Vor allem vom gutaussehenden Julien Moore, der als Verführer und Frauenheld gilt. Obwohl Amelie ihn ein ums andere Mal abweist, lässt Julien nicht locker. Schließlich geraten die beiden in eine verfängliche Situation und die Hochzeit scheint unvermeidlich. Doch Amelie würde lieber ins Kloster gehen, als einen Mann zu heiraten, der sie offenbar nicht liebt …Von Katherine Collins sind bei Forever in der Regency-Reihe erschienen:Melodie der HoffnungTränen des HerzensVerliebt wider Willen

Katherine Collins

Verliebt wider Willen

Historischer Roman

Forever by Ullsteinforever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Dezember 2016 (2)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2016 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat  ISBN 978-3-95818-148-9  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Kapitel 1

Die Eisprinzessin

London, Montague House, Frühsommer 1815

Lady Amelie Mannings hob das Kinn. Gerade erst hatte sie die Gastgeberin an der Seite ihrer Eltern und der jüngeren Schwester begrüßt, nun hieß es, elegant die Treppe zu meistern. Kein Problem. Ihr Vater, der Duke of Kent, legte sich ihre Hand auf den Arm und tätschelte sie. Seine Aufmerksamkeit wanderte aber bereits zu ihrer Mutter, der Duchess of Kent, die auf ihrer anderen Seite stand. Auch ihre Schwester Natalia trat nun an den Vater heran und legte ihm ebenfalls die Hand auf den Arm. Natalia sah sich nervös um und strahlte mit der Beleuchtung um die Wette.

Amelie unterdrückte ein liebvolles Grinsen. Ihre eigene Aufregung verflog bereits wieder. Ein Hauch Flieder lag in der Luft und die Hitze des Saals schlug ihr entgegen. Sie atmete tief ein und konzentrierte sich auf ihre Aufgabe. Ein Jahr ähnlicher Empfindungen lag bereits hinter ihr und sie hatte gelernt, damit umzugehen.

»Wollen wir?«, brummte der Duke. »Ladys?«

»Sag mal, mein Schatz, wird Clarissa ebenfalls kommen?«, fragte die Duchess und sah dabei nach vorn.

Amelie tat es ihr gleich, als sie antwortete: »Ja, Mama. Ich freue mich bereits, den Abend mit ihr zu verbringen.«

»Meine Liebe«, brummte der Duke. »Du sollst den Abend in männlicher Gesellschaft verbringen, sonst wird das nie etwas.« Mit das war ihre Verehelichung gemeint, die bereits ein Jahr ausstand.

Amelie sah in die grauen Augen ihres Vaters und gönnte sich dabei ein kurzes, liebevolles Lächeln. Eine Seltenheit in Gesellschaft.

»Papa, forderst du mich auf, die Gesellschaft von Herren zu suchen?«

Der Duke stockte kurz im Schritt, wurde aber von den Ladys sogleich weitergezogen.

»So habe ich es nicht gemeint«, murmelte er noch, dann gelangten sie am Fuß der Treppe an. Damit war es an der Zeit, Bekannte zu begrüßen und die familiären Gespräche einzustellen. Aber sie spürte die Angespanntheit des Vaters in seiner Haltung.

»Euer Gnaden!«, rief Lady Castlereagh schrill und schwenkte die Arme. Die Duchess lächelte der Lady zu und sah dann zu ihrem Gatten auf.

»Lass mich Lady Castlereagh begrüßen gehen. Natalia, begleitest du mich? Und du kümmerst dich um Amelie, Euer Gnaden?«

Der Duke küsste zur Bestätigung die Hand der Gattin und sah ihr noch kurz seufzend nach, dann wandte er sich an Amelie. »Amelie, du gestattest mir sicherlich deinen ersten Tanz, nicht wahr?«

Amelie hakte sich wieder bei ihrem Vater ein. »Gern, Papa.« Es würde vermutlich ihr Einziger an diesem Abend bleiben und ein wenig Bedauern empfand sie darüber schon. Der Duke führte sie im großen Bogen zur Tanzfläche und gab Amelie damit Gelegenheit, die Lokation in Augenschein zu nehmen. Ein Vorteil für den Rest des Abends, den sie in trauter Zweisamkeit mit ihrer Freundin Miss Clarissa Orwell verbringen wollte und nach Möglichkeit mit äußerst wenigen Unterbrechungen durch Herren. Die Farndekoration bot sich als gutes Versteck an. Zudem lockte sie durch eine sanfte Brise.

»Liebes, ich beginne mir Sorgen zu machen.«

»Sorgen, Papa?« Sie nickte ihrem Cousin Jonathan Beaufort zu, der sie anlächelte. »Ich fürchte, ich kann nicht folgen.«

»Nun stellst du bereits zu Beginn des Abends in Aussicht, den Herren aus dem Weg gehen zu wollen«, seufzte er. »Wie gedenkst du einen passenden Gentleman kennenzulernen?«

»Schon wieder, Papa?« Es war nicht ihr erstes Gespräch über ihre Aussichten.

»Ich mache mir Gedanken, meine Liebe.«

»Weil ich nicht unter die Haube zu kommen drohe?« Amelie blieb betont ernst, was ihren Vater irritierte. Er verengte seine schönen grauen Augen, die sie auch selbst jeden Morgen im Spiegel begrüßten.

»Was eine Schande wäre, Amelie.« Der Duke tätschelte ihre Hand. »Du bist ein so hübsches Kind.«

Amelie unterdrückte ein Lachen und hob lediglich eine fein geschwungene Braue. »Und die Tochter eines Dukes. Welch wahnsinnige Schande, sollte ich trotz meines familiären Hintergrundes sitzenbleiben.«

Der Duke klappte den Mund zu. »So habe ich es nicht gemeint, Kind.«

»Natalia wird sicher nicht eine solche Enttäuschung für euch sein.« Sie tätschelte kurz seinen Arm. »Sei dir dessen gewiss.« Sie unterdrückte erneut ein Grinsen und genoss die Wärme, die sie durchflutete. Ihren Vater zu necken, war stets eine Freude. Die Duchess ließ sich nicht so leicht narren und nur ihr Cousin Beaufort konnte genauso herrlich verunsichert ausschauen wie ihr Vater.

»Amelie, ich habe das Gefühl, du weichst mir aus!«, klagte der Duke und reihte sich mit ihr in die Aufstellung nehmenden Tänzer ein. Damit tauchten sie in ein leises Gemurmel und unterschwellige Aufregung ab. Debütantinnen! Sie gönnte sich ein Grinsen und sah mit einem Zwinkern zu ihrem Vater auf.

Er war noch in ihr unerquickliches Thema verstrickt. »Liebes, du möchtest doch nicht allein bleiben!«

»Ich bin nicht allein, Papa. Ich habe eine große, wundervolle Familie.« Sie legte ihm leicht die Hand auf die Schulter und wahrte ansonsten ihre Fassade. Ihr Lächeln verlor an Tiefe. Natalia nannte es ihr eisiges Gesicht und verglich es gerne mit der Miene ihrer Mutter, wenn sie jemand Unangenehmem begegnen musste.

»Dreh mir nicht das Wort im Mund um, mein Schatz. Wir möchten doch nur, dass du glücklich bist.«

Als ob sie das nicht wusste. »Ich werde ganz bestimmt glücklich sein, Papa.«

»Meinst du nicht, du kannst deine Anforderungen an einen Gatten etwas herabschrauben?«, fragte er vorsichtig.

Amelie legte den Kopf schräg. Ihre Anforderungen hatten nicht nur bei ihrem Vater für Entsetzen gesorgt. Ihr Patenonkel Thomas Boyle, der Viscount of Argyll, zog sie sehr gerne damit auf.

»Aber sie sind doch sehr vernünftig.«

Er schwang sie herum. Amelie liebte es, den Walzer mit ihrem Vater zu tanzen, trotzdem wahrte sie ihre Contenance.

