Crashing Stars - Jennifer Estep - E-Book

Crashing Stars E-Book

Jennifer Estep

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Beschreibung

Vesper Quill arbeitet für den mächtigen Großkonzern Kent Corp. Als sie erkennt, dass dessen neu entwickelte Raumschiffserie erhebliche Sicherheitsrisiken aufweist, ist ihr Name plötzlich in aller Munde – und steht ganz oben auf der Eliminierungsliste von Kent Corp. Von Feinden umgeben, muss Vesper um ihr Leben kämpfen. Dabei kommt ihr der Elitesoldat Kyrion Caldaren gefährlich nahe, doch statt sie zu töten, beharrt er darauf, dass zwischen ihren Seelen ein magischer Bund besteht – einer, der ihnen beiden zum Verhängnis werden könnte.

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch

© Jennifer Estep 2022

Published by Arrangement with Jennifer Estep

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Only Bad Options« 2022

© der deutschsprachigen Ausgabe:

Piper Verlag GmbH, München 2024

Redaktion: Regina Jooß

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Coverabbildung: Markus Weber, Guter Punkt, München, unter Verwendung von Motiven von iStock / Getty Images Plus und Adobe Stock

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Zitat

Teil 1 – Augen und Arrows

1 Vesper

2 Vesper

3 Vesper

4 Vesper

5 Kyrion

6 Vesper

7 Kyrion

8 Vesper

9 Kyrion

10 Vesper

11 Kyrion

Teil 2 – Edle und Gerüchte

12 Vesper

13 Vesper

14 Kyrion

15 Vesper

16 Vesper

17 Vesper

18 Kyrion

19 Vesper

20 Kyrion

21 Vesper

22 Kyrion

Teil 3 – Türen und Dunkelheit

23 Vesper

24 Vesper

25 Vesper

26 Kyrion

27 Kyrion

28 Vesper

29 Vesper

30 Kyrion

31 Vesper

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für meine Mom – für alles.

Für meine Grandma – die mich zu dem Titel inspiriert hat.

Für mich selbst – weil ich etwas anderes ausprobiert und ein Buch geschrieben habe, das von Herzen kommt.

Truebonds sind wie Sturmschwerter. Alle wollen sie, aber nur wenige Leute wissen, wie man sie korrekt verwendet – oder dass sie einen in Stücke schlagen können.

Unbekannter Autor

1 Vesper

Manchmal hat das Leben nur schlechte Alternativen zu bieten.

So kannst du dich am Vormittag als Wirtschaftsspionin betätigen, bis zum Mittag Whistleblowerin werden und dann versuchen, bis Mitternacht nicht ermordet zu werden.

Diese Gedanken – und ein Dutzend verstörende Visionen meiner eigenen potenziellen Ermordung – schossen mir durch den Kopf, als ich auf dem Sofa kauerte und auf den niedrigen Tisch vor mir starrte.

Schraubenzieher, Lasercutter und andere kleine Werkzeuge bedeckten die verkratzte Oberfläche aus Holzimitat, zusammen mit farbenfrohen Gelstiften und durchsichtigen Plastipapieren, auf die Pläne verschiedenster Geräte gezeichnet waren, von Schockstäben bis hin zu Handschuhen, die das Gefühl und Aussehen menschlicher Haut nachahmten. Gekritzelte Zeichnungen von blauen Augen und schwarzen Pfeilen zierten die Ränder des dünnen, wiederverwendbaren Plastipapiers. Denn diese seltsamen Symbole verfolgten mich bis in meine Träume, seit ich denken konnte. Kabel schlängelten sich unter dem Papier heraus, und auf der Ecke des Tisches stand ein Becher mit den Resten eines Himbeer-Proteinshakes, der das durchsichtige Plastik hässlich pink verfärbt hatte.

Ich beugte mich vor, griff nach dem kleinen Raumschiffmodell in der Mitte des Chaos und drehte es langsam in den Händen. Das billige Plastikmodell war ein wenig größer als meine Handfläche, geformt hatte es einer der multidimensionalen Drucker bei der Kent Corporation, der Firma, in der ich im Forschungs- und Entwicklungslabor arbeitete. Ja, ich war eine Laborratte, dafür verantwortlich, Fehler in den Konstruktionen der Kent Corporation zu beheben und neue Produkte für die Firma im Besitz einer edlen Familie zu entwickeln, um noch mehr Geld auf die Konten von Haus Kent zu spülen.

Auf der Seite des Modells prangte der Name Velorum – genau dort, wo er auch auf dem eigentlichen Raumschiff gestanden hatte. Ich ließ die Fingerspitzen über die Buchstaben gleiten, folgte den kleinen Vertiefungen und Wirbeln. Kent-Produkte hatten immer prahlerische, grandiose Namen, egal ob es um einen neuen Raumkreuzer, einen solarbetriebenen Blaster oder einen Dosenöffner ging.

Ich schnaubte. Hybris wäre ein viel passenderer Name gewesen, besonders, wenn man den kleinen, aber tödlichen Fehler im Design des Kreuzers in Betracht zog.

Ich hörte Schritte, dann schlurfte eine Frau in den Raum, in dem ich saß und das Raumschiffmodel umklammerte wie ein bockiges Kind, das sich weigerte, sein Lieblingsspielzeug herzugeben.

Die Frau um die dreißig trug einen hellbeigen Hosenanzug, der ihren fitten Körper umschmeichelte. Schwarze Stilettos machten sie noch größer, als sie sowieso schon war. Goldener Lidschatten und Eyeliner betonten ihre dunkelbraunen Augen, und der pflaumenfarbene Lippenstift hob die ebenholzschwarze Haut hervor. Ihr dunkelbraunes Haar war tief im Nacken zu einem strammen Dutt gebunden, und um ihren Hals hing eine Kette aus schweren, goldenen Gliedern.

Ihr schickes Auftreten stand in starkem Kontrast zu meinem Outfit: ein formloser, weißer Laborkittel über einem langärmligen, grauen Hemd und der dazu passenden Cargohose sowie Arbeitsstiefeln.

Die Frau gähnte, ihre Augen waren noch vom Schlaf verquollen. »Wieso machst du dich an diesem Modell zu schaffen? Ich dachte, du hättest den Bericht zum Velorum-Absturz letzte Woche abgegeben?«

»Ich wünsche dir auch einen guten Morgen, Tivona«, antwortete ich, ohne auf ihre Frage einzugehen.

Sie schüttelte sich angewidert, bevor sie in die winzige Küche trat. »So etwas wie einen guten Morgen gibt es nicht, und schon gar nicht gilt das für einen Montagmorgen.«

Tivona Winslow mochte eine tolle Verhandlungsführerin sein, aber sie war definitiv kein Morgenmensch. Trotzdem: Ihre Schwäche für lange Nächte passte gut zu meiner Früh-aus-dem-Bett-und-Dinge-erledigen-Mentalität, denn auf diese Art waren wir selten gleichzeitig zu Hause. Das erleichterte unser Zusammenleben in der kleinen Drei-Zimmer-Wohnung, weil wir selten zur selben Zeit das Bad benutzen mussten.

Tivona grinste breit und blinzelte anzüglich. »Auch wenn das Wochenende sehr unterhaltsam war. Besonders der Samstagabend.«

Trotz der Anspannung, die meinen Körper erfüllte, lachte ich. »Lass mich raten. Du hast die wahre Liebe auf der Tanzfläche gefunden und wieder verloren, dank eines Chembond-Cocktails.«

»So in der Art.« Tivona rümpfte die Nase. »Auch wenn der Kerl am nächsten Morgen bei Weitem nicht mehr so süß und charmant war.«

»Das sind sie nie, wenn ein Chembond mit im Spiel ist …«

Tivona wedelte mit der Hand, um meinen Vortrag abzuwehren. »Ich weiß, ich weiß. Ein Chembond ist nicht real.« Sie seufzte sehnsüchtig. »Aber solange er anhielt, hat es Spaß gemacht. Du solltest es irgendwann mal versuchen, Vesper.«

Ich verdrehte die Augen. »Nein, vielen Dank auch. Ich habe jeglichen Beziehungen abgeschworen, schon vergessen? Besonders chemisch induzierten. Sie vergehen sogar noch schneller als normale.«

Tivona hob bei meinem bitteren Tonfall eine Augenbraue. »Was hast du noch mal nach der Trennung von Conrad gesagt? Dass Anziehungskraft, Verlangen und Liebe nichts anderes sind als Effekte der Hirnchemie. Du hast etwas von Dopamin und Lustzentren und ähnlich technischem Kram gemurmelt, so wie immer.«

Ich schob das Kinn vor. »Und ich stehe zu jedem einzelnen Wort.«

Diesmal seufzte ich, erfüllt von der Melancholie, die mich verfolgte wie ein schlechter Traum. »Vielleicht hast du recht. Vielleicht sollte ich mal mit dir durch die Clubs ziehen, mit jemandem einen Cocktail trinken und einfach schauen, was passiert. Zumindest weiß man bei einem Chembond, was einen erwartet – und nach ein paar Stunden ist es wieder vorbei.«

Anders als mein aktueller Liebeskummer, der jetzt schon seit Monaten anhielt.

Tivona musterte mich voller Mitgefühl. »Diese Sache mit Conrad wird auch vorbeigehen. Vor allem, wenn du mal die Wohnung verlässt und jemand Neuen kennenlernst. Du wirst schon sehen, Vesper. An Conrad wirst du bald schon gar nicht mehr denken.«

Ihre fröhlichen Worte waren vollkommen unschuldig, aber sie hallten in meinem Kopf wider wie eine Sirene, die mich vor etwas Schlimmem warnen sollte. Ich unterdrückte ein Schaudern und bemühte mich, die Magie zu ignorieren, die ein Gefühl auf meiner Haut erzeugte, als läge ich auf einem Meditisch und würde mit Nadeln traktiert.

