Christus oder Muhammed - Karl May - E-Book

Christus oder Muhammed E-Book

Karl May

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Beschreibung

Christus oder Muhammed ist ein spannendes, aber mittlerweile nur selten gelesenes Werk von Karl May. Auszug: Wenn der Marseillaner Gelegenheit findet, über die Vorzüge und Schönheiten seiner Vaterstadt zu sprechen, so pflegt er zu sagen: »Wenn Paris eine Cannebière hätte, so wäre es ein kleines Marseille.« Dieser Vergleich ist übertrieben, doch gewiß nicht ohne Berechtigung. Die Cannebière ist die größte und, wenigstens früher, schönste Straße von Marseille, welche die ganze Stadt durchschneidet und auf den Hafen mündet. Der Bewohner der größten Stadt Südfrankreichs besitzt ein volles Recht, auf dieselbe stolz zu sein. Sie hat ein mildes, ein herrliches Klima, ägyptisch klare Nächte und trotz ihrer südlichen Lage eine Luft, welche von ewig gleicher Frische ist. Hier strömen alle Nationen der Erde zusammen, der zugeknöpfte, ernste Inglishman, der feurige Italiener, der smarte Yankee, der listige Grieche, der verschmitzte Armenier, der dickblütige Türke, der wortkarge Araber, der schmächtige Hindu, der zopftragende Chinese und der in allen Farben vom schmutzigen Dunkelbraun bis zum tiefsten Schwarz spielende Bewohner Innerafrikas.

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Christus oder Muhammed

1234AnmerkungenImpressum

1

Wenn der Marseillaner Gelegenheit findet, über die Vorzüge und Schönheiten seiner Vaterstadt zu sprechen, so pflegt er zu sagen: »Wenn Paris eine Cannebière hätte, so wäre es ein kleines Marseille.« Dieser Vergleich ist übertrieben, doch gewiß nicht ohne Berechtigung. Die Cannebière ist die größte und, wenigstens früher, schönste Straße von Marseille, welche die ganze Stadt durchschneidet und auf den Hafen mündet. Der Bewohner der größten Stadt Südfrankreichs besitzt ein volles Recht, auf dieselbe stolz zu sein. Sie hat ein mildes, ein herrliches Klima, ägyptisch klare Nächte und trotz ihrer südlichen Lage eine Luft, welche von ewig gleicher Frische ist. Hier strömen alle Nationen der Erde zusammen, der zugeknöpfte, ernste Inglishman, der feurige Italiener, der smarte Yankee, der listige Grieche, der verschmitzte Armenier, der dickblütige Türke, der wortkarge Araber, der schmächtige Hindu, der zopftragende Chinese und der in allen Farben vom schmutzigen Dunkelbraun bis zum tiefsten Schwarz spielende Bewohner Innerafrikas.

In dem bunten Gemisch von Rassen, Farben, Trachten und Sprachen herrscht hier der orientalische Typus vor; er erteilt Marseille jenes asiatisch-afrikanische Gepräge, welches man in einer andern Hafenstadt Frankreichs vergebens suchen würde. Wer hinüber nach Algier oder Tanis will, der findet hier die beste Gelegenheit, sein Auge auf die Farben und sein Ohr auf die Klänge des andern Erdteiles vorzubereiten.

Was mich betrifft, so hatte ich noch vor kurzem nicht geahnt, daß ich mich so bald am Mittelmeere befinden würde. Mein Freund, der Kapitän Frick Turnerstick, welcher vielen meiner Leser als tüchtiger Seemann und universelles Sprachgenie bekannt sein wird, hatte mich durch folgendes aus Harwich an mich gerichtete Schreiben aus meiner häuslichen Ruhe gestört:

»Liewer Charley! Hier liegge ich vor Anker und werde heut übber quinze jours to weigh anchor, um nach Antwerpen zu seggeln und Euch dort bey Grootvader Leidekker abzuhohlen. Ich faahre übber Marseille ins Thunis und würdte Euch rundum verachten, wenn Ihr at home bliept und nicht would be willing, als meyn Gaßt an Bord zu mounten. Lebt wohl, und kommt! Ich expecte Euch mit security.

