Colines Welt hat tausend Rätsel - Nicole Schuster - E-Book

Colines Welt hat tausend Rätsel E-Book

Nicole Schuster

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Beschreibung

Für Coline, ein Mädchen mit Autismus-Spektrum-Störung, ist die Welt voller Rätsel. Zusammen mit ihrem Opa macht sie sich auf, die Geheimnisse des Alltags verstehen zu lernen. Dabei erfährt Coline eine Menge über menschliche Verhaltensweisen. Ihr Opa merkt, dass vieles, was wir täglich machen, mit Worten kaum zu erklären ist. Für die Leser sind in sozialen Anleitungen die wichtigsten Fragen von Coline beantwortet und durch praktische und alltagstaugliche Tipps ergänzt. Das Buch gibt in Form von Tagebucheinträgen einen lebhaften Einblick in die Weltsicht von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung. Es zeigt auf, wie man helfen kann, soziale Regeln und gesellschaftliche Normen besser zu verstehen. Der Perspektivenwechsel trägt zum gegenseitigen Verständnis bei.

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Inhalt

Cover

Titelei

Vorwort

Über Autismus

1 Coline und das Puppen-Aua

Wann braucht man einen Gips?

Warum wirken Comic- oder Zeichentrickfiguren so lebendig?

Warum wirken Stofftiere und Puppen so lebendig?

Wer oder was hat Schmerzen?

Woran erkenne ich, dass jemand Schmerzen hat?

Ist es schlimm, wenn eine Puppe auf den Boden fällt?

Woher kommen Menschenbabys und was ist so anders als bei Babypuppen?

Wachsen Puppen die Haare nach?

2 Die Einschulung

Warum muss man in die Schule gehen?

Wie viel wissen Lehrer?

Was bedeutet »stehlen«?

Was kann ich tun, wenn ich etwas Tolles von einer anderen Person haben möchte?

Gehen alle Kinder gerne zur Schule?

Warum gibt es Gruppenarbeit?

3 Die Eis-Schleck-Bank

Was ist eine »Regel«?

Wieso reden Menschen über das Wetter?

Warum küssen sich Menschen und schmusen miteinander?

Was kann ich tun, wenn jemand mich berühren oder mit mir knuddeln will und ich das nicht mag?

4 Besuch auf dem Friedhof

Wer oder was ist »Gott«?

Was bedeutet »beten«?

Was bedeutet »tot sein«?

Was ist eine »Seele«?

Warum glauben manche Menschen an Gott und andere nicht?

Was ist »Mitgefühl«?

Wann tröstet man jemanden und wann nicht?

Was kann man tun, um jemandem zu helfen?

5 Die Geburtstagsfeier

Was schenkt man Kindern zum Geburtstag?

Warum mögen Kinder Geburtstagsgeschenke?

Was bedeutet »Du hast einen Vogel«?

Was mögen Kinder an Geburtstagsfeiern?

Was kannst du tun, wenn du ein Spiel nicht verstehst?

Sich als Gast beim Essen höflich verhalten

Sich in den Räumen anderer Menschen angemessen benehmen

6 Freundschaft gesucht

Was ist Freundschaft?

Wie merke ich, ob jemand ein guter Freund ist?

Wo finde ich Freunde?

Wie verabredet man sich?

Wie schließt man Freundschaften?

Worauf muss ich achten, wenn ich mich unterhalte?

Wie verhalte ich mich, wenn ich ein Freund/eine Freundin bin?

Ist jeder ein Freund, der nett ist?

7 Coline auf Klassenfahrt

Was passiert auf einer Klassenfahrt?

Warum mögen Kinder Klassenfahrten?

Was kann ich tun, wenn ich mich auf einer Klassenfahrt schlecht fühle oder gar nicht auf eine Klassenfahrt fahren will?

Was ist Wut? Warum wird man wütend?

Welche Formen von Wut gibt es?

Was kann ich tun, wenn ich wütend werde?

Was auch immer du tust, denke daran:

Kann ich langfristig Erfolg mit Gewalt haben?

Wenn man auf Klassenfahrt oder in den Urlaub fährt, was packt man in seinen Koffer?

Wie bezieht man ein Bett?

Warum sehen Toilettenräume so verschieden aus?

8 Die Ketchup-Katastrophe

Schmeckt das Essen gleich gut, wenn die Verpackung sich ändert?

Was macht man, wenn dem Lieblingsgericht etwas fehlt?

9 In der Schule sitzt man still

Was bedeutet es, wenn jemand sagt: »Du hast ein Brett vorm Kopf?«

Darf man über das Missgeschick anderer Menschen lachen? Wenn ja, wann und wo?

Was kannst du tun, wenn dir im Unterricht schlecht wird?

Warum muss man sich im Unterricht melden?

Weiß man morgens schon, wie der Tag wird?

10 Eis, Teddy und Dinge, die man (nicht) braucht – das Müllproblem

Braucht man Dinge, um zu anderen Menschen dazuzugehören?

Was ist so schädlich an Plastikmüll?

Warum kaufen (konsumieren) Menschen so viel?

Macht es glücklich, viel zu kaufen (zu konsumieren)?

Hängt es von der Farbe ab, ob etwas schmeckt?

11 Homeschooling – ein Virus macht's möglich

Wann siezt man und wann duzt man?

Warum schüttelt man einander die Hände zur Begrüßung?

Warum kann man nicht immer im Homeschooling bleiben?

12 (K)‌ein Nasenparadies

Geschieht wirklich ein Unglück, wenn ich eine Regel nicht einhalte?

Darf man immer sagen, was man denkt?

Können alle Menschen gleich gut riechen oder sehen?

13 Besuch bei Tante Anna-Luisa

Warum man andere Menschen begrüßt

Warum man Menschen anlächelt

Wenn man einen Herzschlag (= Herzinfarkt) bekommt

Warum andere nicht einfach wissen, was man denkt oder tut

Wie erkenne ich die Gefühle von Menschen in ihrem Gesicht und an ihrem Körper?

Was in einer Situation klappt, klappt auch in einer anderen?

14 Die Weihnachts-Ente

Warum feiert man Weihnachten?

Warum bekommt man Geschenke zu Weihnachten?

Was darf man sagen, wenn man sich über eine Person ärgert und was nicht?

15 Die passende Kleidung finden

Wann zieht man was an?

Kleidung muss zum Anlass passen

Kleidung wechselt man am besten täglich

Warum ist Kleidung wichtig für Menschen?

16 Mobbing etc.

Warum ärgern Menschen andere Menschen?