Tivona drückte einen Knopf an dem Brühmeister auf der Küchenarbeitsfläche. Sofort stieß er eine Reihe von hohen Pieptönen aus, fast als wollte die Maschine mit ihr reden. Flüssigkeit ergoss sich in eine Chromkanne, und der vielschichtige Duft von Schokoladenespresso erfüllte die Luft. Er sah viel appetitlicher aus als mein zähflüssiger Himbeershake – und roch auch besser.

Brühmeister war eigentlich eine falsche Bezeichnung, da es sich um einen Nahrungsgenerator handelte, der alles, vom Rührei über Haferflocken mit Mandeln bis zu einem essbaren Steak, produzieren konnte – je nachdem, welche Protein-Pods man einlegte. Aber die Leute nannten die Geräte Brühmeister, weil sie überwiegend verwendet wurden, um Getränke zu generieren: Kaffee, Tee, Proteinshakes. Egal, wie fortgeschritten die verwendete Technologie auch sein mochte, die Leute liebten es immer noch, Koffein, Ginseng und andere Stimulanzien zu konsumieren, gepaart mit riesigen Mengen raffiniertem Zucker.

Tivona atmete einmal tief durch. »Ah! Ich werde das nie öffentlich zugeben … schließlich bin ich rechtlich dazu verpflichtet, zu behaupten, dass Kent-Produkte in ihrer ursprünglichen Form perfekt sind, und sie gegen alle Klagen zu verteidigen … aber deine Verbesserungen an diesem Brühmeister haben es wirklich gebracht. Espresso in weniger als zehn Sekunden, in der perfekten Temperatur, sodass man sich nicht den Mund verbrennt? Das ist genial, Vesper.«

»Du weißt doch, wie gern ich an Sachen herumbastele.«

Tivonas dunkler Blick huschte über das Chaos aus Werkzeugen, Plastipapieren und Kabeln auf dem Tisch vor mir, dann runzelte sie missbilligend die Stirn. »So kann man es natürlich auch ausdrücken.«

Als wir vor drei Jahren zusammengezogen waren, hatten Tivona und ich das Wohnzimmer in zwei Hälften geteilt. Ihre Seite, zu der auch die Küche gehörte, war makellos sauber. Alles war immer ordentlich aufgeräumt – wie die Masse von Tassen in den Schränken – oder in ordentlichen Stapeln organisiert – wie die neuesten Verträge, an denen sie gerade arbeitete, auf dem Küchentisch.

Meine Seite des Raums, die das Sofa und den Couchtisch beinhaltete, war viel weniger organisiert. Wie Tivona häufte ich Dinge gerne zu Stapeln auf, meine waren aber unordentliche Berge, in denen sich von alten Anleitungen bis zu Bauteilen alles tummelte. Ich fand die Unordnung gemütlich und tröstend, Tivona aber trieb sie fast in den Wahnsinn. Mehr als einmal hatte sie mich herausgefordert, ein bestimmtes Plastipapier oder Werkzeug zu finden, in der Hoffnung, mich so zum Aufräumen zu animieren. Doch ich hatte den betreffenden Gegenstand immer innerhalb von Sekunden gefunden, wie ein altmodischer Magier, der ein Kaninchen aus dem sprichwörtlichen Hut zauberte. Immer zu wissen, wo sich Dinge gerade befanden, gehörte zu den wenigen Vorteilen von Sehermagie.

Obwohl Tivona starke Tendenzen zur Ordnungsfanatikerin zeigte, war sie eine echte Freundin und bei Weitem die beste Mitbewohnerin, die ich je gehabt hatte – hauptsächlich, weil wir uns nicht allzu oft sahen. Nicht einmal in der Kent Corporation, wo wir beide arbeiteten. Mich persönlich mit ihr zu unterhalten, war ein seltenes Vergnügen, keine tägliche Verpflichtung.

Tivona goss ihren Schokoladenespresso in eine riesige Tasse, dann ließ sie sich aufs Ende des Sofas fallen. Sie griff nach der Fernbedienung auf dem Beistelltisch, der auf ihrer Seite des Raums stand, und drückte einen Knopf. Dadurch erwachte der Holoscreen in der gegenüberliegenden Wand zum Leben. Gähnend gönnte sie sich einen Schluck Espresso, den Blick auf ihre liebste Tratschsendung gerichtet.

»Und jetzt haben wir Neuigkeiten für euch über den fortdauernden Konflikt zwischen dem Imperium und der Techwave …« Die Sprecherin der Tratschsendung spulte eintönig eine weitere Variation einer Geschichte ab, die ich schon Hunderte Male gehört hatte.

Das Imperium unter Führung von Lord Callus Holloway und anderen adeligen Familien, die als Edle bezeichnet wurden, war eine der dominanten Mächte in der Archipel-Galaxie, zusammen mit der etwas weniger mächtigen Techwave und den Erztons. Jede Gruppe konzentrierte sich auf andere Bereiche, die von ihr beherrscht wurden. Im Imperium drehte sich alles um Magie, Genetik und Blutlinien, während die Techwave solch altmodische Dinge verabscheute und sich auf innovative Technologien, Experimente und Waffen fokussierte. Die Erztons blieben neutral, sie verkauften Mineralien, Holz und andere Rohstoffe sowohl an das Imperium als auch an die Techwave … sowie an andere wohlhabende Organisationen und Personen. Grundsätzlich ließen sich die drei Gruppen mit den Worten Magie, Technik und Mineralien verbinden, auch wenn sie alle einsetzten, was auch immer sie in die Finger bekamen, um noch mehr Reichtum, Waffen, Macht und Ressourcen anzuhäufen.

Zwischen dem Imperium und der Techwave bestanden schon seit Jahren Spannungen, aber in letzter Zeit waren die Feindseligkeiten offen ausgebrochen. Die Techwave hatte mehrere Firmen von edlen Familien angegriffen und alles gestohlen, was nicht niet- und nagelfest war. Angeblich wollte die Techwave – deren Angehörige auch Techwaver genannt wurden – persönliche Verbesserungen, Waffen in Militärstandard und andere fortgeschrittene Technologien allen zugänglich machen, um so gleiche Chancen für die magiebegabten Edlen und das einfache Volk zu schaffen. Eigentlich wollte die Techwave aber nur die Galaxie beherrschen, so wie Callus Holloway es seit dreißig Jahren tat.

Ich verspürte wenig Zuneigung zum Imperium und noch weniger für die Edlen mit ihren aufgeblasenen Adelshäusern, esoterischen Gesellschaftsnormen und ihrer absoluten Entschlossenheit, Magie, Bündnisse und Blutlinien über alles andere zu stellen – aber zumindest hielt Callus Holloway ein gewisses Maß an Recht und Ordnung aufrecht. Anders als die Techwaver, die kaum mehr als Terroristen waren, die sich nahmen, was sie wollten, und Tod und Zerstörung hinter sich zurückließen.

Wie auf Temperat 33.

Vor zwei Monaten war dort der Velorum-Raumkreuzer bei seinem Jungfernflug kurz nach dem Start abgestürzt. Alle an Bord waren umgekommen, zusammen mit Hunderten von Menschen am Raumflughafen auf dem Boden. Ich hatte zu dem guten Dutzend Laborratten gehört, die ausgeschickt worden waren, um die rauchenden Reste des Schiffes zu untersuchen. Eine Gruppe von Techwavern hatte das Chaos des Absturzes und die Folgen genutzt, um in die Büros der Kent Corporation auf Temperat 33 einzubrechen und Informationen über die neueste Waffenlinie der Firma zu stehlen. Dabei hatten sie mehrere Gebäude in Stücke gesprengt.

Für eine Gruppe, die angeblich dafür sorgen wollte, dass es allen besser ging, hatten sich die Techwaver erstaunlich wenig darum gekümmert, wen sie verletzten, solange sie nur bekamen, was sie wollten. Gierige Mistkerle. Andererseits … in der Archipel-Galaxie rebellierte eigentlich immer irgendjemand gegen jemand anderen.

»Die Kämpfe werden gerade besonders intensiv auf Magma 7 geführt, wo die Techwave vor drei Tagen eine große Metallraffinerie übernommen hat«, fuhr die Sprecherin fort. »Das Imperium hat bei dem Versuch, die Raffinerie zurückzuerobern, große Verluste hingenommen. Ein weiterer Angriff soll im Verlauf des heutigen Tages stattfinden. Die Soldaten des Imperiums hoffen, die Techwaver endlich aus ihrer befestigten Stellung innerhalb der Raffinerie aufzuscheuchen …«

In anderen Worten: Beide Seiten würden die Raffinerie beschießen, um sich dann zurückzuziehen und sich die Wunden zu lecken. Noch eine wenig überraschende Tatsache.

»Und nun zu angenehmeren Themen: Der Frühlingsball, der diese Woche auf Corios stattfindet.«

Tivona quietschte vor Begeisterung. »Endlich!«

Wie viele andere verfolgte Tivona das Treiben der Edlen mit großem Interesse – besonders, wenn es um ihre aufwendigen Feierlichkeiten auf Corios, dem Heimatplaneten der Edlen, ging. Während ich mich bemühte, die permanenten Klatschsendungen zu ignorieren, da sie mich immer daran erinnerten, wie ich zurückgelassen worden war, und alte Wunden aus meiner Kindheit aufrissen.

