My Bodyguard - Verbotene Liebe - Elizabeth Lowell - E-Book
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My Bodyguard - Verbotene Liebe E-Book

Elizabeth Lowell

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Beschreibung

Ein Bodyguard zum Verlieben – Prickelnde Spannung von der amerikanischen Bestsellerautorin Ein absoluter Muss für Fans von #DarkRomance und #FordbiddenLove Die temperamentvolle Raine hat kein Problem mit Herausforderungen – nicht ohne Grund ist ihr Pferd der wildeste Hengst im Stall. Ihre neuste Challenge? Gold bei den olympischen Spielen im Military-Reiten. Doch ein unerwarteter Haken ist mit ihrer Teilnahme verknüpft: Ihr einflussreicher Vater besteht darauf, dass Raine von Cord Elliot begleitet wird, ein wachsamer Bodyguard, der jeden ihrer Schritte beobachten soll. Raine bleibt keine andere Wahl, als einzuwilligen – zumal sie von den mächtigen Feinden ihres Vaters weiß … Sie ist fest entschlossen, dem fremden Mann nicht mehr Aufmerksamkeit zu schenken als nur unbedingt nötig. Aber kann sie dem Unbekannten mit seinen unergründlichen eisblauen Augen wiederstehen? Die Versuchung ist allzu groß … »Voll atemberaubender Überraschungen und mit einem absolut fesselnden Handlungsablauf – kurzum: ein hervorragendes Rezept für eine schlaflose Nacht!« Booklist

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Seitenzahl: 518

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Über dieses Buch:

Die temperamentvolle Raine hat kein Problem mit Herausforderungen – nicht ohne Grund ist ihr Pferd der wildeste Hengst im Stall. Ihre neuste Challenge? Gold bei den olympischen Spielen im Military-Reiten. Doch ein unerwarteter Haken ist mit ihrer Teilnahme verknüpft: Ihr einflussreicher Vater besteht darauf, dass Raine von Cord Elliot begleitet wird, ein wachsamer Bodyguard, der jeden ihrer Schritte beobachten soll. Raine bleibt keine andere Wahl, als einzuwilligen – zumal sie von den mächtigen Feinden ihres Vaters weiß … Sie ist fest entschlossen, dem fremden Mann nicht mehr Aufmerksamkeit zu schenken als nur unbedingt nötig. Aber kann sie dem Unbekannten mit seinen unergründlichen eisblauen Augen wiederstehen? Die Versuchung ist allzu groß …

Über die Autorin:

Elizabeth Lowell ist das Pseudonym der preisgekrönten amerikanischen Bestsellerautorin Ann Maxwell, unter dem sie zahlreiche ebenso spannende wie romantische Romane verfasste. Sie wurde mehrfach mit dem Romantic Times Award ausgezeichnet und stand bereits mit mehr als 30 Romanen auf der New York Times Bestsellerliste.

Elizabeth Lowell veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre Romantic-Suspense-Romane »Dangerous Games – Dunkles Verlangen«, »Dangerous Games – Tödliche Gier« und die Donovan-Saga mit den Bänden »Thrill of Desire«, »Thrill of Seduction«, »Thrill of Passion« und »Thrill of Temptation«.

Außerdem veröffentlichte sie ihre historischen Liebesromane »Begehrt von einem Ritter«, »Verführt von einem Ritter« und »Geküsst von einem Ritter sowie ihren Thriller »48 Hours – Rette dein Kind«.

Die Website der Autorin: elizabethlowell.com

***

eBook-Neuausgabe Juni 2024

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1984 unter dem Originaltitel »Summer Games« bei Silhouette. Die deutsche Erstausgabe erschien 2001 unter dem Titel »Sommer der Versuchung« bei Wilhelm Goldmann Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1984, 1988 by Ann Maxwell; 1999 by Two of a Kind, Inc.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2001 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fe)

ISBN 978-3-98952-155-1

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Elizabeth Lowell

My Bodyguard – Verbotene Liebe

Roman

Aus dem Amerikanischen von Elke Iheukumere

dotbooks.

Prolog

Sommer 1984

Sie sah entsetzlich aus.

Bleich, fleckige Haut, blasse Lippen, rote Augen und strähniges braunes Haar. Das Bild dieser Frau war das Tüpfelchen auf dem I eines Tages, an dem er besser im Bett geblieben wäre. Aufgestanden war er, weil ihn ein Telefonanruf vom anderen Ende der Welt geweckt hatte.

Doch Robert Johnstone ließ seine Gedanken nicht laut werden. Immerhin sprach er mit dem Vater dieser Frau, der gleichzeitig sein Boss war. Justin Chandler-Smith der Vierte – von seinen Freunden Blue genannt – liebte seine Familie genauso sehr, wie er Terroristen hasste. Man müsste schon ziemlich dumm sein, wenn man den Mann darauf aufmerksam machte, dass seine jüngste Tochter das gute Aussehen ihrer Eltern nicht geerbt hatte.

Johnstone war kein dummer Mann.

»Wie alt ist dieses Bild?«, fragte er mit neutraler Stimme.

Er musste sich bemühen, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. Er war noch immer wütend darüber, dass er ohne jegliche Vorwarnung von einem Projekt abgezogen wurde, um ein anderes zu übernehmen. Also sah er sich das Bild in der Größe eines Passfotos an und rief sich dabei ins Gedächtnis, dass Blue ihn nicht persönlich angefordert hätte, wenn die Angelegenheit nicht sehr wichtig wäre.

Was auch immer das für eine Angelegenheit sein mochte.

»Sieben Tage, so ungefähr«, antwortete Chandler-Smith. »Es ist das Foto für den Olympia-Ausweis von Baby Lorraine.«

Johnstones eisblaue Augen blickten von dem Foto zu seinem Boss. Abgesehen von den haselnussbraunen Augen des Mädchens und ihrem störrischen Kinn erkannte er nicht viel Ähnlichkeit zwischen Lorraine Chandler-Smith und ihrem sehr gut aussehenden und gepflegten Vater mit seinem kantigen Gesicht. Zwar hatte Chandler-Smith keinen Titel, der einer Erwähnung wert gewesen wäre, doch er besaß mehr Macht als neunundneunzig Prozent der uniformierten Beamten, die im Pentagon herumliefen. Und vor allen Dingen besaß er mehr Verstand.

»Wer sonst noch?«, fragte Johnstone und reichte das Bild zurück über den großen Schreibtisch.

»Captain Jon. Trainer, Betreuer, Antreiber, Glucke.« Chandler-Smith schob ein weiteres Foto über den Schreibtisch. »Er ist verlässlich.«

»Meinung oder Tatsache?«

»Tatsache. Ich habe den Mann überprüfen lassen bis hin zu seinen Urgroßvätern, ehe ich Baby Lorraine von ihm habe trainieren lassen.«

Ein flüchtiges Lächeln huschte über Johnstones unbewegliches Gesicht. »Das glaube ich.«

»Dies hier sind die Mannschaftskollegen von Baby Lorraine, sowohl die lange als auch die kurze Liste.« Chandler-Smith begann damit, die Passbilder auf seinem Schreibtisch auszulegen. Er tippte auf jedes Bild und nannte Namen und herausragende körperliche Merkmale.

Johnstone unterbrach ihn nicht. Er saß einfach nur da mit der Ruhe eines Raubtieres, und prägte sich jedes Gesicht, jeden Namen und jede Information ein, die ihm helfen würde, die olympischen Reiter von den olympischen Terroristen zu unterscheiden.

»Dies sind die Stallburschen«, sprach Chandler-Smith weiter und legte noch mehr Bilder auf den Schreibtisch. »Richten Sie Ihre ganz besondere Aufmerksamkeit auf die weiblichen Helfer.«

»Warum? Haben Sie irgendwelche Informationen über eine von ihnen?«

»Nein. Aber wenn irgendjemand an Babys Pferd herankommt, dann wird es eines der Mädchen sein. Dieses Pferd lässt keinen Mann an sich heran.«

Johnstone zog seine schwarzen Augenbrauen hoch. »Das klingt gefährlich.«

»Ihr Hengst? Ja, das ist er auch. Machen Sie da keinen Fehler. Wenn Baby nicht in der Nähe ist, ist Devlin’s Waterloo so gefährlich wie eine Handgranate, aus der man den Stift herausgezogen hat.«

»Ich bin überrascht, dass Sie sie auf einem so wilden Pferd reiten lassen.«

»Lassen ist das falsche Wort. Baby ist genauso störrisch, wie ich es bin.«

»Und wenn Sie noch stolzer auf sie wären«, meinte Johnstone spöttisch, »dann würden Sie selbst noch im Sitzen stolzieren.«

Chandler-Smith lachte. »Ich bekenne mich schuldig. Baby hat mehr Verstand und mehr Mut als die meisten Männer, mit denen ich gearbeitet habe. Und sie sieht auch sehr gut aus, aber auf diesem Foto kann man das gar nicht erkennen.«

Johnstone schwieg weise. Schönheit lag im Auge des Betrachters. Offensichtlich betrachtete Chandler-Smith seine jüngste Tochter mit den blinden Augen der Liebe.