»Es geht doch nicht um Vernunft!«, beharrte der Duke. »Versuch doch, mehr in den Gentlemen zu sehen als Titel und Vermögen.«

»Papa!«

Er seufzte und gab das Thema auf. »Vielleicht sollte deine Mutter noch einmal mit dir darüber sprechen.«

»Und Tante Sarah? Cousine Marie? Cousine Ninette und Cousine Elizabeth?« Sie hob mokant eine Braue. »Wieder, Papa?«

Er seufzte lang. »Wir möchten doch nur, dass du …«

»Glücklich bist«, beendete Amelie trocken. »Ich weiß.«

»Ach, Amelie.«

Tausende Kerzen verliehen dem nächtlichen Ballsaal den Glanz eines hellen Sommertages. Sie warfen funkelnde Reflexionen in die zur Schau gestellten Juwelen der feinen Damen. Es war ein beeindruckender Anblick und Amelie wusste, dass er auch nach über einem Jahr ähnlicher Eindrücke nicht verblassen würde. Sie ließ ihren Blick zufrieden über die Gesellschaft wandern. In einiger Entfernung entdeckte sie erneut ihren Cousin Lord Jonathan Beaufort. Er sprach mit einer der Unvergleichlichen der letzten Saison, Lady Brianna Barrows. Sie war von hinreißender Schönheit und hatte deutlichen Einfluss auf Jonathan. Er errötete und klappte den Mund zu, nachdem er mehrfach versucht hatte, etwas zu sagen.

Amelie unterdrückte ein Grinsen. Der arme Kerl. Trotzdem machte sie ihre Freundin auf das Paar aufmerksam. »Schau, Jonathan gibt einfach nicht auf, und dabei soll sie es bereits auf einen gewissen Marquess abgesehen haben.« Amelie seufzte. Es war schon eine Schande, dass Jonathan auf den schönen Schein hereinfiel. Lady Brianna trug einen auffälligen Rotton, ein erschreckend tiefes Dekolleté, dessen Form von durchsichtigen Bahnen Tüll gehalten werden sollte. Dazu anschmiegsame Seide, die dank fehlender Unterröcke bei jedem Schritt der Begehrenswerten ihre langen, schlanken Beine zur Geltung brachten. Damit stach sie aus dem Meer an Debütantinnen heraus. Keine der anderen unverheirateten Damen wagte es, auf Unterbekleidung zu verzichten oder so unschicklich viel von ihrem Dekolleté zu offenbaren.

Clarissa folgte Amelies Fingerzeig und runzelte die Stirn. »Ach herrje«, murmelte sie. »Dein Cousin hat ein Auge auf Lady Brianna geworfen?«

Sie beobachteten, wie Lady Brianna die Offerte des Earl of Livingston annahm und damit Jonathan stehen ließ. Der sah der Lady sehnsüchtig nach und zupfte sich am spitzenbesetzten Ärmel, wohl um sich von der erniedrigenden Behandlung zu erholen. Jonathan war der Sohn von Amelies Onkel Markus Beaufort, dem Viscount of Suffolk, dem Bruder der Duchess of Kent. Und sie standen sich recht nah, weshalb Lady Brianna in diesem Moment nur noch weiter in Amelies Ansehen sank. Amelie ballte die Hände zu Fäusten und murmelte, auf Clarissas vorherige Worte Bezug nehmend: »Scheint so, nicht wahr.«

»Ich habe gehört …«, wisperte Clarissa und beugte sich näher zu Amelie – ihr Atem bewegte die kleinen Löckchen an Amelies Schläfe –, »… sie habe eine Liebelei mit einem der Stewart-Brüder.«

Amelie unterdrückte ein Lachen und schüttelte vorsichtig den Kopf, um ihre aufwendige Haarpracht nicht zu ruinieren, die in Dutzenden von kleinen eingedrehten Locken in einer raffinierten Empirefrisur aufgesteckt war. »Tatsächlich?« Amelie sah zu Clarissa. »Ich frage mich wirklich, wo du dies wieder her hast. Nun, ich glaube, sie sind Nachbarn, oben im Norden.« Sowohl die Familie Stewart als auch die Familie Barrows lebten in Northumbria, nicht weit voneinander entfernt. Amelie runzelte leicht die Stirn und setzte hinzu: »Ich hatte mal ein sehr interessantes Gespräch mit Lord Raphael. Er hat kaum andere Interessen als das Kartenspiel, und sein Bruder, Lord Robin, so sagte er, sei ein ausgemachter Büchernarr.«

Clarissa zuckte unbeeindruckt die Schultern, als sie erklärte: »Damit könnte ich leben, ich mag Bücher auch.«

»Psst! Wenn du nicht aufpasst, hält man dich leicht für einen Blaustrumpf!« Ihr Bauch begann zu kribbeln vor lauter Amüsement. Ihre Mundwinkel hoben sich, noch bevor es ihr bewusst wurde. Es war fast so herrlich, Clarissa zu foppen und ihre Verwandten hochzunehmen.

Clarissa schlug mit ihrem feinen Elfenbeinfächer leicht nach Amelie. »Selber!«, kicherte sie und streckte der Freundin hinter dem schnell aufgeklappten Accessoire die Zunge raus.

Amelie hob eine Braue. Dabei behielt sie ihre Umgebung im Auge. Dafür hatten sie sich absichtlich strategisch wertvoll neben die offenen Flügeltüren, halb verborgen hinter die üppige Farndekoration gestellt. Der Vorteil war, dass sie hin und wieder von einer sanften Brise abgekühlt wurden und dazu einen ausladenden Blick auf die tanzende und schwatzende Gästeschar hatten.

»Ich darf ruhig als Blaustrumpf verschrien sein«, bemerkte Amelie lapidar. »Als Tochter eines Herzogs würden sich sogar noch genug Männer um meine Hand bemühen, wenn ich als bäurisch, zänkisch und leichtsinnig galt.«

Clarissa bedachte Amelie mit einem scheelen Augenaufschlag. »Das ist das Geld«, versetzte sie lakonisch und erntete nun ihrerseits einen Schlag mit dem Fächer.

Amelie funkelte sie an. »Ich hoffe, du willst damit nicht sagen, dass meine Mitgift das Einzige ist, was mich attraktiv macht!«

Clarissa zog eine Augenbraue hoch und tat so, als mustere sie die Freundin durch ein Monokel. Amelie fuhr sich spielerisch durch die um ihr Gesicht drapierten rabenschwarzen Locken, die ihren noblen blassen Teint hervorhoben.

»Lady Amelie, mit Verlaub, Ihre finanzielle Attraktivität verblasst unter dem blendenden Strahlen Ihrer Schönheit«, brummte Clarissa, in einer perfekten Parodie des Duke of Wessex. Der hielt sich selbst für den begehrtesten Mitstreiter um Amelies Hand, völlig ungeachtet der Tatsache, dass er aufgrund seines Alters ihr Großvater sein könnte.

Amelie machte einen artigen Knicks. »Zu gütig, Euer Gnaden.«

Clarissa kicherte ob der Parodie und schüttelte dann sichtlich angeekelt den Kopf. »Ich bitte dich, seine Gnaden ist aus dem heiratsfähigen Alter bereits wieder heraus!«

Amelie unterdrückte ein Lachen. »Für seine dreiundsiebzig Lenze ist er noch recht agil!«, widersprach sie mit einem Zwinkern. Clarissa deutete ein Schnauben an und versteckte ihr Gesicht hinter ihrem Fächer.

»Er ist so hässlich wie knöchrig!«, wisperte sie und sah sich versichernd um. »Er ist kaum so groß wie du und so gebrechlich!« Clarissa schüttelte sich und verzog die Lippen. »Ich könnte nicht einmal sagen, von welcher Farbe seine Augen sind!«

»Nun, das ist auch schwierig, sieht er einer Dame doch kaum mal ins Gesicht«, spottete Amelie mit einem kurzen, belustigten Grinsen.

