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Everleigh Blair ist die neue Königin von Bellona, doch ihre Probleme fangen gerade erst an: Täglich muss sie sich mit arroganten Adligen am Hof auseinandersetzen, die ihre Hände insgeheim nach der Krone ausstrecken. Als wäre das nicht schlimm genug, versucht ein Auftragsmörder, Evie in ihrem Thronsaal zu töten. Evie fragt sich, ob sie stark genug ist, um ihrer Rolle als Herrin des Winters gerecht zu werden. Während sie darum kämpft, ihre Magie, ihr Leben und ihre Krone zu sichern, verliert sie auch noch ihr Herz an Lucas Sullivan, den unehelichen Sohn des andvarischen Königs ... Und es stellt sich heraus, dass es nur eine Sache gibt, die noch schwieriger ist, als eine Königin zu töten: Einen Prinzen zu beschützen.
Starke Heldinnen: YA-Fantasy in Spitzenqualität
Vor allem eines zeichnet die Young-Adult-Serien von Jennifer Estep aus: Die amerikanische Autorin hat ein besonderes Talent für starke Heldinnen. Everleigh Blair, die unerschrockene Protagonistin der „Splitterkrone“-Reihe, zeigt sich auch in diesem Band kühn, aber nicht unüberlegt, stolz und gleichzeitig pflichtbewusst. Ein echtes Vorbild nicht nur für junge LeserInnen!
Binge-Reading mit Jennifer Estep, einer der fleißigsten Autorinnen der Welt
Bereits der erste Roman der amerikanischen Autorin Jennifer Estep war ein voller Erfolg: „Karma Girl“, das den Auftakt zur „Bigtime“-Reihe bildete, entwickelte sich schnell zum Bestseller. Seitdem hat sie mehrere Romanserien konzipiert und darin über 40 Romane veröffentlicht. Wer einmal Fan von Esteps Welten geworden ist, muss so schnell also nicht wieder damit aufhören. Binge-Reading empfohlen!
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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch
© Jennifer Estep 2019Published by Arrangement with Jennifer EstepTitel der amerikanischen Originalausgabe: »Protect the Prince« bei Harper Voyager, New York 2019© ivi, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2020Covergestaltung: zero-media.net, MünchenCoverabbildung: FinePic®, München
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Cover & Impressum
Widmung
Motto
Teil I
Der erste Mordanschlag
1
2
3
4
5
6
7
Teil II
Der zweite Mordanschlag
8
9
10
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Teil III
Der dritte Mordanschlag
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Danksagung
Für meine Mom, meine Grandma und Andre, für eure Liebe, eure Geduld und alles, was ihr mir über die Jahre geschenkt habt
Und für mein Teenager-Ich, das jedes Fantasy-Epos verschlungen hat, das sie in die Finger bekommen konnte, dafür, dass du endlich dein eigenes High-Fantasy-Buch geschrieben hast.
Hübsche, hübsche Prinzen
Aufgereiht wie Figuren aus Zinn.
Wen werden sie freien?
Wo gehen sie hin?
Dieses Mädchen, jenes Mädchen
Königin, Lady, Zofe.
Wer das Herz der Prinzen gewinnt
Entscheidet sich am Hofe.
Andvarisches Hoflied
Der Tag des ersten Mordanschlags begann wie jeder andere Tag auch.
Damit, dass ich mich auf einen Kampf vorbereitete.
Ich saß steif auf einem Stuhl vor dem Schminktisch, der die gesamte Ecke des Raums ausfüllte. Der rechteckige lange Tisch bestand aus tiefschwarzem Ebenholz und wies jede Menge Schubladen und Fächer auf, zusammen mit Knäufen aus Kristall, die glitzerten wie spöttische Augen.
Die Morgensonne glitt an den weißen Spitzenvorhängen vorbei und erhellte die Tischplatte, die mit Schnitzereien von Gladiatoren verziert war, die Schwerter, Schilde und Dolche in Händen hielten. Ich betrachtete die Figuren, in die teilweise auch Metall eingelassen war, zusammen mit winzigen Juwelen. Sie schienen mich anzustarren und zu verhöhnen, als wüssten sie, dass ich nicht hier sein sollte.
Ich beugte mich vor und ließ die Fingerspitze über die Schnitzereien gleiten, verzog das Gesicht, als sich die metallenen Spitzen der Waffen und die scharfen Facetten der Juwelenaugen in meine Haut gruben. Ich fragte mich, wie viele andere Frauen hier gesessen und genau dasselbe getan hatten. Dutzende, wenn nicht mehr. Außerdem fragte ich mich, ob sie sich genauso unwohl gefühlt hatten wie ich.
Wahrscheinlich nicht.
Schließlich waren dieser Tisch und die anderen Möbel in diesen Räumlichkeiten ihr Geburtsrecht gewesen, durch Generationen weitervererbt von Mutter auf Tochter. Die Frauen, die vor mir gekommen waren, waren nicht so in die Lage gestolpert, wie es bei mir der Fall war.
Jemand räusperte sich leise, also richtete ich mich wieder auf. Finger machten sich an mir zu schaffen, zogen meine Ärmel zurecht, glätteten mein Haar und trugen sogar Farbe auf meine Lippen auf. Eine Minute später verschwanden die Finger und ich hob den Blick zu dem halbrunden Spiegel, der sich auf dem Tisch erhob wie die Gladiatorenarenen aus der Stadtsilhouette von Svalin.
Auch der Rahmen des Spiegels war mit Schnitzereien verziert. Gargoyles mit Augen aus Saphiren und gebogenen silbernen Hörnern standen Strixen gegenüber, falkenähnlichen Vögeln mit onyxfarbenen Federn, die in metallischem Amethystblau glänzten. Die Kreaturen sahen aus, als wollten sie jeden Moment aus dem Holz springen, sich in die Luft erheben und sich aufeinanderstürzen, genau wie es bei den Gladiatoren auf dem Tisch der Fall war. Ein einzelner perlweißer Caladrius mit Augen aus Zährenstein zierte den höchsten Punkt des Spiegels. Das eulenähnliche Vögelchen schien auf die anderen Kreaturen hinabzublicken, mich eingeschlossen.
Wieder räusperte sich jemand. Ich seufzte und konzentrierte mich endlich auf mein Spiegelbild.
Schwarzes Haar, graublaue Augen, fahles, angespanntes Gesicht. Ich sah aus wie immer, abgesehen von einem bemerkenswerten Unterschied – der Krone auf meinem Kopf.
Mein Blick blieb an dem silbernen Band hängen, das dünn und überraschend schlicht war, abgesehen von den kleinen mitternachtsblauen Zährensteinstücken, die in die Mitte eingefügt waren. Die sieben Zährensteinsplitter formten zusammen eine Krone, als wäre das silberne Band allein nicht genug, um zu verdeutlichen, wer ich nun war.
Aber das war nicht das einzige Geschmeide, das ich trug.
Mit der linken Hand berührte ich das Armband, das mein rechtes Handgelenk umschloss. Es bestand aus gebogenem Silber, geformt wie scharfe Dornen, die sich um die elegante Krone inmitten des Schmuckstücks schlossen und sie beschützten. Die Krone in dem Armband bestand ebenfalls aus sieben Zährensteinsplittern, doch sie enthielt etwas, das die Krone auf meinem Kopf nicht besaß.
Magie.
Wie andere Juwelen konnte auch Zährenstein Magie aufnehmen, speichern und ablenken. Aber er bot zusätzlich noch die besondere Eigenschaft, Schutz vor Magie zu bieten. Er konnte sie abwehren, wie ein Schild einen Gladiator in der Arena beschützen konnte. Jeder mitternachtsblaue Splitter in meinem Armband war mit kalter, harter Macht gefüllt, die an meine eigene Immunität gegen Magie erinnerte. Die kühle Berührung des Schmuckstücks auf der Haut beruhigte mich, genauso wie die darin enthaltene Magie.
An diesem Tag benötigte ich jede erdenkliche Hilfe.
Zum dritten Mal räusperte sich jemand, also löste ich die Hand vom Armband und konzentrierte mich wieder auf mein Spiegelbild.
Behutsam legte ich den Kopf schräg und die silberne Krone neigte sich gefährlich zur Seite. Ich neigte den Kopf in die andere Richtung und sofort kippte sie in die andere Richtung.
»Ich habe immer noch das Gefühl, dass dieses dämliche Teil jeden Moment herunterfallen könnte«, murmelte ich.
»Es wird nicht herunterfallen, meine Königin«, antwortete eine leise Stimme beruhigend. »Wir haben genug Haarnadeln verwendet, um das sicherzustellen.«
Eine Frau trat neben mich. Sie war eher klein gewachsen, daher ragte ihr Kopf nicht besonders hoch über mir auf, obwohl ich saß. Sie war in meinem Alter, etwa siebenundzwanzig, und recht hübsch, hatte blaue Augen, rosige Haut und honigblondes Haar, das zu einem adretten Fischschwanzzopf geflochten war, der ihr über die Schulter fiel. Sie hatte einen untersetzten Körper, aber ihre Finger waren lang, schlank und mit kleinen weißen Narben übersät, weil sich über die Jahre aus Versehen so viele Steck- und Nähnadeln in die Haut gebohrt hatten.
Lady Calanthe war in den letzten Monaten ihres Lebens Königin Cordelias persönliche Garnmeisterin gewesen. Jetzt war sie für mich zuständig. Genau wie ihre beiden jugendlichen Schwestern Camille und Cerana, die hinter ihr standen.
»Gefällt Euch Eure Erscheinung, meine Königin?«, fragte Calanthe.
