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Eine neue Zeit. Eine neue Mission. Ein neuer Held: Erleben Sie die Geburt einer neuen Legende! COTTON RELOADED ist das Remake der erfolgreichen Kultserie "Jerry Cotton".
Drei spannende Thriller in einem Band:
Killer aus dem Jenseits: In der Umgebung von New York tauchen mehrere Frauenleichen auf. Die Indizien lassen auf den bekannten Serientäter Ronny Crowe schließen. Doch der wurde vor anderthalb Jahren von der Polizei gestellt und auf der Flucht erschossen. Also ein Nachahmungstäter? Die Ermittlungen gehen ins Leere. Doch dann kontaktiert sie der Journalist Frank Delano, der ein Buch über Serienmörder schreibt, und behauptet: Crowe ist gar nicht tot ...
Tödliche Pillen: In New York häufen sich Meldungen über Menschen, die nach der Einnahme von Medikamenten gestorben sind. Die Behörden sind alarmiert, tappen aber im Dunkeln ...
Unterdessen heftet sich Jeremiah Cotton in seiner Nachbarschaft an die Fersen zweier Einbrecher, die ihn auf die Spur einer skrupellosen Verbrecherbande führen. Doch noch ahnt er nicht, dass beide Fälle zusammenhängen. Und dass das Leben tausender Unschuldiger in den ganzen USA auf dem Spiel steht ...
Stille Nacht, stillere Nacht: 23. Dezember: Weihnachtliche Lichterketten lassen die Villa der Conleys festlich erstrahlen - als plötzlich eine Bombe die komplette Familie aus dem Leben reißt. Die Special Agents Philippa Decker und Jeremiah Cotton vom G-Team werden auf den Fall angesetzt. Doch dabei gerät Cotton ins Visier einer Unbekannten, die ihn zum Spielball in einem tragischen Rachefeldzug macht und vor eine harte moralische Prüfung stellt ...
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Seitenzahl: 401
Cover
Was ist COTTON RELOADED?
Über dieses Buch
Die Autoren
Impressum
Cotton Reloaded 37 – Killer aus dem Jenseits
Cotton Reloaded 38 – Tödliche Pillen
Cotton Reloaded 39 – Stille Nacht, stillere Nacht
Dein Name ist Jeremiah Cotton. Du bist ein kleiner Cop beim NYPD, ein Rookie, den niemand ernst nimmt. Aber du willst mehr. Denn du hast eine Rechnung mit der Welt offen. Und wehe, dich nennt jemand »Jerry«.
Eine neue Zeit. Ein neuer Held. Eine neue Mission. Erleben Sie die Geburt einer digitalen Kultserie: COTTON RELOADED ist das Remake von JERRY COTTON, der erfolgreichsten deutschen Romanserie, und erzählt als E-Book-Reihe eine völlig neue Geschichte.
Dieser Sammelband enthält die Folgen 37-39 von COTTON RELOADED.
Drei spannende Thriller in einem Band:
Killer aus dem Jenseits: In der Umgebung von New York tauchen mehrere Frauenleichen auf. Die Indizien lassen auf den bekannten Serientäter Ronny Crowe schließen. Doch der wurde vor anderthalb Jahren von der Polizei gestellt und auf der Flucht erschossen. Also ein Nachahmungstäter? Die Ermittlungen gehen ins Leere. Doch dann kontaktiert sie der Journalist Frank Delano und behauptet: Crowe ist gar nicht tot …
Tödliche Pillen: In New York häufen sich Meldungen über Menschen, die nach der Einnahme von Medikamenten gestorben sind. Die Behörden sind alarmiert, tappen aber im Dunkeln … Unterdessen heftet sich Jeremiah Cotton in seiner Nachbarschaft an die Fersen zweier Einbrecher, die ihn auf die Spur einer skrupellosen Verbrecherbande führen. Doch noch ahnt er nicht, dass beide Fälle zusammenhängen. Und dass das Leben tausender Unschuldiger in den ganzen USA auf dem Spiel steht …
Stille Nacht, stillere Nacht: Weihnachtliche Lichterketten lassen die Villa der Conleys festlich erstrahlen – als plötzlich eine Bombe die komplette Familie aus dem Leben reißt. Die Special Agents Philippa Decker und Jeremiah Cotton vom G-Team werden auf den Fall angesetzt. Doch dabei gerät Cotton ins Visier einer Unbekannten, die ihn zum Spielball in einem tragischen Rachefeldzug macht und vor eine harte moralische Prüfung stellt …
Oliver Buslau, kam im Jahr 1962 zur Welt und wuchs in Koblenz auf. Er studierte Musikwissenschaft, Germanistik und Bibliothekswissenschaft in Köln und Wien. Seine Leidenschaft fürs Schreiben entdeckte er bereits als Schüler. Seit 1999 schreibt er Kriminalromane, u.a. die Serie um den Wuppertaler Privatdetektiv Remigius Rott. Er ist außerdem Chefredakteur und Mitherausgeber der Zeitschrift »TextArt«, einem Magazin für Kreatives Schreiben, das er im Jahre 2000 gründete.
Jürgen Benvenuti wurde 1972 in Bregenz, Vorarlberg, geboren. Nach Aufenthalten in Berlin und Barcelona lebt er jetzt in Wien. Neben seinen Romanen, die unter anderem bei Bastei Lübbe, dtv und im Wiener Falter Verlag erschienen sind, hat er auch zahlreiche Rezensionen und Artikel in diversen Zeitungen, Zeitschriften und Online-Magazinen veröffentlicht. Ab und zu wagt er außerdem einen Abstecher ins Filmgeschäft.
Peter Mennigen wuchs in Meckenheim bei Bonn auf. Er studierte in Köln Kunst und Design, bevor er sich der Schriftstellerei widmete. Seine Bücher wurden bei Bastei Lübbe, Rowohlt, Ravensburger und vielen anderen Verlagen veröffentlicht. Neben erfolgreichen Büchern, Hörspielen und Scripts für Graphic Novels schreibt er auch Drehbücher für Fernsehshows und TV-Serien.
BASTEI ENTERTAINMENT
Digitale Originalausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Uwe Voehl
Projektmanagement: Nils Neumeier/Stefan Dagge
Covergestaltung: Thomas Krämer
Unter Verwendung von Motiven von © shutterstock: DmitryPrudnichenko | Pavel K | Brankica | mandritoiu
E-Book-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-2701-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Der Killer aus dem Jenseits
Oliver Buslau
Mai
Die Augen der Frau erkennen dich, als du aus dem Taxi steigst. Sofort geht ein Leuchten über ihr Gesicht. Es ist dieser Moment, den du am meisten liebst. Der Moment, in dem du spürst, dass sie dich will. In dem sie nicht eine Sekunde damit rechnet, was passieren wird.
Du hast sie warten lassen. Hast dem Pakistani am Steuer erklärt, er solle noch ein wenig durch die Straßen fahren. Schon ein paar Mal ist er hier an der Ecke im Village vorbeigekommen. Einmal musste er sogar kurz stoppen, weil ein Stau entstanden war. Trotzdem hat dich die Frau vor dem Restaurant nicht gesehen. Aber du konntest die Sehnsucht in ihrem Blick erkennen.
Es ist Mai, einer der ersten richtigen wärmeren Frühlingsabende. Die Jahreszeit ließ auf sich warten. Die New Yorker treibt es hinaus auf die Straße. Paare und Gruppen sind unterwegs. Man unterhält sich, lacht, freut sich auf das Zusammensein an diesem Freitagabend. Auch in dem kleinen Park am Washington Square ist eine Menge los.
Die Frau ist nicht mehr jung. Ihr genaues Alter kennst du nicht, aber sie wird so um die vierzig sein. In diesem Alter haben viele Frauen eine große Enttäuschung hinter sich, und ein schleichendes Gift macht sich in ihnen breit: Verzweiflung.