Die Sprecherin grinste in die Kamera und zeigte dabei ihre leuchtend weißen Zähne. »Der Frühlingsball gehört zu den am sehnlichsten erwarteten Events der Saison. Es wird allgemein damit gerechnet, dass dabei mehrere Verlobungen bekannt gegeben werden. Anonyme Quellen behaupten, dass eine davon Kyrion Caldaren betrifft, den aktuellen Anführer der Arrows, der Elite-Kampftruppe des Imperiums.«

Jetzt zeigte der Holoschirm eine schattenhafte Gestalt in dunkler Kleidung, die durch einen rauchgefüllten Flur auf irgendeinem Raumschiff stapfte. Der Mann trug einen dunklen Helm, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte, aber das war auch gar nicht nötig. Allein die große, eindrucksvolle Silhouette und das Sturmschwert in seiner Hand reichten, um jedem mit einem Mindestmaß an gesundem Menschenverstand Angst einzujagen.

Tivona stieß noch einen begeisterten Quietschlaut aus, vollkommen gefesselt von den Bildern auf dem Schirm. Nun, zumindest ging es bei dieser Sendung um jemanden, den ich noch nie getroffen hatte, was sie für mich leichter erträglich machte.

»Kyrion Caldaren ist der Sohn des verstorbenen Lord Chauncey Caldaren und seiner Frau, Lady Desdemona«, fuhr die Sprecherin fort, als wüssten das nicht längst alle. »Er ist außerdem das aktuelle Oberhaupt von Haus Caldaren und kontrolliert damit das beträchtliche Caldaren-Vermögen. Diverse edle Lords und Ladys haben über die Jahre versucht, Kyrions Blick auf sich zu ziehen, doch bisher hat er sich noch von niemandem angeln lassen. Vielleicht hat jemand beim Ball ja das Glück, sein Interesse zu erregen.«

Die Sprecherin zwinkerte glucksend in die Kamera, als wäre Kyrion Caldaren eine fette Forelle, die nur darauf wartete, aus dem Becken einer Aqua-Farm geholt zu werden.

Ich verdrehte die Augen. »Als würde sich irgendwer, der bei klarem Verstand ist, mit dem berüchtigtsten Killer der Galaxie verloben … oder ihn sogar heiraten. Komm schon. Der Mann hat angeblich als Teenager seinen eigenen Vater ermordet, um die Kontrolle über das Haus zu übernehmen.«

Tivona wedelte irritiert mit der Hand, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden. »Still!«

Die Sprecherin fuhr fort, die vielen vermeintlichen Tugenden von Kyrion Caldaren aufzuzählen, wobei sie großzügig unter den Teppich kehrte, dass die Arrows die tödlichsten Krieger der Galaxie waren, deren Hauptaufgabe darin bestand, systematisch die vielen Feinde von Callus Holloway auszumerzen. Was Kyrion Caldaren den Gerüchten zufolge mehr als einmal getan hatte.

Aber unter den Edlen stellte Kyrion Caldaren einen wirklich guten Fang dar. Und das war auch nicht die erste Sendung, in der darüber spekuliert wurde, wen er letztendlich – auch ohne Truebond – heiraten würde. Andererseits, er war reich genug, um jede Form von Chembond zu implementieren, so lange er das wollte. So etwas war nicht ungewöhnlich unter den Edlen – besonders, da Truebonds so selten waren, selbst unter den Psions, Sehern, Spelltechs, Siphons und den anderen Magiebegabten.

Plötzlich schlich sich die Stimme meiner Mutter in meinen Kopf. Ich sollte wieder auf Corios sein. Ich sollte Teil der edlen Gesellschaft sein, statt auf einem nutzlosen Planeten zu verrotten, gefangen in einem nutzlosen Leben mit einem vollkommen nutzlosen Kind.

Ein stechender Schmerz durchfuhr mein Herz wie ein Bohrer, der sich in eine Stahlplatte gräbt. Ich verzog das Gesicht und wünschte mir, ich könnte dieses Gespräch vergessen – eines der letzten Gespräche, das meine Mutter Nerezza mit ihrer Cousine Liesl geführt hatte, bei der wir zu dieser Zeit gewohnt hatten. Aber mein perfektes Erinnerungsvermögen gehörte zu meiner Sehermagie, zumindest, wenn es um all die schrecklichen Dinge ging, die in meinem Leben vorgefallen waren – besonders das Verschwinden meiner Mutter. Nerezza hatte mich zurückgelassen, als ich sieben Jahre alt gewesen war … und selbst heute, dreißig Jahre später, hörte ich ihre harschen Worte noch genauso deutlich, als hätte sie sie gerade erst gesprochen.

»Vesper? Geht es dir gut?«, fragte Tivona. »Du siehst aus, als würdest du dieses Modell gleich in zwei Teile brechen.«

Tatsächlich umklammerte ich die Miniatur-Velorum mit aller Kraft so fest, dass das weiße Plastik protestierend knirschte. Ich löste meine Finger und warf das Modell auf den Tisch. »Es geht mir gut. Ich sollte ins Labor aufbrechen.«

»Woran arbeitest du jetzt?«, fragte Tivona. »Lässt du dir Dutzende neue Möglichkeiten einfallen, den Brühmeister zu verbessern? Obwohl er bereits perfekt ist?«

Ich zwang mich, ihre neckenden Worte mit einem Lächeln zu beantworten. »Das ist das Projekt, das ich morgen angehen werde. Heute muss ich noch ein paar Dinge im Bericht über den Velorum-Absturz nachbessern.«

Tivona prostete mir mit ihrer Tasse zu, dann nahm sie einen Schluck Kaffee und wandte sich wieder ihrer Tratschsendung zu.

Ich sammelte die Plastipapiere vom Tisch und klemmte sie mir unter den Arm. Nach einem kurzen Zögern schnappte ich mir auch das Velorum-Modell. Sobald meine Finger sich darum schlossen, spürte ich das Prickeln von Magie auf meiner Haut. Ein schwaches, silbernes Leuchten erhellte das Modell, während mir im selben Moment ein kalter Schauder über den Rücken lief.

Normalerweise hätte ich alles stehen und liegen gelassen und mich wieder auf die Couch gesetzt, um das Modell von allen Seiten zu untersuchen. Meine Sehermagie ließ oft Dinge aufleuchten … doch dann war es meine Aufgabe, herauszufinden, was genau mir meine Macht damit sagen wollte. Allerdings hallten die harschen Worte meiner Mutter immer noch in meinen Ohren wider, und der von ihrem Desinteresse ausgelöste Schmerz brannte in meinem Herzen, also starrte ich den Schein um das kleine Raumschiff nur böse an.

Geh weg!, zischte ich lautlos.

Das silberne Leuchten verging, doch das unangenehme Gefühl blieb. Selbst ohne Sehermagie wusste ich, dass meine Pläne für das Schiffsmodell mir eine Menge Ärger einbringen würden – wenn sie mich nicht sogar umbrachten.

2 Vesper

Ich ging in mein Schlafzimmer und ließ die Plastipapiere auf meinen Schreibtisch fallen. Für einen Moment erwog ich, auch das Velorum-Modell zurückzulassen … aber damit hätte ich quasi mein Spionage-Projekt aufgegeben, also stopfte ich es zusammen mit meinem restlichen Zeug in den grauen Rucksack. Dann verabschiedete ich mich von Tivona und verließ die Wohnung.

Inzwischen war es fast 8 Uhr galaktischer Zeit. Die Zwillingssonnen schienen hell vom Himmel. Warme Strahlen fielen auf die Solarpaneele, die die Wände und Dächer der niedrigen Betongebäude zierten wie die grünen Schuppen der riesigen Drachen, die auf Tropik 5 lebten. Leute ergossen sich aus den Gebäuden, um zur Arbeit oder in die Schule zu gehen, und ich reihte mich in den Strom der Menschen ein.

Drei Blocks später erreichte ich die Transporterstation und presste mich in den letzten Waggon. Ich klammerte mich an einem von der Decke baumelnden Handgriff fest und bemühte mich, nicht gegen die anderen Leute zu stoßen, die schwankend neben mir standen. In diesem Teil von Stahlstadt arbeiteten beinahe alle für dieselbe Firma, also trugen viele irgendeine Kombination in den Farben der Kent Corporation: helles Grau, dunkles Beige und dunkles Braun.

Einige Leute wippten mit dem Kopf, weil sie mit Ohrstöpseln oder Implantaten Musik hörten. Die wenigen Glücklichen, die einen Sitzplatz erobert hatten, hielten den Kopf gesenkt und den Blick auf ein Tablet auf dem Schoß gerichtet. Zwar lasen einige Bücher, viele schauten aber denselben Kanal, den auch Tivona eingeschaltet hatte. Gesichter und modische Kleidungsstücke huschten über die kleinen Bildschirme, während die Sprecherin weiter über den bevorstehenden Ball der Edlen redete. Wieder stieg Abscheu in mir auf, und ich verbrachte den Rest der schnellen Fahrt damit, angestrengt aus dem dreckigen Fenster auf die mit Solarpaneelen überzogenen Häuser zu starren, die an mir vorbeirasten.

