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Goldfieber und gefährliche Leidenschaft: Der romantische Spannungsroman »Dangerous Games – Tödliche Gier« von Elizabeth Lowell als eBook bei dotbooks. Wenn eine prickelnde Romanze zur tödlichen Gefahr wird ... Er ist schön, reich, unwiderstehlich – und für die Goldexpertin Risa Sheridan eine ziemliche Herausforderung: Shane Tannahill, ein Selfmademan, der seine Millionen mit dem Betreiben edler Casinos gemacht hat, beauftragt sie, seltene Goldschätze für die Ausstattung der Spielhallen zu beschaffen. Als sie ein uraltes keltisches Schmuckstück auf einer Auktion ausfindig macht, ist Shane sofort fasziniert davon. Doch Risa spürt, dass etwas damit nicht stimmt – und schon bald finden sie und Shane sich inmitten einer Verschwörung, die nicht nur ihrer beider Karrieren in Gefahr bringt, sondern auch ihr Leben ... »Nichts ist so, wie es scheint, in dieser verwickelten Geschichte, die den Fans von Lowell alles bietet, was sie sich wünschen und was sie von ihren enorm beliebten Liebesromanen erwarten.« Booklist Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Romantic-Suspense-Roman »Dangerous Games – Tödliche Gier« von Elizabeth Lowell ist der zweite Band ihrer gleichnamigen Reihe, der Fans von Linda Howard und Karen Rose begeistern wird. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 582
Über dieses Buch:
Wenn eine prickelnde Romanze zur tödlichen Gefahr wird ... Er ist schön, reich, unwiderstehlich – und für die Goldexpertin Risa Sheridan eine ziemliche Herausforderung: Shane Tannahill, ein Selfmademan, der seine Millionen mit dem Betreiben edler Casinos gemacht hat, beauftragt sie, seltene Goldschätze für die Ausstattung der Spielhallen zu beschaffen. Als sie ein uraltes keltisches Schmuckstück auf einer Auktion ausfindig macht, ist Shane sofort fasziniert davon. Doch Risa spürt, dass etwas damit nicht stimmt – und schon bald finden sie und Shane sich inmitten einer Verschwörung, die nicht nur ihrer beider Karrieren in Gefahr bringt, sondern auch ihr Leben ...
»Nichts ist so, wie es scheint, in dieser verwickelten Geschichte, die den Fans von Lowell alles bietet, was sie sich wünschen und was sie von ihren enorm beliebten Liebesromanen erwarten.« Booklist
Über die Autorin:
Elizabeth Lowell ist das Pseudonym der preisgekrönten amerikanischen Bestsellerautorin Ann Maxwell, unter dem sie zahlreiche ebenso spannende wie romantische Romane verfasste. Sie wurde mehrfach mit dem Romantic Times Award ausgezeichnet und stand bereits mit mehr als 30 Romanen auf der New York Times Bestsellerliste.
Elizabeth Lowell veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre historischen Liebesromane »Begehrt von einem Ritter«, »Verführt von einem Ritter« und »Geküsst von einem Ritter« sowie ihren Thriller »48 Hours – Rette dein Kind« Außerdem veröffentlichte sie ihre Romantic-Suspense-Romane »Dangerous Games – Dunkles Verlangen«, »Dangerous Games – Tödliche Gier« und die Donovan-Saga mit den Bänden »Thrill of Desire«, »Thrill of Seduction«, »Thrill of Passion« und »Thrill of Temptation«.
Die Website der Autorin: elizabethlowell.com
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eBook-Neuausgabe Dezember 2023
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2002 unter dem Originaltitel »Running Scared« bei William Morrow/HarperCollins, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Blutiges Gold« bei Weltbild.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2002 by Two of a Kind, Inc.
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2008 by Verlagsgruppe Weltbild GmbH Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/LightField Studios, Ron Dale und AdobeStock/Lucky-photo
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-98690-884-3
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Elizabeth Lowell
Dangerous Games – Tödliche Gier
Roman
Aus dem Amerikanischen von Gisela Hack-Molitor
dotbooks.
Für Dr. Catherine M. Johns, vormals Kuratorin des Gebietes Römisch-Britannien, Abteilung für Vor- und Frühgeschichte und frühes Europa, The British Museum, London
Danke, Catherine!
Die Fakten sind von Dir.
Die Fiktionen sind von mir.
Die Freundschaft ist unser.
Sedona
Donnerstag, den 30. Oktober
Die silberne Scheibe des beinah vollen Mondes ließ Virgil O’Connor nicht einschlafen. Doch das störte ihn nicht. Er war einundachtzig und wusste längst, dass er sich besser wach den tanzenden Nachtschatten von Arizona aussetzte als schlafend dem Würgegriff der Albträume, die ihn unter Schreien aufweckten.
»Verzeiht mir, was ich getan habe«, flüsterte er in die Nacht. »Bitte, bitte, verzeiht mir, verzeiht mir ...«
Aus der Dunkelheit kam keine Antwort. Noch nie war eine gekommen.
Sein Herz setzte einen Moment aus, tat einen Sprung, beruhigte sich wieder. Er atmete hörbar aus, doch das verschaffte ihm keine Erleichterung. Er wollte gerne sterben, doch das konnte er noch nicht. Nicht ehe die Toten ihm seinen Frevel an ihrem heiligen Gold verziehen hatten.
Halsbänder aus geflochtenen Goldketten, so fein und schwer und geschmeidig, wie er selbst als junger Mann gewesen war.
Armbänder von zwei Fingerspannen Umfang, aus schwerem Gold und mit so grausig-schönen Symbolen bedeckt, dass ihm die Haare zu Berge standen.
Gewandspangen so groß wie seine Hand, Tieren nachgebildet, dennoch erschreckend menschenähnlich.
Eine mehr als lebensechte Gesichtsmaske.
Figuren längst vergessener Götter oder Dämonen oder Traumbilder.
Siebenundzwanzig Stücke reinsten Goldes. Blendend schönes Gold.
Blutiges Gold.
Ein Schauer lief über seine Haut. Er griff automatisch nach seiner weichen Wolldecke, doch deren Wärme drang nicht bis an seine kältestarren Knochen.
Er war ein Toter, der laut schrie.
»Nein«, brachte er mit rauer Stimme hervor, »das wollte ich nicht! Ich habe nie etwas davon verkauft, auch wenn ich Geld brauchte. Ich habe hart gearbeitet, hatte zwei Jobs. Ich hätte auch alles einschmelzen können, oder ... oder ...«
Jetzt war nur noch ein krächzendes Flüstern zu hören. Die Geister, die ihn verfolgten, konnten ihn nicht hören, das wusste er. Er hatte keinen Zugang zu ihnen und konnte seine Peiniger nicht von seiner Unschuld überzeugen.
Es sei denn, er hielte ihre Goldstücke in beiden Händen. Diesmal ohne Handschuhe. Kein Schutz für seinen Körper. Nur seine Haut und das mächtige Gold.
Der Gedanke daran ließ ihn erschaudern. Einmal, vor langer Zeit, hatte er das Gold mit bloßen Händen berührt. Danach hatte er das nie wieder getan. Darüber wollte er nicht einmal nachdenken. Doch er konnte es nicht verhindern, ständig dachte er daran, jedes düstere Detail dieser längst vergangenen Nacht stand ihm lebhaft vor Augen. Damals war er den Anweisungen seines verstorbenen Großonkels gefolgt und hatte einen Metalldetektor aus Militärbeständen organisiert, um in Großbritannien auf die Suche zu gehen, während um ihn herum die letzten Schlachten des Zweiten Weltkriegs tobten.
Die heiligen Eichen, zu denen sich weder Römer noch Engel hinwagten. Neun Hügel. Sechs Baumgruppen. Drei Statuenmenhire gegenüber. Eine Quelle. Drei mal drei mal drei aus Gold.
Er schüttelte heftig den Kopf. Er wollte nicht daran denken. Sein Herz kam dadurch ins Stocken wie in jener Nacht, und der Schmerz zuckte durch jede Faser seines Körpers und seiner Seele.
»Halt durch«, beschwor er sich flüsternd. »Nur noch bis morgen. Bis Mitternacht. Dann werden sie endlich verstehen, warum ich das getan habe.«
Andernfalls würde er sterben.
Es war ihm beinahe egal, ob er lebte oder tot war. Ihm war nur eines wichtig: Das Gold sollte ihn nicht länger auf so quälende Weise langsam umbringen.
»Halt durch. Morgen. Um Mitternacht.«
Los Angeles
Freitag, den 31. Oktober
Morgens
Risa Sheridan arbeitete nur unregelmäßig als Gutachterin für die internationale Firma Rarities Unlimited. Doch es machte ihr nichts aus, für ein paar Stunden von Las Vegas nach Los Angeles zu fliegen, wenn sie einen Auftrag erhielt. Sie wusste nie im Voraus, welcher Art die Schätze waren, die von Sammlern zum Firmensitz von Rarities Unlimited gebracht wurden. »Kauf, Verkauf, Schätzen und Schützen«, lautete das Motto des Unternehmens. Sicher war dabei nur, dass alles, was ihr dort zur Begutachtung vorgelegt wurde, mindestens vierhundert Jahre alt war, meist aber noch viel älter. Alter Schmuck war nämlich ihr Spezialgebiet.
Der Blick durch die Doppelglastüren, die zum Büro von Rarities Unlimited führten, dämpfte Risas erwartungsfrohe Stimmung ein wenig. Auf der anderen Seite des kugelsicheren Glases hatte sie Shane Tannahill erspäht. Sie war vor ihm in Las Vegas aufgebrochen, dennoch hatte er sie auf dem Weg hierher überholt.