Ist man ein schlechter Mensch, wenn man geärgert wird?

Was man tun kann, wenn man geärgert wird?

17 Coline allein zu Hause

Wie verhalte ich mich, wenn ich allein zu Hause bin?

Anleitungen zum Kochen

Worin besteht der Unterschied zwischen »anbraten« und »anbrennen«?

Was ist, wenn es zu Hause brennt?

18 Popstars und Top-Models

Was ist ein »Top-Model«?

Muss man aussehen wie ein Model, um beliebt zu sein?

Warum schminken sich Menschen?

19 Coline und die Maiherzen

Wie merkst du, ob du verliebt bist?

Wer macht den »ersten Schritt« und wie?

Wie flirtet man?

Einige Tipps für das Flirten

Woher weißt du, dass sich ein Junge/Mädchen für dich interessiert?

Wann küsst man sich?

20 Darf ich bitten? Tanz-Kurs

Worauf achtet man, wenn man Leute zum ersten Mal irgendwo sieht?

Warf man ablehnen, wenn man zum Tanz aufgefordert wird? Wenn ja, wie macht man das am besten?

Was bedeutet »mit jemandem zusammen« sein, wenn es um Liebe geht?

21 Lauter Rätsel: Disko, Alkohol, Zigaretten und so

Was bedeutet »gut drauf sein«?

Was sind Drogen?

Was ist ein Rauschzustand?

Was ist eine Sucht?

Braucht man Drogen, um gut drauf zu sein?

Mitläufer und Andersdenkende

Was ist so besonders an Sex?

Sollte man mit 14 schon einen Freund/eine Freundin haben?

22 Praktikum beim Tierarzt

Was ist ein Praktikum?

Warum machen Menschen manchmal Witze, obwohl die Situation ernst ist?

Was ist die Wahrheit

Was ist eine Lüge?

Was ist eine Notlüge?

23 Und was kommt jetzt? Pläne für die Zeit nach der Schule

Worin besteht der Unterschied zwischen »volljährig« und »selbstständig«?

Was ist eine »Bewerbung«?

Worauf muss ich bei einer Bewerbung achten?

Warum gibt es ein Vorstellungsgespräch?

Was bedeutet »etwas von sich erzählen«?

Wie verhält man sich während eines Vorstellungsgesprächs?

Literatur

Hilfreiche Weblinks

Die Autorinnen

Dr. Nicole Schuster, Medizinjournalistin und Apothekerin, möchte über Autismus-Spektrum-Störungen aufklären und setzt sich für ein vorurteilfreies Miteinander ein.

Melanie Matzies-Köhler, Diplom-Psychologin, arbeitet als Fachberaterin für Autismus in Berlin und Brandenburg und versteht ihre Arbeit als »Brückenbau« zwischen Menschen »im« und »außerhalb« des Spektrums.

Nicole SchusterMelanie Matzies-Köhler

Colines Welt hattausend Rätsel

Alltags- und Lerngeschichten für Kinder und Jugendliche mit Asperger-Syndrom

Mit Illustrationen von Daphne Großmann4., erweiterte und überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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4., erweiterte und überarbeitete Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Umschlagabbildung und Illustrationen im Buch von Daphne Großmann

Print:ISBN 978-3-17-041392-4

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-043824-8epub: ISBN 978-3-17-043825-5

Vorwort

Mythen, Vorurteile, Halbwahrheiten – was ist denn nun eigentlich Autismus? Viele Bücher versuchen eine Antwort zu geben. Wir – Melanie Matzies-Köhler und Nicole Schuster – wollen nicht den Autismus erklären, sondern unseren Lesern zeigen, wie Menschen mit Autismus denken und fühlen. Dazu beschreibt Nicole Schuster, die selbst am Asperger-Autismus leidet, typische Situationen aus den Augen der jungen fiktiven Autistin Coline Meier. Coline schreibt von ihrem sechsten Lebensjahr an regelmäßig in ein Tagebuch. Sie hält darin Missverständnisse, Verwirrungen und viele alltägliche Schwierigkeiten fest. Das Mädchen erzählt, was es nicht verstanden hat, und beschreibt, wie es soziale Zusammenhänge und Situationen empfindet. Wie so viele Autisten spricht Coline direkt aus, was sie denkt. Sie besitzt oft wenig Taktgefühl, ist impulsiv, eigenbrötlerisch und doch auf ihre Art liebenswert. Colines wichtigste Bezugsperson ist ihr Opa. Mit ihm zusammen erkundet sie die Welt – erst noch vorsichtig und zögerlich an seiner sicheren Hand, später immer selbstbewusster und neugieriger auf eigenen Beinen. In den geschilderten Erlebnissen hat Nicole Schuster typische Erfahrungen betroffener Menschen aufgegriffen und erzählerisch wiedergegeben. Dadurch lässt sich oft besser als durch lange Sachtexte erklären, warum der gewöhnliche Alltag für autistische Menschen ohne Hilfe ein unauflösbares Rätsel sein kann.

Viele dieser Fragen fordern eine Antwort. Diese liefert Melanie Matzies-Köhler, Diplom-Psychologin aus Berlin. Zusammen mit Nicole Schuster hat sie die Idee der »Social Stories« von Carol Gray aufgegriffen und sprachlich sowie inhaltlich an den deutschsprachigen Raum adaptiert. Carol Grays »Social Stories« sind nach bestimmten, sehr genau definierten Kriterien verfasste Lerngeschichten, die soziale Sachverhalte, Regeln sowie diverse Alltagsthemen auf anschauliche, konkret formulierte Weise beschreiben.

Social Stories – und nun auch die Sozialen Anleitungen – sind leicht verständlich geschrieben, so dass autistische Kinder sie gut nachvollziehen können. Sie beschäftigen sich mit Situationen, welche den Sprösslingen als verwirrend und unverständlich erscheinen. Die Kinder lernen durch die Geschichten, wie sich Menschen in bestimmten Situationen verhalten und erkennen, was man in ähnlichen Situationen von ihnen erwartet.

Entsprechend sollen sie dem Kind Einblicke in die Gefühle, Verhaltensweisen, Gedanken, Handlungen und Reaktionen ihrer Mitmenschen ermöglichen. Damit sollen sie helfen, die Handlungen anderer nicht nur besser verstehen, sondern auch gewissermaßen vorhersehen zu können. Die oft rätselhaft erscheinende Welt wird somit etwas verständlicher.

