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»daedalos. Story Reader für Phantastik« wurde von Hubert Katzmarz und Michael Siefener in den Jahren 1994–2002 herausgegeben. Nach zwanzigjähriger Pause knüpfen die neuen Herausgeber an alte Traditionen an und lassen das legendär gewordene Magazin wieder aufleben. Mit aktuellen sowie fast vergessenen Texten, die klassischen Erzählweisen verpflichtet sind und beste Unterhaltung versprechen. Der Inhalt: Marco Frenschkowski: Der Verrat Monika Niehaus: Unterwassermusik Ellen Norten: Rita Oliver Henzler: Bofinger geht ins Licht Alexander Klymchuk: Teufelswerk Kai Focke: Wie man einen Bestseller abstaubt Thomas Le Blanc: Frühstück mit Lernet Peter Stohl: Die geheimen Worte Maike Braun: Das Meer der Verdammten Silke Urbanski: Ophelia springt in den Baum F. O. Tenneberg: Der Advokat
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Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2022
Der Story-Reader für Phantastik
Michael Siefener, Ellen Norten & Andreas Fieberg (Hrsg.)
DAEDALOS 13
Der Story-Reader für Phantastik
Daedalos 13
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© dieser Ausgabe: Mai 2022
p.machinery Michael Haitel
Titelbild: »Der Tod als Würger« (Ausschnitt), 1847/1851, Holzstich von Gustav Richard Steinbrecher, nach einer Vorlage von Alfred Rethel
Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda
Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel
Herstellung: global:epropaganda
DAEDALOS. Der Story-Reader für Phantastik
im Verlag der p.machinery Michael Haitel
Norderweg 31, 25887 Winnert
www.pmachinery.de
ISBN der Printversion: 978 3 95765 281 2
ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 820 3
»Kinder, wie die Zeit vergeht!«
Bestimmt hatte fast jeder von uns eine Tante oder einen Onkel, die zum alljährlichen Besuch diese Plattitüde von sich gab. (»Nein, was seid ihr groß geworden«, wurde dann meist nachgestoßen.) Aber wenn man die letzte erschienene Nummer von daedalos in die Hand nimmt, verliert die Aussage von Tante und Onkel ein wenig von ihrer Banalität. Über neunzehn Jahre ist es her, seit das letzte Heft dieses Magazins erschien, das 1994 mit einer kostenlosen »Null-Nummer« ins Leben gerufen worden war. Es war die hohe Zeit der handgefertigten Fanzines, von denen kaum eines den Sprung ins Internetzeitalter geschafft hat. Hubert Katzmarz, der daedalos konzipierte und zusammen mit Michael Siefener in seinem Verlag vhk herausbrachte, beabsichtigte von vornherein, sich von den anderen Magazinen dadurch abzusetzen, dass er nur Literatur und Leserzuschriften veröffentlichte (und hin und wieder eine kleine Randbemerkung zu der alten fantastischen Geschichte, die sich in fast jedem Heft findet), auf Essays, Buchbesprechungen und dergleichen aber verzichtete. daedalos gewann recht schnell einen treuen Leserkreis, doch nach der Nummer 4 (Februar 1996) verschlechterte sich Hubert Katzmarz’ Gesundheitszustand so sehr, dass er seinen Verlag und auch die Arbeit an daedalos zunächst einstellen musste. Der Verlag wurde nicht wiederbelebt, nachdem es Hubert endlich besser ging, aber daedalos erschien ab dem Frühjahr 1998 mit der Nummer 5 (mit neuem Layout des Umschlags und einspaltigem Satz, während die frühen Hefte zweispaltig gesetzt worden waren). Bis zur Nummer 11 vom Herbst/Winter 2000 gab er das Magazin weiterhin zusammen mit Michael Siefener heraus, der kurz darauf aus persönlichen Gründen ausschied; für die Nummer 12 vom Frühjahr 2002 war Andreas Fieberg mit an Bord. Im Jahr darauf starb Hubert Katzmarz. Auch wenn es um seine Gesundheit nicht zum Besten gestanden hatte, plötzlich und unerwartet, sodass die Nummer 12 gleichzeitig die Letzte war.