Eine Hand von Shane steckte in der Tasche seiner schwarzen Anzughose, die andere hielt die weiche Lederjacke fest, die er über die Schulter geworfen hatte. Ein Besucherausweis hing an einem langen Band um seinen Hals. Sein kantiges Gesicht war unbewegt, die jadegrünen Augen zusammengekniffen, der dunkle Haarschopf flott frisiert, so stand er gegen den Empfangstisch des Wachmanns gelehnt. Er wartete auf sie. Er war kein geduldiger Mann.
Verdammter Verkehr in L. A., murmelte sie im Geiste vor sich hin.
Es war nicht ihr Fehler, dass ihr Flugzeug in Las Vegas wegen irgendeiner Sicherheitsprüfung nicht hatte abheben können. In Los Angeles war dann ein Tanklaster auf dem Sepulveda-Boulevard umgekippt und hatte den direkten Weg vom Flughafen in die Stadt blockiert. Das sowieso überlastete Verkehrssystem war daraufhin sofort kollabiert.
Und jetzt kam sie zu spät.
Vielleicht schlug Risas Puls nicht nur vor Ärger ein bisschen schneller, als sie Shane erblickte. Doch ihre Schritte wurden dadurch um keinen Deut langsamer oder schneller. Auch kümmerte sie sich nicht darum, ob ihr kurzes schwarzes Haar richtig frisiert war, noch kontrollierte sie den Sitz ihrer leger geschnittenen blauen Jacke. Andere Frauen wären womöglich noch schnell mit der Zunge über ihre Lippen gefahren, um ihnen einen verführerischen Glanz zu verleihen, oder sie hätten den Bauch eingezogen und die Brust herausgestreckt, um sich vor Shane Tannahill den bestmöglichen Auftritt zu verschaffen.
Nicht so Risa.
Sie hatte hart arbeiten müssen, um die Position zu erlangen, die sie heute innehatte. Sie liebte ihre Arbeit als Kuratorin für Goldobjekte für das Golden Fleece, Shanes Casinounternehmen in Las Vegas. Und sie würde es keinesfalls riskieren, wegen dieses Beaus mit seinem unwiderstehlichen Grinsen alles aufs Spiel zu setzen.
Da konnte ihr Chef sich ruhig mal auf den Schlips getreten fühlen – bei ihm einschmeicheln wollte sie sich jedenfalls nicht.
Shane stellte seine Arbeit unter ein so einfaches wie unumstößliches Motto: keine Lügen, keine Betrügereien, kein Diebstahl und kein Sex. Seine weiblichen Angestellten rührte er nicht an. Basta. Wenn eine Frau das nicht akzeptieren wollte und er seinerseits einer Affäre nicht abgeneigt war, dann sorgte er dafür, dass sie einen anderen Job bekam. Das war die einzige Lösung, um alle zufriedenzustellen.
Shane mochte noch so intelligent, attraktiv, reich und hinreißend sein – für Risa hatte ihre Arbeit oberste Priorität, jedenfalls mehr als irgendwelche Männergeschichten. Auch wenn dieser hier zu den wenigen gehören mochte, die sie je ernsthaft interessiert hatten.
Das ist der Trick mit der verbotenen Frucht, sagte sie streng zu sich. Ein Mann kann noch so sexy sein, am nächsten Morgen sieht das anders aus, wenn du neben ihm aufwachst. Wenn er dann überhaupt noch da ist.
Der Wachmann entriegelte die automatischen Türschlösser für Risa. Die Tür öffnete sich.
Risa bedachte den Uniformierten mit einem strahlenden Lächeln. »Guten Morgen, Jersey. Wie geht’s dem Daumen?«
Der bullige Zweimetermann lief rot an. »Woher wissen Sie das?«
»Hm«, war alles, was sie darauf antwortete. Sie wollte Shane nicht verraten, wie oft sie mit S. K. Niall plauderte. Shane war zwar mit den beiden Chefs von Rarities Unlimited befreundet, doch vermied er es, Beruf und Privates zu vermischen. Ihm würde es nicht gefallen, wenn er von den beinahe täglichen Gesprächen seiner Kuratorin mit Niall wüsste – Niall reimt sich auf Nil und Krokodil, mein Freund, auch wenn ich mit dem verdammten Fluss und seinen Bewohnern nichts am Hut habe. Zwischen Rarieties und Golden Fleece liefen derzeit viel zu wenig Geschäfte, um einen so regen Austausch zu rechtfertigen. Doch Risa war einsam und Niall in festen Händen mit Dana Gaynor, der zweiten Chefin von Rarities Unlimited.
»Mir ist schleierhaft, wie ich mir den Daumen in der Schublade einklemmen konnte«, brummte Jersey.
»Vielleicht sollte Dana immer eine Alarmglocke mitnehmen, wenn sie hier rumläuft«, sagte Risa mitfühlend und kämpfte gegen ein Lächeln an.
Shane gab sich da weniger Mühe. Sein Gesicht überzog sich mit einem breiten warmen Lächeln, das jedermann und jede Frau unweigerlich in seinen Bann zog, wie durch Magie.
Die Röte auf Jerseys Gesicht wurde tiefer.
»Sie werden sich bestimmt an Danas Gang gewöhnen«, meinte Risa. Sie warf ihre Handtasche auf ein Förderband, das aussah wie bei der Sicherheitskontrolle an Flughäfen, und lief durch die Metalldetektorschleuse, ohne einen einzigen Alarmton auszulösen. »Jeder tut das. Irgendwann.«
»Oh, klar.« Doch Jersey schüttelte dabei den Kopf und starrte zum Bildschirm, auf dem Risas durchleuchtete Tasche in all ihren Details zu sehen war. Nichts Ungewöhnliches. Der Metallalarm rührte sich nicht. Dasselbe Bild bei den Kontrollen auf chemische Stoffe. Nicht dass Jersey irgendetwas dieser Art erwartet hätte – nicht bei einer Gutachterin. Doch er wurde nicht dafür bezahlt, nach eigenem Gutdünken vorzugehen. Sein Job war es, jeden, der durch diese Tür trat, genau durchzuchecken, und das schloss auch Dana Gaynor und S. K. Niall nicht aus.
Shane griff nach der Tasche, die nun am anderen Ende des Scanners herauskam, und warf sie mit einer blitzschnellen Bewegung und ohne Vorwarnung hinüber zu Risa.
Doch die war auf der Hut. Mit einer betont lässigen Geste schnappte sie danach und nahm sie wieder an sich. Er war hier nicht der Einzige mit guten Reflexen. »Danke.« Sie wandte sich Jersey zu. »Gibt es noch etwas?«
»Nur noch das hier.« Der Wachmann hielt ihr einen Mitarbeiterausweis hin, der an einem langen Halsband baumelte. »Neue Vorschriften.«
Risa hängte sich das Band mit der bunten Plastikkarte um, die besagte, dass sie Gutachterin war. »Seit wann das?«
Shane antwortete vor Jersey. »Seit jemand halb Rarities bedroht hat.«
»Dana wurde bedroht?«, fragte Risa, sichtlich schockiert.
»Nein, Niall.«
»Uh«, gab Risa von sich und stieß die Luft hörbar aus. Ihr Freund Niall war nicht nur der fünfzigprozentige Eigentümer, sondern auch der Sicherheitschef von Rarities Unlimited. Dana besaß die andere Hälfte und kümmerte sich um die »weichen« Bereiche von Rarities, die mit Kunst zu tun hatten. »Wer so was macht, muss erstaunlich dumm sein.« Sie bedachte ihren Chef mit einem nachdenklichen Blick aus ihren klaren blauen Augen. »Wann war das?«
»Vor drei Tagen.« Shane lief auf einen Aufzug am Ende eines breiten, kurzen Flurs zu. »Sie warten in Reinluftraum 2.«
Risa folgte den langen Schritten ihres Chefs unverzüglich und im selben Tempo. Egal, ob die Nähte ihres knielangen engen Rocks darunter litten – von einem Mann würde sie sich so schnell nicht abhängen lassen. »Worauf hatte es der Bursche abgesehen?«
»Er hatte römische Gemmen bei sich, die er schätzen lassen wollte«, sagte Shane. »Dabei stellte sich heraus, dass die meisten davon ziemlich gut gemachte Fälschungen waren. Das hat ihm nicht gepasst, und er fing an, rumzutoben und zu fluchen. Niall tauchte dann sehr schnell auf und setzte den Mann vor die Tür. Das passte ihm aber ebenso wenig. Er hat Niall dann gedroht, er würde ihm jemand schicken, der ihm Manieren beibrächte.«
»Dumm, dümmer, am dümmsten.« Sie schüttelte den Kopf über den mangelnden Verstand des Kunden, der die Situation offenbar grundlegend falsch eingeschätzt hatte. »Niall ist zwar nicht so groß wie Jersey, aber er ist um einiges reizbarer.«
Shanes Mundwinkel verzogen sich, und in seinen Augen glimmte ein boshafter Funke. »Abgebrühter auch. Und darauf kommt es im Zweifelsfall an.«
»Seh ich auch so.« Risa wusste nur zu gut, was »abgebrüht« bedeuten konnte. Wer bettelarm aufwächst, kennt früh den Unterschied zwischen abgebrüht, reizbar und bloß bärenstark. Entweder du lernst, Menschen und Situationen schnell und richtig einzuschätzen, oder du zahlst drauf.