Clarissa nahm den Faden auf: »Er muss wahnsinnig kurzsichtig sein.«

»Weil er sich unhöflich weit über die Damen beugen muss, um ihnen ins Dekolleté zu stieren?« Amelie musste sich zusammennehmen, um halbwegs unbeteiligt zu wirken. Zu gern hätte sie gelacht. »Ich glaube allerdings, dass dies nichts mit seiner mangelnden Weitsicht zu tun hat.«

»Du meinst, er macht es absichtlich?«, mutmaßte Clarissa und zog die Lippen kraus. »Schauderhaft! Wenn man bedenkt, sich seiner Gesellschaft aussetzen zu müssen!«

Amelie seufzte gedehnt, bevor sie zustimmte, und hinzufügte: »Bedauerlicherweise sind nicht nur seine Augen und Manieren schlecht, sondern auch sein Gehör und seine Urteilskraft. Dass er tatsächlich annimmt, eine begehrte Partie zu sein!«

Amelie schüttelte wieder vorsichtig ihren Kopf. »Vielleicht für titelversessene Dämchen, aber sicher nicht für mich!«

»Warum sagst du ihm nicht klipp und klar, dass du lieber den Teufel persönlich heiratest, ehe du dich ihm anverlobst?«

Amelie verzog ihr kleines, sommersprossiges Näschen und seufzte. Tatsächlich war sie hin und wieder geneigt gewesen, besagtem Herrn ebendies mitzuteilen. Leider hatte sie sich jedes Mal noch rechtzeitig an ihre gute Kinderstube erinnert und sich eine Bemerkung verkniffen. Sie hatte ganz sicher nicht vor, einen Mann zu heiraten, der wesentlich älter war als ihr eigener Vater, der feucht sprach und kaum verbergen konnte, aus welchem Grunde er seine Braut aus dem Kreise der Debütantinnen suchte. »Weil es gelogen wäre«, antwortete Amelie mit einem abgrundtiefen Seufzer, der tief aus ihrem Herzen kam. »Nein, offen gestanden traue ich mich nicht, ihn mit deutlichen Worten abzuweisen.«

Clarissa schnaubte. »Seit wann hast du damit Probleme?«, fragte sie und zählte ihr einige ihrer verflossenen Galane auf, die sie aus fadenscheinigen Gründen abgelehnt hatte.

Lady Amelie presste die Lippen zusammen und ließ ihren Blick wieder über die Massen gleiten, wobei sie die harschen Worte ihrer Freundin geflissentlich ignorierte. Schließlich hatte Clarissa Recht. Sie hatte keinerlei Hemmungen, die Hoffnungen der Gentlemen zu zerstören, die sie regelmäßig um ihre Hand baten. Warum auch? Schließlich wusste sie, dass es nicht einem davon um sie ging. Sie wollten ihre Mitgift, ihren Körper, oder die Verbindung zu ihrer Familie. Bitter schluckte sie den Kommentar runter, dass sie liebend gerne mit ihrer Freundin tauschen würde, schließlich erwartete niemand von der süßen, kleinen Miss Orwell, dass sie »die Partie« machte; dass sie einen der begehrtesten Junggesellen einfing, einen Duke, oder aber einen schwerreichen Marquess; dass sie in eine bedeutende Familie hineinheiratete und damit das Ansehen ihrer Familie weiter steigerte.

»Denk doch mal darüber nach, Clarissa. Möchtest du dich im Ehebett eines Greises wiederfinden?« Ein doch recht schauderhafter Gedanke, wenn man den Duke of Wessex vor Augen hatte.

Amelie warf Clarissa einen Blick zu, um sich ihrer Aufmerksamkeit zu versichern. »Ich nicht! Ich denke, älter als Mitte zwanzig, maximal dreißig ist unakzeptabel.« Clarissa runzelte die Stirn und setzte zum Widerspruch an, aber Amelie überfuhr sie schnell: »Jünger als zweiundzwanzig wäre dumm, weil die Herren so langsam erwachsen werden. Ich habe dir doch einiges über Lennart und seine Freunde erzählt.«

Das Runzeln auf Clarissas Gesicht vertiefte sich. »Du sagtest, dein Bruder sei ein sehr ausgeglichener, ruhiger junger Mann!«

»Oh, ja, aber bei weitem nicht unfehlbar, dank Lynn!« Sie seufzte. »So hat Lennart mir zum Beispiel geschrieben, dass er bei seinem letzten Besuch auf Belvedere, dem Landsitz der Familie Cavendish, über eine viel zu hohe Hecke setzte und im Schlamm landete.« Amelie hob bedeutend die Braue. »Vier erwachsene Herren, die wie wilde Hunde im Schlamm buddeln?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte meine Kinder erziehen, nicht meinen Gatten.«

Clarissa gab nachdenklich ihre Zustimmung und Amelie fuhr fort mit ihrer Vorstellung, wie ein Ehekandidat gestrickt sein sollte. »Besser keinen Witwer, der kommt dir dann mit: ›Meine erste Frau hat das so und so gemacht!‹ Und das kann sehr enervierend sein!«

»Hm«, machte Clarissa. »Mein Vater hat wieder geheiratet und meine Stiefmutter hat sich nie darüber beschwert, dass mein Vater sie womöglich verglich.« Clarissa legte den Kopf schräg. »Vielleicht bist du in dem Punkt zu kritisch.«

Amelie zuckte die Achseln, kommentierte es aber nicht. Sie fuhr blasiert fort: »Dass Stand und Vermögen als Bemessungsgrundlage an erster Stelle stehen, erklärt sich von selbst.«

Clarissa seufzte: »Ich wette, du findest auch an der Handvoll Männer, die in deine Rahmenfassung passen, auch noch was herumzumäkeln.«

Amelie warf ihr einen abwägenden Blick zu. »Warum sprechen wir dauernd über mich? Wie sieht es bei dir aus? Weißt du, was mir gerade auffällt? Dein Bruder passt in meinen Rahmen.« Verschmitzt grinste sie die Freundin kurz an, die sie mit großen Augen anstarrte.

»Du hast Interesse an Nicholas?« Amelie konnte ihr ihre Gedanken geradewegs von der Nase ablesen. Clarissa fragte sich, ob das der Grund sein könnte, warum sie befreundet waren. Doch sie konnte sie beruhigen, denn Amelie hatte noch nicht einen ernsthaften Gedanken an den Viscount of Norfolk, Nicholas Orwell, verschwendet – und hatte es auch nicht vor.

»Warum nicht? Er ist im richtigen Alter, nicht wahr? Er sieht recht gut aus, trägt einen Titel. Ich könnte Viscountess sein.« Selbstvergessen sinnend sah Amelie in die Luft und erklärte dann: »Umso länger ich darüber nachdenke, umso besser gefällt mir die Idee.«

»Das gilt auch für Beaufort!«, quiekte Clarissa entsetzt.

»Jonathan ist mein Cousin«, winkte Amelie ab und suchte in der Menge nach dem jungen Lord. Sie beobachtete ihn mit nachdenklich gerunzelter Stirn. »Tragisch, dass die einzigen Gentlemen, die überhaupt von Interesse wären, mit mir verwandt sind. Jonathan zum Beispiel ist ein erstklassiger Unterhalter«, fuhr die Lady leise fort. »Zumindest, wenn er mit Familienmitgliedern spricht. Ich für meinen Teil höre ihm gerne zu. Er schafft es immer, mich von seiner Meinung zu überzeugen und dies, ohne dass es mir dabei auffällt. Er ist überaus fürsorglich und ein vorzüglicher Lehrmeister.« Amelie seufzte bedauernd und riss kurz ihre Augen von dem Objekt ihrer Schwärmereien. »Wie dem auch sei: Windermeres, Scotts und Beauforts sind komplett aus dem Rennen. Zumindest für mich.« Wieder ein schneller, abwägender Blick zu Clarissa, bevor sie leicht fortfuhr: »Was hältst du von Jonathan? Dass er so einen tapsigen Eindruck hinterlässt, liegt an der Charakterstärke seiner weiblichen Verwandten.« Amelie gönnte sich ein kurzes Grinsen und rutschte etwas näher an die Freundin heran. Die Brise war deutlich aufgefrischt und bereitete ihr eine Gänsehaut. »Muss schwer sein für einen Mann, nicht über die Frauen in seiner Umgebung bestimmen zu können.« Sie seufzte ein weiteres Mal und musterte die hoch aufragende Gestalt des Cousins, der sich mittlerweile einem anderen jungen Mädchen zugewandt hatte, um es auf das Parkett zu führen. Er sah gut aus, sein gleißend helles Haar war á la Brutus frisiert, seine morgenhimmelblauen Augen schimmerten vor Intelligenz und sein Modegeschmack war exquisit. Er war eine gute Wahl, trotz seiner Schüchternheit, die es ihm unmöglich machte, fremde Frauen eloquent zu unterhalten. »Er ist intelligent, hat einen Abschluss in Oxford in Politik. Er hat eine recht gesunde Vorstellung von der Institution der Ehe.« Amelie warf der verwirrt dreinschauenden Freundin einen Blick zu und erklärte: »Seine Eltern führen eine Liebesehe. Es gibt sicherlich keinen Bereich, in dem Suffolk Tante Sarah nicht um Rat fragt und ich muss wohl nicht hervorheben, dass mein Onkel ihr alle möglichen Freiheiten einräumt. Jonathan sieht in einem Mädchen kein dummes Huhn, das angewiesen und unter Beobachtung gehalten werden muss. Er schätzt Selbstständigkeit und Intelligenz und er unterstützt seine Schwestern, bei was immer sie sich vornehmen. Man kann mit ihm Pferde stehlen, und er nähme jegliche Verantwortung auf sich, wenn dabei etwas schief liefe.« Amelies Lippen zuckten. »Er ist ein guter Fang, Clarissa, allerdings könnte es noch eine Ewigkeit dauern, bis er den Titel übernimmt. Onkel Marcus ist quietschfidel, Gott sei Dank!«