»Sie werden wieder mit Kentucky zusammenarbeiten«, sprach Chandler-Smith weiter. »Er wird den Wohnwagen bewachen, wenn Sie nicht da sind.«

Johnstone nickte. »Er ist ein guter Mann.«

»Das Gleiche hat er auch von Ihnen behauptet.«

»Was ist mit Bonner?«

»Er arbeitet noch immer als verdeckter Ermittler.« Chandler- Smith zögerte, dann lächelte er beinahe über seinen tief verwurzelten Reflex, alles geheim zu halten. Wenn er diesem schwarzhaarigen Mann nicht trauen konnte, der in diesem Augenblick vor seinem Schreibtisch saß, dann war Chandler-Smith ein toter Mann. Im wahrsten Sinne des Wortes. »Wir haben Gerüchte gehört ...«

Johnstone bewegte sich nicht, doch etwas an seiner Haltung veränderte sich, wie bei einem Löwen, wenn er Wild gerochen hat. »Ich höre.«

Chandler-Smith bezweifelte das nicht. Die Augen seines Gegenübers brannten mit einer Eindringlichkeit, die die meisten Menschen unsicher gemacht hätte. Doch Chandler-Smith störte das nicht. Er tolerierte keine Männer um sich, die nicht die Geduld, die Intelligenz und die Konzentration eines äußerst geschickten Raubtiers besaßen.

»Der Mann, den Sie Barrakuda nennen, hat damit geprahlt, mich umzubringen«, erklärte Chandler-Smith ruhig.

»Das tut er schon, seit Sie sein gemütliches kleines Terroristenlager in Ost Bumblefuck im Libanon haben hochgehen lassen.«

»Eigentlich waren Sie es ja, der die ganze Schießerei erledigt hat.«

»Schützen bekommen Sie das Dutzend für einen Zehner. Strategen aber nicht.«

Johnstone war viel mehr als nur ein Schütze, und niemand wusste das besser als sein Boss. Doch Chandler-Smith widersprach ihm in dieser Hinsicht genauso wenig, wie er versuchte, Johnstone dazu zu überreden, seine Arbeit draußen für einen Job am Schreibtisch aufzugeben. In den letzten acht Jahren hatte Johnstone jede Beförderung abgelehnt, die er ihm angeboten hatte. Wenn er nach dem Grund dafür gefragt wurde, behauptete er einfach nur: »Ich bin nicht gut an einem Schreibtisch. Wenn ich nicht rauskomme, dann höre ich ganz auf.«

Chandler-Smith wusste, dass Johnstone – wenn er überlebte – eines Tages ausgebrannt sein würde. Jedem, der draußen blieb, ging das so. Doch bis dieser Tag kommen würde, war er der beste Agent, den Chandler-Smith je gehabt hatte.

»Wenn Sie Barrakuda wären, wie würden Sie mich dann umbringen?«, fragte Chandler-Smith.

»Würde ich dabei überleben wollen, um die Geschichte weiter zu erzählen?«

»Das müssen Sie. Ich lebe doch noch.«

Johnstone lächelte dünn. Er wusste besser als die meisten Menschen, wie unmöglich es war, sich gegen einen Terroristen zu schützen, der bereit war, sein Leben einzusetzen, um jemanden umzubringen. Glücklicherweise waren nur sehr wenige von ihnen dazu bereit. Sie wollten töten und dann damit prahlen und nicht töten, um dann selbst zu sterben.

»Ich würde mir eine Ihrer Töchter schnappen«, sagte Johnstone, »dann würde ich Ihre Tochter gegen Sie austauschen und Sie umbringen. Wahrscheinlich Ihre Tochter noch dazu.«

Chandler-Smith nickte. »Das habe ich mir auch gedacht.«

»Die Frage ist, ob Barrakuda das auch begriffen hat«, gab Johnstone zurück. »Und ist er bereit, dieses Risiko einzugehen?«

»Die Antwort auf die erste Frage ist ja. Und was die zweite Frage betrifft ...« Chandler-Smith zuckte mit den Schultern. »Ich wette, das ist er. Er ist vor sechs Tagen untergetaucht.«

»Nicht gut«, erklärte Johnstone deutlich.

»Wem sagen Sie das. Lorraine und die älteren Mädchen sind hinter Schloss und Riegel, aber Baby Lorraine ist anders.« Er verzog das Gesicht. »Ich kann sie nicht aus dem Verkehr ziehen, ohne sie auch aus der Olympiade herauszuholen. Und das werde ich nicht tun. Nicht nach den Informationen, die wir bisher haben.«

»Sie haben einen Mann in Barrakudas Organisation. Fangen Sie damit an, ihn unter Druck zu setzen.«

»Das tue ich ja.«

»Dann verstärken Sie den Druck.«

»Bonner arbeitet daran, er ist ganz nah an ihm dran und sehr, sehr persönlich. Aber bis ich etwas Genaues habe, werde ich Baby nicht von den Sommerspielen wegholen. Teufel, ich bin nicht einmal sicher, ob ich das überhaupt schaffen würde. Sie ist eine erwachsene Frau.«

»In diesem Fall würde sie sicher auf Sie hören, sie würde die Gefahr abwägen und dann freiwillig auf die Spiele verzichten.«

Chandler-Smith lachte laut auf. »Sie ist Military-Reiterin und keine verdammte Dressur-Artistin. Die Art von Reiten, die sie macht, ist viel gefährlicher, als bei einem Rodeo auf einen Brahmanen-Bullen zu steigen.«

»Dann sehen Sie ihr nicht zu.«

»Ich verstehe nicht, wie Sie das meinen.«

»Barrakuda hat schon seit Jahren auf seine Chance gewartet. Es gibt zwei Gründe, warum er Sie bis jetzt noch nicht erwischt hat. Der erste Grund ist der, dass er nicht sterben will. Der zweite ist, dass Ihre Bewegungen niemals – ich wiederhole, niemals – vorhersehbar gewesen sind. Wenn Sie aber jetzt darauf bestehen, bei Babys Ritt anwesend zu sein, dann wird er sich gar nicht erst die Mühe machen müssen, Ihre Tochter zu entführen. Sie werden sich selbst freiwillig direkt in das Fadenkreuz seines Zielfernrohres begeben.«

»Deshalb sind Sie ja da.«

»Sie sind größer als ich«, erklärte Johnstone so ganz nebenbei. »Ich gebe einen lausigen Schutzschild ab.«

»Keine Sorge. Ich habe nicht vor, Charles DeGaulle nachzuahmen und mich selbst mit größeren Männern zu umgeben. Aber Sie haben ein Auge dafür, ein Gelände nach Hinterhalten auszukundschaften, wie ich es besser noch nie erlebt habe. Ich möchte, dass Sie nach Kalifornien fahren, dass Sie sich die olympischen Stätten in Santa Anita und San Diego ansehen und dann den sichersten Platz auswählen, von dem aus ich den Ritt meiner Tochter ansehen kann.«

»Der sicherste Ort ist ein Hotelzimmer mit einem großen Fernsehapparat. In London.«

»Nein. Diesmal nicht. Was auch immer geschieht, ich werde für Baby auf der Olympiade sein.«

»Ist das wert, dafür zu sterben?«

»Es ist wert, dafür zu leben«, erklärte Chandler-Smith schlicht. »Ich habe schon viel zu viel verpasst von meiner Vaterschaft, ich habe meine Kinder schon viel zu oft enttäuscht. Ganz besonders Baby. Als sie geboren wurde, waren bereits viel zu viele Sicherheitsvorkehrungen nötig, um Zugang zu mir zu bekommen. Ich bin ihr diese Olympiade schuldig. Ich bin es mir selbst schuldig. Und ich werde dabei sein.«

Johnstone kannte seinen Boss viel zu gut, als dass er ihm widersprochen hätte. Er warf einen Blick auf seine Uhr, zog drei Stunden Zeitverschiebung für die Westküste ab und stand dann auf. »Ich werde sehen, ob ich einen Platz im nächsten Flugzeug bekommen kann.«

»Machen Sie sich keine Mühe.« Chandler-Smith zog einen dicken braunen Umschlag aus der Tasche und warf ihn auf den Schreibtisch. »Flugticket, neue Ausweise, alles, was Sie brauchen, ist hier.«

»Wer bin ich denn diesmal?«

»Ich habe gar nicht nachgesehen. Ist das denn nicht egal?« »Nein. Wann wird Kentucky in Kalifornien ankommen?« »Er ist bereits dort.«

Mit einem kurzen Nicken wandte sich Johnstone ab und wollte gehen.

»Robert?«, sagte Chandler-Smith.

Johnstone wandte sich noch einmal um und wurde mit dem seltenen Ausdruck eines echten, warmen Lächelns von seinem Boss belohnt.

»Rasieren Sie sich, ja?«, bat Chandler-Smith. »Selbst ohne die braunen Kontaktlinsen sehen Sie noch wie ein libanesischer Terrorist aus. Baby wird einen Blick auf Sie werfen und dann schreiend davonlaufen.«

»Sie wäre nicht die Erste.«

Kapitel 1

Rancho Santa Fe

Die lohbraunen Hügel von Rancho Santa Fe erhoben sich hinter den breiten Sandstränden des Pazifischen Ozeans. Viele Hügel wurden gekrönt von teuren Häusern, deren Fenster und Glaswände im Licht der späten Nachmittagssonne aussahen wie geschmolzenes Gold. Der Geruch nach dem Salz des Meeres mischte sich mit dem Duft des wilden Grases, das von den heißen Tagen im südlichen Kalifornien ausgetrocknet war.

