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Sie hat keine andere Wahl, als sich ganz auf ihn zu verlassen: »Thrill of Seduction«, Romantic Suspense von Elizabeth Lowell als eBook bei dotbooks. Die Juwelierin Faith Donovan, Tochter eines Familienimperiums im Edelsteingeschäft, erhält einen sensationell guten Auftrag: Aus dreizehn Burmesischen Rubinen soll sie ein Collier für die mächtige Familie Montegeau fertigen. Aber musste Donovan International ausgerechnet den ebenso attraktiven wie unverschämten Abenteurer Owen Walker zu ihrem Schutz abstellen, der Faiths Herz gegen ihren Willen schneller schlagen lässt? Als das Treffen mit der altehrwürdigen Familie in Savannah dunkle Geheimnisse offenlegt, die niemals ans Licht gelangen sollten, kommt sie Owen schon bald näher, als sie je geplant hatte: Denn sie sind gezwungen, in die Ruby Bayous zu fliehen, die gefährlichen Sümpfe Savannahs, die Owen wie seine Westentasche kennt – aber in denen ihre Feinde schon auf sie lauern ... »Elizabeth Lowell ist eine der besten Autorinnen unverschämt heißer, aufregender Romane!« New York Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der romantische Spannungsroman »Thrill of Seduction« ist der vierte Band von Elizabeth Lowells Donovan-Saga, der unabhängig von den anderen gelesen werden kann und Fans von Karen Rose begeistern wird. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 631
Über dieses Buch:
Die Juwelierin Faith Donovan, Tochter eines Familienimperiums im Edelsteingeschäft, erhält einen sensationell guten Auftrag: Aus dreizehn Burmesischen Rubinen soll sie ein Collier für die mächtige Familie Montegeau fertigen. Aber musste Donovan International ausgerechnet den ebenso attraktiven wie unverschämten Abenteurer Owen Walker zu ihrem Schutz abstellen, der Faiths Herz gegen ihren Willen schneller schlagen lässt? Als das Treffen mit der altehrwürdigen Familie in Savannah dunkle Geheimnisse offenlegt, die niemals ans Licht gelangen sollten, kommt sie Owen schon bald näher, als sie je geplant hatte: Denn sie sind gezwungen, in die Ruby Bayous zu fliehen, die gefährlichen Sümpfe Savannahs, die Owen wie seine Westentasche kennt – aber in denen ihre Feinde schon auf sie lauern ...
»Elizabeth Lowell ist eine der besten Autorinnen unverschämt heißer, aufregender Romane!« New York Times
Über die Autorin:
Elizabeth Lowell ist das Pseudonym der preisgekrönten amerikanischen Bestsellerautorin Ann Maxwell, unter dem sie zahlreiche ebenso spannende wie romantische Romane verfasste. Sie wurde mehrfach mit dem Romantic Times Award ausgezeichnet und stand bereits mit mehr als 30 Romanen auf der New York Times Bestsellerliste.
Elizabeth Lowell veröffentlichte bei dotbooks bereits ihre historischen Liebesromane »Begehrt von einem Ritter«, »Verführt von einem Ritter« und »Geküsst von einem Ritter« sowie ihren Thriller »48 Hours – Rette dein Kind« Außerdem veröffentlichte sie ihre Romantic-Suspense-Romane »Dangerous Games – Dunkles Verlangen«, »Dangerous Games – Tödliche Gier« und die Donovan-Saga mit den Bänden »Thrill of Temptation«, »Thrill of Desire«, »Thrill of Passion« und »Thrill of Seduction«.
Die Website der Autorin: elizabethlowell.com
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eBook-Neuausgabe Oktober 2023
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2000 unter dem Originaltitel »Midnight in Ruby Bayou« bei William Morrow, an imprint of HarperCollins Publishers Inc., New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2001 unter dem Titel »Rubinträume« bei Goldmann.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2000 by Two of a Kind, Inc.
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2001 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Bertelsmann GmbH
Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Dmitrieva Katerina, Bananen, ER_09, anetta
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)
ISBN 978-3-98690-850-8
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Elizabeth Lowell
Thrill of Seduction
Roman: Die Donovan-Saga 4
Aus dem Amerikanischen von Elke Iheukumere
dotbooks.
Für meine wunderbare TochterHeather Maxwell,die mir Faith’ Musik gab und mirvom »Hauswein« des Südens erzählte.
Sie brachten mir Rubine aus der Mine,Und hielten sie in die Sonne ...
Gezeiten, die jedes benachbarte Leben wärmen,Sind gefangen in dem leuchtenden Stein.Als Feuer, um diesen rötlichen Schnee zu schmelzen,Um das verzauberte Eis zu brechen,Und den roten Fluss der Liebe fließen zu lassen –Wann wird die Sonne aufgehen?
RALPH WALDO EMERSON
St. Petersburg
Januar
Die öffentlich zugänglichen Räume waren für die Diebe zu schwierig, Gebäude von drei oder vier Stockwerken, in denen Jahrhunderte von Kunst und Kunstwerken aufbewahrt wurden, gesammelt von Herrschern, deren Launen für ihre Untergebenen den Atem des Lebens bedeuteten. Raum um Raum war angefüllt mit außergewöhnlichen Skulpturen, uralten Ikonen und enormen Wandbehängen, Gemälden, die einen Engel zum Weinen bringen und Heilige neidisch machen konnten, Unmengen an Gold und Silber und Edelsteinen, die nicht einmal die größte Habgier des Menschen sich vorstellen konnte.
In den dunkelsten Stunden der frühen Nacht des Januars gab es nur die Zeit und das Geräusch der ausgetretenen Stiefel der Wachen auf dem Marmorboden, der früher nur die polierte Arroganz des Zarentums gekannt hatte. Das leiseste Geräusch hallte wider in den langen herrlichen Fluren mit den vergoldeten und gewölbten Decken, gestützt von Pfeilern, die so groß waren wie die alten Götter.
Selbst die über hundert der Öffentlichkeit zugänglichen Räume reichten nicht aus, um alle drei Millionen Stücke des Schatzes auszustellen. Die weniger wertvollen Stücke oder diejenigen, die im Augenblick nicht in Mode waren, wurden im Labyrinth der Keller verwahrt, wo der glänzende Marmor bröckelndem Putz und von Ratten zerfressenem Holz Platz machte. Staub lag wie schmutziger Schnee auf jeder Oberfläche. Die Bürokraten, die früher einmal die kaiserlichen Sammlungen aufgelistet und katalogisiert hatten, waren schon vor langer Zeit verschwunden, weggeschickt von einer Zivilregierung, die kaum die Kugeln für die Soldaten aufbringen konnte.
Drei Frauen und zwei Männer bewegten sich schnell durch die schmalen unterirdischen Flure. Gefangen in dem Strahl der Taschenlampen sah der menschliche Atem aus wie weiße Wolken. Der Fluss Neva vor dem Museum war zugefroren. Genau wie alles andere in St. Petersburg, das sich elektrischen Strom nicht leisten oder ihn nicht stehlen konnte. Abseits der öffentlichen Räume, in denen ausländische Diplomaten, Würdenträger und Touristen die kaiserlichen Schätze anstarrten, befanden sich die Gebäude in einem schlechten Zustand. Die erstklassigen Kunstwerke – Gemälde von Rubens, da Vinci und Rembrandt – wurden gut unterhalten. Der Rest der Schätze des Zaren musste so abgehärtet sein wie das russische Volk, um zu überleben.
Einer der Diebe schloss einen großen Raum auf und knipste das Licht neben der Tür an. Nichts geschah. Jemand fluchte, doch wirklich überrascht war niemand. Jeder in der Stadt stahl Glühbirnen für den eigenen Gebrauch.
Mit Hilfe einer Taschenlampe, die ihr Partner hielt, machte sich die dunkelhaarige Frau an einem riesigen, alten Safe zu schaffen. Die Zuhaltung klemmte. Die Tür quietschte wie ein abgestochenes Schwein, als die Frau sie öffnete.
Das metallische Knirschen störte sie nicht. Selbst wenn die Wachen oben es hören könnten, würden sie weiter ihre Runden in den warmen, leeren Hallen und den kaiserlichen Räumen drehen. Die Wachen wurden nicht gut genug bezahlt, um merkwürdigen Geräuschen nachzugehen. Kein halbwegs intelligenter Einwohner der Stadt schnüffelte im Dunkeln herum und brachte sich selbst in Schwierigkeiten. Davon gab es im normalen Licht sowieso schon genug.
Flüsternd machten sich die Diebe ans Werk, öffneten Fächer und Schubladen. Ab und zu grunzte einer von ihnen oder zog scharf den Atem ein, wenn er ein ganz besonderes Schmuckstück entdeckte. Wenn ihre Hände zögerten, sprach die dunkelhaarige Frau in knappen Worten. Sie hatte ihre Befehle: Nimm nur die unauffälligen Stücke, die vergessenen Stücke, den namenlosen Flitterkram, die einfallslosen Geschenke lange verstorbener Aristokraten oder Händler oder ausländischer Offizieller, die sich von den Zaren eine Gunst erhofften. Das waren die Stücke, die in den kaiserlichen Inventurlisten als »Broschen, Perlen mit rotem Stein in der Mitte« aufgeführt waren oder als »Mieder, blaue Steine von Diamanten eingerahmt«. Keines der Stücke war wertvoll genug, um auf den kaiserglichen Porträts in den oberen Räumen abgebildet worden zu sein. Keines erschien auf den Fotos der kaiserlichen Juwelen. Sie waren herrlich anonym.