Eine Viertelstunde später fuhr der Transporter an der wichtigsten Station am Rand des Geländes der Kent Corporation vor. Ich folgte dem Strom der Menschen, die auf die Security-Checkpoints zustrebten, an denen Wachen in dunkelbraunen Uniformen warteten. Die Wachen trugen alle Polyplastik-Helme mit durchsichtigen Visieren, auf denen ständig Informationen eingeblendet wurden. Außerdem konnten sie darüber mit ihren Kollegen kommunizieren. Alle trugen einen Blaster und einen Schockstock am Gürtel, eigentlich brauchten die Wachen diese Waffen aber gar nicht. Ihre Körper waren unglaublich muskulös, und viele von ihnen verlagerten ständig ihr Gewicht, sodass sie sich jederzeit nach vorn stürzen und jemanden zu Boden reißen konnten.

Alle, die für die Kent Corporation arbeiteten, bekamen irgendeine Art von physischer oder technologischer Verbesserung. Angeblich waren diese Verbesserungen ein Bonus – eine Vergünstigung, eine Belohnung für gute Dienste –, in Wirklichkeit dienten sie aber dem Zweck, uns kleine Arbeitsbienen schneller und besser arbeiten zu lassen und zu verhindern, dass wir im Job zu schnell ums Leben kamen. Die Wachen bekamen zusätzliche Stärke und Geschwindigkeit, während Verhandlerinnen wie Tivona mit Uhren, Kontaktlinsen und anderen Dingen ausgestattet wurden, die es ihnen erlaubten, Tausende Dokumente einzusehen – einfach, indem sie bestimmte Schlagworte aussprachen oder in einem bestimmten Rhythmus blinzelten.

Und ich? Ich hatte wie die meisten anderen Laborratten eine O2-Optimierung erhalten – also eine Verbesserung meiner Sauerstoffaufnahme. In meine Lunge war eine besondere Flüssigkeit injiziert worden, die ihre Aufnahme- und Arbeitsfähigkeit perfektionierte. Einfach ausgedrückt brauchte ich damit nicht so viel saubere Luft wie andere Leute. Außerdem zirkulierender Sauerstoff, der sich in meiner Lunge und meinem Blut befand, viel länger als gewöhnlich – und hielt mich damit auch länger am Leben.

Die meisten Leute kicherten, wenn ich ihnen von meiner O2-Optimierung erzählte. Zugegeben, man konnte damit keine andere Person mit dem Zeigefinger hochheben oder eine Meile in weniger als zwei Minuten laufen, um anzugeben. Tatsächlich war sie aber praktischer, als man denken sollte. Im Forschungs- und Entwicklungslabor kam es ständig zu Unfällen … und man wusste nie, welche giftigen Gase dabei freigesetzt wurden. Die O2-Optimierung schenkte mir wenigstens eine Chance, aus dem kontaminierten Bereich zu entkommen, bevor meine Lunge schmolz. Wenn man nach der Statistik ging, gehörte sie auch zu den besten Verbesserungen außerhalb des F&E-Labors, schließlich standen zweiundvierzig Prozent aller Todesfälle in Raumschiffen und Raumhäfen sowie deren Umgebung mit Sauerstoffmangel in Verbindung.

Als ich an der Reihe war, trat ich an den Checkpoint heran, zog meine ID-Karte durch das Lesegerät und wartete, bis der Strahl des biometrischen Scanners über meinen Körper geglitten war. Dann legte ich die linke Hand auf das Drehkreuz aus Metall, bis als letzte Bestätigung meiner Identität auch noch meine Fingerabdrücke gescannt worden waren. Das Licht schaltete auf Grün, und ich schob mich durch die Barriere. Keine der Wachen schenkte mir auch nur einen Blick, trotzdem lief mir erneut ein kalter Schauder über den Rücken.

Bisher hatte niemand Grund zu vermuten, dass ich nicht wie alle anderen den Regeln der Kent Corporation folgte, besonders, wenn es um den Velorum-Absturz ging. Das konnte sich jederzeit ändern, doch für den Moment stand ich nicht unter Verdacht, also schob ich meine ID-Karte in die Tasche meines Laborkittels und setzte mich in Bewegung.

Mit mehr als zehn Millionen Einwohnern war Stahlstadt eine der bevölkerungsreichsten Städte auf Temperat 42, auch wenn man das auf dem Gelände der Kent Corporation im Fertigungsbereich nie vermutet hätte. Üppige Rasenflächen aus echtem Gras, mit ebenfalls echten Hecken und Bäumen hier und dort erstreckten sich in alle Richtungen. Rote Ziegelwege zogen sich durch die Anlage, mit rostfarbenen Polyplastik-Bänken, die um Springbrunnen derselben Farbe standen. Das Einzige, was die Aussicht – und damit die Illusion – störte, waren die Wolkenkratzer aus Chrom und Glas, die hinter dem Gelände aufragten wie Riesen, die jederzeit ein Bein heben, den Fuß heftig senken und all die Angestellten zerquetschen konnten, die wie Ameisen am Boden herumwuselten.

Unzählige Leute in Geschäftsanzügen, Laborkitteln und Handwerker-Overalls eilten die Pfade entlang. Die meisten hielten den Kopf gesenkt und die Augen auf ihr Tablet gerichtet, außerdem hörten sie Musik über ihre Ohrstöpsel. Ich allerdings hielt das Gesicht ins Licht der Sonnen, um die zunehmende Wärme des Tages zu genießen. Ich atmete einmal tief durch und wurde vom Geruch nach frischem Gras angenehm überrascht, der kurz den Gestank der Abgase in der verschmutzten Luft verdrängte.

Temperat 42 hieß so, weil der Planet, nun ja, ein gemäßigtes Klima hatte, mit kurzen Wintern, viel Regen im Frühling, erträglich warmen Sommern und kühlen Herbsttagen. Die Kents und andere edle Familien wählten für die Hauptsitze ihrer Firmen fast immer solche Planeten in der Archipel-Galaxie – auch wenn es dabei mehr um die Interessen der hohen Tiere ging als um das Wohlbefinden der einfachen Arbeiterinnen und Arbeiter. Keiner der Edlen wollte, dass Fabriken wegen schwieriger Wetterbedingungen geschlossen werden mussten.

Als ich weiterging, entdeckte ich immer mehr Wachen. Sie wirkten wie vertrocknete, braune Blätter inmitten der grünen Landschaft. Wieder lief mir ein Schauder des Grauens über den Rücken und verstärkte mein Unwohlsein. Ich beschleunigte meine Schritte.

Zehn Minuten später erreichte ich das Hauptgebäude, hundert hoch aufragende Stockwerke aus Chrom und Glas, überzogen mit den allgegenwärtigen, grünlichen Solarpaneelen. Die Energie, die diese kleinen Kraftwerke erzeugten, half dabei, das Stromnetz der Stadt zu entlasten, an dem auch die Fabriken der Kent Corporation in der Umgebung hingen, die ständig verschiedenste Dinge produzierten – von Brühmeistern über Blaster bis zu Raumkreuzern.

Ich stellte mich am nächsten Checkpoint an, bestätigte meine biometrischen Daten und betrat das Gebäude. Genau wie an der Fassade gab es auch im Inneren jede Menge glänzendes Chrom und Permaglas, allerdings mit einem leicht grünlichen Schimmer von den außen befestigten Solar-Paneelen. Nirgendwo war ein einziger Fleck, ein Fingerabdruck oder auch nur ein Staubkorn zu sehen, nicht mal auf den großen, kastenförmigen Recyclern aus Chrom, die in den Ecken standen. Außerdem roch die kühle Luft nach absolut nichts.

In der Eingangshalle standen mehrere Security-Stationen verteilt, und hier gab es sogar noch mehr Wachen als draußen auf dem Gelände. Zwar beachtete mich keine davon, trotzdem erfüllte mich erneut Sorge. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob ich meinen Plan tatsächlich durchziehen sollte. Doch eigentlich war es zu spät für einen Rückzieher. Ich hatte schon letzte Woche die Übergabe der Dokumente zweimal verzögert, und mein Käufer würde unseren Deal kündigen – und damit auch sein Geld behalten –, wenn ich zum dritten Mal nicht wie versprochen lieferte.

Außerdem: Je länger ich wartete, desto größer war die Gefahr, dass noch mehr Leute starben.

Ich nahm die Schultern zurück und stapfte zu den Liften. Auch sie bestanden aus Permaglas. Ich quetschte mich zusammen mit mehr als drei Dutzend Leuten in eine der Kabinen, bis ich mich fast wie eine Sardine in einer Dose fühlte. Statt nach oben zu den Büros der Vertrags-, Marketing- und Verkaufsabteilungen zu fahren, sank dieser Aufzug immer weiter nach unten, in das Forschungs- und Entwicklungslabor im dritten Untergeschoss. Hier unten war es leichter, all die giftigen Chemikalien, eventuell auftretendes Blasterfeuer und alle anderen hässlichen Dinge einzudämmen, die wir Laborratten entwickelten – und die manchmal auch Chaos anrichteten.

Ich trat aus dem Aufzug – die erste Sardine aus der Dose – und scannte zum dritten Mal meine ID-Karte. Dabei stand ich auf einer Matte, die meine Stiefel mit ultraviolettem Licht desinfizierte. Ein leises Piepen erklang, und ich öffnete die Tür und trat in den Raum dahinter.

Das Forschungs- und Entwicklungslabor nahm das ganze unterste Stockwerk ein. Trotz der Tatsache, dass es eine gute halbe Meile unter der Erde lag, schwebte die Decke fast dreißig Meter über uns. Riesige Modelle von Raumschiffen der Kent Corporation hingen dort an dicken Stahlkabeln wie Mobiles über der Wiege eines Babys. Alles war sauber und steril, von den weiß gefliesten Bodenflächen, Wänden und Decken bis hin zu den langen Werkbänken aus durchsichtigem Polyplastik.

