Lehrergesundheit - Marcus Eckert - E-Book

Lehrergesundheit E-Book

Marcus Eckert

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Beschreibung

In kleinen Schritten zum gesundheitsförderlichen Umgang mit Belastungen Personalmangel, Pandemiefolgen, Verhaltensauffälligkeiten: Die Beanspruchung der Lehrkräfte ist hoch – und sie wächst. Der Band stellt Bausteine für einen gesundheitsförderlichen Umgang damit vor: für die Entwicklung einer ressourcenorientierten Grundhaltung, den Umgang mit emotionalen Anstrengungen, die Fähigkeit zur Abgrenzung, die Praktizierung von Achtsamkeit sich selbst gegenüber und vieles mehr. Praktisch und Schritt für Schritt umsetzbar. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden. 

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Seitenzahl: 135

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Marcus Eckert / Viviane Scherenberg / Eva Schandro

Lehrergesundheit

Selbst- und Fremdfürsorge stärkenBildung und Unterricht

Reclam

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RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 962291

2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2024

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962291-0

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014409-1

www.reclam.de

Inhalt

1 Forschungsstand Lehrergesundheit: Sollbruchstellen und Stellschrauben

2 Präventive Ansätze der Lehrergesundheit: Verhaltens- und Verhältnisprävention

3 Fürsorgepflicht und Selbstfürsorgepflicht

3.1 Selbstfürsorge durch gegenseitige kollegiale Verantwortung und Unterstützung (Growth Coaching)

3.2 Die Rollen im Growth-Team

3.3 Struktur des Peer-Coaching-Prozesses

4 Stellschraube Kooperation und soziale Unterstützung

4.1 Kooperation

4.2 Reziprozität

4.3 Oxytocin: das sogenannte »soziale Hormon«

4.4 Soziale Unterstützung

Emotionale Unterstützung

Motivationale Unterstützung

Praktische Unterstützung

Informationelle Unterstützung

Feedback geben und empfangen

5 Stellschraube Haltung: Wachstums-, Ressourcen- und Lösungsorientierung

5.1 Aufwärtsspiralen: Die Broaden-and-build-Theorie

5.2 Growth Mindset als Resilienzfaktor

5.3 Ressourcen- und Lösungsfokus anstelle von Defizitorientierung

5.4 Dankbarkeit – auch für das Scheitern

5.5 Benefit Finding – eine besondere Form der Dankbarkeit

6 Stellschraube Emotionsarbeit und Stressbewältigung

6.1 Deep Acting vs. Surface Acting – eine Frage der Authentizität

6.2 Stressbewältigungsstrategien und emotionale Kompetenzen für den Lehrerberuf

Entspannung

Achtsamkeit

Hilfreiche Emotionen abrufen

6.3 Regeneration

6.4 Methoden zur Veränderung des Erholungsverhaltens

6.5 Erkenntnisgewinn durch Mood Tracking

7 Stellschraube Schlaf: eine gute Basis schaffen

7.1 Funktionen von Schlaf (Relevanz)

7.2 Schlafhygiene

7.3 Umgang mit Grübeln – alltagstaugliche Tipps

8 Fazit

Literaturhinweise

Zu den Autor*innen

[7]1 Forschungsstand Lehrergesundheit: Sollbruchstellen und Stellschrauben

Lehrkräftegesundheit ist ein hochaktuelles und hochrelevantes Thema. Erstens wird zunehmend deutlich, dass in Zeiten von Personalnot jede einzelne Lehrerin, jeder einzelne Lehrer unbedingt gebraucht wird. Ihr Fehlen belastet die Kolleg*innen und das System spürbar. Zweitens beeinflusst die Gesundheit der Lehrkräfte die Qualität von Interaktionen und von Lehr-Lernprozessen. Wer Qualität will, sollte Gesundheit fördern. Drittens dienen Lehrer*innen als Rollenvorbilder und Verhaltensmodelle. Ungesunde Verhaltensweisen können die Schüler*innen ungewollt und unbewusst beeinflussen und damit nachhaltig deren Gesundheit beeinträchtigen. Von dem menschlichen und persönlichen Leid, das mit psychischen und körperlichen Erkrankungen einhergeht, ist dabei noch gar nicht die Rede. All diese Gründe (sowie alle hier nicht genannten Gründe) sollten wir zum Anlass nehmen, Lehrkräftegesundheit auf allen Ebenen zu fördern.