Ein Flussbett, in dem nur selten Wasser floss, schlängelte sich durch die trockenen Hügel und Schluchten, zwischen Eukalyptusbäumen und Granitfelsen hindurch. Am Rande des Flusses waren noch einige Stellen des Golfplatzes des Fairbanks Ranch Country Clubs zu erkennen und boten einen erstaunlichen Kontrast zu den braunen Hängen der Hügel. Von Menschen geschaffene Hindernisse aus Holz, Felsen und Wasser zogen sich im Zickzack durch das Flussbett und die Hügel hinauf.

Es waren die Hindernisse und nicht die Schönheit des Landes, die die Aufmerksamkeit von Raine Chandler-Smith auf sich zogen.

Gestern war sie in das Coliseum von Los Angeles marschiert, zusammen mit den bunt uniformierten Gruppen der Sportler aus aller Welt, die Tausende von Meilen gereist waren, um an den Olympischen Sommerspielen teilzunehmen. Gestern war sie eine unter Tausenden gewesen, umgeben von vielen bunten Fahnen und Zeremonien im Stile Hollywoods. Gestern war sie bezaubert gewesen, demütig und aufgeregt, weil sie Teil einer Tradition war, die so alt war wie die westliche Zivilisation.

Heute war Raine allein.

Heute sah sie sich die Hindernisse an, die geschaffen worden waren, um ihre Fähigkeiten zu testen, ihr Durchhaltevermögen und das Vertrauen, das zwischen ihr und ihrem Pferd bestand. Der dreitägige Wettkampf war für die Reiter das, was ein Fünfkampf für die Leichtathleten war – der ultimative Test.

Während ihre Augen und ihre Gedanken sich den gefährlichen Kurs ansahen, atmete sie tief die eigenartigen Gerüche des Landes um sich herum ein. Sie war in Virginia und in Europa groß geworden und fand die Trockenheit eines Sommers im südlichen Kalifornien sowohl fremd als auch berauschend. Die Kombination der Gerüche war sauber, verlockend, älter als die Zivilisation oder der Mensch, so alt wie die Hügel und das Meer und der Sonnenschein.

Sie sah noch einmal über das Land, dann reckte sie sich und schob den Rucksack auf ihrem Rücken zurecht. Die Wasserflasche darin gurgelte freundlich. Als sie weiterging, schlug die lange Linse ihrer Kamera gegen ihr Fernglas, das neben der Kamera um ihren Hals hing. Sie machte noch ein paar Schritte, dann zuckte sie zusammen und entschied, dass es endlich an der Zeit wäre, den Stein aus ihrem Wanderschuh zu holen.

Mit geschmeidigen, lockeren Bewegungen balancierte sie auf einem Bein, während sie den anderen Schuh auszog und nach dem Stein suchte, der sie gestört hatte. Sie bot einen anmutigen Anblick, als sie dort stand, wie ein beiger Flamingo, der sich ausruht. Doch sie selbst hätte sich niemals als anmutig bezeichnet.

Als sie elf Jahre alt war und sich gerade selbst als Frau wahrzunehmen begann, war sie einen Meter sechsundsechzig groß und hatte jede Hoffnung aufgegeben, sich auf dem Boden je so wohl zu fühlen wie auf dem Rücken eines Pferdes. Wenn sie in den Spiegel sah, wünschte sie sich immer, mehr wie ihre älteren Schwestern auszusehen. Irgendwann gab Raine es schließlich auf, in den Spiegel zu schauen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das, worin sie gut war, wofür sie geboren war.

Sie ritt auf Pferden über Sprünge, die größer und mächtiger waren als sie selbst.

Im Alter von siebenundzwanzig Jahren war Raine geschmeidig und besaß sanfte Rundungen. Sie hatte die ruhige Kraft einer Frau und die Haltung eines Reiters, der regelmäßig an Weltklasse-Wettkämpfen teilnahm und auch gewann. Dennoch fand sie sich selbst immer noch ein wenig unbeholfen und ihr Aussehen gnadenlos durchschnittlich. Sie hatte mittelbraunes Haar, mittelbraune Augen und eine mittelbraune Figur, so beschrieb sie sich selbst, wenn sie darüber nachdachte.

Raine dachte allerdings nur sehr selten über ihr Aussehen nach. Sie hatte schon viel zu viel Zeit in ihrer Jugend damit verbracht, so wunderschön und so vollendet zu sein wie ihre älteren Geschwister. Und sie hatte versagt.

Eine linkische braune Henne konnte ganz einfach nicht mit den goldbraunen Schwänen konkurrieren, die ihre Schwestern waren. Eine von ihnen war Partnerin in einer mächtigen Anwaltsfirma und die Frau eines Senators. Die andere spielte eine herausragende Rolle auf dem Broadway. Ihre beiden älteren Brüder waren auch sehr erfolgreich, einer als Diplomat, der andere als Neurochirurg.

Als Raine fünf Jahre alt war, hatte sie so lange gebettelt, verlangt und gedrängt, bis ihre Eltern ihr Reitstunden geben ließen. Danach wurde das Leben für die ganze Familie einfacher. Reiten war eine elegante Lösung für das Problem mit Baby Lorraine. Oder Raine, wie sie genannt werden wollte, sobald sie begriffen hatte, dass ihr richtiger Name nur aus »zweiter Hand« kam.

Pferde gaben ihr die Möglichkeit, die Erste zu sein.

Sie fühlte sich den großen Tieren tief verbunden. Pferde waren die Arbeit und die Liebe ihres Lebens. Wenn sie ritt, vergaß sie, dass sie verlegen und unzulänglich war. Sie verschmolz mit dem Rhythmus ihres Pferdes und konzentrierte sich auf die anspruchsvollen Sprünge. Es war ein faszinierendes Hochgefühl, auf dem Rücken ihres riesigen, vollblütigen braunen Hengstes über einen Zaun oder andere Hindernisse zu fliegen. Nur dann fühlte sie sich vollkommen frei, vollkommen lebendig, vollkommen sie selbst.

»Aber wenn ich mich nicht an die Arbeit mache, anstatt hier meinen Tagträumen nachzuhängen«, sagte sie sich, als sie den Schuh wieder zuband, »dann werde ich auf dem Rücken im Dreck liegen und nicht über die Sprünge fliegen. Der Querfeldeinritt des Wettkampfes sieht schwieriger aus als alles, was ich bis jetzt mit Dev geritten bin.«

Sie nahm noch einmal das Fernglas zur Hand und richtete ihre Aufmerksamkeit auf das trockene Flussbett, das sich am Fuße des Hügels entlangschlängelte. Nach ein paar Minuten nahm sie einen Notizblock aus ihrem Rucksack und zeichnete die Linie des Flusses und der Hügel, dann stieß sie mit dem Fuß prüfend gegen den Boden.

Sie bückte sich und riss an einer Hand voll Gras, bis sie es aus dem Boden gezogen hatte. Unter den festen, unglaublich harten Wurzeln war der Boden rau und trocken. Er bestand aus harten Lehmklumpen und kleinen Steinchen. Sie klaubte einige der Steinchen heraus und hielt sie in ihrer linken Hand, sie spielte damit, während sie versuchte, die Beschaffenheit des Bodens zu begreifen, indem sie ihn berührte, ansah und sogar daran roch.

Trocken, sehr trocken, aber nicht wirklich hart zu reiten. Mit gerunzelter Stirn machte sie sich Notizen am Rand ihrer Skizze. Die Oberfläche würde sich vollkommen verändern, wenn es regnete. Der Lehm sah aus, als könnte er dann gefährlich glatt sein. Für die Zeit der Olympiade war allerdings kein Regen vorhergesagt worden. So, wie das Land aussah, bezweifelte sie nicht, dass alles so bleiben würde, wie es war. Trocken.

Nach einem weiteren langen, gründlichen Blick auf das Flussbett steckte sie den kleinen Notizblock zurück in ihren Rucksack. Nachdenklich spielte sie mit den kleinen Steinchen, die sie noch immer in ihrer Hand hielt; sie stand auf der Spitze des Hügels und dachte an die Olympischen Spiele, die vor ihr lagen, und fragte sich, wie dieser Hügel wohl aussehen würde, wenn nicht nur Menschenmassen darauf stünden, sondern auch Häuser.

Von Zeit zu Zeit warf sie einen der kleinen Steine weg, bis sie keinen mehr in der Hand hatte. Ihre Handfläche fühlte sich trocken an von den ausgetrockneten Steinen. Während sie die Hand an ihrer Hose abwischte, hoffte sie, dass es nicht zu heiß werden würde für den dreitägigen Wettkampf. Hitze entzog den Pferden eher die Kraft als den Reitern. Ganz gleich, wie heiß es auch wurde, ein Pferd war in seinem Fell gefangen.

»Wenigstens ist es nicht feucht«, murmelte sie vor sich hin. »Das wäre der Tod. Aber dies hier ... das gefällt mir.«

Das überraschte sie. Dieses trockene Land, das ihr eigentlich so fremd hätte sein sollen, fühlte sich an, als wäre es ihr Zuhause, das sie vergessen oder nicht gekannt hatte.

Sie lächelte über diesen eigenartigen Gedanken, dann wischte sie sich die Finger ab, hob die Kamera und machte sich an die Arbeit. Vorsichtig stellte sie die sehr weite Linse ein und machte eine Serie sich überschneidender Aufnahmen. Wenn sie erst einmal entwickelt waren, würden die Dias zu einem Panorama des Fairbanks Ranch Country Clubs werden, den man aufgerissen und für die Olympischen Spiele vorbereitet hatte.