Aber oh, die Verlockung war groß, eines der weniger unauffälligen Stücke, der gefährlichen Stücke, zu nehmen. Das Prickeln, einen Smaragd so groß wie ein Hühnerei in der Hand zu halten, zweihundert Karat eines Saphirs in einer mittelalterlichen Schnalle oder eine Hand voll Diamantarmbänder in die Tasche zu schieben, einen Rubinring von zwanzig Karat in einer geheimen Tasche hinter dem Gürtel verschwinden zu lassen ...
Mehr als einmal in der Vergangenheit war so etwas passiert. Eine schnelle Bewegung außerhalb des Lichtkreises einer Taschenlampe, das plötzliche Gewicht des Reichtums an einem Schenkel oder am Bauch zu fühlen. Inmitten all der Kilos von Flitterkram, wer würde da schon ein paar Gramm vermissen?
Es geschah wieder in dieser Nacht.
Einer der Männer stahl methodisch jedes fünfte Schmuckstück, das in dem Durcheinander in der langen Schublade lag. Als er damit fertig war, öffnete er eine weitere Schublade. In dieser lagen die Schmuckstücke ordentlich sortiert, jedes Stück war nummeriert, mit einem Anhänger versehen, und lag in einem eigenen Abteil.
»Nicht diese Schublade, du Dummkopf«, zischte die Frau. »Kannst du nicht sehen, dass diese Stücke viel zu wertvoll sind?«
Er konnte es sehen. Und er konnte kaum noch atmen.
Der schwache Lichtstrahl hatte einen Teil der Schmuckstücke in der Schublade zum Funkeln gebracht. Ein Rubin, so groß wie das Auge eines Götzenbildes, lag darin. In der Halskette gab es noch mehr Rubine, doch neben dem Hauptstein verblassten sie zur Unscheinbarkeit. Umgeben von Perlen, wie Schnee um das Feuer, leuchtete der Rubinanhänger und warf seinen uralten Schein von Wohlstand und Gefahr.
Er murmelte leise vor sich hin und trat einen Schritt näher an die Schublade. Er klemmte sich die Taschenlampe unter den Arm und richtete den Strahl des Lichtes von den Schmuckstücken weg. Dann rüttelte er an der Schublade, schob sie hin und her und zerrte daran, bis sie wieder geschlossen und die Halskette tief in einer geheimen Tasche seiner Hose verschwunden war.
Der Erste in einer langen, tödlichen Reihe von Dominosteinen begann zu fallen.
Seattle
Februar
Owen Walker lebte in einem karg eingerichteten Apartment mit Blick auf den Pioneer Square, einer der weniger interessanten Sehenswürdigkeiten von Seattle. Die Eingangstür war nicht sehr beeindruckend, kein fröhliches Bellen und auch kein ungeduldiges Miauen eines Kätzchens begrüßte Walker, als er sich der Tür näherte. Das, was einem Haustier am nächsten kam, war der Pilz in seinem Kühlschrank, der wuchs, während er für Donovan International eine Aufgabe in Übersee zu erledigen hatte. In der letzten Zeit war dies fast ständig der Fall gewesen.
Abgesehen davon, dass er ein neues, stärkeres Türschloss eingebaut hatte, als er das Apartment übernahm, hatte Owen sich nur wenig Mühe damit gegeben, die Wohnung gemütlich zu machen. Das Bett war groß genug für seine Größe von einem Meter achtzig. Es diente ihm auch als Couch, auf der er sich ausstreckte, wenn er den Fernsehapparat anstellte, sofern er lange genug zu Hause war, um sich auf die Pechsträhnen der Seahawks oder der Mariners oder der Sonics einzulassen.
In letzter Zeit konnte er von Glück sagen, dass er mit seinen eigenen Problemen klarkam, geschweige denn mit denen der Mannschaften, deren Mitglieder schneller wechselten als die ständigen Gerüchte. Auch der heutige Tag hatte sich in nichts davon unterschieden. Sogar die Probleme hatten Probleme. Das Neueste war die Aufgabe, die Archer Donovan ihm heute Nachmittag übertragen hatte.
Sieh nach, ob die Rubine, die Davis Montegeau Faith geschickt hat, mit denen auf der internationalen Liste der heißen Stücke übereinstimmen. Ich möchte nicht, dass der Ruf meiner Schwester als Designerin dadurch ruiniert wird, dass sie in Zusammenhang mit gestohlenen Stücken gebracht wird. Montegeau hat ihr, wie sie es beschrieben hat, vierzehn hochwertige Rubine geschickt, zwischen einem und vier Karat. Es sind lose Steine, aber sie hätten gut zu einem einzigen Schmuckstück gehören können.
Da Archer nicht wollte, dass seine kleine Schwester erfuhr, dass er seine Nase ohne ihre Aufforderung in ihre Geschäfte steckte, hatte Walker die Rubine nicht vorliegen, um damit arbeiten zu können. Alles, was er hatte, war eine mündliche Beschreibung der Stücke.
Walker hatte die letzten vier Stunden am Telefon von Donovan International verbracht und hatte mit den verschiedensten Cops in der ganzen Welt gesprochen. Dabei hatte er rein gar nichts erreicht, bis auf die Tatsache, dass sein verletztes Bein steif geworden war. Bis jetzt sah es so aus, als seien die Rubine sauber. Sein Ohr, das mittlerweile Schwielen aufwies, war der Beweis dafür. Heute Abend würde er im Internet nachsehen.
Aber zuerst musste er etwas essen.
Automatisch schloss er die Schlösser an der Tür hinter sich, hängte seinen Stock über den Türknauf und humpelte zum Kühlschrank, um nachzusehen, ob etwas darin war, was nach einem späten Mittag- oder frühen Abendessen aussah.
Sein Körper war noch immer nicht sicher, auf welchem Kontinent er sich befand. Trotz der sauberen schwarzen Hose, des frischen dunkelblauen Hemds, dessen Farbe zu seinen Augen passte, und dem gestutzten schwarzen Bart fühlte er sich wie etwas, das die Katze mit ins Zimmer geschleppt und sich dann zu fressen geweigert hatte. Jetlag – oder die Prügel einiger übereifriger afghanischer Banditen, die er in der letzten Woche über sich hatte ergehen lassen müssen – ließen ihn jedes einzelne seiner über dreißig Jahre fühlen, wie eine Beleidigung.
Die Gedanken an die katastrophale Reise nach Afghanistan schwanden schnell, als ihm der Geruch der Knoblauchwurst in die Nase stieg, die er sich gestern Abend aus dem italienischen Restaurant hatte schicken lassen. Nach dem zweiten Atemzug entschied er allerdings, dass die Wurst nicht vom gestrigen Abend war. Schon eher von vor drei Tagen. Oder vier. Vielleicht sogar fünf. Er hatte Heißhunger auf italienische Küche gehabt, als er aus Afghanistan zurückgekommen war, doch er hatte sich nicht die Mühe machen wollen, im Pike Place Supermarkt nach frischen Zutaten zu suchen. Stattdessen hatte er sich viel zu oft Essen schicken lassen, seit er mit steifen Beinen die Stufen des Firmenflugzeuges hinuntergestiegen war in den trüben Februar des nordwestlichen Pazifiks.
Vorsichtig öffnete er den Deckel der nächsten Schachtel mit Resten. Nichts darin sah grün aus, doch war wahrscheinlich sowieso nicht mehr genug übrig, um sich daran zu vergiften. Er zuckte mit den Schultern, stellte die Schachtel in die Mikrowelle und drückte auf den Knopf. Und während die unsichtbare Energie den Resten des Essens neue Energie einhauchte, entschied er sich dafür, die Mahlzeit ein frühes Abendessen zu nennen. Dazu konnte er eine der langhalsigen Flaschen Bier öffnen, die während seiner Abwesenheit geduldig auf ihn gewartet hatten.
Als die Mikrowelle endlich läutete, war er bereits im Internet und hatte sich auf die Suche nach gestohlenen einzelnen Rubinen gemacht, die größer waren als ein Karat, oder nach gestohlenen Schmuckstücken, die vierzehn Rubine von mehr als einem Karat enthielten. Während der Computer sich mit seiner Suche beschäftigte, ging er zurück in die winzige Küche, öffnete die Mikrowelle und holte sich eine Gabel aus einer der Schubladen.
Auf dem Weg zum Computer aß er den ersten Bissen seines lauwarmen Essens. Die Pasta sah aus und schmeckte wie Gummibänder, doch die Wurst war noch immer würzig genug, um ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen. Er hatte schon viel schlimmere Mahlzeiten zu sich genommen, als er das Lagerfeuer und die Rationen mit den Minenarbeitern in Afghanistan geteilt hatte.
Zwischen den einzelnen Bissen sah er sich die Liste der gestohlenen Rubine an, die von allen möglichen Menschen im Internet zusammengestellt worden war, angefangen von irgendwelchen alten Jungfern bis hin zu Interpol. Einige boten eine Belohnung an und versprachen, keine Fragen zu stellen. Andere boten eine Fundgebühr, auch sie stellten keine Fragen. Organisationen aller nur möglichen Richtungen zur Durchführung der Gesetze boten ihre Telefonnummern an und gaben einem die Möglichkeit, ein guter Bürger zu sein.
