Classroom Management - Marcus Eckert - E-Book

Classroom Management E-Book

Marcus Eckert

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Beschreibung

Welche Verhaltensweisen fördern die Motivation und die Kooperation? Wie können schwierige Gespräche konstruktiv gestaltet werden? Classroom Management schafft die Voraussetzungen für gutes Lernen: Es begünstigt ein positives Klassenklima, fördert ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrkräften und Lernenden und reduziert Störungen. Der Band bietet eine Einführung in die Grundlagen, Strategien und konkreten Handlungsmöglichkeiten, die Klassenführung stetig weiterzuentwickeln, mit vielen Tipps und Beispielen. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 199

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Marcus Eckert

Classroom Management

Reclam

2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2022

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962016-9

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014241-7

www.reclam.de

Inhalt

1 Wie Sie dieses Buch zum Classroom Management nutzen können

1.1 Was ist Classroom Management und was ist es nicht?

1.2 Einladung zu Arbeit an der inneren Haltung

1.3 Erst jetzt kommen Methoden, Techniken und Strategien

2 Das Problem der erlernten Hilflosigkeit im Kontext von Schule

2.1 Das Phänomen der erlernten Hilflosigkeit: Was wissen wir?

2.2 Wie Sie Hilflosigkeitserleben im Unterricht fördern können

2.3 Was Sie tun können, damit Schüler:innen Kompetenz und Selbstwirksamkeit anstelle von Hilflosigkeit erlernen und erleben

2.4 Interventionen zur Überwindung erlernter Hilflosigkeit

3 Die Selbstbestimmungstheorie und ihre Implikationen für das Classroom Management

3.1 Autonomieerleben fördern

3.2 Fokus auf das Kompetenzerleben – auch im Scheitern

3.3 Erleben sozialer Einbindung

4 Ohne Beziehungsarbeit geht es nicht

4.1 Eine gute Grundlage schaffen: Die Oxytocinproduktion ankurbeln

4.2 Wärme und Kompetenz

4.3 Beziehungsarbeit heißt Auseinandersetzung und Wachstum – die Arbeit mit dem Werte- und Entwicklungsquadrat

5 Motivation durch Feedback gestalten

5.1 Komplimente machen: Ressourcen und Kompetenzen entdecken und fördern

5.2 Maßgeschneiderte und passende Lern- und Entwicklungsziele festlegen

5.3 Zielbindung aufbauen – Verbindlichkeit einfordern

5.4 Autonomie bei der Zielerreichung gewähren – Unterstützung anbieten

5.5 Schwierigkeiten neu denken – und neue Verabredungen treffen

6 Lernförderliches und gemeinschaftsorientiertes Verhalten mit der ganzen Lerngruppe aufbauen und aufrechterhalten

6.1 Die Ist-Situation: Ressourcen und Bedarfe feststellen

6.2 Realistische und bedeutsame Veränderungsbereiche auswählen

6.3 Die Motivation klären und eine Vereinbarung treffen

6.4 Die Szene neu entwickeln

6.5 Die Szene proben

6.6 Wie kann das Zielverhalten verstärkt werden?

6.7 Wie aus Rollenverhalten Rollenidentität wird

7 Teamentwicklung und kooperatives Lernen

7.1 Heterogenität – Teamarbeit im Klassenzimmer bringt Entlastung und Freiräume

7.2 Das lernende Team

7.3 Peer-Coaching

8 Umgang mit Störungen

8.1 Ziel- und Ressourcenvereinbarung treffen

8.2 Zurück in der Realität des Unterrichts

8.3 Die neue Autorität

9 Ausblick

Literaturverzeichnis

Zum Autor

[9]1 Wie Sie dieses Buch zum Classroom Management nutzen können

Dieses Buch ist eine Einladung zum Experimentieren, zum Reflektieren und zum Diskutieren. Viele der Ansätze, die Sie hier lesen werden, kennen Sie schon. Worin besteht der Mehrwert dieses Buchs? Die Güte und das Gelingen von Klassenführung steigen mit der Expertise (König & Kramer, 2016). Wir wissen aus verschiedenen Forschungsarbeiten, dass Lehrer:innen mit einer höheren Expertise Störungen und Konflikte viel früher wahrnehmen und diesen dann aktiv begegnen, bevor sie zu wirklichen Problemen werden (Bromme, 2014; Ophardt & Thiel, 2017). Im Vergleich zu Laien oder Novizen haben Experten im pädagogischen Handlungsfeld komplexere innere Modelle von den Menschen, mit denen sie arbeiten. So können sie vielfach zielgenauer ihre Handlungen abstimmen und damit die Effektivität ihres Tuns steigern (z. B. indem sie einzelne Schüler:innen gezielter motivieren können).