Ich musterte meine blaue Tunika im Spiegel. Eine Splitterkrone war in silbernem Garn über meinem Herzen eingestickt, während sich weiteres Silbergarn um den Kragen und über meine Ärmel ausbreitete, als hätte ich mich selbst in Dornen eingewickelt. Eine enge schwarze Hose und Stiefel vervollkommneten meine Kleidung.
»Natürlich«, sagte ich. »Eure Arbeit ist großartig wie immer.«
Calanthe nahm das Kompliment mit einem Nicken entgegen. Stolz leuchtete in ihren Augen. Sie rückte die weiten Puffärmel ihres blauen Kleids zurecht, obwohl sie bereits mustergültig saßen. Auch sie waren mit silbernem Garn bestickt, im Einklang mit den Farben der Winterlinie der königlichen Blair-Familie.
Die jetzt meine Farben waren.
»Ich wünschte immer noch, Ihr hättet mir erlaubt, Euch formellere Kleidung anzufertigen«, murmelte Calanthe. »Trotz der wenigen Zeit hätte ich das mit meiner Magie leicht vollbracht.«
Sie war eine Meisterin, was bedeutete, dass ihre Magie ihr erlaubte, mit besonderen Objekten oder Elementen zu arbeiten und daraus Erstaunliches zu erschaffen. Calanthe herrschte über Garn, Stoffe und ähnliches Material. Mir zuckte die Nase. Meine eigene Magie erlaubte mir, ihre Macht an meiner Tunika zu riechen. Es war ein leiser säuerlicher Duft, den ich genauso wahrnahm wie die Farbstoffe, die sie verwendete, um den Kleidungsstücken ihre atemberaubend strahlende Farbe zu verleihen.
Calanthe hatte mich dazu überreden wollen, für die heutige Veranstaltung ein Ballkleid anzuziehen, doch ich hatte abgelehnt. Ich war nicht die Königin, mit der alle gerechnet hatten, und sicherlich nicht die, die sie sich gewünscht hatten. Daher erschien es mir albern und sinnlos, mich in mehrere Lagen aus Seide zu hüllen und mit Massen von Juwelen zu schmücken. Außerdem konnte man in Ballkleidern nicht kämpfen. Wobei ich mir in dieser Hinsicht eigentlich keine Gedanken machte, was ich trug, nachdem jeder Tag in Sieben Türme ein Kampf für mich war.
»Vergiss die Kleidung!«, meldete sich eine andere Stimme zu Wort. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass die Leute dir das alles hier geschickt haben.«
Ich wandte mich auf meinem Stuhl um und fasste die große Frau mit dem geflochtenen blonden Haar und der wunderschönen bronzefarbenen Haut ins Auge, die auf einem Samtsofa lagerte. Sie trug eine waldgrüne Tunika, die ihre bernsteinfarbenen Augen betonte, gepaart mit einer engen schwarzen Hose und schwarzen Stiefeln. Ein großer Streitkolben lag neben ihr auf dem Sofa, dessen Spitzen nach und nach in das Polster eindrangen.
Paloma wedelte mit der Hand über den Tisch, der vor ihr stand. »Komm schon! Wie viel Zeug braucht eine Königin?«
Der gesamte verfügbare Platz auf der Tischoberfläche war mit Körben, Schüsseln und Platten bedeckt. Darin und darauf war jede erdenkliche Delikatesse zu finden, die man sich nur vorstellen konnte, von frischen Erzeugnissen über müffelnde Käsesorten bis zu Champagnerflaschen. Auf den anderen Tischen sah es ähnlich aus und dasselbe galt für den Schreibtisch und den Nachttisch neben dem Himmelbett. Sogar auf dem Kleiderschrank in der Ecke waren Gegenstände aufgereiht. Ganz zu schweigen von den Mänteln, Roben und anderen Kleidungsstücken, die sich in den Ecken stapelten, oder den Bildern, Statuen und dem anderen Nippes, der an die Wände gestapelt war. In den letzten Wochen hatte ich so viele Willkommensgeschenke erhalten, dass ich dazu übergegangen war, sie auf den Fensterbrettern aufzuhäufen, damit ich mich noch bewegen konnte.
Paloma zog eine weiße Karte aus einem Korb, der auf dem Tisch stand. »Wer ist Lady Diante? Und wieso hat sie dir einen Korb voller Birnen geschickt?«
»Lady Diante ist eine wohlhabende Adlige, der Obsthaine in einem der südlichen Distrikte gehören«, erklärte ich. »Es ist eine bellonische Tradition, der neuen Königin ein Geschenk zu schicken, um ihr eine lange und erfolgreiche Herrschaft zu wünschen.«
Paloma schnaubte. »Seltsame Tradition, einer Frau ein Geschenk zu schicken, gegen die man bereits Intrigen spinnt.«
Missbilligend schürzte Calanthe die Lippen, und ihre Schwestern keuchten hörbar auf. Calanthe legte Wert auf Traditionen und war immer höflich. Sie konnte nicht viel mit Palomas offenen Worten über Diantes Mangel an Lehnstreue anfangen, aber sie schwieg. Sie mochte eine talentierte Garnmeisterin sein, aber Paloma war ein viel stärkerer Morph.
Calanthe starrte das Morph-Mal an Palomas Kehle an. Alle Morphe trugen Tätowierungen auf dem Körper, die verrieten, in welches Monster oder Tier sie sich verwandeln konnten. Palomas Mal zeigte ein Furcht einflößendes Ogergesicht mit bernsteinfarbenen Augen, einer Locke blonden Haars und jeder Menge scharfer Zähne.
Der Oger musste Calanthes tadelnden Blick gespürt haben, weil seine bernsteinfarbenen Augen sich in ihre Richtung wandten. Der Oger starrte die Garnmeisterin einen Moment lang an, dann öffnete er den Mund zu stummem Gelächter. Calanthe schürzte die Lippen noch stärker und schniefte empört, was den Oger nur noch mehr belustigte.
»Nun, vielleicht solltest du die Birnen kosten«, witzelte ich. »Nur um sicherzustellen, dass Lady Diante mich nicht mit frischen Früchten zu ermorden versucht.«
»Ich glaube … das ist ein hervorragender Vorschlag«, meinte Paloma gedehnt. »Besonders, nachdem ich weiß, dass deine Murksnase es niemals ertrüge, einen Korb mit vergifteten Früchten in der Nähe zu haben.«
Calanthe verzog das Gesicht und ihre Schwestern keuchten wieder auf, als Paloma mich so beiläufig als Murks bezeichnete, was der abwertende Begriff für Personen war, die wenig oder keine Magie besaßen. Doch mir machte die Bemerkung nichts aus. Man hatte mich schon mit viel schlimmeren Schimpfwörtern bedacht. Außerdem war Paloma meine beste Freundin. Und ich fand ihre Ehrlichkeit erfrischend, besonders nach so vielen Jahren, als man mir ins Gesicht gelächelt hatte, nur um hinter meinem Rücken die scharfen Zungen an mir zu wetzen, sobald sich die Gelegenheit dazu ergab.
Ich warf Paloma einen finsteren Blick zu, doch sie nahm sich nur eine Birne aus dem Korb und biss hinein. Sie lächelte mich an, genauso wie das Ogergesicht an ihrem Hals.
»Siehst du?«, murmelte sie. »Nicht die Spur von Gift.«
Ich verdrehte die Augen, konnte aber ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
»Nun, iss schnell!«, riet ich ihr und stand auf. »Weil es jetzt, da ich endlich angemessen gekleidet bin, Zeit wird, uns dem ersten Kampf des Tages zu stellen.«
Ich dankte Calanthe und ihren Schwestern für ihre Dienste. Die Garnmeisterin knickste vor mir, warf einen weiteren missbilligenden Blick in Palomas Richtung und verließ den Raum. Während Paloma ihre erste Birne verputzte und sich die nächste nahm, schloss ich einen schwarzen Ledergürtel um meine Taille, um dann ein Schwert und einen Dolch daran zu befestigen.
Eine Königin sollte eigentlich keine Waffen tragen müssen, zumindest nicht in ihrem eigenen Palast. Andererseits war ich keine gewöhnliche Königin.
Und es waren keine gewöhnlichen Waffen.
Das Schwert und der Dolch glänzten beide matt und silbrig und in beide Hefte waren mitternachtsblaue Splitter eingelassen, die mein Kronenwappen bildeten. Doch was die Waffen so außergewöhnlich machte, war die Tatsache, dass sie ganz und gar aus Zährenstein bestanden. Das Schwert und der Dolch waren viel leichter als gewöhnliche Klingen und konnten zusätzlich auch noch Magie ablenken und aufnehmen, genau wie die Zährensteinsplitter in meinem Armband.
Ein passender silberner Schild lehnte neben meinem Bett an der Wand, doch ich entschied, es mir nicht auf den Arm zu schieben. Schwert und Dolch zu tragen, war schon bemerkenswert genug. Außerdem noch den Schild zu tragen, hätte mich schwach aussehen lassen. Und das konnte ich mir auf keinen Fall leisten, wenn ich bedachte, wie unsicher ich bisher auf dem Thron saß.
Ich ließ die Finger über das Kronenwappen im Heft des Schwerts gleiten. Trotz ihrer dunkelblauen Färbung glitzerten die Splitter. In den letzten Monaten hatte sich die Splitterkrone zu meinem persönlichen Wappen entwickelt. Unter anderem, weil sie auf vielen Gegenständen auftauchte, die andere mir gegeben hatten, wie auf meinem Armband und den Waffen. Doch inzwischen brachte jeder das Symbol mit mir persönlich in Verbindung, ob es mir nun gefiel oder nicht.
