Crush the King - Jennifer Estep - E-Book
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Crush the King E-Book

Jennifer Estep

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Beschreibung

Spannung pur verspricht der dritte Band der „Splitterkrone“-Reihe von Bestsellerautorin Jennifer Estep 

Action, Magie und jede Menge Intrigen: In „Crush the King” nimmt die junge Königin Everleigh den Kampf gegen ihren Erzfeind auf. 

Everleigh Blair, die Königin Bellonas, hat einiges hinter sich: Im ersten und zweiten Band der „Splitterkrone“-Reihe entkam sie einem Mordanschlag auf ihre Familie, wurde furchtlose Gladiatorenkriegerin und hat gelernt, ihre magischen Fähigkeiten zu entfesseln. Doch scheinbar ist der jungen Throninhaberin keine Ruhe gegönnt: Der König von Morta hat sich zum Ziel gesetzt, sie endgültig zu vernichten. Nach einem weiteren Mordanschlag will Everleigh nicht länger tatenlos bleiben. 

Bei den Regaliaspielen finden sich Krieger aller Königreiche zusammen, um ihre Kräfte zu messen. Für Everleigh der perfekte Zeitpunkt zum Angriff: Mit der Unterstützung ihrer Freunde geht sie in die Offensive über. Doch ihr werden immer mehr Steine in den Weg gelegt. Kann sie es schaffen, ihre Feinde zu überlisten und den König zu vernichten? 

In „Crush the King: Die Splitterkrone 3” jagt ein Spannungsmoment den nächsten. Dieses fulminante Finale der „Splitterkrone“-Reihe wirst du nicht aus der Hand legen können! 

Starke Heldinnen: YA-Fantasy in Spitzenqualität 

Vor allem eines zeichnet die Young-Adult-Serien von Jennifer Estep aus: Die amerikanische Autorin hat ein besonderes Talent für starke Heldinnen. Everleigh Blair, die unerschrockene Protagonistin der „Splitterkrone“-Reihe, zeigt sich auch in diesem Band kühn, aber nicht unüberlegt, stolz und gleichzeitig pflichtbewusst. Ein echtes Vorbild nicht nur für junge LeserInnen! 

Binge-Reading mit Jennifer Estep, einer der fleißigsten Autorinnen der Welt 

Bereits der erste Roman der amerikanischen Autorin Jennifer Estep war ein voller Erfolg: „Karma Girl“, das den Auftakt zur „Bigtime“-Reihe bildete, entwickelte sich schnell zum Bestseller. Seitdem hat sie mehrere Romanserien konzipiert und darin über 40 Romane veröffentlicht. Wer einmal Fan von Esteps Welten geworden ist, muss so schnell also nicht wieder damit aufhören. Binge-Reading empfohlen!

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Lesen was ich will!

www.lesen-was-ich-will.de

Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch

© Jennifer Estep 2020

Published by Arrangement with Jennifer Estep

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Crush the King« bei Harper Voyager, New York 2020

© ivi, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2021

Covergestaltung: zero-media.net, München

Coverabbildung: FinePic®, München

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Motto

Teil I

Lasst die Spiele beginnen

1

2

3

4

5

6

Teil II

Machtspiele

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

Teil III

Berechnend für die Zukunft vorausplanen

24

25

26

27

28

29

Danksagung

Für meine Mom, meine Grandma und Andre – für eure Liebe, eure Geduld und alles andere, was ihr mir über die Jahre geschenkt habt.

Und für mein Teenager-Ich, das jedes Fantasy-Epos verschlungen hat, das es in die Finger bekommen konnte – dafür, dass du endlich dein eigenes High-Fantasy-Buch geschrieben hast.

Bellonier sind sehr gut darin, berechnend für die Zukunft zu planen.

Altes bellonisches Sprichwort

Teil I

Lasst die Spiele beginnen

1

Der Tag, an dem die Regaliaspiele für mich eigentlich begannen, fing an wie jeder andere.

Damit, dass ich tanzte, tanzte, tanzte, so schnell ich konnte.

»Bewegung! Bewegung!«, blaffte eine strenge Stimme. »Du kommst aus dem Takt!«

Ich zog eine Grimasse, beschleunigte aber gleichzeitig meine Schritte. Meine nackten Füße klatschten auf den Holzboden, meine Arme hoben und senkten sich immer wieder, meine Finger bewegten sich und zeigten mal hierhin, mal dorthin. Laute, fröhliche Musik erfüllte die Luft und ich gab mein Bestes, um meine Bewegungen an den schnellen Rhythmus anzupassen.

»Arme höher!«, blaffte die strenge Stimme. »Finger gespreizt! Zehen gestreckt! Und jetzt, hopp! Springen, springen, springen!«

Bei diesem dämlichen Gespringe fühlte ich mich wie ein Kaninchen, das über ein Feld hoppelt, aber ich tat wie befohlen. Die Musik wurde lauter und schneller und ich wedelte weiter mit Armen und Beinen, in dem verzweifelten Versuch, dem erbarmungslosen Takt zu folgen.

Ich tanzte schon seit mehr als einer Stunde und die Erschöpfung ließ meine Arme und Beine schwer werden. Ich drehte den Kopf, um meine Foltermeisterin zu bitten, das Training zu beenden, doch in diesem Moment blaffte sie einen weiteren Befehl.

»Schau nicht mich an, sondern dich selbst! Erkenne deine Fehler!«

Falls sie meine schlecht gelaunte Miene bemerkte, war es ihr egal, also konzentrierte ich mich wieder auf mein Spiegelbild.

Ich tanzte vor bodentiefen Spiegeln, die eine gesamte Wand des Saals bedeckten. Mein schulterlanges, schwarzes Haar war im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden und meine normalerweise blassen Wangen leuchteten von der dauerhaften Anstrengung so rot wie Tomaten. Ich trug meine übliche königsblaue Tunika, gepaart mit einer schwarzen, engen Hose. Meine schwarzen Stiefel und die Socken hatte ich dagegen ausgezogen. Dieser Tanz wurde traditionell barfuß aufgeführt. Der Parkettboden lag kühl und glatt wie Glas unter meinen heißen, verschwitzten Zehen.

Obwohl ich eigentlich meine Körperhaltung im Blick haben sollte, konnte ich nicht anders, als mir auch alle anderen Reflexionen im Spiegel anzusehen. Die Wände des großen, höhlenartigen Saals waren mit goldbraunem Holz verkleidet. Umrahmt von silbernen Blattapplikationen prangten weiße Stuckornamente an der Decke, von denen drei runde Kristalllüster hingen, die ein wenig an riesige, glitzernde Schneebälle erinnerten. Die Fluorsteine in den Lüstern strahlten helles, weißes Licht aus, sodass man meine Fehler umso besser sehen konnte – genau wie die Oger überall im Raum.

Wilde, knurrende Ogergesichter waren in die Wände und die Stuckornamente geschnitzt. Zusätzlich baumelten silberne Ogerfiguren von den Lüstern wie Windspiele. Allerdings gab es hier keinen Luftzug, der sie fröhlich zum Klimpern gebracht hätte. Weitere knurrende Ogergesichter waren in dunklen Grün- und Rottönen auf die Holzfliesen gemalt, als wäre der gesamte Raum ein riesiges Spielbrett. Ich tanzte auf mehreren Gesichtern und rechnete ständig damit, dass sich die glänzend weißen Zähne aus dem Holz erhoben und mich in die Ferse bissen, wenn ich meine Füße senkte.

Ich tanzte allein … allerdings saßen in einer Ecke mehrere Musiker und spielten, spielten, spielten so schnell wie möglich auf ihren Flöten und Violinen. Meine Foltermeisterin dagegen lungerte nur knapp einen Meter entfernt in einem grün gepolsterten Sessel herum.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie etwas Silbernes auf mich zuschoss. Wieder zog ich eine Grimasse. Ich wusste genau, was mich erwartete, wich aber nicht aus.

Plock.

Das stumpfe Ende eines silbernen Gehstocks traf meinen rechten Oberschenkel. Der Schlag war nicht so hart, dass er einen blauen Fleck erzeugt hätte, aber doch heftig genug, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich stolperte zur Seite, hörte aber nicht auf zu tanzen. Das hätte nur dafür gesorgt, dass sie mich noch mal geschlagen hätte – und zwar fester.

»Nicht in Gedanken verlieren! Und den Blick gerade!«, bellte sie. »Du musst dich auf den Tanz und nur auf den Tanz konzentrieren!«

Ich öffnete den Mund, um einen spitzen Kommentar darüber abzugeben, dass meine Konzentration schwer aufrechtzuerhalten war, wenn sie ständig mit ihrem verdammten Gehstock nach mir schlug, doch sie kam mir zuvor.

»Und denk nicht mal daran, mir eine unverschämte Antwort zu geben.«

»Ja … gnädige Dame … Euer Wunsch … ist mir Befehl … und Euer Glück … meine drängendste Sorge … und meine einzige … wahre Freude …«, keuchte ich, dann hob ich die Hand und salutierte spöttisch.

Einem der Musiker in der Ecke entkam ein Lachen, das laut genug war, um die Melodie zu übertönen.

Meine Foltermeisterin richtete ihren strengen Blick auf ihn. Der Musiker zuckte zusammen, überrascht von ihrer plötzlichen, unerwarteten Aufmerksamkeit. Sein Bogen glitt ungeschickt über die Seiten seiner Violine, sodass ein lautes, kreischendes Geräusch durch den Saal hallte.