Expertise entsteht nicht aus Erfahrung allein. Und Expertise kann man auch nicht allein durch das Lesen von Theorien erwerben. Vielmehr wächst die Expertise dann, wenn theoriegeleitetes Wissen mit relevanten Handlungsschemata auf eine Art verknüpft wird, dass die Güte der Entscheidungen im Alltag verbessert wird. Daniel Kahneman (2016) hat in seinem bekannten Buch Schnelles Denken, langsames Denken eindrücklich gezeigt, dass wir zwei unterschiedliche Systeme zur Verarbeitung von Informationen haben: ein schnelles intuitives, das uns hilft, unter Handlungsdruck häufig richtig zu entscheiden; und ein langsameres, das es uns ermöglicht, unsere Entscheidungen und Handlungen besser anzupassen. Der Preis, den wir für schnelle Entscheidungen zahlen, ist, dass diese oft nicht genau passend, manchmal sogar unpassend sind, wenn [10]auch intuitive Entscheidungen bei einer hohen Komplexität oft zu besseren Ergebnissen führen. Der Preis für genaueres Denken ist die fehlende Geschwindigkeit. Gerade im Classroom Management und im Unterricht überhaupt müssen Sie häufig schnell handeln. Und im Setting Schule ist die Komplexität oft sehr hoch. Sie müssen viele Faktoren gleichzeitig berücksichtigen. Experten gelingt es in ihrer Domäne, dass sie Informationen sowohl intuitiv, schnell und unbewusst als auch bewusst und analytisch verarbeiten. Und dass sie schnell zwischen beiden Verarbeitungsmodi wechseln können (Sachse, 2009).

Der Mehrwert dieses Buches besteht darin, dass Sie eingeladen werden, Wissen zu vernetzen. In Reflexionsimpulsen können Sie die Theorien und Modelle mit Ihren praktischen Erfahrungen verknüpfen. Sie werden angehalten, Ihren Alltag durch die Brille der jeweiligen Theorien zu beobachten. Vielleicht lassen Sie sich sogar auf einige Alltagsexperimente ein. All das zielt darauf ab, dass Sie selbst Ihre Expertise im Classroom Management ausbauen. Selbstverständlich dürfen Sie dieses Buch auch einfach »nur« lesen, ohne den Impulsen, Beobachtungs- und Reflexionseinladungen und den Alltagsexperimenten nachzukommen.

In diesem Buch werden wir verschiedene wissenschaftliche Theorien und Modelle beleuchten und aus ihnen Anregungen für die Gestaltung des Classroom Management ziehen. Bevor wir das jedoch machen, sollten wir uns darauf einigen, was wir unter Classroom Management verstehen und was nicht (Kapitel 1.1). Da es keine einheitliche Definition gibt, werden wir mit einem variablen Kernverständnis darüber auskommen müssen.

Seit vielen Jahren arbeite ich mit Lehrer:innen zum Classroom Management. Oft begegnet mir der verständliche Wunsch, Werkzeuge und »Rezepte« an die Hand zu bekommen, die sofort einsetzbar sind. Obwohl dieses Buch sehr [11]praxisorientiert ausgerichtet ist, wird es keine »Kochrezepte« geben. Das würde der Komplexität nicht gerecht und es würde letztlich auch das, was Sie täglich leisten, nicht genügend würdigen. Ob eine Strategie oder eine Technik funktioniert oder nicht, hängt nicht selten von der Haltung der Lehrer:in ab und von der Beziehung zwischen ihr und der Klasse bzw. einzelnen Schüler:innen. Hier ist Haltungs- und Beziehungsarbeit gefragt (Kapitel 1.2 und Kapitel 4). Auch darum wird es in diesem Buch gehen. Aber selbstverständlich bekommen Sie auch Ansätze, Techniken, Methoden und Strategien an die Hand, die Sie sofort einsetzen können und die effektiv sind (Kapitel 1.3).