Deine Handynummer hast du ihr nicht gegeben. Sie weiß nicht, dass du gar kein Handy besitzt. Sie hat nicht gewagt, danach zu fragen.
Du hast ihr von Anfang an das Gefühl gegeben, dass sie es ist, die die Kontrolle behält. Es gab keine Telefonate, nur Verabredungen.
Als du sie ins Alfonso, dem im Village angesagten Italiener einludst, sprachen ihre Augen Bände – sie erzählten Geschichten über die Sehnsucht, finanziell ein wenig unabhängiger zu sein, sich etwas leisten zu können, nicht mit jedem Cent rechnen zu müssen. Und trotz ihres Alters, trotz ihrer Torschlusspanik, die sie unverhohlen vor sich herträgt wie ein offenes Buch, doch noch den richtigen Partner zu finden.
Das große Los zu ziehen, nach all den Enttäuschungen.
Du hast ihr allein durch diese Verabredung das Gefühl gegeben, dass die Erfüllung dieser Sehnsucht zum Greifen nahe ist.
So steht sie da – Mensch gewordene Hoffnung, mit einem bitteren Schuss Verzweiflung. Und sie erblüht, als du die Tür des Taxis öffnest, das am Straßenrand neben all den Flaneuren angehalten hat.
Aus den Augenwinkeln beobachtest du ihre Ungeduld. Es ist nicht zu übersehen, dass sie am liebsten gleich loslaufen würde – über den breiten Bürgersteig. Aber sie will auch den Schein wahren. Will zurückhaltend wirken. Doch es gelingt ihr kaum.
Du lässt dir absichtlich Zeit, um Kleingeld hervorzukramen. Du tust ihr den Gefallen, den Kopf zu wenden, zu lächeln. Du betrachtest ihr Kleid mit dem schreienden Blumenschmuck – wahrscheinlich das Beste, das sie im Schrank ihrer winzigen Wohnung irgendwo östlich von Brooklyn hängen hatte. Der Saum endet knapp unter dem Knie. Dazu trägt sie eine helle, etwas matronenhaft wirkende Strickjacke und hohe Schuhe, auf denen sie ziemlich wacklig wirkt. Ganz offensichtlich fühlt sie sich in ihrem Aufzug unwohl. Sie hat das alles dir zuliebe angezogen, weil sie glaubt, es wirke verführerisch. Dazu hält sie verkrampft die kleine Handtasche fest, deren Riemen sie um die Schulter geschlungen hat.
Es ist kaum nötig, dass du dich bei ihr wegen der Verspätung entschuldigst. Sie wird dir alles verzeihen. Wirklich alles. Denn sie fühlt sich sicher und geborgen. Der Platz an deiner Seite ist das, wovon sie schon immer geträumt hat.
Sie hängt sich bei dir ein und wirkt so glücklich, als ihr zusammen ein Stück die Sixth Avenue hinunterspaziert – bis zur ockerfarbenen Fassade des Alfonso.
Ihr werdet sofort höflich empfangen. Garderobe, die ihr abgeben könntet, habt ihr nicht. Man geleitet euch in den hinteren Bereich. Du nimmst dem Kellner die Pflicht ab, ihr den Stuhl zurechtzurücken. Erst dann setzt du dich selbst an den Tisch mit dem blendend weißen Tuch und der dezenten Blumendekoration.
Die Frau schaut sich um, wahrscheinlich prüft sie, ob sich mit euch Prominente in dem Restaurant aufhalten, was tatsächlich vorkommen könnte. Du fragst dich, wen sie dort wohl erwartet – Woody Allan vielleicht oder Barbra Streisand. Dabei weiß doch jeder, dass es die alten Showgrößen eher nach Kalifornien oder nach Europa zieht.
Und als du den Aperitif bestellt hast, als die Frau sich wirklich sicher fühlt, als dir klar ist, dass sie mit dir überall hingehen wird an diesem Abend und dass sie nicht nur glaubt, sondern wirklich weiß, sie hätte das große Los gezogen – erst jetzt erlaubst du dir, dich auf das zu konzentrieren, was vor dir liegt. Und welche Gefahren für dich darin liegen. Und wie schon so oft, kommt der Moment, in dem die Welt um dich herum zurücktritt und wie in einem seltsamen Kinoeffekt hinter einer Scheibe zu verschwinden scheint.
Bilder schießen dir durch den Kopf – Bilder von aufgerissenen Augen, von verdrehten Gliedmaßen, von zerrissenen Kleidern.
Bilder, die hinter all der Harmonie und der Schönheit darauf gewartet haben, hervorzubrechen.
Bilder, die du noch in Schach halten musst, die dich jetzt nicht beherrschen dürfen. Noch nicht.
Es wird Stunden dauern, bis du es endlich erleben kannst – das, worauf all das hier hinausläuft.
Du musst ertragen, dass die Frau auf dich einredet. Du musst ertragen, all dieses widerliche Zeug zu essen, für das du auch noch einen Haufen Geld ausgeben musst. Der Rotwein, von dem der Kellner dir einen Schluck zum Probieren ins Glas gibt, schmeckt bitter. Du machst gute Miene zum bösen Spiel. Später suchst du Hummerpasta und irgendwelche Gemüsebeilagen aus. Du artikulierst das Italienisch so, dass die Frau geradezu überschäumt vor Bewunderung. Du unterhältst sie charmant den ganzen Abend.
Es gelingt dir, weil du weißt, dass bald die Belohnung kommt.
Und in manchen Momenten, wenn du sicher bist, dass man dich nicht beobachtet, erlaubst du dir, die Hand zum Innenfutter deines Sakkos zu führen. Diese verstohlene Bewegung beruhigt dich. Sie verleiht dir Kraft und Geduld. Aber je weiter der Abend voranschreitet, desto öfter musst du es tun.
Musst an die Innentasche tasten. Die harten Konturen deiner Pistole vom Kaliber 22 erspüren.
Und schließlich kommt der Moment, in dem du dir vorstellst, dass du endlich abdrückst, die Kugel auf die Reise schickst und es endlich, endlich, endlich wieder einmal zu Ende bringst.
*
Juli
Cotton passierte die Tür mit der Aufschrift der fingierten Computerfirma »Cyberedge«, nickte Janet Kilpatrick zu, die als Agentin eine Empfangsdame mimte, und tauchte in den Geheimbereich des G-Team-Headquarters im Untergeschoss ein.
Die Büros waren nicht nur sehr modern, was die Arbeitsmittel betraf – sie verfügten auch über eine fantastische Klimaanlage. Und das war eine Wohltat. Draußen tobte ein glühender New Yorker Sommer mit Temperaturen an die vierzig Grad Celsius. Der vierte Juli, der Independence Day, war auf den vergangenen Samstag gefallen, und die Zeitungen hatten darüber berichtet, dass so mancher bei den Feierlichkeiten einen Kreislaufzusammenbruch erlitten hatte. Für Cotton, der sich ungern in großen Menschenansammlungen aufhielt, war der Feiertag ganz anders verlaufen als für die meisten Amerikaner. Er hatte das Wochenende in der schattigen Garage bei seinem alten Jaguar E Type verbracht und mal wieder stundenlang daran herumgebastelt. Leider war es ihm auch diesmal nicht gelungen, ein Problem des Vergasers zu lösen. Im Stand lief der Motor ziemlich unrund, hatte sogar ab und zu kleine Aussetzer. Dagegen schien kein Kraut gewachsen zu sein. Weder ein Tausch der Zündkerzen noch das Wechseln der Zündkabel und der Zündspule brachten etwas. Selbst Sheldon – der Mechaniker, der gelegentlich half – war mit seinem Latein am Ende gewesen. Auf dem Heimweg durch die Straßen des New Yorker Stadtteils Philippsburg hatte Cotton noch ein wenig vom Feiertagsfeuerwerk über dem East River bestaunen können.