Leider sieht die Realität – sicher dem Personalmangel geschuldet – in Teilen deutlich anders aus. Im Januar 2023 hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) in der Kultusministerkonferenz (KMK) sechs Vorschläge präsentiert, wie man dem Lehrkräftemangel begegnen könne. So wurde beispielsweise vorgeschlagen, die Stundenzahl der vorhandenen Lehrkräfte zu erhöhen und die Klassen zu vergrößern, um auf diese Weise die Unterrichtsversorgung zu verbessern. Zugleich stellte die Kommission klar, dass sie sich der zusätzlichen Belastung für Lehrkräfte bewusst [8]sei. Deswegen schlugen die Wissenschaftler*innen vor, mehr Angebote zur Gesundheitsvorsorge zu schaffen wie beispielsweise Coachings, Achtsamkeitstrainings oder Supervision (Tagesschau; 27. 1. 2023). Lehrerverbände reagierten empört. Maike Finnern, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sagte: »Das ist blanker Hohn! Diese Empfehlungen der SWK werden die ohnehin überlasteten Lehrkräfte nur zusätzlich belasten« (GEW, 27. 1. 2023).

Wie sind die Vorschläge der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission mit Blick auf die Lehrkräftegesundheit zu bewerten? Und wie die Einschätzung von Maike Finnern? Grundsätzlich sind strukturelle und organisatorische Maßnahmen, die auf die Rahmenbedingungen abzielen (z. B. gute Arbeitszeitmodelle), wesentlich effektiver als Maßnahmen, die auf der Verhaltensebene Einzelner ansetzen (z. B. Achtsamkeitstrainings). Im zweiten Kapitel nehmen wir Sie deshalb in das Spannungsfeld zwischen Verhaltens- und Verhältnisprävention mit. In den weiteren Kapiteln beleuchten wir Handlungsfelder zur Förderung der Lehrkräftegesundheit, die tendenziell eher verhaltensbezogen ist. Wir legen diesen Schwerpunkt, obgleich wir wissen, dass die Veränderung von Rahmenbedingungen effektivier wäre. Der Grund dafür ist pragmatischer Natur: Wir vermuten, dass Sie als Leser*innen eher Ihr Verhalten (und Erleben) beeinflussen können als die Rahmenbedingungen. In diesem Sinn zielt dieses Buch darauf ab, Ihnen Impulse zur Förderung Ihrer Gesundheit an die Hand zu geben, die wir jedoch mit Theorien und Evidenz unterlegen.

Lassen Sie uns einen kurzen Blick auf wichtige Studien und relevante Zahlen werfen, bevor wird den Fokus auf [9]praxistaugliche Ansätze zur Förderung der Lehrer*innengesundheit richten. Bereits vor der Pandemie zeigten Marina García-Carmona und Kolleg*innen in einer Metaanalyse an einer Gesamtstichprobe von über 14 000 (!) Lehrkräften auf, dass die Lehrtätigkeit in Schulen mit einem hohen Burnoutrisiko einhergeht (García-Carmona, Marín & Aguayo, 2019). Belinda Agyapong und ihre Kolleginnen geben einen Überblick über klinisch relevante Störungsbilder bei Lehrkräften, die mit Belastungen assoziiert sind: Etwa 25 % bis 74 % leiden unter Burnout, belastender Stress variiert von ca. 8 % bis 87 %, Angststörungen von 38 % bis etwa 41 % und Depression von 4 % bis 77 % (Agyapong u. a., 2022). Zwei Dinge werden offensichtlich: Erstens sind die Belastungen von Lehrkräften überdurchschnittlich hoch und damit auch die Gefahr, psychisch zu erkranken. Zweitens weisen die Zahlen große Varianzen auf. Das deutet daraufhin, dass die Belastung nicht alleine und automatisch durch die Lehrtätigkeit an sich generiert wird, sondern dass viele Faktoren hier eine Rolle spielen, die zu diesen großen Varianzen führen. Diesen Spielraum gilt es zu erkunden und zu nutzen.

Uns ist es wichtig, Ihnen, liebe Lehrerinnen und Lehrer, Möglichkeiten an die Hand zu geben, mit denen Sie verhaltensbezogen Ihre Gesundheit selbstständig und niederschwellig fördern können. Obwohl verhältnisbezogene Ansätze insgesamt effektiver sind, laden wir Sie ein, auch verhaltensbezogene Quellen der Gesundheitsförderung zu nutzen, denn diese liegen unmittelbar in Ihrer Hand. Wir wollen Sie auf diese Weise einladen, Möglichkeiten zu einer guten Selbstfürsorge zu erproben und in ihren Schulalltag zu implementieren.