1.1 Was ist Classroom Management und was ist es nicht?

Classroom Management zielt darauf ab, die echte Lehr-Lern-Zeit, das Klassenklima, die Lernatmosphäre und das demokratische Miteinander zu optimieren bzw. bewusst zu gestalten. Um das zu erreichen, müssen Störungsanteile gering gehalten und die Schüler:innen zur Mitarbeit bzw. zum Mitgestalten motiviert werden, denn eine aktive Mitarbeit am Unterricht ist eine zentrale Voraussetzung für schulische Lernprozesse (Junker & Holodynski, 2021). Classroom Management umfasst somit alle lehrerseitigen Aktivitäten1 zur Gestaltung einer Lernumgebung, die sich günstig auf das curriculare und das sozial-emotionale Lernen auswirken. Dabei ist Classroom Management nicht »einfach irgendein weiteres Modul für guten Unterricht, sondern legt die Basis für gute Lehrer-Schüler-Beziehungen, dass die Schüler gut lernen und dass sich Lehrer und Schüler im Unterricht wohlfühlen« (Eichhorn, 2014, S. 8 f.).

[12]Der Begriff Classroom Management geht auf Jacob Kounin (1976) zurück, der fünf Dimensionen des Classroom Management postulierte, die bis heute heuristischen Wert haben (wenngleich die Begrifflichkeiten oft etwas antiquiert wirken):

Disziplinierung: Die Lehrer:in interveniert bei Störungen angemessen und schafft es, die Störungen zu reduzieren oder zu beseitigen. In diesem Buch wird im Kapitel 2 exemplarisch gezeigt, dass Störungen aus der Vermeidung des Gefühls von Hilflosigkeit (»In Mathe bin ich ein Versager. Das kriege ich nie hin!«) entstehen können. Statt auf »typische« Sanktionen zur Disziplinierung zurückzugreifen, finden Sie in diesem Buch Interventionen, die auf die Überwindung von Hilflosigkeitsgefühlen und auf das Erleben von Selbstwirksamkeit abzielen. Sie lernen auch Interventionen auf der Beziehungsebene kennen, um akute Störungen zu reduzieren (Kapitel 4). Im Setting Schule wird häufig das Autonomiebedürfnis aller (!) Akteure unzureichend erfüllt. Dies kann ebenfalls zu Störungen führen, die durch die Berücksichtigung einiger Implikationen der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (Taylor u. a., 2014) eingedämmt werden können (Kapitel 3). In Kapitel 8 wird es im Kern um die Intervention von Störungen gehen, die akut auftreten. Damit die Gelingenswahrscheinlichkeit hierfür steigt, ist es günstig, Kommunikationsstrategien zu verwenden, die zu Kooperation einladen.

Allgegenwärtigkeit und Überlappung zielt darauf ab, bei den Schüler:innen das Gefühl zu erzeugen, dass die Lehrer:in stets über die Abläufe, die Mitarbeit und die Interaktionen (auch die abseitigen) im Unterricht informiert ist. Junker und Holodynski (2021) sehen das Monitoring als äquivalente Aktivität, um proaktiv Unterrichtsprozesse zu steuern. Bei der Gestaltung von Beziehungen ist es immer hilfreich, [13]wenn sich die Interaktionspartner:innen wahrgenommen und gesehen fühlten. Deswegen besprechen wir in Kapitel 4 Möglichkeiten, wie Sie in der Beziehungsarbeit den Schüler:innen dieses Gefühl vermitteln können. Welche Feedbackprozesse es begünstigen, dass Schüler:innen sich jederzeit (in ihrer Kompetenz) wahrgenommen fühlen, betrachten wir in Kapitel 5. In Kapitel 6 lernen Sie u. a. auch Verstärkungstechniken kennen, die das Gefühl vermitteln, dass die Lehrer:in bereits gute Absichten erkennt und verstärkt.

Weiterführender Hinweis

Etwa 20 % der Schüler:innen leiden unter psychischen Störungen und benötigen punktuell besondere professionelle Formen der Aufmerksamkeit. Diese können im Rahmen dieses Buches nicht ausführlich behandelt werden. Weiterführende Überlegungen dazu finden Sie unter www.apollon-hochschule.de/schulpsychologie oder im Buch Umgang mit psychischen Störungen im Unterricht (Eckert, 2022).