Shane warf einen nachdenklichen Blick auf seine Kuratorin. Sie sah sehr geschäftsmäßig aus in ihrem dunklen schmalen Rock und der weiten, leuchtend blauen Jacke. Ihre Frisur wirkte wie eine glänzend schwarze Mütze, ihr Make-up war dezent, und ihr wohlgeformter Körper verschwand fast völlig hinter der Kleidung. Ihr Mund aber war von einer Art, die einen Mann betört und ihn alle guten Vorsätze schnell vergessen lässt. Beinahe hätte er Risa wegen dieses Körpers und ihrer verführerischen Lippen nicht eingestellt. Doch dann hatte er die unbeirrbare Intelligenz in ihren Augen gesehen und an den Ehrgeiz gedacht, der aus ihrer Bewerbung deutlich abzulesen war.
Als er Niall gebeten hatte, ihm bei der Suche nach einem zuverlässigen Kurator für Gold behilflich zu sein, der bereit wäre, in Las Vegas zu leben, hatte dieser Risa zu ihm geschickt. Und sie erwies sich tatsächlich als absolut perfekt für diesen Job.
Als er sie einstellte, wusste er, dass er das wahrscheinlich bereuen würde. Und er hatte in der Folge darauf geachtet, eine möglichst große Distanz zu ihr zu wahren.
Doch es lag an der Art ihrer Tätigkeit, dass der Abstand zwischen ihm und Risa nicht groß genug war. Bei den Vorbereitungen zu seiner »Druidengold«-Ausstellung hatten sie monatelang Hand in Hand gearbeitet. Immer wieder hatte er daran gedacht, einen anderen Kurator zu suchen, um sich mit Risa näher einlassen zu können. Doch er war auf ihr Fachwissen und ihre scharfe Intelligenz angewiesen – jedenfalls mehr als auf eine neue Affäre. Daher umkreisten sich die beiden weiterhin wie zwei einander fremde Hunde, die nicht wissen, ob sie miteinander raufen oder sich belecken und beschmusen sollen.
Meist war Shane froh, dass Risa an seine Adresse ebenso viele Stoppsignale aussandte, wie er es umgekehrt auch tat. Aber dann war er wieder irritiert, dass Risa genauso wachsam war wie er. Er fragte sich, warum sie immer noch mauerte. Sicher nicht, weil sie Angst hatte, die einzig gute Stelle weit und breit zu verlieren. Im vergangenen Jahr hatte sie Stellenangebote von einem renommierten Privatmuseum und von zwei reichen Sammlern bekommen. Er wusste davon, weil er deren Vertragsangebote mit eigenen Zusagen übertreffen musste, um sie zu halten.
Sein gesunder Menschenverstand sagte ihm, dass er sie hätte gehen lassen sollen. Mit ihr bekam er genau die Probleme, die er immer vermeiden wollte.
Risa klopfte an die Tür des Reinluftraums 2, so genannt, weil er ein sicheres, neutrales Territorium darstellte, wo Käufer und Verkäufer sich treffen konnten, ohne Angst vor Betrug oder Diebstahl. In diesem Fall war Shane als Käufer da, zumindest hoffte das der Kunde von Rarities.
»Entschuldigt bitte die Verspätung«, sagte Risa zu Dana und Niall, die sich über Papiere beugten, die auf dem langen Metalltisch in der Mitte des Raums ausgebreitet waren. »Die Sicherheitsbehörde ließ uns in Vegas nicht abheben, und auf der Sepulveda hat sich ein Tanklaster auf die Seite gelegt.«
»Sie beide sollten sich geschmeichelt fühlen«, meinte Shane.
»Warum?«, fragte Dana und blickte auf.
»Ich bin ihr Chef, aber bei mir hat sie sich nicht entschuldigt.«
Risa kniff ein wenig die Augen zusammen, sagte aber nichts.
Niall räusperte sich. Zwischen Shane und Risa hatte es vom ersten Tag an geknirscht, aber in letzter Zeit stoben Funken, wann immer die beiden sich in einem Raum aufhielten. Mit einem unhörbaren Seufzer beschloss Niall, sich nach einer neuen Aufgabe für Risa umzusehen; wenn sie nicht bald von selbst ging, würde Shane sie rauswerfen. Auf der Habenseite standen immerhin die großzügigen Abfindungen, die Shane zu machen pflegte. Vielleicht war es das, worauf sie spekulierte.
»Warum sollte sie sich bei Ihnen entschuldigen?«, fragte Dana und schob die Papiere mit einer heftigen Bewegung zusammen. »Für ihre Zeit bezahlt im Augenblick Rarities, nicht Sie.«
»Autsch«, ließ sich Shane vernehmen.
»Eines Tages werden Sie es schon noch lernen, mein Freund«, sagte Niall und grinste. »Die Dame könnte einem Rasiermesser das Schneiden beibringen.«
Shane zog eine seiner dunkelbraunen Brauen hoch und blickte Niall schief an, der sich jetzt in seinen Sessel zurückfallen ließ, als könnte ihn nichts auf der Welt aus der Fassung bringen. Dann zog Niall seine breiten Schultern zurück und fingerte an seinen Hemdknöpfen herum. »Wollen Sie mal meine Narben sehen?«
»Ich glaube, er könnte den Anblick nicht ertragen«, bemerkte Dana trocken. »Und Risa ist viel zu jung für solch eine Männerbrust.«
»Hey, hört mal her, ich bin einunddreißig«, sagte Risa mit rauchiger Stimme in ihrem gedehnten Südstaatenakzent aus Arkansas. »Also alt genug, um zu wissen, dass mir ein Mann seine, hm, Narben besser nicht zeigen sollte.«
Danas Lachen ließ sie viel jünger aussehen, als sie nach Risas Schätzung war.
»Also gut«, meinte Niall. »Wenn du nicht an einem Männerstrip interessiert bist, dann vielleicht an ein paar Stücken alten Goldschmucks?«
Ohne auf eine Antwort zu warten, schob er den Sessel zurück und ging zu einem langen Aluminiumkasten am anderen Ende des Tisches. Der Kasten hatte eine Form, als sei er für das Lieblingsqueue eines professionellen Billardspielers gemacht. Am gegenüberliegenden Ende des Tisches lag ein ähnlicher, kleinerer Kasten.
»Aufnahme läuft?«, fragte Dana in den Raum.
»Ja, läuft«, antwortete eine Geisterstimme aus einem Gitter oben an der Decke.
»Ist das Factoid?«, fragte Shane und bewegte den Arm Richtung Gitter.
»Nein«, antwortete Niall, »unser Testlaborguru ist heute außer Haus.«
»Mit Gretchen?«, fragte Shane grinsend. Joe-Bob McCoy alias Factoid war seiner Chefin, der Leiterin des Testlabors, verfallen. Gretchen Miller war doppelt so alt wie er und wog zweieinhalbmal so viel. Eine wahre Walküre.
»Im Augenblick arbeitet sie mit Ian Lapstrake und Lawe Donovan zusammen«, erklärte Dana. »Am Rutherby-Erbe.«
»So ein Pech«, meinte Shane. »Ich hätte einen grandiosen Menütipp für Factoid für sein nächstes Date mit Gretchen, vorausgesetzt, er kann sie je zu einem weiteren Date bewegen. Nach diesem Mahl wird sie ihn anbeten.«
Niall kicherte. »Woraus besteht es denn – zwölferlei Austernspezialitäten?«
Dana rollte mit ihren dunklen Augen. In puncto leibliches Wohlbefinden waren Männer äußerst simpel gestrickt.
»Etwas raffinierter«, erwiderte Shane. »Zunächst mal sollte er Kerzen mit Achaten drum herum aufstellen.«
»Warum das?«, fragte Niall.
»Ein altbewährtes, garantiertes Aphrodisiakum.«
Dana schnaubte leise durch die Nase.
Shane fuhr fort. »Shrimpscocktail, Selleriesuppe, Endiviensalat, Heilbutt mit Paprika und Wacholder. Dazu natürlich Wein. Zum Dessert Benediktinerlikör und Schokolade – und die Nacht deiner Träume kann beginnen.«
»Dafür würde ich sogar ausnahmsweise Endiviensalat essen«, meinte Niall.
Dana warf ihm einen Blick zu, der besagte, dass sie sich seine Worte merken und gegen ihn verwenden würde. Er hasste Endiviensalat.
Ohne es selbst zu merken, entschlüpfte Risa ein leiser Seufzer beim Gedanken an Benediktinerlikör und Schokolade. »Das bringt mich um. Alles, was ich zum Lunch kriege, sind Karotten und Sellerie.«
»Warum?«, fragte Shane erstaunt.
»Das Übliche. Ich kann mir keine neuen Kleider leisten, wenn ich meine alten sprenge.«
»Soll das eine Anspielung auf den Wunsch nach einer Gehaltserhöhung sein, wo ich doch kürzlich erst gezwungen wurde, Ihnen ...«
»Ihr könnt euch ein andermal streiten«, fuhr Dana dazwischen. Dann sagte sie zu Risa: »Der Kunde bittet um eine ›kalte‹ Schätzung. Also nur Inaugenscheinnahme.«
»Kalte Schätzung heißer Ware?«, fragte Shane.
Dana warf ihm einen Blick zu, der Feuer zu Eis hätte gefrieren lassen können. »Die Herkunft dieser Ware ist einwandfrei und über jeden Zweifel erhaben. Der Sammler möchte sich nur eine aufwendige Schätzung ersparen, solange noch nicht klar ist, ob die Stücke nach einer kurzen Inspektion doch weniger wert sind, als man ihm bedeutet hat.«
Shane grinste und fuhr sich in gespielter Naivität durch die Haare.
Dana ignorierte ihn, obwohl sich ihre Lippen leicht kräuselten wie beim Anflug eines Lächelns. Sie besaß eine Schwäche für kluge und attraktive, doch als Gegner beinharte Männer.
Niall öffnete den ersten Alukasten und hob den Deckel hoch. Goldglänzende Objekte kamen zum Vorschein, die in verschiedenen vorgeformten Mulden lagen.