Kleinere Rubine wurden gesucht, doch die meisten davon wurden als Stücke mit nur gemäßigtem Schliff beschrieben. Von einigen wurde behauptet, sie seien Familienerbstücke, doch nach Walkers Erfahrung konnte das alles bedeuten, vom Jahr 1550 bis hin zu 1950. Es war möglich, dass die Montegeau Rubine, die Faith Donovan zu einer Halskette verarbeiten sollte, zu einer oder zu mehreren der langen, langen Liste gestohlener Erbstücke gehörten, doch das bezweifelte er. Die Daten der Veröffentlichungen reichten von letzter Woche bis zu dreißig Jahren zurück, und sie stammten aus dreiundzwanzig verschiedenen Ländern. Keine der Listen führte vierzehn erstklassige Rubine auf – in einem Schmuckstück oder lose –, die von einem Karat aufwärts gingen.
So weit die Arbeit. Jetzt zu den privaten Freuden.
Walker kratzte den letzten Rest würziger Sauce aus dem Karton, trank einen Schluck Bier und ging dann zu einer anderen Webseite über, einer Seite, die er sich oft ansah. Diese Seite gehörte zu einer internationalen Clearingstelle für den Verkauf von Schmuckstücken und Juwelen aller Art. Wie an jedem Abend, wenn er in der Nähe eines Computers war, so gab er auch heute wieder eine Anfrage ein nach Rubinen, die auf irgendeine Weise graviert oder mit Inschriften versehen waren.
Zweiundvierzig Einträge wurden angezeigt. Er sah sie rasch durch. Die meisten lagen qualitativ kaum über dem, was ein Tourist in einer verwahrlosten Gasse in Thailand finden würde. Die Skulpturen waren genauso langweilig, wie die Steine zweifelhaft waren. Bei einem Rubin von guter Qualität, auf dessen langer, flacher Oberfläche ein lachender Buddha eingraviert war, verweilte er einen Augenblick. Doch dann scrollte er weiter. Er hatte einen ähnlichen – und besseren – Rubin in seiner Sammlung.
Walker hielt inne, als er einen herrlichen, vier Karat großen Stein fand, auf dessen einer Seite ein Herz eingraviert war und ein Kreuz auf der anderen Seite. Man nahm an, dass er von einem der Kreuzzüge stammte. Sehnsüchtig sah er sich den Stein an. Wenn er unter einem Mikroskop auch nur halb so gut aussah wie auf dem Bildschirm, dann würde der Rubin eine wundervolle Ergänzung seiner persönlichen Sammlung abgeben. Er würde ein Gebot dafür abgeben, wenn der Stein kein Vermögen kosten würde.
Doch das tat er. Das Preisschild wies eine Null zu viel auf. Eigentlich sogar zwei.
»Neuer Tag, gleicher Mist«, murmelte er.
Drei Monate in Afghanistan hatten nicht viel verändert, bis auf die Art, wie er jetzt ging, doch das war auch nur vorübergehend. Er sah sich die weniger teuren Stücke an. Doch nichts, was er sah, interessierte ihn.
Walker verzog das Gesicht, stellte den Computer aus und sah sich nach etwas um, das er in den Stunden vor dem Schlafengehen tun konnte, und versuchte, nicht davon zu träumen, dass ihm Gewehrkolben den Schädel einschlugen. Einige Bücher lockten ihn, doch sein Verstand war noch immer viel zu benommen von dem Versuch, sich auf die Zeit von Seattle einzustellen, um sich seinem neuesten Projekt zu widmen: eine Art Do-it-yourself-Tour durch die deutsche Sprache, mit Hilfe eines deutschen Buches über seltsame Edelsteine und Edelstein-Schnitzereien.
Einen Augenblick dachte er daran, das Buch in seinen Computer zu scannen und es dann durch alle neun Übersetzungsprogramme laufen zu lassen, die er hatte, um anschließend die Ergebnisse miteinander zu vergleichen. Der Gedanke ließ ein Lächeln auf seinem Gesicht erscheinen. Das letzte Mal, als er das mit einem Artikel über die führenden Edelsteinhändler Thailands gemacht hatte, hatten er und Archer und Kyle Donovan sich über die Ergebnisse kaputtgelacht.
Damals hatte Walker damit begonnen, sich selbst die deutsche Sprache beizubringen, mit dem Singsang von West Texas, zusätzlich zu seinem Akzent aus South Carolina, den er aus seiner Jugendzeit besaß. Er hatte wirkliche Fortschritte mit dieser Sprache gemacht, als Donovan International ihn nach Afghanistan geschickt hatte, um dort die Möglichkeiten zu untersuchen, in den Handel mit Rubinen einzusteigen. Walker konnte die afghanische Staatssprache sprechen, doch konnte er sie nicht lesen.
Das Geräusch von Schüssen unter ihm auf den Straßen von Seattle hörte er kaum. Es bestand keine Gefahr für ihn, wenn ein Betrunkener auf Tauben schoss, weil sie das taten, was sie am besten konnten – die Bänke im Park voll zu scheißen.
Er warf einen Blick auf die Armbanduhr aus rostfreiem Stahl an seinem Handgelenk. Noch nicht einmal fünf Uhr. Archer wäre sicher noch in seinem Büro bei Donovan International. Walker nahm den letzten Schluck Bier und wählte die private Nummer des ältesten der Donovan-Brüder.
»Ja«, kam sofort die Antwort.
»Dann bist du also wirklich damit einverstanden, mein Gehalt zu verdoppeln. Ich konnte es kaum glauben, als ich...«
»Von wegen, Walker«, sagte Archer, doch seinen Worten fehlte die Hitze. »Was hast du herausgefunden?«
»Sag deinem Bruder, dass er sich mit seiner Ahnung geirrt hat.« Kyle Donovans Ahnungen waren berühmt, oder berüchtigt, unter den Donovans. Als Frühwarnsystem für Gefahr fehlte Kyles Ahnungen die Genauigkeit, trotzdem lag er viel zu oft richtig, um sich nicht danach zu richten. »Wenn jemand nach den Rubinen sucht, die Davis Montegeau Faith gegeben hat, dann suchen sie nicht an den üblichen Stellen danach und auch nicht an den unüblichen.«
Archer schob seinen Stuhl zurück und streckte sich. »Okay. Danke. Das nachzuprüfen war wohl einfach.«
»Für dich bestimmt. Mein Ohr tut noch immer weh von den vielen internationalen Ferngesprächen.«
Archer kicherte. »Ich werde es dir vergelten.«
»Die Gehaltserhöhung?«
»Nur in deinen Träumen«, gab Archer zurück. »Heute Abend bist du zum Essen eingeladen, bei uns zu Hause. Ich habe einen neuen Job für dich. Diesmal hier im Land.«
»Mein Jetlag-Körper dankt es dir. Wer kocht denn heute Abend. Du oder Kyle?«
»Ich. Es gibt frischen Lachs, dank unseres Schwagers Jake. Und meiner Schwester Honor, wenn man der Ansicht ist, dass demjenigen, der den Fisch ins Netz geholt hat, auch Dank gebührt. Das hat nämlich sie getan.«
»Mir ist jede Ansicht recht, um frischen Lachs auf meinen Teller zu bekommen. Sonst noch etwas?«, fragte Walker voller Hoffnung.
»Meine Frau hat etwas von Schokoladenkeksen erwähnt.«
»Verflixt! Ich bin schon unterwegs.«
Archer lachte noch immer, als Walker den Hörer auflegte. Obwohl Walker als normaler Angestellter begonnen hatte, war er mittlerweile ein Freund geworden.
Doch schon Augenblicke später, nachdem er seine E-Mail gelesen hatte, nahm Archers Gesicht wieder den üblichen harten Ausdruck an. Das Gebot von Donovan International für die Entwicklung einer Silbermine in Sibirien war unterboten worden, nachdem die Abgabe der Gebote bereits offiziell geschlossen war. Die Tatsache, dass der Gewinner der Schwager eines örtlichen Gangsters war, hatte sicher etwas damit zu tun.
Er griff nach der Gegensprechanlage. »Mitchell, hol mir Nicolay. Ja, ich weiß, wie spät es dort gerade ist. In ein paar Minuten wird auch er es wissen.«
Faith Donovan legte den Block Polierschiefer beiseite, den sie benutzt hatte, um das Schmuckstück zu bearbeiten. Sie dehnte ihre schmerzenden Hände, dann beugte sie sich vor und untersuchte das Stück aus achtzehnkarätigem Gold, das eines der dreizehn Teile der Montegeau-Halskette bilden würde. Obwohl es noch kaum poliert war, war das Stück aus gebogenem Gold gleichzeitig elegant und zwanglos, es sah aus, als wäre es willkürlich gebogen.
Doch dieser Bogen war weder zwanglos noch willkürlich, er war das Ergebnis eines Design-Prozesses, der sehr präzise war und seine Wirkung nicht verfehlte. Deshalb schmerzten Faith’ Finger und Rücken, dennoch wollte sie am liebsten lächeln, trotz der frühen Dunkelheit dieses Wintertages. Selbst bei all dem unmöglichen Termindruck – kaum zwei Wochen hatte sie Zeit für eine Arbeit, die normalerweise drei Monate in Anspruch genommen hätte –, entwickelte sich die Halskette wundervoll. Ihre alte Freundin Mel würde ein einzigartiges, außergewöhnliches Schmuckstück tragen, wenn sie am Valentinstag Jeff Montegeau heiratete.