Reibungslosigkeit und Schwung sorgen für einen guten und flüssigen Unterrichtsablauf, der zu einer kognitiven Aktivierung der Schüler:innen einlädt (Eichhorn & von Suchodoletz, 2013).). Reibungslosigkeit und Schwung sind das Ergebnis einer prozessualen Strukturierung bei gleichzeitiger Etablierung von Regeln und Routinen, die die notwendigen Abläufe sichern (Junker & Holodynski, 2021). Damit unnötige psychologische Widerstände vermieden werden, ist es günstig, Implikationen der Selbstbestimmungstheorie (Claver u. a., 2020) in die Unterrichtsgestaltung miteinzubeziehen (Kapitel 3, 5, 6 und 7). Wie es gelingt, gemeinsam mit der Lerngruppe Regeln und Rituale so umzusetzen, dass sie sicher gezeigt werden, besprechen wir in Kapitel 6. Die hohe [14]Kunst ist es, sich als Lehrer:in so überflüssig zu machen, dass der Unterricht auch (fast) ohne Sie reibungslos und schwungvoll läuft. In Kap. 7 stelle ich Ihnen einige Ansätze aus der Teamentwicklung im Klassenzimmer (Klippert, 2019) und dem Kooperativen Lernen (Green & Green, 2005) vor.

Unter Gruppenmobilisierung versteht Kounin die Fähigkeit der Lehrer:in, sich auf die ganze Gruppe und zugleich auf die einzelnen Schüler:innen zu fokussieren und diese auf beiden Ebenen zu unterstützen – individuell und als Gruppe. Neben der Beziehungsarbeit (Kapitel 4) und den Feedbackprozessen (Kapitel 5) spielen selbstverständlich Gruppenarbeit, Teamentwicklung und kooperatives Lernen (Kapitel 7) eine zentrale Rolle.

Abwechslung und Herausforderung zielt darauf ab, die Lernaktivitäten auf eine Weise zu gestalten, dass diese die kognitive Aktivierung der Schüler:innen begünstigen. Sowohl Elemente der Selbstbestimmungstheorie (Kapitel 3) als auch geschickt genutzte Aspekte der Gamifizierung sind hier hilfreich. Der Lernprozess sollte aus konstruktivistischer Sicht betrachtet werden, denn wir alle bauen unser Wissen auf unserem Vorwissen und abhängig von Vorerfahrungen auf. Personen, die unterschiedliches Vorwissen oder andere Informationen haben, nehmen den Lernstoff anders wahr, bewerten ihn anders und ordnen ihn anders ein. Sie konstruieren entsprechend eine unterschiedliche Bedeutung. Die Art und Weise, wie wir unser Feedback (Kapitel 5) gestalten, verändert also auch den Lernprozess. Vormals langweilige Aufgaben können auf einmal spannend und herausfordernd sein.

Dieses Buch lädt Sie ein, diese von Kounin aufgestellten Dimensionen aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten [15]und für die Praxis tauglich zu machen. Dabei gestalten nicht nur Sie, sondern konsequenterweise auch Ihre Schüler:innen die Prozesse verantwortlich mit. Wie das gelingen kann, darum geht es hier.

Schüler:innen haben altersspezifische Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, die so etwas wie die Hintergrundmusik des schulischen Lernens sind. Der erste Liebeskummer lässt sich auch im Matheunterricht nicht vergessen. Der erste Zahn fällt mitunter auch im Sachkundeunterricht aus. Classroom Management sollte also stets die entwicklungspsychologische Perspektive als Ratgeber berücksichtigen. Verschiedene soziodemografische Hintergründe haben ebenfalls einen Einfluss darauf, wie Lernen optimalerweise gestaltet werden sollte. Allerdings sind diese beiden Aspekte so umfassend, dass sie in diesem Buch keine explizite Berücksichtigung finden können. Trotzdem sind Sie gut beraten, beides im Blick zu behalten und sich stets diese Fragen zu stellen: Was brauchen meine Schüler:innen, damit die nächsten Schritte gelingen? Und was brauche ich, damit ich die Schüler:innen gut bei diesen Schritten begleiten kann?