Your old Frick Turnerstick.«

Was sollte ich thun? Zu Hause bleiben und mich ›rundum verachten‹ lassen? Nein! Es war mir Herzensbedürfnis, den braven Gefährten wiederzusehen, und eine Fahrt nach Tunis und vielleicht noch weiter versprach so viel des Interessanten. Ich beschloß also, der Einladung zu folgen, packte meine Sachen und traf noch vor der angegebenen Zeit in Antwerpen ein. Dort brauchte ich zwei Tage, um den ›Grootvader Leidekker‹ zu erfragen. Er wohnte im nahen Burgerhout und war der Besitzer eines kleinen aber altrenommierten Gasthauses, in welchem meist nur Seekapitäns zu verkehren pflegten. Am dritten Tage traf Turnerstick dort ein. Seine Freude darüber, daß ich seinen Wunsch erfüllt hatte, war ebenso groß wie aufrichtig; es wurde in Eile ein Willkommen getrunken, und dann zog er mich fort, um mir sein neues Barkschiff ›the courser‹ zu zeigen. Er hatte es sich nach seinen eigenen Angaben auf dem weltberühmten Klipperplatze von Baltimore bauen lassen und floß des Lobes über, indem er es als den schnellsten Segler der Handelsmarinen aller Nationen bezeichnete. Die Ladung bestand in Waffen und englischen Web- und Eisenwaren, mit denen er in Tunis ein gutes Geschäft zu machen gedachte. In Antwerpen wollte er noch Spitzen, Zwirn und Gold- und Silbertressen aufnehmen, Artikel, welche von den Mauren und Berbern stets gesucht werden. in Marseille sollten Seidenzeuge, Gerbereiartikel, Bijouterien, Quincaillerien, Seifen und Kerzen dazu kommen. Die schon vorher bestellte Fracht war bald an Bord genommen; dann ging es die Wester-Schelde hinab, in die Nordsee hinein und dem Kanale entgegen.

Turnerstick hatte seinen ›Courser‹ mit vollstem Rechte gelobt. Die Bark war im Verhältnisse von 1 zu 8 gebaut und zeigte Linien, welche die Bewunderung jedes Sachverständigen erregen mußten. Der Bau des Schiffes bekundete die Geschicklichkeit des Architekten; die Ausrüstung und Einrichtung war bei aller Zweckmäßigkeit so nett, so gefällig, daß der Kapitän wohl stolz darauf sein konnte, der Schöpfer derselben zu sein. Wir hatten ununterbrochen guten Wind, machten eine außerordentlich schnelle Fahrt und legten zwei volle Tage früher, als Turnerstick vorhergesagt hatte, am Port de la Joliette von Marseille an.

Während der Kapitän sich hier zunächst seinen Pflichten zu widmen hatte, wanderte ich in der Stadt umher, um die Sehenswürdigkeiten derselben in Augenschein zu nehmen, die neue, prächtige Kathedrale, die gotische Michaeliskirche, das Hotel-Dieu und vor allen Dingen die reichhaltige Bibliothek, welche sich in dem herrlichen Gebäude der Ecole des beaux Arts befindet. Dann, als Turnerstick Zeit gewonnen hatte, besuchten wir miteinander denjenigen Ort, für welchen er sich am meisten interessierte, nämlich den zoologischen Garten, welcher hinter dem prächtigsten Bauwerke Marseilles, dem Château d'Eau oder Palais de Longchamp, liegt.

Als wir denselben in seiner ganzen Länge und Breite durchschritten und alle Abteilungen in Augenschein genommen hatten, fühlten wir uns ermüdet und suchten eine Bank, um uns auszuruhen. Wir fanden eine solche unter einer Platane, welche sich an der schmalen Zunge eines dichten, länglichen Bosquets erhob. An der andern Seite desselben erhob sich über den Zweigen des niedrigen Gebüsches ein hölzernes Kreuz mit dem Bilde des Heilandes. Die Inschrift einer daran befestigten Tafel sagte, daß an dieser Stelle einer der Wärter von einem ausgebrochenen Panther zerrissen worden sei; hieran war die Bitte geschlossen, für den Verunglückten zu beten. Wir kamen entblößten Hauptes derselben nach und nahmen dann jenseits des Buschwerkes auf der Bank Platz.