»Genug!«, blaffte sie. »Das reicht! Hört auf, zu spielen!«

Die Musik verstummte abrupt. Stille breitete sich im Tanzsaal aus. Die plötzliche Ruhe wirkte ohrenbetäubender als die stürmische Melodie zuvor. Ich hörte auf zu tanzen, dann ließ ich den Kopf sinken und stemmte die Hände in die Hüften, um wieder zu Atem zu kommen.

Die Frau in dem samtbezogenen Sessel rammte ihren Gehstock auf den Boden und stand auf. Sie trug eine dunkelgrüne Tunika, eine schwarze, enge Hose und Schuhe mit niedrigen Absätzen, mit denen sie trotzdem fast einen Meter achtzig groß war. Ihre kupferfarbenen Locken fielen ihr locker um die Schultern, und der Blick in ihren bernsteinfarbenen Augen war scharf und kritisch. Falten zeichneten ihre bronzefarbene Haut, doch obwohl sie über sechzig war, war ihr Körper stark und muskulös. Eigentlich hätte sie ihren Gehstock nicht gebraucht … außer um mich damit zu piken, natürlich.

Die Frau beäugte mich einen Moment, dann richtete sie ihren Blick wieder auf die Musiker. Das Ogergesicht an ihrem Hals allerdings starrte mich weiter an, als könnte die Kreatur meine unhöflichen Gedanken in Bezug auf ihre Herrin spüren.

Alle Morphe hatten irgendeine Art von Mal an ihrem Körper, das anzeigte, in welche Kreatur sie sich verwandeln konnten. Das Mal meiner Foltermeisterin zeigte ein knurrendes Ogergesicht, bei dem Haar- und Augenfarbe gleich waren wie bei der Frau selbst. Der Oger kniff die Augen zusammen und schürzte die Lippen, sodass ich seine unzähligen, spitzen Zähne sehen konnte. Die Kreatur war auch nicht glücklich mit mir.

Trotz des missbilligenden Blickes zwinkerte ich dem Oger zu. Ich war in dieser Hinsicht einfach unverbesserlich. Morph-Male spiegelten oft die Gefühle und Gesichtsausdrücke ihrer menschlichen Alter Egos wider. Der Oger verdrehte die Augen, genau wie seine Herrin es während meiner Trainingsstunde mehr als einmal getan hatte.

Lady Xenia, meine Foltermeisterin/Tanzlehrerin, stach mit ihrem Gehstock in Richtung der Musiker in die Luft. »Verlasst uns! Sofort!«

Das musste sie dem Orchester nicht zweimal sagen. Die Musiker schnappten sich ihre Instrumente und Notenblätter und eilten aus dem Tanzsaal. Der Violinist, der über meinen frechen Salut gelacht hatte, bedachte mich noch mit einem mitfühlenden Blick. Auch ihm zwinkerte ich zu. Er grinste kurz, dann floh er mit den anderen aus dem Raum.

Lady Xenia drehte sich um und stach mit dem Stock in meine Richtung. Der silberne Ogerkopf am Knauf sah genauso aus wie das Morph-Mal an ihrem Hals. »Du solltest die Musiker nicht aufstacheln. Sie sind hier, um zu arbeiten, nicht um über deine jämmerlichen Witze zu lachen.«

Ich wich ihrem Stock aus, humpelte zu einer Bank, schnappte mir ein Handtuch und wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht. »Seit wann ist tanzen so verdammt anstrengend? Tanzen sollte Spaß machen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Der Danzenfalter ist kein Spaß. Nicht für dich, Evie. Nicht, wenn du es schaffen willst, eine Allianz mit Königin Zariza auszuhandeln.«

»Sie ist deine Cousine. Kannst du sie nicht auf andere Weise dazu überreden, sich mit mir zu verbünden? Wir wissen doch beide, dass ein Bündnis zwischen Unger, Bellona und Andvari im besten Interesse aller drei Königreiche ist.«

»Zariza mag meine Cousine sein, aber sie ist trotzdem die Königin von Unger und ist daher niemandem Rechenschaft schuldig, nicht einmal mir«, erklärte Xenia sachlich. »Genau wie du die Königin von Bellona bist und niemandem gehorchen musst.«

Ich schnaubte. »Erzähl das mal Fullman, Diante und den anderen Adeligen. Sie scheinen davon überzeugt zu sein, dass ich ihnen und nur ihnen zu gehorchen habe.«

Xenia zuckte mit den Achseln, womit sie mir weder zustimmte noch widersprach. »Wie dem auch sei, Zariza wird dich während der Regalia zu einem Tanzwettbewerb herausfordern. Und dafür musst du bereit sein. Zariza beim Danzenfalter zu schlagen, wird deine Stärke demonstrieren. Außerdem wird sie sich nur so mit dir verbünden.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich werde nie verstehen, warum ihr Ungerer aus allem einen Tanzwettbewerb machen müsst.«

»Weil wir zivilisiert sind. Anders als ihr Bellonier mit eurer Gladiatoren-Tradition. Bei euch Barbaren endet alles immer in einem Blutbad in der Arena.« Sie schnaubte missbilligend.

Ich wollte darauf hinweisen, wie viele ungerische Tänze damit endeten, dass der Verlierer hingerichtet wurde, doch ich hielt meine Zunge im Zaum. Zumindest in diesem Punkt. »Nun, dir ist aber schon klar, dass du die Königin von Bellona nicht mit deinem Gehstock piken solltest, oder?«

Wieder schnaubte Xenia. »Das ist mein Tanzsaal und ich pike hier, wen ich will, ob es nun du bist, Zariza oder irgendeine andere Königin, die es wagt, durch diese Tür zu treten.«

»Dann bin ich ja froh, dass ich keine Königin bin«, schaltete sich eine Stimme ein, »und dass ich nicht tanzen lernen muss.«

Eine Frau schlenderte in den Raum. Sie war ungefähr in meinem Alter, um die siebenundzwanzig, groß, muskulös, mit blondem Haar, das zu einem Zopf geflochten war, bernsteinfarbenen Augen und wunderbarer, bronzefarbener Haut. Sie trug eine dunkelgrüne Tunika, eine enge Hose und Stiefel. Ein dunkelgrüner Mantel lag um ihre Schultern und ergoss sich bis auf ihre Knöchel, doch selbst dieses Kleidungsstück konnte den riesigen, mit Stacheln bewehrten Streitkolben nicht verbergen, der von ihrem schwarzen Ledergürtel hing. Als wäre diese Waffe nicht schon einschüchternd genug, prangte an ihrem Hals noch ein Morph-Mal: ein furchterregendes Ogergesicht, ebenfalls mit geflochtenem, blondem Haar und goldbraunen Augen.

Paloma, ehemalige Gladiatorin und meine beste Freundin, musterte Xenia und mich. »Wenn ihr beide mit eurer Wirbelstunde fertig seid, könnten wir uns vielleicht den wichtigeren Geschäften des heutigen Abends zuwenden.«

Xenia schnaubte zum dritten Mal. »Nichts ist wichtiger als tanzen. Du solltest mehr Interesse dafür zeigen. Schließlich ist es Teil deines Erbes.«

Paloma runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«

Xenia deutete auf das Morph-Mal an Palomas Hals. »Du bist ein Oger, was bedeutet, dass in deinen Adern ungerisches Blut fließt. Haben deine Eltern dir das nicht gesagt? Haben sie dir keine ungerischen Tänze beigebracht?«

Unangenehm berührt trat Paloma von einem Fuß auf den anderen. »Nein. Mein Vater stammte aus Flores und ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mutter je erzählt hätte, dass sie aus Unger kommt.«

Palomas Mutter war verschwunden, als Paloma noch ein Kind gewesen war, und meine Freundin hatte keine Ahnung, wohin sie gegangen war. Noch schlimmer aber war, dass ihr Vater sie mit sechzehn Jahren auf die Straße gesetzt hatte, weil er meinte, ihr Morph-Mal mache sie zu einem Monster. Also war Palomas innerer Oger und ihre offenbar ungerische Abstammung ein wunder Punkt für sie.

Xenia trat näher an Paloma heran und musterte den Oger an ihrem Hals. »Ich habe bisher nicht groß darauf geachtet, aber dein Mal ist bemerkenswert. Es erinnert mich an …« Ihre Stimme verklang.

»Was?«, fragte Paloma leise und wachsam.

Xenia schüttelte den Kopf. »Nichts. Nur eine alte, alberne Hoffnung.«

Sie lächelte, doch ihre Miene mit den zusammengebissenen Zähnen sprach eher von Frust als von Glück. Noch vielsagender war der Geruch ihrer rußigen Trauer, der intensiv in der Luft hing und mir in der Nase brannte. Meine Murksmagie erlaubte es mir, die Gefühle von Menschen zu riechen, von sanfter, rosiger Liebe über heißen, pfeffrigen Zorn bis hin zu Xenias plötzlichem Kummer. Sie musste an ihr Kind denken – das Kind, das sie, wie sie meinte, durch eigene Dummheit verloren hatte.

Ich fragte mich, ob Xenia etwas von ihrem verlorenen Kind in Paloma wiedererkannte. Ich hatte oft darüber nachgedacht, wie sehr sich meine beiden Freundinnen ähnelten – besonders ihre Morph-Male mit den bernsteinfarbenen Augen und den charakteristischen Haarlocken. Doch ich hatte diesen Gedanken ihnen gegenüber nie geäußert, und auch jetzt schien nicht der richtige Zeitpunkt dafür zu sein.