Schon beim ersten Blick vergaß Risa alles um sich herum. Sie trat nahe an den Kasten heran und starrte intensiv auf seinen Inhalt. Nach einer langen Pause, in der alles still war, begann sie zu sprechen.
»Erster Eindruck: Keltisch, mit Sicherheit. In Stil und Bearbeitung sind die Stücke zwischen Latènezeit und mediterraner Zivilisation anzusiedeln. Vom Alter her irgendwo zwischen fünftem Jahrhundert vor und fünftem Jahrhundert nach Christus. Wenn Angaben zu einzelnen Stücken gemacht werden sollen, wird das einige Tage in Anspruch nehmen für einen detaillierten Stilvergleich mit Museumsstücken, Fachliteratur, Auktionskatalogen, Onlineverzeichnissen – all so etwas. Die meisten meiner Unterlagen habe ich zu Hause in Las Vegas liegen lassen, da es hieß, hier ginge es nur um eine schnelle Schätzung.«
»Sollte eine umfassende Schätzung erforderlich werden, brauchst du dafür die Originale oder tun es auch Abbildungen?«
Aufmerksam, mit zusammengekniffenen Augen blickte Risa noch einmal jedes einzelne Stück genau an. »Habt ihr unter dem Mikroskop schon nach Bearbeitungsspuren aus neuerer Zeit gesucht?«
»Der Kunde versicherte mir, es gäbe keine«, entgegnete Dana. »Wir haben das natürlich überprüft und nichts gefunden.«
»Also gut.« Risa atmete tief durch. »Dann würde ich mit den Abbildungen anfangen und die Originale anfordern, wenn es sich als notwendig erweist.«
Dana nickte. »Habe ich notiert.«
»So viel kann ich noch sagen«, fuhr Risa fort. »Von den neun Objekten in diesem Kasten zeigt eines deutliche Reparaturspuren aus jüngerer Zeit – die Goldlegierung passt einfach nicht. Zwei andere Stücke weisen deutlich ältere Reparaturen auf, das ist aber nur ein vorläufiger Eindruck nach Augenschein. Einige der übrigen Stücke sind offenkundig reparaturbedürftig, doch das ist nicht verwunderlich. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind diese Stücke um zweitausend Jahre alt.«
»Denkst du, sie sind echt?«, fragte Dana. »Ich wiederhole, dies ist eine nicht bindende, mündlich geäußerte Meinung, die ausschließlich auf einer begrenzten Augenscheinschätzung basiert.«
Risa wartete, bis Dana den ganzen rechtlichen Klimbim aufgezeichnet hatte, bevor sie antwortete: »Ich habe nichts gesehen, was mich von meiner Meinung abbringen könnte. Noch nicht.«
Sie hatte aber auch noch nie einen Kunstgegenstand inspiziert, dessen Anblick sie in völlige Begeisterung versetzt hätte. Einen »Showstopper«, wie ihr Chef sagen würde.
Nach so etwas suchte Shane für die Eröffnung seiner neuen Ausstellung an Silvester. Es war genau das, was ihm noch fehlte als Höhepunkt seiner Druidenschau. Sie staunte immer wieder, wie viel Zeit er ihr dafür gab. Und wen er noch alles dafür einspannte.
Shane hatte sein Glück zwar im Glücksspielgeschäft gemacht, aber er selbst überließ nie etwas dem Zufall.
Los Angeles
Freitag, den 31. Oktober
Morgens
»Ist der Kunde einverstanden, wenn ich die Objekte manuell inspiziere?«, fragte Risa und runzelte die Stirn.
Dana nickte. »Ja, aber wir haben sie schon fotografiert, Röntgenaufnahmen gemacht und sie verschiedentlich elektronisch untersucht, inklusive XRF und REM.«
Ohne die Frage von Shane abzuwarten, erklärte Risa: »Röntgenfluoreszenz, um die Zusammensetzung der Metalllegierung zu bestimmen, und Rasterelektronenmikroskop für all die winzigen Details.«
»Die Ergebnisse wurden digitalisiert«, fuhr Dana fort, »und können dreidimensional reproduziert werden. Wenn du also nicht das Risiko eingehen willst, die Objekte in die Hand ...«
Risa übertönte das Ende des Satzes mit einem lauten Lachen. »Alles, wofür ich lebe, ist der Umgang mit altem Schmuck, vor allem Goldschmuck. Qualitativ hochwertiges Gold reagiert nicht auf die Säure menschlicher Haut, was bedeutet, dass ich bei einer kurzen Prüfung eines Goldobjekts keine Chirurgenhandschuhe tragen muss.«
»Was sollte dir das Anfassen von Gold denn mehr bringen als einfach nur den Spaß an der Freude?«, fragte Niall.
»Kein Foto, keine 3-D-Reproduktion, kein Hologramm, kein elektronischer Scan, keine Zeichnung und kein Bericht können für mich das direkte Anfassen und In-die-Hand-Nehmen ersetzen. Beim Menschen ist nur noch die Zunge empfindsamer als die Fingerspitzen. Ich habe schon Objekte untersucht, die so fein gearbeitet waren, dass Auge und Fingerspitzen nicht ausreichten.«
»Soll das heißen, du leckst daran?«, fragte Niall ungläubig.
Ein amüsierter Seitenblick war ihre einzige Antwort.
Shanes Augenlider senkten sich beinahe träge. Das war seine einzige sichtbare Reaktion auf die Vorstellung an eine Untersuchung von etwas, die Risa mit ihrer Zunge vornahm. Der Gedanke daran war zweifelsohne interessanter als all die Goldobjekte auf dem Tisch vor ihm. Die waren zwar historisch von einigem Wert, aber ihnen fehlte das Prickelnde.
Doch das war genau das, was er suchte. Etwas, was spürbar Wirkung ausübte auf die Menschen. Goldobjekte, die geeignet waren, sogar die breite Masse und all die Ignoranten des 21. Jahrhunderts zu ergreifen und bis ins Mark zu erschüttern. Auch wenn diese Momente immer nur ein paar Sekunden dauerten, so würden die Betrachter doch unmittelbar erkennen, dass Menschen wie sie bereits vor Tausenden von Jahren gelebt hatten – wie sie selbst hatten sie Sehnsucht gehabt und gelacht, geliebt und geweint, waren gestorben und hatten sich immer wieder schöpferisch betätigt.
Die Vorstellung, dass solch eine Ausstellung natürlich auch die Besucherströme durch die Casinos von Tannahill Inc. leiten würde, war natürlich reizvoll, doch das war nicht der Grund, warum Shane auf der Jagd nach hochwertigen Goldobjekten war. Sein Beweggrund war ganz einfach: Er verachtete die Räuber, Plünderer und Aasgeier von Kunstschätzen alter Kulturen. Von diesem leidenschaftlichen Antrieb wussten nur noch zwei andere Menschen: Dana und Niall. Shane tat alles, um es dabei zu belassen.
Je geringer die Leute seine Motive achteten, desto leichter entging er ihrer Aufmerksamkeit.
»Haben Sie nichts anderes, was Sie mir zeigen können?«, fragte er. »Das ist nicht das, was ich suche. Wenn ich die Druidenausstellung eröffne, dann ist da ein Haufen Presse und andere Medien mit Tausenden von Kameras. Prominenz, Politiker, sonstige Berühmtheiten. Die ganze bunte Blase.«
»Was Shane sagen will«, versuchte Risa zu übersetzen, »ist, dass es in Las Vegas zwei Sorten Menschen gibt: die downtown ohne Geld, Geschmack und Stil und die Reichen, Überkandidelten aus den Vororten. Die Objekte hier werden keinen von denen vom Hocker reißen.«
Doch noch während sie sprach, strichen ihre Fingerspitzen bewundernd über die kühle, mit Blessuren versehene Oberfläche von etwas, was vielleicht der Halsring eines privilegierten Kindes gewesen sein mochte oder die Opfergabe für eine der vierhundert Gottheiten, die von den Kelten verehrt wurden. Ihrer Meinung nach verdiente noch das geringste Kunstobjekt Respekt allein dafür, dass es im Unterschied zu vielem anderem so lange dem Vergessen entgehen konnte.
Dana reagierte auf Risas Erklärung mit einer bloßen Handbewegung und blickte Shane an. Sie hatte mit seiner Ungeduld gerechnet. Deshalb hatte sie darauf bestanden, dass nicht er, sondern Rarities für Risas Zeit, Flug und Unkosten aufkam. »Nicht aufregen, bitte. Risa ist in unserem Auftrag hier, nicht in Ihrem.« An Niall gewandt sagte sie: »Willst du ihn nicht einfach mal mit ins Untergeschoss nehmen und dort mit ihm ein kleines Kämpfchen machen, Waffen beliebig – oder so etwas?«
Das war ein Befehl, keine Frage.
Shane lachte und hob seine Hände, als wolle er sich der schmalen Brünetten ergeben. »Ihr Angebot ist so verlockend, Dana. Ich kann kaum widerstehen.«
»Also los, fangen Sie schon an mit Ihrem Kampf«, schlug Niall vor, aber an seinen Augenfältchen war erkennbar, dass er sich insgeheim amüsierte.
Dana murmelte irgendetwas, das sich wie »Kerle« oder »Kacke« anhörte. Keiner bat sie um eine genauere Erklärung.