Einige der anderen Laborratten arbeiteten bereits angestrengt. Sie spähten durch Schutzbrillen auf ihre aktuellen Projekte herunter oder stocherten mit Schraubenziehern, Pinzetten und Messern in halb zusammengebauten Staubsaugern, Recyclern und anderen Geräten herum. Im Vorbeigehen grüßte ich mehrere Leute. Die meisten erwiderten den Gruß nur mit einem Murmeln, weil sie so auf ihre Aufgabe konzentriert waren.

Ich verlangsamte meine Schritte und bog nach rechts ab, wo sich die Decke senkte und die weißen Fliesen in graue Betonwände übergingen, die das Waffenlabor vom Rest des Raums trennten. Auf der anderen Seite der Permaglastüren machten sich Leute an Blastern, Handkanonen und anderen Waffen zu schaffen. Mein Blick wanderte schnell zu einem Tisch in der Mitte des Labors, auf dem eine lange Klinge auf einem Plastikhalter ruhte – ein Sturmschwert.

Anders als die billigen Wegwerfgeräte, die die Kent Corporation produzierte, waren Sturmschwerter Artefakte, die aus echtem Metall und Mineralien bestanden und die oft innerhalb von Familien vererbt wurden. Dieses spezielle Schwert hatte ein Heft, auf dem drei glatte, rundliche Edelsteine glänzten – Saphsidian, ein Juwel, der so dunkelblau war, dass er oft für schwarz gehalten wurde.

Die Parierstange bestand aus zwei gebogenen Teilen, die in Spitzen ausliefen, sodass ich an ein Ying-und-Yang-Symbol denken musste, sie war mit kleineren Saphsidianen verziert. Außerdem wölbten sich zwei Streifen aus Silber aus der Parierstange zur Klinge hin, die wie ein Opal schimmerte. Das verriet, dass sie aus Lunarium bestand – einem seltenen, teuren Metall, das oft für psionische und andere Waffen verwendet wurde.

Angeblich war das Heft eines Sturmschwertes meist mit Siegeln verziert, doch dieses Heft war schlicht und glatt. Ich hatte einen Waffentechniker sagen hören, dass man das Schwert mit elektromagnetischer Strahlung beschossen hatte, um jegliche Reste von Magie und psionischer Macht vom früheren Besitzer daraus zu vertreiben – wer auch immer das gewesen sein mochte.

Daneben lag ein weiteres silbernes Schwert. Dieses allerdings wirkte eher wie ein billiges Spielzeug. Statt Juwelen standen aus dem Heft mehrere rote Knöpfe hervor. Die Kents versuchten, ein Sturmschwert – oder zumindest etwas Ähnliches – zu entwickeln, das sie serienmäßig herstellen und dann zu Höchstpreisen verkaufen konnten.

Ein Waffentechniker machte sich an dem Kent-Schwert zu schaffen. Bei den ersten zwei Knöpfen, die er drückte, passierte gar nichts, aber sobald er den dritten Knopf drückte, flogen rote Funken und Elektrizität huschte über die Klinge, nur um dann abrupt zu vergehen. Rauch stieg aus dem Heft, ein deutliches Zeichen für einen Kurzschluss. Der Techniker wedelte den Rauch zur Seite und machte sich mit einem Gelstift ein paar Notizen auf einem Tablet.

Je länger ich die nachgebildete Waffe anstarrte, desto mehr meiner Magie erwachte zum Leben. Plötzlich konnte ich alle Bauteile des Schwertes in meinem Kopf genauso sehen wie die Fehler im Design – und wie man sie in Ordnung bringen konnte. Zwar mochte ich die Erinnerungen nicht, die ich wegen meiner Sehermagie niemals vergessen würde … die Magie war aber sehr hilfreich, wenn es darum ging, herauszufinden, wie etwas funktionierte und wie ich Geräte verbessern konnte. Ich hätte die Schaltkreise des Schwertes mühelos reparieren können, auch wenn es niemals die psionische Macht eines echten Sturmschwertes aufweisen würde.

Mein Blick glitt wieder zu dem anderen Schwert. Ich wusste nicht, ob es ein echtes Sturmschwert war, wie die Techniker behaupteten, oder nur eine sehr gute Imitation, aber irgendetwas daran sorgte dafür, dass sich meine Magie erwartungsvoll hob und es mich in den Fingern juckte, mir die Waffe zu schnappen und herauszufinden, wie sie funktionierte …

»Ähem.« Hinter mir räusperte sich jemand.

Ich wich von der durchsichtigen Tür zurück, wobei zwei Handabdrücke zurückblieben und ein runder Fleck in der Mitte, wo ich tatsächlich die Nase gegen das Glas gepresst hatte.

Ein Waffentechniker verdrehte die Augen und zog seine ID-Karte durch das Lesegerät. Die Türen öffneten sich, nur um sich hinter ihm sofort wieder zu schließen. Und ich starrte immer noch das Sturmschwert an.

»Eine echte Schönheit, die Klinge, nicht wahr?«, meinte eine tiefe Stimme.

Ein großer, vierschrötiger Mann mit rasiertem Kopf, bronzefarbener Haut und breiten Armen trat neben mich. Anders als die anderen Wachleute in ihren braunen Uniformen war dieser Mann von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, was ihn als Offizier kennzeichnete. Von seinem Gürtel hing ein Blaster und ein Schockstock. Doch nach den Gerüchten, die ich gehört hatte, setzte Hal Allaston lieber seine Fäuste ein, um die gewünschten Resultate zu erzielen. Hal war der Sicherheitschef der Kent Corporation, was nur eine höfliche Umschreibung für einen hochrangigen Söldner war, der so gut wie jeden widerwärtigen Befehl ausführte.

Hal musterte mich mit zusammengekniffenen Augen, als müsste er ins Licht einer Sonne schauen, obwohl wir uns im Gebäude aufhielten. Seine kalten Augen hatten dasselbe matte Schwarz wie seine Uniform. Ich brauchte meine Sehermagie nicht, um zu erkennen, dass dieser Mann unglaublich gefährlich war.

»Vielleicht darfst du eines Tages mit diesem Sturmschwert spielen, wenn du ins Waffenlabor befördert wirst«, meinte Hal.

Ich biss die Zähne zusammen. Niemand wollte sich seinen Lebensunterhalt damit verdienen, Toaster zu reparieren. Alle sehnten sich danach, ins Waffenlabor befördert zu werden, mich eingeschlossen. Oder vielmehr sehnte ich mich besonders danach. In den letzten paar Monaten hatte ich unzählige Baupläne für Blaster, Kanonen und andere Waffen eingereicht, in der Hoffnung, ins Waffenlabor versetzt zu werden oder zumindest innerhalb des Gerätelabors auf einen Supervisor-Posten befördert zu werden. Aber all meine Ideen waren abgelehnt worden, entweder weil sie angeblich zu teuer oder zu unpraktisch waren – oder mit einer der vielen anderen, verklausulierten Erklärungen, die letztendlich nur sagten, dass die eigene Arbeit nicht gut genug war.

Hal trat noch näher an mich heran. »Ich könnte dafür sorgen, dass du ins Waffenlabor versetzt wirst … aber dafür müsstest du mir schon einen persönlichen Gefallen tun.«

Sein Blick glitt langsam über meinen Körper, als könnte er durch meinen Laborkittel und die Kleidung darunter sehen. Vielleicht konnte er das sogar. Wie die meisten Firmensöldner war Hal mit Chemikalien vollgestopft worden und hatte mehrere physische Verbesserungen erhalten.

Ich unterdrückte ein Schaudern. »Ich sollte mich an die Arbeit machen.«

Hal grinste, wobei seine weißen Zähne aufblitzten wie winzige Speere. »Wir sehen uns bald, Vesper.«

Ich entfernte mich langsam. Obwohl ich mich nicht umsah, wusste ich, dass Hal meinen Hintern anstarrte. Ich konnte seinen Blick dank meiner Sehermagie spüren. Igitt.

Meine Arbeitsstation lag ganz hinten im Haushaltsgerätelabor und bestand aus zwei langen Tischen, die ein großes L bildeten. Sie vermittelten mir die Illusion eines Eckbüros, wenn auch ohne die Aussicht und die Privatsphäre. Sobald ich angekommen war, warf ich meinen Rucksack auf einen der Tische.

Während mein Terminal hochfuhr, ließ ich den Blick über die Projekte gleiten, die auf dem anderen Tisch verteilt lagen. Ein geriffeltes Küchenmesser, das sich jedes Mal selbst schärfte und säuberte, wenn man es zurück in den Messerblock schob. Ein Quirl, der sich frei in einer magnetisch aufgeladenen Rührschüssel bewegte. Ein Paar dünne, fleischfarbene Handschuhe, die menschliche Haut imitieren und sich auch so anfühlen sollten. Eigentlich hatte man mir nur das Messer und den Quirl zugeteilt … die Handschuhe waren meine eigene Entwicklung. Die Idee war mir vor ein paar Monaten in den Sinn gekommen, auch wenn ich nicht wusste, wofür die Handschuhe je verwendet werden könnten.