Nach seinem Tod bestand natürlich nicht mehr die Absicht, das Magazin fortzuführen, denn mit Hubert Katzmarz hatte es seinen Motor und seine Seele verloren.
Aber daedalos verschwand nicht einfach in der Versenkung. Es geschah genau das, was Hubert einmal scherzhaft erzählte: »Ich stelle mir vor, dass ich als Bettler vor dem Antiquariat der Frau Clement« (damals unweit des Bonner Rathausplatzes) »sitze, meinen umgedrehten Hut auf dem Boden vor mir, und jemand kommt mit einem Stapel Bücher aus dem Laden, wirft mir ein paar Münzen zu und sagt: ›Du sollst auch etwas zum Freuen haben! Ich habe gerade für bloß ein paar Hundert Mark einige unglaublich wertvolle Bände aus dem vhk erstanden – mein Glückstag!‹«
Nicht nur die Bücher, die Hubert Katzmarz verlegt hatte, nahmen an Wert zu; dies galt in besonderem Maße für die einzelnen Hefte von daedalos, die heute nur noch schwer aufzutreiben sind. Huberts Witwe Ellen Norten trug sich irgendwann mit dem Plan, das Magazin wiederauferstehen zu lassen – genauso, wie Hubert es ursprünglich geplant und herausgebracht hatte. Sie fragte bei Andreas Fieberg und Michael Siefener an, und beide waren von dieser Idee begeistert. Mit p.machinery fand sie schließlich den geeigneten Verlag, und so kommt es, dass fast zwanzig Jahre nach der Nummer 12 von daedalos (»Kinder, wie die Zeit vergeht«) nun die Nummer 13 erscheint – im alten Gewand und nach den alten Prinzipien. Und wir alle hoffen darauf, dass noch viele weitere Nummern folgen werden.
P.S.: Nachdrücklich wollen wir zum Schreiben von Leserbriefen aufrufen, um auch diese geschätzte Tradition wiederzubeleben.
Die Herausgeber
Michael Siefener, Ellen Norten
& Andreas Fieberg
»There’s more to life than books, you know. But not much more.«
Morrissey
Es war an meinem sechzigsten Geburtstag, dass ich in meiner Bibliothek zum ersten Mal ein Buch entdeckte, das es nicht gab. Wie es jedem Bücherfreund gehen mochte, geschah es natürlich auch mir gelegentlich, wenn ich durch die Gänge meiner Sammlung lief, dass mir Bände in die Hände fielen, an die ich mich nicht oder kaum erinnern konnte, und das eine oder andere Mal ist es mir passiert, dass ich Bücher gekauft habe, die ich schon besaß. Aber das meine ich nicht. Ich fand ein Buch, von dem ich mit absoluter Sicherheit wusste, dass es niemals existiert hatte. Es war eine deutsche Übersetzung des zweiten Bandes, der Fortsetzung zu Nikolaj Gogols »Toten Seelen«. Bekanntlich ist dieses Buch zwar geschrieben worden, das einzige Manuskript wurde von seinem Autor aber in einem depressiven Anfall kurz vor seinem Tod vernichtet. Gedruckt wurde das Werk nie, nur einzelne Nachrichten dazu sind überliefert. In Gogols Plan sollten die »Toten Seelen« von 1842 der erste Teil einer Trilogie werden, die in Analogie zu Dantes Göttlicher Komödie mit ihren drei Teilen Inferno, Purgatorio und Paradiso angelegt war. Juli 2006 also fiel mir eine deutsche Ausgabe (angeblich Leipzig 1882) in die Hand, doch dieses Buch hat es nie gegeben. Es ist untertrieben zu sagen, dass ich konsterniert war. Aber da es nichts gab, was ich zur Klärung der Sache tun konnte (die Kataloge sagten nur, dass es das Buch nicht gab), verlief sich das Rätsel im Sand, und die Zeit hätte es wohl verblassen lassen. Doch war das nur der Anfang der merkwürdigen Geschehnisse.