Anders als in der Originalversion von Carol Gray, in welcher die Geschichten für Kinder primär in der Ich-Form, also aus der Perspektive des Kindes, geschrieben sind, hat Melanie Matzies-Köhler in den hier vorliegenden Lerngeschichten die Anrede »du« gewählt. Die durchgängige Verwendung der »Du-Form« macht die Sammlung von Anleitungen zu einem allgemeinen Ratgeber bzw. sozialen Wegweiser, der bei Bedarf individualisiert werden kann. Die Anleitungen greifen jeweils nur ein Thema auf und erklären Details, die nicht-autistische Kinder normalerweise für selbstverständlich halten. Sie vermeiden überflüssige Formulierungen, Metaphern oder Ironie und bedienen somit eine Form, die für autistische Menschen verständlich ist.

Da soziale Anleitungen oder auch Social Stories immer die Perspektive einer autistischen Person einbeziehen sollten, ist die Zusammenarbeit von Nicole Schuster und Melanie Matzies-Köhler in dieser Form eine neue Entwicklung auf dem deutschen Markt.

Wir wollen darauf hinzuweisen, dass die sozialen Anleitungen einen beispielhaften Charakter haben und keine generellen und allgemeingültigen Empfehlungen sein können. Vielmehr sollen sie aufzeigen, wie man Menschen mit Autismus die oft so rätselhafte Welt nicht-autistischer Menschen erklären kann. Melanie Matzies-Köhler nimmt dabei gezielt Wertungen vor, um einen Verhaltensleitfaden vorzugeben, der in einer chaotischen Welt Halt bzw. Orientierung bieten kann. Die persönlichen Ansichten von Lesern können davon abweichen.

Melanie Matzies-Köhler und Nicole Schuster

Über Autismus

Autismus äußert sich in Symptomen im kommunikativen und sozialen Bereich sowie im Verhalten. Autisten fehlt die unmittelbare Einsicht in die ungeschriebenen Regeln des zwischenmenschlichen Zusammenlebens. Sie können oft weder Mimik noch Gestik ihrer Mitmenschen verstehen und können sich auch nicht in die Situation eines anderen hineinversetzen. Gesunde Menschen können sie deshalb für grob, gefühlskalt oder egozentrisch halten. Sie übersehen dabei, dass Autisten die Regeln des sozialen Miteinanders erst lernen müssen und nicht intuitiv beherrschen. Viele dieser Regeln gelten jedoch als so selbstverständlich, dass die wenigsten Eltern sie jemals erklären. Nicht-autistische Kinder haben ein natürliches Gefühl für viele dieser Regeln, andere verinnerlichen sie, weil sie diese in ihrem sozialen Umfeld erlebt haben.

Autistischen Kindern fehlt oft nicht nur ein innerer Wegweiser für sozial angemessenes Handeln, sondern häufig auch einige Voraussetzungen, die es anderen Kindern ermöglichen, sich Regeln durch Nachmachen anderer anzueignen.

Eine wichtige Rolle dabei könnten Spiegelneurone spielen. Spiegelneurone wurden erst in den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts entdeckt. Es handelt sich dabei um Nervenzellen im Gehirn, die nicht nur dann aktiv werden, wenn wir selbst handeln, sondern auch, wenn wir eine Handlung nur beobachten. Wissenschaftler glauben, dass sie unsere Fähigkeit, nachzumachen, beeinflussen. Die Spezialzellen könnten außerdem eine Rolle bei der Empathie spielen.

Untersuchungen an autistischen Menschen zeigen, dass in ihrem Gehirn die als Spiegelneuronen geltenden Areale seltener eine Aktivität zeigen. Das deckt sich mit der Beobachtung, dass Autisten Probleme mit dem Imitieren haben.

Für das soziale Verständnis ist nach Ansicht von Wissenschaftlern die Theory of Mind-Fähigkeit notwendig. Die ToM-Fähigkeit beschreibt das Vermögen, sich in die Position eines anderen hineinzuversetzen. Sie gilt als Voraussetzung dafür, dass Menschen eine Vorstellung davon entwickeln, was ein anderer gerade fühlt, denkt, wünscht oder beabsichtigt. Auf fremde Gefühle angemessen zu reagieren oder Handlungen zu erahnen bzw. zu verstehen, ist nicht möglich, wenn diese Fähigkeit eingeschränkt ist. Ohne Theory of Mind-Fähigkeit, so die Theorie, können Menschen noch nicht einmal lügen. Lügen setzt voraus, dass man sich vorstellen kann, dass der andere nicht den gleichen Kenntnisstand wie man selbst hat und dass man weiß, dass der andere an etwas glauben kann, von dem man selbst weiß, dass es falsch ist. Die Forscher sind sich noch uneins, in wie fern autistische Menschen über eine Theory of Mind-Fähigkeit verfügen. Zwar zeigen entsprechende Tests, dass einige autistische Menschen ToM-Aufgaben lösen können, Alltagsbeobachtungen zeigen aber, dass es an der Umsetzung oft hapert.

Die Fähigkeit zur ToM scheint bei autistischen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt zu sein und kann sich im praktischen Kontext anders äußern als im Theoretischen.

Wodurch Autismus genau verursacht wird, ist noch nicht ganz klar. Zwar haben Wissenschaftler mittlerweile verschiedene Gene ausgemacht, die mit Autismus in Zusammenhang stehen, allerdings muss noch geklärt werden, in wie fern diese Genveränderungen möglicherweise die Gehirnentwicklung beeinflussen können. Auch ist fraglich, ob es tatsächlich mehr autistische Menschen gibt, wie die in den letzten Jahren stark angestiegene Prävalenz zeigt, oder ob der Anstieg hauptsächlich auf eine erhöhte Aufmerksamkeit und verbesserte Diagnosemöglichkeiten zurückzuführen ist.

Das Rätsel Autismus bleibt also weiterhin spannend.

1 Coline und das Puppen-Aua

Coline, 5 Jahre

Liebes Tagebuch,

letzte Woche habe ich mit Opa Comics angeschaut. Ein Comic besteht aus kleinen Bildchen, auf denen Figuren Sachen machen. Opa sagte, dass man damit viel lernen könne. Und zwar darüber, wie Menschen sich verhalten sollten und warum sie oft trotzdem etwas anderes tun. Ich verstehe das nicht. Es ist mir auch ganz egal, was andere tun oder was sie tun sollten. Was hat das mit mir zu tun? Und außerdem: Mein Comic zeigte zwei Mäuse, wie soll man da etwas über Menschen lernen?