Clarissa presste die Lippen aufeinander und runzelte die hohe Stirn. »Für mich zählt eher das Gefühl als der Titel«, versetzte sie und verengte die braunen Augen.

»Wie dumm!«, erwiderte Amelie bemüht leichthin, »Liebe macht dich nicht satt und hält dich auch nicht warm.« Sie seufzte leise, wobei sie Clarissa mit einem rätselhaften Blick bedachte. Zu häufig musste sie sich anhören, wie wundervoll es war, jemanden Besonderes zu lieben. Und selbst wiedergeliebt zu werden. Amelie mochte es gar nicht absprechen. Sie war schließlich weder blind noch dumm. Ihre Eltern, ihre Tante und ihr Onkel, ihre Cousinen und Cousins, wer verheiratet war, war es äußerst glücklich. Keiner von ihnen hatte einen zweiten Gedanken daran verschwendet, jemanden zu heiraten, den er nicht liebte. Und es wurde auch nicht erwartet oder gar verlangt. Amelie wusste mit absoluter Sicherheit, dass niemand eine Eheschließung von ihr verlangte, wenn sie ihren zukünftigen Gatten nicht liebte.

»Du hast dich nicht zufällig in Jonathan verliebt?«, erkundigte sich Amelie lapidar. »Nein? Habe ich auch nicht gedacht. Wir werden beide als alte Jungfern enden.«

»Ich dachte, du wolltest ins Kloster?«, murrte Clarissa, merkend, dass sie hochgenommen wurde.

Amelie lachte kurz auf und bestätigte: »Das ist mein Plan, aber nicht der meines Vaters oder meiner Mutter oder meiner Cousinen.« Bedauernd seufzte Amelie über die geballte Familienfront, die ihr das Eheleben und die Liebe anpriesen und ihre Einwände nicht gelten ließen.

Clarissa zupfte an Amelies Handschuh, um ihre Aufmerksamkeit auf das Tanzparkett zu lenken. »Siehst du den?« Miss Orwell deutete auf einen großen Herrn mit schwarzem Haar und einer unvergleichlichen Nonchalance.

Amelie grinste sie verschmitzt an, nachdem sie zustimmend nickte. »Anthony Richmond, Erbe des Earl of Winchester, mit unheimlich grünen Augen. Er besitzt so eine Aura der Gefahr, die einem Herzklopfen bereitet. Wir sind Cousins vierten Grades, soll ich ihn dir vorstellen?« Was durchaus ein Problem wäre, weil sie eigentlich nicht miteinander verkehrten. »Allerdings sieht er sich nicht als auf dem Heiratsmarkt vertreten und er soll recht unfreundlich zu Debütantinnen sein.« Sie machte eine bedeutende Pause. »Ich habe gehört, dass man wesentlich mehr Chancen auf seine Aufmerksamkeit hat, wenn man zunächst verheiratet ist und den Gatten schnell wieder loswird.« Da Clarissa sie verwirrt ansah, erklärte sie mit bedeutungsvollem Augenaufschlag: »Er interessiert sich eher für Witwen.«

»Oh!«, hauchte Clarissa entsetzt, fasste sich aber schnell wieder, als Amelie bestätigte: »Aber er sieht hinreißend aus.«

»Spielt gutes Aussehen plötzlich auch eine Rolle bei deiner Gattenwahl?« Belustigt zog Clarissa eine Braue hoch. »Damit ist die Auswahl auf wie viele Exemplare gesunken? Zehn?«

»Bensworth, Morecambie, Rochefort, Sandhurst, Montague, North, Winchester, Northumberland und Norfolk«, bestätigte Amelie zufrieden.

»Kaum zu glauben!«, schnaubte Clarissa kopfschüttelnd.

»Henry Barrows, also Morecambie, ist ein Trottel und bei der Schwester ist eine Verbindung eher unvorteilhaft. Sandhurst ist ein niveauloses Ekel, den nicht mal seine eigene Mutter ausstehen kann, wie mir seine Tante anvertraute. Montague scheint kein ernstes Interesse am anderen Geschlecht zu haben und North spricht recht feucht und dafür leider viel zu viel und viel zu häufig von Dingen, von denen er nichts versteht.« Während ihrer gelangweilten Aufzählung verzog sie angewidert das Gesicht und beschäftigte sich mehr mit dem Geschehen um sich herum als mit der Minimierung ihrer Liste.

»Du bist eine Hexe, Amelie, weißt du das?« Clarissa meinte es todernst, was der Freundin keineswegs entging. Sie zuckte die Schultern und versetzte damit ihre glänzenden Locken in anmutige Bewegung. »Möchtest du was über deinen Bruder hören?«, versetzte sie süß und spitzte genüsslich die Lippen. Ihre funkelnden Augen warnten Clarissa, die sich aber nicht einschüchtern lassen wollte und stattdessen zum Gegenangriff ansetzte. »Du hast bei deiner Aufzählung den Teufel vergessen.«

Amelie straffte unmerklich die verspannten Schultern, sorgsam darauf bemüht keine Gefühlsregung zu zeigen. Ihn vergaß sie nur zu gerne! Ein Kribbeln zog sich über ihren Leib. Julien.

»Zwischen zweiundzwanzig und dreißig, Titelerbe mit anhänglichem Vermögen, gutaussehend. Hört sich für mich an wie ein Treffer!«

Amelie lachte wenig amüsiert auf. Hörte Clarissa sie krächzen? »Julien Moore? Schwerlich Titelerbe. Ich habe gehört, dass der alte Marquess sein Junggesellendasein zu Gunsten von Severins Tochter aufgeben möchte. Miss Scott ist mit den Devonports und den Beauforts verwandt. Kinderreiche Familien!« Das Kribbeln schwand und lediglich ihr Magen verzog sich zu einem strammen Knoten.

Jetzt war es an Clarissa aufzulachen. »Belmont ist steinalt, der fällt wahrscheinlich tot um, bevor er zu seiner Braut ins Bett steigt! Außerdem habe ich gehört, dass sie weg ist.«

»Weggelaufen? Nun, bei der Familie kein Wunder!«

»Julien ist mein Großcousin«, versetzte Clarissa gekränkt und drehte sich zu Amelie, um sie mit einem bösen Blick zu durchbohren.

Amelie tätschelte ihre Schulter. »Mach dir keine Gedanken, jede Familie hat ihre schwarzen Schafe.«

Clarissa schnaubte entrüstet.

»Glaub mir! Wusstest du, dass meine Mutter sich von meinem Vater scheiden ließ, nur um ihm eine Lektion zu erteilen? Meine Cousine Marie hat ihren Mann gezwungen, ein Jahr auf eine Eheschließung zu warten, obwohl sie mit ihm zusammen leben wollte. Cousine Ninette bestand auf ein Duell, weil sie sich nicht entscheiden konnte, ob sie Mr Roundtree oder Randell heiraten sollte und Vivian …« Sie stockte und endete mit einem angespannten Murmeln: »Nun, darüber sollte ich nicht reden.« Leichte Übelkeit wallte in ihr auf und über ihre Haut zog sich ein kühler Film. Ob sie je darüber hinwegkam?