Irgendwie hasste ich die Krone aus Scherben und alles, wofür sie stand. Das Wappen war eine weitere Erinnerung daran, dass ich eine Lückenbüßerin war, die nur durch unerwartete und außergewöhnliche Vorkommnisse den Thron bestiegen hatte.
Meistens erinnerte mich die Splitterkrone an alle die Schwerter, alle die Feinde, die mich einen Kopf kürzer machen wollten. Und am schlimmsten war die Tatsache, dass dieses Symbol stets nur mit den stärksten Herrinnen des Winters in Verbindung gebracht wurde. Das fand ich besonders beunruhigend, da ich immer noch keine Ahnung hatte, was es eigentlich bedeutete, die Herrin des Winters zu sein, besonders in Bezug auf meine Magie.
Doch auf seltsame Art beruhigte mich das Symbol auch. Andere Blairs, andere Herrinnen des Winters, hatten das Leben in Sieben Türme überlebt. Vielleicht gelang mir das auch.
Es wurde Zeit, es herauszufinden.
Paloma nahm den letzten Bissen von ihrer zweiten Birne. Dann stand sie auf, griff nach ihrem stachelbewehrten Streitkolben und warf ihn über die Schulter. Mit der Waffe wirkte sie noch bedrohlicher. »Bist du bereit dafür?«
Ich stieß den Atem aus. »Ich nehme an, das muss ich sein, nicht wahr?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Es ist noch nicht zu spät. Wir könnten uns immer noch aus dem Palast schleichen, weglaufen und uns einer Gladiatorentruppe anschließen.«
Ich schnaubte. »Bitte! Ich würde es nicht mal über den Fluss schaffen, bevor Serilda und Auster mich aufgespürt und hierher zurückgeschleppt hätten.«
Paloma zuckte abermals mit den Achseln, doch sie widersprach nicht. Dann lächelte sie mich an, genauso wie der Oger an ihrem Hals. »Nun, dann solltest du Serilda, Auster und allen anderen die Lektion erteilen, auf die sie gewartet haben.«
Wieder schnaubte ich. »Was sie wirklich wissen wollen, ist nur die Frage, wer als Erstes gegen mich vorgehen wird. Aber du hast recht. Ich kann es genauso gut durchziehen.«
Meine Finger glitten noch einmal über Schwert und Dolch, damit ich Stärke aus den Waffen ziehen konnte. Dann trat ich zu der großen Doppeltür. Genau wie der Schminktisch waren auch hier Gladiatoren und andere Gestalten in das Holz eingeschnitzt. Ich starrte sie eine Weile an, dann atmete ich tief durch, kleisterte mir einen nichtssagend freundlichen Ausdruck ins Gesicht und öffnete die Türflügel.
Sobald ich den Flur betrat, nahmen die zwei Wachmänner neben den Türen Haltung an. Sie trugen beide die Standarduniform, bestehend aus einem einfachen silbernen Brustharnisch über einer kurzärmeligen blauen Tunika, einer engen schwarzen Hose und Stiefeln. Beide Wächter trugen ein Schwert an der Hüfte.
Ich lächelte die Männer an. »Alonzo, Calios, ihr seht heute Morgen sehr gut aus.«
Sie senkten die Köpfe, reagierten sonst aber nicht. Noch vor mehreren Monaten, als ich einfach Lady Everleigh gewesen war, hätten die Männer mit mir geredet, gelacht und Witze gerissen. Jetzt musterten sie mich nur wachsam, als würden sie sich fragen, ob ich mich ihnen gegenüber verletzend äußern wolle. Ich gab mir Mühe, im Angesicht ihres misstrauischen Schweigens keine Grimasse zu ziehen.
Ich zwang mich, die Männer noch einmal anzulächeln, dann schritt ich den Flur entlang. Paloma reihte sich neben mir ein, den Streitkolben immer noch auf der Schulter. Zusätzlich zu meiner besten Freundin war Paloma auch meine persönliche Wächterin. Und die ehemalige Gladiatorin war stolz darauf, beiläufig jeden zu bedrohen, der in meine Nähe kam.
Die Gemächer der Königin lagen im zweiten Stock. Wir stiegen einige Stufen nach unten, bis wir das Erdgeschoss erreicht hatten.
Der Palast der Sieben Türme war das Herz von Svalin, der Hauptstadt von Bellona. So gut wie alles in den breiten Fluren und weitläufigen Gemeinschaftsräumen stellte einen Tribut an die Gladiatorenvergangenheit des Königreichs dar, von den Wandteppichen, die vor den dunkelgrauen Wänden hingen, über die Statuen, die in verschiedenen Nischen standen, bis zu den hölzernen Vitrinen, in denen Schwerter, Speere, Dolche und Schilde ausgestellt waren. Berühmte Königinnen und Krieger hatten sie vor langer Zeit verwendet.
Doch den offensichtlichsten Hinweis auf die Vergangenheit von Bellona stellten die Säulen dar, die sich in fast jedem Flur und Raum erhoben. Bevor Sieben Türme zum Palast geworden war, hatten diese Gänge zu einer Mine gehört und die Säulen waren die Stützpfeiler für die alten Tunnel gewesen, in dem meine Blair-Vorfahren Fluorstein aus dem Berg gegraben hatten. Über die Jahre waren die Säulen in Kunstwerke verwandelt worden. Sie waren bedeckt mit den Bildern von Gladiatoren, Waffen, Gargoyles, Strixen und Caladriussen, genau wie die Möbel in den königlichen Gemächern.
Doch am beeindruckendsten an den Säulen war die Tatsache, dass sie alle aus dem Zährenstein bestanden, der seine Farbe wechseln konnte, von einem hellen, leuchtenden, sternenhellen Grau zu einem dunklen Mitternachtsblau, je nach Lichteinfall und anderen Bedingungen. Mir war es immer so erschienen, als erweckten die wechselnden Farben des Zährensteins die Gladiatoren und Kreaturen im Stein zum Leben, sodass es aussah, als verfolgten sie sich rund um die Säulen, gefangen in ewigem Kampf.
Ich starrte die Säule neben mir noch eine Weile an, dann zwang ich mich, die Menschen im Palast in Augenschein zu nehmen. Schließlich waren sie diejenigen, die mich wirklich verletzen konnten.
Obwohl es noch früh am Montagmorgen war, hielten sich viele Menschen in den Fluren auf. Diener mit Tabletts voller Esswaren und Getränke. Palastvögte, die auf ihre Posten eilten, um Arbeiter zu überwachen. Wächter, die hier und dort postiert waren und sicherstellten, dass alles ordentlich vonstattenging.
Alle taten, was sie immer taten … bis sie mich entdeckten.
Dann wurden die Augen aufgerissen, Münder blieben offen stehen und Köpfe zuckten zurück. Manche sanken sogar in tiefe, höfische Verbeugungen und Knickse, um sich erst wieder zu erheben, als ich an ihnen vorbeigegangen war. Ich biss die Zähne zusammen und reagierte mit freundlichem Lächeln und Nicken.
Doch das Katzbuckeln war nichts im Vergleich zu dem Geflüster.
»Wieso trägt sie kein Kleid?«
»Weiß sie nicht, wie wichtig der heutige Tag ist?«
»Sie wird keinen Monat mehr durchhalten.«
Das Flüstern erhob sich, sobald ich an jemandem vorbei war, sodass die leisen Kommentare sich von einem Flur in den nächsten ausbreiteten, wie eine Flutwelle, die sich immer höher erhob und über mir zusammenzuschlagen drohte. Ertrinken wäre ein gnädigerer Tod gewesen als das, worauf ich mich hier eingelassen hatte.
Nach den Gerüchten, die mir zu Ohren gekommen waren, hatten die Diener und Wächter eine Wettgemeinschaft gebildet und setzten darauf, wie lange meine unsichere Herrschaft dauern werde. Diese Frage stellte ich mir auch selbst immer wieder. Ich war erst seit ungefähr zwei Monaten Königin, aber ich ertrug schon jetzt die Politik, die internen Machtkämpfe und die ständigen Intrigen kaum noch, die im Palast den Gladiatorenkämpfen entsprachen, die im Königreich so beliebt waren.
Selbst Paloma mit ihrem beängstigenden Streitkolben und dem böse dreinblickenden Oger am Hals konnte das Geflüster nicht verhindern. Wieder biss ich die Zähne zusammen, eilte weiter und gab mir Mühe, nicht auf die Kommentare ringsum zu achten. Auch wenn das einfacher gesagt als getan war.
Paloma und ich bogen um eine Ecke und betraten einen langen Flur, der bis auf die üblichen Wachleute in den Ecken menschenleer war. Mein Blick huschte an den Männern vorbei und saugte sich an der riesigen Flügeltür fest, die sich am anderen Ende vom Boden bis zur Decke erhob. Die Türflügel standen weit offen und ich sah die Menschen, die sich im Raum dahinter bewegten.
Im Thronsaal.
Obwohl ich schon unzählige Male hier gewesen war, verkrampfte sich mein Magen und mein Herzschlag setzte kurz aus. Aber ich zwang mich zum Weitergehen, einen gemessenen Schritt nach dem anderen. Es gab kein Zurück und ich konnte auch nicht fliehen. Nicht vor dem, was mich hier erwartete.
Ein schlanker, muskulöser Mann Mitte vierzig, der eine rote Jacke über einem weißen Hemd, eine schwarze Hose und Stiefel trug, stand vor den Fenstern auf seiner Seite der Tür. Im Sonnenlicht, das durch das Glas fiel, glänzte sein schwarzes Haar wie frische Tinte und erhellte das Morph-Mal an seinem Hals, ein Drachengesicht, das mit rubinroten Schuppen besetzt war. Seine Haut schimmerte golden.