Die Bilder ergaben noch nicht mal einen Sinn. Auf dem ersten waren die beiden Mäuse zu sehen, wie sie eine Nuss finden. Auf dem nächsten Bild zerrt jede Maus an einem Ende der Nuss. Und noch ein Bild weiter prügeln sich die Mäuse. Eine Maus gerät dabei nah an eine Treppe und fällt auf dem vorletzten Bild die Treppe runter. Das sieht lustig aus und ich musste lachen. Auf dem letzten Bild liegt eine Maus im Bett mit vielen Pflastern und einem Bein in Gips. Die andere Maus sitzt daneben und zwischen ihnen steht ein Teller, auf dem die Nuss in viele kleine Stücke zerteilt ist.

Absolut komisch, diese Geschichte.

»Die ist blöd«, informierte ich Opa.

»Gar nicht blöd, Coline. Hast du überhaupt verstanden, worum es geht?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich verstehe nicht, was die Nuss in der Geschichte soll.«

Opa holte tief Luft. Das macht er immer, wenn er etwas Großes sagen will.

»Also, Coline, das ist so. Die beiden Mäuse finden eine Nuss. Beide finden Nüsse ganz toll und jede Maus will die Nuss für sich haben.«

»Ich würde so eine Nuss nicht haben wollen. Ich würde lieber ganz viel Moos haben.«

»Vielleicht. Die Mäuse wollen aber beide die Nuss. Und weil sie sich nicht einigen können, wer sie bekommt, streiten sie. Der Streit wird ziemlich schlimm und eine Maus fällt dabei eine Treppe runter. Dabei tut sie sich sehr weh.«

»Wie schlimm weh?«

»So schlimm, dass sie danach ganz viele Pflaster braucht und einen Gips ums Bein bekommt. Und sie muss im Bett liegen. Guck hier auf dem letzten Bild: So schlecht geht es der einen Maus nach der Prügelei.«

»Musste sie auch zum Arzt gehen?«

»Mit Sicherheit.«

»Warum sieht man das nicht auf einem der Bilder?«

»Weil das für die Geschichte unwichtig ist.«

»Warum unwichtig?«

»Weil man sie auch so versteht.«

»Ich nicht.« Opa seufzte.

»Es geht in der Geschichte darum, dass man sich nicht streiten und schon gar nicht prügeln darf, wenn man sich uneinig ist. Man sollte immer versuchen, miteinander zu reden. Und friedlich eine Lösung zu finden.«

»Warum? Für die Maus im Bett hat sich das doch gelohnt. Sie liegt im Bett, braucht nicht in den Kindergarten zu gehen und die Nuss bekommt sie auch noch.«

Opa wollte noch was sagen, doch ich hatte keine Zeit mehr für ihn. Mir war gerade eingefallen, dass Gerda die Treppe runtergefallen war, vor kurzem erst, als ich sie Mama zum Abstauben bringen sollte. Eigentlich ist Gerda ja nur langweilig und noch langweiliger ist, dass sie so viele Kleider hat, deren Röcke aus ganz vielen Schichten bestehen. Trotzdem. Gerda musste viel Aua haben und ich musste ihr helfen. Komisch, dass Mama nicht längst mit ihr zum Arzt gegangen war.

Wahrscheinlich hatte sie dafür keine Zeit gehabt. Mama hatte ja auch ein ganzes Regal voll mit solchen Puppen. Gerda mochte sie aber am liebsten. Weil sie die älteste war. Als ich mir das jetzt so überlegte, war ich mir sicher, dass sich bei Gerda schon viel Aua angesammelt habe musste, weil sie bestimmt schon oft runtergefallen war.

Gerda musste also dringend ins Bett und brauchte viele Pflaster und einen Gips. Ich holte alle Pflastervorräte, die wir hatten, aus dem Badezimmer und klebte die ganze Puppe voller Pflaster. Auch auf den Kopf und über die Haare klebte ich welche. Danach brauchte ich nur noch einen Gips. Da ich keinen finden konnte, nahm ich einfach etwas von meiner weißen Knete und umwickelte damit Gerdas linkes Bein. Bei der Maus war es nämlich auch das linke gewesen, das kaputt gegangen war. Aber ist das immer so, wenn man eine Treppe runterfällt? Vorsichtshalber machte ich auch noch einen Gips aus Knete um das rechte Bein. Dann steckte ich Gerda in Mamas Bett und deckte sie zu.

Als Mama am Abend nach Hause kam und in ihr Schlafzimmer ging, schrie sie ganz laut.

»Wer war das?«

Sie kam in die Küche gestürmt und hatte Gerda im Arm.

»Coline!«, schrie sie.

Mamas Gesicht war ganz feucht. Warum weinte sie, wenn sie sich doch eigentlich freuen sollte, dass ich Gerda so gut versorgt hatte?

»Ich habe mich gut um Gerda gekümmert, oder? Sie hatte doch so viel Aua.«

»Wovon sprichst du, Coline? Sieh dir an, was du gemacht hast. Die Pflaster kriege ich nie mehr ab von ihren Haaren. Und die Knete hat den Seidenrock von Gerda ruiniert.«

»Dafür hat Gerda kein Aua mehr. Das ist doch viel wichtiger als so ein doofer Rock.«

»Wovon redest du? Aua? Wer hat Aua?«

»Na, Gerda! Weil sie doch die Treppe runtergefallen ist.«

»Ja, aber das tut ihr doch nicht weh.«

»Natürlich tut ihr das weh. Genauso wie der armen Maus im Comic.« Ich erzählte Mama, wovon der Comic gehandelt hatte und dass die eine Maus am Ende im Bett liegen musste.

»Mit ganz vielen Pflastern und einem Gips am linken Bein. Weil sie so viel Aua hatte.«

»Aber Coline, Gerda ist doch nur eine Puppe. Sie hat nie Schmerzen. Sie lebt ja nicht.«

»Die Mäuse leben doch auch nicht. Die sind doch nur aufgemalt.