Ich räusperte mich, um das unangenehme Schweigen zu brechen. »Paloma hat recht. Wir müssen uns bereitmachen. Sind die anderen auf ihren Positionen?«

»Ja. Serilda, Cho und Lucas sind auf dem Platz«, antwortete Paloma. »Sie halten sich für den Fall bereit, dass etwas schiefläuft und diese mysteriöse Person doch keine Blair ist.«

Diesmal war es der Geruch meiner eigenen, rußigen Trauer, der mir in die Nase stieg. Meine Cousine Kronprinzessin Vasilia hatte vor einiger Zeit ihre Mutter Königin Cordelia und den Rest der königlichen Blair-Familie ermordet – meiner Familie. Das Massaker von Sieben Türme war Teil einer aufwendigen, mortanischen Intrige gewesen, die darauf abgezielt hatte, Vasilia auf den bellonischen Thron zu setzen und das Königreich in einen Krieg mit Andvari zu treiben. Durch eine Reihe unerwarteter Geschehnisse hatte ich das Massaker überlebt, war Gladiatorin geworden, hatte Vasilia getötet und den Thron bestiegen.

Jetzt wurde allgemein angenommen, dass ich die letzte überlebende Blair war – ein Gedanke, der mich mit mehr Trauer erfüllte, als ich je erwartet hätte. Die meisten meiner Cousins und Cousinen mochten so bösartig gewesen sein wie Korallenvipern, aber sie hatten es nicht verdient gehabt, niedergemetzelt zu werden, nur weil der mortanische König die Sommer- und die Winter-Blutlinie der Blair-Familie und damit ihre mächtige Magie ausrotten wollte.

Doch vor ein paar Wochen waren Xenia durch ihr weitläufiges Netzwerk an Spionen Andeutungen darüber zu Ohren gekommen, dass jemand in Svalin Magie einsetzte. Jemand mit graublauen Augen – Zährensteinaugen, Blair-Augen – wie meine.

Die Hoffnung, die diese Nachricht – dieses Gerücht – in mir hatte aufsteigen lassen, überraschte mich selbst.

Nach dem Massaker hatten Serilda und Cho monatelang nach einem weiteren Überlebenden aus der Blair-Familie gesucht, allerdings ohne Erfolg. Sobald ich auf dem Thron gesessen hatte, hatte ich Auster, dem Hauptmann meiner Palastwache, befohlen, die Suche auf die ländlichen Gebiete auszuweiten … in der Hoffnung, dass es einem meiner Cousins oder einer meiner Cousinen gelungen war, Vasilias mörderischen Wachen zu entkommen und sich zu verstecken. Doch wir hatten nicht den leisesten Hinweis gefunden, dass noch jemand aus der Blair-Familie das Gemetzel überlebt hatte.

Xenia allerdings schon.

Xenia führte nicht nur ein Internat und eine Tanzschule, sie war darüber hinaus auch eine Spionin – eine der besten von allen Königreichen. In den letzten Wochen hatten sie und ihre Quellen immer wieder Gerüchte darüber gehört, dass sich eine Blair irgendwo in Svalin, der Hauptstadt von Bellona, versteckte.

Und heute Abend wollte ich endlich herausfinden, ob an den Gerüchten etwas dran war.

Und falls es stimmte … falls diese Frau wirklich eine Blair war … dann hoffte ich, dass wir zusammenarbeiten konnten, um Bellona zu beschützen – nicht nur vor dem mortanischen König, sondern vor allen, die uns und unserem Volk Böses zufügen wollten. Ich saß erst seit ungefähr sechs Monaten auf dem Thron, doch ich war es jetzt schon leid, diese schwere Bürde allein zu tragen. Ich brauchte Hilfe. Ich brauchte eine weitere Blair – jemanden, auf den ich mich verlassen konnte. Und vor allem jemanden, dem ich den Thron hinterlassen konnte, falls das Schlimmste eintrat und es den Mortanern schließlich doch gelang, mich umzubringen.

Was bei den anstehenden Regaliaspielen jederzeit passieren konnte.

Mein Herz hob sich und der Geruch meiner eigenen, honigsüßen Hoffnung stieg mir in die Nase, als ich darüber nachdachte, eine weitere Blair zu finden. Doch ich zwang mich, dieses Gefühl zurückzudrängen. Alle bisherigen Gerüchte hatten sich als genau das entpuppt – Gerüchte – und dieses Mal würde es wahrscheinlich nicht anders sein.

Ich wischte mir noch einmal mit dem Handtuch übers Gesicht, dann warf ich den Stoff zur Seite, schnappte mir meinen schwarzen Ledergürtel und schloss ihn um meine Taille. An dem Gürtel hingen ein Schwert und ein dazu passender Dolch. Beide hatten eine stumpfe, silberne Farbe und dasselbe Wappen am Heft – sieben mitternachtsblaue Splitter, die so angeordnet waren, dass sie eine Krone bildeten.

Die Waffen wirkten schwer, doch tatsächlich waren sie ziemlich leicht, da sie aus Zährenstein bestanden. Zährenstein konnte nicht nur Magie aufnehmen und speichern, wie es auch gewisse Juwelen taten, der Stein besaß außerdem auch die einzigartige Fähigkeit, Schutz vor Magie zu bieten. Er lenkte sie ab, wie ein Schild einen fliegenden Pfeil in einem Gladiatorenkampf ablenkte. Die dunkelblauen Scherben im Heft würden eine ordentliche Menge Magie ablenken, genauso wie die rasiermesserscharfen Klingen der Waffen.

Dieses Schwert und der Dolch hatten mich bei Mordanschlägen mehr als einmal gerettet und ich trug sie immer bei mir. Ich besaß auch einen passenden Schild, doch der erregte zu viel Aufmerksamkeit, also hatte ich ihn in meinen Gemächern im Palast gelassen.

Sobald ich den Waffengürtel befestigt hatte, konzentrierte ich mich auf die zwei identischen Armbänder – die Stulpen –, die an meinen Handgelenken glänzten. Beide bestanden aus Silber, das zu scharfen Dornen geformt worden war, die sich um das Design in der Mitte wanden und es schützten – eine weitere, mitternachtsblaue Splitterkrone.

Mein persönliches Wappen als Everleigh Saffira Winter Blair, Königin von Bellona.

Noch ein Splitterkronenwappen prangte in silbernem Faden auf meiner Tunika, direkt über meinem Herzen. Daneben besaß ich mehrere echte Kronen mit demselben Wappen, auch wenn ich heute Abend keine davon trug, schließlich war ich inkognito unterwegs. Außerdem machte ich mir immer Sorgen, dass mir die Krone vom Kopf fallen könnte – besonders, wenn ich mich so anstrengenden Aktivitäten widmete wie Xenias Tanztraining.

Ich hatte die Ärmel aufgerollt, um während der Tanzstunde die Bewegungen meiner Arme besser beobachten zu können. Jetzt schob ich sie nach unten, um die Armbänder zu verbergen. Außerdem griff ich nach einem mitternachtsblauen Mantel und legte ihn mir um die Schultern, wobei ich sicherstellte, dass der Stoff das Splitterkronenwappen auf meiner Brust verdeckte.

»Wünsch uns Glück«, sagte ich zu Xenia.

»Nein.«

»Nein? Was meinst du mit Nein?«

Xenia zuckte mit den Achseln. »Jemandem Glück zu wünschen, ist sinnlos und albern. Man arbeitet hart, trainiert und bereitet sich vor. Glück hat absolut nichts mit Erfolg oder Versagen zu tun.«

Paloma nickte zustimmend. Verräterin. Ich warf meiner Freundin einen bösen Blick zu, doch sie zuckte genauso mit den Achseln, wie Xenia es getan hatte. »Sie hat recht. Glück ist etwas für Narren und Kinder.«

»Mit dir kann man auch keinen Spaß haben.«

Paloma zuckte wieder mit den Schultern. »Ich bin nicht hier, um dich zu bespaßen«, sagte sie in dem sachlichen Tonfall, den ich gleichermaßen bewunderte und hasste. »Ich bin hier, um dich am Leben zu halten.«

Ich seufzte, weil ich wusste, dass ich diese Diskussion nicht gewinnen konnte. »Nun dann, lass uns losziehen.«

Ich ging auf die offene Tür zu, doch Xenia hielt mich auf, indem sie eine Hand hob.

»Ich hoffe, du findest, wonach du suchst, Evie«, sagte sie freundlicher. »Und dass ein Teil deiner Familie überlebt hat.«

Ein trauriger, wehmütiger Ausdruck huschte über ihr Gesicht. Wieder einmal stieg mir der Geruch von Xenias rußiger Trauer in die Nase. Gleichzeitig lehnte sie sich etwas schwerer auf ihren Stock als bisher, als brauchte sie ihn wirklich als Stütze.

»Danke«, sagte ich sanft.

Sie zuckte erneut mit den Achseln, dann riss sie den Gehstock hoch und stach mir damit in den Arm. »Aber egal, was heute Abend passiert, ich erwarte dich morgen um dieselbe Zeit zu deiner nächsten Tanzstunde.«

Paloma kicherte, doch Xenia wirbelte herum und pikte meine Freundin genauso mit dem Stock, wie sie es gerade bei mir getan hatte.

»Und dich auch«, befahl sie, »selbst wenn du nichts über deine Herkunft weißt, kannst du doch die Tänze lernen.«

Paloma öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch Xenia starrte sie nur unverwandt an. Meine Freundin seufzte. »Ja, meine Lady.«

Xenia nickte zufrieden, dann schlenderte sie mit klapperndem Gehstock davon.

Ich legte Paloma einen Arm um die Schultern. »Sieht aus, als hätte ich eine neue Tanzpartnerin. Stell dir vor, morgen um diese Zeit wird Xenia dich mit ihrem verdammten Stock malträtieren.«

Paloma warf mir einen missmutigen Blick zu. Ich lachte, dann folgten wir Xenia gemeinsam aus dem Tanzsaal.