Mit gerunzelter Stirn und noch lange nicht zufrieden, senkte sie die Kamera wieder. Fotos waren besser als gar nichts, aber sie waren nicht gut genug. Was sie wirklich brauchte, war ein Gang über den Kurs. Doch das durfte sie nicht. Alle Teilnehmer des Wettbewerbs würden den Kurs zum ersten Mal am Tag vor ihrem Ritt zusammen abschreiten.

Zehn Tage würde das noch dauern. Nur zehn Tage bis zu dem Wettkampf, der der Höhepunkt und auch das Ende einer lebenslangen Arbeit waren.

Raine wusste nicht, was sie nach der Olympiade machen würde. Sie wusste nur, dass es etwas anderes sein würde. Sie war bereit, aus dem glitzernden, aufreibenden Karussell der internationalen Wettkämpfe auszusteigen. In den letzten drei Jahren war ihr der Gedanke, Pferde zu züchten und zu trainieren, immer öfter gekommen. Devlin’s Waterloo war ein Hengst, auf dem man eine Zukunft aufbauen konnte. Wenn er bei den Olympischen Spielen eine Medaille gewann, dann wäre schon ein großer Schritt getan auf dem Weg, ihre geheimen Träume wahr werden zu lassen.

Wind wehte durch das Gras um sie herum und flüsterte vom Regen, der noch Monate entfernt war. Sie schloss die Augen und versuchte, das Wesen dieses eigenartigen, wunderschönen Landes in sich aufzunehmen. Noch nie zuvor in ihrem Leben war sie über einen so trockenen Boden geritten. Es machte ihr Sorgen, dass ihr dieses Gelände völlig fremd war, anders als das an der Ostküste oder in England oder Frankreich.

Doch daran konnte sie nichts ändern. Bis an dem Tag vor dem Wettbewerb würde sie sich mit dem zufrieden geben müssen, was sie aus der Entfernung herausfinden konnte.

Ihre Lippen verzogen sich zu einem ironischen Lächeln. Irgendwie war es schon passend, dass sie bei dem wichtigsten Wettkampf ihres ganzen Lebens wie ein Zuschauer alles von draußen beobachtete. Jahre hatte sie so zugebracht, hatte die Welt aus einiger Entfernung beobachtet. Meistens zog sie das sogar vor. Manchmal jedoch, wenn sie Liebende hörte, die leise miteinander lachten, wenn sie sah, wie sie einander berührten, als wären sie kostbarer als Gold, wenn ein Mann sich zu seiner Frau beugte, lächelnd ...

Abrupt griff Raine noch einmal nach dem Fernglas. Sie machte sich keine Illusionen über ihre Möglichkeiten, einen Partner zu finden. Wie ihr schon so viele Männer in den verschiedensten Stadien des Zorns erklärt hatten, war sie verdammt zu wählerisch, was ihre Sexpartner betraf. Die wenigen Male, die sie schließlich ihre Einsamkeit aufgegeben hatte, hatten ihr Bild von sich selbst als Frau eher noch verschlechtert.

»Komm darüber hinweg«, sagte sie sich kühl. »Die einzige Art des Reitens, bei der du gut bist, ist die auf einem Pferd.«

Lange betrachtete sie das Land unter dem Hügelkamm. Sie sah kaum den vollen, honigfarbenen Schimmer, den das Licht der Sonne auf das Gras warf, oder den blauschwarzen Tanz des Schattens im Wind. Sie konzentrierte sich auf ein Wäldchen aus Eukalyptusbäumen und dachte, dass die Bäume mit den glatten Stämmen eher wie Pferde waren, riesig und dennoch anmutig, kräftig und dennoch elegant.

Sie fragte sich, ob die zusammengewehten trockenen Blätter unter den Bäumen und die abgefallene Baumrinde wohl auf trockenem Boden läge oder ob der Boden unter den Bäumen feucht wäre. Von dem Punkt aus, an dem sie saß, konnte sie das nicht feststellen, und sie konnte auch nicht näher heran, ohne die olympischen Grenzmarkierungen zu überschreiten.

»Verdammt«, dachte sie.

Raine blickte durch das Fernglas auf die dichten Schatten und die graugrünen Blätter, die in der späten Nachmittagssonne schimmerten. So nah und doch so weit weg ...

»Die Geschichte meines Lebens.«

Sie ließ das Fernglas sinken und wandte sich ab.

Tief in dem Eukalyptuswäldchen, verborgen durch die Schatten und die absolute Bewegungslosigkeit seines Körpers, wartete Cord Elliot darauf, dass die Aufmerksamkeit der Frau von dem Wäldchen abgelenkt wurde.

Von ihm.

Selbst als sie sich umwandte und hinter der Kuppe des Hügels verschwand, bewegte er sich noch nicht. Er hockte in dem duftenden Schatten und wartete, bis er bis sechzig gezählt hatte.

Als niemand mehr auf der Hügelkuppe erschien, stand er mit geschmeidigen, kontrollierten Bewegungen auf. Selbst im Stehen war er noch durch die Bäume verborgen. Er lauschte mit der Konzentration eines Mannes, dessen Leben von der Genauigkeit seiner Sinne abhing. Er hörte nichts als das leise Rauschen des Grases, des Windes und der Blätter.

Nach einem Augenblick schlich Cord aus dem Wäldchen hinaus, er bewegte sich mit der stillen Leichtigkeit eines Schattens. Seine sandfarbene Jacke und Jeans verschwammen vollkommen mit dem lohfarbenen Gras. Selbst sein Fernglas hatte eine graubraune Farbe. Er ging den Hügel hinauf und wählte dabei eine flache Schlucht, die ihn gleich hinter der Stelle nach oben bringen würde, an der die Frau gestanden hatte.

Er nutzte jede natürliche Deckung, als er schnell den Hügel hinaufkletterte, bis er gleich unter der Kuppe war. Dann warf er sich auf den Boden und schob sich die letzten Meter hoch. Er sorgte dafür, dass sein Kopf nie höher ragte als das Gras, das im Wind wehte. Sein schwarzes Haar wäre in dem goldenen Gras des Hügels leicht zu sehen.

Seine blassblauen Augen suchten den Abhang nach der Frau ab, die wesentlich zu neugierig war, was den Ort des olympischen Wettbewerbs betraf. Ein schneller Blick verriet ihm, dass da niemand war. Auch mit einem zweiten Blick entdeckte er niemanden.

»Also gut, mein Schatz. Wo hat dein netter kleiner Spaziergang dich hingeführt?«, dachte er grimmig. »Dort drüben hin, zu diesen Felsblöcken? Nein, dazu war nicht genug Zeit. Dann zum nächsten Wäldchen?«

Seine Augen zogen sich zusammen, als er sie auf den Knien im Gras entdeckte. »Warum kniest du dich dort hin? Was tust du?«, fragte er in Gedanken.

Cord sah sich den Stand der Sonne an. Von dort konnte er keine Hilfe erwarten. Wenn er sein Fernglas hob, würde sich das Sonnenlicht in den Linsen spiegeln und ihn verraten. Im Augenblick würde er sich auf sein eigenes, ausgezeichnetes Sehvermögen verlassen müssen.

Löcher. Sie grub Löcher.

Warum? Welches verfluchte Höllenschauspiel plante sie dort? Und warum gerade dort?

Der Taktiker in Cord wusste, dass der wirksamste Platz für eine Bombe der Wettkampfkurs selbst sein würde, wo die Pferde vorüberdonnerten, erschöpft und doch noch immer ein Ziel vor Augen, wo sie sich die Herzen aus dem Leib rannten, weil sie dazu geboren waren, das zu tun und weil ihre Reiter zwar genauso müde, aber auch so kämpferisch wie ihre Pferde waren.

»Ist es das, was du willst?« Er beobachtete die kniende Frau mit zusammengezogenen Augen. »Kannst du es nicht erwarten, jemanden umzubringen, der stärker und besser ist, als du es je sein wirst? Oder gibst du dich damit zufrieden, die Zuschauer in die Hölle von Tod und Sterben zu schicken?«

Es gab keine Antwort auf Cords Frage, nur die, die ihm seine Erfahrung zuflüsterte.

Es war keine tröstliche Antwort.

Bewegungslos lag er gleich unter der Kuppe des Hügels und beobachtete. Wartete. Das war alles, was er im Augenblick tun konnte. Sobald die Frau ihm den Rücken zudrehte, würde er den Hügel hinunterkommen und ihr einige Fragen stellen.

Und sie würde ihm jede einzelne Frage beantworten.

Langsam stand Raine auf. Sie ließ die letzten duftenden Eukalyptusblätter in ihrer Hand zerbröseln und dann vom Wind wegwehen. Abwesend wischte sie sich den Schmutz von ihrer kakifarbenen Hose und der verblichenen Bluse. Der durchdringende Geruch des Eukalyptus hing noch immer an ihren Händen wie ein unsichtbarer Schatten, er vermischte sich mit dem Geruch des Sommers, des Grases und der Hitze.

Die gute Neuigkeit, entschied sie, als sie auf die staubige Erde blickte, war, dass es auch unter den Bäumen nicht lehmig sein würde, ganz gleich, wie viele Pferde dort galoppierten. Das Land war trocken, bis hinunter auf seine steinige, dauerhafte Seele. Mit neuem Respekt und Anerkennung starrte sie in die mächtige Krone eines Eukalyptusbaumes in ihrer Nähe.