Clarissa hielt sie zurück, als sie sich aus ihrem Versteck drängen wollte. »Warte! Was ist denn mit deiner Cousine? Ich dachte, sie sei glücklich verheiratet.«

Amelie schnaubte verächtlich. Es fiel ihr schwer, ihre Gefühle im Zaum zu halten, wie so häufig, wenn von Liebe die Sprache war. Aber diese Geschichte schlug einfach den Boden aus. »Weil sie ihre große Liebe geheiratet hat? Du bist eine Närrin, Clarissa! Soll ich dir etwas über die Liebe erzählen und über Freundschaft?« Angelegentlich drehte sie sich wieder zu der Freundin um und musterte sie zynisch. Ihre klaren, grauen Augen funkelten wie Gletscher in strahlendem Sonnenschein und ihre kirschroten Lippen verzogen sich verächtlich. Ihr Magen war in wilder Aufruhr und sie spürte ihre Glieder zittern. Immerhin blieben ihr Tränen erspart und die leichte Enge in ihrem Hals verschwand schnell wieder. »Vor zwei Jahren erwischte ich meine ach so glücklich verliebt-verheiratete Cousine in den Armen deines ach so loyalen Cousins, Bloomfields bestem Freund!« Amelie machte eine Pause, die von Spannung geradezu geladen war, bevor sie bitter hinzufügte: »Damit hat deine Liebe gerade mal drei Jahre gehalten. Und wenn du mich fragst, solltest du mit dieser Verwandtschaft nicht hausieren gehen!« Die Szene tauchte vor ihr auf und wässerte nun doch ihre Pupillen. Schnell blinzelte Amelie.

»Das glaube ich nicht!«, hauchte Clarissa und fixierte die Freundin mit einer deutlichen Bitte im Blick: Sag, dass es nicht wahr ist!

Amelie presste die vollen Lippen zusammen. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen!« Sie schüttelte den Kopf. »Was glaubst du eigentlich, warum ich dieses Spiel hier spiele?« Da Clarissa sie weiterhin nur mit aufgerissenen Augen ansah, erklärte sie: »Ich will auf dem Laufenden sein, wer den Ball besucht und um unliebsame Subjekte im Auge zu behalten. Siehst du Mr Wister dort drüben?« Die Lady wies auf einen schmalen Herrn in untadliger, wenn auch unscheinbarer Aufmachung, der sich auffällig im Hintergrund hielt. Seine Augen huschten von einer Dame zur nächsten, bevor eine seine Aufmerksamkeit zu bannen schien. »Er ist auf Anlässen wie diesen immer anzutreffen, obwohl er sicher nie eingeladen wird. Er ist dafür bekannt Damen in die Ruheräume zu folgen, um sie durch einen Türspalt zu beobachten.« Amelie ließ ihren Blick weiter wandern und deutete unauffällig auf einen weiteren Herrn. Einen Stutzer, wie sein schillernd gelber Frack zu tiefgrünen Pantalons und farblich dazu abgestimmten Schuhen bewies. »Und Mr Rhys dort drüben belästigt gerne Debütantinnen im Garten. Solchen Herren gehe ich gerne aus dem Weg. Ebenso wie ich Wessex, Fairfex, Ewald und dem Teufel ausweiche.«

Überrascht folgte Clarissa den Ausführungen. »Und das funktioniert?« Ihre Verblüffung schwang in ihren Worten mit.

»Recht gut sogar«, bestätigte Amelie stolz. Sie klappte ihren Fächer auf und hob das Kinn. »Bisher bin ich nur Wessex vorgestellt worden und dies nur, weil ich schlecht vor meinem eigenen Vater davonlaufen konnte.« Der leichte Luftzug kühlte ihre Wangen und gab ihr etwas Sicherheit zurück.

Clarissa musste der Einschätzung zustimmen, besann sich dann aber auf das Haar in der Suppe: »Aber Julien war doch auf der Hochzeit deiner Cousine Vivian und Bloomfield!«

Amelie verzog bei der unliebsamen Erinnerung den Mund. »Trauzeuge!« Sie presste die Lippen aufeinander und atmete kontrolliert durch. Ihre Faust ballte sich um ihren Fächer, als sie zugab, auch mit dem Teufel persönlich bekannt zu sein. »Ich habe nicht behauptet, ihm nie begegnet zu sein. Ich war dreizehn, ich glaube nicht, dass er sich an mich überhaupt erinnern kann.«

»Du siehst aufgebracht aus, was ist passiert?«

Amelie knirschte mit den Zähnen und reckte stolz ihr Kinn. »Jonathan!« Sie atmete tief durch, bevor sie die Geschichte erzählte: »Meine Schwester und ich waren Brautjungfern, wir trugen süße, kleine Kopien des Brautkleids, und Jonathan erzählte überall herum, ich sei in Bloomfield verliebt. Ich lauerte ihm auf, forderte, dass er seine Verleumdung zurücknahm, und schubste ihn, als er sich weigerte. Nun, er war noch recht kindisch zu jener Zeit.« Amelie verhielt in ihrer Erklärung und machte ein zerknirschtes Geständnis. »Wie ich selbstredend auch. Was ich sagen wollte: Er hat mich zurück geschubst und ich landete im Schlamm.« Amelie seufzte herzerweichend. »Genau vor Bloomfields Füßen und denen seines verwünschten Freundes. Er lachte mich schallend aus, so dass auch wirklich niemandem entging, was sich zugetragen hatte.«

Clarissa kicherte hinter vorgehaltenem Fächer. »Oh je, du musst hinreißend ausgesehen haben!«

»Ich war fett, in auftragenden Tüll gewandet und mit Schlamm bedeckt. Dein werter Cousin schlug mir vor, die Schlammpackungen beizubehalten, weil sie in Preußen behaupten, es reinige den Teint!«

»Du hasst ihn also, weil er dich ausgelacht hat?«

»Ich verabscheue ihn, weil er ein ungebildeter Flegel ist und den schwachen Moment meiner Cousine ausgenutzt hat«, stellte Amelie scharf richtig und machte ihrem Unmut Luft, indem sie hinzufügte: »Der kleine Jamie sieht Bloomfield gar nicht ähnlich. Tut man dies seinem besten Freund an? Wie würdest du dich fühlen, wenn ich dir deine große Liebe vor der Nase wegschnappe?«

Clarissa bedachte Amelie mit einem mitleidigen Blick. »Oh, Amelie, das ist ja schrecklich!«

»Wenn es nach mir geht, sehe ich den Teufel erst in der Hölle wieder«, zischte Amelie eher zu sich selbst und sah zur Seite.

»Amelie!«, warnte Clarissa atemlos und riss die Augen auf, weil hinter der dampfenden Tochter des Dukes of Kent der von dieser so heftig verfluchte Julien Moore in Begleitung eines weiteren Herrn aufgetaucht war.

»Die richtige Temperatur herrscht hier zwar, trotzdem bezweifle ich, dass Lady Montague es gerne hört, wenn man ihren Ball mit der Hölle der ewigen Verdammnis vergleicht.« Der Scherzkeks verbeugte sich schmunzelnd vor der sichtlich erröteten Clarissa und zog erst deren Hand an die Lippen, bevor er nach Amelies greifen wollte.

Amelie straffte fast unmerklich die Schultern und hob ihr zierliches Kinn etwas mehr an, bevor sie den Gentleman mit einem kalten Blick kritisch musterte. Sie zupfte an ihrem Handschuh und hob fragend eine Augenbraue. »Sagen Sie, Miss Clarissa, haben Sie etwas gehört? Mir war so als … nicht? Sehen Sie, meine Cousine gibt mir gerade einen Wink, möchten Sie mich begleiten?« Sie deutete mit ihrem Kinn in Richtung des überfüllten, hinteren Teils des Ballsaals und drehte sich, ohne auf eine Zustimmung der Freundin zu warten, um. Leider wurde ihr Weg von einer in einem schlichten weißen Brokathemd und einem schwarzen Frack gewandete Brust versperrt. Sie brauchte nicht aufsehen, um zu wissen, dass ihr Julien Moore den Weg verstellte. Steif drehte sie sich wieder zu Clarissa, um sie böse anzufunkeln. Amelie konnte beide Gentlemen ignorieren, schließlich waren sie ihr nicht formell vorgestellt worden, auch wenn sie mit Julien streng genommen durchaus bekannt war. Wenn Clarissa sie als Moores Cousine einander vorstellte, wurde es allerdings schwierig. Clarissas aufgerissene, blaue Augen lagen voller Not auf Amelie.