Und die eine Maus hat trotzdem Schmerzen. Sagt Opa.«

»Das ist doch Quatsch!«

»Hat Opa mich etwa angelogen? Hat die aufgemalte Maus gar keine Schmerzen?«

»Nein. Opa hat nicht gelogen. Weil die Mäuse nicht Mäuse sind, sondern für Menschen stehen sollen. Ach, Coline, du machst mich wahnsinnig.«

»Häh?«

Mama fuchtelte mit den Armen in der Luft herum und sagte:

»Also erst mal: Puppen und Stofftiere und andere Figuren leben nicht. Nur wer lebt, kann Schmerzen haben. Also du und ich und Opa. Die Kinder in deinem Kindergarten, die Nachbarn in der Straße und so weiter. Tiere können übrigens auch Schmerzen haben. Deshalb darf man ihnen nicht wehtun. Nur Puppen nicht. Die haben keine Schmerzen. Nie.«

»Und woher willst du das wissen? Woher weißt du, dass Gerda keine Schmerzen hat und nicht lebt?«

»Na, das weiß man doch.«

»Warum weiß man das?«

»Na, weil Menschen die Puppen und Stofftiere gemacht haben.«

»Und Babys? Die Tina aus dem Kindergarten hat gesagt, dass Babys von ihren Eltern gemacht werden. Stimmt das denn nicht?«

»Ja, doch schon.«

»Und wo ist dann der Unterschied?«

Mama schüttelte den Kopf. Sie wusste es also auch nicht.

»Sei also froh, dass ich Gerda ins Bett gebracht und ihr Pflaster aufgeklebt habe. Sie hat bestimmt Schmerzen gehabt.«

Liebes Tagebuch, Mama sagte dann nichts mehr. Wahrscheinlich hat sie sich dann doch noch gefreut, dass ich so mitdenkend war und mich um Gerda gekümmert habe. Und die angeklebten Haare kann man ja einfach abschneiden. Die wachsen eh wieder nach. Und dann ist Gerda wieder richtig gesund und ihr tut nichts mehr weh. Liebes Tagebuch, ich finde, das habe ich gut gemacht.

Wann braucht man einen Gips?

Die meisten Menschen sagen »Gips« zu der chemischen Verbindung mit dem Namen Kalziumsulfat (= Mineral), das meistens weiß ist. Dieser Stoff kann zum Bauen von Häusern verwendet oder für die Medizin genutzt werden.

In der Medizin nutzt man Gips, um Verbände anzulegen. Gipsverbände werden vor allem angelegt, wenn ein Körperteil gebrochen oder verletzt ist, zum Beispiel ein Arm, ein Bein, ein Finger oder ein Zeh. Wenn der Knochen darin gebrochen ist, darf man ihn auf keinen Fall bewegen, damit er gut verheilen kann. Um ihn ruhigzustellen, so dass er sich also nicht mehr bewegen kann, wird ein Gipsverband angelegt.

Ein Gipsverband ist erst eine feuchte, weiße Masse, die um den verletzten Körperteil gelegt wird. Schnell trocknet die Masse und wird zu hartem Gips. Wenn du dir also zum Beispiel den Arm brichst, dann hast du einen Gipsverband am ganzen Arm und kannst den Arm nicht mehr bewegen. Jetzt kann der Bruch gut heilen. Sobald dein Arm wieder gesund ist, kommt der Gipsverband ab.

Ein Arm oder ein Bein kann brechen, wenn ein Mensch (oder ein Tier) zum Beispiel eine Treppe herunterfällt. Immer, wenn ein Mensch von etwas herunterfällt und hart auf den Boden aufschlägt, kann er sich einen Knochen brechen. Menschliche Knochen sind zwar sehr hart, aber können auch kaputt gehen. Bei alten Menschen passiert das besonders schnell, da ihre Knochen schon etwas zerbrechlicher geworden sind.

Warum wirken Comic- oder Zeichentrickfiguren so lebendig?

Zeichentrickfiguren sehen oft aus wie Menschen, Tiere oder Pflanzen. Man kann sie im Fernsehen oder im Kino sehen. Im Fernsehen oder Kino können sogar Tiere sprechen und Bäume Autos zerschlagen (weil sie Äste wie Arme benutzen). Alles ist im Fernsehen oder im Kino möglich. Aber obwohl dort alles möglich ist, ist es noch lange nicht Wirklichkeit.

Zeichentrickfiguren werden von Menschen gemalt, meistens am Computer. Früher wurden sie mit der Hand und Stiften gezeichnet. Damit sich eine Zeichentrickfigur bewegen kann, müssen viele kleine Bilder von dieser Figur in verschiedenen Bewegungszuständen gemalt werden. Erst, wenn diese vielen kleinen Bilder ganz schnell hintereinander gezeigt werden, hat der Mensch das Gefühl, eine Bewegung dieser Figur zu sehen. Vielleicht kennst du ja ein »Daumenkino«?

Aber obwohl sich im Fernsehen oder im Kino gezeichnete Menschen, Tiere oder Pflanzen bewegen, sprechen, Schmerzen haben oder sich freuen, sind sie nicht lebendig. Sie sehen zwar lebendig aus, sind es aber nicht wirklich, da sie nur aus einzelnen, nicht lebendigen Zeichnungen bestehen.

Es gibt auch gezeichnete Figuren, die man in Zeitungen, Heften oder Büchern sehen kann. Diese Figuren erleben auch ein Abenteuer und denken und handeln meistens wie Menschen. Diese Geschichten mit gezeichneten Figuren nennt man »Comics« (die Figuren darin auch »Comicfiguren«). Manchmal handeln sie wie Menschen. Man kann daran lernen, wie man sich verhalten soll und wie besser nicht. Obwohl diese Figuren scheinbar handeln, denken und fühlen, sind sie auch nicht echt. Sie sind nur gezeichnet und deren Gedanken und Gefühle von Menschen ausgedacht. Sie leben also auch nicht. Manchmal erscheinen sie aber recht lebendig. Vor allem japanische Animes wirken ziemlich echt!

Warum wirken Stofftiere und Puppen so lebendig?

Nein, auch Stofftiere und Puppen sind nicht lebendig. Stofftiere können zwar manchmal aussehen wie echte Tiere, aber sie bestehen aus »toter Masse«, also aus Wolle, Stoff und anderen Materialien. Bei Puppen ist es auch so. Sie sehen manchmal aus wie echte kleine Babys, sind es aber nicht, darum leben sie auch nicht. Selbst, wenn Stofftiere oder Puppen sogar Geräusche von sich geben können, leben sie nicht. So manche Babypuppe kann »Mama« und »Papa« sagen, aber das ist nur eine eingebaute künstliche oder aufgenommene Stimme, also Technik.

Viele Kinder tun allerdings so, als seien ihre Puppen oder Stofftiere lebendig. Sie sprechen mit ihnen, lassen sie sprechen, legen sie zum Beispiel ins Bett und geben ihnen Namen. Manchmal haben sie sogar wirklich das Gefühl, als würden ihre Puppen oder Stofftiere leben. Das passiert, weil die Kinder so tun, als wären die Puppen oder Stofftiere lebendig. Sie sind es aber nicht »in echt«, sondern nur in der Phantasie, also in der Vorstellung der Kinder.