»Ihnen ist doch nicht etwa warm?«, fragte Philippa Decker, die bereits an ihrem Schreibtisch saß und irgendwelche Papiere durchging, sarkastisch. Wie immer verbreitete sie die Aura einer perfekten Musterschülerin.
»Auch Ihnen einen guten Morgen«, gab Cotton zurück. »Geben Sie mir eine Minute und ich verbreite genauso viel Arbeitseifer wie Sie.«
Sie wischte sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht und stand auf. »So viel Zeit haben wir leider nicht. Mr High erwartet uns. Wir haben nur noch auf Sie gewartet. Ich dachte mir schon, dass das Feiertagswochenende an Ihnen nicht ganz spurlos vorbeigegangen ist.« Sie grinste schadenfroh. Cotton lag auf der Zunge, etwas zu erwidern, aber er verzichtete darauf. Er hatte sich nichts vorzuwerfen. Er war auf die Minute pünktlich. Und dass Mr High drängte, wenn ein neuer Fall anstand, war normal.
Das Büro des Chefs war durch eine Glaswand vom übrigen Bereich des Headquarters abgetrennt. Als sie eintraten, blickte er von seinem Laptop auf. Er wirkte hoch konzentriert. »Nehmen Sie bitte Platz, wir haben keine Zeit zu verlieren.« Er wandte sich Cotton zu. »Manchmal liegt es an den Drosselklappen, das sollten Sie mal in Erwägung ziehen.« Dabei huschte, was äußerst selten vorkam, ein Lächeln über sein Gesicht.
Woher weiß er, was ich am Wochenende gemacht habe?
Cotton schwieg und genoss den irritierten Gesichtsausdruck von Philippa Decker, die mit der Bemerkung natürlich nichts anfangen konnte.
Mr High betätigte eine Taste auf dem Computer, und hinter ihm auf einem großen Bildschirm erschien ein Foto. »Sehen Sie sich das bitte an«, sagte er, ohne sich herumzudrehen.
Während seiner Zeit beim NYPD hatte Cotton oft mit Mordopfern zu tun gehabt. Er erkannte sofort eine stark verweste Frauenleiche. Der Körper lag im Gras zwischen Büschen und war halb von Laub bedeckt. Ein Stück von geblümtem Stoff war zu sehen – wohl die Reste von dem Kleid, das die Frau getragen hatte. Daneben befanden sich mehrere Gegenstände, die schwer zuzuordnen waren. Einer davon sah aus wie ein verschmutztes Kissen. Etwas anderes erinnerte an eine Stoffpuppe.
»Das ist die Leiche von Deborah Harris«, sagte Mr High. »Einundvierzig Jahre alt. Seit Mai dieses Jahres vermisst. Laut den ersten Erkenntnissen der Gerichtsmedizin auch etwa seit damals tot. Sie wurde erschossen. Man fand den Körper erst jetzt, also fast zwei Monate später, im Harriman State Park. Wie Sie wissen, befindet der sich gut fünfzig Meilen von New York City entfernt.«
»Was liegt da um die Tote herum?«, fragte Decker.
»Dazu komme ich gleich.« Mr High tippte noch einmal, und ein anderes Bild erschien. Es zeigte ebenfalls eine tote Frau. Die Leiche war nicht so stark verwest wie die von Deborah Harris.
»Beverly Hamilton«, erklärte der Chef. »Aufgefunden in einem Waldstück in Hartford. Im April. Sie war zweiundvierzig Jahre alt.«
Wieder wechselte das Foto. Es folgte Leiche Nummer drei.
»Linda Mayer aus Syracuse, fünfundvierzig, ermordet Anfang Februar.«
Auch diese beiden Toten lagen im Gras, und um sie herum befanden sich Gegenstände. Bei Linda Mayer waren sie besser zu erkennen. Ein gerahmtes Foto, ein Plüschhase und ein Briefumschlag.
»Alle drei Opfer wurden mit derselben Waffe erschossen«, erklärte Mr High weiter. »Der Mörder legt persönliche Dinge der Frauen neben den Leichen ab. Es ist sozusagen seine individuelle Handschrift.«
»Das kommt mir bekannt vor«, sagte Decker.
»Sehr richtig, Special Agent.« Mr High sah Cotton an, als müsste er ebenfalls wissen, was es bedeuten sollte. Er hatte aber keine Ahnung.
»Ronny Crowe«, sagte sie. »Ein Psychopath, der Frauen in Sicherheit wiegte, indem er mit ihnen wie ein perfekter Gentleman ausging, ihnen einen gewissen Luxus bot. Sie dann aber umbrachte. Übrigens ohne sexuellen Missbrauch oder anderen erotischen Kontakt.« Ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken, spulte sie aus dem Gedächtnis weitere Informationen ab. »Auf sein Konto gehen mindestens fünf Opfer. Wenn man diese hier von Februar bis Mai mitrechnet, wären es also acht. Er hatte die Angewohnheit, sich nach den Taten mit den Schlüsseln seiner Opfer Zugang zu deren Wohnungen zu verschaffen. Dort holte er dann persönliche Dinge, kehrte zu den Ablageorten der Leichen zurück und drapierte sie um die Toten herum. Als lägen sie auf einem Altar oder so was. Das war für Crowe ziemlich riskant, denn er ging ja das Risiko ein, dabei eventuell aufzufallen.«
»Sehr gut, Special Agent Decker«, sagte Mr High.
»Wieso sprechen Sie in der Vergangenheit?«, unterbrach Cotton, der das Gefühl hatte, auch etwas beitragen zu müssen, um nicht ganz so passiv zu wirken. »Und warum sagen Sie wäre? Der Verdacht, dass auch die drei Morde von diesem Jahr auf das Konto von diesem Crowe gehen, ist doch nicht von der Hand zu weisen.«
Decker sah zu Mr High, aber der nickte ihr zu – zum Zeichen, dass sie weitersprechen sollte.
»Es ist so … Crowe ist seit Januar nicht mehr am Leben. Er kam bei der Verfolgung durch die Polizei um. Und das bedeutet nach den Gesetzen der Logik …«
»… dass er aus dem Jenseits weitermordet«, führte Cotton den Satz zu Ende.
»Oder dass jemand seine Marotte kennt und nachahmt«, gab Decker zurück.
»Niemand wusste genau Bescheid über diese Marotten, wie Sie es nennen«, sagte Mr High. »Natürlich hat die Presse berichtet, aber die Details oder gar Fotos von den Tatorten blieben in den internen Akten.«
Er warf Cotton einen mahnenden Blick zu. »Und selbstverständlich gehen wir von einem Nachahmungstäter aus, denn wir glauben nicht an Mörder, die aus dem Jenseits heraus operieren. Es stellt sich allerdings wirklich die Frage, was dahintersteckt. Solche Rituale, denen Serientäter in ihrem eigenartigen psychischen Zwang folgen, sind sehr individuell. Es ist außergewöhnlich, dass sich die Merkmale so exakt bei zwei Tätern wiederholen. Ich brauche sicher nicht zu betonen, dass die Zeit drängt. Vor allem, wenn man die Örtlichkeiten der Leichenfunde betrachtet.«
Cotton war klar, was Mr High meinte. Februar, April, Mai. Drei Morde in deutlicher Regelmäßigkeit. Syracuse, Hartford, Harriman State Park. Jede Station lag etwas näher an New York als die vorangegangene.
»Wenn Sie sich nicht beeilen«, fuhr Mr High fort, »haben wir den Täter bald mitten in New York. Wenn er nicht bereits hier ist. Vielleicht lauert er schon in diesem Augenblick auf sein nächstes Opfer.«
*
Kurz darauf hatten Cotton und Decker im Zentralcomputer die Akten über Ronny Crowe gefunden. Neben den Informationen zu Spuren an den Tatorten und den Ermittlungsschritten gab es ein ausführliches Gutachten eines Polizeipsychologen – allerdings nicht von Les Bedell, dem für das G-Team zuständigen Gutachter. Damals hatten noch die offiziellen Stellen des FBI ermittelt, mit Unterstützung lokaler Einsatzkräfte.