[10]Zugleich werden wir aufzeigen, warum Verhaltensprävention alleine nicht ausreicht. Im zweiten Kapitel werden wir Verhaltens- und Verhältnisprävention in der Lehrergesundheit gegenüberstellen. Sie werden erfahren, welche Maßnahmen notwendig wären, um die Gesundheit nachhaltig zu fördern. Auch wenn Sie als einzelne Lehrkraft wenig ausrichten können, so kann dieses Kapitel doch Gestaltungshinweise für schulpolitisches Handeln geben und spricht auf besondere Weise die unterschiedlichen Akteure an (z. B. Verbände, Behörden, Landesprogramme, aber auch einzelne Schulen).

Ein wesentlicher Faktor zur Stärkung der Lehrerinnen- und Lehrergesundheit ist die Selbstfürsorge. Wenn Menschen häufig schwierige oder herausfordernde Situationen erleben, kann sich das auf deren Wohlbefinden niederschlagen. Personen, die eine Haltung des Selbstmitgefühls, der Achtsamkeit und der Selbstfürsorge einnehmen, erleben diese Situationen häufig als weniger belastend (Coaston, 2017). Die Sorge für andere (z. B. Kolleg*innen oder Schüler*innen) kann von Lehrkräften sowohl als belastend als auch als auch als bereichernd erlebt werden. Im dritten Kapitel wird das Spannungsfeld der Selbst- und Fremdfürsorge aufgezeigt. Es werden relevante Faktoren herausgearbeitet, die sich günstig auf die Gesundheit und auf das Wohlbefinden auswirken. Neben einer kurzen Betrachtung der Pflicht zur Selbst- und Fremdfürsorge wird der Fokus darauf gelegt, wie es im Alltag gelingen kann, trotz teilweise schwieriger Bedingungen mental zu wachsen und gesund zu bleiben. Hierfür wird insbesondere das Konzept des Growth-Mindsets und dessen praktische Implikationen in den Blick genommen.

[11]Der Lehrberuf ist ein interaktionsstarker Beruf – und zugleich nehmen sich viele Lehrerinnen und Lehrer immer noch als Einzelkämpfer wahr (Ebenberger & Engelbrecht, 2019), obgleich die Kooperation in Kollegien erfreulicherweise zunimmt. Kooperation und gegenseitige Unterstützung sind Faktoren, die dem Belastungserleben entgegenwirken. Insbesondere ist die wahrgenommene soziale Unterstützung wichtig und wiegt schwerer als die Erleichterung, die die reine praktische Unterstützung tatsächlich bringt. Aus diesem Grunde erarbeiten wir im vierten Kapitel, wie Sie Möglichkeiten der sozialen Unterstützung fördern und kultivieren können. Zudem steht die Wahrnehmung – also das Bemerken sozialer Unterstützung – im Zentrum.

Das Phänomen der erlernten Hilflosigkeit beschreibt einen Zustand von Personen, der von der erlernten Überzeugung gekennzeichnet ist, Anforderungen nicht bewältigen, Probleme nicht lösen und Situationen nicht verändern zu können (Cohen, Rothbart & Phillips, 1976). Das Erleben von Kontrollverlust und Hilflosigkeit, insbesondere die generalisierte Erwartung, wirkungslos zu sein, ist ein Risikofaktor für psychische und physische Erkrankungen (Boddez, Van Dessel & De Houwer, 2022). Lehrer*innen, die ein geringeres Ausmaß an Selbstwirksamkeitserwartung haben, reagieren beispielsweise auf unerwünschtes Schülerverhalten schneller mit Stress (Hussain, Khan & Bidar, 2022). Unter Lehrkräften ist die Tendenz, sich zu sorgen und zu grübeln, verbreitet, die u. a. auch den Schlaf beeinträchtigen kann (Gierc u. a., 2023). Selbstwirksamkeit ist auch hier ein schützender Faktor (Roberts u. a., 2020). Im fünften Kapitel erarbeiten wir, wie Lehrerinnen und Lehrer [12]das Erleben von Selbstwirksamkeit in der Schule steigern können.