Damals war ich allmählich in eine schwierigere Lebenssituation geraten. Meine Berufstätigkeit – die ich niemals sehr geliebt hatte – näherte sich ihrem Ende, bald würde ich als vormals freiberuflicher Rentner sehr viel weniger Geld besitzen (nicht, dass ich je wohlhabend gewesen wäre), und die Kosten für meine Bibliothek waren leider immens. Andere Ausgaben hatte ich kaum. Mein Beruf war der eines Übersetzers gewesen. Da ich im Studium mehrere nicht ganz verbreitete Sprachen erlernt hatte, insbesondere Arabisch und Persisch, bekam ich gute Aufträge und konnte mich mit dieser bescheidenen Arbeit recht gut ernähren. Gelegentlich arbeitete ich für Behörden wie die Polizei, manchmal auch für Zeitungen und Verlage. Es kamen immer genug Aufträge, sodass ich ein bürgerliches Leben finanzieren konnte. Die meisten Einnahmen flossen selbstverständlich in die Bibliothek, deren Themen sich allmählich ausweiteten, von meiner frühen Liebe zur Literatur und Kunst über die alte Geschichte, die großen Entdeckungsreisen und die Annalen der Ethnologie. Später kamen allerlei Magica und Occulta dazu, und auch andere, kuriosere Themen, die ich hier nicht nennen muss. Ich hatte mich immer dem digitalen Buch verweigert, ja ich hatte es gemieden wie die Pest, die es war. Natürlich besaß ich keinen »Kindle« oder ein anderes elektronisches Lesegerät: So etwas hätte ich verachtet. Das bedarf kaum einer Erklärung.
Meine Arbeit als Übersetzer konnte ich daheim erledigen. Mein Zuhause wurde sukzessive ein Ort, wie er meinen Neigungen entsprach. Von meinen Eltern hatte ich einen zweistöckigen Bungalow geerbt, dessen ausgebauter Keller mein eigentlicher Wohnraum war. Da der Bungalow in eine kleine Anhöhe gebaut war, hatten auch die unteren Räume an ihrer Vorderseite Fenster und Türen, die in den großen Garten hinausführten. Uralte Bäume und dichte Büsche trennten mich von anderen Menschen. Ich ließ den Garten nach dem Willen der Natur wachsen. Nach wenigen Jahren war er völlig überwuchert. Ihn zu betreten hatte ich wenig Anlass: Manchmal im Sommer ging ich nachts hinaus und verfolgte den rätselhaften und spöttischen Lauf der Sterne. Im Winter lag er unter einer weißen Decke, und kein Fuß störte den jungfräulichen Schnee.
Im Erdgeschoss hatte ich meine Kontakträume mit anderen Menschen installiert: ein bürgerliches Wohnzimmer, eine Küche, ein kleines Arbeitszimmer mit Büchern (meine wahre Bibliothek befand sich natürlich im Keller: Sie ist nie von einem anderen Menschen als mir betreten worden). In meinen jungen Jahren war ich auch recht viel gereist, aber seit meinem fünfzigsten Geburtstag war das immer weniger geworden, ich hatte das Interesse am Reisen und an anderen Ländern verloren. Und das Interesse an anderen Menschen.
Ich wusste wohl, dass diese selbst gewählte Vereinsamung zu Problemen führen musste, je älter ich wurde. Wer sollte sich um mich kümmern, wenn ich krank oder wirklich alt werden würde? Aber ich konnte es nicht ändern. Ich konnte nicht länger vortäuschen, dass mir das Gespräch mit den Menschen Freude bereitete oder ihre Sorgen meine Anteilnahme erweckten. Ich war kein Zyniker: Niemals habe ich andere Menschen verachtet, jedenfalls nicht in ihrer Menge. Es war nur einfach so, dass mein Interesse erlosch.