»Ich werde nie verstehen, was im Hirn eines solchen Psychopathen vorgeht«, sagte Cotton, als er die Texte überflog. »Er verehrt die Frauen, spielt den Gentleman, lädt sie ein – und wenn sie sich in Sicherheit glauben, ermordet er sie hinterhältig. Und dann holt er auch noch persönliche Dinge aus deren Wohnung, um sie um den Leichnam zu drapieren.«
»Was schreibt denn der Psychologe dazu?«, fragte Decker.
Cotton scrollte mit der Computermaus ein Stück nach unten. »Er hält das Verhalten für ein ›fehlgeleitetes Liebesbedürfnis‹. Der Täter projiziere auf die Frauen die eigene Hilflosigkeit, der er in dem Moment, in dem er totale Macht über die Opfer habe, nachgeben müsse, indem er sich der eigenen Ohnmacht bewusst werde. Wenn Sie mich fragen, wusste dieser Psychofritze selbst nicht, was er meint. Das Gutachten umfasst 187 Seiten. Hundertsiebenundachtzig!« Er lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. »Wir müssen ihn finden, aber wo fangen wir an?«
Decker kam zu ihm und betrachtete den Text auf dem Bildschirm. »Sie haben etwas übersehen, Cotton. Schauen Sie mal hier: Da steht auch, dass diese Form der psychischen Störung mit solchen Folgen extrem selten vorkommt. Die Prozentzahl ist winzig.« Sie überlegte kurz. »In einem Land wie den USA vielleicht drei Mal pro Jahr – und dann muss der Täter nicht unbedingt dieselben Vorlieben haben, was das Alter oder Aussehen der Frauen betrifft. Und das stimmt auch noch genau überein, obwohl Crowe nicht der Täter sein kann. Wie bei ihm sind die Opfer über vierzig, und sie haben auch alle einen ähnlichen Typ. Dunkelhaarig, rundes Gesicht, schlank …«
»Was wollen Sie damit sagen? Dass wir das große Los gezogen haben?«
»War mir klar, dass Sie das wieder ins Lächerliche ziehen müssen. Aber irgendetwas stimmt doch da nicht …«
Cotton richtete sich auf und beugte sich über den Tisch. »Was soll denn da nicht stimmen? Jeden Morgen kriechen auf der Welt haufenweise perverse Schweine aus dem Bett. Unsere Aufgabe ist es, sie einzufangen, bevor sie Schlimmes anrichten. Und nun haben wir es mit einem Schwein zu tun, das dieselben Dinge macht wie ein anderes Schwein vor ihm. Am besten checken wir als Erstes die Informationen zu den drei jüngsten Opfern. Freunde, Bekannte. Orte, an denen der Mörder sie getroffen hat. Das ganze Programm.«
Decker war an ihren Platz zurückgekehrt. Sie nahm die Computermaus und klickte. »Warum ist der Polizei eigentlich nicht früher aufgefallen, dass die jüngsten Taten große Ähnlichkeit mit der Vorgehensweise von Ronny Crowe haben? Wenn man schon im Fall von Linda Mayer aus Syracuse den Zusammenhang hergestellt hätte, wären wir jetzt schon weiter mit unseren Ermittlungen. Und die beiden anderen Frauen würden vielleicht noch leben.« Sie sah Cotton an. »Sie wissen doch aus Ihrer Zeit beim NYPD, wie so was bei den unteren Polizeibehörden läuft. Wie kann das passieren?«
Er hob die Schultern. »Ich kann mir nur vorstellen, dass diejenigen, die den Fall bearbeitet haben, ganz einfach nichts über Crowe wussten. Und da er ja im Monat davor starb, war er auch nicht mehr in der Fahndung.«
Decker verzog den Mund. »Ist klar. Es ist also ein Fall, in dem wir wieder mal etwas ausbügeln dürfen, was andere verbockt haben.«
Plötzlich ertönte ein rhythmisches Summen. Es war Cottons Handy. Er zog es aus der Tasche und blickte auf das Display. Die Nummer des Anrufers war unterdrückt. Also war es niemand von den Kollegen.
Cotton drückte den grünen Knopf. »Hallo?«, sagte er.
»Hallo, Cotton«, antwortete eine joviale Männerstimme. »Wie geht’s, wie steht’s?«
»Wer sind Sie?«, fragte er.
»Tut doch nichts zu Sache, Cotton. Ich will Ihnen einen Gefallen tun. Und da sind Namen doch Schall und Rauch.«
»Wer sind Sie?«, fragte er noch einmal.
Ich kenne die Stimme, dachte er. In Sekundenschnelle sausten Bilder von Gesichtern an seinem inneren Auge vorbei.
»Uninteressant Cotton, glauben Sie mir.«
Das war der Moment, in dem er Decker ein Zeichen gab. Sie verstand sofort und lief in Richtung von Zeerokahs Arbeitsplatz, dem großen Serverraum des G-Teams, davon. Der IT-Experte würde unverzüglich seine Computer in Bewegung setzen, um den Anrufer zu identifizieren.
»Was für einen Gefallen meinen Sie«?, fragte Cotton. »Ich bin nicht sicher, dass wir einen Gefallen von Ihnen brauchen, wenn Sie mir nicht sagen, wer Sie sind.«
Der Anrufer sonderte ein seltsames Geräusch ab, das wohl ein Lachen oder Kichern sein sollte.
Ich kenne den Mann, dachte Cotton. Falsch. Ich habe ihn schon mal gesehen. Ich habe mit ihm gesprochen. Bei irgendeinem Fall.
Weiter hinten in dem Großraumbüro tauchte Decker wieder auf, zeigte mit dem rechten Daumen nach oben. Das Gespräch wurde mitgeschnitten. Außerdem lief die Fahndung nach dem Standort des Anrufers. Sie verschwand im hinteren Bereich.
»Ich mach’s kurz«, sagte die Stimme. »Ich weiß ja, dass ihr technisch überragend ausgestattet seid und jeden Furz mitschneiden könnt, den jemand in New York lässt. Also hören Sie zu, Cotton: Crowe ist nicht tot. Ganz und gar nicht. Die Polizei hat damals einen Riesenfehler gemacht. Und wissen Sie, was das Tollste ist?« Wieder dieses Gekicher. »Die Öffentlichkeit wird davon erfahren. Sehr bald schon. Tschüss, Cotton. Machen Sie was draus.«
Es klickte. Die Leitung war unterbrochen. Cotton rannte hinüber zum Serverraum, wo Zeery und Decker auf ihn warteten. Der IT-Experte, der klein und schmächtig vor den gigantischen Monitoren saß, startete gerade eine Audiodatei. Während die Frequenzenkurven in dem Softwarefenster stiegen und sich senkten, hörte man das Telefonat noch einmal.
»Von wo hat er angerufen?«, fragte Cotton.
Zeery winkte ab. »Vergiss es. Er hatte ein anonymes Handy. Eins ist klar. Es war in Queens eingeloggt. Wahrscheinlich wirft er es gerade in irgendeinen Gully. Ich checke gerade das Stimmenprofil. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, aber es kann ja sein, dass wir Mr Nobody schon mal bei uns hatten.«
Auf dem Monitor erschien ein Balken, der von links nach rechts wuchs. Innerhalb von ein paar Sekunden zeigte ein rotes Rechteck die Meldung: »Keine Daten gefunden.«
»Ende«, sagte Zeery. »Kommt beim nächsten Mal wieder vorbei. Wäre nett, wenn ihr jetzt einen Abflug macht. Ich habe noch zu arbeiten.«
*
»Das darf nicht wahr sein«, schimpfte Decker, während sie an ihre Schreibtische zurückkehrten. »Wem geben Sie denn Ihre Handynummer, Cotton? Müssen wir jetzt auch noch damit rechnen, dass eine Ihrer unzähligen Freundinnen hier anruft? Wissen die Leute vielleicht sogar über das G-Team Bescheid? Ihnen ist schon klar, was passiert, wenn nur der Hauch einer Information über die Existenz unserer Behörde an die Öffentlichkeit gerät?«
»Wie wär’s, wenn Sie sich die Ohren waschen?«, gab Cotton zurück. »Der Unbekannte hat nicht das Geringste über das G-Team gesagt. Er hat gesagt, Crowe wäre nicht tot. Und wenn das stimmt, wäre es tatsächlich eine Information, die einiges erklären würde. Abgesehen davon haben eine Menge Leute meine Handynummer. Das bleibt nicht aus und hat ja nun nichts damit zu tun, dass die Existenz des G-Teams bekannt werden könnte.«
Decker rief erneut die Akten auf. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis sie fand, was sie suchte.