»Cousine Clarissa, möchten Sie mich nicht Ihrer reizenden Begleitung vorstellen?«, fragte Julien Moore belustigt und sandte Amelie mit seiner tiefen, sonoren Stimme einen unangenehmen Schauer über den Rücken. Sie warf der Freundin eine strenge Warnung zu. Clarissa wand sich unter dem Blick, hob aber dennoch an: »Lady Amelie, darf ich Ihnen meinen Großcousin Julien Moore vorstellen? Cousin, meine Freundin, Lady Amelie Mannings.«

Amelie knirschte missvergnügt mit den Zähnen und neigte knapp den Kopf, um die Herren zur Kenntnis zu nehmen. Gezwungenermaßen. Moore griff nach ihrer Hand und zog sie an die Lippen, um einen Kuss auf ihre Fingerspitzen zu hauchen.

»Lady Amelie, die Schlammpackungen hatten einen umwerfenden Erfolg.« Moores blassgrüne Augen funkelten übermütig bei seinem Kommentar. Seine Begleitung lachte über den Scherz und zwinkerte Clarissa zu. Die streckte die Hand nach Amelie aus.

Amelie entriss Julien ihre Finger. »Die Herren, Miss Orwell, wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen.« Ein eisiger Blick streifte die drei Angesprochenen und ließ Clarissa sichtlich zusammenzucken.

»Lady Amelie, ich …« Eine gehobene Augenbraue ließ sie wieder verstummen.

Amelie drehte sich auf dem Fuß um und sah sich einmal mehr ihren Weg von dem Teufel verstellt. Lautlos seufzte sie auf. Sie hätte nicht in aller Öffentlichkeit über private Dinge sprechen sollen, dies war nun die Retourkutsche. Das Schlimme war, dass sie ihn am ganzen Leib spüren konnte.

»Lady Amelie, bitte gewähren Sie mir die Ehre des nächsten Tanzes.« Er verbeugte sich und griff wieder nach ihrer Hand. Seine Körperwärme strahlte auf sie ab und nahm ihr fast den Atem. Es funktionierte nicht. Ihre Übung war ihr keine Hilfe. Ihre Fassade ließ sich nicht so einfach aufbauen, wie sie es gewohnt war. Sie schluckte. Sie musste fort!

»Sehr gerne, Mr Moore, sobald die Hölle zufriert!« Sie hob das zittrige Kinn und eine Braue gleich mit. Hitze brannte in ihren Wangen. Verflixt! Sie wendete sich ab und wollte einfach nur fort.

»Ist sie immer so kratzbürstig, Cousine, oder liegt es tatsächlich an mir?«

Amelies Glieder hörten auf zu beben. Dieser verfluchte Mistkerl. Machte er sich tatsächlich über sie lustig? Dass er es wagte! Tanzen! Mit Julien Moore! Ganz sicher nicht! Nicht einmal sprechen wollte sie mit ihm. Niemals wieder. Unglücklicherweise wurde sie direkt neben der Tanzfläche abgefangen und schwungvoll in die Arme gezogen. Überrascht stieß sie gegen ihren unliebsamen Tanzpartner. Julien hielt sie deutlich zu fest, als dass sie sich seinem Griff entwinden könnte, ohne ungewollte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Amelie schrie innerlich, nein, sie brüllte. Wenn sie es wagen könnte, würde sie ihn mit ihrem Fächer traktieren, bis er seine verfluchten Hände von ihr nahm. Leider war dies selbst für eine Herzogstochter ein unmögliches Benehmen und führte überdies zu falschen Schlüssen!

Amelie bohrte ihren brennenden Blick in seine Brust und entließ ihre Wut in der einzigen Art, die ihr offenstand: dem stummen Fluchen.

Julien zog Lady Amelie etwas enger an sich, um einer neuerlichen Flucht sofort Einhalt gebieten zu können. Hinter ihrer eisigen Fassade stürmte es, sie konnte sich wohl kaum bezwingen. Er war sich sicher: Sie wünschte ihm die Pest an den Hals, einen Kutschunfall und die Syphilis und am liebsten alles auf einmal, gleich morgen. Julien nahm es gelassen. Sie war nicht die einzige Lady in diesem Ballsaal, die ein falsches Bild von ihm hatte. Und er gedachte es zu korrigieren. Aber nicht sofort, dafür waren ihre stürmischen Augen zu nett anzusehen. Das Feuer in ihnen. Das hatte er immer schon bewundert, selbst bei der unrühmlichen Geschichte mit den Schlammpackungen. Julien hatte sie direkt an der Tanzfläche abgefangen und zog sie nun in den ersten Kreis des Walzers. Sie folgte äußerst widerwillig und doch mit vollendeter Eleganz. Sie hatte sich gemausert, keine Frage, auch wenn ihre eisige Fassade einiges von ihrem Glanz nahm, wenn man ihn fragte – was sie wohl nicht täte.

Noch nicht. Julien grinste sie an und Lady Amelie wandte leicht den Kopf ab. Sie wollte ihr Desinteresse demonstrieren, was ihn aber nicht entmutigte. Dafür wusste er einfach zu viel von ihr, denn sie war Clarissa gegenüber nicht ganz aufrichtig gewesen. Sie waren sich nicht nur auf der Hochzeit seines besten Freundes Lucas Norton, dem Earl of Bloomfield, mit Vivian, Lady Amelies Cousine, begegnet.

Da sie keine Anstalten machte ein Gespräch zu beginnen, nahm er sich die Zeit, seine widerstrebende Tanzpartnerin zu betrachten. Ihr schwarzes Haar umrahmte ihr ovales Antlitz und ließ ihre grauen Augen geheimnisvoll funkeln. Ihre tiefroten Lippen waren zu einem missmutigen Strich gezogen und ihr energisches Kinn zitterte sacht vor Entrüstung. Da sie ihn fortwährend ignorierte, erlaubte er sich, seinen Blick tiefer wandern zu lassen, und betrachtete erfreut ihren schlanken Hals und ihr offenherziges Dekolleté, das von einer einfachen Kamee geziert wurde. Sie hatte kein ausladendes Dekolleté, sondern gerade genug, um in einem Mann den Wunsch wachzurufen, ihre prallen Rundungen zu umfangen. Ihr schlanker Körper bewegte sich feengleich im Rhythmus der Musik, ohne auf seine Führung angewiesen zu sein. Seine Hand wanderte über ihren steifen Rücken weiter bis zu ihrer schmalen Taille, was ihr eine unwirsche Reaktion entlockte.

»Behalten Sie Ihre dreckigen Finger bei sich!«

Amüsiert hob er eine Braue. Sie war durchaus im Recht, Benehmen zu fordern. Aber das fiel ihm in ihrer Gegenwart stets schwer. Zunächst hatte er immer ihren Anblick vor Augen gehabt, wie sie mit geballten Händen und schlammbesudelt vor ihm stand und dabei ihren Cousin ausschimpfte. Eigentlich war dessen beschämte Reaktion der Grund für seinen Heiterkeitsausbruch gewesen und nicht ihr Anblick. Beaufort hatte mit hochrotem Kopf versucht, den Schaden zu beheben, und hatte es damit noch schlimmer gemacht. Sie hatte Tränen in den Augen gehabt, aber keine davon hatte es gewagt, über ihre bleiche, schlammverkrustete Wange zu rollen. Und trotz ihres jämmerlichen Aufzugs hatte sie aufrecht wie eine Königin vor ihnen gestanden. Nachdem Amelie mit Beaufort fertig gewesen war und sich ihm und Bloomfield zuwandte, war ihr Blick lediglich warnend über sie gewandert. Sie hatte geknickst und gebeten, sie zu entschuldigen. Ganz so, als wäre sie nicht mit all dem Dreck besudelt. Julien hätte sich bezähmen müssen, das hatte er damals schon gewusst, aber er hatte es einfach nicht gekonnt. Nicht einmal, wenn ihm die Konsequenz bewusst gewesen wäre. Ihr eisiges Benehmen ihm gegenüber. Nun, er kannte jetzt wenigstens den Grund ihrer Abneigung. Mit Vivians Hilfe sollte sie ihm bald gewogener sein. Es wartete wohl ein gutes Stück Überzeugungsarbeit auf ihn, zumal Lady Amelie eine sehr feste Vorstellung von Dingen hatte. Aber die Mühe war es wert. Er wollte, dass sie ihn anlächelte, wie sie Bloomfield zulächelte. Herzlich. Zugeneigt. Er wollte, dass sie mit ihm ebenso sprach. Sanft. Vertraut. Und es gab ein paar Dinge, die er von ihr wollte, die mit Sicherheit noch niemandem gestattet wurden. Süße Küsse, zum Beispiel. Julien grinste auf sie nieder. Ganz viele süße Küsse und möglichst bald!