»Es dauert sehr lange, bis du wieder etwas zu trinken bekommst, nicht wahr?«, fragte sie neckend. »Du könntest einem Kamel noch etwas beibringen. Ich werde durstig, wenn ich nur daran denke.«

Ohne den Blick von dem Baum zu nehmen, griff sie in ihren Rucksack und suchte ihre Wasserflasche.

Im gleichen Augenblick bekam sie einen Schlag in ihren Rücken, der sie umwarf. Vom Reiten trainiert, fiel sie geschmeidig, obwohl sie völlig unvorbereitet war. Sie rollte von dem Schlag weg, anstatt sich dagegen zu wehren. Dennoch nahm ihr der Schlag den Atem.

Als sie wieder atmen konnte, lag sie mit dem Gesicht in den Blättern und dem Schmutz; durch ein schweres Gewicht wurde sie zu Boden gedrückt. Ihr Fernglas, ihre Kamera und ihr Rucksack waren ihr weggenommen worden.

Sie versuchte, sich aufzusetzen, doch wieder wurde sie zu Boden gedrückt.

»Bewegen Sie sich nicht.« Die Stimme des Mannes war kalt und ausdruckslos.

Instinktiv gehorchte sie.

Dann fühlte Raine, wie Hände über ihren Körper glitten, mit einer Vertraulichkeit, die sich kein Mann seit Jahren mehr erlaubt hatte. Zwar erstarrte sie, doch sie begriff auch, dass trotz all der Intimität die Berührung des Mannes unpersönlich war. Er tastete sie ab, aber er befummelte sie nicht.

Ihre ganze Welt drehte sich, als der Mann sie umdrehte und sie flach auf den Rücken warf. Sie fühlte sein hartes, muskulöses Bein, das ihre Beine auf den Boden drückte, die eiserne Kraft seines Unterarms an ihrem Hals. Solange sie ganz still lag, konnte sie atmen.

Wenn sie sich bewegte, würde sie ersticken.

Sie lag auf ihrem Rücken und kämpfte gegen die Panik an, während sie in das unbewegliche Gesicht ihres Angreifers starrte. Schnell glitt seine freie Hand über ihre Schultern, unter ihre Arme, über ihre Brüste und ihren Bauch, zwischen ihre Schenkel. Sie gab ein kehliges Geräusch von sich, Furcht, Zorn und Protest drückten sich in einer rauen Silbe aus.

Winterblaue Augen glitten über ihr Gesicht, während die Hand des Mannes ihren Körper abtastete, bis hin zu ihrem rechten Knöchel. Dann zog er ihr mit einer schnellen Bewegung den Schuh aus. Das Gleiche machte er auch mit ihrem anderen Bein. Die beiden Schuhe warf er so, dass sie sie nicht erreichen konnte. Sie landeten auf ihrem Rucksack, neben dem Fernglas und der Kamera, die er auch beiseite geworfen hatte.

»Name?«

Es dauerte einen Augenblick, bis sie den knappen Befehl des Mannes mit der Information in Zusammenhang brachte, die er von ihr haben wollte.

»Raine.«

»Familienname?«

»Smith.« Sie schluckte und versuchte, die Trockenheit in ihrem Mund ein wenig zu lindern.

»Was tun Sie hier?«

Sie schloss die Augen und kämpfte darum, die chemische Reaktion in ihrem Inneren unter Kontrolle zu halten. Sie war daran gewöhnt, mit einem Adrenalinstoß fertig zu werden. Das Erste, was ein Wettkämpfer lernte, war, wie man die körperliche Reaktion auf Stress unter Kontrolle brachte.

Das Zweite, was ein Wettkämpfer lernte, war, wie man unter Stress denken konnte. Sie begann sehr schnell zu denken, und genauso schnell schloss sie, dass dieser Mann, wenn er ihr etwas antun wollte, keine Fragen stellen würde.

Wut trat an die Stelle ihrer Furcht. Sie öffnete die Augen und sah ihn mit einem klaren und sehr harten Blick an. »Wer zum Teufel sind Sie?«

Der Mann bewegte seinen kräftigen Unterarm ein wenig und schnitt ihr die Luft ab. Der Druck ließ beinahe genauso schnell wieder nach, wie er begonnen hatte. Blasse Augen beobachteten sie, um zu sehen, ob sie den Hinweis begriffen hatte.

Sie hatte ihn begriffen. Als sie das nächste Mal sprach, war es, um seine Frage zu beantworten.

»Ich sehe mir das Land an«, brachte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

»Warum?«

Er stellte diese Frage mit ausdrucksloser Stimme, genauso, wie alle seine anderen Fragen geklungen hatten.

»Ich bin olympische Reiterin.«

Etwas blitzte in den Augen des Mannes auf. »Beweisen Sie es.«

Seine Stimme war noch immer ausdruckslos, doch während er sprach, veränderte sich seine Körperhaltung ein wenig, sie wurde weniger ... angriffslustig.

»Ich habe Dev in Santa Anita gelassen«, erklärte Raine knapp. Aus ihrer Stimme klangen ihre Wut und die Nachwirkungen der Furcht.

»Dev?« Zum ersten Mal klang die Stimme des Mannes neugierig.

»Devlin’s Waterloo. Mein Pferd.«

»Beschreiben Sie es.«

»Einen Meter fünfundsiebzig groß, Hengst, braun, drei viertel Vollblüter, und der Rest entweder Ire oder ...«

»Gut, genug, Raine Smith«, unterbrach der Mann sie und legte eine eigenartige Betonung auf ihren Familiennamen.

Seine Körperhaltung veränderte sich, als er auf sie hinunterblickte, sie wurde weniger hart und etwas versöhnlicher, weniger unpersönlich und etwas männlicher. Er bewegte seinen Arm und gab ihren Hals frei von seinem Druck.

Doch er nahm nicht den Druck seiner Beine von ihren. Und auch seine Vorsicht ließ nicht nach. Sie gehörte zu ihm, wie die Dunkelheit in der Mitte seiner eisblauen Augen.

»Und wenn Sie wissen wollen, wer zum Teufel ich bin«, meinte er und lächelte ein wenig, »Sie können mich Cord Elliot nennen.«

Er hätte noch hinzufügen können, dass sie dem Foto in ihrem Olympia-Ausweis kaum ähnlich sah. Den Fotografen hätte man erschießen sollen. Oder aufhängen. Das Foto zeigte nichts von ihrer Intelligenz und der Verletzlichkeit in ihren außergewöhnlichen haselnussbraunen Augen, genauso wenig wie den verlockenden Schwung ihrer Lippen und die weibliche Kraft in der Linie ihres Kinns.

Von Nahem bestand kein Zweifel, dass dies Chandler-Smiths Tochter war. Nun ja ... wenigstens nicht viel Zweifel. In Cords Welt war nichts hundertprozentig sicher, außer dem Tod.

»Und wenn Sie mich nicht Cord nennen möchten, dann bin ich gern bereit, mir Ihre Vorschläge anzuhören«, fügte er belustigt hinzu.

Raine starrte ihn an, die unzähligen warmen Fleckchen in seinen blauen Augen faszinierten sie. Wenn sie einatmete, roch sie den Duft nach Sonne, Gras und die Wärme eines anderen Lebens in ihrer Nähe. Ein sehr männliches Leben.

Ganz plötzlich wurde ihr bewusst, dass Cord ein Mann war, ein vollkommener Mann, und dieser Mann lag neben ihr. Sein Körper war hart und warm, schnell und gefährlich, sein Haar war so dicht und schwarz wie die Mähne ihres Hengstes.

Das Gefühl überwältigender Intimität machte sie genauso benommen wie die Tatsache, dass er sie umgeworfen hatte.

»Meine Vorschläge würden Ihnen sicher nicht gefallen«, sagte sie, zwang sich, zu sprechen und versuchte dabei, die schwüle, betäubende Wärme nicht zu beachten, die sich durch ihren Körper stahl. »Man hört eine Menge Namen in den Ställen. Besonders während eines Wettkampfes.«

»Olympische Reiterin, wie?«, fragte Cord leise und betrachtete ihren schlanken Körper, der ganz ruhig halb unter ihm lag. Er war beinahe sicher, dass er wusste, wer und was sie war, doch der Unterschied zwischen beinahe und sicher hatte schon eine Menge Menschen umgebracht.

»Ja«, erklärte sie kühl. »Meine Spezialität ist der dreitägige Wettkampf.«

»Das erklärt, warum Sie ganz entspannt und kontrolliert hingefallen sind, und dennoch haben Sie nicht gewusst, wie Sie den einfachsten unbewaffneten Angriff abwehren müssen. Sie sind das Produkt eines sehr zivilisierten Trainings, das es weder in einem kubanischen noch in einem libanesischen Kommando-Camp gibt.«

»Kommando-Camp?«, fragte sie, und ihre Stimme wurde lauter. Die betäubende Intimität wich sofort, als hätte es sie nie gegeben. Ganz plötzlich fürchtete sie, dass sie sich in den Händen eines Verrückten befand.

»Sie sollten nicht so erschrocken klingen. Diese Camps gibt es.«

»Wovon reden Sie überhaupt?«

»Terrorismus.«

Cord antwortete beinahe abwesend. Seine Aufmerksamkeit war gefangen von der sanften Rundung von Raines Brüsten, wenn sie scharf die Luft einzog. Daneben bemerkte er die federnde Kraft und Wärme ihrer Beine unter seinen.