Und Faith hätte ein Paradestück für die Schmuckausstellung in Savannah, am Wochenende vor der Hochzeit. Das wünschte sie sich sehr. Obwohl die Ausstellung nur wenige Tage dauerte, war sie doch eine der wichtigsten Shows für moderne Schmuckstücke im ganzen Land. Sie musste unbedingt Aufsehen erregen. Und die Montegeau-Halskette würde dafür sorgen.
Zumindest dann, wenn sie einen Weg finden würde, die Kette zu versichern, in den Tagen von heute bis in vier Tagen, wenn sie nach Savannah flog. Die anderen Schmuckstücke waren alle versichert, weil sie genügend Zeit gehabt hatte, die Ausstellung zu planen. Doch es war nicht mehr genügend Zeit gewesen, die Rubine einem qualifizierten Schätzer vorzuführen und die Halskette trotzdem fertig zu stellen.
Bei dem Gedanken an das Versicherungsproblem runzelte sie die Stirn, dann nahm sie die Teile aus Gold und beugte sich noch einmal über die Polierscheibe. Hinter dem Fenster ihres Ladens, der zugleich ihr Atelier war, wirbelte der Wind Eisregen über den Pioneer Square. Die Straßenlaternen warfen glitzernde Lichtkreise auf das Pflaster, die den Winterabend jedoch auch nicht aufhellen konnten.
Schließlich wurde das Geräusch des Eisregens gegen die Fenster immer lauter, bis sie es sogar über dem Summen der Polierscheibe hören konnte. Schuldbewusst reckte sie sich und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Beinahe halb sechs. Sie sollte sich mit drei ihrer fünf Geschwister in der Wohnung der Donovans treffen, weil sie eine Überraschungs-Party für den vierzigsten Hochzeitstag ihrer Eltern planten. Oder wenigstens wollten sie es versuchen. Archer und seine Frau Hannah, Kyle und seine Frau Lianne und Honor und ihr Ehemann Jake waren schon seit mehreren Tagen damit beschäftigt, doch sie hatten sich noch nicht einmal über den Ort der Party einigen können.
Natürlich gefiel ihnen allen der Lärm und das Lachen dieser Familientreffen in der Donovan-Wohnung, wo jeder Donovan ein Zuhause hatte, das er ständig oder auch nur zeitweilig nutzte. Die weltweiten Geschäfte von Donovan International bedeuteten, dass mindestens einer aus der Familie ständig unterwegs war. Im Augenblick waren ihre Zwillingsbrüder Justin und Lawe in Afrika, Hannah und Archer waren gerade von einer Perlenauktion in Tokio zurückgekommen, und Jake und Honor lebten außerhalb von Seattle.
Das Vergnügen, den größten Teil der Familie unter einem Dach zu versammeln, hatte sicher etwas mit der Tatsache zu tun, dass dies bereits das dritte »Gipfeltreffen« hintereinander war.
Und sie saß hier, noch immer in ihrer alten Jeans, voll mit braunem Staub, wo sie doch eigentlich hätte helfen sollen, das Essen für sieben Leute vorzubereiten. Zehn Leute, wenn man die Babys dazu zählte.
Sicher würde ihr wieder die Aufgabe zufallen, das Geschirr zu spülen.
Mit einem Seufzer zog sie die Staubmaske und die Schutzbrille vom Gesicht. Ihr kurzes blondes Haar stand in alle Richtungen von ihrem Kopf ab. Mit den schmutzigen Fingern hindurchzufahren, würde wahrscheinlich auch nicht helfen, doch der nächste Kamm wartete in ihrer Suite in der Wohnung auf sie. Das nächste Bad auch. Sie persönlich fand, dass die Streifen des Polierschiefers auf ihrer Jeans, ihren Unterarmen und Händen einen interessanten Effekt auf ihrer ohnehin schon nachlässigen Kleidung bildeten, beinahe, als hätte sie mit Fingerfarben gespielt, doch sie wusste, dass Kyle sie gnadenlos necken würde, weil sie den Grunge Look von Seattle wieder aufleben ließ.
Nun, heute Abend würden ihre Geschwister wohl mit ihr vorlieb nehmen müssen, so wie sie war, schmutzig vom Polierstaub, mit dunklen Schatten unter den Augen, weil sie an zu vielen Abenden bis in die Nacht hinein gearbeitet hatte. Wäre sie nicht das Risiko eingegangen und hätte damit begonnen, die dreizehn Segmente der Halskette anzufertigen, ohne dass ihre Skizze endgültig akzeptiert worden war, hätte sie den Termin nie geschafft. Doch glücklicherweise hatte der Patriarch, Davis Montegeau, ihre Skizze ohne Änderungen angenommen.
Gott sei Dank war Davis ein nachsichtiger zukünftiger Schwiegervater, doch er hatte die Dinge bis zur letzten Sekunde in der Schwebe gelassen. Wäre die zukünftige Braut nicht Faith’ beste Freundin auf dem College gewesen, hätte sie den Auftrag abgelehnt, trotz der Verlockung, mit solch feinen Edelsteinen arbeiten zu können – und den kleinsten davon als ihren Lohn behalten zu dürfen. Wenn Davis nicht zugestimmt hätte, die Kette aus Gold zu fertigen anstatt aus Platin, dann hätte sie den Termin niemals schaffen können. Platin war das unnachgiebigste Material, das man für Schmuckstücke benutzte. Obwohl sie ab und zu mit Platin arbeitete, weil kein anderes Material diesen eisigen Schimmer besaß, zog sie doch die verschiedenen Farben des Goldes vor.
Faith stand auf und zog ihre lederne Schürze aus. Genau wie die lange hölzerne Werkbank zeigte auch sie Anzeichen von ständiger Nutzung. Der Prozess, Schmuckstücke zu schaffen, war so schmutzig, wie das Ergebnis elegant war. Das war etwas, was ihr Ex-Verlobter, Tony, niemals verstanden hatte oder auch verstehen wollte. Er war von Natur aus faul, daher war ihm der Gedanke zuwider, dass jemand sein Leben damit verbrachte, eine Schutzbrille zu tragen und sich über Werkzeug zu beugen, das an ihren Händen genauso oft Spuren hinterließ wie auf ihrer Werkbank. Ganz besonders, wo doch ihre Eltern wohlhabend genug waren, um sie auf einem seidenen Kissen, besetzt mit Diamanten, herumzutragen.
Faith schob die unglücklichen Erinnerungen beiseite. Anthony Kerrigan war der schlimmste Fehler in ihrem bisherigen Leben gewesen. Das Wichtigste, an das sie sich erinnern musste, war, dass Tony genau da war, wohin er gehörte: in ihre Vergangenheit.
Früher oder später würde er es endlich begreifen. Dann würde er aufhören, sie anzurufen und ihr »zufällig« zu begegnen. Doch bis dahin ...
Leise murmelnd griff sie nach dem Telefon und wählte die bekannte Nummer. Beim zweiten Läuten antwortete Kyle.
»Tut mir leid«, versicherte sie ihm schnell. »Ich weiß, ich komme zu spät. Soll ich einfach nur abschließen und nach Hause kommen?«
»Allein? Sehr unwahrscheinlich, Schwesterchen. Ich bin in zehn Minuten bei dir.«
»Das ist doch nicht nötig. Ich könnte einfach ...«
Sie sprach mit sich selbst. Mit einem verächtlichen Schnaufen legte sie den Hörer auf. Sie hatte dagegen angekämpft, einen Bewacher von Donovan International für ihr Geschäft zu bekommen, doch sie hatte verloren. Ein Teil von ihr begriff sehr wohl, dass es eine vernünftige Sicherheitsmaßnahme war, wenn schon nicht Tonys wegen, dann doch wegen der vielen Überfälle und Diebstähle, die den Pioneer Square heimsuchten.
Doch ein anderer, weniger empfindsamer Teil von ihr wehrte sich dagegen, sich von großen, anmaßenden Männern etwas sagen zu lassen. Auch wenn diese Männer ihre Brüder waren und nicht ihr tyrannischer Ex-Verlobter mit der harten Faust.
»Nein, denk nicht mehr daran«, sagte sich Faith und biss die Zähne zusammen. »Du weißt, dass du einen Fehler gemacht hast. Dich deswegen verrückt zu machen, nützt überhaupt nichts.«
Eisregen prasselte gegen die Fenster und glitt dann wie winterliche Tränen an den Scheiben hinunter. Faith betrachtete die Streifen einen Augenblick lang und dachte darüber nach, wie das Leben hätte sein können, wenn sie einen guten Mann gefunden hätte, den sie lieben könnte, so wie es ihrer Zwillingsschwester Honor gelungen war. Sie fragte sich, was es wohl für ein Gefühl war, am Tage sein eigenes Kind im Arm zu halten und in der Nacht in den Armen des Mannes zu liegen, den man liebte.
»Auch darüber solltest du nicht nachdenken«, sagte Faith laut in die überwältigende Stille hinein.
Vielleicht würde auch sie eines Tages Glück haben. Vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall wäre sie noch immer ein guter Mensch, der die Begabung hatte, Schmuck zu entwerfen und eine Familie hatte, die sie liebte. Sie hatte keinen Grund zum Jammern und sehr viel Grund zum Feiern.
Als Faith den Arbeitsraum abschloss, spielte sie mit dem Gedanken, ein Schmuckstück für ihre Mutter zu entwerfen, das sie ihr zum vierzigsten Hochzeitstag schenken konnte. Ein Geschenk für »Den Donovan«, ihren Vater, war da schon ein viel größeres Problem. Sie hoffte nur, dass ihre Brüder eine Idee hatten.