»… Kyrion Caldaren …«

Ein paar Schritte entfernt starrte Brodie, eine weitere Laborratte, auf seinen Bildschirm. Offensichtlich schaute er dasselbe Programm, das auch Tivona eingeschaltet hatte. Wie lange wollte diese übermäßig fröhliche Sprecherin denn noch über Kyrion Caldaren und die Edlen mit ihrem dämlichen Ball sprechen …

Ein Brühmeister aus Chrom landete auf meinem Arbeitstisch wie ein Amboss, dann erklang eine glatte, seidige Stimme. »Hey, Vesper.«

Wut kochte in mir hoch, aber ich hielt den Blick unverwandt auf das schattenhafte Bild auf Brodies Terminal gerichtet, das Kyrion Caldaren zeigte, wie er durch diesen langen Korridor ging. Vielleicht hatte es auch gewisse Vorteile, der berüchtigtste Killer der Galaxie zu sein. Ich war mir sicher, ein Arrow wie Kyrion Caldaren musste sich nie mit solchen Unannehmlichkeiten herumschlagen, wie für einen unerträglich selbstgefälligen und wenig begabten Ex-Freund zu arbeiten.

Als ich mir sicher war, eine ungerührte Miene aufrechterhalten zu können, hob ich den Blick und sah den Mann an, der auf der anderen Seite des Arbeitstisches stand. »Conrad.«

Conrad Fawley lächelte mich an, ohne sich bewusst zu sein, wie gern ich mir das Küchenmesser aus dem selbstschärfenden Messerblock geschnappt und es ihm ins Herz gerammt hätte.

Vor ungefähr einem Jahr war Conrad von einer Niederlassung auf einem anderen Planeten ins zentrale Forschungs- und Entwicklungslabor auf Temperat 42 versetzt worden. Ich hatte ihn nicht groß beachtet, bis er mir eine Frage über den Brühmeister gestellt hatte, an dem ich gearbeitet hatte – über dasselbe Modell, das ich letzte Woche für Tivona verbessert hatte. Conrad war durchaus gut aussehend, mit zerzaustem, blondem Haar und dunkelbraunen Augen. Daher hatte ich zugestimmt, als er mich als Dank für meine Hilfe zum Essen eingeladen hatte.

Zu meiner Überraschung war er aufmerksam und charmant gewesen und hatte sich aufrichtig für meine Arbeit interessiert, besonders für meine Ideen, diverse Kent-Produkte zu verbessern. Wir hatten uns immer wieder zum Abendessen getroffen … bis wir in seiner Wohnung gelandet waren. Der Sex war ganz okay gewesen, und Conrad hatte behauptet, er hätte sich unsterblich in mich verliebt.

Und ich? Nun, ich war nie ein Mensch gewesen, der schon nach wenigen Dates sein Herz verschenkte. Ich hatte sicherlich nicht damit gerechnet, einen märchenhaften Truebond mit Conrad zu finden, aber ich hatte die Hoffnung zugelassen, dass wir eine echte Beziehung aufbauen konnten, eine Beziehung, die halten konnte.

Dann hatte Conrad mir vor drei Monaten erklärt, wir müssten reden, als wir gerade gemeinsam unser Mittagessen auf einer Bank im Park aßen. Ich Närrin war davon ausgegangen, dass es um die Arbeit ging, nicht um unsere Beziehung. Conrad hatte gelächelt, mir tief in die Augen gesehen … und mich in die Wüste geschickt.

Oh, letztendlich war es natürlich etwas komplizierter gewesen. Er hatte meine Hand umklammert und mit tränenverhangenem Blick die üblichen Klischees von sich gegeben, von wegen, wie viel ich ihm bedeutete, dass er aber herausfinden musste, was er im Leben wirklich wollte, und dass wir als Freunde sicher besser dran waren.

Egal, wie gut ich für gewöhnlich verstand, wie die Dinge funktionierten: Diese Trennung hatte ich nicht kommen gesehen. Oder vielleicht hatte ich die Vorzeichen nicht sehen wollen. Im Rückblick war mir bewusst, dass es viele Hinweise gegeben hatte, dass Conrad nicht glücklich war – oder zumindest, dass er mit mir nicht glücklich war. Er hatte ständig die Tratschsendungen über die Edlen geschaut, war mit Freunden für Partys auf andere Planeten geflogen und hatte meine Anrufe ignoriert, wenn wir uns eigentlich zu einem Videocall verabredet hatten.

In gewisser Weise hatte meine Sehermagie die Trennung noch schlimmer gemacht. Für gewöhnlich warnte meine Macht mich vor, wenn schlimme Dinge ins Haus standen, aber in Bezug auf Conrad hatte ich wirklich nichts geahnt. Zum ersten Mal seit langer Zeit war ich vollkommen unvorbereitet getroffen worden. Und ich war vollkommen … entgeistert gewesen. So entgeistert, dass mir die Worte gefehlt hatten und ich nur neben ihm auf der Bank gesessen und geblinzelt hatte – wie eine dieser flackernden Warnlampen an den Brühmeistern, die ich ständig reparierte.

»Du wirst so mit deiner Arbeit beschäftigt sein, dass du mich gar nicht vermissen wirst«, hatte Conrad mir erklärt, als würde die Tatsache, dass ich gut in meinem Job war, es absolut akzeptabel machen, dass er mich entsorgte wie ein Stück Müll.

Conrad hatte mein entgeistertes Schweigen als Zustimmung gedeutet. Durch meine Magie stiegen jetzt all diese Erinnerungen jedes Mal in mir auf, wenn ich ihm begegnete – ich sah wieder sein erleichtertes Lächeln; spürte, wie er mir einen aufmunternden Klaps auf die Schulter gab, und erinnerte mich genau daran, wie er im Anschluss mit schwungvollen Schritten seiner wunderbaren, neuen Zukunft entgegengeeilt war.

Ich hatte dort gesessen, so schlaff und verwelkt wie der Salat aus Hydrokultur-Spinat, den ich mir an einem der Stände auf dem Firmengelände gekauft hatte. Erst nach guten fünf Minuten hatte der Schock nachgelassen. Dann hatte ich meinen Salat weggeworfen, war zurück ins Labor geschlurft und hatte mich wieder an die Arbeit gemacht, als wäre nichts geschehen. Sicher, in meinen Augen hatten Tränen gebrannt, aber das hatte ich hinter einer Schutzbrille versteckt. Conrad Fawley mochte mich von seiner Schuhsohle gekratzt haben wie einen alten Kaugummi, aber geweint hatte ich seinetwegen nicht.

Zumindest nicht sofort. Irgendwie hatte ich den Rest des Arbeitstages überstanden. Erst am Abend, in meiner Wohnung, hatte ich dann einen richtigen Zusammenbruch. Tivona hatte sogar unseren neuen Brühmeister eingesetzt und die kleine Portion echtes Vanilleeis, die wir besaßen, um mir einen Strawberry-Cheesecake-Shake anzufertigen. Sie hatte mich damit aufmuntern wollen … letztendlich hatte mich das aber nur daran erinnert, wie ich Conrad geholfen hatte, den Brühmeister zu verbessern.

Das Schlimmste war allerdings gewesen, dass Conrad am nächsten Morgen fröhlich zur Arbeit erschienen war, mit der neuen Liebe seines Lebens am Arm: Sabine Kent, Tochter von Rowena Kent und Erbin des Hauses Kent.

Tivona erfuhr die Geschichte über die Freundin eines Freundes von Sabine, die ebenfalls in der Rechtsabteilung arbeitete. Conrad hatte Sabine ein paar Wochen zuvor bei einer Party auf Corios kennengelernt. Die beiden hatten sich einen Chembond-Cocktail geteilt und viel Spaß miteinander gehabt. Danach hatte eins zum anderen geführt … sodass ich am Ende abgesägt wurde und Conrad auf der Karriereleiter der Edlen aufstieg, wie es schon so viele vor ihm getan hatten. O ja, Conrad Fawley war nichts als ein Aufsteiger – eine herablassende Bezeichnung für Leute, die sich bei den edlen Lords und Ladys einschleimten, in der Hoffnung, irgendwann selbst diesen Status zu erreichen.

»Du musst dir diesen neuesten Brühmeister anschauen, Vesper«, sagte Conrad jetzt, immer noch lächelnd. »Deine Konstruktion hat noch ein paar Schwächen, und wir können nicht damit in Serie gehen, bevor diese Irritationen behoben sind.«

Ich hob eine Augenbraue. »Witzig, dass es nur meine Konstruktion ist, wenn etwas damit nicht stimmt. Als du Sabine Kent vor ein paar Wochen diesen Brühmeister präsentiert hast, war es definitiv dein Design.«

Als hätte es noch nicht ausgereicht, mich für eine Frau aus einer edlen Familie abserviert zu haben, hatte Conrad auch meine Ideen für die Verbesserung des Brühmeisters und andere Produkte gestohlen und als seine eigenen Erfindungen ausgegeben. Hinterhältiger Bastard!

Ihm verrutschte das Lächeln, um dann unter meinem bösen Blick ganz zu verschwinden. »Nur für den Fall, dass du es vergessen hast, ich bin jetzt der Supervisor in diesem Labor«, blaffte er. »Also tu uns beiden einen Gefallen und mach einfach, was dir gesagt wird.«

Ich hob die Hand und salutierte ihm spöttisch. »Ja, Sir.«

Seine Augen funkelten zornig, aber das war nichts gegen die Wut, die in meinem Herzen kochte. Wieder juckte es mich in den Fingern, mir das Messer zu schnappen und damit auf ihn einzustechen – und sei es nur, um zu testen, wie gut der selbstschärfende und -säubernde Messerblock funktionierte. Für die Wissenschaft.

Conrad hatte gerade wieder Luft geholt, aber eine sanfte, weibliche Stimme kam dem Befehl oder der Beleidigung zuvor, die er auf mich abschießen wollte.