2

Xenia musste sich noch um andere Dinge kümmern, also verließen Paloma und ich ihre Schule.

Es war fast sechs Uhr abends und die Sonne versank allmählich hinter den Nadelbergen, die sich um die Stadt herum erhoben. Die Dezemberluft war ziemlich kühl und sobald die letzten, goldenen Strahlen hinter den hohen, gezackten Bergspitzen verschwunden wären, würde es noch kälter werden. Meine Nase zuckte. Ein leicht metallischer Duft hing in der Luft und deutete darauf hin, dass es irgendwann heute Nacht schneien würde.

Nur wenige Leute schlenderten durch die Seitenstraßen bei Xenias Internat. Die meisten hatten die Köpfe gesenkt und die Arme vor der Brust verschränkt, um sich in ihren Schals, Mänteln und Handschuhen so warm wie möglich zu halten. Keiner von ihnen schenkte Paloma oder mir einen zweiten Blick, als wir zu einem der riesigen, überall in Svalin verteilten Plätze gingen.

Wir blieben im Schatten einer schmalen Gasse zwischen zwei Bäckereien stehen und sahen über den Platz hinweg. Die bunt gestrichenen Karren von Bäckern, Metzgern, Bauern, Schneidern und anderen Händlern standen um den Platz herum, während in der Mitte ein Brunnen mit der Statue von zwei Mädchen, die sich an den Händen hielten, fröhlich blubberte.

Leute in allen Größen, Formen, Altersklassen und von verschiedenstem Stand bewegten sich über die grauen Pflastersteine von einem Karren und Händler zum nächsten, um Brot, Fleisch, Käse, Gemüse, Kleidung und mehr zu kaufen. Andere überquerten den Platz mit schnellen Schritten, ohne die farbenfrohen Verkaufsstände und die Rufe der Händler zu beachten. Sie umrundeten den Brunnen, darauf bedacht, nach einem harten Arbeitstag schnell nach Hause zu kommen. Überwiegend waren es Minenarbeiter, deren Körper überzogen waren mit hellgrauem Fluorsteinstaub. Sie trugen dicke, blaue Overalls und Stiefel, auf dem Kopf hatten sie stabile Helme.

Ich öffnete den Mund und atmete tief durch, ließ die Luft über meine Zunge gleiten und setzte meine Murksmagie ein, um all die Gerüche zu identifizieren, die über den Platz waberten. Frisches, warmes Brot und Mandel-Zuckerplätzchen aus den Bäckereien neben der Gasse. Der metallische Blutgestank von den Metzgerständen. Das scharfe, vielschichtige Aroma der verschiedenen Käsesorten. Die Erde an den Kartoffeln und dem anderen Gemüse. Der Duft des feinen, fast kreideartigen Staubs, der an den Minenarbeitern klebte.

Ich registrierte all das und mehr, doch eines nahm ich nicht wahr: Magie.

Normalerweise hätte ich mich darüber gefreut. Meistens nahm ich den heißen, beißenden Geruch von Magie nur wahr, wenn jemand versuchte, mich umzubringen. Doch heute Abend fand ich das Fehlen des Aromas magischer Macht ziemlich enttäuschend.

»Mir gefällt das nicht«, murmelte Paloma mit der Hand an ihrem Streitkolben. »Was, wenn dieses Gerücht über eine weitere Blair-Überlebende nur ein Trick ist, um dich aus dem Palast in die Stadt zu locken, wo du verletzlicher bist? Und Xenias Internat ohne Wachen zu verlassen, bettelt quasi um Ärger.«

Paloma war nicht nur meine beste Freundin, sondern auch meine Leibwächterin – und sie nahm ihre Aufgabe ernst.

»Ohne Wachen herzukommen, ist Teil des Plans. Wir versuchen, nicht aufzufallen, schon vergessen?« Ich zog eine Augenbraue hoch. »Außerdem: Hast du mir nicht einmal gesagt, eine Gladiatorin wie du, die gleichzeitig ein Ogermorph ist, wäre so viel wert wie zwanzig normale Soldaten?«

»Das war Halvar.« Paloma richtete sich voller Stolz höher auf. »Aber er hatte recht. Ich bin so viel wert wie zwanzig Soldaten.«

Halvar war Xenias Neffe und ein mächtiger Ogermorph, genau wie Paloma. Er und Paloma waren gut befreundet. Dasselbe galt für Bjarni, einen weiteren Ogermorph. Halvar und Bjarni hatten mir bereits mehr als einmal geholfen. Im Moment wohnten die beiden Männer in Sieben Türme und arbeiteten mit Hauptmann Auster zusammen.

Ich verdrehte die Augen. »Nun, dann solltest du froh sein, dass wir das Internat verlassen haben. Xenia sieht das Gerücht genauso kritisch wie du. Wenn ihr beide recht habt, dann werden wir heute Abend wahrscheinlich noch Ärger bekommen.«

Palomas Augen leuchteten erwartungsvoll auf. Der Oger an ihrem Hals dagegen grinste so breit, dass ich seine gezackten Zähne sehen konnte. »Es ist eine Weile her, dass ich mit irgendwem kämpfen durfte.« Sie löste den Streitkolben von ihrem Gürtel und schwang ihn testweise, sodass die Stacheln pfeifend durch die Luft sausten. »Es wäre schön, ein wenig trainieren und den Staub von Pfingstrose schütteln zu können, bevor die Regaliaspiele beginnen.«

Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, auf wen – oder vielmehr auf was – Paloma sich bezog. »Du hast deinen Streitkolben Pfingstrose getauft?«

Sie warf mir einen ungläubigen Blick zu, als wäre meine Frage vollkommen irrsinnig. »Natürlich. Schon vor Jahren. Hast du deinem Schwert keinen Namen gegeben?«

»Nein.«

»Nun, das solltest du. Und deinem Dolch und dem Schild auch.«

Ich senkte die Hand an mein Schwert, das an meinem Gürtel hing, und ließ die Fingerspitzen über das Splitterkronenwappen im Heft gleiten. Die scharfen Kanten der Zährensteinsplitter zu spüren, beruhigte mich immer. Vielleicht, weil mich das Gefühl an all die anderen bellonischen Königinnen – vor allem die Winter-Königinnen – erinnerte, die vor mir gekommen waren.

Hmmm. Vielleicht sollte ich Palomas Ratschlag annehmen und mein Schwert … Winter … nennen. Ach nein, das war zu offensichtlich, zu platt, zu klischeehaft. Ich musste mir etwas Originelleres ausdenken.

Paloma schwenkte weiter ihren Streitkolben, als wollte sie sich für einen Gladiatorenkampf aufwärmen.

»Wieso Pfingstrose?«, fragte ich.

Meine Freundin erstarrte mitten im Schwung, dann senkte sie langsam die Waffe. Sie hielt sie so fest gepackt, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. »Meine Mutter trug immer Pfingstrosen-Parfüm«, erklärte sie mit heiserer Stimme.

Der Geruch salzigen Kummers stieg von Paloma auf und verdrängte ihren natürlichen Duft: ein weiches Pfingstrosen-Parfüm gepaart mit einem Anflug von feuchtem Fell. Mitgefühl stieg in mir auf. Ich hob die Hand und drückte ihren Arm. Paloma schenkte mir ein kurzes, trauriges Lächeln, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Platz vor uns.

»Mir gefällt das trotzdem nicht«, wiederholte sie. »Du bist hier viel zu ungeschützt und angreifbar. Und dieser Mantel ist keine allzu tolle Verkleidung. Zieh dir wenigstens die Kapuze über, damit die Leute dein Gesicht nicht so deutlich sehen können.«

Ich öffnete den Mund, um darauf hinzuweisen, dass die Hälfte der Leute auf dem Platz Umhänge trug und dass sie mit ihrem riesigen Streitkolben viel auffälliger war als ich, doch Paloma und ihr innerer Oger warfen mir einen wilden Blick zu. Also schluckte ich meine Worte hinunter und hob die Kapuze, um mein schwarzes Haar zu verbergen und mein Gesicht in Schatten zu tauchen.

»Ich weiß nicht, wieso du dir solche Sorgen machst«, murmelte ich. »Es ist ja nicht so, als wären wir allein hier.«

Ich machte eine Geste in Richtung des Springbrunnens, wo eine Frau um die vierzig mit blondem, streng zurückgebundenem Haar und einer Narbe neben einem ihrer leuchtend blauen Augen Groschen in den Brunnen warf, als wünschte sie sich etwas. Sie trug zwar einen schwarzen Umhang, aber unter dem fließenden Stoff konnte ich eine weiße Tunika mit einem unverwechselbaren Wappen erkennen – einem Schwarzen Schwan. Außerdem trug sie ein Zährensteinschwert und einen Dolch aus demselben Material an der Hüfte, genau wie ich.

Serilda Swanson, die Chefin der Gladiatorentruppe zum Schwarzen Schwan und eine meiner Beraterinnen, nickte mir zu, dann deutete sie unauffällig mit dem Finger nach rechts.

Ich sah in die angegebene Richtung und konzentrierte mich auf einen ungefähr vierzigjährigen Mann mit schwarzem Haar, schwarzen Augen, goldener Haut und schmalem, muskulösem Körper, der am anderen Ende des Platzes stand. Auch er trug einen schwarzen Umhang. Darunter hatte er eine rote Jacke und ein weißes Rüschenhemd an. An seinem Gürtel hingen Schwert und Dolch und an seinem Hals konnte man ein Morph-Mal erkennen – ein Drachengesicht mit rubinroten Schuppen und glänzenden, schwarzen Augen.