Lächelnd griff Risa nach dem kleinen Halsring. »Dem Gewicht nach zu urteilen ist er hohl. Dieser Torques genannte offene Halsring ist höchstwahrscheinlich eine Grabbeilage oder ein Opfer für den Geist einer bestimmten Quelle oder eines Moores oder Flusses. Nach seiner Farbe zu urteilen ist er aus einer Gold-Silber-Legierung gemacht, ähnlich den Hortfunden in Snettisham in England, die auf die Mitte des ersten Jahrhunderts vor Christus datiert wurden. Aber auch wenn das stimmt, wäre damit nicht der Beweis für die Herkunft dieses Objektes hier erbracht, weil Grabbeilagen und Schatzfunde schon seit Menschengedenken immer wieder ausgegraben und eingeschmolzen wurden, um daraus eigene Stücke herzustellen.«
»Aber du würdest zustimmen, diesen Halsring als britischkeltisches Stück aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert einzustufen?«
»Wenn das mit euren Röntgenfluoreszenzergebnissen übereinstimmt?«
»Tut es«, beeilte Dana sich zu sagen. »Keins der Stücke ist eine der modernen Neun-, Vierzehn- oder Achtzehn-Karat-Goldlegierungen.«
Risa nickte, ohne dabei den Blick von dem Halsring zu wenden.
»Die Bearbeitung hat nicht dasselbe hohe Niveau wie die Stücke aus den Snettisham-Horten des ersten vorchristlichen Jahrhunderts. Die Verbindungsstücke sind hier nicht einmal mit Gravuren verziert. Vielleicht wurde der Ring nicht vollendet, vielleicht aber doch. Wir werden es nie erfahren. Wir können nur das beurteilen, was wir in Händen halten, nicht, was gewesen sein könnte.«
»Aber der Ring ähnelt den Snettisham-Stücken?«, hakte Dana nach.
»Ganz offensichtlich wurde dieser Ring aus silberlegiertem Gold gemacht«, antwortete Risa. »Mehr will ich im Moment nicht dazu sagen.«
Risa hielt den Halsring in derselben Position und drehte ihn, damit die Kamera über ihren Köpfen ihn gut erfassen konnte. Die Schlichtheit des Objekts wurde dadurch ins beste Licht gesetzt.
»Es handelt sich hier um ein einzelnes Röhrchen aus Gold, das sehr schlicht zu einem schmalen Halsring geformt wurde«, sprach Risa. »Als goldenes Überbleibsel vergangener Jahrhunderte hat es neben dem finanziellen auch einen historischen Wert. Als Beispiel der Schmiedekunst in der Eisenzeit in Britannien dagegen ...« – fuhr Risa achselzuckend fort – »ist es schlicht. Sehr schlicht. Jedes gute Museum hütet so etwas in seinen Magazinen, bis ein Wissenschaftler sich vielleicht dafür erwärmt.«
Als Dana nickte, glitt ein heller Schimmer über ihr kurzes dunkles Haar. Der Kunde hatte sich zweifellos mehr erhofft, aber das war allein sein Problem. Danas Aufgabe waren Ankauf, Verkauf, Schätzung und Schutz des nie abreißenden Stroms von Kunstobjekten aus alten Kulturen, die den Experten von Rarities Unlimited vorgelegt wurden.
»Die anderen Objekte sind von ähnlicher künstlerischer Qualität.« Vorsichtig legte Risa den Halsring zurück in seine Mulde und ergriff eher zufällig eines der anderen Stücke der Sammlung. »Diese Ringfibel – so etwas wie ein Kreis, der an einer Stelle unterbrochen ist – wurde verwendet, um Gewänder, Umhänge und Ähnliches festzustecken, damit sie nicht von den Schultern rutschten. Viele solcher Fibeln wurden aus Eisen oder Bronze gemacht. Die Wikinger bevorzugten Silber, weil sie davon am meisten besaßen. Die frühere Keltenkultur hier und andernorts dagegen war reich an Gold.«
Niall betrachtete sich die Ringfibel. Es gab nichts, womit man sie an einem Kleidungsstück hätte befestigen können – noch nicht einmal eine Spitze, um sie durch den Stoff zu stoßen, bevor sie in der grob gearbeiteten Halterung einrastete. »Mir ist nicht klar, wie diese Fibel irgendetwas hätte halten können.«
»Das kommt daher, weil der Teil mit der Spitze abgebrochen ist«, sagte Risa und legte die Fibel zurück. »Das ist vermutlich absichtlich passiert, als die Fibel ins Grab gelegt oder ins Wasser geworfen wurde.«
Niall öffnete den Mund, um zu fragen, wieso etwas entzweigebrochen worden sein sollte, bevor es ins Grab gelegt oder einem Gott geopfert worden war. Doch da fing er Danas scharfen, ungeduldigen Blick auf und schloss den Mund wieder. Es war nicht wichtig, darüber so genau Bescheid zu wissen. Nicht für ihn. Es war genug, wenn Risa Bescheid wusste.
Außerdem konnte er sie später immer noch fragen.
»Zwei der übrigen Fibeln weisen ähnliche Defekte auf.« Risa ließ ihre Finger rasch über drei andere Stücke gleiten. »Diese schmalen Armreifen sind aus einer späteren Zeit, als die Römer bereits die keltische Kultur beeinflusst hatten. Sie scheinen aus massivem Gold zu sein.« Sie nahm einen nach dem anderen heraus und wog sie in ihrer Hand. »Nicht hohl. Auch hier ziemlich grob gearbeitet. Sie besitzen nichts von der Kunst mediterraner Goldschmiede, die mit den Römern nach Britannien gekommen waren. Auch haben diese Stücke nicht die – na ja, Ausstrahlung, die die besten keltischen Goldschmiede ihren Arbeiten zu geben vermochten.«
»Definieren Sie mir Ausstrahlung«, bat Shane knapp.
Was ihr bei dieser Frage zuerst durch den Kopf ging, war, dass gerade Shane genug über Ausstrahlung wissen müsste. Er selbst hatte sicher mehr davon als üblich. »Das kann man nicht definieren. Wenn sie da ist, spürt man sie. Wenn nicht ...« Sie zuckte mit den Schultern.
Er wollte mit einer zweiten Frage nachsetzen, wurde aber von seiner Angestellten unterbrochen.
»Ich werde darüber später mit Ihnen diskutieren, wenn Sie möchten«, sagte Risa. »Bis dahin – schauen Sie einfach mal in den Spiegel.« Als sie Shanes überraschten Ausdruck sah, schob sie ihr Kinn herausfordernd nach vorn. »Kerle – K...«
Danas Lachen war so sanft wie ihre Stimme. »Gibt es noch etwas, was du für das Aufnahmegerät sagen möchtest?«
Röte überflog Risas Wangen, als sie daran dachte, dass jedes Wort und jede Geste vom Aufnahmegerät festgehalten wurden. »Die Schlichtheit, grobe Bearbeitung und der reparaturbedürftige Zustand der Teile lassen mich die Gewissheit äußern, dass es sich hier nicht um Fälschungen handelt. Die Stücke sind einfach nicht gut genug, um bei Fälschern genügend Interesse und Geld aufzubringen, um ihre Geschicklichkeit, ihre Zeit und das benötigte Material hierfür einzusetzen.«
»Wärest du bereit, eine mündliche, nicht bindende Schätzung abzugeben, wie viel die Sammlung insgesamt wert sein könnte?«
»Stammen diese Stücke aus ein und demselben Fundort und derselben Zeit?«
»Nein«, antwortete Dana.
»Dann ist der Wert erheblich geringer.«
»Meinem Kunden ist dies bewusst.«
»Im Augenblick und in Anbetracht der Tatsache, dass die Herkunft gesichert ist, sehe ich nicht mehr als fünfundsiebzig- bis einhundertfünfzigtausend Dollar für die ganze Sammlung. Sie besitzt für Museen nur einen geringen Wert. Ein Schmucksammler, der sich auf Keltengold spezialisiert hat, könnte jedoch noch mehr dafür anlegen wollen.« Sie heftete ihre lebhaften dunkelblauen Augen auf Shane. »Sammler sind nicht vorhersehbar. Sie legen die Summen hin, die die Objekte ihnen wert sind.«
Shanes Lächeln offenbarte nichts als seine weiß schimmernden Zähne.
Niall räusperte sich, als er den Kasten schloss, und brachte dafür den anderen Alukasten zu der Gruppe am Tisch. Er war nur halb so groß wie der andere. Niall entriegelte den Kasten und drehte ihn zu Risa hin.
Sie spürte die Bewegungslosigkeit von Shane. Kurz blickte sie ihn an und sah keine Veränderung in seinem Ausdruck.
Doch sie begriff, dass er sich bereits entschieden hatte, die Objekte zu kaufen, bevor er die Meinung seiner Fachfrau dazu gehört hatte.
K ...!
So etwas hasste sie.
Zumindest waren das Stücke, auf die sie stolz sein würde, wenn sie der Sammlung des Golden Fleece angehörten. Vorausgesetzt natürlich, die Objekte waren keine Fälschungen oder zusammengestückelte Raubobjekte, die förmlich nach Blut und Diebstahl rochen.
Wenn die Herkunft zweifelhaft war, standen ihr und ihrem Chef einige hitzige Debatten bevor. Ihre Vorstellung von einer einwandfreien Provenienz war nach der Meinung von Shane zu streng. Viele Auktionshäuser hätten sich seiner Meinung angeschlossen.
Doch Risas Kindheit und Jugend waren so hart und ihre Herkunft so zweifelhaft, dass sie bei Kunstwerken höchste Reinheit verlangte. Shanes Herkunft war dagegen lupenrein, und das machte ihn toleranter.
Er war nie mit etwas erwischt worden, was nicht nach Recht und Gesetz ihm gehörte.
Risa schob die Erinnerung an ihre unglückliche Kindheit als Waise in Arkansas beiseite und konzentrierte sich auf das Objekt vor ihr. Es strahlte eine Unversehrtheit und Integrität aus, die stärker waren als seine mögliche Inbesitznahme durch kriminelle oder habgierige Menschen in der Vergangenheit.