Der Mann richtete seine ungeteilte Aufmerksamkeit auf eine silberne Platte mit Törtchen, die auf dem Fensterbrett stand. Er wählte ein Gebäckstück aus, schob es sich in den Mund und seufzte glücklich.
Aus den Augenwinkeln musste er uns bemerkt haben, weil er den Kopf plötzlich in unsere Richtung wandte. Eilig schob er sich ein weiteres Törtchen in den Mund, während wir auf ihn zutraten.
»Ah, da bist du ja, Evie«, sagte er. »Ich habe mir vor der Veranstaltung nur rasch ein paar Leckereien gegönnt.«
Cho Yamato war nicht nur ein ehemaliger Wachmann der Königin und der Ringmeister einer Gladiatorentruppe, sondern auch noch ein ziemliches Leckermaul. Und dasselbe galt für den Drachen an seinem Hals, dessen Blicke aus den schwarzen Augen immer noch auf das Tablett voller Köstlichkeiten gerichtet waren.
»Ich freue mich zu sehen, dass Theroux sich so trefflich als neuer Küchenvogt eingelebt hat«, sagte ich. »Und sein Bestes gibt, dich mit Nachspeisen zu verwöhnen. Oder hast du diese hier einem armen, nichts ahnenden Diener gestohlen?«
Cho grinste. »Natürlich habe ich sie gestohlen. Theroux’ Nachspeisen sind nicht so gut wie solche, die du anfertigen könntest. Aber dieser Zucker ist immer noch besser als kein Zucker, richtig?« Er wartete meine Antwort nicht ab, sondern schob sich gleich ein Kiwitörtchen in den Mund.
Mit Cho zu scherzen, löste einen Teil meiner Anspannung. Auch wenn ich vielleicht nicht gern Königin war, hatte ich zumindest Freunde wie ihn und Paloma, die mir bei dieser gefährlichen Mission halfen.
Cho schluckte, dann musterte er mich prüfend. »Bist du bereit?«, fragte er ernst.
»So bereit, wie ich eben nur sein kann.«
Er und sein Drache am Hals schenkten mir einen mitfühlenden Blick. »Nun, dann lass uns loslegen!«
Cho schlug sich die Kuchenbrösel von den Fingern und strich die rote Jacke glatt. Dann trat er mit großen Schritten vor, bis er genau in der Mitte der offenen Flügeltür stand.
»Ihre Königliche Hoheit, Königin Everleigh Saffira Winter Blair!« Cho setzte seine Ringmeister-Stimme sehr wirkungsvoll ein, sodass die Worte wie Donner durch den Saal hallten und alle Gespräche übertönten.
Er trat zur Seite. Alle verstummten, wandten sich um und musterten mich. Ich biss die Zähne zusammen, lächelte mein nichtssagendes Lächeln und trat durch die Türen.
Der Thronsaal war der größte Saal im Palast. Das Erdgeschoss umfasste eine riesige höhlenartige Fläche, die nur von den Zährensteinsäulen durchbrochen wurde, die sich nach oben streckten, um die Decke hoch über unseren Köpfen zu tragen. Zierlichere, kürzere Säulen erhoben sich, um die Galerie zu stützen, die sich im ersten Stock an drei Seiten um den Saal herumzog.
Auch diese Säulen waren mit Gladiatoren, Waffen und Kreaturen verziert und das Deckengemälde zeigte eine riesige Schlachtszene, zusammengefügt aus glänzendem Stein, Glas, Metall und Edelsteinen. In der Mitte der Decke hatte Bryn Bellona Winter Blair – meine Ahnin – abgebildet, die ihr Schwert hoch erhoben hielt, um es auf den mortanischen König hinabsausen zu lassen, den sie vor langer Zeit im Kampf besiegt hatte, um ihr Königreich zu errichten.
Und jetzt war es mein Königreich.
So gern ich einfach an die Decke gestarrt und so getan hätte, als gäbe es den Rest der Welt nicht, konzentrierte ich mich doch auf das vor mir Liegende.
Ein langer, breiter, blauer Teppich mit silbernen Stickereien am Rand führte von den Türen quer durch den Saal, bis er vor einem Steinpodium vor der hinteren Wand endete. Als wären der Teppich und das Podium noch nicht Angst einflößend genug, standen bellonische Lords, Ladys, Senatoren, Gildenmeister und andere betuchte, einflussreiche Bürger auf beiden Seiten des Teppichs. Und alle starrten mich an.
Es war, als hätte mir einer wie der andere einen Fehdehandschuh vor die Füße geworfen.
Mit immer noch wohlwollendem Lächeln nahm ich die Schultern zurück, hob das Kinn und trat vor, als wäre dies von Anfang an mein Geburtsrecht gewesen, als wäre ich nicht aus Versehen in diese Situation gestolpert, nachdem der Rest der königlichen Blair-Familie ermordet worden war.
Die Leute traten auf beiden Seiten an den Teppich heran, nickten mir zu, lächelten und machten mir sinnlose Komplimente. Ich erwiderte die Worte und Gesten, machte gute Miene zum bösen Spiel und bemühte mich, mir meine Sorge und Anspannung nicht anmerken zu lassen. Vielleicht wusste ich nicht, wie ich mich als Königin zu benehmen hatte, aber ich war eine Meisterin im Verbergen meiner wahren Gefühle, sodass niemand sie erahnte.
Paloma folgte mir durch die Reihe der Gratulanten. Ihr misstrauischer Blick huschte über alle Menschen hinweg, während sie noch immer den Streitkolben auf der Schulter trug. Sie nahm ihre Pflichten als persönliche Wächterin sehr ernst, obwohl ich ihr mehrfach erklärt hatte, dass ich vonseiten der Adligen keine körperlichen Angriffe erwartete.
Viel eher hatten sie vor, mich mit grausamen Worten und hinterhältigen Intrigen zu vernichten.
Schließlich ließ ich die Menge hinter mir und erreichte die Stufen, die zum Podium führten und die von drei Personen flankiert wurden.
Eine von ihnen war eine Frau um die vierzig, offensichtlich eine Kriegerin. Das erkannte ich an dem Schwert und dem Dolch, den sie an ihrem schwarzen Ledergürtel trug. Ihr kurzes blondes Haar war aus dem Gesicht gekämmt, sodass ich deutlich eine Narbe in Form einer Sonne in einem Augenwinkel ihrer blauen Augen erkennen konnte. Sie trug eine enge schwarzes Hose und Stiefel, kombiniert mit einer weißen Tunika. Darauf war mit schwarzem Garn ein Schwan eingestickt, der auf einem Teich schwamm, umgeben von Blumen und Ranken.
Serilda Swanson, die Anführerin der Gladiatorentruppe zum Schwarzen Schwan und eine meiner wichtigsten Beraterinnen, neigte kurz den Kopf, dann sank sie in einen makellosen bellonischen Hofknicks. Ich biss die Zähne noch ein wenig fester zusammen und vermied, das Gesicht zu verziehen. Ich würde mich nie daran gewöhnen, dass Leute vor mir knicksten, am wenigsten eine Person, die so stark, tödlich und legendär war wie Serilda.
Die zweite Person war ebenfalls eine Frau, die aber älter war, wahrscheinlich über sechzig. Sie hatte kurzes rotes Haar, bernsteinfarbene Augen und bronzefarbene Haut. Bekleidet war sie mit einer waldgrünen Tunika, einer engen schwarzen Hose und Stiefeln und stützte sich auf einen Gehstock, der von einem Knauf in Form eines silbernen Ogerkopfs gekrönt wurde und der zu dem Morph-Mal an ihrem Hals passte.
Lady Xenia, eine ungerische Adlige, nickte mir ebenfalls zu, aber wenigstens sank sie nicht in einen Knicks.
Die dritte Person war ein streng wirkender Mann um die fünfzig mit kurzem grauem Haar, dunkler Haut, braunen Augen und einer schief stehenden Nase, die offensichtlich unzählige Male gebrochen war. Wie die anderen Wachen trug er eine kurzärmelige blaue Tunika zu einer schwarzen Hose und Stiefeln. Mein Blick fiel auf seinen silbernen Brustharnisch, auf dem über dem Herzen meine Krone aus Splittern prangte. Obwohl er den Harnisch schon seit Wochen trug, konnte ich mich nicht daran gewöhnen, ihn mit meinem Wappen zu sehen statt mit der aufgehenden Sonne von Königin Cordelia.
Dies war Auster, der Hauptmann der königlichen Wache und jeglichen Wachpersonals im Palast. Mein Hauptmann.
Hauptmann Austers Finger schlossen sich um das Heft des Schwerts an seinem Gürtel, dann verbeugte er sich nach bellonischer Tradition. Er verharrte viel länger als nötig und schien mir mit jeder zusätzlichen Sekunde seine Ergebenheit und seine Entschlossenheit zu zeigen. Sicher wollte er auf keinen Fall zulassen, dass ich ermordet wurde wie Königin Cordelia.
Schließlich richtete Auster sich wieder auf. Ich schenkte ihm ein ehrliches Lächeln und seine strenge Miene wurde sanfter, auch wenn das nichts an seiner Bereitschaft änderte, das Schwert zu ziehen und mich bis zum letzten Atemzug zu verteidigen.
Obwohl die drei nicht in der Nähe des Teppichs standen, traten Serilda, Xenia und Auster noch weiter zurück, als wollten sie mir den Weg zum Thron ebnen.