Cho Yamato, der Ringmeister des Schwarzen Schwans, lehnte an einem Bäckerkarren und knabberte an einem riesigen Himbeer-Pfirsich-Keks. Cho war ein echtes Schleckermaul, genauso wie sein innerer Drache. Er bemerkte meinen Blick und zwinkerte mir zu, dann deutete er mit einer Geste auf ein Gebäude auf der anderen Seite des Platzes.

Dort, hoch oben, stand ein Mann neben einem silbernen Spitzturm, der sich an einer Seite des Daches erhob. Er war groß und gut aussehend, mit dunkelbraunem Haar, leuchtend blauen Augen und einem leichten Bartschatten auf den Wangen. Ein mitternachtsschwarzer Umhang lag um seine Schultern und eine maßgeschneiderte Tunika betonte seinen muskulösen Körper. Auch er trug Schwert und Dolch am Gürtel, bewegte außerdem aber immer wieder die Finger, um beim kleinsten Anzeichen von Ärger seine Blitzmagie freigeben zu können.

Ich atmete tief durch. Selbst über die Gerüche all der blumigen Parfüms und kühlen Rasierwasser hinweg konnte ich seinen einzigartigen Duft wahrnehmen – kalte, saubere Vanille mit einem Hauch von warmem Gewürz.

Dank meiner Murksmagie waren Gerüche und Erinnerungen in meinem Kopf oft miteinander verknüpft, daher sorgte sein vielschichtiger, berauschender Duft dafür, dass mein Herzschlag sich beschleunigte, mein Magen sich verkrampfte und heißes Verlangen meine Adern erfüllte. Verschiedenste Bilder und Empfindungen drohten mich zu überwältigen. Meine Lippen auf seinen, unsere Zungen im Duell, meine Finger in seinem dichten, seidigen Haar, meine Handfläche, die über seine nackte, muskulöse Brust glitt und langsam tiefer sank, während er mich ebenfalls berührte …

Lucas Sullivan, der magische Vollstrecker der Gladiatorentruppe zum Schwarzen Schwan und mein inoffizieller Prinzgemahl, grinste breit. Es war, als wüsste er genau, was ich gerade dachte, und könnte es gar nicht erwarten, in den Palast zurückzukehren, um all meine Fantasien wahr werden zu lassen.

Ich erwiderte sein Grinsen. Da waren wir schon zu zweit.

»Oh, hör auf, Lucas anzuschmachten«, grummelte Paloma. »Das wird dich heute Abend schneller umbringen als alles andere.«

Ich richtete den Blick wieder auf den Platz. »Siehst du? Die anderen haben ihre Positionen eingenommen, und ich bin vollkommen sicher. Jetzt müssen wir einfach abwarten, ob jemand auftaucht.«

Nachdem Xenia das Gerücht zu Ohren gekommen war, dass eine weitere Blair das Massaker überlebt haben könnte, hatten meine Beraterin und ihre vielen Quellen angefangen, ein eigenes Gerücht zu verbreiten – dass jedes Mitglied der Blair-Familie, das heute Abend zu diesem Platz kam, im Palast von Sieben Türme aufgenommen und dort beschützt würde.

Xenia und ihr Netzwerk hatten die Nachricht ungefähr zwei Wochen lang verbreitet. Und jetzt waren meine Freunde und ich hier, um herauszufinden, ob jemand den Köder geschluckt hatte.

Paloma beäugte die Menschen, die sich über den Platz bewegten. »Selbst wenn diese Frau, diese angebliche Blair, wirklich auftaucht, wie sollen wir sie in der Menge erkennen? Hier treiben sich Hunderte Leute herum. Es könnte sein, dass wir sie nicht einmal sehen.«

»Ich muss sie nicht sehen.« Ich tippte mir an die Nase. »Meine Magie wird mich ihre Magie erkennen lassen.«

»Aber du weißt nicht mal, was sie ist«, hob Paloma hervor. »Sie könnte ein Magier oder ein Meister oder ein Morph sein. Oder einfach nur ein Murks wie du. Vielleicht ist es nicht mal eine Frau. Es könnte auch ein Mann sein.«

Ich zuckte mit den Achseln. »Magie ist Magie. Ich kann sie immer riechen, egal, wie sie aussieht oder wer sie in sich trägt. Außerdem, wenn das Gerücht auch nur den leisesten Funken Wahrheit enthält …«

Meine Stimme verklang, weil ich plötzlich einen Kloß im Hals hatte. Diese verdammte Hoffnung schnürte mir erneut die Kehle zu. Doch ich drängte die Empfindung zurück.

»Du musst trotzdem vorsichtig sein«, meinte Paloma. »Ich wäre nicht überrascht, wenn Maeven das Gerücht in die Welt gesetzt hätte, um dich aus dem Palast zu locken, damit sie und der Rest der Bastard-Brigade ein weiteres Mal versuchen können, dich umzubringen.«

Maeven war die uneheliche Schwester des Königs von Morta und auch diejenige, die das Massaker an meiner Familie in Sieben Türme orchestriert hatte. Außerdem war sie die Anführerin der Bastard-Brigade, einer Gruppe aus unehelichen Verwandten des Königs und der anderen legitimen Thronerben. In den letzten paar Monaten hatten Maeven und ihre Bastard-Brigade unzählige Male versucht, mich zu töten, auch wenn es mir gelungen war, die meisten ihrer fiesen Pläne zu vereiteln und am Leben zu bleiben – bisher zumindest.

»Du könntest recht haben«, gab ich zu. »Maeven ist auf jeden Fall clever und verschlagen genug, um mich mit dem Gerücht über eine weitere Überlebende hierher zu locken. Aber ich muss selbst herausfinden, ob es wahr ist. Und wenn alles nur eine Intrige von Maeven ist, dann werden wir ihre Meuchelmörder umbringen, genau, wie wir es bisher getan haben.«

»Und wenn es kein mortanisches Komplott ist?«, fragte Paloma.

»Dann werden wir herausfinden, wer genau diese Person ist, wo sie sich bisher aufgehalten hat und wie es ihr gelungen ist, am Leben zu bleiben. Vor allem, wieso sie nicht nach Sieben Türme gekommen ist, nachdem ich den Thron bestiegen und verkündet habe, dass alle Blair-Überlebenden in den Palast zurückkehren sollen.«

Ein Teil von mir war glücklich über den Gedanken, dass eine meiner Blair-Cousinen vielleicht das Gemetzel überlebt hatte. Doch ein kleiner Teil von mir fürchtete sich auch vor dem Familientreffen. Was, wenn diese mysteriöse Cousine in der Thronfolge einen höheren Rang einnahm als ich? Was, wenn ihr Anspruch auf die Krone mehr Berechtigung hatte? Was, wenn sie mehr Magie besaß als ich?

Und wenn das so war, dann stellte sich die größte Frage von allen: Sollte ich zurücktreten?

So würden es Protokoll und Tradition verlangen. Doch was war das Beste für Bellona? Denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgendwem dort draußen – ob nun eine Blair oder nicht – wichtiger war, mein Königreich und sein Volk zu beschützen als mir.

Ich hatte nicht Königin werden wollen. Aber jetzt, da ich endlich sicher auf dem Thron saß, wollte ich ihn auch nicht einfach wieder aufgeben, nur weil jemand anderes das Massaker glücklicherweise auch überlebt hatte. Wenn ich schonungslos ehrlich war, wollte ich auch all die Macht und Privilegien nicht aufgeben, die damit einhergingen, Königin von Bellona zu sein. Es war berauschend und aufregend, respektiert und sogar gefürchtet zu werden – besonders, nachdem ich all diese Jahre in Sieben Türme als königlicher Lückenbüßer verbracht hatte, als königliche Marionette. Vielleicht machte mich das genauso kleinlich und selbstsüchtig, wie Vasilia es gewesen war.

Vor allem aber wollte ich den Thron nicht aufgeben, weil ich nicht wusste, wie das meine Chancen beeinflussen würde, mich endlich an Maeven und dem mortanischen König zu rächen. Ich wollte die beiden für das leiden lassen, was sie den Blairs, meiner Familie – mir – angetan hatten. Und meine Chancen darauf standen als Königin sehr viel besser, als wenn ich wieder einfach nur Lady Everleigh wäre.

»Nun, ich hoffe jedenfalls, dass diese Person bald auftaucht«, grummelte Paloma und riss mich damit aus meinen trüben Gedanken. »Ich will nicht die ganze Nacht in der Kälte herumstehen.«

Sie trat von einem Fuß auf den anderen und zog sich ihren waldgrünen Umhang ein wenig enger um den Körper. Der Herbst war vergangen und der Winter breitete sich in den Nadelbergen aus. Zusätzlich zum erwarteten Schneefall heute Nacht pfiff auch ein eisiger Wind, der noch harschere Wetterbedingungen ankündigte.

»Keine Sorge, Xenia und ihre Spione haben die Nachricht verbreitet, dass die Person um sechs Uhr abends an diesem Brunnen auftauchen soll, also ungefähr jetzt. Es kann nicht mehr lange dauern.«

Paloma seufzte und stampfte mit den Füßen, doch wir blieben in der Gasse. Serilda, Cho und Sullivan hielten wachsam ihre Stellungen rund um den Platz.