»Hier haben wir den Abschlussbericht«, sagte sie. »Und da steht: Crowe ist im Januar bei einer Routinekontrolle der Polizei aufgefallen. Der Beamte hat ihn erkannt. Er hat aber die Nerven behalten und Verstärkung angefordert. Schließlich gelang es der Polizei, Crowe am oberen Hudson einzukreisen. Er gab trotzdem nicht auf und floh. Es kam zu einer längeren Verfolgungsjagd. Dabei wurden insgesamt vierunddreißig Schüsse auf Crowes Wagen abgefeuert. Irgendwann kam es zu einem Unfall. Crowe starb in seinem Wagen.«
»Mehr steht da nicht?«, fragte Cotton ungläubig.
»Nein, die Datei ist zu Ende.«
»Da fehlen ja eine Menge Details. War er sofort tot oder erst später? Was war die genaue Todesursache? Was ist mit seiner Leiche passiert?«
Decker warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Scheinbar sind manche Kollegen der örtlichen Polizei in der Provinz nicht in der Lage, sich deutlicher auszudrücken. Oder sie wollten es nicht.«
Cotton ließ die Bemerkung, die sich auch auf seine Vergangenheit beim NYPD bezog, ins Leere laufen. »Wer hat damals den Einsatz geleitet?«, fragte er.
»Ein gewisser Deputy Inspector Scardale«, las sie aus der Datei ab. »Hier haben wir ihn.«
Sie holte ein Video auf den Schirm – ein Fernsehmitschnitt einer Pressekonferenz. Scardale, ein bulliger rothaariger Mann, über dessen Bauch sich das Hemd der Uniform bedenklich spannte, stand vor einem kleinen Wald aus Mikrofonständern und beantwortete Fragen der Presse. Ihm war anzusehen, dass er vor Stolz beinahe platzte.
»Es ist den Behörden von Albany gelungen, Crowe zu eliminieren«, erklärte er mit Triumph in der Stimme. »Er wird niemals mehr einer Frau etwas antun.«
»Wie ist die Festnahme genau abgelaufen?«, fragte ein Journalist.
Scardale lachte, als hätte der Fragesteller einen Witz gemacht. »Festnahme? Es gab keine Festnahme.« Er schien das Wort geradezu auszuspucken. »Wir waren hinter Crowe her. Wir haben ihn gejagt. Ich und meine Jungs. Und er schoss auf uns. Aber wir blieben natürlich dran.« Er machte eine Pause, um den Pressevertretern Gelegenheit zu geben, die Heldentat aufzuschreiben.
»Das Schwein gab aber nicht auf«, fuhr er fort. »Irgendwann schien es, als habe er keine Munition mehr. Aber er hatte immer noch nicht genug. Wir dachten, dass er uns vielleicht in eine Falle locken wollte. Dass er das mit der Munition nur vortäuscht oder so. Schließlich trieben wir ihn bis an den Hudson. Er knallte durch eine Leitplanke. Der Wagen fiel in den Fluss. Wir haben ihn erst Stunden später bergen können. Da war er schon drei Meilen weitergetrieben.«
»Ist Crowe tot?«, fragte eine andere Stimme. Diesmal war es eine Frau.
Scardales Augen verengten sich. »Was denn sonst, Lady? Sind Sie schon mal in einem Wagen sitzend in einen Fluss gefallen? Damit ist doch alles gesagt, oder? Zeit, die Sache hier zu beenden. Denn es ist vorbei, Leute. Crowe ist tot.« Damit drehte er sich um und ging.
*
Als die Agents mit Cottons Dodge Challenger aus der Tiefgarage ins helle Sonnenlicht hinausfuhren, drehte Cotton erst mal die Klimaanlage auf volle Touren. So blieb die Hitze, die über New York schwelte, hinter den dicken Scheiben des 425-PS-Boliden.
Nach der Begutachtung der Akten war ihnen klar geworden, dass sie unbedingt mit Scardale sprechen mussten. Decker hatte herausgefunden, dass der Deputy Inspector kurz nach der Verfolgung von Ronny Crowe in den Ruhestand gegangen war. Er lebte jetzt in Thornwood. Die Stadt nördlich von New York war ein komplettes Kontrastprogramm zu Manhattan, Brooklyn oder Queens. Hier herrschte pure Idylle. Es gab einige Seen in der Nähe. Der Nachbarstaat Connecticut mit seinen ausgedehnten Jagd- und Fischrevieren war nur einen Katzensprung entfernt.
Cotton wandte sich Richtung Norden – durch die Bronx und die weiteren Vororte New Yorks. Schließlich erreichten sie den Sprain Brook Parkway – eine vierspurige Straße, die von ausladenden Grünstreifen aus Bäumen und hohem Gebüsch begrenzt war. Dahinter erhoben sich die ebenfalls grünen Hügel des Hinterlandes.
Decker hatte eine Sonnenbrille aufgesetzt. Es war eine von denen, die man unter achthundert Dollar höchstens in einem Laden mit Produktfälschungen erstehen konnte. Deckers Modell war natürlich echt.
Als sie Thornwood erreichten, bog Cotton in eine kleine Straße am Stadtrand ein. Sie kamen an perfekt gestutzten Rasenflächen vorbei. Die Häuser, deren weiße Farbe in der Sonne blendete, standen etwas zurückgesetzt. Zum Teil waren die Grundstücke so groß, dass die Zufahrten in weiten Kurven zu den Gebäuden gingen.
»Ich hoffe, ich kann mir so was auch leisten, wenn ich mal in Rente gehe«, meinte Cotton.
»Vielleicht hat der Deputy Inspector nebenbei mit Aktien gehandelt«, meinte Decker. »Wenn man sich damit ein bisschen auskennt, kann man es zu was bringen.«
»War mir klar, dass Sie über Geldscheffeln Bescheid wissen. Wahrscheinlich hat man Ihnen schon auf der Highschool beigebracht, wie man den Aktienindex liest.«
Seine Anspielung galt Deckers Herkunft. Er selbst stammte aus einer einfachen Familie aus Iowa. Seine Kollegin dagegen war in der Obhut einer äußerst begüterten Sippe aufgewachsen.
»Highschool? Im Kindergarten natürlich, Cotton. Was hätten Sie denn gedacht? Ich konnte schon den Dow Jones analysieren, bevor ich aus den Windeln war.«
Sie erreichten die Adresse und hielten vor der Zufahrt zu einem besonders schönen Haus mit steilem Dach und breiter Doppelgarage. Eine davon stand offen. Auf dem peinlich sauber gehaltenen Vorplatz parkte ein grüner Pick-up. Ein Mann war damit beschäftigt, irgendwelche Dinge auf der Ladefläche zu verstauen. Sein rotes Haar war nicht zu erkennen, weil er einen Stetson trug, aber es war Scardale. Gerade zerrte er an einem riesigen Sack aus Kunststoff herum. Erst hatte Cotton die Assoziation, dass es sich um eine Leiche handelte. Dann wurde ihm klar, dass der pensionierte Polizist ein verpacktes Zelt hochhievte. Neben dem Fahrzeug lagen mehrere Angelruten, außerdem zwei Gewehrkoffer.