In interaktionsstarken Berufen spielt die Emotionsarbeit eine wesentliche Rolle. Personen, die professionell mit Menschen arbeiten, müssen ihre Emotionen an die Anforderungen anpassen und zugleich authentisch wirken. Wie kann eine solche professionelle Authentizität gelingen? Zudem bringen soziale Interaktionen vielfach emotionale Herausforderungen und sozialen Stress mit sich. Nicht alle Schüler*innen sind bildungswillig. Nicht immer sind Interessen der Schule und des Elternhauses deckungsgleich. Lehrer*innen benötigen effektivere Emotions- und Stressregulationsstrategien als der Bevölkerungsdurchschnitt. Daher wird im sechsten Kapitel die Emotionsarbeit, die Stressbewältigung und die emotionale Kompetenz in den Fokus gerückt.

Viele Lehrer*innen leiden unter Schlafproblemen. Vielfach liegt das daran, dass sie ungelöste Probleme, schwierige Interaktionen oder Befürchtungen nicht loslassen können und dass diese zu Sorgen oder zum Grübeln führen. Deswegen werden im siebten Kapitel Hintergründe zum gesunden Schlaf vermittelt und Strategien zu dessen Förderung vorgestellt. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf dem Umgang mit Grübeln.

Insgesamt soll dieses Buch Ihnen Hintergründe nahebringen und Anregungen vermitteln, wie Sie Ihre Gesundheit im Lehrberuf stärken und aufrechterhalten können. Dafür haben wir Impulse entwickelt, die darauf abzielen, die theoretischen Hintergründe in eine gelebte Praxis zu überführen. Nicht alle Ansätze sind für jeden gleich hilfreich. Wir empfehlen, dass Sie sich die Ansätze auswählen, [13]die für Sie hilfreich sind. Zugleich möchten wir Sie ermutigen, sich Hilfe zu suchen, wenn Sie bemerken, dass Sie hochbelastet sind. Viele der Impulse und Übungen zielen nicht nur darauf ab, dann zu helfen, wenn Sie bereits belastet sind, sondern dienen auch der Gesunderhaltung im Sinne der Prävention.

[14]2 Präventive Ansätze der Lehrergesundheit: Verhaltens- und Verhältnisprävention

Die Gesundheit von Lehrer*innen zu fördern ist nicht nur wichtig, sondern eine gesetzliche Pflicht. So heißt es z. B. im § 47 des Thüringer Schulgesetzes: »Gesunde Lebensweise ist an jeder Schule aktiv zu gestalten.« Auch der § 59 des Schulgesetzes NRW legt fest, dass die Schulleitung für »die Unfallverhütung sowie eine wirksame Erste Hilfe und für den Arbeits- und Gesundheitsschutz verantwortlich« ist. Neben diesen und weiteren gesetzlichen Verpflichtungen (z. B. psychische Gefährdungsbeurteilung, siehe § 5 Arbeitsschutzgesetz) rückt das Thema der schulischen Gesundheitsförderung immer mehr in den Fokus (Dadaczynski, 2021). Dies nicht ohne Grund, denn Schule als ein bedeutendes gesundheitsbezogenes Setting kann die Gesundheit von Lehrer*innen (und Schüler*innen) positiv wie negativ beeinflussen. Dabei gibt es viele unterschiedliche Risikofaktoren bzw. Stressoren, die die psychische, körperliche und soziale Gesundheit beeinträchtigen können. Die gute Nachricht ist: Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, um die Lehrergesundheit systematisch zu stärken. Bevor wir uns mit den unterschiedlichen präventiven Interventionen auseinandersetzen, wollen wir erst einmal exemplarisch schauen, welche vielfältigen Faktoren die Gesundheit von Lehrer*innen negativ beeinflussen können.

Beispiele für gesundheitliche Risikofaktoren (NAK, 2017; Wedecker & Esch, 2022):

[15]umweltbezogene und chemische Faktoren: Lärm, Hitze, Gefahrenstoffe im Fachunterricht

psychische Faktoren: Unsicherheit, Versagensängste, Hilflosigkeit, Mobbing

soziale Faktoren: Konflikte, Konkurrenz, mangelnde Anerkennung, Gewalterfahrungen

strukturelle Faktoren: ungenügende Infrastruktur in Schulen, ungenügender Zugang zu Beratung und unterstützenden Dienstleistungen

arbeitsorganisatorische Faktoren und Leistungsfaktoren: unklare bzw. widersprüchliche Anweisungen, mangelnde Mitwirkungsmöglichkeiten, Überforderung, enge Zeitvorgaben, Bürokratisierung, Informationsüberflutung, Arbeitsverdichtung

gesellschaftliche Faktoren: Diskriminierung, Stigmatisierung, Erwartungsdruck von Eltern

alltagsbezogene Faktoren: familiäre Verpflichtungen (Pflege von Angehörigen, Kinderbetreuung, finanzielle Sorgen)

kritische Lebensereignisse, traumatische Ereignisse und biografische Übergänge: Tod einer engen Bezugsperson, Trennung oder Scheidung