Die Sonne mochte langsam untergehen, doch in den umstehenden Gebäuden erwachten flackernd Fluorsteinlampen zum Leben. Und auch die Laternen an den Straßen, die auf den Platz führten, begannen zu leuchten. Anscheinend ließ das sanfte, goldene Licht die Waren noch verlockender wirken, denn die Händler machten immer noch gute Geschäfte. Daher fiel es schwer, irgendetwas Verdächtiges zu bemerken – und noch schwerer, ein vertrautes Gesicht zu entdecken.

Seitdem Xenia mir erzählt hatte, dass vielleicht eine meiner Cousinen noch am Leben war, hatte ich mir das Hirn zermartert, wer es sein könnte. Doch mir war niemand eingefallen. Also starrte ich auf den Platz und sah mir jede vorbeikommende Person genau an.

Ich war so sehr damit beschäftigt, die Erwachsenen zu mustern, dass ich das Mädchen fast übersehen hätte.

Es war jung, vielleicht vierzehn Jahre, und trug mehrere Schichten dreckiger, zerfetzter Lumpen. Diese Kleidung mochte einmal dunkelblau gewesen sein, doch jetzt wirkte sie fast schwarz vor Dreck. Das Gesicht der Kleinen war nicht viel sauberer. Schmutz zog sich über ihre Wangen und ihre Nase war von der Kälte gerötet. Sie trug eine hellgraue Kopfbedeckung, die wohl einmal eine Strickmütze gewesen war, doch ihr dunkelbraunes Haar stand in seltsamen Winkeln aus Löchern daraus hervor.

Das Mädchen hielt ungefähr zehn Meter vor uns im Schatten eines Bäckerkarrens an. Es sah sich ständig um, als hielte es nach jemandem Ausschau, doch hauptsächlich schien es sich auf den Bereich um den Brunnen zu konzentrieren. Die junge Unbekannte trommelte nervös mit den Fingern auf einen Schenkel und trat von einem Fuß auf den anderen, als wäre sie jeden Moment bereit wegzulaufen. Ein paar rot glühende Funken blitzten im Takt ihrer Bewegungen um ihre Finger auf, doch dann ballte sie die Hand zur Faust, um diese verräterischen Hinweise auf ihre Magie zu unterdrücken.

Ich atmete tief ein, ließ die Luft über meine Zunge gleiten und testete erneut alle Gerüche. Das Brot, die Kekse, den blutigen Geruch des Fleisches, den Fluorsteinstaub. All diese Aromen ignorierte ich, um mich ganz auf das Mädchen zu konzentrieren. Meine Nasenspitze zuckte und endlich fing ich einen Eindruck seines Geruchs auf – den heißen, beißenden Gestank von Magie, unterlegt von einer an Rosen erinnernden Note.

»Da«, flüsterte ich und wies Paloma diskret auf das Mädchen hin. »Ich glaube, sie könnte es sein.«

Paloma spähte in die angegebene Richtung. »Wer ist sie? Erkennst du das Mädchen?«

»Nein. Ich habe sie noch nie gesehen. Aber ich kann ihre Magie riechen. Sie ist definitiv eine Feuermagierin.« Ich zögerte und versuchte erneut, meine verräterische Hoffnung zurückzudrängen. »Sie könnte aus der Sommer-Linie der Blair-Familie stammen. Viele von ihnen besaßen Feuermagie.«

»Worauf wartet sie dann?«, fragte Paloma. »Serilda wirft immer noch Groschen in den Brunnen. Das ist das Signal.«

Es war Xenias Idee gewesen, zu verbreiten, dass jede Blair, die in Sieben Türme Zuflucht suchen wollte, sich an die blonde Frau wenden sollte, die Groschen in den Brunnen warf. Das Mädchen war zur richtigen Zeit zum richtigen Platz gekommen, also musste es die Gerüchte gehört haben. Trotzdem näherte es sich dem Brunnen nicht.

Stattdessen starrte es Serilda noch einen Moment an, um sich dann umzudrehen und wegzulaufen.

Für einen Augenblick stand ich wie erstarrt da. Meine Freunde und ich hatten den heutigen Abend tagelang geplant und bisher war alles wunschgemäß verlaufen. Doch jetzt tauchte das Mädchen tiefer in die Menge ein, statt mit Serilda zu reden und entfernte sich mit jeder Sekunde weiter von uns.

Verzweiflung stieg in mir auf. Ich setzte mich in Bewegung und rannte aus der Gasse.

»Evie!«, zischte Paloma. »Evie, warte auf mich!«

Doch ich konnte nicht warten – nicht, wenn ich das Mädchen nicht aus den Augen verlieren wollte. Also tauchte ich in die Menge ein und verfolgte die Flüchtige.

Das Mädchen hatte anscheinend Übung darin, sich in Menschenmengen zu bewegen, weil es so geschickt zwischen den Körpern hindurchglitt, wie die Akrobaten des Schwarzen Schwans durch die Arena wirbelten.

Mehrfach verlor ich es aus den Augen, um dann an jemandem vorbeizueilen und erneut die graue Mütze zu sehen, die sich vor mir durch die Menge bewegte. Ich fühlte mich wie ein Fischer, der versucht, einen besonders schwierigen Fang einzuholen. Jedes Mal, wenn ich glaubte, ich wäre nah genug an sie herangekommen, um ihre Schulter zu packen, wurde die Kleine noch schneller und brachte mehrere andere Leute zwischen uns. Sie sah kein einziges Mal zurück. Allerdings ging ich bei meiner Verfolgung nicht gerade subtil vor und stieß immer wieder Leute aus dem Weg. Daher musste ihr klar sein, dass ihr jemand folgte – schließlich waren die genervten Rufe um mich herum kaum zu ignorieren.

»Evie!«, zischte Paloma irgendwo hinter mir erneut. »Langsamer! Du Närrin lässt dich noch umbringen!«

Wahrscheinlich hatte sie recht, doch ich durfte es mir nicht erlauben, meine Schritte zu verlangsamen. Nicht, ehe ich herausgefunden hatte, ob dieses Mädchen wirklich eine Blair war. Der brennende Drang, das zu erfahren – und die Hoffnung, dass ich nicht die einzige Überlebende war –, trieben mich weiter.

Das Mädchen verließ den Platz und sprang in eine Seitenstraße. Ich sah kurz über die Schulter zurück. Paloma drängte sich hinter mir immer noch durch die Menge, Serilda, Cho und Sullivan konnte ich aber nirgendwo entdecken. Wenig überraschend, wenn man bedachte, wie weit entfernt sie gestanden hatten. Nun, meine Freunde würden mich einfach einholen müssen.

Ich eilte die Seitenstraße entlang und um die Flaneure vor den Schaufenstern herum. Meine Stiefel klapperten über das Pflaster, die Kapuze rutschte von meinem Kopf und mein Umhang flatterte hinter mir wie ein blaues Band im Wind, doch ich rannte weiter.

Ich erreichte das Ende der Straße. Gerade als ich schon dachte, ich hätte das Mädchen endgültig verloren, erhaschte ich einen kurzen Blick auf die graue Mütze, die in einer schmalen Gasse verschwand. Ich eilte zum Eingang und blieb stehen, um in die Dunkelheit der engen Passage zu spähen.

Die Gasse war vielleicht zehn Meter lang, bevor sie auf einen weiteren, viel kleineren Platz führte. Hier gab es allerdings keine Verkaufskarren und auch keinen hübschen Springbrunnen. Stattdessen bestanden die Häuser aus bröckelnden Ziegeln und rissigen Brettern. Zerbrochene Flaschen und anderer Müll lagen auf dem Boden verteilt.

Gebäude umringten den gesamten Platz und nur eine einzelne Gasse führte auf der anderen Seite weiter. Der Müll lag in Haufen an den Rändern des Platzes, als würden die Anwohner hier einfach ihre Fenster öffnen und alles nach draußen werfen, ohne sich darum zu kümmern, wo es landete. Der Gestank von geronnener Milch, ranzigem Fleisch und anderen verdorbenen Lebensmitteln traf mich wie ein Schlag. Ich musste mir die Nase reiben, um ein Niesen zu unterdrücken.

In nur ein paar Minuten hatte ich die wohlhabenden Bereiche von Svalin hinter mir gelassen und war am Rand der Slums gelandet. Trauer erfüllte mich wie immer, wenn ich darüber nachdachte, dass Menschen – meine Untertanen – so leben mussten, doch ich drängte das Gefühl zurück.

Ich verharrte in meiner Position am Eingang der Gasse, blickte mich um und lauschte angestrengt, doch weder sah ich das Mädchen auf der anderen Seite des vermüllten Platzes wegrennen, noch hörte ich Schritte. Die Unbekannte musste hier irgendwo sein. Vielleicht hielt sie mich für eine Bedrohung. Vielleicht wollte sie sich verstecken, bis ich verschwand. Oder vielleicht lebte sie hier.

Ich musterte die Haufen von Unrat an den Seiten der Gasse, doch ich konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Und ich sah auch keine improvisierten Hütten aus losen Brettern und zusammengesammeltem Metall und Steinen. Trotzdem – so geschickt, wie das Mädchen sich durch die Menge bewegt hatte, hätte sie sich mühelos hinter einem Stapel Bretter verstecken oder hinter einen der überquellenden, riesigen Mülleimer ducken können.

Ich schaute über die Schulter zurück, konnte Paloma aber immer noch nicht sehen. Trotz ihrer finsteren Warnung, dass ich mich noch umbringen würde, war ich keine leichtsinnige Idiotin. Mir war durchaus bewusst, dass dies der perfekte Ort für Attentäter war, um mir aufzulauern. Doch ich konnte nicht riskieren, das Mädchen zu verlieren, also zog ich mein Schwert und schlich vorsichtig die Gasse entlang, wobei ich in jeden Schattenfleck spähte. Ich testete auch erneut die Luft, in dem Versuch, die Magie des Mädchens aufzuspüren. Doch das machte der vermodernde Müll um ein Vielfaches schwieriger.