»Conrad! Liebling! Da bist du ja!«

Sabine Kent rauschte auf uns zu. Sie war ungefähr fünf Jahre jünger als ich, also Anfang dreißig, und wirklich atemberaubend schön: mit grünen Augen, blasser Haut und mitternachtsschwarzem Haar, das ihr in glänzenden Locken über den Rücken fiel. Ihr hellgrauer Hosenanzug und die passenden Stilettos kosteten wahrscheinlich mehr als alles, was ich besaß, zusammengenommen, und die Diamantstecker in ihren Ohren glitzerten wie Sterne. Es war, als wollte mir der Schmuck unter die Nase reiben, wie viel heller sie strahlte als ich.

Ich hatte immer an irgendwelche Götter oder Mächte oder höhere Wesen geglaubt, die die Vorgänge in der Galaxie steuerten, egal ob man nun von Karma, Magie oder Schicksal sprechen wollte. Ich hatte nur nie erwartet, dass das Schicksal sich mir gegenüber wie ein herzloses Miststück verhalten würde. Ich war doch kurzerhand abgesägt worden, auf meinem Herz war herumgetrampelt worden, und meine Arbeit war gestohlen worden, also hätte ich diejenige mit einer neuen Liebschaft und einer Beförderung sein sollen. Mir hätten all die guten Dinge zugestanden, die in Conrads Leben geschehen waren, kaum dass er mich losgeworden war.

Ich mochte keine Edle sein, mochte keinem Haus angehören, aber ich besaß ein ordentliches Maß an Stolz, daher konnte ich mich nicht entscheiden, was schlimmer war: dass ich abgesägt worden war, um meine Konstruktionen betrogen worden war oder dass ich gegen ein jüngeres, attraktiveres und viel, viel reicheres Modell eingetauscht worden war. Alles davon war schon für sich genommen erniedrigend genug, aber dass ich Conrad auch noch jeden Tag sehen musste … Nun, das war, als würde jemand ständig Salz in eine offene Wunde streuen.

Sabines Blick fiel auf mich. Sie runzelte die Stirn und schürzte die Lippen, als versuchte sie, sich an meinen Namen zu erinnern – obwohl wir uns auf Firmenevents mehr als ein Dutzend Mal vorgestellt worden waren und mit demselben Mann ausgegangen waren.

Anscheinend tat sie mich letztendlich einfach als unwichtig ab, denn ihre Stirn glättete sich, und sie richtete den Blick wieder auf Conrad.

»Komm, Liebling«, flötete Sabine. »Ich habe einen neuen Anzug für dich in meinem Büro. Ich will, dass du beim Meeting mit meiner Mutter absolut perfekt aussiehst.«

Ich spitzte die Ohren. Also war Rowena Kent im Gebäude. Nun, das erklärte die vielen Wachen, die ich auf dem Gelände gesehen hatte, und auch die zusätzlichen Wachleute in der Eingangshalle. Wieder einmal fragte ich mich, ob jemand ahnte, was ich vorhatte, verwarf den Gedanken aber schnell.

Ich war nicht so wichtig, dass irgendwer bei der Kent Corporation mir Aufmerksamkeit geschenkt hätte – nicht Conrad, nicht Sabine und sicherlich nicht Rowena Kent.

»Lass uns gehen«, sagte Sabine und zog Conrad am Arm. »Ich kann es gar nicht erwarten, dich in dem neuen Anzug zu sehen.«

Er nickte ihr zu, dann schnippte er mit den Fingern. »Setz dich an diesen Brühmeister. Er sprüht ständig Funken.«

Conrad drückte den Knopf an der Rückseite. Nur Sekunden später schossen hellblaue Funken um das Gerät herum. Ich zuckte überrascht zurück. Conrad bedachte mich noch mit einem grausamen Lächeln, dann rauschte er mit Sabine davon.

Seufzend streckte ich die Hand nach dem Schalter aus, aber der Brühmeister gab noch eine Funkensalve von sich. Einer der glühenden Punkte landete auf meiner rechten Hand, und ich zischte vor Schmerz. Trotzdem: Das war nichts im Vergleich zu der Wut, der Erniedrigung und der Einsamkeit, die mein Herz erfüllten.

Zum zweiten Mal in meinem Leben war ich von jemandem verraten worden, von dem ich gedacht hatte, ich läge ihm am Herzen. Ich war wirklich eine tolle Seherin. Sosehr ich mich auch bemühte, aus irgendeinem Grund sah ich solche Schmerzen nie voraus, bevor sie mir erneut das Herz brachen.

3 Vesper

 

 

Hal schlenderte durch das Labor, um sicherzustellen, dass die Laborratten auch wirklich arbeiteten. Brodie schaltete endlich die Tratschsendung über Kyrion Caldaren und den Rest der Edlen aus und konzentrierte sich auf den neuen Mixer, den er gerade entwickelte.

Ich zog einen Hocker an meinen Arbeitsplatz und untersuchte den fehlerhaften Brühmeister. Ich brauchte weniger als eine Minute, um herauszufinden, dass ausgefranste Solarkabel die Funken verursachten. Der Fehler lag also nicht an meiner Konstruktion, sondern an den minderwertigen Materialien, die die Kent Corporation für all ihre Produkte verwendete. Schnaubend schob ich das Gerät zur Seite.

Das würde ich später in Ordnung bringen – wenn es denn für mich noch ein Später gab.

Ich beschäftigte mich noch mit ein paar anderen Projekten. Als ich mir sicher war, dass alle ganz in ihre Arbeit versunken waren, zog ich eine ID-Karte aus der Tasche am Oberschenkel meiner Cargohose und schob sie in mein Terminal. Als der Log-in-Bildschirm erschien, gab ich einen falschen Namen mit dem dazugehörigen Passwort ein.

Vor drei Monaten – direkt, nachdem er mich abgesägt hatte – hatte Conrad mir den Auftrag erteilt, neue ID-Karten für alle im Labor zu entwerfen. Die ID-Karten ermöglichten den Leuten nicht nur den Zugang zum Campus, sondern sie überwachten auch die Bewegungen aller durch die verschiedenen Gebäude und speicherten jede Akte, jedes Dokument und jeden Bauplan, den sie aufriefen. Dadurch waren die Karten ein guter Weg, Diebstähle und Sabotage aufzudecken … und sie waren dazu geeignet, zu verbergen, was man gerade tat.

Ich hatte damals ein Dutzend leere ID-Karten verschwinden lassen, um sie dann mit erfundenen Namen und gefälschten Fotos auszustatten. Dabei hatte ich unendlich langsam und vorsichtig vorgehen müssen. Letztendlich hatte aber niemand bemerkt, dass es plötzlich ein Dutzend neue Angestellte im System gab, die sich nur selten einloggten und die nie arbeiteten. Andererseits arbeiteten für die Kent Corporation Tausende Leute. Da konnten Einzelne leicht durchs Raster fallen. Eigentlich hatte ich geplant, mit den Karten heimlich Conrads Dateien einzusehen und herauszufinden, wie viele meiner Erfindungen er gestohlen und als seine eigenen ausgegeben hatte, aber inzwischen hatte ich einen anderen Plan.

Ich gähnte, wobei ich die Arme weit ausstreckte. Auf dem Weg nach unten stieß ich absichtlich-unabsichtlich mit der rechten Hand gegen mein Terminal, sodass der Monitor jetzt nach unten zeigte und nicht mehr von den Kameras an der Decke aufgenommen werden konnte. Die hohen Tiere hatten immer Angst vor Wirtschaftsspionage, vor allem wegen der Rivalitäten zwischen Haus Kent und den anderen edlen Familien, also überwachte immer jemand die Sicherheitskameras, so wie Hal ständig durchs Forschungs- und Entwicklungslabor strich wie ein Hai, der eine Blutspur im Wasser verfolgte.

Sobald ich sichergestellt hatte, dass die Kameras meinen Monitor nicht mehr überwachen konnten, nutzte ich die gefälschte ID-Karte, um alle Akten aufzurufen, die mit der Velorum in Verbindung standen, inklusive meines eigenen Berichts über die Absturzursache des Raumkreuzers. Ich hatte ihn vor ein paar Wochen eingereicht, und er war in Bausch und Bogen verworfen worden.

Die Informationen waren dieselben wie vor drei Tagen, als ich das letzte Mal nachgesehen hatte, mit Ausnahme einer bemerkenswerten Tatsache: Rowena Kent hatte laut den Zeitstempeln heute Morgen mehr als eine Stunde damit verbracht, sich die Dateien anzusehen.

Hmmm. Eine unerwartete und besorgniserregende Entwicklung. Ich fragte mich, ob ich meinen Plan wirklich durchziehen sollte. Bisher hatten die Tratschsendungen die Geschichte geschluckt, dass der Velorum-Absturz durch einen Fehler des Piloten verursacht worden war – auch wenn das nicht der Wahrheit entsprach. Andererseits scherten sich die meisten Leute mehr um Credits und Macht als um die Wahrheit.

Und ich gehörte definitiv zu diesen Leuten.

Oh, sicher, ich könnte behaupten, dass ich allein aus hehren Motiven handelte. Und vielleicht wollte ich tatsächlich nobel und rechtschaffen sein. Wie viele Leute hatte auch ich beim Velorum-Absturz jemanden verloren – auch wenn mein Verlust nur klein gewesen war, im Vergleich zu der allumfassenden Trauer anderer. Aber ich wollte die Person, die ich verloren hatte, trotzdem rächen, selbst wenn ich sie seit Jahren nicht gesehen hatte. Außerdem verfolgten mich immer noch die Erinnerungen an die Absturzstelle. Gepresstes Schluchzen und schmerzerfüllte Schreie hallten in meinen Ohren wider, und ich roch ständig den beißenden Gestank von verbranntem Metall und verkohltem Fleisch.