Sie hoffte es, aber sie erwartete nicht zu viel. Immerhin waren auch ihre Brüder Männer.
Um es mit einem Wort zu sagen: schwierig.
St. Petersburg
Die Neva war undurchsichtig weiß und hatte die gleiche Farbe wie der Wind, der waagerecht durch die Boulevards und die schmalen Gassen wehte. Obwohl das Zimmer Aussicht auf einen Park mit dem üblichen Monument russischen Heldentums bot – und den zerstörten Überresten von Monumenten sowjetischer Sicht der Dinge, gab es nicht viel zu sehen, nur Bündel in schwarzer Kleidung, die auf der Straße von einem Unterschlupf zum nächsten huschten. Fahrzeuge parkten für die Dauer des Sturms nicht in den Straßen, sie steckten eher irgendwo fest.
Das Zimmer war eine wundervolle Zuflucht vor dem schrecklichen weißen Winter draußen. Bunte Teppiche, die früher einmal auf der Ottomane eines Sultans gelegen hatten, bedeckten den Boden aus Nussbaumholz. Bilder, die einst in den Büros jüdischer Finanziers gehangen hatten, verliehen dem Raum den Schein von Anmut und Gelassenheit. Der Schreibtisch war massiv, ein Schmuckstück barocker Schnitzkunst, man behauptete, dass er früher einmal dem Cousin des Zaren gehört hatte. Sechs Handys lagen auf der polierten Oberfläche des Tisches.
Der Mann, dessen amerikanischer Pass besagte, dass sein Name Ivan Ivanovitsch war, zündete sich eine kubanische Zigarre an, um den Zorn zu verbergen, der seine Hände zum Zittern brachte.
Idioten. Schwachköpfe. Scheißkerle. Bezahle ich ihnen nicht das Doppelte dessen, was sie wert sind?
Doch alles, was er laut sagte, war: »Marat Borisovitsch Tarasov ist wegen eurer Schusseligkeit sehr unglücklich.«
Die schwarzhaarige Frau schwitzte so sehr, dass ihr Make-up wie schmutzige Tränen über ihr Gesicht rann. »Sie wissen, dass ich Sie und auch ihn niemals betrügen würde. Ich habe nur das genommen, was er befohlen hat. Ich habe diesen Rubinanhänger, von dem Sie sprechen, niemals gesehen.«
»Es ist das Herz der Mitternacht. So groß wie die Faust eines Babys. So rot wie das Blut, das aus deinem lügnerischen Hals rinnen wird, wenn ich ihn dir aufschlitze. Wo ist die Halskette? Wenn du es mir jetzt sagst, werde ich gnädig sein.« Eine Lüge, vielleicht sogar eine nützliche Lüge. Auf jeden Fall machte er sich nichts aus den kleineren Rubinen in der Kette, nur das Herz der Mitternacht war wichtig. »Wenn du es mir später sagst – und du wirst es mir sagen –, dann wirst du leiden.«
»Wirklich, Herr.« Sie zitterte, aber nicht vor Wut. Nackte Angst lag in ihrem Blick. Ihr Hals wäre nicht der erste, den Tarasovs Lieblingsmörder aufschlitzte, und bestimmt auch nicht der letzte. Und was noch schlimmer war, er war dafür bekannt, dass er seine Opfer vorher folterte. »Wir waren in dem Kellergewölbe, ja, aber ich habe die gleichen Befehle gegeben wie immer.«
»Und es wurde nichts durchwühlt? Hat niemand die mittleren Schubladen geöffnet?« Den Augen, so blass und undurchsichtig wie Steine, entging keine Bewegung, nicht einmal ein Pulsschlag. »Hast du auch all deine elenden Diebe ganz genau beobachtet?«
»Nur einmal. Juri hat die falsche Schublade geöffnet, doch als ich es ihm sagte, hat er sie schnell wieder geschlossen. Die Juwelen hatten alle einen Anhänger und waren nummeriert, sie waren ein Teil des kaiserlichen Inventars.«
»Jawohl, Schwachkopf, das weiß ich. Und Marat Borisovitsch weiß das auch.« Ebenso wie Tarasovs schlimmster Feind, Dmitri Sergejev Solokov, der mit ihm um die Macht kämpfte und jetzt versuchte, diesen dummen Diebstahl Tarasov in den Hals zu schieben, bis er daran erstickte. Zu stehlen war eine Sache, es war an der Tagesordnung, und deswegen gab es keinen Aufruhr. So zu stehlen, dass deine Feinde dich hängen konnten, war eine ganz andere Sache.
Wenn das Herz der Mitternacht nicht wieder auftauchte, ehe der neue Flügel der Eremitage eröffnet wurde, dann würde Tarasov hängen. Doch zuerst würde er den Mann umbringen, der als Ivan Ivanovitsch Ivanov bekannt war.
»Schick Juri zu mir«, verlangte Ivanovitch.
Juri hatte nicht denselben Mut wie die Frau. Nach zwei Minuten in Ivanovitchs Gegenwart begann der kleine Dieb zu heulen und zu flehen und bedauerte den Augenblick, als seine Gier größer gewesen war als seine Furcht.
»Ich ... ich h-habe das nicht gewollt«, stammelte Juri. »Es ... ich ...«
»Still!«
Juri holte erstickt Luft und wartete darauf, dass Ivanovitsch etwas sagte. In all seinen Träumen hatte sich Juri niemals vorgestellt, vor einem so mächtigen Mann zu stehen.
Jetzt träumte er davon, wieder zu verschwinden.
»Du hast die Kette genommen.«
Juri wimmerte.
»Wo ist sie jetzt? Sag die Wahrheit, oder du stirbst.«
»Bei den a-anderen Sachen. Ich konnte sie nicht behalten.« Ein Stein, angefüllt mit Blut und umgeben von Perlen. Er würde den Tod bringen. Er wusste es. »Ich ... ich hatte Angst davor.«
Ivanovitsch wünschte sich, er würde diesem kleinen Wurm nicht glauben, doch er tat es. Der Mann besaß nicht genügend Verstand, um zu lügen. »Welche Sendung?«
»Nach Amerika, Herr. Ich habe sie bei dem Rest versteckt.«
»Wann?«, fragte Ivanovitch scharf.
Juri schluckte, doch noch immer brachte er kein Wort heraus. Stattdessen blickte er zu seiner zweiten Cousine, die ihm gesagt hatte, wie einfach es war, reich zu werden, wenn man für Marat Borisovitsch Tarasov arbeitete.
Die schwarzhaarige Frau, die während der ganzen Unterhaltung schweigend und zitternd daneben gestanden hatte, sagte mit rauer Stimme. »Vor Wochen, Herr, so wie Sie befohlen haben.«
Ivanovitsch brauchte nicht erst auf den Kalender zu sehen, um zu wissen, dass sein eigenes Leben nur noch in Wochen gemessen wurde, wenn er nicht das Herz der Mitternacht zurückbekam. Tarasov war nicht gerade für seine Geduld bekannt.
Genauso wenig wie Ivanovitsch. »Wartet draußen in meinem Büro.«
Sobald die schwitzenden Diebe verschwunden waren, nahm er eines der vielen Handys vom Schreibtisch. Er brauchte mehrere Anläufe, um Amerika zu erreichen, doch es gelang ihm, obwohl seine Hände sich danach sehnten, etwas zu zerschlagen, statt auf die winzigen Tasten zu drücken.
Als endlich am anderen Ende eine bekannte Stimme antwortete, sprach Ivanovitsch ohne Einleitung. Sein Englisch war nicht perfekt, doch fiel es ihm nicht schwer, sich verständlich zu machen. »Was habt ihr damit getan?«
»Womit?«
»Mit dem großen Rubin, Schwachkopf. Mach dir gar nicht erst die Mühe, es zu leugnen. Ich weiß Bescheid.«
Schweigen, dann etwas, das einem Stöhnen ähnelte. »Es war nicht auf der Inventarliste, deshalb habe ich es an einen anderen Ort geschickt, auf Kommission. Das Geld hätte ich mit dir geteilt, wie immer, das weißt du doch.«
Ivanovitsch lächelte, als er die Furcht und die Verzweiflung aus der Stimme der anderen Person hörte. Er fand, dass die Menschen am ehesten zur Zusammenarbeit bereit waren, wenn sie sich vor Angst in die Hose machten. »Wohin hast du es geschickt?«
»Nach Seattle, Washington.«
»Wohin genau?«
»In ...« Man hörte, wie am anderen Ende jemand schluckte, dann sprach er weiter. »In einen Laden mit dem Namen Timeless Dreams.«
»Und wer hat den Stein jetzt?«
Wieder gab es eine Pause, erneutes Schlucken. »Faith Donovan.«
Zwei Männer, die etwas Schweres hinter sich her schleppten, gingen hinaus auf das dicke Eis der Neva. Die Spur, die sie machten, sah schwarz aus, bis einer der Männer stolperte, und das Licht aus einer Taschenlampe aufflackerte. Frisches Blut glänzte wie Rubine auf dem Eis. Sie schalteten die Taschenlampe aus und hackten mit Eisäxten eine flache Furche in das Eis, dann stießen sie mit den Füßen ihre Last hinein und gingen zurück zu den kalten Lichtern von St. Petersburg.
Yuri und seine zweite Cousine blieben zurück, doch das machte ihnen nichts mehr aus. Sie fühlten nicht einmal den kalten Wind oder den eisigen Schnee, der ihr Leichentuch wurde.