»Nur Inaugenscheinnahme, oder darf ich das Objekt auch in die Hand nehmen?«
»Gleiche Bedingungen wie bei den anderen Stücken«, antwortete Dana.
Risa schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, dies hier ist ganz anders als die anderen Stücke. Es besitzt Ausstrahlung.«
Shane blickte sie von der Seite an.
Sie ignorierte ihn und konzentrierte sich auf den Halsring. Zu ihrer Erleichterung fühlte sie nur die Kälte und das Gewicht des Goldes und nichts von der beunruhigenden Kraft, die sie manchmal an einem Objekt spürte. Am schlimmsten war das in Wales gewesen, als sie zwischen aufragenden Kultsteinen gestanden hatte, obwohl nicht einmal solche Kunstobjekte in der Nähe gewesen waren. Sie dachte nicht gerne an diese Begebenheit und an die manchmal aufblitzende Erkenntnis, dass sie – anders war.
Sie atmete tief durch und zwang sich, ihre Aufmerksamkeit ganz auf das Hier und Heute zu lenken und weg von ihrer traurigen Kindheit und einem gespenstischen Eichenwäldchen in Wales.
Der Halsring war unterteilt in drei gleiche Bogen. Auf dem äußeren Rand eines jeden Bogens befand sich als Verzierung ein Speichenrad, das jeweils genau in der Mitte des Bogens saß. Und jedes Rad war noch einmal dreigeteilt durch drei gleich große goldene Kugeln.
»Klassische Dreiteiligkeit«, sagte Risa. »Die Kelten liebten die Dreifaltigkeit lange vor der christlichen Zeit.« Vorsichtig nahm sie den Halsring aus seiner Mulde. »Seinem Gewicht nach zu urteilen, ist er massiv. Ob es pures Gold ist oder Blattgold über Eisen, lässt sich nach Augenschein nicht sagen. Wenn es ein Goldüberzug ist, ist er sehr dick. Ich kann nichts anderes als Gold erkennen.«
Dana sprach leise in das Mikrofon, das an ihrem Kragen befestigt war. »Was sagt die Recherche?«
»Eisenkern«, kam es aus dem Deckengitter. »Geprüft durch Rarities.«
»Fantastisch«, hauchte Risa.
»Wäre es nicht wertvoller, wenn es reines Gold wäre?«, fragte Niall.
»Für ein Metall ist Gold sehr weich«, antwortete sie abwesend. »Man kann es sehr leicht formen, wie man es wünscht, aber es verliert auch genauso schnell wieder seine Form. Schlimmer noch, ein Halsring ganz aus Gold könnte wohl kaum einen überraschenden Schwertstreich von hinten abhalten – und das entsprach wahrscheinlich der ursprünglichen Aufgabe solcher Halsringe. Die Tatsache, dass der Ring aus einem vergoldeten Eisenkern besteht, macht die Deutung wahrscheinlicher, dass es sich hier um ein Standessymbol handelt, das tatsächlich von einer Frau oder einem dünnhalsigen Mann getragen wurde. Wunderschön. Einfach wunderschön.« Mit empfindsamen Fingerspitzen glitt sie über den ganzen Bogen. »Hm. Ja. Hier ist es. Und hier.«
Shane beobachtete ihre Fingerspitzen und dachte an ihre Zunge. Gereizt zwang er sich, nur an den Goldreif zu denken statt an sein ständig wachsendes, verdammt unpassendes erotisches Verlangen nach seiner Kuratorin.
Risa blickte zu Dana. »Ich vermute eine Zapfenverbindung an beiden Enden dieses Bogens.«
»Übersetzen, bitte«, sagte Shane.
Die Schärfe in seinem Ton ließ Risas Augen schmaler werden. »Stellen Sie es sich einfach vor wie Männchen und Weibchen.«
Niall kicherte.
Risa wandte sich wieder an Dana. »Diese Art von Verbindung war in der Eisenzeit weit verbreitet. So konnte man einen der drei Bogen entfernen, sodass die beiden übrigen um den Nacken gelegt – oder gedrückt – werden konnten. Dann wurde der Bogen wieder an seine Stelle gesetzt und die Zapfen zusammengepresst, und auf diese Weise saß er bombenfest.«
»Klingt ungemütlich«, meinte Shane.
»Das hat Status oft so an sich.«
Er warf Risa einen amüsierten, bewundernden Blick zu. Die Verbindung von Pragmatik und scharfer Intelligenz interessierte ihn so wie alles andere an ihr, inklusive ihres üppigen Körpers.
Und das machte ihm Sorge. Affären entstanden nicht auf der Basis von Intelligenz und Pragmatik. Sie waren in der Regel schnell, gierig und heiß. Alles, was mit Intelligenz zu tun hatte, war eine Beziehung.
Schlechte Idee.
Beziehungen waren nicht seine Sache. Beziehungen hatte er nur zu seiner Familie, und das bedeutete im Fall seines Vaters ständigen Kampf, bei seiner Mutter Traurigkeit auf beiden Seiten – also Enttäuschung auf der ganzen Linie.
Wenn du es nur versuchen würdest, könnten dein Vater und du gut miteinander auskommen. Du musst es nur versuchen, Shane. Versuch’s doch, bitte. Tu’s für mich.
Diese oft wiederholte Bitte seiner Mutter geisterte wie ein trauriges Gespenst durch Shanes Erinnerungen. Er ignorierte sie mit der Leichtigkeit lebenslanger Gewohnheit und Übung. Auch nicht seiner Mutter zuliebe würde er sich mit der ätzenden Arroganz seines Vaters abfinden. Damit basta. Und basta mit jeglichem Familienleben.
Shanes wahre Erziehung hatte danach erst begonnen.
Was hätte eine bessere Schule für all die Dinge sein können, die er bei seinem erfolgreich abgeschlossenen Betriebswirtschaftsstudium in Stanford nicht lernen konnte, als die Straße – völlig abgebrannt und alleine?
»Was das Alter anbelangt«, fuhr Risa fort und strich mit ihren Fingerspitzen leicht über das kühle alte Gold: »Ich kenne zumindest einen Ring, der diesem in Bearbeitung und Stil ähnelt. Er stammt aus dem Marne-Tal in Frankreich und geht zurück auf das vierte vorchristliche Jahrhundert.«
»Vorläufige Schätzung des Werts?«, fragte Dana.
»Vorausgesetzt, er ist von einwandfreier – völlig zweifelsfreier – Herkunft, würde ich bei dreihunderttausend anfangen und hoffen, dass er beträchtlich mehr einbringt. Bis zu fünfhunderttausend. Vielleicht sogar mehr. Das hängt davon ab, ob er auf einer öffentlichen Auktion angeboten wird, wo die Preise schon wegen des Wettbewerbscharakters der Veranstaltung höher gehen, oder bei einem Privatverkauf an einen interessierten Käufer.«
»Ist er verkäuflich?«, fragte Shane direkt.
»Ja«, antwortete Dana.
»Darf ich«, fragte er und streckte bereits fordernd seine Hand aus.
Risa übergab ihm den Ring.
Einen Moment lang schloss er die Augen und nahm das Gewicht, die Bearbeitungsweise und das Gefühl, das er beim Anfassen eines antiken Stücks empfand, in sich auf. Er hätte nicht sagen können, warum er sich antiken Sammlerstücken aus Gold auf diese Weise näherte; er wusste nur, dass er es schon immer so machte. Egal, wie spektakulär ein Stück sein mochte – wenn es sich für ihn nicht richtig anfühlte, kaufte er es nicht.
Als er seine Augen öffnete, hatten sie die klare, tiefgrüne Färbung königlicher Jade. Und er schaute Risa an – in sie hinein.
Sie spürte, wie ihre Nackenhaare zu kribbeln begannen, und wandte sich abrupt von ihm ab. Beinahe wäre sie dabei gestolpert. »Sag deinem Kunden, er hätte – die Prüfung der Herkunft vorausgesetzt – ein Gebot über dreihunderttausend ...«
»Vier«, wurde sie von Shane unterbrochen.
»Vierhunderttausend Dollar«, presste sie zwischen ihren Zähnen hervor. »Wenn er Probleme damit hat, dass ich gleichzeitig als Gutachterin und Ankäuferin fungiere, wird ihm Tannahill Inc. ein neutrales Gutachten bezahlen.«
»In Ordnung«, sagte Dana. Im Geiste sah sie bereits die Provision zu Rarities wandern und lächelte. »Er wird es nicht ausschlagen. Er hat Shane als potenziellen Käufer eigens benannt.«
»Wahrscheinlich, weil er seine Aufmerksamkeit wollte«, sagte Risa mit leichter Bitterkeit in der Stimme. Sie selbst war nicht bekannt genug, um Angebote von Kunstwerken wie diesem hier zu bekommen.
»Ganz zweifellos«, bekräftigte Dana. »Jeder, der irgendwo auf der Welt wertvollen antiken Goldschmuck verkauft, hat von Shane Tannahill und dem Golden Fleece gehört.«
»Das macht mein Leben ja auch so interessant«, murmelte Risa.
»All die tollen Sachen anzukaufen, meinst du?«, fragte Niall.
»Nein. Mit all den ›tollen Sachen‹ umzugehen, die immer wieder aus den dunklen Kanälen dieser Welt auftauchen, die so reich an Gold sind.«
Sedona
In der Nacht von Halloween
Das große Buch, das in Virgils Schoß lag, war schwer, sehr gelehrt und angefüllt mit den schönsten Zeichnungen und Farbfotos keltischer Kunstwerke. Virgil musste sich die einzelnen Seiten gar nicht mehr genau anschauen.