Wer oder was hat Schmerzen?

Lebewesen haben Schmerzen. Menschen, Tiere, Bäume und Pflanzen sind Lebewesen. Bei Menschen und Tieren weiß man ganz sicher, dass sie Schmerzen haben. Bäume sondern Harz ab, eine klebrige Flüssigkeit, wenn sie verletzt werden. Gegenstände haben keine Schmerzen.

Alle toten Lebewesen haben keine Schmerzen mehr. Was tot ist, kann nicht mehr fühlen. Aber auch ein herabgefallenes Blatt von einem noch lebenden Baum oder ein Stück Obst ist nicht lebendig, kann also keine Schmerzen haben. Wenn du in einen Apfel beißt, tust du ihm also nicht weh.

Wasser, Gebirge, Steine, Muschelschalen oder Sand sind Dinge, die die Natur hervorbringt. Diese Dinge sind aber nicht lebendig und fühlen daher keinen Schmerz. Du kannst also auf einen Stein oder auf einen Berg steigen, ohne ihm wehzutun.

Es ist wichtig zu wissen, wer oder was Schmerzen empfinden kann, um niemanden aus Versehen wehzutun. Wenn du nicht sicher bist, ob etwas Schmerzen hat, frag deine Eltern. Sie können es dir sagen.

Woran erkenne ich, dass jemand Schmerzen hat?

Wenn ein Mensch Schmerzen hat, dann kannst du das anhand seines Gesichtsausdrucks und seiner Körperhaltung sehen und/oder an seiner Stimme hören. Es kommt jedoch auf die Art des Schmerzes an, wie eine Person genau reagiert.

Wenn sich eine Person tief in den Finger geschnitten hat, dann schreit sie meistens vor Schmerz laut auf. Eine Schnittwunde tut je nach Tiefe der Wunde weh oder sehr stark weh. Die meisten Menschen schreien dann »Aua!«, »Autsch!« oder »Aah!«. Ihr Gesicht verzerrt sich vor Schmerzen. Die Augen sind zusammengekniffen, auf der Stirn sieht man Falten, die Nase wird dabei ähnlich wie beim Naserümpfen nach oben gezogen und der Mund ist weit aufgerissen (wenn jemand schreit) oder fest zusammengekniffen.

Es ist möglich, dass es dir stärker weh tut, wenn du dir dein Knie an einer Tischkante stößt, als wenn du dir in den Finger schneidest. Menschen haben ein unterschiedliches Schmerzempfinden. Das heißt, jeder kann es auch ein wenig anders empfinden, wenn er sich verletzt.

Menschen fassen sich selbst meistens dort an, wo es ihnen weh tut. Manchmal krümmt sich ihr Körper zusammen. Wenn sie z. B. Bauchschmerzen haben, krümmt sich ihr Oberkörper nach unten und ihre Hände liegen auf dem Bauch.

Wenn du nicht genau weißt, woran du Schmerzen bei einem Menschen erkennen kannst, schaue dir verschiedene Fotos von Menschen an, die Schmerzen haben. Achte darauf, wenn jemand im Fernsehen oder in deiner Umgebung Schmerzen hat und merke dir, wie die Person dabei aussieht. Wenn du unsicher bist, ob jemand Schmerzen hat, kannst du auch fragen: »Hast du/haben Sie Schmerzen?«.

Wenn der Schmerz nicht allzu groß ist, können viele Menschen ihn auch ganz verbergen, also nicht zeigen. Dann sieht man ihnen den Schmerz gar nicht an. Wenn zum Beispiel eine Person Kopfschmerzen hat, aber zu einem wichtigen Termin muss (z. B. ein Vorstellungsgespräch) oder mit wichtigen Menschen sprechen muss, dann sollte diese Person nicht die ganze Zeit mit einem schmerzverzerrten Gesicht herumlaufen oder sich ständig an den Kopf fassen. Fasst sie sich die ganze Zeit an den Kopf und stöhnt vor Schmerzen vor sich hin, dann würden die anderen Menschen vielleicht denken: »Warum kommt er/sie hier überhaupt hin? Hätte mal lieber im Bett bleiben sollen«. Das wäre eine schlechte Voraussetzung für ein Vorstellungsgespräch.

Es gibt auch Menschen, die fühlen kaum Schmerzen. Sie tun sich sehr weh, aber spüren nichts. Erst durch andere Personen, die einen blauen Fleck oder eine Wunde sehen, fällt ihnen auf, dass etwas nicht stimmt. Ihnen sieht man demnach keinen Schmerz an, sondern nur die Wunde.

Ist es schlimm, wenn eine Puppe auf den Boden fällt?

Eine Puppe kann kaputt gehen, wenn sie zum Beispiel aus einer gewissen Höhe herunterfällt. Vor allem eine Porzellanpuppe kann dabei schnell zerbrechen. Aber selbst, wenn eine Porzellanpuppe bei einem Fall kaputt geht, tut sie sich nicht weh. Da sie nicht lebendig ist, reagiert sie nicht auf einen Schmerzreiz. Nur Lebewesen reagieren auf Reize, zum Beispiel auf Schmerzreize.

Eine Puppe, die einen Arm verliert oder zerbricht, kannst du reparieren. Du kannst den Arm vielleicht wieder ankleben oder einzelne Teile der Puppe wieder zusammenkleben. Du brauchst die Puppe nicht zum Arzt bringen, da sie nur aus »toter Materie« (also nicht lebendigem Stoff) besteht und keine Schmerzen haben kann!

Bei Stofftieren ist das übrigens genauso. Sie leben auch nicht und können daher keine Schmerzen empfinden.

Woher kommen Menschenbabys und was ist so anders als bei Babypuppen?

Vielleicht hast du dich schon einmal darüber gewundert, dass Menschenbabys und Puppen so ähnlich aussehen. Aber obwohl sie ähnlich aussehen, gibt es doch einen ganz wesentlichen Unterschied zwischen ihnen: Menschenbabys leben und Puppenbabys nicht.

Es braucht einen Mann und eine Frau, damit ein Menschenbaby entstehen kann. Das Baby wächst im Bauch seiner Mutter heran und wird größer und größer. Nach neun Monaten kommt es zur Welt.