An Küsse dachte Lady Amelie sicherlich nicht, schon gar nicht an Küsse mit ihm. Ihre Miene ließ keinen Zweifel daran, dass sie seine Gesellschaft alles andere als genoss. Ihre Mundwinkel hingen bedenklich tief und die steile Falte über ihrer zierlichen Nase sprach Bände. Ihre Hand schwebte wenige Nanomillimeter über seiner Schulter und ihr Blick blieb an ihm vorbei gerichtet.

»Nun, Amelie …«

»Für Sie: Lady Amelie!«, unterbrach sie ihn eisig, aber Julien ignorierte es geflissentlich und fuhr einfach fort: »… da wir unsere Bekanntschaft erneuert haben, werden Sie mir sicher erlauben, mich hin und wieder nach Ihrem Befinden zu erkundigen?«

»Ich werde Sie nicht empfangen!« Störrisch reckte sie ihr Kinn.

»Wo bleiben Ihre Manieren, Mylady?«

Ihre Wangenmuskeln mahlten sichtlich, als sie ihren Blick widerwillig auf ihn richtete. »An ein Subjekt wie Ihnen wären meine Manieren verschwendet. Schließlich bemühen Sie Ihre auch nicht.«

Julien lachte amüsiert auf. »Subjekt. Sie schmeicheln mir, Amelie. Sagen Sie, wie geht es Ihrer hinreißenden kleinen Schwester? Natalia, nicht wahr?« Sie reagierte nicht, lediglich ihr Kinn hob sich einen Tacken mehr.

»Ich denke, ich werde mich Natalia vorstellen lassen. Ich bin mir sicher, dass sie mich gerne empfängt.« Er zwinkerte.

Amelies Miene verlor an Halt und ihre grauen Augen gleißten auf. »Ich kenne Ihren Ruf.« Sie bebte unter seinen Fingern.

Julien behielt das Lächeln bei, auch wenn es anstrengend wurde. Sein Ruf war sicherlich nicht der Beste und es war dahingehend verständlich, dass sie ihn meiden wollte. Und ihn von ihrer kleinen Schwester fernhalten wollte. Die jüngere Lady aus dem Hause Kent war das genaue Gegenteil zur älteren. Wo Lady Amelie abgeklärt und unnahbar erschien, war Lady Natalia offen und herzlich. Auch äußerlich glichen sie sich kaum. Natalia war blond und blauäugig wie die Mutter der beiden, während Amelie ganz nach ihrem Vater kam: schwarzhaarig, mit grauen Augen.

»Ich warne Sie«, zischte sie, »eine Mannings zu verführen, könnte Sie in ein frühes Grab führen!« Ihre Augen blitzten gefährlich. »Sie werden meiner Schwester nicht zu nahe kommen! Wagen Sie es nicht, auch nur daran zu denken, sie zu verführen!«

Julien bewunderte ihr eisiges Feuer. Leider erklang der Schlussakkord des Walzers und ihm blieb nichts anderes übrig, als sich formvollendet vor ihr zu verbeugen. Er reichte ihr seinen Arm. Ihr Blick lag immer noch schneidend auf ihm. Die Tanzfläche leerte sich und ihr blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls zu gehen. Seine Begleitung wollte sie aber partout nicht annehmen. Sie stob einmal mehr davon. Julien folgte ihr auf dem Fuß.

»Ah, Amelie.« Lady Argylls Augen glitten über ihn. »Mr Moore, wie geht es Ihnen?«

Amelie fuhr zu ihm herum.

»Lady Argyll, in Gesellschaft so bezaubernder Damen kann ich mich nur wohlfühlen.« Er hob ihre Hand an die Lippen. »Ich hatte das Glück, Ihre Cousine zu einem Tanz überreden zu können.«

»Das ist unverschämtes Glück, Mr Moore«, stellte Lady Argyll fest.

»Marie, entschuldige, hast du Natalia gesehen?«, fragte Amelie ungeduldig. Durchschaubar. Julien unterdrückte ein Grinsen.

»Natürlich, Amelie, sie tanzt.«

Das bremste sie aus. Amelie presste kurz die Lippen aufeinander. Sie wandte sich um, um zur Tanzfläche zu sehen.

»Leider kann ich Sie nicht erneut aufs Parkett geleiten.«

Sie sah zu ihm. »Sie haben Ihr Glück bereits überstrapaziert, Mr Moore. Ein weiterer Tanz steht außerhalb jeglicher Möglichkeit! Sie sollten sich verabschieden«, beschied Amelie giftig.

Keine Bitte, eher ein harscher Befehl. Julien wog seine Chancen ab. Ein weiterer Tanz an diesem Abend wäre fast schon skandalös und verbat sich da von selbst. Demnach konnte er lediglich ihre Gesellschaft genießen, was sie aber auch in die Flucht treiben konnte. Besser, er ließ ihr Wiedersehen nun auf sich bewenden. Da gab es allerdings noch die eine Sache, die er Klarstellen musste. Bevor er sich verabschiedete, raunte er ihr zu: »Ich verführe keine naiven, kleinen Mädchen, wo bleibt denn da der Spaß?«

Kapitel 2

Vergangenes

Norfolk, Bloomfield Manor, Frühsommer 1813

Vorsichtig spähte Lady Amelie Mannings zwischen den aufblühenden Zweigen des Rhododendrons hindurch. Dabei verfolgte sie, wie der verflixte Julien Moore ihre Cousine Vivian vom Pferd hob. Sein Lachen wehte zu ihr hinüber und verursachte einen süßen Schauer.

Julien war seit zwei Wochen auf Bloomfield und unterhielt die melancholische Countess. Vivian war nach der Niederkunft mit dem Erben des Earl of Bloomfield in ein tiefes Loch gefallen, weinte, klagte und war nur selten aus dem Bett gekommen. Seit Julien Moore auf Bloomfield weilte, verließ Vivian plötzlich wieder ihr Zimmer! Hitze flutete Amelies Adern und sie biss die Zähne aufeinander.

Amelie beobachtete das Paar. Sie selbst war bereits das ganze Frühjahr über bei der geliebten Cousine geblieben, obwohl sie sich auf ihre Saison im nächsten Jahr vorbereiten sollte. Amelie hatte Vivian beistehen und ihr Gesellschaft leisten wollen, während Bloomfield seinen Geschäften nachging. Ganz besonders, als sie hörte, dass Bloomfield einige Wochen seinen Landsitz verlassen und Vivian allein zurücklassen wollte. Wie hätte sie da abreisen können?

Julien zog die Hand der Countess an die Lippen. Er legte sie sich auf den Arm und führte Vivian langsam auf das Haus zu – und damit außer Sichtweite von Amelies Spähposten. Amelie reckte den Hals nichtsdestotrotz. Rhododendron-Blätter streichelten ihr Gesicht und raschelten sachte.

Julien und Vivian waren Stunden unterwegs gewesen und hatten Amelie ganz allein zurückgelassen. Sie war nicht einmal gefragt worden, ob sie mitkommen wollte. Amelie presste die Lippen aufeinander und schnaubte für sich. Es hätte sich so gehört, sie um ihre Gesellschaft zu bitten! Sie entließ angespannt den Atem und sagte sich, dass sie ohnehin nicht mitgekommen wäre, da sie nicht ausritt. Sie kam nicht mal in die Nähe von Pferden. Trotzdem verblieb ein Rest an Ressentiment. Amelie drehte sich auf dem Absatz um und stürmte ins Haus. Obwohl der Herr ungalant war und ihre Cousine sehr ichbezogen, wollte Amelie die beiden mit einer Tasse Tee bewirten – ganz damenhaft.