Die Agents stiegen aus. Der bullige Mann wurde auf sie aufmerksam, und während sie näher kamen, blaffte er sie an. »He, ihr könnt hier nicht stehen bleiben. Das ist eine Ausfahrt. Macht, dass ihr wegkommt.«
»Hängt von Ihnen ab, wie lange wir hier brauchen«, meinte Decker und zeigte wie Cotton den Ausweis. Vor Überraschung ließ Scardale den Sack fallen. Durch den Hut war sein Gesicht im Schatten, aber seine Haut war stark gerötet, und er schwitzte. Kein Wunder: Auf dem ungeschützten Vorplatz brüllte die Hitze. Der pensionierte Polizist richtete sich auf, nahm den Hut ab und fächelte sich Luft zu.
»FBI? Na, das ist ja mal nett. Dann sind wir ja gewissermaßen Kollegen. Und in dem Fall will ich mal nicht so sein.« Er sah Decker an. »Vor allem bei so einer … charmanten Kollegin.« Er grinste sie unverhohlen an. Ein Zug von Lüsternheit war nicht zu übersehen. »Worum geht’s?«
»Wollen Sie einen Mord begehen, oder was haben Sie mit den Waffen vor?«, fragte Cotton, dem Scardale schon unsympathisch gewesen war, als er sich auf dem Video präsentiert hatte. Jetzt in natura verstärkte sich die Abneigung noch.
Der ehemalige Deputy Inspector lachte dröhnend. »Guter Witz, Kleiner. Wie heißen Sie noch mal? Jeremiah?« Er lachte weiter und schien gar nicht mehr zu stoppen zu sein.
»So wie Sie schwitzen, sollten wir vielleicht besser in den Schatten gehen, während wir uns unterhalten. Damit Sie uns hier nicht zusammenklappen.«
»Ihr meint, euch ist es zu heiß? Ach, ihr jungen Füchse. Wollt es bequem haben. Keine Belastung gewohnt. Was wollt ihr von mir? Macht’s kurz, ich hab noch was vor.«
Cotton sah zu Decker hinüber, die trotz der Hitze ihren typischen dunklen Hosenanzug trug. Nicht eine einzige Schweißperle war auf ihrem Gesicht zu sehen. Sie nahm die Sonnenbrille ab und fixierte Scardale.
»Wir möchten von Ihnen wissen, was mit Crowe passiert ist. Ronny Crowe. Sie erinnern sich bestimmt an ihn.«
Scardale bückte sich und begann wieder mit dem Zeltsack zu hantieren. »Deswegen macht ihr euch auf die Socken zu mir? Habt ihr die Akten nicht gelesen? Crowe ist tot. Ich habe ihn höchstpersönlich verfolgt. Dabei hat es ihn erwischt.« Der Sack knallte auf die Ladefläche. »Damit habe ich euch, dem Staatsanwalt und dem Richter eine Menge Arbeit abgenommen. Nur dem Anwalt nicht, der ihn vertreten und damit noch ein Sümmchen verdient hätte. Und vielleicht wär’s ihm ja sogar noch gelungen, das Schwein frei zu kriegen. Wegen unglücklicher Kindheit oder so.«
Scardale wollte weiter seine Sachen packen und griff zu einer der Gewehrtaschen. Cotton fiel ihm in den Arm.
»Das reicht jetzt«, sagte er. »Lassen Sie das, wenn wir mit Ihnen reden.«
»He, was soll das?«
»Wir vermuten, dass Crowe noch am Leben sein könnte.«
Der Ex-Polizist richtete sich auf, machte sich mit einer kurzen Bewegung los und schob seinen mächtigen Bauch nach vorne. »Jetzt hör mir mal gut zu, Jeremiah. Red keinen Mist. Crowe hat’s erwischt. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
»Wäre schade um Ihre Hand«, schaltete sich Decker ein. »Schildern Sie uns, was genau passiert ist. Und dann erklären Sie uns, warum Sie das nicht ordentlich zu Protokoll gegeben haben.«
Scardale hob die Hände. »Hört mal Leute, wollt ihr einen ehemaligen Kollegen in die Mangel nehmen? So was macht man nicht. Zu meiner Zeit …«
»Zu deiner Zeit hat man geschlampt«, zischte Cotton. »Das haben wir schon verstanden. Also?«
»Mensch Leute – ihr habt ja keine Ahnung, was da los war.«
»Um das zu erfahren, sind wir hier«, sagte Decker.
Er atmete tief durch, schob seinen Stetson ein Stück nach oben und lehnte sich an den Wagen.
»Also gut. Wenn’s sein muss. Es war im Januar. Wir hatten Crowe im Visier. Und wir waren hinter ihm her …«
»Wissen wir«, rief Cotton. »Sie haben ihn gejagt. Wie Helden. Haben wir kapiert. Und weiter?«
Scardale sah von Decker zu Cotton und wieder zurück. »Ja, habt ihr das denn nicht erfahren? Ich meine …« Die beiden Agenten schwiegen. »Offenbar nicht … also gut. Wir hatten damals einen schlimmen Schneesturm. Einen der schlimmsten der letzten Jahre. Unten an der Küste hat man das vielleicht nicht so ganz mitbekommen, aber am oberen Hudson war die Hölle los. Alle Einsatzkräfte waren im Dauerdienst. Achtundvierzig, manchmal sechzig Stunden. Alle pfiffen aus dem letzten Loch. Als Crowe bei der Routineüberprüfung erkannt wurde, hatte sich die Sache schon wieder etwas gelegt, aber wir hatten noch mit den Nachwirkungen zu kämpfen.«
Decker schüttelte den Kopf. »Das erklärt nicht, dass seine Leiche verschwunden ist.«
Scardale sah sie an. »Nein, Lady, aber es erklärt, dass jeder, der einigermaßen bei Verstand ist, von Crowes Tod ausgehen muss.«
»Und warum?«, fragte Cotton.
»Waren Sie mal an den Kraftwerken am oberen Hudson? In Albany? Wenn der Hudson so richtig viel Wasser führt? Wenn die Flut da nur so runterrauscht, wenn das alles tobt wie die Hölle? Wenn sich da Kräfte aufstauen wie beim Weltuntergang?«
Cotton grinste. »Sie werden ja richtig poetisch. Hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut.«
Scardales Gesichtsausdruck veränderte sich. Ein schmerzhafter Ausdruck lag darin. »1995 ist mein Sohn da reingestürzt«, sagte er, und sein Blick ging an den beiden Agenten vorbei, irgendwohin in die Ferne. »Wir haben damals dort oben gewohnt. Er war vierzehn Jahre alt. Seine Leiche wurde nie gefunden.«
»Und was hat das mit Crowe zu tun?«, fragte Cotton.
»Wir haben ihn verfolgt. Die Straßen waren immer noch glatt. Schnee und Schneematsch. Es begann ein bisschen zu tauen. Die Verfolgung dauerte sehr lang. Ich nehme an, ihr habt das in den Berichten gelesen. Es ging rauf Richtung Albany. Und auf einer Straße, die gleich am Hudson entlangführte, verlor Crowe die Kontrolle über sein Fahrzeug. Er durchbrach die Leitplanke und segelte in seiner Karre in den tosenden Fluss. Versteht ihr denn nicht? Die Fluten schlugen über dem Wagen zusammen. Ich hab’s selbst gesehen.«
»Und Sie haben das Fahrzeug geborgen?«, fragte Decker.