Ich blickte zum Thron der Königin auf, der auf dem Podest stand. Der Sessel bestand aus gezackten Zährensteinstücken, die vor Jahrhunderten aus dem Berg von Sieben Türme gegraben und zu einem Thron zusammengesetzt worden waren. Er glänzte in sanftem Licht und veränderte seine Farbe von hellem Grau zu Mitternachtsblau, genau wie die Säulen. Die wechselnden Farben repräsentierten die Sommer- und Winter-Linie der königlichen Blair-Familie, genauso wie die unvergängliche Stärke des bellonischen Volkes.
Ich hatte den Thron schon unzählige Male gesehen, doch jetzt, da er mir gehörte, fand ich ihn noch viel einschüchternder. Am meisten war ich davon beeindruckt, dass oben auf der Lehne dieselbe Krone aus Splittern eingelassen war, die auch meine Tunika, mein Armband und meine Waffen zierte. Vor dem königlichen Massaker hatte ich das Symbol nie beachtet, doch jetzt entdeckte ich es, wo immer ich hinging. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich viel glücklicher gewesen wäre, wenn ich diese Krone niemals erblickt hätte. Auf jeden Fall wäre ich sicherer gewesen.
Die Herrinnen des Sommers sind schön und apart, mit hübschen Bändern und Blumen so zart.
Die Herrinnen des Winters sind kalt und hart, eisige Kronen aus Splittern sind ihre Art.
Die Worte des alten bellonischen Kinderreims hallten in meinem Kopf wider, als flüsterten ihn mir alle Königinnen, die vor mir gewesen waren, immer wieder ins Ohr. Ich lauschte noch einen Moment auf die Echos, dann atmete ich tief durch, stieg die Stufen empor, drehte mich um und ließ mich auf dem Thron nieder.
Dies war das Signal, auf das alle gewartet hatten. Die Lords, Ladys, Senatoren, Gildenmeister und anderen traten vor und blieben erst wenige Schritte vor dem Podium wieder stehen. Dann bildeten sich schnell die üblichen Gruppen und redeten miteinander, während Diener durch die Menge gingen, um Kiwitörtchen, frische Früchte und Käse sowie Gläser mit prickelnder Brombeer-Sangria zu verteilen.
Ich spähte zu der Galerie im ersten Stock hinauf. Dort oben hielten sich weitere Adlige auf, aßen, tranken, unterhielten sich und beobachteten mich, auch wenn sie viel ärmer und daher weniger einflussreich waren als jene, die sich im Erdgeschoss versammelt hatten.
Ich wollte gerade den Blick senken, als ich einen Mann entdeckte, der allein in einer Ecke der Galerie saß. Er trug einen langen grauen Mantel über sonst schwarzer Kleidung. Sein dunkelbraunes Haar glänzte im Licht der Lampen und ein Bartschatten verdunkelte sein Kinn. Die Miene auf den attraktiven Zügen war so ausdruckslos wie meine und ich konnte seine Gedanken nicht deuten, obwohl seine blauen Augen meinen Blick mit brennender Intensität bannten.
Ich blähte die Nasenflügel. Auch wenn er so weit von mir entfernt saß, konnte ich doch über alle anderen Gerüche im Raum seinen Duft wahrnehmen, kalte, kühle Vanille mit einem Hauch von Schärfe. Ich atmete nochmals tief ein, sog den Duft tief in meine Lungen ein und gab mir Mühe, den heißen Funken der Begierde zu unterdrücken, der in mir aufglomm.
Lucas Sullivan war der magische Vollstrecker des Schwarzen Schwans, ein andvarischer Bastard-Prinz und mein … nun, ich wusste nicht genau, was genau Sullivan für mich war. Viel mehr als ein Freund, aber kein Liebhaber, trotz meiner deutlichen Vorstöße in seine Richtung. Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, wie viel er mir bedeutete, besonders nicht jetzt, da ich mich dem nächsten Kampf innerhalb meines eigenen Palasts stellen musste.
Daher senkte ich den Blick und sah erneut über die Adligen hinweg. Obwohl ich bereits seit mehreren Wochen Königin war – seitdem ich Vasilia, die Kronprinzessin und meine verräterische Cousine, getötet hatte –, hielt ich zum ersten Mal offiziell Hof. Alle waren gekommen, um mit mir über Geschäfte und anderes zu sprechen, und es war von großer Bedeutung, dass alles gut vonstattenging. Allerdings bezweifelte ich das schwer. Einiges, was ich zu sagen hatte, würde den Adligen nicht gefallen.
Während die Höflinge sich unterhielten, sich an Sangria und Köstlichkeiten gütlich taten, atmete ich unauffällig ein, ließ die Luft über die Zunge gleiten und kostete so alle darin enthaltenen Gerüche. Die blumigen Parfüms und würzigen Rasierwasser der Gäste. Die fruchtige Note der Sangria. Der durchdringende Geruch des Schimmelkäses, der auf den Tischen an der Wand angeboten wurde.
Ich wollte die Sitzung gerade offiziell eröffnen, als mir ein letzter Geruch in die Nase stieg – pfeffriger Zorn, so stark, dass mir die Nase von der plötzlichen Geruchsexplosion brannte.
Die meisten der Anwesenden mochten auf meine Murksmagie herabblicken, doch mein herausragender Geruchssinn war in einer Hinsicht sehr nützlich. Mit seiner Hilfe erkannte ich die Gefühle von Menschen und sehr oft auch ihre Absichten. Knoblauchähnliche Schuld, aschige Scham, minziges Bedauern. Ich erkannte, was jemand fühlte, und oft auch, was jemand plante, indem ich einfach die Gerüche prüfte, die um diese Person herum in der Luft schwebten.
Ich hatte meine Murksmagie jahrelang verfeinert, also wusste ich, dass dieser nach Pfeffer schmeckende Zorn nur eines bedeuten konnte.
Jemand hier im Saal wollte mich umbringen.
Ich ließ den Blick von einer Seite des Thronsaals zur anderen schweifen, auf der Suche nach einer offensichtlichen, unmittelbaren Bedrohung.
Nach Blitzen, die in der Hand eines Magiers knisterten. Einem Morph, der in seine andere, stärkere Gestalt wechselte. Einem Steinmeister, der die Decke über meinem Kopf mit Rissen durchziehen wollte. Einem Murks, der sein Schwert zog und mit magisch verstärkter Geschwindigkeit auf das Podium zurannte.
Doch ich konnte nichts dergleichen entdecken. Ich sah überhaupt nichts Ungewöhnliches, also atmete ich nochmals tief durch, um erneut die Gerüche in der Luft zu testen. Der pfeffrige Zorn war ebenso stark wie gerade eben noch, doch leider hielten sich so viele Leute im Saal auf, dass ich die Duftquelle nicht entdecken konnte.
Doch ich würde sie finden.
Entschlossenheit erfüllte mich, zusammen mit kalter Wut. Es waren bereits zu viele Menschen gestorben. Und ich hatte das königliche Massaker nicht überlebt, um mich nach gerade einmal drei Monaten Herrschaft in meinem eigenen Thronsaal ermorden zu lassen.
Ich lächelte weiterhin höflich und ließ mir mein Wissen um die Gefahr nicht anmerken, als ich die Adligen beobachtete, wie sie aßen und sich unterhielten. Sobald der erste Hunger gestillt und die wichtigsten Gerüchte ausgetauscht waren, forderte ich alle mit einer Geste zum Schweigen auf. Die Höflinge im Erdgeschoss drehten sich zu mir um, während die Adligen auf der Galerie ihre Sitzplätze einnahmen.
»Willkommen, verehrte Landsmänner und Landsfrauen!«, rief ich mit lauter Stimme. »Ihr ehrt mich mit Eurer Gegenwart und besonders mit Eurer Treue.«
»So wie Ihr uns ehrt«, antworteten die Anwesenden mit der traditionellen Phrase, wenn auch mit mangelndem Enthusiasmus.
Noch bevor ich die Sitzung eröffnen konnte, löste sich ein Adliger aus der Menge und trat mit großen Schritten vor das Podium. Lord Fullman war ein kleiner Mann mit schütterem blondem Haar und einem runden Schmerbauch, der bewies, wie gern er aß und trank. Als Besitzer mehrerer Fluorsteinminen herrschte er auch über viel Land, viele Menschen und Geld und stellte somit eine Person dar, die ich besser nicht gegen mich aufbrachte.
Fullman vollführte eine elegante Verbeugung und richtete sich auf. »Meine Königin!«, krähte er mit selbstbewusster Stimme. »Lasst mich der Erste sein, der Euch förmlich zu Eurer Thronbesteigung gratuliert.«
»Ich danke Euch«, antwortete ich, auch wenn ich mich innerlich bereits wappnete.
Fullman trieb sich seit Jahren am Hof herum. Er gehörte zu denjenigen, die anderen gern den Stiefelabsatz auf die Kehle setzten und zutrat, bis sie seine Wünsche erfüllten, so wie seine Minenarbeiter große Brocken Fluorstein in kleinere, handlichere Stücke zerhackten.
Er lächelte, doch es war ein scharfes Lächeln. »Allerdings hätte ich eine Frage. Was hat es mit diesem Unsinn von einer Reise nach Andvari auf sich?«
Verärgerung erfüllte mich, als Fullman so mit mir sprach, als wäre ich ein Kind und keine Königin. Doch ich behielt unerschütterlich meine höflich lächelnde Miene bei. Die Beherrschung zu verlieren und ihn anzublaffen, würde mir nicht helfen. Innerlich allerdings seufzte ich. Ich hatte nicht erwartet, dass sich die Nachricht über meine bevorstehende Reise so schnell verbreitete, obwohl ich es hätte besser wissen müssen. Es war nur ein harmloses Geflüster nötig und innerhalb von Stunden wussten alle am Hof über meine Pläne Bescheid.