Bei einer Babypuppe ist das anders. Sie wird in einer Fabrik hergestellt oder von einer einzelnen Person gebastelt. Sie wird aus verschiedenen Einzelteilen zusammengesetzt. Augen werden angenäht, Kleidung wird angezogen und die Puppe wird vielleicht noch bemalt. Da sie aus lauter »toten« Stoffen besteht, lebt sie im Gegensatz zum Menschenbaby nicht. Sie kann auch nicht wachsen und verändert sich von alleine nicht.

Mit einem Menschenbaby musst du sehr vorsichtig umgehen. Es lebt und empfindet Angst und Schmerzen. Wenn du es zu stark anfasst, piekst oder drückst, weint oder schreit es. Lege dich niemals auf ein Baby. Du könntest es dabei erdrücken oder ersticken. Im schlimmsten Fall kann es daran sterben. Pass auch auf, wenn du es hochhebst. Lass dir am besten von einem Erwachsenen zeigen, wie du es hochheben sollst.

Gibt einem Baby niemals etwas zu essen oder zu trinken, ohne einen Erwachsenen zu fragen. Es könnte sich vergiften! Kleine Teile darf es niemals in den Mund nehmen (z. B. kleine Knöpfe oder gar Stecknadeln), es könnte daran ersticken.

Wenn du nicht genau weißt, was du mit einem echten Baby machen kannst und was nicht, frage bitte unbedingt vorher einen Erwachsenen. Es hat sehr schlimme Folgen, wenn du ein Baby falsch behandelst.

Mit einer Puppe, die dir gehört, kannst du machen, was du willst. Du kannst sie zum Beispiel werfen, drücken, auf dem Boden herumschleifen und hochheben. Da die Puppe nicht lebt und keine Schmerzen empfindet, tust du ihr nicht weh. Du kannst sie zwar kaputt machen, wenn du zu grob zu ihr bist, aber dann hast du eben keine Puppe mehr oder musst sie reparieren, wenn das noch geht.

Wenn du vorhast, deine Puppe kaputt zu machen oder anzumalen, dann frage auch lieber vorher deine Eltern, ob die Puppe danach noch zu reparieren geht. Du bist sonst vielleicht sehr traurig, weil du keine Puppe mehr hast. Gehört die Puppe gar nicht dir, musst du ihren Besitzer fragen, was du damit machen darfst und was besser nicht.

Wachsen Puppen die Haare nach?

Wenn du deine Puppe die Haare abgeschnitten hast, fragst du dich vielleicht, ob die Haare wieder nachwachsen können. Vielleicht findest du die Kurzhaarfrisur doch nicht so schön und möchtest die alten, langen Haare wiederhaben.

Bevor du einer Puppe die Haare abschneidest, mach dir klar, dass die Haare der Puppe nie wieder nachwachsen werden!

Puppenhaare werden in der Fabrik an den Puppenkopf angeklebt, damit es aussieht, als hätte die Puppe echte Haare. Sie wachsen nicht nach. Haare auf einem Menschenkopf wachsen wieder, wenn man sie abscheidet, weil ein Mensch lebt. Menschenhaare wachsen genauso nach wie Fingernägel oder herausgefallene Milchzähne. Manchmal haben Menschen Krankheiten, dann wachsen Haare eine Weile lang nicht mehr. Aber ein gesunder Mensch kann sich jederzeit die Haare abschneiden, weil sie wieder wachsen. Das dauert zwar eine ganze Weile, aber nach circa einem Monat kann menschliches Haar schon wieder ungefähr einen Zentimeter nachgewachsen sein. Das ist aber auch bei jedem Menschen ein bisschen anders.

Wenn du also nicht möchtest, dass deine Puppe kurze Haare hat, schneide sie ihr lieber nicht ab. Du müsstest sonst mühsam versuchen, die Haare wieder anzukleben. Das sieht bestimmt nicht schön aus und ist sicher sehr schwer.

2 Die Einschulung

Coline, 6 Jahre

Liebes Tagebuch,

heute ist Dienstag. Aber nicht irgendein Dienstag. Heute ist der erste Tag nach meiner Einschulung. Der erste richtige Schultag.

Gestern sind Opa und Mama mit in die Schule gekommen. Ich hatte ein großes, buntes Eishörnchen bekommen, in dem aber keine Eiskugeln, sondern lauter Stifte, ein Radiergummi, ein Bleistiftspitzer, ein Mäppchen für Stifte, drei kleine Blöcke und ganz viele rote Baby-Äpfel waren. Mama sagte zu diesem Riesen-Hörnchen »Schultüte«. Opa wollte mich damit ganz oft fotografieren. Er sagte, dass heute »der Ernst meines Lebens« anfangen würde.

Heute ist also der zweite Ernst-Tag. Opa hat mich zur Schule gebracht. Diesmal ohne Riesen-Hörnchen, dafür aber mit einem viereckigen Rucksack auf dem Rücken. Meinem Schulrucksack. Mama hatte eine Liste gemacht, was da alles rein muss. Damit man auch ja nichts vergisst: Stifte-Mäppchen mit Radiergummi und Bleistiftspitzer, ein Heft mit Linien, ein Heft mit Karos, eine Butterbrotdose mit einem Käsebrot und eine Flasche Kräutertee Pfefferminz-Fenchel.

Opa durfte nur bis zum Schultor mitgehen. Danach war für ihn »Betreten verboten«, das hatten sie gestern gesagt.

»Findest du den Weg bis ins Klassenzimmer?«

Ich nickte. Wir waren ihn ja gestern drei Mal zur Kontrolle gegangen. Ich zog die Nase hoch. Jetzt bloß nicht weinen.

»Du schaffst das!«, flüsterte Opa mir zu. Ich setzte mich in Bewegung und konzentrierte mich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Bloß nicht an Opa denken. Bloß nicht an zu Hause denken. Und bloß nicht an meine Moose denken.

Zu spät. Ich dachte bereits an all das. Mir tropften die Tränen aus den Augen.

Plötzlich waren Stufen vor mir. Ehe ich es aufhalten konnte, fiel ich hin und lag der Länge nach ausgestreckt am Treppenabsatz. Meine Knie taten weh. Die Innenfläche meiner Hände tat auch weh. Ich wollte nach Hause.

»Mein Gott, ist dir was passiert?«, rief da eine Frauenstimme. Ich sah mich um.

Hinter mir stand eine hohe Frau mit langer Nase und einem engen Rock, der bis zur Wade reichte.

»Ja«, sagte ich.

Die Frau bückte sich zu mir.