Die aufgelisteten Risikofaktoren bzw. Stressoren können nicht nur psychischen Stress auslösen, sondern sich auch auf körperlicher Ebene manifestieren und chronisch werden. So konnte eine Studie ermitteln, dass die Diagnose »Rückenschmerzen« zu 49 % auf psychische Belastungen und nur zu 40 % auf körperliche Belastungen zurückzuführen war (Bödeker u. a., 2002). In der Wissenschaft wird in diesem Zusammenhang oft von der Cinderella-Hypothese [16]gesprochen (Hägg, 1991), die besagt, dass schon geringe Anstrengung (»Low-Level-Belastung«, z. B. Computerarbeit) muskuläre Überbelastungen zur Folge haben. Der Grund ist, dass bei niedriger Belastung nur sogenannte Cinderella-Fasern chronisch beansprucht werden. Es liegt nahe, dass auch bei Lehrkräften, körperliche Symptome psychische Ursachen haben, da diese Berufsgruppen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen häufiger über psychische Erschöpfung berichten (Wesselborg & Bauknecht, 2023). Das bedeutet, das stets die genauen Ursachen für gesundheitliche Beschwerden analysiert werden sollten, um geeignete Maßnahmen ergreifen zu können. Dabei geht es nicht nur darum, gesundheitliche Risikofaktoren zu minimieren, sondern auch gesundheitliche Schutzfaktoren (z. B. eigene Widerstandsressourcen, soziale Unterstützung, siehe Kapitel 4.4) zu stärken.

Auch wenn die Begriffe Prävention und Gesundheitsförderung oft synonym verwendet werden und beide Ansätze darauf abzielen, das Verhalten in Gesundheitsbelangen positiv zu beeinflussen (Loss & Lindacher, 2023), gibt es wissenschaftlich gesehen Unterschiede: Denn während die Prävention sich auf die Vorbeuge spezifischer Erkrankungen und Krankheitsfolgen konzentriert, hat die Gesundheitsförderung zum Ziel, durch positiv fördernde Rahmenbedingungen die Gesundheit und das Wohlbefindens zu verbessern (Philipsborn & Geffert, 2021). Mit anderen Worten geht es bei der Prävention darum, individuelle wie kollektive gesundheitsbezogene Risikofaktoren zu vermeiden, abzuschwächen oder zu kompensieren, während die Gesundheitsförderung darauf abzielt, individuelle wie kollektive gesundheitliche Ressourcen zu fördern und [17]somit die Gesundheit positiv zu beeinflussen (Krajic, Dietscher & Pelikan, 2023). Dabei sollte Prävention und Gesundheitsförderung keineswegs als Entweder-oder-Intervention verstanden werden, vielmehr handelt es sich bei den beiden Ansätzen um komplementäre Strategien, um die Lehrergesundheit positiv zu beeinflussen (Rosenbrock & Kümpers, 2006; Glaeske u. a., 2003).

Wir wollen uns nun anschauen, welche unterschiedlichen präventiven Interventionen Sie initiieren können, um die Gesundheit von Lehrer*innen zu fördern. Grundsätzlich können sich Maßnahmen auf das Verhalten (Verhaltensprävention) und/oder auf die Verhältnisse (Verhältnisprävention) beziehen. Oft konzentrieren sich settingbezogene Interventionen auf die Veränderung gesundheitsgefährdender Lebensweisen. Die Verhältnisprävention hingegen versucht die Gesundheit von Lehrer*innen positiv zu beeinflussen, indem Veränderungen des ökologischen, sozialen, ökonomischen oder kulturellen Umfelds bzw. der Umweltfaktoren herbeiführt werden. Verhaltenspräventive Maßnahmen sind bedeutend, da der Grund für gesundheitsschädigende Verhaltensweisen (z. B. psychische Belastungen, Alkoholkonsum) oft das Ergebnis ungünstiger Lebensumstände oder -bedingungen sind (z. B. problematische Arbeitsverhältnisse). Der Ansatz der Verhältnisprävention beruht auf der Annahme, dass ein gesundheitsschädigendes Verhalten durch eine Vielzahl äußerer Faktoren beeinflusst wird. Methodische Instrumentarien, die dazu dienen, verhaltens- und verhältnispräventive Strategien umzusetzen, sind vielfältig und können von edukativen Verfahren (Schulungen etc.), normativ-regulatorischen Verfahren (Rauchverbot etc.) bis hin zu [18]ökonomischen Anreizen (Bonusprogramm der gesetzlichen Krankenkassen) oder Bestrafungssystemen (z. B. Tabaksteuer) reichen (Leppin, 2010). Im Folgenden erhalten Sie exemplarisch Anregungen, welche präventiven Maßnahmen im Setting Schule zur Förderung der Lehrergesundheit möglich sind (Burkhardt u. a., 2022):