1.2 Einladung zu Arbeit an der inneren Haltung

Ein wichtiger Faktor in der Klassenführung ist die Authentizität der Lehrer:innen. So scheint Authentizität von Lehrer:innen eine Verbindung zwischen Lehren und komplexem Lernen darzustellen (Kreber, 2010). Auch die Glaubwürdigkeit von Lehrer:innen hängt davon ab, in welchem Maße sie von den Schüler:innen als authentisch wahrgenommen werden (Hascher, 2006). Authentische Lehrer:innen werden häufiger als Verhaltensmodell gewählt und befördern gelingende Entwicklung. Allerdings ist es gleichzeitig wichtig, den Schüler:innen [16]gegenüber eine wohlwollende sowie ressourcen- und kompetenzfokussierende Haltung einzunehmen. Diese sollte als kongruent bzw. authentisch erlebt werden. Aus diesem Grund erscheint es als unverzichtbar, im Rahmen des Classroom Management an der eigenen Haltung zu arbeiten.

Ein immer noch verbreitetes Vorurteil hinsichtlich der Authentizität im Lehrerberuf besteht darin, dass es authentisch und deshalb richtig wäre, negative Emotionen den Schüler:innen gegenüber auszuleben (z. B. indem man sie anschreit oder ihnen ungefiltert negatives Feedback gibt). Obwohl das in der Situation möglicherweise authentisch ist, erweist sich diese Form von Authentizität als meistens nicht hilfreich. Authentisches Wohlwollen, Wertschätzung und eine ressourcenfokussierte Perspektive auf Schüler:innen gelingt angesichts von wahrgenommener Respektlosigkeit oder angesichts von Unterrichtsstörungen häufig nicht so leicht. Und doch zeigt sich vielfach, dass genau diese wohlwollende Perspektive wünschenswerte Entwicklungen begünstigt und die Schüler:innen zum Reflektieren einlädt. Je sichtbarer und spürbarer Lehrer:innen sich selbst reflektieren und an ihrer Haltung arbeiten, desto wahrscheinlicher werden sie für die Schüler:innen zu einem erstrebenswerten Verhaltens- und Entwicklungsmodell. Deshalb sollte Emotionsarbeit einen Teil der Arbeit im Lehrerberuf ausmachen (Eckert u. a., 2012).

Wie kann es gelingen, angesichts von Störungen oder Respektlosigkeiten authentisch wertschätzend und zugleich klar zu kommunizieren, ohne in die »Ärgerfalle« zu tappen? Wie können Sie mit unerwünschten Emotionen umgehen? Dabei ist es mir wichtig zu betonen, dass keine Emotion – auch Ärger nicht – an sich schlecht ist. Aber Ärger ist dann schlecht, wenn er uns den Weitblick nimmt und uns zu impulsiven oder gar abwertenden Äußerungen verführt. Aber auch unterdrückter Ärger kann im Unterricht ungünstig sein. Wenn die [17]Schüler:innen wahrnehmen, dass Sie eine Verhaltensweise ärgert, dann könnte dieser Ärger eine wichtige Rückmeldung für Sie und die Schüler:innen sein. Wenn Sie den Ärger unterdrücken, fehlt die »echte« Rückmeldung, und Sie werden möglicherweise unglaubhaft. Wie gelingt es aber, den Ärger authentisch zu kommunizieren und gleichzeitig wertschätzend zu kommunizieren? Diese und weitere Herausforderungen erfordern eine Arbeit an der inneren Haltung. Zu dieser lade ich Sie immer wieder im Laufe des Buches ein – ohne diese Arbeit sind die meisten Methoden, Techniken oder Strategien nutzlos.

Reflexionsimpuls

Die meisten Menschen hatten in ihrer eigenen Schullaufbahn Lehrer:innen, die durch eine positive und trotzdem klare Haltung auffielen – und Lehrer:innen, bei denen man wenig Haltung wahrgenommen hat. Wählen Sie bitte im Geiste zwei Ihrer eigenen Lehrer:innen aus: Eine Lehrer:in, deren Haltung Sie auch heute noch erstrebenswert finden, und eine, von der Sie sich innerlich distanzieren würden.

 Worin unterscheiden sich diese Lehrer:innen? Was würden Sie für Ihre eigene Praxis gerne übernehmen? Was davon gelingt Ihnen und wie machen Sie das? Woran möchten Sie noch arbeiten? Und wann ist Ihnen auch das bereits gelungen (vielleicht nur punktuell)?