Ich hörte ein Rascheln hinter einem Mülleimer und erstarrte. Gleichzeitig packte ich mein Schwert fester.

Eine riesige, schwarze Ratte trippelte hinter dem Eimer hervor. Sie blieb für einen Moment stehen, um mich aus glänzenden, schwarzen Knopfaugen anzustarren, bevor sie eilig hinter einem Müllhaufen auf der anderen Seite verschwand.

Ich stieß den Atem aus, den ich angehalten hatte, schlich weiter und blieb schließlich mitten auf dem kleinen Platz stehen, wo ich mich langsam einmal im Kreis drehte.

Die Sonne war untergegangen und das dämmrige Zwielicht wurde von der hereinbrechenden Nacht verdrängt. In ein paar der Gebäude um den Platz brannten schwache Lichter, doch sie konnten die Finsternis kaum zurückdrängen. Wenn das Mädchen sich hier versteckte, dann würde ich es nicht sehen können, also atmete ich immer wieder tief durch, um erneut alle Gerüche in der Luft zu testen. Es kostete mich ein paar Sekunden, den Gestank auszublenden, doch schließlich stieg mir der beißende Geruch von Magie in die Nase.

Für einen Moment glaubte ich, es wäre die Magie des Mädchens, und mein Herz machte einen hoffnungsvollen Sprung. Dann atmete ich erneut durch und mir wurde klar, dass diese Magie mehr Knistern enthielt als die Feuermacht des Mädchens – und dass der Geruch viel zu stark war, als dass er nur von einer Person stammen konnte.

Genau in dem Moment, in dem mir das bewusst wurde, begannen die Schatten um mich herum, sich zu bewegen. Um den ganzen Platz herum erhoben sich Leute aus ihren Verstecken hinter Müllbergen und richteten sich auf.

In der einen Sekunde war ich allein. In der nächsten war ich von ungefähr einem Dutzend Magier umzingelt. Paloma hatte recht gehabt.

Es war eine Falle.

3

Ich packte mein Schwert fester, hielt meine Position und wartete darauf, dass meine Feinde sich näherten.

Die Magier traten ein Stück vor, dann verteilten sie sich, bis sie einen lockeren Halbkreis um mich bildeten. Die Gruppe bestand aus ganz unterschiedlichen Männern und Frauen aller Altersklassen. Auf ihren schwarzen Mänteln und Tuniken konnte ich keine Wappen oder Symbole erkennen, also wusste ich nicht genau, wer sie geschickt hatte. Einige der Magier hielten Schwerter, doch sie alle stanken nach Magie und ihre Macht brannte auch in ihren Augen.

Einer der Magier trat vor. Er hatte sich die dunkelbraunen Haare über seinem gebräunten Gesicht zurückgestrichen und an seinem Kinn prangte ein gepflegter Ziegenbart in derselben Farbe, doch seine Augen leuchteten in hellem Topasblau. Er war ungefähr so groß wie ich, auch wenn seine Kleidung bei jedem Atemzug von Muskeln gedehnt wurde, sodass er fast wirkte wie ein übervoll aufgeblasener Ballon. Ich fragte mich, ob er wohl mit einem Knall explodieren würde, wenn ich mein Schwert in seinen Körper stach. Ich ließ den Daumen über das Heft meiner Waffe gleiten, weil ich es herausfinden wollte.

Da der Mann mich nicht angriff, sah ich zu dem Mädchen, das neben ihm stand – dem Mädchen, das ich verfolgt hatte. Jetzt, da ich sie deutlich sehen konnte, erkannte ich, dass sie meinen Cousinen nicht im Mindesten ähnelte. Ihre Augen waren dunkelbraun, nicht graublau wie meine. Obwohl mir in dem Moment, als die Falle offensichtlich geworden war, bewusst war, dass sie keine Blair sein konnte, stieg Enttäuschung in mir auf. Dieses kalte, üble Gefühl verdrängte schnell die gesamte warme, honigsüße Hoffnung. Stattdessen roch ich meine eigene, rußige Trauer.

Ich zwang mich, das bedrückende Gefühl zu ignorieren und den Rest der Magier zu mustern. Keiner von ihnen hatte blondes Haar und purpurfarbene Augen wie Maeven und so viele ihrer Verwandten. Trotzdem konnten die Magier der Bastard-Brigade angehören. Niemand sonst wollte mich so dringend tot sehen.

»Also, also«, sagte der Mann direkt vor mir und brach damit das Schweigen. »Ich hatte darauf gehofft, ein paar Wachen zu fangen, vielleicht sogar einen königlichen Berater. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, Königin Everleigh persönlich anzulocken. Es ist mir wahrhaft eine Ehre, Eure Majestät.«

Er verbeugte sich förmlich, was mehrere andere Magier zu höhnischem Kichern veranlasste.

Das Mädchen schnaubte. »Oh, hör auf, so anzugeben, Ricardo. Ich war diejenige, die sie hierher gelockt hat. Du musstest nur darauf warten, dass ich auftauche …«

Ricardo trat vor und schlug dem Mädchen mit dem Handrücken ins Gesicht, womit er sie in ihrer Beschwerde unterbrach. Der laute Knall seiner Handbewegung hallte wie Donner über den Platz. Ich verzog das Gesicht bei dem Geräusch.

Ricardo musste ein wenig Murksstärke besitzen, denn das Mädchen fiel zu Boden wie ein Ziegelstein, der aus einem Fenster geworfen wurde. Für einen Moment lag sie wie betäubt da, dann setzte sie sich langsam auf. Sie blinzelte ein paarmal, während sie sich von dem harten Schlag erholte, dann berührte sie vorsichtig ihre Wange, die unter dem Dreck auf ihrer Haut bereits rot leuchtete.

Ricardo stand hoch aufgerichtet über ihr und krümmte immer wieder die Finger, als wollte er sie noch mal schlagen. »Sprich nie wieder in diesem Tonfall mit mir, Lena. Besonders nicht vor unserem Gast.«

Gast? Wovon redete er?

Die anderen Magier verlagerten ihr Gewicht, doch keiner sagte etwas und niemand kam dem Mädchen zu Hilfe.

Lena senkte die Hand und starrte Ricardo böse an. Ein paar rot glühende Funken tanzten um ihre Fingerspitzen, als dächte sie darüber nach, Ricardo mit ihrer Feuermacht zu beschießen. Aber er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte sie an. Lena sank unter seinem Blick in sich zusammen und die Funken verschwanden.

»Tut mir leid«, murmelte sie. »Ich wollte nur ein wenig Anerkennung dafür, dass ich meine Aufgabe erfüllt habe.«

»Und die wirst du kriegen«, erklärte Ricardo. »Geld und mehr – nachdem wir sie abgeliefert haben.«

Mich abliefern? Wieder stieg Verwirrung in mir auf, wurde jedoch schnell von Furcht verdrängt. Die Magier wollten mich doch töten … oder nicht?

Lena runzelte die Stirn, als wäre sie genauso verwirrt wie ich. »Aber ich dachte, wir sollten die Person foltern, die wir erwischen; Informationen über die Regalia aus ihr herauspressen, um die Leiche dann als Botschaft auf einem der Plätze abzulegen. Das waren seine Anweisungen …«

Ricardo rammte Lena die Stiefelspitze in die Rippen, sodass sie vor Schmerz aufschrie und zur Seite kippte. Wutentbrannt beugte er sich über das Mädchen. »Ich gebe hier die Befehle«, knurrte er. »Und er hat mir gar nichts zu sagen. Keinem von uns. Zwing mich nicht, dir das noch mal einzubläuen.«

Lena wurde bleich und zog den Kopf ein, als wäre sie eine Schildkröte, die sich im Panzer ihrer dreckigen Kleidung versteckte. Der kupferartige Geruch ihrer Angst breitete sich auf dem Platz aus, stark genug, um selbst den Duft der vereinten Magiermacht zu überlagern.

Ich fragte mich, an wen sie mich ausliefern wollten. An Maeven? Den mortanischen König? Jemand anderen? In meinem Kopf blitzten verschiedenste Horrorszenarien auf. In den meisten von ihnen folterte Maeven mich langsam mit ihrer Blitzmagie zu Tode.

Mir rutschte das Herz in die Hose, mein Magen verkrampfte sich und mein Atem stockte, doch ich verdrängte die Angst und musterte erneut die Magier, um herauszufinden, wer am verletzlichsten war. Ich musste nur einen oder zwei von ihnen töten, um ihre Reihe zu durchbrechen. Dann könnte ich aus der Gasse fliehen, bevor die anderen mich einholten.

In Ricardos Hand erwachte flackernd ein Feuerball zum Leben. Dann warf er mir einen abschätzigen Blick zu, als hätte er meinen Plan, mir den Weg zwischen den Magiern freizuschlagen, erraten. Neben ihm kämpfte Lena sich wieder auf die Beine. Ihre Wange war immer noch vom Schlag gerötet, doch auch sie rief ihre Magie und erschuf einen Feuerball. Zeitgleich beschworen noch ein paar andere Magier ihre Feuer- und Blitzmacht, während der Rest die Schwerter hob.