Gesunder Körper, Bewegung und Sport: medizinische Untersuchungen beim Betriebsärztlichen Dienst, Pausensport, Yoga- oder Sportgruppe an Ihrer Schule, physiotherapeutische Anwendungen, Stimmtraining

Gesunde Ernährung: Verpflegungsmöglichkeiten an ihrer Schule, gesundes Kantinenessen, Ernährungsberatung

Suchtprävention: Programm zur Raucherentwöhnung, medizinische oder psychosoziale Beratung bei Sucht

Aktive Beteiligung des Kollegiums an der gesundheitsförderlichen Schulgestaltung: Gesundheitszirkel bzw. Gesprächskreise zu gesundheitlichen Problemen, Befragungen des Kollegiums zu Gesundheit und Wohlbefinden oder zu schulischen Arbeitsbedingungen, gemeinsame Schuljahresplanung des Kollegiums

Gesundheitsförderliche Gestaltung der Schulräume und Schulausstattung: störungsfreier außerunterrichtlicher Arbeitsplatz, Ruhebereich, ergonomische Bildschirmarbeitsplätze, höhenverstellbare Tische

Stärkung effektiver Arbeitsweisen und des persönlichen Umgangs mit Arbeitsbelastungen: Weiterbildungen zu Themen wie z. B. Konfliktmanagement, Kommunikation, Umgang mit Lärm oder Unterrichtsstörungen, pädagogische Tage

[19]Stärkung pädagogischer Kompetenzen im Umgang mit herausforderndem Schulverhalten: Weiterbildungen zu Themen, wie z. B. Konfliktmanagement, Kommunikation, Umgang mit Lärm oder Unterrichtsstörungen, pädagogische Tage

Stärkung eines gesundheitsförderlichen Klimas: gemeinsame Schulprogrammarbeit von Lehrkräften sowie Lernenden, regelmäßige Schulkonferenzen, Feiern oder Feste an der Schule

Arbeitssicherheit und Arbeitsschutz: Schulungen zu Erster Hilfe oder Brandschutz; Hygienemaßnahmen (z. B. Anleitungen zum richtigen Händewaschen, Desinfektionsmittel)

Impuls: Beschwerden, Ursachen und präventive Maßnahmen identifizieren

Machen Sie sich einmal Gedanken, welche gesundheitlichen Beschwerden (bei Ihnen und bei Lehrkräften an ihrer Schule) besonders häufig auftreten. Welche Ursachen liegen (tatsächlich) zugrunde und welche präventiven Maßnahmen wäre geeignet, um die Gesundheit und das Wohlbefinden zu steigern?

Laut einer Studie mit 871 Lehrkräften werden aktuell eher verhältnispräventive Maßnahmen statt verhaltenspräventiver Maßnahmen nachgefragt bzw. durchgeführt. Die Ursache hierfür wird von den Autoren damit begründet, dass verhaltenspräventive Maßnahmen in Schulen eher »privat« eingestuft werden. Es scheint demnach eine Lücke zwischen Angebot und Nachfrage zu geben, da seitens der Lehrkräfte durchaus ein sehr hohes Interesse an [20]verhaltenspräventiven Interventionen (gesunde Ernährung, Suchtprävention, Bewegungsförderung, Stressprävention etc.) sowie einer gesundheitsfördernden Schulraumgestaltung besteht, die allerdings derzeit nicht abgedeckt wird (Burkhardt u. a., 2022).

Inanspruchnahme gesundheitsfördernder Maßnahmen der letzten 24 Monate in %

Keine

Eine oder mehrere

Stärkung eines gesundheitsförderlichen Schulklimas

29,6 %