In vieler Hinsicht hatten sie sogar Glück gehabt. Ivanovitch hatte zu verzweifelt versucht, sich mit Seattle in Verbindung zu setzen, um seinen schusseligen Angestellten seine volle Kunst mit dem Messer zu zeigen. Sie waren schnell gestorben und beinahe schmerzlos.
Faith Donovan, wer auch immer das war, würde dieses Glück nicht zuteil werden.
Seattle
»Kann mal jemand drangehen? Summer möchte mir helfen, den Dill zu hacken«, rief Archer aus der Küche, als das Telefon läutete. Der Versuch, sich auf ein weiteres Gipfeltreffen mit Abendessen für die Party zum Hochzeitstag seiner Eltern vorzubereiten, trieb ihn zum Wahnsinn. Niemand war hier, der ihm beim Kochen half. Lianne steckte bis an die Ohren in Arbeit mit den Zwillingen, Jake und Honor ruhten sich aus, weil sie schon vor der Morgendämmerung hinausgefahren waren, um den Lachs zu fangen, den es heute Abend gab, Kyle und Faith waren auf dem Weg in die Wohnung, Hannah war noch immer auf der Perlenbörse, und wenn seine Nichte Summer ihm noch mehr helfen würde, musste er sich wohl nach einem Pflaster umsehen.
Im Wohnzimmer der Eigentumswohnung zuckte ein hungriger Walker zusammen bei dem Gedanken, dass Summer Archer dabei half, frischen Dill zu hacken. Sie war doch noch ein Kleinkind, das gerade laufen gelernt hatte, und Archers bevorzugtes Küchenmesser war beinahe so groß wie sie selbst. Und Summer war auch der Grund dafür, dass Walker seinen Stock in seiner Wohnung gelassen hatte, da er wusste, dass sie danach greifen würde.
Wieder läutete das Telefon.
»Walker?«, rief Archer. »Würdest du bitte den Hörer abnehmen? Es ist die Privatnummer.«
»Ja, ich gehe schon ran.«
Zögernd riss Walker den Blick von der Wand des Wohnzimmers los, an der die bezwingenden Landschaftsbilder der Matriarchin Susa Donovan hingen. Leicht humpelnd machte er sich auf die Suche nach dem Apparat. Nachdem es noch einmal geläutet hatte, fand er eines der drahtlosen Telefone auf dem Bücherregal. Er drückte den Knopf. »Bei Donovan«, meldete er sich.
»Faith Donovan, bitte.« Es war eine Frauenstimme, und sie sprach so knapp, dass es schon beinahe unhöflich war.
»Sie ist noch nicht hier. Möchten Sie eine Nachricht hinterlassen?«
»Wann erwarten Sie sie?«
»Sie könnte jeden Augenblick kommen«, antwortete Walker gedehnt und ärgerte sich darüber, dass die Frau so kurz angebunden war.
»Ich werde zurückrufen.«
»Tun Sie das, Kleine«, sagte er, doch die Leitung war bereits tot.
Er zuckte mit den Schultern, schaltete das Telefon ab und ging in die Küche. Die fröhliche gelbe Farbe der Einrichtung ließ den trüben Tag draußen vergessen. Heftiger Regen glänzte im Licht, als er an den Fenstern hinunterrann, von denen aus man eine herrliche Aussicht auf die Elliot Bay und einen Teil der erleuchteten Skyline von Seattle hatte. Er lehnte sich gegen den Tisch mitten in der Küche und sah seinem Boss zu.
»Wer war das?«, fragte Archer.
»Das hat der Anrufer nicht gesagt.«
Das große Messer zögerte über den frischen Dillzweigen und dem Koriander. Summer klammerte sich an die Knie ihres Onkels und versuchte, nach dem großen Messer zu greifen. Als ihr das nicht gelang, quietschte sie ungeduldig. Archer ignorierte sie.
»Mann?«, fragte er Walker. Archers Ton war der gleiche, den er auch seinen Geschwistern gegenüber benutzte.
»Frau.«
Archer grunzte und machte sich wieder an die Arbeit. Die Klinge des Messers grub sich in die zarten Zweige, schnell und präzise. Der kleine Haufen geschnittenen Grünzeugs wuchs rasch an. »Bist du sicher?«
»Ja. Warum?«
»Tony hat Faith in letzter Zeit belästigt. Wir haben unsere Geheimnummer ändern müssen.«
»Jemand sollte diesen Burschen mal zum Holzschuppen mitnehmen und ihm Manieren beibringen.« Auch wenn Walkers Stimme sanft klang, waren seine Augen doch so hart wie tintenblaue Steine.
»Danke, das würden wir wirklich gern tun«, meinte Archer, »aber wir haben Honor versprochen, dass wir Faith die Sache erledigen lassen wollen.«
»Das hast du Honor versprochen?«, fragte Walker. »Ist mir da vielleicht etwas entgangen, Boss?«
Summer begann jetzt ernsthaft zu schreien. Sie wollte dieses hübsche glänzende Messer haben.
»Zwillinge«, antwortete Archer lakonisch und ignorierte den kleinen zornigen Sturm an seinem Knie. »Sie kümmern sich umeinander. Honor hat gesagt, dass Faith sich wirklich darüber aufregt, dass sie sich mit einem Verlierer wie Tony verlobt hat, und wenn wir ihn jetzt verprügeln würden, würde sie sich nur noch elender fühlen.«
»Frauen. Versuche einmal, sie zu verstehen.«
Archer lachte kurz auf. »Das brauche ich nicht mehr. Ich habe meine gefunden.«
Summer schrie.
»Himmel«, sagte Walker ein wenig lauter, während er ungläubig das kleine rothaarige Mädchen ansah. »Sie hat eine Stimme wie eine Sirene, die Steroide genommen hat.«
»Genau wie ihre Tante.«
»Lianne?«, fragte Walker erstaunt und dachte an Kyles kleine, zierliche Frau. »Dieser kleine Schatz?«
»Nein. Faith. Sie kann schreien, dass sich Metall verbiegt.«
»Was du nicht sagst.« Walker lächelte schwach. »Das hätte ich mir nie vorstellen können. Eine schlanke, zierliche Dame wie sie.«
»Zierliche Dame? Faith? Meine kleine Schwester?« Archer musste fast schreien, damit man ihn bei dem Gebrüll seiner Nichte noch verstehen konnte.
Er legte das Messer beiseite, dann nahm er Summer auf den Arm, hob ihr kleines Rugbyhemd hoch und kitzelte sie mit seinem kurzen Bart am Bauch, während er grunzende Geräusche von sich gab. Das Geschrei ging in Gekicher über. Summer hatte das Messer vollkommen vergessen und griff stattdessen nach dem schwarzen Haar ihres Onkels.
»Blond, rauchig blaue Augen, schlank wie eine Gerte, traurig unter ihrem Lächeln«, erklärte Walker ruhig. »Deine kleine Schwester Faith. Zierlich.«
»Hmm«, war alles, was Archer sagte, während er die winzigen Finger aus seinem Haar löste. Er starrte in die Augen seiner Nichte, die den seinen so ähnlich waren, und fragte sich, ob er und Hannah wohl auch das Glück haben würden, eigene Kinder zu bekommen. »Es fällt mir schwer, die Heimsuchung der Brüder Donovan in ihrer Kindheit als zierlich zu beschreiben.«
»Heimsuchung, wie? Ich wette, ihr wart alle unendlich freundlich und sanft zu ihr.«
Archer warf ihm einen Seitenblick zu, während seine graugrünen Augen belustigt blitzten. »Du würdest verlieren.«
Walker lachte und dachte an seinen eigenen Bruder. Ehe Lot starb, hatten sie beide rund um den Erdball so ziemlich ihr Unwesen getrieben. Oder wenigstens Lot hatte sein Unwesen getrieben, und Walker hatte versucht, sie beide aus Schwierigkeiten rauszuhalten. Dabei hatte Walker Lot mehr als einmal zur Ordnung gerufen und hatte gehofft, ihm ein wenig Verstand einzureden – oder auch einzubläuen.
Manchmal gewinnt man, manchmal verliert man.
Lot hatte verloren, und daran war sein älterer Bruder schuld.
Keiner der grimmigen Gedanken Walkers zeigte sich auf seinem Gesicht. Er war sich dessen sicher, denn Summer streckte ihm die Arme entgegen, mit der Sicherheit eines Kindes, dem noch nie ein Erwachsener begegnet war, der es nicht liebte.
»Hier«, sagte Archer und reichte ihm Summer. »Nimm sie, ehe sie wieder zu schreien beginnt.«
»Oh-oh, ich nicht. Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich von Kindern keine Ahnung habe.« Und Walker wollte das auch gar nicht. Kinder bedeuteten, dass man für das Leben eines anderen verantwortlich war. Auf keinen Fall. Nie wieder. Er hatte den Tod seines Bruders kaum überlebt. »Sie langweilt sich sowieso schon mit der kleinen Plüschkatze, die ich ihr mitgebracht habe, und will das verdammte tödliche Messer haben, mit dem du arbeitest.«
»Und was willst du damit sagen?« Archer reichte ihm seine Nichte, rückte Walkers Hand, mit der er sie hielt, in die richtige Position und machte sich dann wieder daran, das Essen vorzubereiten.
»Ich habe ein kaputtes Bein.«
»Du bringst mich zum Weinen.«
»Ach, Archer, ich kann wirklich nicht ...«, begann Walker.