Er wusste längst, was dort stand. Sein Kopf war bis obenhin voll davon. Das Buch war nur eines von vielen, die er gesammelt hatte, um daraus mehr über die goldenen Kunstwerke zu erfahren, die in drei Munitionskisten aus dem Zweiten Weltkrieg unter seinem Bett lagen.
Er hatte alle seine früheren Adressen fein säuberlich außen an jede einzelne Kiste geschrieben, als feierliche Dokumentation all der Orte, aus denen er geflohen war.
Doch damit war es vorbei.
Er hatte endlich verstanden, dass er dem Undenkbaren nicht entfliehen konnte.
Zum letzten Standort hatte er den reichen Südwesten gewählt, wo es mehr Spiritualität gab als andernorts. Damals war seine Hoffnung gewesen, durch Aufstellen der Kisten zwischen die drei schräg aufragenden Menhire, die er am Fuß des nahe gelegenen Steilhangs gefunden hatte, das Gold irgendwie ... zurückgeben zu können.
Um sich dadurch davon zu befreien.
Als dieser Plan fehlgeschlagen war, hatte er die Kisten unter sein Bett gepackt und in Büchern gestöbert, um herauszufinden, wie er das, was in diesem Gold lebte, kontrollieren könnte. Das war ebenfalls schiefgegangen, doch die Hoffnung darauf war geblieben und so beständig wie der Atem. Und so lebensnotwendig.
So las er immer weiter in seinen Büchern und hoffte, den Schlüssel zu finden, wie er sich vom Fluch des Druidengoldes befreien könnte.
Einmal, es war im Herbst, hatte er sogar versucht, an den Platz in Wales zurückzukehren, wo er vor mehr als einem halben Jahrhundert den Schatz ausgegraben hatte. Gold, heiliges Gold, drei mal drei mal drei Kultgegenstände, die den Kern der Druidenrituale bildeten – Rituale für Geburt und Tod, für die Zwiesprache der Druiden mit den Göttern im Beisein von Königen, die auf Antwort warteten, und Rituale zur Sicherung des Laufs von Sonne und Mond. Das Fest von Beltaine im Mai, wenn für das Land die Zeit der Wärme und Hoffnung wieder anbrach, und das Fest von Samhain im November, wenn die Zeit der Kälte und Verzweiflung zurückkehrte.
Samhain, an dem das Reale und das Irreale wieder zusammenflossen und ein geisterhaftes Ganzes bildeten.
Zu Samhain war er nach Wales zurückgekehrt, um erneut die neun Hügel zu finden, die sechs Eichen, die drei Menhire und die eine kleine Quelle. Dieses Mal hatte er keinen Metalldetektor mitgenommen. Er war nicht auf der Suche nach Gold. Alles, was er suchte, war Absolution.
Er hatte nichts davon gefunden, nicht einmal die schwarze Quelle im Zentrum der Steine. Derselbe Ort, den er in Kriegszeiten so mühelos entdeckt hatte, entzog sich ihm im Frieden.
Niedergeschlagen, immer noch verflucht, so war er zurück nach Amerika geflohen. Hier war er auch geblieben, immer älter, aber nicht klüger werdend, trotz all der Bücher, die er gelesen hatte. Nirgendwo in diesen Büchern hatte er irgendetwas entdeckt, was den siebenundzwanzig Stücken gleichkam, die er in dem Druidengrab gefunden hatte. In keiner der modernen Fantasien über weiß gekleidete Druiden hatte er etwas gefunden, was der Kraft der Alten gleichkam, in deren Geist ihre gesamte Kultur eingeschlossen war. Druiden vermochten die Kranken zu heilen und die Gesunden krank zu machen. Druiden sprachen mit den Göttern und besaßen mehr Macht als Könige. Druiden machten keinen Unterschied zwischen sich und einem Fluss oder einer Eiche oder einem Hirsch; alles war ein Ganzes, ohne Abgrenzungen, heilig.
Und all diese Kraft war in den Kultgegenständen verborgen, die er gestohlen hatte.
Er war verdammt.
Er legte das Buch zur Seite und starrte unruhig auf den schweren Goldring, dessen Bogen aus geflochtenen Goldketten kalt im Mondlicht glänzte, das durch sein geöffnetes Fenster hereinflutete. Es war hell genug, um zu lesen – mit gesunden jungen Augen –, aber nicht hell genug, um die rote Färbung der gewaltigen Felswände zum Vorschein zu bringen, die hinter seinem heruntergekommenen Häuschen aufragten.
Touristen legten sehr viel Geld hin, um in pinkfarbenen Jeeps oder staubigen offenen Pick-ups über das raue Land gefahren zu werden. Er hatte das nie verstanden. Die Sonne war andernorts genauso schön. Der Himmel war genauso blau. Doch Besucher kamen in Scharen nach Sedona, um mit all den anderen Besuchern überfüllte Kraftwirbelpfade zu begehen, über die bereits Abertausende alternder New Ager getrampelt waren.
Virgil hatte früher selbst versucht, über diese Pfade zu gehen, als er noch hoffte, das Verhängnis, das seit seiner verbotenen Zweitagestour nach Wales über ihm lastete, abwenden zu können. Aber egal, wie viele der Kraftwirbelpfade er gegangen war, egal, wie intensiv er sich darum bemüht hatte, sich für das Übersinnliche zu öffnen – immer war er von den Pfaden in dieselbe Realität zurückgekehrt, die er verlassen hatte.
Irgendwann hatte er gelernt, sich eines Channels zu bedienen. Zwar kostete eine einstündige Sitzung bei so einer Person, die als Medium arbeitete, mehr als ein Ausflug in ein schickes Bordell, doch mit siebenundsechzig hatte er keinen großen Bedarf mehr an Huren. Außerdem war es viel einfacher, mithilfe eines Channels an die entferntesten und mächtigsten Kraftorte zu gelangen – an diejenigen, die in den bunten Broschüren nicht verzeichnet waren, die man für zehn Dollar das Stück kaufen konnte, aber nicht das Papier wert waren, auf das sie gedruckt wurden. Für ihn war es viel einfacher, sich eines Channels zu bedienen, als das verdammte Gold selbst berühren und so der Hölle seiner eigenen Schreie lauschen zu müssen.
Die Zeiger zitterten und klappten übereinander wie die Enden eines Fächers.
Mitternacht. Halloween.
Samhain, wenn alle Grenzen verschwammen.
Jetzt musste es geschehen.
Nach zwei Anläufen zwang er sich, den Halsring anzufassen. Seine Haut zog sich heftig zusammen beim Versuch, vom kalten Gold wegzukommen. Er war sicher, entfernten Donner zu hören, ganz weit weg in Wales, Blitze zuckten durch seine zur Faust verkrampfte Hand, sengend, brennend, zerstörerisch ...
Das Gellen seiner eigenen Schreie weckte Virgil aus dem Zustand, in den er gefallen war. Es war die Hölle gewesen – das war zumindest alles, was er dazu sagen konnte. Er hatte die Hölle gesehen und berührt und hatte nun allergrößte Angst, für immer und ewig darin bleiben zu müssen.
»Kann’s nicht alleine«, sprach er in die Dunkelheit. »Brauche ein Channel. Brauche es jetzt.«
Einige Minuten blieb er so, das Gesicht in den Händen vergraben, dann strich er sich mit zitternden Fingern durchs dichte weiße Haar und sammelte Kraft, um erneut der Dunkelheit entgegenzusehen.
Dieses Mal würde ihm Lady Faulkner beistehen. Der Gedanke gab ihm genug Kraft, ihre Nummer anzuwählen, die er, im Unterschied zu vielem anderem, zuverlässig auswendig wusste. Es gab noch etwas, was er nie vergessen konnte, wie sehr er sich auch bemühte: die Hölle. Um die zu vergessen, hätte er sogar seine Seele verkauft; wenn er überhaupt noch eine Seele besaß.
Reglos, vom seit Tagen andauernden Zittern seiner Hände abgesehen, wartete er darauf, dass sein Channel den Telefonhörer abnahm und ihm die Fragen, die ihm auf der Seele brannten, deutete.
Camp Verde, Arizona
In der Nacht von Halloween
Das Telefon läutete unaufhörlich und riss Cherelle Faulkner endlich aus dem Tiefschlaf. Ihr nackter Oberkörper glitt aus der Decke, als sie sich aufsetzte, und durch mascaraverklebte Wimpern blinzelte sie müde in den dunklen Raum. Außerhalb des Fensters, dessen Vorhang ausschließlich aus Staub bestand, blinkte das blasse Neonlicht des Motels im rhythmischen An und Aus, An und Aus – wie ein langsam schlagendes Herz, das im Dunklen um Gäste warb für eine Nacht oder eine Woche oder einen Monat.
Das Telefon klingelte weiter.
Sie strich sich die blondierten langen Haare aus dem Gesicht und stieß den Mann neben ihr an, der ruhig schlief. »Herrje, Tim! Geh endlich an das verdammte Telefon!«
»Mist«, murmelte Tim Seton. »Geh doch selbst dran. Du sagst mir doch dauernd, dass ich das Maul halten soll bei diesen Blödmännern.«
»Der einzige Blödmann in diesem Bett bist du! Und wir wissen ja alle, dass Arschlöcher keine Ohren haben – also muss ich auch nicht mein verdammtes Maul halten!«
Tim drehte sein hübsches Gesicht von ihr weg und schlief wieder ein.
Das Telefon klingelte weiter.
Fluchend krabbelte Cherelle über Tim hinweg, bis sie auf dem Display erkennen konnte, wer anrief.