1.3 Erst jetzt kommen Methoden, Techniken und Strategien

In diesem Buch stelle ich Ihnen unterschiedliche Theorien und Befunde vor. Daraus leite ich Methoden, Techniken und Strategien ab, die Sie in der Praxis erproben können. Die Erfahrung zeigt, dass diese Ansätze praxistauglich sind und sich in der Regel schnell umsetzen lassen. Allerdings bekommen Sie keine [18]Kochrezepte an die Hand, sondern Handreichungen, die Sie an die spezifischen Bedingungen Ihrer Praxis anpassen müssen, damit sie funktionieren. Laden Sie sich selbst zu kleinen Experimenten ein und bewerten Sie, was gut klappt und was gut zu Ihnen und der jeweiligen Lerngruppe passt.

Meistens ist es hilfreich, wenn Sie die Lerngruppe mit in die Reflexion, Evaluation und Weiterentwicklung einer Methode einbinden. Schließlich sind die Schüler:innen die Expert:innen für ihren eigenen Lern- und Entwicklungsprozess. Im herkömmlichen Schulbetrieb mag diese Rollenzuschreibung für alle Akteure zunächst etwas befremdlich anmuten. Ich bin aber überzeugt davon, dass alle die Bedingungen, die Kounin für ein gutes Classroom Management formuliert hat, besser gelingen, wenn alle Akteure – auch die Schüler:innen – dafür Verantwortung übernehmen und mit Spaß daran arbeiten. Und dafür ist gelebte Partizipation ein guter Schritt. Wie das funktionieren kann, stelle ich beispielsweise in Kap. 6 und 7 vor.

[19]2 Das Problem der erlernten Hilflosigkeit im Kontext von Schule

Sabrina (8. Klasse) weigert sich, ihre Aufgaben in Mathe zu erledigen. Ihre Lehrerin fordert sie auf anzufangen. Sabrina weigert sich jedoch weiterhin und sagt, sie werde Mathe ohnehin nie verstehen.

 

In einer fünften Hauptschulklasse gibt Herr Müller, der Englischlehrer, die Hausaufgabe, dass die Schüler:innen ihre Vokabeln lernen. Als in der nächsten Stunde niemand die Vokabeln kann, erklärt die Klasse ihrem Englischlehrer: »Sie dürfen nicht zu viel erwarten. Wir sind nur Hauptschüler.«

 

Paul (9. Klasse) ist bei Klassenarbeiten auffallend häufig krank bzw. fehlt. Im Elterngespräch berichtet die Mutter glaubhaft, dass Paul stets starke Bauchschmerzen habe, wenn eine Klassenarbeit unmittelbar bevorsteht.

Bei diesen drei kleinen Beispielen spielt die erlernte Hilflosigkeit mit großer Wahrscheinlichkeit eine zentrale Rolle. Erlernte Hilflosigkeit ist ein Phänomen, dass im Setting Schule vielfach vorkommt und einen ungünstigen Einfluss auf das Wohlbefinden, auf die psychosoziale Entwicklung und auf die Leistung von Schüler:innen hat (Johnson, 1981; Sorrenti u. a., 2019). In diesem Kapitel werden das Phänomen und die Hintergründe der erlernten Hilflosigkeit vorgestellt. Dazu betrachten wir verschiedene aufschlussreiche Studien, die die Mechanismen erhellen und aufzeigen, wie schnell im Unterricht dieses ungünstige Phänomen aktiviert werden kann. Schließlich wird es darum gehen, mit welchen Maßnahmen [20]Sie dem Erlernen von Hilflosigkeit entgegenwirken können und welche Instrumente Sie nutzen können, um bereits erlernte Hilflosigkeit in Kompetenzerleben zu überführen.

2.1 Das Phänomen der erlernten Hilflosigkeit: Was wissen wir?

Das Phänomen der erlernten Hilflosigkeit ist vor allem aus der Depressionsforschung bekannt. Es geht auf den Psychologen Martin Seligman zurück und wurde zunächst bei Tieren erforscht. Inzwischen wissen wir, dass es auch sehr verbreitet bei Menschen ist.