»Terrorismus? Das ist doch lächerlich! Sehe ich etwa aus wie eine Terroristin?«, wollte sie verärgert wissen.

»Keine Reißzähne, wie?« Er lächelte grimmig. »Schätzchen, der letzte Terrorist, den ich in meine Finger bekommen habe, trug ein gelbes Ballkleid aus Seide und stank nach Hass und Cordit.« Als er sah, wie verwirrt Raine ihn ansah, fügte er hinzu: »Cordit ist ein Sprengstoff.«

»Sie?«, wiederholte Raine, und ihre Stimme wurde wieder lauter. »Der Terrorist war eine Frau?«

»Männer haben kein Monopol für Gewalttätigkeit.«

»Aber ...«

Cord sprach weiter, als hätte sie ihn gar nicht unterbrochen. »Sie riechen nicht wie ein Terrorist.«

Sein Blick glitt über ihren Körper, noch intimer als seine Hände, als er sie nach einer Waffe durchsucht hatte. Er beugte seinen Kopf näher an ihren Nacken und atmete langsam ein. Ihr Duft stieg ihm in den Kopf, wie der Sonnenaufgang, warm und viel versprechend.

»Sie riechen nach Sonnenschein und getrocknetem Gras und nach den Schatten unter den Eukalyptusbäumen«, sagte er mit leiser Stimme. Sie roch auch noch nach anderen Dingen, nach warmer, verlockender Frau und nach dem süßen Duft der Sinnlichkeit, doch er bezweifelte, dass sie das in diesem Augenblick hören wollte.

Raine sah, wie sich seine Nasenflügel leicht und sinnlich blähten, als er ihren Duft einatmete. Sie stellte fest, dass sie den Atem anhielt wie ein Amateurreiter, der sich einem hohen Zaun nähert. Sie fühlte sich schutzlos, war zornig und äußerst verwirrt.

Deshalb forderte sie Cord mutig heraus; sie war bereit, seinen Zorn zu ertragen, nur um seiner verwirrenden Sinnlichkeit zu entkommen. »Selbst wenn wenige Terroristen Frauen sein mögen, welchen Schaden könnte ich schon anrichten, wenn ich ganz allein hier draußen bin?«

»Sie könnten Bomben legen.«

»Das ist doch lächerlich.«

»Was haben Sie denn sonst hier weggeworfen?«

Seine Frage klang nebensächlich, als würde ihn ihre Antwort nicht wirklich interessieren. Doch seine Augen blickten eisig und klar, so rücksichtslos wie der Winter. Der Unterschied zwischen beinahe sicher und absolut sicher verschwand nie aus seinen Gedanken. Der Tod war verdammt endgültig.

Raine fühlte die Eindringlichkeit hinter Cords lässiger Haltung. Er war genau wie Dev, wenn er sich auf einen blinden Sprung vorbereitete, er wartete auf ein Signal von seinem Reiter.

»Kleine Steine«, erklärte sie schnell. »Ich habe mit kleinen Steinen geworfen. Das ist eine Angewohnheit von mir. Wenn ich spazieren gehe, hebe ich kleine Steine auf und werfe sie weg, während ich nachdenke.« Dann fügte sie zornig hinzu: »Sie hatten gar keinen Grund, mich anzugreifen! In meinem Rucksack ist gar kein Platz für Bomben.«

Auch wenn die Entschlossenheit von Chandler-Smith, seine Familie zu beschützen, schon legendär war, so konnte Cord doch nicht glauben, dass Blues Tochter so naiv war.

»Zündschnüre und Sprengkapseln brauchen nicht viel Platz«, erklärte er ungeduldig. »Und auch C4 und Phosphor nicht. In Ihrem Rucksack könnten Sie sogar bis zu fünf Stangen gutes altmodisches Dynamit verstecken. All die Dinge, die in der Nacht plötzlich bumm machen.« Seine Stimme veränderte sich, sie wurde abgehackt und hart. »Warum haben Sie gegraben?«

»Um nachzusehen, wie es sein wird.«

Cords einzige Antwort war Schweigen, und das weckte in ihr den Wunsch, alles zu erklären. Diese Art von Schweigen war eine sehr wirksame Befragungstechnik. Er hatte sie schon oft genug benutzt, um ihre Wirkung zu kennen. Wenn Raine so unschuldig war, wie sie zu sein schien, würde sie sich beeilen, ihm zu erklären, was sie damit meinte.

»Ich wollte wissen, ob der Boden hart oder weich ist«, sagte sie, »trocken oder feucht, wie stabil der Boden ist, was mich erwartet, wenn ich bergab reite und Devs Hufe sich tief in den Boden graben. Solche Sachen.«

»Sie wollten also keine kleinen Sprengkörper auslegen?«

»Warum sollte wohl irgendjemand ...«

»Damit die Pferde, wenn sie den Hügel hinunterkommen, einen Vorgeschmack der Hölle bekommen«, unterbrach er sie kalt.

Schockiert starrte sie ihn an. »Pferde verletzen? Niemand könnte so krank sein!«

Er sah sie lange an. Wenn das Entsetzen und die Unschuld in ihrem Blick gespielt waren, dann war er ein toter Mann. Wenn sie nicht gespielt waren, dann müsste man Blue durch jeden einzelnen Raum des Pentagons treten, weil er sein jüngstes Kind viel zu sehr von der dunklen Seite der Wirklichkeit abgeschottet hatte.

Als Cord schließlich wieder sprach, klang seine Stimme sowohl zynisch als auch sehr erschöpft. »Wenn Sie das glauben, kleines Mädchen, dann sollte man Sie nicht allein in der Dunkelheit nach draußen lassen. Erinnern Sie sich denn nicht an die Olympiade in München? Wenn Sie noch zu jung sind, um sich an dieses Blutbad zu erinnern, wie steht es dann mit dem Bombenanschlag der IRA auf die Wache im Palast der Königin? Große blutende Stücke von Menschen und Pferden lagen überall herum.«

»Hören Sie damit auf!«, flüsterte sie erstickt, entsetzt von seinen Worten.

»Das versuche ich ja.«

»Indem Sie fremde Frauen anfallen?«

»Was auch immer dafür nötig ist«, erklärte er mit ausdrucksloser Stimme.

Raine blickte in seine kalten, abschätzenden Augen und begriff, dass sie von Glück sagen konnte, dass Cords Selbstkontrolle genauso groß war wie sein Wille zu töten, wenn es sein musste. Wenigstens hoffte sie das. Denn immerhin hielt er sie noch immer wie ein Schmetterling auf den harten Boden gepresst.

Und der Mann, der sie festhielt, schien es nicht eilig zu haben, sie wieder freizugeben.

Kapitel 2

Cord bedachte Raine mit einem langen, prüfenden Blick. Sein Gefühl sagte ihm, dass sie die Wahrheit sagte. Doch seine Erfahrungen aus der Vergangenheit waren nicht so schnell bereit, ihr zu vertrauen. Er könnte sich irren.

Und das wäre tödlich.

Er bewegte seinen Körper und lockerte das Gewicht seines Beines über ihr, doch ganz befreite er sie noch nicht. Wenn sie ihren Körper auch nur für einen kurzen Augenblick anspannte, würde er das sofort fühlen.

Raine nutzte ihre offensichtliche Freiheit nicht aus. Sie wartete ganz einfach und betrachtete währenddessen Cords kantiges Gesicht. Unter seinem ausdruckslosen Äußeren vermutete sie eine harte, überragende Intelligenz. Er schätzte sie ab, auf eine Art, die ihr vollkommen fremd war.

Nach einigen Augenblicken entdeckte sie eine kleine Bewegung in seinen buschigen schwarzen Augenbrauen, die Anspannung in seinen eisigen blauen Augen ließ ein wenig nach, und die harte Linie um seinen Mund lockerte sich. In was auch immer für einer Gefahr sie gewesen war, sie war vorüber.

Mit ihrer Erleichterung kam die Erkenntnis, wie entsetzlich verletzlich sie gewesen war. Wenn Cord Elliot ein anderer Mann gewesen wäre, wäre sie jetzt ein weiterer verstümmelter, vergewaltigter Körper, über den in den Sechs-Uhr-Nachrichten berichtet würde.

Sie begann zu zittern, eine Reaktion darauf, dass sie zu Boden geworfen und hilflos unter dem gnadenlos trainierten Körper eines Fremden gefangen gehalten worden war. Obwohl sie versuchte, sich zu beherrschen, drang ein kleiner, klagender Laut aus ihrem Mund. Wieder und wieder liefen Schauer durch ihren Körper, und obwohl sie wütend auf ihren Mangel an Selbstkontrolle war, konnte sie doch nichts dagegen tun.

Raines zitternder Körper sagte Cord, dass der Schock, überfallen und gefangen gehalten worden zu sein, vorüber war. Sie wusste jetzt, dass sie in Sicherheit war, doch überlegte sie, was gerade geschehen war.

Und was hätte passieren können.

Ein Hauch von Tränen hob die grünen und goldenen Flecken in ihren dunklen, haselnussbraunen Augen noch hervor. Ihr Mund zitterte. Schauer der Angst liefen über ihre klare Haut.

Ein eigenartiges Gefühl der Scham überkam ihn – eigenartig, weil er doch einfach nur seinen Job getan hatte, so sicher und gut wie irgend möglich. Sie hätte auch nach einer Waffe in ihrem Rucksack greifen können. Deshalb hatte er sie zu Boden geworfen.