Ich hatte beschlossen, bis zu meinem zweiundsechzigsten Lebensjahr zu arbeiten. Das war ein Kompromiss, der mir vielleicht doch noch eine brauchbare Rente sichern sollte. Doch wie ich bereits befürchtet hatte, reichte es am Ende kaum aus. Finanzielle Rücklagen hatte ich keine. Alles Geld war seit meinem zehnten Lebensjahr in meine Bücher geflossen, die meine einzigen Freunde waren. Aber ich würde schon irgendwie klarkommen und mich eben anderweitig einschränken, um an meinen geliebten Büchern nicht zu sehr sparen zu müssen. Klamotten hatte ich ja, und da ich ohnehin kaum mehr vorhatte, auszugehen, würde deren sehr gelegentliche Aufstockung nur wenig Geld kosten.
Und doch wurde es sehr bitter. Die steigenden Ausgaben für das alte Haus fielen stärker ins Gewicht, als ich gedacht hatte. Nur noch selten konnte ich mich frei etwa auf abebooks.com oder anderen Verkaufsportalen für Bücher im Internet bewegen und nach Herzenslust stöbern. Öffentliche Bibliotheken hatte ich nie besucht: Das wäre mir wie Prostitution vorgekommen. Ich wollte mit meinen Büchern ein persönliches und festes Bündnis eingehen, und das war nur möglich, wenn sie mit mir zusammenwohnten. Ich sorgte gerne für sie, beschützte sie vor zu viel Licht, Hitze oder gar Feuchtigkeit, entfernte vorsichtig den Staub, der sich wohl anlagern mochte, achtete darauf, dass sie nicht gepresst oder in ihrem Platz beschränkt wurden, und vor allem darauf, dass sie immer in guter Gesellschaft waren. Es musste doch zueinanderpassen, was da nebeneinander im Regal stand. Freilich konnte auch einmal eine lockere Abwechslung zu mancherlei kurzweiliger Kommunikation zwischen den Bänden führen, wenn da etwa ein antiker neben einem neuzeitlichen Autor stand. Wichtig war, dass Nachbarn etwas hatten, worüber sie sich austauschen konnten. Nur gemein wäre es gewesen, Bände nebeneinander zu stellen, die sich nicht ausstehen konnten: das vermied ich natürlich. Tiefes Mitleid erfüllte mich mit jenen Büchern, die herz- und gedankenlose Mitbewohner hatten, die sie irgendwie ins Regal pressten, sinnlos aufhäuften, verschmutzen ließen oder schlimmer, sie jahrelang vernachlässigten. Ich achtete immer darauf, dass jedes meine Bücher sich geliebt und respektiert wusste, selbst wenn ich ihm gerne einmal widersprach oder mit ihm diskutierte. Ich hatte seit alters eine Regel, dass kein Buch ungeöffnet länger als ein Jahr im Regal stehen sollte. Niemand aus meiner Familie sollte sich vernachlässigt fühlen. Tiefe Melancholie überkam mich bei dem Gedanken, dass ich nun keine neuen Freunde mehr für unseren kleinen häuslichen Kreis würde erwerben können, weil ich einfach nicht mehr genug Geld hatte. Das mögen die Bücher irgendwie gespürt haben. Sicher gab es Bücher, die ich mir auch früher nie hätte leisten können, aber von diesen träumte ich nur ganz selten. Audubons »The Birds of America« oder Edward King, Lord Kingsboroughs »Antiquities of Mexico«, beide im legendären Elefantenfolio-Format, das mochten wohl solche Bücher sein. Aber das war nicht schlimm; zu ihnen hatte ich kein näheres Verhältnis, sie hätten unsere kleine Lebensgemeinschaft kaum bereichert.