In einem klassischen Experiment mit Hunden zeigten Seligman und Maier (1967), wie leicht Hilflosigkeit erlernbar ist. Dazu teilten die Forscher Hunde per Zufall in drei Gruppen A, B und C. In der ersten Phase des Experiments erhielten die Hunde der Gruppe A und die Hunde der Gruppe B kleine Stromschläge, während die Hunde der Gruppe C keine Stromschläge bekamen. C war die Kontrollgruppe. Der Unterschied zwischen Gruppe A und Gruppe B war, dass die Hunde der ersten Gruppe (A) den Stromschlag durch das Betätigen eines Hebels abwenden konnten, während die Tiere der Gruppe B ihm hilflos ausgeliefert waren. In Dauer, Intensität und Frequenz der Stromschläge unterschieden sich die Gruppe A und B nicht.

In der zweiten Phase des Experiments zeigte sich jetzt ein furchtbares Ergebnis: Die Hunde wurden alle in eine sogenannte Shuttle-Box gesetzt. Das waren zwei identische Boxen, die miteinander verbunden waren. Die Hunde konnten frei von einer in die andere Box wechseln. Als es in einer der beiden Boxen Stromschläge gab, wechselten die Hunde der Gruppe A (die zuvor einen Einfluss auf die Stromschläge hatten) und auch die Hunde der Kontrollgruppe C (die keine Stromschläge [21]bekommen hatten) relativ schnell in die andere Box und brachten sich so in Sicherheit. Die Hunde der Gruppe B (die zuvor den Stromschlägen hilflos ausgeliefert waren) blieben viel länger in der Box, in der sie Stromschläge bekamen, oder sie wechselten gar nicht. Und das, obwohl ihnen gezeigt wurde, dass sie sich in Sicherheit bringen konnten. Diese Tiere hatten zuvor sehr stabil gelernt, dass sie hilflos waren. Dadurch zeigten sie auch dann Hilflosigkeit, wenn sie eigentlich ihre Situation verbessern konnten.

Nicht nur Hunde, sondern nahezu alle Säugetiere können Hilflosigkeit erlernen – also auch Menschen. Meistens reduziert das nicht nur die Selbstwirksamkeit und führt zu mehr Lethargie, sondern es kann die Entstehung von Depression oder Angsterkrankungen begünstigen.

Schule ist ein Ort, an dem Hilflosigkeit gelernt oder erlernte Hilflosigkeit aktiviert werden kann. Das kann alle Akteure betreffen: Schüler:innen, Eltern und auch Lehrer:innen. Wer andauernd die Erfahrung eigener Wirkungslosigkeit gemacht hat, läuft Gefahr, diese zu generalisieren und so auf andere Situationen zu übertragen, in denen es durchaus Handlungsoptionen gäbe. Obwohl in diesen Fällen nicht immer mit der Entwicklung klinisch relevanter Symptome zu rechnen ist, beeinträchtigt das Erleben von Hilflosigkeit das Wohlbefinden, die Leistungsbereitschaft und das soziale Miteinander. Manchmal können Sie es daran beobachten, dass Schüler:innen sich »Ersatzschauplätze« suchen, dass Eltern nicht kooperieren oder dass Kolleg:innen innerlich gekündigt zu haben scheinen. Überlegen Sie einmal, welche Gelegenheiten die Schule bietet, Hilflosigkeit zu erlernen oder diese Erfahrung zu vertiefen. Aus genau diesem Grund möchte ich dieses Buch mit diesem Phänomen beginnen und Ihnen alltagstaugliche Werkzeuge und Perspektiven an die Hand geben, die zu dem Gegenteil von Hilflosigkeit einladen: zu Selbstwirksamkeitserfahrungen [22]und zu Kompetenzerleben. Und in der Regel ist es sinnvoll, wenn möglichst viele Akteure (Schüler:innen, Eltern, Lehrer:innen) in einen günstigen Zustand des Kompetenzerlebens kommen. Denn Hilflosigkeitserleben kann »ansteckend« sein. Die meisten Elemente des Classroom Management, die ich Ihnen in diesem Buch vorstelle, sind deshalb auch darauf ausgerichtet, dass möglichst alle Akteure sich als selbstwirksam und kompetent erleben.