Doch auch wenn seine Tat vollkommen gerechtfertigt war, nach den Bedingungen der Welt, in der er lebte, so fühlte sich Cord doch, als hätte er Raine auf eine ganz grundlegende Art verletzt.

Denn das hatte er getan.

Von einem Augenblick zum anderen hatte er ihr auf beängstigende Weise demonstriert, wie zerbrechlich ihre Sicherheit und ihre Welt wirklich waren, wie verletzlich sie war, wie unerwartet und gefährlich das Leben sein konnte. Er war nicht gern so grausam, aber manchmal musste er es sein.

Und jetzt lag sie ganz nah neben ihm, ihre Augen weit aufgerissen, ihre Lippen blass, ihre Hände zu Fäusten geballt, während sie dagegen ankämpfte, ihn nicht sehen zu lassen, wie erschüttert sie wirklich war.

Es tut mir leid, Blue, dachte Cord beinahe hilflos. Du hattest Recht. Sie ist es wert, beschützt zu werden. Es gibt schon viel zu viel Dunkelheit, viel zu viel Kälte.

Als Raine sich auf die Lippe biss, um nicht noch einmal leise aufzuschreien, konnte er es nicht länger ertragen. Er wusste, er sollte das nicht tun, dennoch nahm er sie in seine Arme. Seine Hände waren sanft und nicht hart. Seine Kraft schützte sie und bedrohte sie nicht länger. Mit seinen langen, schlanken Fingern strich er ihr über das Haar. Seine Stimme war tief und ruhig, und seine Arme boten zuverlässigen Schutz.

»Es ist schon in Ordnung«, murmelte er und strich ihr zerzaustes Haar mit der Hand glatt. Er drückte ihren Kopf an seine Brust und hielt sie ganz fest, ohne sie wirklich einzuengen. Trost, keine Gefangenschaft wollte er ihr bieten. »Ich werde Ihnen nichts tun. Und es tut mir verdammt leid, dass ich Ihnen Angst eingejagt habe. Sie sind bei mir in Sicherheit, immer. Das verspreche ich Ihnen, Raine.«

Sie konnte ihre Reaktion auf seine Worte genauso wenig kontrollieren wie die Schauer, die noch immer durch ihren Körper liefen. Sie legte die Hände gegen seine Brust, ihre Finger krallten sich in sein Hemd und suchten seine Kraft und seine Stärke unter dem dünnen Stoff. Seine Worte wurden unverständlich, sie hörte nur noch ihren dunklen, samtigen Klang, der durch ihre Furcht drang und ihren Verstand beruhigte, wie seine Kraft ihren Körper beruhigte.

Er hatte ihr gezeigt, wie zerbrechlich ihre sichere Welt in Wirklichkeit war. Das Wissen, dass er sie auch beschützen würde, war eine Erleichterung.

Mit einem letzten, zittrigen Atemzug erlangte Raine ihre Beherrschung zurück. Als sie zu Cord aufblickte, hatten ihre Tränen eine silberne Spur durch den Staub auf ihrem Gesicht gezogen. Sie fühlte seinen Atem, sah, wie seine Augen sich veränderten, wie seine dunkle Iris größer wurde, während er sich ihre Züge einprägte und den Glanz der Tränen auf ihren Wangen. Warme Finger glitten unter ihr zerzaustes Haar, dann beugte er sich vor und küsste die Tränen von ihren Augenlidern.

»Es tut mir so leid.« Seine Stimme war rau. »Ich wünschte, verdammt, ich hätte Ihnen keine Angst gemacht, Raine ... ein so wunderschöner Name, wunderschöne Augen, ein wunderschöner Geist ...«

Sein Mund berührte den ihren so leicht, dass sie glaubte, sie hätte sich das nur eingebildet. Doch den silbernen Schein ihrer Tränen auf seinen Lippen bildete sie sich nicht ein und auch nicht die leichte Anspannung seines Körpers, der dem ihren noch so nahe war, genauso wenig wie das warme Gefühl der Erregung, das sich in ihr ausbreitete. Ihr stockte der Atem auf eine Art, die mit Furcht nichts zu tun hatte. Ein Schauer lief durch ihren Körper, doch es war Hitze und keine Kälte.

Er fühlte ihr unbewusstes Zittern. Er hob den Kopf und sah sie mit seinen blassen, eindringlichen Augen an. »Ist mit Ihnen alles in Ordnung?«

Sie nickte, weil sie ihrer Stimme nicht traute. Doch dann flüsterte sie zögernd: »Es tut mir leid.«

Er strich ihr ein paar Strähnen ihres dichten braunen Haares aus dem Gesicht. »Was?«, wollte er wissen.

»Dass ich so ... kindisch war.«

»Wir benehmen uns alle wie Kinder, wenn wir überrascht werden.«

»Sie nicht.«

Das blauschwarze Innere von Cords Augen wurde ganz groß. Sie glaubte ihn zu kennen, als hätte sie seine Akte gelesen. Doch er wusste, dass sie seine Akte nicht kannte. »Wie meinen Sie das?«

»Niemand hat Sie überrascht, schon seit langer Zeit nicht mehr.« Ihre Stimme war leise und doch entschieden.

»Sie haben mich überrascht, gerade jetzt.« Er sah sie mit einer Eindringlichkeit an, die beinahe greifbar war. »Sie sind eine ungewöhnliche Frau, Raine Smith. Sehr ungewöhnlich. Und sehr schön.«

Automatisch schüttelte sie den Kopf. Ihr kastanienbraunes Haar fiel ihr ins Gesicht und über ihre volle Unterlippe. Mit einer ungeduldigen Bewegung schob sie sich das Haar hinter die Ohren. Sie fand sich nicht attraktiv und schon gar nicht schön. Wenn ein Mann ihr Komplimente machte, war das bedeutungslose Schmeichelei. Es irritierte sie, dass die Männer anzunehmen schienen, sie wäre zu dumm, um in einen Spiegel zu schauen und darin die Wahrheit zu entdecken.

Als Cord fühlte, dass sie sich von ihm zurückzog und ihr Körper sich anspannte, gab er sie langsam wieder frei, obwohl er sich wünschte, sie noch länger in seinen Armen halten zu können. Doch fühlte er, dass sie gegen ihn ankämpfen würde, wenn er versuchte, sie noch länger festzuhalten. Und das mit Recht. Er hatte keine Entschuldigung, sie noch länger zu halten, nur sein eigenes, unerwartetes und drängendes Bedürfnis, sie in seinen Armen zu halten.

Zögernd zwang er sich, sie vollkommen freizugeben. Er hatte bereits jetzt das Gefühl, als hätte er dem faszinierendsten Schmetterling, den er je gesehen hatte, die Flügel ausgerissen. Er wollte sich nicht vorkommen, als hätte er sie vergewaltigt.

Vorsichtig setzte Raine sich auf, sie sagte sich, dass sie erleichtert war, dass er sie endlich freigegeben hatte. Doch das glaubte sie nicht wirklich. Es war eine Sache, angegriffen zu werden. Doch es war etwas ganz anderes, festgehalten zu werden, als sei sie zerbrechlich und kostbar.

Cord hinderte sie nicht daran, sich aufzusetzen. Doch als sie nach ihrem Rucksack griff, schoss seine Hand vor und schloss sich um ihr Handgelenk.

Sie keuchte auf und wirbelte zu ihm herum.

Er blickte auf den Rucksack in ihrer Hand. In dem gleichen Augenblick, als sie danach gegriffen hatte, hatte er sich daran erinnert, dass er diesen formlosen Sack nicht durchsucht hatte. Leicht konnte sich darin eine Waffe verbergen.

»Sie trauen mir noch immer nicht, nicht wahr?«, fragte sie, und in ihrer Stimme mischten sich Überraschung und Enttäuschung.

Er sah lange in ihre erschrockenen braunen Augen. Dann gab er ihr Handgelenk langsam wieder frei und ließ ihre sanfte Haut und ihre zierlichen Knochen unverletzt los.

»Zu siebenundneunzig Prozent bin ich sicher, dass Sie diejenige sind, die Sie zu sein behaupten. Die anderen drei Prozent«, fügte er hinzu, »könnten meinen Tod bedeuten.«

Sie ließ den Rucksack los, als hätte sie sich daran verbrannt. »Ich wollte nur meinen Kamm aus dem Rucksack holen.«

»Dann holen Sie ihn.«

»Nein. Sie holen ihn. Und lassen Sie sich Zeit. Wir werden uns beide sicherer fühlen, wenn Sie hundert Prozent sicher sind.«

»Nichts ist hundert Prozent sicher, nur der Tod.«

Er streckte seinen langen Arm aus und griff an ihr vorbei. Mit ihren Schuhen fing er an, er bog die Sohle durch, dann reichte er sie ihr. Schließlich nahm er den Rucksack auf seinen Schoß und öffnete ihn.

Während Raine sich die Schuhe anzog, durchsuchte er den Inhalt des blauen Rucksacks und suchte nach ihrem Kamm. Er fand nichts, das ihn misstrauisch machte. Ganz sicher nichts, was gefährlich war. Was sie bei sich trug, war genauso unschuldig wie sie. Oder so schien es wenigstens.

Diese verdammten drei Prozent.