Ein überraschtes Murmeln breitete sich im Raum aus. Offensichtlich hatten noch nicht alle von meiner geplanten Reise gehört. Fullman feixte in Richtung seiner Freunde und Feinde, stolz, dass er es war, der die Bombe platzen ließ.
»Es stimmt!«, rief ich. »König Heinrich hat mich gastfreundlich für mehrere Tage zu Handelsgesprächen nach Glitnir eingeladen.«
»Und wieso solltet Ihr so weit reisen?«, fragte Fullman fast höhnisch. »Besonders zu Beginn Eurer Herrschaft? Wir wollen doch auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass Ihr Euch den Andvarianern unterwerft. Das wäre nicht gut für Bellona. Einflüsse von außen sind immer ungünstig.«
Er sah vielsagend zu Sullivan hinüber, der immer noch in der oberen Ecke der Galerie saß. Sullivan erwiderte den Blick. Für alle anderen wirkte der Magier wahrscheinlich vollkommen ruhig, doch ich roch seinen scharfen Ärger sogar hier unten. Der Duft war fast so deutlich wie der pfeffrige Zorn der Person, die mich umbringen wollte.
Sullivan war der uneheliche Sohn des andvarischen Königs, was niemand an diesem Hof – oder irgendeinem anderen Hof – jemals vergaß. Laut den Gerüchten, die mir zu Ohren gekommen waren, fragte man sich allgemein, warum Sullivan gekommen war und wie genau sein Verhältnis zu mir eigentlich aussah.
Die meisten hielten ihn für meinen Liebhaber, obwohl wir uns in der Öffentlichkeit niemals berührten und uns niemals küssten, selbst wenn wir allein waren. Aber ich war die Königin und er ein gut aussehender Prinz, der die letzten Monate an meinem Hof verbracht hatte. Also gab es natürlich Gerede über uns, selbst wenn wir die Gerüchte in keiner Weise anheizten.
Zur Abwechslung einmal wünschte ich mir, das Gerede entspräche der Wahrheit. Dann hätte ich die Situation zumindest ein wenig genossen. Mein Blick glitt über Sullivans breite, muskulöse Schultern. Seine Erscheinung versprach einiges an Vergnügen.
Bisher war es mir gelungen, die Anspielungen und das Geflüster außer Acht zu lassen, doch das war nun nicht länger möglich. Ich wusste nicht, was genau Sullivan für mich darstellte, auf jeden Fall war er ein Freund. Und ich ließ nicht zu, dass irgendein aufgeblasener Adliger ihn von oben herab behandelte, nur weil Sullivan unehelich geboren war.
»Ich besuche Andvari, weil es nicht richtig wäre, König Heinrich nach Sieben Türme kommen zu lassen«, sagte ich mit harter Stimme. »Und das angesichts der Tatsache, dass sein Sohn, Prinz Frederich, hier ermordet wurde, zusammen mit Botschafter Hans und mehreren weiteren Andvarianern. Oder habt Ihr das vergessen?«
Fullman musterte mich wieder mit Überraschung in den hellblauen Augen. Er hatte nicht erwartet, dass ich mit solcher Härte kontern würde. Der Adlige schürzte die Lippen und ich konnte förmlich sehen, wie sich die Zahnräder in seinem Kopf drehten. Er versuchte, seine Strategie anzupassen und letztendlich seine Pläne durchzusetzen.
»Natürlich nicht. Diese schreckliche Tragödie wird niemals in Vergessenheit geraten.« Er holte tief Luft, um das Aber zu formulieren, das ihm schon auf der Zunge lag. »Aber nach Andvari zu reisen, sendet die falsche Botschaft aus. Das sähe aus, als ob Bellona nicht auf eigenen Füßen stehen und das Königreich sich nicht um sich selbst kümmern kann.«
Er sprach über das Königreich, doch alle wussten, dass er in Wirklichkeit über mich sprach. Die Anwesenden raunten zustimmend, auch wenn keiner vortrat, um Fullman gegen mich zu unterstützen. Man wartete ab und sah zu, wie die Sache für ihn lief.
»Andere, wichtigere Pflichten erfordern Eure Aufmerksamkeit«, erklärte Fullman und erneut schlich sich ein höhnischer Unterton in seine Stimme. »Sicher gibt es hier im Palast jede Menge Aufgaben, mit denen Ihr Euch beschäftigen könnt.«
Ich war seit meiner Thronbesteigung gut beschäftigt. Den Großteil meiner Zeit hatte ich damit verbracht, die verräterischen Wachen aufzuspüren und aus Sieben Türme zu verbannen sowie die grausamen Gesetze rückgängig zu machen, die Vasilia in ihrer kurzen Herrschaftszeit verabschiedet hatte. Mir war kaum eine Minute Zeit für mich selbst geblieben … was auch der Grund dafür war, dass dieser offizielle Hoftermin erst an diesem Tag stattfand, drei lange Monate nach Beginn meiner Herrschaft statt drei Tage nach der Krönung, wie es der Tradition entsprochen hätte.
Und jetzt war der Moment gekommen. Der Moment, vor dem ich mich gefürchtet hatte, seitdem ich zum ersten Mal auf dem Thron Platz genommen hatte, am Abend, nachdem ich Vasilia getötet hatte. Dies war die erste echte Herausforderung meiner Herrschaft und sie ereignete sich weniger als zehn Minuten nach Beginn der Hofsitzung. Fast bewunderte ich Fullmans Zurückhaltung. Ich hatte damit gerechnet, dass er schon nach fünf Minuten zum Angriff schritt, spätestens.
Oberflächlich betrachtet stellte er eine vernünftige Forderung. Doch wenn ich Fullman nachgab, wenn ich in Sieben Türme blieb, dann nähmen mich alle als schwach wahr. Noch besorgniserregender wäre es allerdings gewesen, wenn alle zu der Meinung gelangten, dass ich mich den Wünschen eines Adligen unterwarf, eines reichen und mächtigen Adligen, der ein eigenes Heer aufstellen und mir den Thron streitig machen würde.
Das konnte ich mir nicht leisten. Aber ich hatte auch nicht vor, mich Fullman oder irgendeinem anderen Intriganten zu unterwerfen. Das hatte ich in all den Jahren als königliche Lückenbüßerin getan, als königliche Marionette, die lächelte, nickte und den Mund hielt, gleichgültig, wie sehr mich jemand auch beleidigte oder misshandelte. Nie wieder.
Niemals.
Außerdem gab es noch weitere Gründe, nach Andvari zu reisen, Gründe, die für mein Überleben genauso wichtig waren wie diese verbale Auseinandersetzung.
»In meinen Augen gibt es nichts Wichtigeres, als unsere Beziehung zu Andvari wiederherzustellen und einen neuen Friedensvertrag zwischen unseren Königreichen auszuhandeln«, antwortete ich. »Besonders angesichts der Angriffe des mortanischen Königs auf Bellona, auf meine Familie. Die Andvarianer waren nicht die Einzigen, die starben. Oder habt Ihr die Ermordung von Königin Cordelia, Prinzessin Madelena und den anderen adligen Mitgliedern dieses Hofs vergessen … von denen einige angeblich Eure Freunde waren?«
Mein Tonfall war freundlich, meine Worte waren es nicht. Wieder erhob sich ein Murmeln in der Menge, doch diesmal war es ein zustimmendes Raunen. Und selbst Fullman besaß den Anstand, das Gesicht zu verziehen.
Serilda, Xenia und Auster nickten allesamt bestätigend. Hinter den Adligen lächelte mich Paloma breit an, genauso wie Cho, der neben ihr stand und bereits das nächste Tablett mit süßen Köstlichkeiten in Händen hielt. Ich senkte den Blick, um Sullivan nicht anzusehen.
Doch Fullman erholte sich schnell. Er hatte nicht vor, seine Absichten kampflos aufzugeben. »Nun, wenn Ihr so entschlossen seid, nach Andvari zu reisen, dann helfe ich Euch.«
Ich hob die Brauen. »Und wie genau gedenkt Ihr das zu bewerkstelligen?«
Ein breites, befriedigtes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und der saure, schweißgeschwängerte Geruch von Eifer stieg von seinem Körper auf. Ich hatte einen Fehler begangen, indem ich ihm eine so offene Frage gestellt hatte, und war offensichtlich geradewegs in die Falle getappt, die er mir gestellt hatte.
»Die Reihen Eurer persönlichen Diener sind unvollständig und bestehen überwiegend aus Leuten mit limitierten Fähigkeiten und erschreckend wenig Magie.« Er sah zu Serilda, Xenia und Auster hinüber, dann schweifte sein Blick abermals zur Galerie hinauf. Diesmal fasste Fullman allerdings Calanthe hart und anklagend ins Auge.
Die Garnmeisterin versteifte sich auf ihrem Platz und vergrub die Finger im Stoff ihres blauen Rocks. Calanthe mochte für Königin Cordelia gearbeitet haben, doch sie besaß bei Weitem nicht so viel Geld, Macht und Einfluss wie andere Garnmeister. Daher hatte Vasilia sie zugunsten einer von Fullmans reicheren, stärkeren Cousinen abgesetzt. Wenig Magie und Geld zu besitzen, war in Sieben Türme sogar noch schlimmer, als unehelich geboren zu sein.
Fullman musterte Calanthe noch einen Moment lang abfällig, dann wandte er sich wieder an mich. »Ich überlasse Euch gern einige meiner Diener, um Euer Gefolge zu vervollständigen.«
Nur mit Mühe gelang es mir, ein höhnisches Schnauben zu unterdrücken. Diener? Eher Spione. Oh, Fullmans Leute mochten meine Mahlzeiten zubereiten und meine Kleidung waschen, doch sie würden ihrem Herrn auch über jede meiner Bewegungen Bericht erstatten.