»Klar.«
»Und Crowe war nicht drin?«
»Nein.«
»Und seine Leiche wurde auch später nicht gefunden?«
Scardale nahm wieder den Hut ab und kratzte sich am Kopf. »Mir kann kein Mensch erzählen, dass er das überlebt hat. Und der Hudson ist breit und groß.«
»Das mit Ihrem Sohn tut mir leid«, bedauerte Cotton. »Aber alles deutet darauf hin, dass Crowe noch am Leben ist – und weiter seine Taten begeht. Es gibt weitere Leichen, Mr Scardale. Drei tote Frauen. Schönen Tag noch – und viel Spaß auf Ihrem Ausflug.«
Cotton genoss die Kühle der Klimaanlage in seinem Dodge. Die extremen Klimaschwankungen in New York waren eigentlich nicht seine Sache. Angesichts der Hitzewelle war es kaum vorstellbar, dass die Stadt im Winter gelegentlich unter Schneemassen versank und in der kalten Jahreszeit sogar Stürme über das Land hinwegfegten. Er erinnerte sich auch an den schlimmen Januar, den Scardale erwähnt hatte. Damals war er mit Decker eine Woche dienstlich in Kalifornien gewesen und hatte nur in den Nachrichten davon erfahren.
Decker hantierte auf dem Beifahrersitz mit ihrem Handy. »Wir suchen also wirklich nach Crowe. Das erklärt einiges. Wir sollten keine Zeit verlieren. Ich hole uns alles, was wir haben, aufs Handy.«
Die Agents hatten über ihre Smartphones einen direkten Draht zu Zeerookah, der ihnen alles, was sie brauchten, sofort vom Server aus zur Verfügung stellte.
»Ich bin ganz Ohr«, sagte Cotton. »Mir liegt allerdings immer noch die Sache mit dem anonymen Anrufer im Magen. Eigentlich sollten wir Mr High darüber informieren. Wieso wusste er, dass Crowe eventuell noch lebt? Und das ist es ja nicht allein. Er war auch darüber informiert, dass wir gerade jetzt ermitteln.«
»Hatten Sie nicht gesagt, Ihnen sei die Stimme bekannt vorgekommen?«
»Ja, und das ist es, was mich am meisten wurmt. Ich kenne den Mann, aber ich komme einfach nicht drauf, woher.«
»Es muss ein Insider sein«, überlegte sie. »Ein Polizist. Eigentlich fällt mir da als Erstes Joe Brandenburg ein.«
Brandenburg war einer der wenigen Polizisten des NYPD, die von der Existenz des G-Teams wussten.
»Nein, seine Stimme war es nicht«, erklärte Cotton. »Die kenne ich zur Genüge. Außerdem wäre das auch nicht sein Stil. Was hätte er von dieser Geheimnistuerei? Brandenburg geht direkte Wege. Er redet direkt mit den Leuten, mit denen er reden will. Und manchmal wendet er auch noch Gewalt an. Aber so eine Tour hintenrum – das passt nicht zu ihm.«
»Stimmt. Er ist auch nicht gerade für eine subtile Vorgehensweise bekannt.«
Sie wischte eine Weile auf ihrem Handy herum.
»Also gut, hier habe ich einiges«, meinte sie schließlich. »Crowes Vorgehensweise. Er lernt seine Opfer in Bars kennen. Es sind keine Gäste, sondern sie arbeiten dort.«
»Nutten?«
Sie sah ihn spöttisch an. »Nicht immer an das eine denken, Cotton. Nein, es handelte sich meist um Frauen, die eine oder mehrere gescheiterte Beziehungen hinter sich hatten, die frustriert waren, was Männer betraf …«
»Kurz, die Hälfte der weiblichen New Yorker Bevölkerung …«
»… und die sich freuten, dass sich ein gut aussehender Mann für sie interessierte«, sprach Decker weiter, ohne Cottons Bemerkung zu beachten. »Offenbar hat er ziemlich raffiniert und gleichzeitig deutlich zur Schau gestellt, dass er über Geld verfügt. Damit hat er die Frauen endgültig beeindruckt.«
»Wie alt ist Crowe?«
»Er ist heute neunundvierzig Jahre alt. Und was das gute Aussehen betrifft – er ist ein Meister darin, in der Sache ein wenig nachzuhelfen.«
»Was soll das denn heißen? Benutzt er Feuchtigkeitscreme und Wimperntusche?«
»So ähnlich. Zeugen haben ausgesagt, dass er sogar unterschiedliche Haarfarben besaß. Mal dunkel, mal blond. Er maskiert sich. Und das so gut, dass die Frauen das nicht merken. Er benutzt Perücken oder färbt sich das Haar. Wir haben nur sehr wenige Fotos von ihm, auf denen man ihn wirklich erkennen kann. Sie sind auch schon älter.«
»Aber irgendjemand muss uns doch beschreiben können, wie er wirklich aussieht. Hat er keine Verwandten?«
»Er war wohl mal verheiratet. Ist lange her. Und er hat einen Bruder. Er ist Immobilienmakler in New York.«
»Wow. Volltreffer. Fahren wir gleich zu ihm. Wo finden wir ihn?«
Sie las weiter. Schließlich schüttelte sie den Kopf. »Nein, das wird nichts. Der Bruder lebt nicht mehr.«
»Wurde er auch ermordet? Oder hat er seinen Tod auch vorgetäuscht?«
»Nein, der ist wirklich tot. Und zwar seit Jahren. Er kam bei einem Flugzeugabsturz in Europa ums Leben. Schon bei den früheren Ermittlungen haben die Kollegen versucht, ihn aufzuspüren. Das ist wasserdicht. Ah – und hier noch was Interessantes. Crowe hat von dem Bruder eine Stange Geld geerbt. Es ist wohl dieses Kapital, das er einsetzt, um sich an die Frauen heranzumachen.«
»Also gut«, meinte Cotton. »Dann ziehen wir die Sache jetzt mal anders auf. Kümmern wir uns um das letzte Opfer. Deborah Harris.«
*
Eine Stunde später betraten sie das Hauptquartier des G-Teams. Kurz vor dem Yankee-Stadion waren sie in einen Stau geraten, und so hatte es etwas länger gedauert. Cotton und Decker gingen gleich in Zeerys Computerraum. Um Zeit zu sparen, hatten sie ihn von unterwegs aus angerufen.
»Keine Sorge.« Der IT-Experte grinste ihnen aus seinem runden Gesicht entgegen. »Ich habe mal wieder vorausgeahnt, was ihr alles braucht.« Er saß zwischen seinen zahlreichen Computern, die von gigantischen Bildschirmen gekrönt wurden.
Routiniert klickte er herum und holte Informationen auf den größten Schirm. Das Foto einer dunkelhaarigen Frau erschien. Darunter standen ihr Name und ihr Geburtsdatum: Deborah Harris, geboren 1974. »Hier haben wir ein offizielles Foto des Opfers vom Mai«, erklärte er. »Das letzte Telefonat auf ihrem Handy führte sie mit einer Freundin. Und das war auch genau der Tag, an dem sie zum letzten Mal gesehen wurde. Wahrscheinlich war das auch ihr Todestag. Während sie telefonierte, befand sie sich im Village, in der Nähe vom Washington Square.«
Cotton und Decker wechselten einen Blick. Der Täter war also tatsächlich in New York!
»Wer war diese Freundin?«, fragte Cotton.
»Ich hätte es dir schon gesagt«, seufzte Zeery und holte ein weiteres Foto auf den Schirm. Zu sehen war eine jüngere Frau – aschblond, mit rundem Gesicht. Unter dem Bild stand der Name: Linda Jones. Sie war fünfunddreißig Jahre alt. »Und ehe du mich das auch noch fragst: Sie wohnt in Queens, Elbertson Street, Ecke 43. Avenue.«
»Das heißt, Crowe hat sich mit seinem Opfer Deborah Harris am Washington Square getroffen«, stellte Decker klar. »Was haben sie dann gemacht?«
»Wahrscheinlich einen Ausflug«, sagte Cotton. »Sie wird dort zu ihm ins Auto gestiegen sein.«
»Er hat kein Auto«, meinte Decker.