Seine schlanken Finger berührten den Skizzenblock, den sie benutzt hatte. Seine Ausbildung verlangte, dass er sich ansah, was sie geschrieben oder gezeichnet hatte, doch er zögerte. Er wollte nicht noch weiter in ihre Privatsphäre eindringen, als er es bereits getan hatte.

Seine eigene Reaktion überraschte ihn. Um es noch genauer zu sagen, sie erschreckte ihn. In der Vergangenheit war er nie besonders pingelig gewesen, wenn es darum ging, jemanden zu durchsuchen, das schloss sogar die Durchsuchung von Körperöffnungen ein. Er tat, was getan werden musste, um seine Arbeit zu erledigen.

Als Cord sich wieder zu Raine umwandte, hielt er ihren Kamm in seiner linken Hand. In der rechten Hand hielt er den Skizzenblock. Er reichte ihr den Kamm. Er bemerkte – wie er alle Einzelheiten bemerkte, wie klein sie auch immer sein mochten –, dass der Kamm benutzt war, dass ihm keine Zähne fehlten und dass er sauber war, bis auf ein paar kleine Fusseln aus dem Rucksack.

»Darf ich?«, fragte er und hielt den Skizzenblock hoch.

»Natürlich.«

»So natürlich ist das gar nicht. Aber danke, dass Sie mir erlauben, neugierig zu sein.«

»Wie ich schon sagte«, gab sie zurück. »Wir werden uns danach beide besser fühlen.«

Sie nahm ihm den Kann aus der Hand und begann, ihr schulterlanges Haar zu kämmen. Sie kämmte sich sorgfältig und benutzte den rechten Arm, der die volle Wucht des Falls hatte aushalten müssen. Dabei ignorierte sie den Schmerz in ihrem Oberarm. Wenn es nötig gewesen war, so war sie schon mit gebrochenen Rippen über Hindernisse gesprungen, mit einer leichten Gehirnerschütterung und einem Ermüdungsbruch in ihrem Fuß. Ein paar Abschürfungen bedeuteten da gar nichts.

Mit schnellen, geschickten Bewegungen durchsuchte Cord auch noch den Rest des Rucksacks. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Skizzenblock. Schnell blätterte er ihn durch, mit einem kurzen Blick erfasste er alles. Was er sah, beeindruckte ihn. Blues Tochter konnte überhaupt nicht zeichnen, doch besaß sie ein ausgezeichnetes Einfühlungsvermögen, wie die Landschaft auf Mensch und Tier wirkte.

Nachdenklich schloss Cord den Notizblock wieder und sah sie an. Ihr Haar lockte sich gerade genug, um ihm Dichte und Fülle zu geben und auch eine Art eigenen Willen. Die Locken zeigten eine störrische Tendenz, sich an den Enden nach oben zu biegen, ganz gleich, wie sehr sie versuchte, sie glatt anliegen zu lassen. Das schräg einfallende Sonnenlicht zauberte goldene und rote Lichter in ihr Haar und verlieh ihm den Anschein, sonnengebleicht zu sein, dabei schimmerte es lebendig und warm.

Raine war bei weitem nicht so fasziniert von ihrem Haar wie Cord. Sie kämmte es einfach nur und zuckte ab und zu zusammen, weil ihr verletzter Arm schmerzte, wenn sie versuchte, die Knoten aus ihrem zerzausten Haar zu lösen. Doch die Grimassen, die sie dabei zog, zeugten eher von Ungeduld als von Schmerz. Ihr volles Haar flog in alle Richtungen und knisterte vor statischer Elektrizität in der trockenen, windigen Luft.

»Verflixte Hölle«, murmelte sie und versuchte vergebens, ihr Haar zu bändigen.

Ihr Arger wurde noch größer, als es ihr endlich gelang, mit einer Hand ihr Haar zu fassen und sie dann den Klipp nicht fand, mit dem sie das Haar zusammenhalten wollte. Er musste heruntergefallen sein, als sie mit einer solchen Wucht zu Boden gestoßen wurde. Sie sah sich um, doch konnte sie ihn nirgendwo entdecken.

Vielleicht hatte Cord ihn.

Als sie sich zu ihm umwandte, beobachtete er sie; der Rucksack lag in seinem Schoß, den Notizblock hielt er in der Hand. Auf seinem Gesicht lag ein belustigtes, männliches Lächeln. Noch nie hatte ein Mann sie so angesehen. Die Erkenntnis, dass es ihm Spaß machte, ihr zuzusehen, wie sie ihr Haar kämmte, trieb ihr eine heiße Röte ins Gesicht.

Es war keine Verlegenheit. Genau wie sein Lächeln, so war auch dieses warme Gefühl neu für sie.

»Nun?«, fragte Raine und zog die linke Augenbraue hoch. »Haben Sie die Geheimnisse des Dritten Weltkrieges in meinem Rucksack gefunden?«

»Wasserflasche, Stifte, Peitsche, Skizzenblock, Tonbandgerät, Film, ein Apfel, ein Schokoriegel, ein elastischer Verband und eine Schnalle.«

»Eine Schnalle? Zeigen Sie mir die.«

Cord streckte die Hand in den Rucksack und holte eine Schnalle heraus, nicht größer als sein Daumennagel. Raine ließ ihr Haar los und beugte sich vor, um besser sehen zu können. Der Wind wehte Strähnen ihres Haares über seine Finger. Er musste sich bemühen, sich die seidigen Strähnen nicht um seine Finger zu wickeln und sie auf seinen Schoß zu ziehen, in seine Arme. Er verlangte nach ihr, mit einer Macht, die ihn erschütterte.

Doch nichts von seinem wilden Verlangen war zu sehen. Dafür sorgte er. Wenn sie es gesehen hätte, wäre sie aufgestanden und wie der Teufel vor ihm davongelaufen.

»Da ist sie also«, murmelte sie. »Ich war gerade dabei, Devs Zaumzeug zu polieren, als Captain Jon mich rief. Ich hatte keine Zeit mehr, die Schnalle dorthin zu legen, wohin sie gehörte, und ich wollte sie auch nicht verlieren, also habe ich sie an einen sicheren Ort gelegt.«

»Wie lange ist das denn schon her?«, fragte Cord. In seiner Stimme verbarg sich ein Lachen.

»Fünf Wochen«, gestand sie ihm. »Ich lege immer Sachen an sichere Orte und vergesse dann, wohin ich sie gelegt habe. Captain Jon schwört, dass ich einen Aufpasser brauche.«

»Haben Sie den denn nicht?« Auch wenn Cords Stimme lässig klang, so blickten seine Augen doch mit brennender Eindringlichkeit. Blue hatte nichts von einem Liebhaber gesagt, doch Väter waren normalerweise nicht die Ersten, die von solchen Dingen erfuhren, auch nicht Väter wie Chandler-Smith.

»Nein. Und wenn ich einen hätte«, fügte Raine hinzu, »dann würde ich den auch noch verlieren.«

»Das käme ganz auf den Mann an«, erklärte Cord schnell und lächelte. Doch jetzt lag kein Lachen mehr in seiner Stimme. Stattdessen klang eine Mischung von Gefühlen heraus, die viel zu komplex waren, um sie zu erklären oder ihnen einen Namen zu geben.

Ihre Augen weiteten sich, und sie sah den Mann an, der ihr so nahe war und der sie mit beunruhigender Eindringlichkeit beobachtete. Befangen hob sie den rechten Arm, um ihr Haar festzuhalten, das ihr über die Schulter fiel – und über seine Hand. Bei der Bewegung zuckte sie unwillkürlich zusammen.

Doch es war ihm nicht entgangen. Seinen blassen Augen entging gar nichts. »Sie haben sich verletzt.«

»Es ist nichts«, wehrte sie ab und meinte das auch.

»Lassen Sie mich sehen.«

»Es ist wahrscheinlich nur eine Abschürfung oder ein blauer Fleck.«

Er wartete und streckte seine Hand aus. Er strahlte eine Art Autorität aus, die von seiner übermächtigen Stärke kam.

Brummend schob sie den Ärmel ihrer verwaschenen blauen Bluse über den Ellbogen. »Sehen Sie?«

Er sah den roten Striemen auf ihrer glatten Haut. Er begann gleich über ihrem Ellbogen und verschwand dann unter dem Stoff der Bluse. Die Bluse war an der Schulternaht eingerissen, durch den Riss erkannte er, bis wohin der Striemen ging. Kleine Tropfen Blut glänzten darauf.

Er steckte einen Finger in den Riss und zog daran; er ließ ihr keine Zeit zu protestieren. Der Stoff zerriss, als sei er nur hauchdünn. Als er sah, wie aufgeschürft ihre Haut war, presste er die Lippen zusammen. Er zog ein sauberes Taschentuch aus der Tasche, benetzte es mit dem Wasser aus der Flasche in dem Rucksack und drückte dann das Taschentuch vorsichtig auf die aufgerissene Haut.

»Tut es weh?«, fragte er und sah ihr in die Augen.

Sie wollte etwas sagen, doch dann schluckte sie und schüttelte den Kopf, überwältigt von dem Schuldgefühl, das sie in seinen Augen sah.

»Es ist schon in Ordnung.« Sie legte ihm leicht die Hand auf den Arm. Die Anspannung und die harten Muskeln unter dem sandfarbenen Stoff erschreckten sie. »Cord? Mindestens zweimal in der Woche sehe ich noch viel schlimmer aus.«

»Aber dies hier haben Sie nicht selbst getan. Das war meine Schuld.«