»Wie großzügig«, murmelte ich. »Ich bin sehr glücklich mit meinem derzeitigen Personal, doch ich will Euer Angebot gern überdenken.«
Meine Ablehnung sorgte dafür, dass Fullman wieder die Lippen schürzte, doch dann breitete sich erneut ein selbstzufriedenes Grinsen auf seinem Gesicht aus.
»Tatsächlich ist dies nur ein Teil meines Angebots.« Er legte eine dramatische Pause ein. »Der beste Weg, Euch und Bellona zu schützen, wäre es meiner Ansicht nach, Euch meinen ältesten Sohn Tolliver als Prinzgemahl zur Seite zu stellen.«
Aus der Menge war ein lautes Keuchen zu hören, gefolgt von aufgeregtem Geflüster. Mehrere Adlige bedachten Fullman mit wütenden Blicken. Offensichtlich bereuten sie, nicht ebenso gedankenschnell, dreist und hinterhältig gewesen zu sein. Gern hätten auch sie mir ihre Söhne angeboten, damit sie mich heirateten und im Bett erfreuten.
Innerlich verfluchte ich meine eigene Dummheit. Ich war es immer noch nicht gewohnt, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, und noch weniger, das Ziel von Intrigen zu sein. Daher hatte ich Fullmans aggressives Vorgehen unterschätzt. Und jetzt musste ich mich mit seinem lächerlichen Vorschlag und den daraus entstehenden Konsequenzen herumschlagen. Mit einfachen Worten hatte der aufgeblasene Adlige ein Dutzend neue Intrigen gegen mich angestoßen. Jetzt würde jeder einzelne Adlige darüber nachdenken, wie er – oder einer seiner Verwandten – meine Hand zur Ehe gewinnen konnte.
Fullman schnippte mit den Fingern und eine größere, schlankere Version seiner selbst löste sich aus der Menge. Tolliver lächelte mich an, doch es sah eher aus wie ein anzügliches Grinsen. Und sein Blick war unverwandt auf meine Krone gerichtet, nicht auf mich selbst.
Mehrere der Anwesenden musterten Fullman mit gerunzelter Stirn. Aber niemand erhob Einspruch gegen seinen Vorschlag, nachdem er so reich und mächtig war und sie seinen Zorn nicht auf sich ziehen wollten. Selbst Adlige, die genauso reich und mächtig waren wie Fullman, hielten sich zurück. Wahrscheinlich wollten sie abwarten, wie ich auf sein Angebot reagierte, bevor sie selbst den ersten Schachzug unternahmen.
Ich biss die Zähne zusammen und unterdrückte meinen Zorn. Dass diese Hofsitzung so schnell schieflaufen würde, hatte ich nicht erwartet, hätte es aber besser wissen müssen. Für die Anwesenden war ich nach wie vor nur Everleigh, das verwaiste Mädchen ohne echte Magie, Geld oder Macht, das in der Thronfolge auf weit abgeschlagenem siebzehntem Platz gestanden hatte. Trotz der Tatsache, dass ich das königliche Massaker überlebt und Vasilia vor aller Augen getötet hatte, hielten die Adligen mich noch immer für schwach. In Sieben Türme zog Schwäche Verrat nach sich und Verrat wiederum den Tod.
Fullmans absurder Vorschlag hatte allerdings den Vorteil, dass er zu jenen gehörte, die mir nicht so schnell den Tod wünschten. Nein, er wollte mich mit seinem Sohn vermählen und auf diese Weise seiner Familie den Thron sichern. Erst dann würde er mich wahrscheinlich ermorden lassen.
Auster bedachte Fullman mit bösen Blicken. Zusätzlich schloss der Hauptmann die Hand um das Heft seines Schwerts, als wolle er den selbstgefälligen Lord einen Kopf kürzer machen. Ich kannte das Gefühl.
Serilda und Xenia standen immer noch neben Auster. Beide sahen mich an, weil sie sich offensichtlich fragten, wie ich mit der Situation wohl umzugehen gedachte. Wir hatten uns auf viele Szenarien vorbereitet, doch Fullmans Vorgehen hatte nicht dazugehört. Ich hatte erwartet, dass die Adligen zumindest noch einen Monat warten würden, bevor sie um meine Hand anhalten ließen. Doch ich hätte es besser wissen müssen. Bellona erlebte unruhige Zeiten und alle kämpften verzweifelt um die Sicherung des Reichtums, der Magie und der Macht, die sie bereits besaßen. Und natürlich wollten sie noch mehr erwerben.
Fullman nutzte mein Schweigen, um weiterzureden. »Es wäre viel besser, einen Bellonier zu heiraten als einen Außenseiter. Schließlich verkehrte Prinzessin Vasilia mit Nox, diesem erbärmlichen Lord aus Morta. Und seht Euch an, wie sehr er sie vom rechten Weg abbrachte.«
Ich konnte ein lautes, spöttisches Lachen nicht unterdrücken. »Oh, bitte! Niemand brachte Vasilia vom rechten Weg ab. Sie beschloss ganz allein, ihre Mutter zu ermorden. Nox und die Mortaner waren für sie nur Mittel zum Zweck.«
Fullman verzog erneut das Gesicht und schwieg tatsächlich ein paar Sekunden lang, bevor er einen neuen Versuch startete. »Nun, mein Argument bleibt. Wir wollen doch nicht, dass irgendwelche Außenseiter unangemessenen Einfluss an unserem Hof erlangen.«
Wieder einmal schickte er einen vielsagenden Blick zu Sullivan hinauf. Anscheinend waren ihm die Gerüchte zu Ohren gekommen, dass Sullivan und ich … was auch immer waren. Und er wollte verhindern, dass der vermeintliche Konkurrent dem Thron zu nahe kam. Ich hätte ihm sagen können, dass Sullivan nicht das geringste Interesse hatte, mein Prinzgemahl zu werden, aber Fullman hätte mir nicht geglaubt. Für ihn zählten nur Geld und Macht, nicht die Prinzipien, nach denen Sullivan lebte, Prinzipien, die mir sowohl Bewunderung abrangen als mich auch zutiefst befremdeten.
Die anderen Adligen starrten Sullivan ebenfalls an. Wieder einmal roch ich seinen scharfen Ärger, doch seine Miene blieb eine ganz und gar ausdruckslose Maske. Sullivan kannte die Hofspielchen und wusste, dass man niemals verraten durfte, wenn man verletzt wurde.
Fullman rammte Tolliver einen Ellbogen in die Seite, um den jungen Mann dazu zu bewegen, mich abermals anzulächeln. Tolliver zwinkerte mir sogar zu, als könne allein der Anblick seines scheinbar tief ergebenen Blicks mein Herz erobern. Sollte ich etwa vom Podium stolpern und mich in seine Arme werfen?
Fullman musste meine Abscheu gespürt haben, weil er Tolliver erneut mit dem Ellbogen anstieß. Sofort unterbrach der junge Mann seine lächerlichen Flirtversuche. Stattdessen starrten beide Männer mich an, in offensichtlicher Erwartung einer Antwort. Und dasselbe galt für alle anderen im Saal. Die Adligen, meine Freunde, die Wachen. Selbst die Diener hielten mit ihren Tabletts inne, um herauszufinden, wie ich mit der Situation umging.
»Ihr geht recht schnell … vor, Fullman«, sagte ich gedehnt. »Ich sitze erst seit drei Monaten auf dem Thron und Ihr plant schon meine Hochzeit. Sagt mir, habt Ihr auch bereits Namen für meine Kinder ausgesucht?«
Meine höhnischen Worte sorgten dafür, dass sich spöttisches Gelächter erhob. Bald schon würden die Anwesenden merken, dass ich genauso schlagfertig war wie sie.
Wütende Röte färbte Fullmans Wangen, doch er leckte sich die Lippen und machte weiter. »Natürlich nicht. Aber Tolliver bewundert Euch schon lange. Ihr beide seid zusammen aufgewachsen, erinnert Ihr Euch nicht?«
»O ja, ich erinnere mich an Tolliver«, sagte ich. Ein scharfer Unterton schlich sich in meine Stimme. »Ich erinnere mich daran, wie ich ihn einmal auf einem königlichen Ball um einen Tanz bat, genau hier, in diesem Saal. Ich erinnere mich auch daran, wie er gelacht und erklärt hat, dass er lieber mit einem Gargoyle tanzen würde, als jemals die Arme um mich zu legen. Ich glaube, wir waren damals sechzehn, vielleicht siebzehn Jahre alt. Das genaue Datum weiß ich nicht mehr. Die Partys und Beleidigungen verschwimmen mit genügendem Abstand zu einem großen Brei.«
Fullmans Augen wurden groß, während Tollivers Gesicht eine bemerkenswerte purpurne Färbung annahm. Diesmal hörte ich schockiertes Keuchen statt spöttischen Gelächters. Die Adligen waren nicht davon ausgegangen, dass ich dreist genug war, einen so mächtigen Mann wie Fullman zu beleidigen. Dabei war ihnen nicht klar, dass ich gerade erst angefangen hatte.
Ich sah zu meinen Freunden hinüber. Auster grinste, genau wie Paloma und Cho. Serilda nickte anerkennend, während Xenia mir zuzwinkerte, im gleichen Takt wie der Oger an ihrem Hals. Sullivan warf ich mit Absicht keinen Blick zu. Ich wollte die Gerüchte über uns nicht noch befeuern.