»Ihr werdet uns begleiten, Eure Majestät«, schnurrte Ricardo fast. »Ob Ihr das halbwegs unversehrt tut, bleibt ganz Euch überlassen.«

Er wackelte mit den Fingern und sofort leuchtete das Feuer in seiner Handfläche heller auf, als wäre es ein hungriges Monster, das sich danach verzehrte, mir das Fleisch vom Körper zu schmelzen. Der heiße, beißende Gestank der Magie erfüllte die Luft, er war sogar noch stärker als der Gestank des überall herumliegenden Unrats. Ricardo war offensichtlich der stärkste Magier hier. Lena allerdings war fast genauso stark wie er und die Flammen in ihrer Hand knisterten nahezu genauso laut.

Ich hielt immer noch mein Schwert in der rechten Hand, daher ballte ich die linke zur Faust und überzog sie mit der unsichtbaren Macht meiner eigenen kalten, harten Magie. Ricardo mochte ein starker Magier sein – aber er war nicht stärker als ich.

»Ich werde dich nirgendwohin begleiten«, knurrte ich.

Er lachte. Lena und die anderen Magier glucksten ebenfalls amüsiert. »Wenn Ihr Euch verbrennen lassen wollt, Eure Majestät, dann ist das für mich in Ordnung«, flötete er. »Es macht auf jeden Fall mehr Spaß, wenn unsere Gäste Widerstand leisten.«

Er rief noch mehr Feuer. Allerdings zuckte ich angesichts der heißen Flammen nicht zusammen, also verzog er höhnisch das Gesicht. »Glaubt Ihr, dieses Zährensteinschwert könnte mich davon abhalten, Euch zu verbrennen? Ich habe schon gehört, dass Ihr arrogant seid … aber dass Ihr an Wahnvorstellungen leidet, ist mir noch nicht zu Ohren gekommen.«

Wie die meisten anderen ging Ricardo davon aus, dass mein Schwert die Quelle meiner Macht war; dass es die silbrige Zährensteinklinge und die blauen Splitter im Heft waren, die mich beschützten. Er irrte sich.

»Ich brauche mein Schwert nicht, um deine Magie zu zerstören. Das schaffe ich ganz allein.« Ich ließ die Waffe einmal in meiner Hand herumwirbeln, bevor ich sie wieder senkte.

»Ihr mögt eine Königin sein, aber Ihr seid auch eine Närrin«, zischte Ricardo. »Vielleicht seid Ihr ein wenig demütiger, nachdem ich Euch die Haut vom Körper gebrannt habe.«

Er riss die Hand zurück und warf seine Magie auf mich. Nicht genug, um mich sofort zu töten, aber mehr als ausreichend, um mich ernsthaft zu verletzen. Die Flammen schossen durch die Luft und wurden im Flug noch heißer und stärker.

Im letzten Moment, direkt bevor seine Magie meine Brust treffen konnte, riss ich die linke Hand nach oben und bewegte die Finger, als schüttelte ich Wasser von ihnen ab. Und in gewisser Weise tat ich genau das. Nur dass ich kein Wasser gegen seine Flammen ausschickte, sondern meine Magie.

Die kalte, harte, unsichtbare Macht meiner Immunität traf sein Feuer und ließ es splittern wie Glas. Die orangeroten Flammen explodierten in einer Wolke aus schwarzem Rauch, die sich verteilte und dann schnell im kalten Wind verging.

Lässig schnippte ich einen Funken von meiner rechten Schulter; erstickte ihn, wie ich es mit dem Rest des Feuers getan hatte.

Ricardos blaue Augen wurden groß und er zuckte überrascht zusammen. »Wie habt Ihr das angestellt? Ich dachte, Ihr wärt nur ein Murks mit verstärktem Geruchssinn.«

Für die meisten Menschen, darunter auch meine bellonischen Untertanen, war ich nur ein Murks, was ein verbreiteter, wenn auch herablassender Begriff für Leute mit einfachen, schlichten Fähigkeiten wie zusätzliche Stärke oder Geschwindigkeit war. Selbst unter Murksen wurde mein außergewöhnlicher Geruchssinn als schwache, lächerliche Begabung gesehen. Und die meisten Leute dachten, ich besäße nur einen schwachen Funken Magie, keine echte Macht.

Diese Leute lagen richtig – und irrten sich. Ich war ein Murks. Aber ich war auch eine Meisterin – jemand, der ein bestimmtes Objekt oder Element kontrollieren und beeinflussen konnte.

Und mein Element war die Magie.

Ich hatte immer gewusst, dass ich immun für Magie war und dass ich das Feuer, die Blitze oder das Eis von Magiern zerstören konnte, indem ich meine Macht, meine Stärke, meinen Willen gegen sie stellte. Doch erst vor Kurzem hatte ich festgestellt, dass ich mit meiner Immunität noch mehr bewirken konnte – wie kontrollieren, wo die Magie anderer landete oder wie viel davon eingesetzt wurde. Ich lernte immer noch dazu, hoffte aber, eines Tages meine Immunität so mühelos schwingen zu können wie das Schwert in meiner Hand.

All das hätte ich Ricardo erzählen können, doch er hatte keine Erklärung verdient. Nein, das Einzige, was er verdient hatte, war der Tod. Das galt für ihn und jeden anderen, der so dämlich gewesen war, mich in diese Falle zu locken und zu bedrohen. Vor allem hatte er den Tod verdient, weil er all diese dumme Hoffnung in mein Herz gepflanzt hatte. Eisige Wut stieg in mir auf und verdrängte jedes andere Gefühl. Ich verwarf jeden Gedanken an Flucht. Stattdessen würde ich Ricardos Leben hier und jetzt ein Ende setzen.

Also krümmte ich einladend einen Finger. »Wieso kommst du nicht her und findest heraus, wie ich das angestellt habe? Wenn du nicht zu feige dafür bist. Ein Mädchen einzusetzen, um jemanden in eine Falle zu locken, mag recht einfach sein … persönlich gegen die bellonische Königin zu kämpfen, ist aber eine etwas größere Herausforderung.«

Wut flackerte in Ricardos Augen auf und er biss die Zähne so fest zusammen, dass an seiner Wange ein Muskel zuckte. Gleichzeitig flackerten erneut Flammen um seine Fingerspitzen auf, viel mehr, als er bisher auf mich geworfen hatte. Doch ich zuckte weder zusammen noch wich ich zurück.

»Ihr glaubt, Euer kleiner Trick könnte Euch vor mir retten? Vor uns allen?« Mit einer Geste wies er auf Lena und die anderen Magier. »Ihr hättet nicht allein herkommen sollen, Herrin des Winters. Für diese Arroganz werdet Ihr leiden.«

Ich lächelte, auch wenn es mehr ein Zähnefletschen war. »Wer hat behauptet, dass ich allein gekommen bin?«

Lena und die anderen Magier waren so sehr damit beschäftigt gewesen, sich anzuschauen, wie Ricardo mich bedrohte, dass sie nicht darauf geachtet hatten, was um sie herum vorging. Daher hatten sie den Schatten nicht bemerkt, der durch eine der Gassen schlich und immer näher kam.

Paloma stieß ein lautes Brüllen aus, stürmte auf den Platz und ließ ihren Streitkolben auf die nächststehende Magierin niedersausen. Die Frau hatte sie nicht einmal kommen sehen. Der Kopf der Magierin sank in sich zusammen wie ein Soufflé, das man zu früh aus dem Ofen genommen hat, dann fiel ihr Körper leblos zu Boden.

Paloma brüllte wieder und stürzte sich auf den nächsten Magier, der gemeinsam mit mehreren anderen zu ihr herumwirbelte.

Ricardo knurrte vor Wut, riss die Hand zurück und warf noch mehr Feuer auf mich. Diesmal setzte ich meine Immunität zusammen mit meiner Zährensteinklinge ein, um die Magie zur Seite zu schlagen wie eine nervige Fliege.

Der Feuerball explodierte an einer der Steinwände und entzündete das verfaulte Holz, das verdorbene Essen und den restlichen Müll, der davor lag. Rauch und rot glühende Funken stiegen in die Luft und waberten über den Platz wie scheußlicher Nebel, doch ich stürmte durch die stinkenden Schwaden auf Ricardo zu.

Er knurrte wieder, zog zwei lange Messer unter seinem Mantel heraus und trat vor, um sich mir zu stellen. Er ließ beide Messer gleichzeitig nach unten sausen, in dem Versuch, meine Abwehr zu durchbrechen, doch ich hob mein Schwert und parierte seinen Angriff.

Klirr!

Das Geräusch unserer Klingen hallte über den Platz, laut genug, um für einen Moment all die Schreie und anderen Geräusche zu übertönen. Und der Klang legte einen Schalter in mir um. In meinem Kopf begann Phantommusik zu spielen. Xenia mochte mir den Danzenfalter beibringen, Serilda aber hatte mich gelehrt, jeden Kampf als einen Tanz um Leben und Tod zu sehen. Ich ließ mich vom schnellen Rhythmus der eingebildeten Musik davontragen und mein Körper bewegte sich im Takt, als ich Ricardo zurückstieß und zur Seite sprang.

Er knurrte und stach wieder und wieder mit seinen Messern nach mir, um mir die Klingen ins Herz zu rammen. Inzwischen versuchte er nicht mehr, mich gefangen zu nehmen. Nein, er wollte mich genauso sehr töten wie ich ihn.

Tanzend wich ich seinen Schlägen aus und startete nach jedem davon einen eigenen, brutalen Gegenangriff.

Wir schlugen und stachen aufeinander ein, während wir durch die Glasscherben, die spitzen Steine und den restlichen Dreck wateten, der auf dem Boden verteilt lag. Das Knirschen unserer Stiefelsohlen verband sich mit der Phantommusik in meinem Kopf. Ich summte die Melodie mit, obwohl niemand außer mir sie hören konnte.