Um meinen dreiundsechzigsten Geburtstag herum geschah es dann wieder. Melancholische Gedanken erfüllten mich. Ich stöberte an einem trüben Nachmittag gerade in jenem Winkel meiner Bücher, der dem Genre der Fantasy gewidmet war. Da meine eigene Fantasie sehr viel ausgeprägter war als die der meisten dieser Autoren, hatte dieses Gebiet nur begrenzten Reiz für mich, und ich hatte nur sporadisch dies und jenes gesammelt. Aber die großen Klassiker wie Morris, Macdonald, E. R. Eddison, Fritz Leiber, Dunsany, Tolkien oder Moorcock hatten es mir doch angetan, wenn ich auch kaum wertvolle Ausgaben besaß. Es war also nur ein kleiner Winkel, am Rande der viel zahlreicheren Bücher, die dem Unheimlichen gewidmet waren. Aber an diesem Tag hatte es mich in diesen Winkel gezogen. Und da fiel mir nun ein dicker Band in die Hände, an die tausend Seiten. »The New Shadow, by John R. R. Tolkien. Ed. By Christopher Tolkien« (London 2005). Ich wusste es sofort: Dieses Buch gab es nicht. Tolkien hatte wohl vor seinem Tod 1973 in mehreren Anläufen versucht, eine Fortsetzung seines Meisterwerkes »The Lord of the Rings« zu schreiben, aber er war nie über ein paar erste Seiten hinausgekommen. Diese Entwürfe, längst publiziert, redeten von einem kuriosen Orc-Kult unter den jungen Bewohnern Mittelerdes, einige Jahrzehnte nach der Handlung des »Lord of the Rings«. Diese Jugendlichen trugen schwarze Kleidung, hockten des Nachts in Höhlen, Kellern und Winkeln beieinander und imaginierten die Macht des bösen Herrschers, die ihr Leben spannend und ereignisreich machen sollte. Natürlich waren sie dumm und hatten keine Ahnung von den Realitäten des Bösen. Die Entstehung einer neuen Macht der Orcs anhand einer Art Jugendsekte, die sie wiedererweckte: das war Tolkiens Grundidee gewesen. Aber wie sollte sich die Handlung entwickeln, die nun ja ganz in der Welt der Menschen würde spielen müssen (die Elben hatten sich längst von Mittelerde zurückgezogen)? Ich hatte oft darüber nachgedacht: Es war eines der Themen, denen man endlos nachsinnen konnte. Und da lag es nun: das fertige Buch, von dem ich doch genau wusste, dass es nicht existieren konnte. Ich will hier nicht ausführen, wie Tolkien – sein unverkennbarer Stil sprang mich auf jeder Seite an – das Konzept umsetzte: Es dauerte nur wenig mehr als zwei Tage, das Buch zu lesen, und ich tat in dieser Zeit nichts anderes. Tief befriedigt und beglückt legte ich den Band an den Platz zurück, an dem ich ihn gefunden hatte. Ich wusste wohl, dass es nicht mit rechten Dingen zuging, aber was störte es mich?
Wenige Wochen später stolperte ich über ein anderes Buch, im vertrauten schwarzen Buckram-Einband des Verlages Arkham House, mit einem Cover von Frank Utpatel, aber einem, das ich nie gesehen hatte, und einem mir fremden Titel. »Azathoth. A Novel. By H. P. Lovecraft«, Sauk City, Wisconsin 1951. Plötzlich dämmerte es mir. Lovecraft hatte in den 1920er-Jahren ein Romanprojekt geplant, das er nicht verwirklichen konnte. Der Roman sollte »Azathoth« heißen, und nur eine Seite davon wurde geschrieben. Es sollte wohl eine Art Pilgerreise oder Suche nach dem schwarzen Thron in der Mitte des Chaos werden, welche der Protagonist unternehmen würde. In seiner Jugend hatte er Stimmen von Flöten gehört, die um diesen Thron herum spielten, und deren Töne durch die Universen klangen. Ich befand mich in einem traumhaften, ja halluzinatorischen Zustand, als ich das Buch las, und doch lag es schwer und greifbar in meinen Händen, mit jenem leicht sauren Geruch, den die amerikanischen Drucke dieser Jahre besitzen. Kaum fassen konnte ich, nun doch noch ein neues verschollenes Werk dieses größten Meisters des Unheimlichen lesen zu können – nachdem ich sein publiziertes Werk mehr oder weniger auswendig konnte.