Archer sprach einfach weiter. Walkers Zögern, sich mit Kindern zu beschäftigen, war für einen Junggesellen ganz normal, aber das würde er sich abgewöhnen müssen, wenn er öfter mit den Donovans zusammen war. Da Walker sich zu einem wertvollen Freund von Archer entwickelte und auch sein Angestellter war, würde Walker einen großen Teil seiner Zeit zusammen mit den Donovans aller Altersgruppen verbringen.
»Niemand wird geboren und weiß alles über Kinder«, wehrte Archer ganz nebenbei ab. »Es ist etwas, das man lernt, wenn man mit ihnen umgeht, so wie man nach einiger Zeit einen guten Rubin von einem schlechten unterscheiden kann.«
Walker blickte in Summers strahlend graugrüne Augen. Sie waren klar, und doch ein wenig rauchig, mit den verschiedensten Tönen von Grün und einem Hauch Blau. »Wenn wir je einen Edelstein finden, der so aussieht wie ihre Augen, sind wir alle reich.«
Lächelnd holte Archer einige Zitronen aus dem Kühlschrank. Vom Eingang der Wohnung hörte man, dass eine Tür geschlossen wurde, und dann ertönten die Stimmen von Kyle und Faith, die miteinander stritten.
»... genauso komisch wie ein Unfall auf der Autobahn, Brüderchen«, gab Faith gerade zurück. »Rate einmal, welcher meiner schmutzigen Finger dir gehört?«
»Zierlich, wie?«, murmelte Archer.
Walker lächelte.
Summer erwiderte sein Lächeln. Genauso wie aus ihren Augen leuchteten auch aus ihrem Lächeln das Leben und die Unschuld. Der süße Schwung ihrer Lippen verriet ihm, dass er für sie das einzig Wichtige in ihrem Universum war.
Und er war schön.
Das Zimmer schien sich um Walker zu bewegen. Er vergaß den Schmerz in seinem Bein. Eine Sehnsucht, der er keinen Namen geben konnte und die er sich anzuerkennen weigerte, überkam ihn wie ein dunkler Blitz. Verzweifelt sah er sich nach einem sicheren Platz um, auf den er die kleine Bombe setzen konnte, die auf seinem Arm tickte.
»Ist sie nass?«, fragte Archer, ohne von den Zitronen aufzublicken, die er gerade auspresste.
»Äh, ich glaube nicht.«
»Denkst du denn, sie macht gerade in die Windel?«
»Äh ...« Walker wusste nicht, was er sagen sollte. Summer lächelte ihn noch immer an, sie bezauberte und entsetzte ihn mit ihrer unschuldigen Sicherheit seines Wertes und mit der Art, wie sie sich auf seinem Arm sicher zu fühlen schien.
»Ich habe ihre Windel gerade erst gewechselt«, erklärte Archer. »Aber manchmal verbraucht sie die Windeln wie der Blitz.«
Summer schürzte ihre dunkelrosa Lippen und sprang auf Walkers Arm auf und ab.
»Sie will einen Kuss«, erklärte Archer.
»Äh ...«
Graugrüne Augen wurden plötzlich ganz groß und feucht von Tränen. Summers kleine Finger patschten auf Walkers Lippen, als wolle sie ihn daran erinnern, wozu sie da waren.
»Ach, herrje«, sagte er. »Weine nicht, meine Süße.«
»Gib ihr einen Kuss, dann wird sie Ruhe geben.«
Zögernd senkte Walker den Kopf, bis er einen Kuss auf Summers kleinen gespitzten Mund drücken konnte. Sie sprang auf und ab und patschte noch einmal mit den Händchen auf seinen Mund.
»Sie will noch einen«, sagte Archer und bemühte sich, nicht laut aufzulachen über den verwirrten Blick in Walkers Augen.
Faith lehnte an der Küchentür, verschränkte ihre schmutzigen Arme vor der Brust und sah zu, wie ihre rothaarige Nichte einen weiteren Mann um ihren kleinen Finger wickelte. Das Lächeln, mit dem Walker Summer ansah, hatte Faith noch nie zuvor auf seinem Gesicht gesehen – zögernd, entzückt, vorsichtig und vollkommen verzaubert, alles auf einmal. Es ließ ihn so gut aussehen, dass ihr der Atem stockte.
Und ganz sicher wirkte es sich gar nicht gut auf ihren Pulsschlag aus.
»Du musst dabei ein lautes Geräusch machen«, riet Archer Walker. »Dann weiß sie, dass du es ernst meinst.«
Walker fügte seinem Kuss die passenden Geräusche hinzu. Summer küsste ihn noch einmal, mit mehr Begeisterung als mit Genauigkeit, dann krähte sie fröhlich und schmiegte sich in seinen Arm. Binnen Sekunden war sie eingeschlafen.
»Äh, Archer?« Walkers Stimme war nur noch ein Flüstern.
»Ja?«
»Sie ist ganz schlaff geworden.«
»Das ist alles Technik«, stimmte ihm Archer zu. »Gut gemacht.«
Faith lachte leise. Walker wandte sich zu ihr um. Das Lapislazuli-Blau seiner Augen überraschte sie. In den letzten Monaten, während er in Afghanistan gewesen war, um sich nach einer Quelle für ungeschliffene, unbehandelte Rubine umzusehen, hatte sie ganz vergessen, was für wunderschöne Augen er hatte. In der Tat hatte sie sich sehr darum bemüht, es zu vergessen.
»Gerade rechtzeitig«, meinte Walker und deutete mit dem Kinn auf das schlafende Kind. »Du kannst deine Nichte retten.«
»Warum sollte ich sie vor dem Paradies retten?«, fragte Faith.
»Dann rette mich.«
»Kann ich nicht. Meine Hände sind schmutzig.« Sie hielt ihm ihre Finger hin. »Außerdem siehst du ganz zufrieden aus.«
»Kinder ängstigen mich.«
»Ja, sicher.« Faith schien unbeeindruckt. »Das konnte ich sehen, als du sie zum dritten Mal geküsst hast.«
Faith ging zur Spüle und wusch sich den Schmutz von den Händen.
»Wie geht es denn mit der Montegeau-Halskette?«, fragte Archer, während er die Marinade über zwei riesige Lachsfilets verteilte. »Wirst du rechtzeitig zur Ausstellung und zur Hochzeit fertig?«
»Ganz knapp.« Sie spülte die Hände ab, schüttelte sie und wischte sie dann an ihrer Jeans ab. Die Feuchtigkeit und der Schmutz machten schmutzige Flecken auf dem verwaschenen Stoff. Sie passten zu den Schmutzstreifen auf ihren Wangen.
Archer blickte noch einmal zu Walker. Zierlich, wie?
Walker lächelte nur.
»Hast du von deiner Versicherung gehört, ob sie die Kette auf dem Weg von hier bis nach Savannah versichern?«, fragte Archer seine Schwester.
»Noch nicht.« Der Ton in Faith’ Stimme sagte ihm, dass ihn das gar nichts anging.
Wie alle älteren Brüder seit Anbeginn der Zeit ignorierte Archer das Warnsignal. »Sie werden eine Schätzung des GIA haben wollen oder von einer entsprechenden anderen Stelle.«
»Erzähl mir mal etwas Neues«, gab Faith zurück. Das Gemologische Institut Amerikas war ein Maßstab der Verlässlichkeit. Doch leider brauchten die Schätzer dieses Institutes Wochen, um so etwas zu erledigen. Sie hatte noch nicht einmal mehr eine Woche Zeit, geschweige denn mehrere Wochen. Sie konnte ganz einfach die Rubine nicht so lange aus der Hand geben und dennoch die Kette bis zum Valentinstag fertig stellen.
»Wird es ein Problem für dich sein, die Steine schätzen zu lassen?«, wollte Archer wissen.
Sie antwortete ihm nicht.
»Faith?«, fragte Archer noch einmal. Doch sein Blick sagte ihr, dass er bereits Bescheid wusste. »Du hast noch nicht einmal mehr eine Woche Zeit, ehe du abreist.«
»Ich werde mir schon noch etwas einfallen lassen.«
Noch ehe Archer eine weitere Frage stellen konnte, läutete das Telefon.
»Ich gehe schon ran«, meinte Faith erleichtert. Sie mochte es nicht, wenn ihr Bruder sie ins Kreuzverhör nahm.
Besonders dann nicht, wenn er Recht hatte.
»Es liegt im Bücherregal, in der Nähe der Bilder«, sagte Walker.
»Danke«, rief Faith über ihre Schulter. Sie fand das Telefon, nachdem es noch einmal geläutet hatte. »Hallo?«
»Faith Donovan, bitte.«
»Am Apparat.«
»Einen Augenblick, bitte.«
Es klickte in der Leitung, und der Anruf wurde weiterverbunden. Dann drang Tonys Stimme an ihr Ohr, und Faith erstarrte. »Hallo, Baby. Es hat eine Weile gedauert, deine neue Nummer herauszufinden, aber...«
»Nein, danke, ich brauche keine Alu-Wärmedämmung.«
»Warte, Faith! Leg nicht auf! Verdammt, du musst mich anhören! Ich wollte dich nicht wirklich schlagen. Ich werde es nie wieder tun. Ich liebe dich, und ich möchte Kinder mit dir und...«
»Tut mir Leid«, unterbrach sie ihn mit rauer Stimme. »Sie haben sich verwählt.«
Ruhig drückte sie auf den Knopf und beendete das Gespräch. Dann holte sie tief Luft, um sich zu beruhigen. Sie hasste es, wenn der Adrenalinspiegel stieg und die Angst sie erfasste, wann immer sie Tonys Stimme hörte. Ihn zu sehen, war noch schlimmer. Er war ein Fehler, der sich einfach nicht ungeschehen machen ließ.