Doch vor allem machte mich die widerliche Vertuschung der wahren Absturzursachen wütend … und die Tatsache, dass niemand ein kleines Problem in Ordnung bringen wollte, um eine Menge Leben zu retten. Außerdem war ich stinksauer, weil die hohen Tiere – besonders Conrad – meine Arbeit einfach abgetan und behauptet hatten, meine Aussagen wären falsch, obwohl ich sehr gut wusste, dass das nicht stimmte. Schließlich schrien alle Informationen, die ich gesammelt hatte – und meine schwache Magie – ständig, dass ich recht hatte und alle anderen falschlagen.

Nachdem Wochen vergangen waren und offensichtlich geworden war, dass der Pilot – der beim Absturz ums Leben gekommen war – zum Sündenbock gemacht werden sollte, war meine Wut in Entschlossenheit umgeschlagen. Und diese Entschlossenheit hatte mich zum Handeln getrieben. Über eine Reihe von nicht nachverfolgbaren E-Mail-Accounts hatte ich diskret die Sendung Himmlische Stars kontaktiert, eine der beliebtesten Tratschsendungen der Galaxie – dieselbe Sendung, die Tivona heute Morgen geschaut hatte –, und hatte ihnen mitgeteilt, dass ich ihnen einige belastende Informationen über ein bekanntes edles Haus liefern konnte. Für den richtigen Preis, versteht sich.

Nach ein wenig Gefeilsche hatten ich und Artemis Swallow, der Hauptproduzent der Sendung, uns auf eine beachtliche Summe geeinigt. Die Hälfte der Credits wartete bereits auf einem anonymen Nummernkonto auf mich. Die andere Hälfte sollte ich erhalten, sobald ich die Informationen geliefert hatte.

So lautete zumindest die Theorie. Jetzt wurde es Zeit, meinen Plan in die Tat umzusetzen und herauszufinden, ob ich damit durchkommen konnte.

Ich atmete aus und zog dann einen Microdot-Speicher aus der Tasche. Obwohl er nur ungefähr halb so groß war wie mein Daumennagel, konnte man auf dieser kleinen Scheibe unglaublich viele Informationen speichern. Ich legte den Speicher auf die Tastatur des Terminals. Bevor ich einen Rückzieher machen konnte, drückte ich schnell eine Taste und lud die gesamten Velorum-Dateien herunter.

Es dauerte nur ein paar Minuten, auch wenn sich diese Zeitspanne wegen meiner Paranoia wie Stunden anfühlte. Sobald der Download abgeschlossen war, tauschte ich den ersten Microdot-Speicher gegen einen zweiten und lud noch einmal alles herunter.

Es war schockierend und fast enttäuschend einfach. Kein Alarm begann zu schrillen, keine Wachen rannten zu meinem Arbeitsplatz, und keiner meiner Kollegen sah auch nur in meine Richtung. Ich atmete erleichtert auf. Jetzt kam der schwierigere Teil: Wo sollte ich die Speicher verstecken, damit ich wenigstens mit einem von ihnen das Gebäude verlassen konnte?

Da wir an geheimen Projekten arbeiteten, wurden alle Laborratten am Ende des Arbeitstages von Kopf bis Fuß gescannt. Ich hatte mir wochenlang den Kopf über das Problem zerbrochen, hatte mir ein mögliches Versteck nach dem anderen einfallen lassen. Eine kleine Tasche, die ich innen in meinen Laborkittel nähte; ein Geheimfach in einem Anhänger an meinem Rucksack; ein Amulett um meinen Hals. Nein, nein und wieder nein. Kleidung, Taschen und Schmuck waren viel zu offensichtliche Verstecke, also hatte ich diese Ideen und Dutzende andere wieder verworfen.

Irgendwann hatte ich mich für die bewährte Versteck-es-vor-aller-Augen-Taktik entschieden. Ich sah mich erneut um, ob mich jemand beobachtete, dann zog ich das Modell der Velorum aus meinem Rucksack. Ich klappte es auf, schob den ersten Microdot-Speicher in das hohle Innere und schraubte das Modell wieder zusammen. Dann warf ich das Modell zur Seite, sodass es zwischen all den Plastipapieren, Werkzeugen und anderen Modellen landete, die am Ende meiner Arbeitsstation lagen.

Noch waren alle voll auf ihre eigene Arbeit konzentriert, also verbarg ich den zweiten Microdot-Speicher in meiner Hand, schnappte mir meinen Rucksack und ging zur nächsten Toilette. Keiner der Toilettenräume war mit Kameras ausgestattet. Nicht mal die Security-Leute, die für ihre Wachsamkeit bezahlt wurden, wollten sehen, wie Leute auf dem Klo saßen – das war eine der wenigen Schwachstellen in der herausragenden Security der Kent Corporation.

Der Raum war leer, also trat ich in eine der Kabinen und schloss die Tür. Dann klappte ich den Toilettendeckel nach unten, stellte meinen Rucksack darauf und zog eine Tube mit klarem Klebstoff heraus. Als Nächstes nahm ich mir ein Fläschchen mit silbernem Nagellack und zwei kleine Plastikjuwelen in der Form von Augen.

Vor ein paar Wochen hatte sich Tivona solche Sticker auf ihre Nägel geklebt, bevor sie in die Disco aufgebrochen war … und in diesem Moment war es mir wie Schuppen von den Augen gefallen, was ich mit dem Microdot-Speicher tun konnte. Anscheinend hatte ich damit das Problem gelöst, wie ich die Velorum-Dateien aus dem Gebäude der Kent Corporation schmuggeln konnte.

Ganz früh heute Morgen hatte ich mir alle Nägel mit dem silbernen Lack lackiert – mit Ausnahme meines linken Daumennagels. Jetzt ging ich in die Hocke, legte meine Hand flach auf den Toilettendeckel und den Microdot-Speicher in die Mitte des Daumennagels. Dann drückte ich eines der Plastikaugen darüber, sodass es den Speicher verbarg und abdeckte. Als Nächstes folgte der Kleber, um alles ordentlich zu befestigen, bevor ich schließlich silbernen Nagellack darüber verteilte.

Außerdem klebte ich mir das zweite Auge auf den rechten Daumennagel, damit meine Hände gleich aussahen. Im Anschluss musterte ich meine Finger. Vielleicht sah es nicht gerade supermodisch aus, aber für meine schändlichen Zwecke würde es ausreichen. Jetzt musste ich nur noch das Gebäude verlassen, ohne meinen linken Daumen zu verlieren.

Eine einfache Aufgabe … hoffte ich.

Ich pustete auf meinen Daumen, um Kleber und Nagellack zu trocknen, dann stopfte ich meine Sachen wieder in den Rucksack, öffnete die Kabinentür und ging zum Waschbecken. Ich stellte den Rucksack zur Seite, beugte mich vor und starrte mein Spiegelbild an.

Mein lockiges, braunes Haar fiel mir bis auf die Schultern. Es war heute etwas krauser als sonst wegen der Frühlingsregenfälle und der Schwüle. Meine dunkelblauen Augen wirkten in meinem blassen Gesicht größer und heller als gewöhnlich, aber ich sparte mir die Mühe, mir die Nase zu pudern oder Lippenstift aufzutragen. Heute war der eine Tag, an dem ich auf keinen Fall unter den anderen Laborratten auffallen wollte oder durfte.

Ich konnte nicht ewig hierbleiben, also schnappte ich mir meinen Rucksack und verließ den Raum. Als sich die Tür hinter mir schloss, dachte ich über das nach, was ich noch im Spiegel gesehen hatte – ein schwaches, silbernes Leuchten um meinen Körper herum, fast als wollte meine Magie mich vor der Gefahr warnen, in der ich schwebte.

Als wüsste ich das nicht bereits.

 

Ich kehrte an meinen Arbeitsplatz zurück. Gerade wollte ich mir meinen Hocker heranziehen, als Hal zu mir kam.

»Lass uns gehen.« Er zeigte mit dem Kinn Richtung Ausgang. »Die oben wollen dich sehen. Das Meeting wegen des Abschlussberichts zum Absturz der Velorum steht an.«

Der Termin für das Meeting stand zwar bereits seit über einer Woche fest, aber ich musterte den Söldner trotzdem wachsam. Hal erwiderte meinen Blick, ohne dass seine Augen zu dem Velorum-Modell auf dem Tisch oder zu meinem linken Daumennagel wanderten. Nachdem meine Geheimnisse sicher zu sein schienen, folgte ich ihm aus dem Labor.

Im Flur warteten schon ein paar andere Laborratten. Gemeinsam betraten wir den Aufzug. Niemand sprach ein Wort, als die Kabine wie eine Rakete nach oben schoss und erst im hundertsten – und obersten – Stockwerk wieder anhielt.

Hal grinste, dann vollführte er eine ausladende Geste. »Nach dir, Vesper.«

Obwohl ich genau wusste, dass er erneut meinen Hintern anstarren wollte, hatte ich keine Wahl, als die Aufzugskabine zu verlassen und den anderen Laborratten in ein riesiges Sitzungszimmer zu folgen. Eine Wand des Raums bestand vollkommen aus Glas und bot einen unglaublichen Ausblick über das grüne Firmengelände unter uns, mit den anderen Wolkenkratzern im Hintergrund.