Da wir nicht Sonn, sondern Wochentag hatten, so war der Besuch des Gartens kein bedeutender, und es kam nur selten jemand an dieser abgelegenen Stelle vorüber. Turnerstick erzählte mir seine neueren Erlebnisse und machte nur einmal eine längere Pause, als er mir eine Cigarre gab und auch sich eine nahm. Während wir dieselben ansteckten, hörten wir infolge der eingetretenen Stille deutlich die Schritte zweier Personen, welche sich hinter dem Gebüsche näherten und bei dem Kruzifixe stehen blieben.

»Allah vernichte dieses Land!« hörte ich den einen in arabischer Sprache sagen. »Ueberall stehen diese Götzenbilder, welche dem wahren Gläubigen ein Greuel sind, und vor denen diese Christenhunde die Würde ihrer Häupter entweihen.«

»Vergiß nicht, daß ich auch ein Christ bin!« antwortete der andere in derselben Sprache, aber so gebrochen, daß zu vermuten stand, er sei gewöhnt, sich der Lingua franca zu bedienen.

»O,« lautete die Entgegnung, »du besitzest Klugheit genug, diese Abgötterei für verderblich zu halten. Du bist ein Rumi und magst von dem Baba nichts wissen, welcher in Roma auf seinem falschen Throne sitzt. Die Lehre des Propheten ist die allein richtige. Er hat alles Bildwerk verboten, und wohin der Islam gedrungen ist, hat er die Bilder und Figuren verbrannt und ausgerottet. Kannst du mir sagen, was unter diesem Kreuze zu lesen steht?«

»Ja. Ein Panther ist aus dem Käfig gebrochen und hat hier an dieser Stelle einen Beamten des Gartens zerrissen. Darum hat man dieses Kreuz errichtet, damit man für den Toten bete.«

Der Sprecher hatte, obgleich ein Christ, diese Erklärung in lachendem Tone gegeben. Der Moslem meinte in verächtlichem Tone:

»O Allah, was für Dummköpfe diese Christen sind! Sie verdienen, angespieen zu werden. Hat euer Christ den Mann retten können? Nein! Und nachdem derselbe zerrissen worden ist, setzt man ein Kreuz hierher. Das Gebet kommt zu spät; was kann es nützen!«

»Es ist für das Heil seiner Seele.«

»Laß dich nicht auslachen! Für die Seele eines toten Christen giebt es kein Heil, denn alle Anhänger dieser Götzendienerei müssen in die Hölle wandern. Wäre ich an der Stelle des Getöteten gewesen, so hätte ich den Namen des Propheten angerufen, und der Panther wäre voller Schreck entwichen. Vor dem Gebete eines Christen aber fürchtet sich keine Katze. Wie machtlos euer Jesus mit samt euern Kreuzen ist, werde ich dir sofort zeigen. Ich will sehen, ob er mich straft, wenn ihm das, was ich jetzt thue, nicht gefällt.«

Er stieß noch einige Lästerungen aus, welche ganz unmöglich zu Papier zu bringen sind, und dabei hörte ich ein Prasseln und Knacken, daß ich annahm, er wolle das Kreuz umstürzen. ich wollte aufspringen, um ihn zu hindern; aber Turnerstick, welcher die Worte nicht verstanden hatte, hielt mich zurück, um eine leise Erklärung derselben zu erhalten. Ich gab sie ihm kurz und schnell und erhob mich dann, aber zu spät; der in der Erde steckende Teil des Schaftes war angefault; er zerbrach, und das starke und wohl fünf Ellen hohe Kruzifix stürzte derart nach unserer Seite herüber, daß es den Kapitän am Kopfe traf. Dieser stieß einen Schrei des Schmerzes und des Aergers aus, sprang auf und folgte mir schnell um die Ecke des Bosquets nach der andern Seite, wo die beiden Männer standen.