»Ach, du armes Kind. Kannst du aufstehen? Soll ich dir helfen?« Die Frau fasste mich an den Schultern an. Das war fürchterlich, schlimm, kaum auszuhalten.

»Ahh«, rief ich.

Die Frau zuckte zurück.

Ich stand schnell auf. Die Beine funktionierten noch. Nur nicht, dass mich diese Frau noch einmal anfassen könnte.

»Nun warte doch!«, rief sie mir hinterher, als ich die Treppe hoch flitzte. »Soll ich deine Eltern anrufen?«

Ich war angekommen. Vor mir war die Tür zum Klassenzimmer. Ich überprüfte noch mal, ob ich wirklich richtig war, oder ob das Zimmer seit gestern vielleicht weggehüpft war. Nein. Alles stimmte. »1a« stand an der Tür.

Ich ging hinein.

»Wer von euch kann denn schon seinen Namen schreiben?«, fragte unsere Lehrerin, Frau Plötz, nachdem Ruhe eingekehrt war und sie uns begrüßt hatte. »Ich«, »ich!«, riefen die meisten Kinder und hielten eine Hand hoch. Was war denn so toll daran? Seinen Namen zu schreiben war doch nun wirklich Pipifax.

»Dann schreibt mal alle ein Namensschild«, sagte Frau Plötz. Was meinte sie damit? Namensschild, was ist denn das? Zum Glück zeigte sie uns, wie es geht. Sie nahm ein Blatt Papier, faltete es, so dass man es hinstellen konnte, und schrieb auf eine Seite »H. Plötz«.

»Kann das jemand lesen?«, fragte sie.

»Klar«, rief ich. »Herr Plötz steht da.« Alle lachten. Frau Plötz auch.

Was war denn daran so komisch?

«,Plötz' ist richtig. Aber ,Herr' steht da nicht.«

»Natürlich steht das da! Ich sehe doch das ,H' ganz deutlich.« Ein »H« steht auch immer auf den Klos für Männer, und Opa sagt, »H« bedeutet Herr. Frau Plötz lachte.

»Ja. Da steht ein ,H'. Weiß jemand, für was das steht?«

»Das steht für ,Hildegard'«, sagte ein dürres blondes Mädchen.

»Sehr richtig, sehr gut. Hildegard. Das ist mein Vorname.« Jetzt waren wir dran. Wir sollten auch Namensschilder machen. Ich schrieb also »C. Meier« auf meins.

»Was steht denn da?«, fragte der Sommersprossen-Junge neben mir.

»Kannst du denn nicht lesen?«, fragte ich. Der Junge schüttelte den Kopf.

»Bist du zu blöd dafür?«, fragte ich. Wie kann denn jemand nicht lesen können? Ich kann schon lesen und schreiben seit ich vier Jahre alt bin.

»Bin nicht blöd. Wir lernen doch erst noch lesen. Dafür sind wir ja hier.«

»Nur deswegen?«

»Na ja, rechnen lernen wir auch noch.«

»Kann ich doch auch schon!« Ich war ganz aufgeregt. »Frau Plötz«, rief ich. »Ich kann das hier alles schon. Ich kann nach Hause gehen.«

»Nun aber mal langsam. «,Meier '? Ist das dein Name?«

»Ja.«

Die Klasse lachte.

»Das ist doch sicherlich nur dein Nachname, oder?«

»Wie, Nachname?«

»Na, ich heiße ,Plötz' und du ,Meier'.«

»Ja.«

»Und ich heiße Hildegrad. Und du?«

»Ach so. Also du heißt Hildegard und ich Coline.« Wieder lachten alle. Nur Frau Plötz nicht.

»Sag bitte ,Sie' zu mir, ja?« Ich nickte.

»Also, Sie, ich kann das alles schon.«

»Was kannst du alles schon? Erzähl mal.«

»Ich kann lesen, schreiben und rechnen.«

»Na, das ist doch wunderbar!«, rief Frau Plötz. »Dann kannst du uns allen ja beim Lernen helfen.«

»Ihnen auch? Können Sie denn auch nicht lesen und schreiben?«

»Doch. Natürlich kann ich das. Ich bringe euch das doch bei.«

Dann kam ein fürchterliches Geräusch. Es hörte sich an wie Opas uralter Wecker, nur tausend Mal lauter. Ich schrie und hielt mir die Ohren zu. Als der Lärm vorbei war, konnte ich wieder atmen.

Frau Plötz warf mir einen Blick zu. Dann sagte sie zu allen: »Es ist nun Pause. Ihr könnt eure Brote auspacken und etwas essen.«

Ich holte meine Butterbrotdose mit dem Käsebrot hervor, das Opa heute Morgen für mich gemacht hatte. Der Junge neben mir holte sich ein Croissant aus seiner Schultasche. Als er darin kramte, entdeckte ich eine Tüte mit Schokodrops. Ich liebe Schokodrops, vor allem diese Sorte! Auf mein dummes Brot mit Käse hatte ich jetzt überhaupt keine Lust mehr. Ich hatte Lust auf Schokodrops. Ich nahm also die Tüte aus seiner Tasche, riss sie auf und stopfte mir gleich eine handvoll in den Mund. Während ich aß, hörte ich zu, wie der Sommersprossen-Junge seinem Sitz-Nachbarn an der anderen Seite von einem Computerspiel erzählte.

»Ich mag auch Computerspiele«, sagte ich. »Aber nicht so komische Spiele wir ihr. Am liebsten mag ich »Den Lehrpfad für kleine Waldfreunde«.

»Was für einen Pfad?«, fragte der Junge ohne Sommersprossen.

»Lehrpfad. Es kommen auch Moose darin vor. Magst du Moose?«, fragte ich mit vollen Mund.

»Schokodrops«, sagte da der Sommersprossen-Junge. »Die mag ich auch. Ich habe auch welche dabei.« Und dann fing er an in seiner Tasche zu kramen.

»Die musst du nicht mehr suchen. Die hab ich doch schon rausgeholt«, sagte ich.

»Wie? Das sind meine! Und du kannst doch nicht einfach in meine Tasche langen!«, rief der Junge. Er regte sich fürchterlich auf. Und dann fing er auch noch an zu heulen! Die dumme Frau Plötz kam gleich angelaufen.

»Was ist denn passiert? Hast du dir wehgetan?« Der Junge schüttelte den Kopf.

»Die Meier hat mir meine Bonbons geklaut.«

»Ich hab doch nichts geklaut!«, rief ich. »Ich habe mir nur die Bonbons genommen.«