»Virgil«, murmelte sie. »Mist!«
Virgil O’Connor war einer ihrer besten Blödmänner – Kunden, verbesserte sie sich im Stillen. Bezahlte bar. Sofort. Kein Ärger, keine ungedeckten Schecks, keine Kreditkartengeschichten. Es wäre schön, wenn sie fünfzig solcher Kunden hätte. Verdammt, fünf würden ihr auch schon reichen. Damit und mit ein bisschen Glück in den Casinos von Las Vegas könnte es ihr genauso gut gehen wie ihrer Kindheitsfreundin Risa.
Der Gedanke an Risa führte Cherelle zurück in vergangene gute Zeiten, als die beiden hübschen Waisenmädchen aus Arkansas es allen gezeigt hatten ...
Das Telefon klingelte weiter.
Sie riss sich aus dem Dämmerzustand ihrer Erinnerungen, schlüpfte im Geiste in ihr unsichtbares Kraftwirbelgewand und griff nach dem Hörer. Ihre Stimme klang jetzt gedämpft und freundlich.
»Guten Morgen, Virgil. Ich nehme an, dass Sie gerade schwierige Zeiten durchmachen.«
»Wir müssen uns unbedingt treffen.«
»Dann schau ich mal in meinen ...«
»Nein«, unterbrach er sie, »jetzt, Lady Faulkner. Es muss jetzt gleich sein. Solange es dunkel ist. Das Gold bringt mich um.«
Mit Mühe schluckte sie die unflätigen Ausdrücke hinunter, die ihr auf der Zunge brannten. »Aha, Gold? Sind Sie mal wieder über den Fotos in einem Ihrer Goldbücher eingeschlafen?«
»Hab was Bessres als die verdammten Bücher. Kommen Sie schnell her, dann sehen Sie’s.«
»Virgil ...« Verdammt noch mal, es ist Mitternacht, du Idiot.
Sie straffte sich, schob die Haare hinters Ohr, die ihr ins Gesicht gefallen waren, und sprach sehr überlegt: »In Ordnung, ich werde kommen, aber ich muss dann das Doppelte des normalen Honorars verlangen. Es tut mir sehr leid, aber das ist wegen ...«
»Wenn Sie vor der Dämmerung hier sind, kriegen Sie vierhundert«, unterbrach er sie.
»Bar?«
»Ja.« Das war zwar alles, was er noch hatte, aber das war ihm egal. Wenn ihm dieses Treffen nicht den ersehnten Erfolg brachte, dann benötigte er auch keine weiteren Dienste mehr. »Aber Sie müssen sich beeilen.«
Cherelle schluckte. »Ich bin vor der Dämmerung bei Ihnen. Friedvolle Zeit, Virgil.«
Bevor ihr Kunde antworten konnte, knallte sie den Hörer hin und rüttelte ihren Freund so heftig, dass sein Haarschopf mit den blondierten Haarsträhnchen aufflog. »Raus mit dir, mein Hübscher. Virgil wartet mit vier fetten Scheinchen auf uns.«
Tim öffnete eines seiner wunderschönen blauen Augen. »Wen müssen wir dafür umbringen?«
»Ha, ha! Du kannst noch nicht mal ’ne Kakerlake zertreten. Schon für so was brauchst du deinen Knastkumpan.«
Das zweite blaue Auge öffnete sich und der Mund verzog sich zu einem engelgleichen Lächeln. »Aber es wird erledigt, nicht wahr?«
Mit einem empörten Schnauben ließ sie seine Schultern los und rappelte sich endgültig aus dem Bett auf. »Schaff deinen geilen Arsch aus den Federn. Wir müssen vor der Dämmerung bei Virgil sein.«
»Socks wird sauer sein, wenn wir nicht hier sind ...«
»Socks kann mich mal.«
»Hey, du musst auch immer auf meinem Kumpel rumreiten!«
»Ich hab’s ihm noch nie besorgt, auch nicht, als er mir einen Hunderter dafür bot.«
Kichernd streckte sich Tim. Für ihn war es das Größte, es seiner Freundin zu besorgen. Das war der gerechte Ausgleich dafür, dass er sonst meist den Kürzeren zog, weil sie viel schlauer war als er – und auch schlauer als Socks, dieser alte Angeber. Im Vergleich zu Cherelle waren sie beide ziemlich dumm. Aber das war okay so.
Nachdenken müssen war für ihn – einfach nur lästig.
Also überließ er das Denken Cherelle, außer wenn sein Kumpel etwas ausheckte wie die gelegentliche Hehlerei mit Fernsehern oder DVD-Playern. Tim erzählte Cherelle davon nichts. Sie würde ihm die Hölle heißmachen, wenn sie erführe, das Socks einige ihrer Kunden bestahl. Nicht alle, natürlich. Verdammt, sogar ihm war sonnenklar, dass das ziemlich schwachsinnig wäre. Nur ein paar von ihnen, wenn sie im Winter hier fortgingen; nur die, die so viele Fernseher hatten, dass sie einen oder zwei gar nicht vermissten.
Außerdem war Cherelle daran schuld. Wenn sie ihn nicht so knapp halten würde, wäre er nicht auf die Nacht-und-Nebel-Aktionen mit Socks angewiesen. Aber sie hatte es sich in ihren Kopf gesetzt, so viel Geld zu sparen, dass sie sich irgendwo ein Häuschen kaufen konnten, wo sie niemand kannte und wo sie nicht dauernd auf der Hut sein mussten. So verschwand das sauer verdiente Geld und er konnte froh sein, wenn er einmal die Woche einen Fünfziger sah für ein paar Bier mit Socks ...
»Timothy Seton, heb deinen Arsch aus dem Bett!«
»Du Aas«, murmelte er so leise, dass sie ihn nicht verstehen konnte. »Bin ja schon auf, bin schon auf!« Dann blickte er an sich hinunter und lachte. »Und wie ich auf bin. Na, Liebste, wie sieht’s aus mit uns beiden?«
Sie warf ihm einen Blick zu, der ihn auf der Stelle abtörnte.
Ziemlich wehmütig blickte er auf seine rasch entschwindende Herrlichkeit. Na ja, halb so wild. Für Nachschub war jederzeit gesorgt. Und wenn Cherelle dann dafür keinen Bedarf hatte, würden sich andere Mädchen finden.
Pfeifend lief er ins Badezimmer und stellte sich unter die Dusche, die Cherelle letzte Woche endlich mal wieder geputzt hatte. War höchste Zeit, die Dreckschicht war ihm unter den Füßen schon richtig unangenehm geworden.
Las Vegas
In der Nacht von Halloween
Die Lobby der Wildest-Dream-Anlage – gleichzeitig Hotel, Shoppingcenter, Theater und Casino – war herausgeputzt wie eine Halloween-Torte: ganz in schwarzem Samt und Neon-Orange. Die Schönsten der Las-Vegas-Casinoprominenz scharten sich um die Sektfontäne und hielten ihre schwarzen Kristallgläser unter das sprudelnde orangefarbene Getränk. Gail Silverado, Alleininhaberin von Wildest Dream Inc., war berühmt für ihre jährlichen Halloween-Feiern. Sie begannen laut und fröhlich und wurden im Lauf der Nacht immer lustiger und wilder. Etwa um drei Uhr nachts hatte das schrille Spektakel einen vorläufigen Höhepunkt erreicht, um in den Stunden bis zur Morgendämmerung in wüste Orgien überzugehen, bis die sprudelnde Quelle endlich versiegte.
Doch bis dahin war noch einige Stunden Zeit. Gail strahlte mit ihrem schimmernden Kleid, das alle reizvollen Details ihres Körpers durch Perlglitterschnüre hervorhob, um die Wette. Das zehnte Glas Sekt in Händen – sie nahm immer nur ein Schlückchen aus jedem, nie mehr – ergötzte sie sich insgeheim an dem allgemeinen Aufsehen, das sie erregte. Noch ein paar Minuten blieben ihr, ehe sie sich wieder ihren Geschäften zuwenden musste.
Länger würde sie hier sowieso nicht bleiben wollen, auch wenn sie jetzt keinen Termin hätte. Ihre hochhackigen, sexy Sandaletten waren eindeutig für jüngere Frauen gemacht – nicht für eine Fünfzigerin, die ihren tipptopp erhaltenen Körper viel zu lange in teure Kleider und Schuhe gequetscht hatte, nur um gut betuchten Männern zu gefallen. Ihre Füße schmerzten höllisch.
Ihr strahlendes Lächeln allerdings klebte unverändert zwischen den exotischen, perlmuttglänzenden Federn, die ihr Gesicht umrahmten wie die Finger einer liebenden Hand. Für eine Frau über dreißig gab es in Las Vegas zu viel junge Konkurrenz, um es sich erlauben zu können, sich je auch nur ein wenig gehen zu lassen. Doch auch wenn sie gegen ein Rudel Hunde antreten müsste, würde Gail nie in ihren sorgfältigen kosmetischen und chirurgischen Bemühungen um ihren kostbaren Körper nachlassen. Sie war darauf angewiesen, fünfzehn Jahre jünger auszusehen, als sie war. Zwanzig wäre noch besser.
»Shane!«, rief sie nun. Ihr Lächeln erreichte Flutlichtstärke. »Ich hatte schon befürchtet, dass du nicht kommen würdest.«
Shane winkte ihr zu und bahnte sich einen Weg durch einen Pulk kostümierter Teufel und an einigen teuflischen Engeln vorbei, von denen man allerdings nicht genau wusste, ob sie nun kostümiert waren oder nicht – sie würden den Revuegirls im Pariser Lido die Show gestohlen haben –, um schließlich inmitten reptilienhafter Aliens zu landen, die Köpfe besaßen, vor denen Medusa selbst sich mit Grausen abgewandt hätte.