An der Verandatür strich sie ihr Kleid glatt und ordnete die locker herabfallenden Falten, bevor sie ihr Spiegelbild nach losen Strähnen oder anderen Zeichen ihres unziemlichen Verhaltens absuchte. Zufrieden mit ihrem Aussehen reckte sie die Schultern und trat in den Salon, wo sie umgehend nach Hallows, Bloomfields steifen Butler, klingelte. Mit einem beständigen Lächeln auf den Lippen wartete sie geduldig auf die Rückkehr des Butlers und auf die Ankunft der Cousine. Amelie stand nervös auf, als die Tür geöffnet wurde. Vivian flötete, als sie eintrat: »Wenn du das sagst, Julien, dann nehme ich es als Kompliment!«

Wie nicht anders erwartet, wurde Vivian von dem enervierenden Mann begleitet. Amelie streckte die Schultern. Gemessen, ruhig, geheimnisvoll, mahnte sie sich.

Julien lachte leise, wobei er Vivians Hand an die Lippen zog und versicherte: »Und jedes Wort entspricht der Wahrheit.«

Ein Schauer rollte über ihren Leib und Amelie presste unwillig die Lippen zusammen. Noch immer hatte man sie nicht zur Kenntnis genommen. Beide waren völlig ineinander vertieft. Unfassbar! Mr Moore nannte sich Bloomfields Freund! Er war sein Trauzeuge gewesen! Unfassbar, dass er mit Vivian tändelte!

Amelie zog die Brauen kraus und sah von Vivian zu Julien. Sein Blick schweifte durch den hellen Raum und blieb sekundenlang an ihr hängen. Ihr stockte der Atem und süße Aufregung flutete ihre Adern. Dann wandte er sich wieder seiner Begleitung zu, die sie zumindest endlich gewahrte. Die Spannung wich und Amelie keuchte.

»Amy! Da bist du ja! Hattest du einen schönen Nachmittag?«

Amelie knirschte mit den Zähnen und krallte ihre Finger in den weichen Wollstoff ihres Nachmittagskleides. »Selbstverständlich, Vivian! Ich habe mit Claire gespielt und nach Jamie gesehen. Wir haben ein sehr anregendes Gespräch geführt.« Claire und Jamie waren Vivians zweijährige Tochter und der neugeborene Sohn. Amelie seufzte leise. Wenn man bei der Wahrheit blieb, hatte sie Jamie stundenlang in den Ohren gelegen, wie verantwortungslos gewisse Dame sich verhielt und wie ungalant bestimmter Herr war. »Wann kommt Lucas denn zurück?«, fragte sie unglücklich und schnitt eine sehnsüchtige Miene, die Vivian zum Schmunzeln brachte. Julien hatte die Countess in der Zwischenzeit zu der kleinen Sitzgruppe geführt, in dessen Mitte der kleine Tisch mit der Erfrischung stand und drückte sie fürsorglich in die Polster, was Amelie verkniffen registrierte.

Vivian seufzte leise und lächelte zu Julien auf. Dann erst widmete sie sich Amelie, die den Tee eingoss. »Heute, morgen, irgendwann. Er hat nicht geschrieben.«

»Vermisst du ihn denn gar nicht?«, grummelte Amelie und senkte den Blick auf die Teekanne, damit sie nichts vergoss.

»Offensichtlich nicht so sehr wie du!«, kicherte Vivian und grinste zu ihrem Galan auf, der Amelie seinerseits ebenso belustigt beobachtete wie die Hausherrin.

»Das wäre tragisch«, knirschte Amelie und presste die Lippen zusammen, um der Cousine nicht eine lange Predigt zu halten. »Tee, Mr Moore? Sandwiches?«

Julien nahm den Tee entgegen und ließ sich neben der Countess auf dem Kanapee nieder. Er sah sie immer noch an und Amelie reckte die Schultern.

»Du siehst heute sehr hübsch aus, Amy, ist das ein neues Kleid?«, verkündete Vivian zwinkernd und lenkte Amelies Aufmerksamkeit auf ihren Ausschnitt. Ihr kritischer Blick fiel auf die goldene Borte ihres Ausschnitts, der gerade tief genug war, dass man das sanfte Tal zwischen den festen Hügeln erahnen konnte. Durchaus züchtig, zumindest hatte sie das der Zofe ihrer Cousine versichert, die ihr beim Umarbeiten zur Hand gegangen war.

»Keineswegs. Du weißt, dass meine neue Garderobe auf Westbrook auf mich wartet.«

»Du siehst heute nur so anders darin aus.« Die Augen der Countess funkelten vergnügt, als sie Amelie betrachtete und an ihrem heißen Tee nippte.

Amelie mahnte sich zur Contenance, trotzdem klang die Anklage mit. »Das mag daran liegen, dass du mich so selten zu Gesicht bekommst. Ein weiterer Grund, warum ich auf Lucas‹ baldige Rückkehr hoffe, dann kann er Mr Moore unterhalten und du findest vielleicht einen Augenblick Zeit für mich.« Sie zuckte mit den Schultern und biss in ihr Sahnetörtchen. Genießerisch schleckte sie die Sahne von der Oberlippe und seufzte leise. Ihre Gouvernante hatte ihr geraten, niemals in männlicher Gesellschaft mit der Zunge über die Lippen zu fahren, aber wie sollte sie sonst die Sahne von ihrer Lippe bekommen? Schließlich war es unmöglich sie mit dem Finger abzuwischen und ihn dann in den Mund zu stecken! Und ganz abgesehen davon sah Julien ohnehin nie in ihre Richtung. Fast hätte sie sehnsüchtig geseufzt.

»Du fühlst dich vernachlässigt?«, mokierte sich Vivian.

»Ich bin vernachlässigt! Wenn ich daran denke, dass Katrina in London ist! Sie hat geschrieben, dass Jonathan ihr Viscount Saunders vorgestellt hat. Das einzige männliche Wesen, mit dem ich spreche, ist Jamie. Ein Baby!«, knirschte Amelie. Die Tasse klirrte, als sie sie auf die Untertasse zurücksetzte.

»Entschuldige, Liebes, ich wusste nicht, dass du dir etwas aus männlicher Gesellschaft machst.« Vivian versteckte ihr Grinsen hinter ihrer Teetasse.

Amelie schnaubte unwillig. »Kommt wohl ganz auf die Gesellschaft an.«

Wie jeden Morgen betrat Amelie den Frühstücksraum als erste, trotzdem sah sie sich vorsichtig um, bevor sie leise aufseufzte. Das Büfett stand bereit und Amelie häufte sich gutgelaunt ein ausladendes Frühstück auf den Teller. Meistens war sie so gut wie fertig, bevor der zweite Hausgast herunterkam und so konnte sie ihn bei seinem Morgenmahl über eine Tasse Schokolade unauffällig beobachten. Sie sah ihm gern zu, obwohl er meist hinter der Times versteckt blieb und nur kurz auftauchte, um nach der Kaffeetasse zu greifen. Seine fließenden Bewegungen faszinierten sie und wenn die Sonne hinter ihm stand, gleißten seine Haare in einem satten Goldton und umrahmten sein markantes Gesicht wie ein Heiligenschein. Das Frühstück war für sie zum Hauptereignis mutiert, seit Julien auf Bloomfield war. Nun, es war der einzige Teil des Tages, an dem sie ihn für sich allein hatte. Leise vor sich her summend, goss sie sich heiße Schokolade in eine Tasse. Sie hatte beschlossen, etwas offensiver zu werden. Anscheinend waren ihre abgeänderten Kleider nicht erwachsen genug für den Herrn, deswegen wollte sie ihm mit ihren vollendeten Manieren beeindrucken und ihrem glänzenden Charme. Vielleicht ergab sich ja auch die Gelegenheit, ihn zu berühren! Angeblich machte eine kleine Berührung die Herren nervös. Zumindest hatte das ihre Cousine behauptet und sie war immerhin, wie ihre Mutter früher, eine der begehrtesten jungen Mädchen der Londoner Saison!