»Sie können ein Taxi genommen haben. Und dann hat er sie irgendwo umgebracht. Die Stelle, wo die Leiche lag, ist weit entfernt. Zwischen dem Washington Square und dem Harriman State Park kommt jeder Ort als Tatort infrage.«
»Ob wir den Taxifahrer ausfindig machen können, der sie damals chauffiert hat?«, fragte Cotton.
Decker schüttelte den Kopf. »Nach zwei Monaten? Vergessen Sie’s.«
»Ich unterbreche ungern«, schaltete sich Zeery ein. »Aber so war’s nicht. Das Handy blieb noch eine Weile in diesem Bereich. Genauer gesagt, fast drei Stunden. Erst dann wurde es abgeschaltet.«
»Dann haben sie den Mai im Park genossen«, meinte Cotton. »Soll ja sehr romantisch sein.«
»Sie haben keine Ahnung von wahrer Romantik«, meinte Decker. »Meinen Sie, es macht Eindruck auf eine Frau, wenn sie mit ihrem Verehrer am Abend in einem Park herumsitzen muss?«
»Ach? Ich dachte, so ein lauschiger Abend in der Natur wäre das Romantischste überhaupt? Was meinen Sie denn, was die beiden gemacht haben?«
»Wie wir aus den Akten wissen, hat Crowe mit Geld geprotzt. Und wie setzt man Geld gegenüber Frauen geschickt ein?«
»Frag nicht mich, ich habe keins«, ließ sich Zeery hören. »Aber dank dir wird mir in Bezug auf Frauen einiges klar.«
»Man schenkt ihnen etwas?«, fragte Cotton. »Schmuck? Oder ein Kleid?«
»Nah dran«, erklärte Decker. »Aber vorher kommt noch was anderes. Denken Sie doch mal nach.«
Cotton und Zeery sahen sie ratlos an.
»Man führt sie zum Essen aus. Schon mal was davon gehört? Wir müssen schauen, welche noblen Restaurants es da in der Nähe gibt … Vielleicht finden wir ja noch mehr Zeugen. Und wir reden natürlich mit dieser Linda … Kommen Sie, wir müssen uns beeilen … Worauf warten Sie noch …?«
»Vorher würde ich gerne ein Wort mit Special Agent Cotton sprechen.«
Sie wandten sich um, und da stand wie aus dem Boden gewachsen Mr High. Niemand hatte mitbekommen, dass der Chef des G-Teams den Raum betreten hatte.
»Bitte folgen Sie mir, Agent Cotton.«
Decker und Zeery schwiegen. Cotton ging mit in den Raum hinter der Glastür. »Was ist das für eine Geschichte mit dem anonymen Anruf?«, fragte Mr High.
»Ich kann es mir nicht erklären, Sir. Eine anonyme Person hat telefonisch den Verdacht geäußert, dass Crowe noch am Leben ist. Es hat sich gezeigt, dass dieser Verdacht mehr als berechtigt ist.«
Cotton schilderte in kurzen Worten, was Scardale ausgesagt hatte.
»Auch die Polizei ist nicht perfekt«, sagte Mr High. »Man muss immer mit den Unzulänglichkeiten Einzelner rechnen.«
»Das ist mir klar, Sir.«
»Dieser Scardale hat einen Fehler gemacht, weil er durch die Geschichte mit seinem Sohn abgelenkt war. Und weil er ein bisschen selbstherrlich ist.«
Ein bisschen?, dachte Cotton. Na ja …«
»Der Schmerz über den Tod seines Sohnes war so schlimm, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass Crowe überlebt hat«, fuhr Mr High fort. »Leider gibt es immer wieder Leute, die genau solchen Geschichten auf der Spur sind, um die Behörden oder sogar einzelne Mitarbeiter bloßzustellen.«
Cotton nickte. »Wir haben schon einiges ermittelt und gehen jetzt natürlich auch davon aus, dass Crowe selbst der Täter der letzten drei Morde ist.«
»Nehmen Sie sich unbedingt in Acht. Wenn auch nur die geringste Gefahr besteht, dass der Unbekannte, der Sie angerufen hat, etwas von der Existenz des G-Teams weiß, müssen wir Konsequenzen ziehen.«
»Im Moment deutet nichts darauf hin.«
»Also gut, Cotton. Finden Sie nicht nur Crowe, sondern auch diesen Mann. Bevor er noch mehr über uns herausfindet.«
*
»Hat er Ihnen wegen des anonymen Anrufs den Kopf gewaschen?«, wollte Decker wissen, als Cotton in das Großraumbüro zurückgekehrt war.
»Ich dachte, Sie kennen unseren Chef? So was würde er nie machen. Er geht raffinierter vor und versucht, seine Leute zu motivieren. Sollten Sie auch mal versuchen.«
Decker verzog den Mund zu einem Grinsen. »Ach, er war der Ansicht, dass Sie Motivation nötig haben? Das war mir schon am ersten Tag klar, als Sie hier aufgetaucht sind.«
Cotton hatte keine Lust, sich mit Decker herumzustreiten. »Wir müssen eine Menge abklären«, sagte er. »Verlieren wir keine Zeit.«
»Während Ihres Rendezvous mit Mr High habe ich mit Zeerys Hilfe schon einiges gecheckt«, sagte sie. »Diese Linda Jones, mit der das letzte Opfer telefoniert hat, ist telefonisch nicht zu erreichen. Wir sollten ihr auf jeden Fall einen persönlichen Besuch abstatten. Sie ist eine sehr wichtige Zeugin. Vielleicht hat Deborah Harris ihr etwas über ihren mörderischen Verehrer erzählt. Außerdem haben wir gecheckt, welche noblen Restaurants es in der Nähe von Washington Square gibt. Für Insider ist die absolute Top-Adresse das Alfonso.«
»Ein Italiener?«
»Pasta, Saltimbocca, Chianti, Trüffellasagne … Zeery hat mir im Internet die Speisekarte gezeigt.«
»Danke, mir ist eine Pizza lieber. Und dazu ein Bier.«
Sie lächelte süffisant. »Oder Sie bleiben bei ihrem Glenfiddich.«
»Talisker«, stellte Cotton klar. »Nichts anderes. Und diesen ganzen kulinarischen Schnickschnack aus Europa brauche ich auch nicht. Die Frauen, mit denen ich ausgehe, noch viel weniger.«
»Wenn Sie wüssten, Cotton. Aber Sie werden es nie lernen. Ich habe dann gleich noch eine dritte Adresse, die wir abklappern müssen. Das ist wohl eher Ihr Fall. Die Bar, in der Deborah Harris gearbeitet hat. Immerhin ist Crowe dort gewesen, wenn er nach dem üblichen Muster vorging. Er sprach seine Opfer ja dort an, wo sie gearbeitet haben. Sie liegt in Jamaica.«
Cotton wusste, dass nicht das südamerikanische Land gemeint war, sondern ein östlich gelegener Vorort von New York gleichen Namens, der als sozialer Brennpunkt galt. Dort seine Opfer aufzugabeln, war ein weiterer Schachzug von Crowe. Eine Frau, die in einer Bar in Jamaica arbeiten musste, war sicher leicht mit Geld und Luxus zu beeindrucken.
»Ein Vorschlag«, sagte Cotton. »Wir ermitteln getrennt, das spart Zeit. Ich fahre zu diesem Restaurant und zu der Bar. Sie übernehmen Linda Jones. Wir bleiben in Kontakt. Wenn ich in der Bar fertig bin, treffen wir uns wieder.«
»Kein schlechter Plan«, gab Decker zu. »Und wer kümmert sich um die zweite Baustelle?«
»Was meinen Sie?«
»Der unbekannte Anrufer.«
Cotton seufzte. »Zeery muss die Telefonleitungen im Auge behalten. Wenn sich der Mann noch mal meldet, kriegen wir ihn.«
Decker verzog den Mund. »Wenn er so dumm ist.«
»Man soll die Hoffnung nicht aufgeben. Dummheit stirbt nicht aus.«
*