Schulisches Lernen wird leider viel zu oft noch aus einer Defizitperspektive heraus gedacht: »Weil die Schüler:innen x nicht können (Betonung der Inkompetenz), müssen sie es lernen.« Mir begegnen in meiner praktischen Arbeit immer noch solche in die Jahre gekommenen Glaubenssätze wie »Lehrjahre sind keine Herrenjahre«. Manchmal kommt dieser Glaubenssatz nur versteckt zum Vorschein: »Ich habe lange studiert, mich angestrengt und nun bin ich was (nämlich Lehrer:in). Du (Schüler:in) musst dich erst anstrengen, um etwas zu werden.« Dadurch wird eine Machtdifferenz legitimiert, die (oft ungewollt) abwertend ist und das Erleben von bereits erlernter Hilflosigkeit aktivieren kann. Manchmal reagieren Lehrer:innen hilflos, wenn wir in Fortbildungen über solche Glaubenssätze ins Gespräch kommen: »Ja, wie soll ich die Schüler:innen denn dann motivieren, etwas zu lernen?«

Ideen und wissenschaftlich gut fundierte Ansätze, wie das funktionieren kann, werden Sie in diesem Buch reichhaltig finden. Aber gestatten Sie mir noch einen Gedanken: Glaubenssätze, die betonen, dass die Schüler:innen eine defizitorientierte Motivation bräuchten, weil sie sonst keine Motivation zum Lernen hätten, sind häufig ebenfalls ein Indikator für Hilflosigkeit im System Schule – und hier betrifft es die Lehrkräfte. Übrigens: Wir alle haben ungünstige Glaubenssätze. Das ist nichts, wofür man sich schämen müsste. Man sollte nur hin und wieder neugierig sein, um diese zu entdecken und [23]lustvoll durch günstigere zu ersetzen. Die Lehrjahre hören schließlich nicht mit dem Staatsexamen auf – wir haben glücklicherweise das Privileg, uns bis ins hohe Alter entwickeln zu dürfen.

Im ersten Kapitel haben Sie bereits gelesen, dass Classroom Management nicht aus einem Werkzeugkoffer voller Techniken und Methoden besteht, die man nur anzuwenden braucht, sondern dass die innere Haltungsarbeit mindestens genauso wichtig ist. Deshalb werden Sie im nächsten Impuls eingeladen, einmal eine eigene Hilflosigkeitserfahrung zu reflektieren. Dieser Impuls zielt darauf ab, Ihnen die Innenperspektive der Hilflosigkeit, aber auch die Innenperspektive des Überwindens der Hilflosigkeit bewusst zu machen. Wenn Sie Schüler:innen einladen, ihre Hilflosigkeitserwartungen zu überwinden, ist es hilfreich, sich authentisch einfühlen und glaubhaft Hoffnung vermitteln zu können. Das daran anschließende Alltagsexperiment lädt Sie selbst ein, aktuelle Gefühle von Hilflosigkeit zu überwinden. Warum sollten Sie sich das zumuten?

Eine Geschichte über Gandhi erzählt in etwa Folgendes: Eine Mutter suchte Gandhi auf und bat ihn, er möge ihrem Kind sagen, es soll nicht so viele Süßigkeiten essen. Denn davon äße es viel zu viel. Gandhi bat die Frau, in einer Woche wiederzukommen. Sie ging und kam nach einer Woche wieder. Gandhi beugte sich zu dem Kind und sagte: »Du musst aufhören, so viel Süßes zu essen. Das ist ungesund.« Als die Mutter daraufhin irritiert fragte, warum er für diesen einfachen Satz eine Woche gebraucht habe, antwortete Gandhi: »Ich musste mir erst selbst abgewöhnen, zu viel Süßes zu essen.«

Reflexionsimpuls

Wir alle kennen das Gefühl, hilf- und hoffnungslos zu sein – auch wenn wir eigentlich unsere Situation verbessern könnten. Das ist menschlich. Überlegen Sie sich bitte eine Situation, in der Sie sich [24]in der Vergangenheit zu Unrecht hilflos ausgeliefert fühlten. Irgendwann haben Sie die Erfahrung gemacht, dass Sie die Situation doch beeinflussen konnten. Was war das für eine Situation? Wissen Sie, was das Gefühl der Hilflosigkeit bei Ihnen begünstigt hat? Wie haben Sie es geschafft, das Gefühl der Hilflosigkeit zu überwinden?

In diesem Kapitel lernen Sie Strategien kennen, die darauf abzielen, Ihre Schüler:innen einzuladen, Hilflosigkeit in Kompetenz- und Selbstwirksamkeitserleben zu überführen. Laden Sie sich selbst parallel dazu ein, eine eigene Situation erlernter Hilflosigkeit zu überwinden. Darum geht es im folgenden Alltagsexperiment.

Alltagsexperiment