Bisher hatte vor allem Fullman geredet, hatte intrigiert und mich manipulieren wollen. Ich durfte mich nicht damit zufriedengeben, seine Angriffe abzuwehren. Ich musste den Adligen beweisen, dass sie mit mir rechnen mussten, genau wie mit Cordelia und Vasilia.
Ich mochte mich insgeheim für eine Hochstaplerin halten, eine vorgetäuschte Herrin des Winters, aber ich durfte mir diese Unsicherheit niemals anmerken lassen. Ich hatte versucht, nett, höflich und vernünftig auf Fullman zu reagieren, doch damit war es jetzt vorbei. Mich zu wehren, war der einzige Weg, wie ich mein Überleben sicherstellen konnte, zumindest für eine gewisse Zeit.
Also erhob ich mich, stieg vom Podium und hielt am Fuß der Treppe inne. Die Adligen zogen sich einige Schritte zurück, sodass ich vor ihnen auf und ab gehen konnte. Ich wählte mein nächstes Opfer genau aus. Außerdem schweifte mein Blick wieder über die Menge, auf der Suche nach der Quelle dieses pfeffrigen Zorns. Aber ich konnte immer noch nicht herausfinden, wer mir da den Tod wünschte.
»Obwohl ich davon ausgehe, dass Lord Fullman durchaus nicht unrecht hat. Ich sollte einen Mann wählen, den ich heiraten will. Schließlich ist es ja nicht so, als würde einer von Euch sich verweigern, nicht wahr?«
Niemand antwortete. Selbst ein Flüstern störte das schwere, angespannte Schweigen im Saal nicht.
Schließlich hielt ich vor Lady Diante an, der Frau, die mir den Korb voller Birnen geschickt hatte. Diante war über siebzig, mit goldenen Augen, ebenholzschwarzer Haut und kurzem, gelocktem, grauem Haar. Sie gehörte zu den mächtigsten Adligen des Landes und war Fullman ebenbürtig, wenn es um Land, Arbeitspotenzial und Geld ging. Und noch besser … sie und Fullman waren erbitterte Rivalen.
»Was ist mit Euch, Diante?«, fragte ich. »Welcher von Euren Enkeln gäbe einen guten Prinzgemahl ab?«
Ihre Augen wurden schmal. Sie wusste nicht, was ich plante, aber sie hatte nicht vor, sich die Gelegenheit entgehen zu lassen. »Ich habe mehrere Enkel, die gut zu Euch passen würden, meine Königin«, antwortete sie mit tiefer, kehliger Stimme. »Sucht Euch gern einen geeigneten Gemahl aus.«
Sie wedelte mit der Hand und drei Männer eilten herbei, um neben ihr Aufstellung zu nehmen. Alle besaßen dieselben goldenen Augen und scharfen Wangenknochen wie Diante. Ich sah sie nacheinander an, als wäre ich drauf und dran, mir so beiläufig einen Ehemann auszusuchen, wie Paloma eine Birne aus dem Korb genommen hatte.
»Amüsant, dass Ihr das sagt! Weil ich mich an einen Tag vor mehreren Jahren erinnere, als Königin Cordelia vorschlug, mich mit einem Eurer Enkel zu verheiraten. Was genau habt Ihr noch einmal geantwortet?«
Diante runzelte die Stirn und ihre Augen wurden wieder schmal, als versuche sie, sich an diese Beleidigung zu erinnern und herauszufinden, wie sehr sie ihr diesmal schaden würde.
Ich tippte mir gegen die Lippen, als müsse ich tief nachdenken, dann schnippte ich mit den Fingern. »O ja! Ihr habt gelacht und gesagt, dass Ihr niemals einen Eurer Enkel mit mir verheiraten würdet, einem unbedeutenden Murks. Und dann habt Ihr noch erklärt, dass kein Kind, das ich gebären würde, auch nur die Milch wert wäre, um den Säugling zu füttern.«
Wieder war ein schockiertes Keuchen zu hören. Diante zog eine Grimasse und öffnete den Mund, wahrscheinlich, um sich zu entschuldigen. Doch ich starrte sie nur an und sie besaß die Geistesgegenwart und blieb stumm.
Als ich mir sicher war, dass sie nicht antworten würde, starrte ich die Adligen vor mir an, dann richtete ich den Blick zu denen auf der Galerie, die vorgebeugt auf ihren Stühlen saßen, vollkommen gefesselt von dem Drama.
»Lasst mich eins klarstellen!«, sagte ich. Meine Stimme hallte fast so laut durch den Saal wie die von Cho vorhin. »Ich werde einen Prinzgemahl erwählen, wenn ich dazu bereit bin, keinen Augenblick früher. Und wenn Ihr glaubt, Ihr könntet mich mit Geschenken oder schönen Worten umstimmen, vergesst nie: Ich stolperte nicht erst an dem Abend, an dem ich Vasilia tötete, in diesen Palast. Ich habe vorher fünfzehn lange Jahre hier gelebt, daher kenne ich jeden von Euch. Ich kenne Eure Stärken, Eure Schwächen und weiß Bescheid über die jämmerlichen Intrigen, die Ihr spinnt, um andere zu beeinflussen.«
Die Adligen bewegten sich unruhig. Mit solch unverblümten Worten hatten sie nicht gerechnet. Mir aber war es gleichgültig, ob ich sie beleidigte. Ich nahm keine Rücksicht mehr, war ihre dämlichen Spielchen leid. Und wenn ich nicht sofort die Herrschaft über den Hof – über sie – an mich riss, würde mir das nie gelingen.
»Ich erinnere mich an jede einzelne Beleidigung, die Ihr mir ins Gesicht geschleudert habt, von meiner Kindheit bis zum königlichen Massaker. Ich habe Eure Grausamkeit nicht vergessen und werde Euch sicherlich nicht dafür belohnen.«
»Was wollt Ihr dann tun?«, fragte Diante. Sie sprach leise und ich meinte fast, widerwilligen Respekt in ihrem Blick zu erkennen.
»Es gibt eine alte Redewendung, die einen Umstand beschreibt, auf den wir alle ziemlich stolz sind. Bellonier verstehen sich sehr gut darauf, berechnend für die Zukunft zu planen.«
Alle nickten und mehrere Anwesende nahmen stolz die Schultern zurück. Bellonier verstanden sich sehr gut darauf, für die Zukunft zu planen, geduldig zu warten, dass ihren Feinden ein Fehler unterlief, damit sie ihren Zug machen und sie vernichten konnten. Niemand war besser darin als die Adligen in Sieben Türme und sie hatten mir beigebracht, ebenso zu handeln.
»Jahrelang habt Ihr alle für die Zukunft geplant, habt versucht, die Gunst von Cordelia, Vasilia und sogar Madelena zu erschleichen. Nun erkläre ich Euch, dass Ihr alle verloren habt.«
Ein unruhiges, aber zustimmendes Murmeln breitete sich im Saal aus.
»Cordelia ist tot, Vasilia ist tot und jegliche Abmachungen, die die drei mit Euch getroffen haben, sind ebenfalls gestorben.« Ich sah von einem Adligen zum nächsten. »Nun bin ich die Königin. Und ich lasse mich nicht schikanieren, ich lasse mich nicht einschüchtern und ich lasse mich von Euch ganz gewiss nicht mehr beleidigen.«
»Was also wollt Ihr tun?«, fragte Fullman voller Hohn.
Ich nagelte ihn mit meinem Blick fest. »Ich werde fair sein, ich werde gerecht sein und ich werde zugunsten von Bellona handeln. Um uns Stärke zu schenken. Um bereit zu sein, uns der wachsenden Bedrohung aus Morta zu stellen … und jedem anderen, der so dumm ist, sich mit uns anzulegen. Und wenn irgendwer von Euch Schwierigkeiten damit hat, kann er Sieben Türme sofort verlassen und soll ja nicht wiederkommen.«
Offiziell sprach ich vom Königreich, doch alle wussten, dass ich in Wirklichkeit von mir sprach.
Wieder einmal breitete sich Schweigen im Saal aus. Niemand bewegte sich oder sagte etwas. Meine harschen Worte schienen immer noch durch die Luft zu hallen, doch ich erkannte, dass viele bereits wieder eifrig darüber nachdachten, welche Strategie zur Erfüllung ihrer Wünsche nötig sein mochte. Bellonier erholten sich in dieser Hinsicht sehr schnell.
Ich war brutal ehrlich gewesen, doch ich musste auch vernünftig sein. Ich musste den Adligen etwas anbieten, das sie dazu bewegte, mich scheinbar zu unterstützen. Andernfalls konnte ich nach meiner Rückkehr aus Andvari meinen Thron vergessen. Ich sah zu Serilda und Xenia hinüber. Beide nickten. Diesen Teil hatten wir ausführlich besprochen.
Also nickte ich Fullman und Diante zu. »Aber in einem Punkt habt Ihr beide recht. Ich brauche Hilfe, um Bellona wieder stark zu machen. Deswegen sind wir heute hier. Also werde ich sicherstellen, dass Eure Sorgen ernst genommen werden. Wir können alle zum Besten von Bellona zusammenarbeiten, um unser Volk und unser Königreich zu größerem Reichtum zu führen.«
Ich musterte einen großen Mann mit kurzen schwarzen Locken, dunkelbraunem Haar und ebenholzschwarzer Haut, der neben dem Büfett stand. Er trug eine langärmelige blaue Tunika wie alle anderen Diener, doch das Splitterkronenwappen, das mit silbernen Fäden über seinem Herzen eingestickt war, machte ihn als Küchenvogt kenntlich. Theroux, ein weiteres Mitglied der Gladiatorentruppe vom Schwarzen Schwan.
»Aber es gibt kein Gesetz, das uns vorschreibt, mit leerem Magen zum Wohl des Königreichs zu handeln.«