Er wird es leid werden, mir ständig nachzulaufen, sagte sie sich und verzog grimmig das Gesicht. Wir reden hier ja nicht vom Liebespaar des Jahrhunderts. Er hatte eine andere Frau, während wir verlobt waren. Mein Fehler, natürlich. Ich war im Bett nicht heiß genug.
Wieder läutete das Telefon. Faith zuckte zusammen, als hätte jemand sie gekniffen.
Walker griff an ihr vorbei nach dem Telefon. Summer, die noch immer an seiner Brust lag, rührte sich nicht. Sie war es gewöhnt, auf dem Arm zu schlafen.
»Ja?«, antwortete Walker knapp. Ihm gefiel nicht, dass alle Farbe aus Faith’ Gesicht gewichen war.
»Hier ist Mitchell«, meldete sich Archers Assistent. »Ist da Walker?«
»Wie er leibt und lebt«, antwortete Walker gedehnt. »Machst du schon wieder Überstunden?«
»Ich warte nur auf meine Frau, sie wollte mich abholen. Wir gehen heute Abend ins Theater. In dieses experimentelle, wo sie noch immer die englische Sprache lernen und vom Publikum erwarten, dass sie die Wortlücken ausfüllen.«
»Das hat sie sich sicher ausgesucht, wie?«, fragte Walker und lächelte. Mitchell und seine Frau wechselten sich bei der Wahl ihrer Freizeitaktivitäten ab.
»Und was war dein erster Gedanke?«, gab der Assistent zurück.
»Du brauchst Archer?«
»Eigentlich habe ich dich gesucht. Erinnerst du dich an den Vertrag in Myanmar? An den Mann, von dem du mir sagtest, er könnte uns einige gute Rohrubine bringen?«
»Ich erinnere mich.«
»Von ihm ist ein Päckchen gekommen.«
»Tickt es?«, fragte Walker.
»Bis jetzt ist alles in Ordnung.«
»Ich werde kommen und es abholen. In zehn Minuten bin ich da.«
Er beendete das Gespräch und sah Faith an. Sie begegnete seinem Blick mit störrischem Trotz. »War das Tony?«, fragte Walker sie ohne Umschweife.
»Jemand hat sich verwählt.«
Walker grunzte, er glaubte ihr kein Wort. »Nimm deine Nichte. Ich muss kurz ins Hauptquartier und dort ein Päckchen abholen.«
Archer kam gerade in dem Augenblick ins Wohnzimmer, als Walker Summer an Faith weiterreichte. Er sah von Walker zu Faith. »Gibt es Schwierigkeiten?«
»Nein«, antwortete sie kühl. »Summer ist nass. Ich werde ihre Windeln wechseln.«
Auch das glaubte Walker ihr nicht, doch er sagte nichts.
Archer wartete, bis Faith das Zimmer verlassen hatte, dann fragte er leise: »Wer hat da eben angerufen?«
»Mitchell war der zweite Anrufer. Ich werde ein Päckchen mit Rubinen abholen von unserem neuen Kontaktmann in Burma. Ich wette, der erste Anrufer war ihr sie noch immer liebender Ex.«
»Dieser Hurensohn.«
»An seinen besten Tagen vielleicht«, meinte Walker. »Ansonsten ist Tony die reinste Hühnerkacke.«
Archer fuhr sich mit den Fingern durch sein Haar.
»Sie kommt schon zurecht damit«, meinte Walker.
»Das würde lieber ich für sie übernehmen.«
Das hätte Walker auch lieber getan, doch er war noch nicht einmal mit ihr verwandt, deshalb wollte er es lieber nicht laut aussprechen. Der Reiz, den Faith auf ihn ausübte, war im besten Fall unglücklich. Im schlimmsten Fall wäre es eine Katastrophe.
Mit einem letzten Fluch verbannte Archer Tony aus seinen Gedanken. »Geh in Faith’ Laden und sieh dir diese Montegeau-Rubine einmal an, dann kommst du wieder her.«
Walker zog die Augenbrauen hoch, doch alles, was er sagte, war: »Wann?«
»Gestern. Spätestens morgen.«
»Was ist denn mit der Sendung Rubine, die du aus Afrika erwartest? Soll ich sie noch immer für dich schätzen?«
»Verdammt.« Archer fuhr sich noch einmal mit der Hand durch sein Haar. »Das machst du morgen als Erstes. Dann gehst du zu Faith’ Laden. Ich möchte, dass du in dem Laden bleibst, bis ich einen Wachmann für sie besorgt habe, der den Laden rund um die Uhr bewacht.« Er runzelte die Stirn und schob in Gedanken die verschiedenen Projekte der Donovans und ihre besonderen Bedürfnisse hin und her. Wie es schien, verbrachte er in letzter Zeit den größten Teil seiner Zeit damit, Wachleute anzustellen, und noch immer hatte er nicht genügend Leute, denen er vertrauen konnte. Nicht, wenn es um seine Schwester ging. Er würde zwar nicht gerade behaupten, dass die Welt zum Teufel ging ... aber er würde auch nicht sagen, dass sie der Himmel war. »Ich habe in der Tat vor, dich zusammen mit ihr nach Savannah zu schicken. Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann, jemanden, der die Übersicht nicht verliert.«
»Abgesehen von Tony«, wollte Walker wissen, »gibt es da noch etwas Bestimmtes, das dich beunruhigt?«
»Kyle. Er hat noch immer ein ungutes Gefühl, was die Montegeau-Rubine betrifft.«
»Wie schlimm?«
»Wirklich schlimm. Und es wird immer schlimmer.«
Walker stieß einen leisen Pfiff aus. Kyle hatte auch ein ungutes Gefühl gehabt, als es um Walkers Reise nach Afghanistan gegangen war. Walker war trotzdem gefahren.
Er war dort beinahe umgekommen.
»Eine Million Mäuse für dreizehn Rubine?« Walkers fast schwarze Augenbrauen zogen sich skeptisch hoch. Er veränderte den Griff um seinen Stock. Er brauchte ihn nicht unbedingt, doch der altmodische Stock aus Holz vermittelte den Leuten den Eindruck, dass er harmlos war. Er erinnerte ihn auch daran, wie nahe daran er gewesen war, wirklich harmlos zu sein, nämlich tot. Es würde lange dauern, ehe er wieder so dumm sein würde. »Ich müsste die Rubine sehen, ehe ich den Scheck unterschreibe.«
»Du wirst überhaupt nichts sehen«, erklärte Faith knapp. Dann blickte sie auf die Werkbank vor ihr, als wollte sie Walker daran erinnern, dass er sie in ihrer Arbeit unterbrochen hatte. »Es hat nichts mit dir zu tun oder mit meinen Brüdern.«
Walkers Blick folgte dem ihren. Das dicke, raue Holz der u-förmigen Werkbank zeigte die üblichen Kerben, Furchen und Brandflecken, die die Arbeit einer Schmuckdesignerin mit sich brachte. Zangen in allen Größen und Formen, Feilen, Lötmaterial, Brillen, Pfrieme, Klammern, Poliermaterial, ein Metallblock, auf dem gehämmert wurde, ein mit Leder überzogener Holzhammer und andere, weniger einfach zu identifizierende Werkzeuge lagen in einem Durcheinander, das für ihn zufällig schien, aber er zweifelte nicht daran, dass Faith die Hand ausstrecken konnte und alles fand, ohne danach zu suchen. Jeder, der Werkzeug benutzte, um damit sein Geld zu verdienen, wusste, wie er dieses Werkzeug zu pflegen hatte.
Mit nur mühsam beherrschter Ungeduld ignorierte Faith Walkers Neugier und wandte sich wieder den Skizzen einer Garnitur Schmuck zu, an der sie gearbeitet hatte – Halskette, Armband, Ohrringe, Brosche und Ring. Die losen Blätter mit den Bleistiftzeichnungen wurden von einem teuren Stück Lapislazuli gehalten. Faith starrte darauf. Der Stein hatte exakt denselben Ton wie Walkers Augen.
Der Gedanke ärgerte Faith. Nach der Katastrophe mit Tony hatte sie den Männern abgeschworen, doch Walker schlich sich immer wieder in ihr Bewusstsein.
Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf das große, diskret vergitterte Schaufenster von Timeless Dreams, ihrem Juweliergeschäft, in dem auch ihr Atelier untergebracht war. Ihr gesellschaftliches Leben war vielleicht ein ziemliches Desaster, aber sie war sehr stolz auf das, was sie in ihrem Beruf erreicht hatte.
Hinter dem Fenster lag der Pioneer Square mit seinem bunten Treiben von Menschen, Künstlern, Geschäftsleuten und Käufern, die an diesem frühen Februarnachmittag der Kälte trotzten. Die letzten Herbstblätter waren schon seit langer Zeit zu einer braunen Masse zertreten worden, um dann vom Winterregen davongespült zu werden. Touristen, sogar die abgehärteten Deutschen, würden erst in einigen Monaten wiederkommen. Der Regen war noch immer dabei, Straßen, Gebäude und auch die Menschen sauber zu waschen, mit der Gründlichkeit einer Katzenmutter, die ihr schmutziges Kind ableckt.
Und Walker wartete noch immer darauf, dass Faith ihm ihre Aufmerksamkeit schenkte.
»Verdammt«, murmelte sie.