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Konstantin Wecker

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Beschreibung

»Ich hab einen Traum: Wir öffnen die Grenzen und lassen alle herein.«

Wie nur wenige deutsche Künstler positionierte sich Konstantin Wecker in der Flüchtlingsfrage mit seinem Lied und vielen öffentlichen Statements klar für eine Willkommenskultur. Dafür musste er viel Häme einstecken, er sei »naiv« und ein »Gutmensch«. Doch für ihn zählen, am konkreten Einzelschicksal gemessen, nur Mitgefühl und tätige Hilfe. Hinter dem »Zahlenmaterial« sieht Wecker immer den Menschen.

Seine brillanten, für dieses brisante Buch geschriebenen Texte sind auch Zeugnisse eines lebenslangen Widerstands gegen Rechtsradikalismus und Rassismus, berühren Zeitthemen wie Kriegspolitik und ein ungerechtes Weltwirtschaftssystem, in dem der Liedermacher eine wesentliche Ursache für Flucht sieht.

Konstantin Weckers Texte zeugen von einem wachen Geist, der sich das Weltgeschehen nahe gehen lässt ― argumentierend, beschwörend, manchmal provozierend im Sinne eines radikalen Utopismus der Menschlichkeit: »Denken wir mit dem Herzen. Besiegen wir den Hass durch Zärtlichkeit.«

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Täglich vernehmen wir die Stimmen der »Vernünftigen«: die Obergrenze sei erreicht, die Zuwanderung müsse gestoppt werden, die Willkommenskultur sei höchst umstritten und Mitgefühl sei Schwäche. Millionen Menschen wird ein lebenswertes Leben vorenthalten von einer kleinen Minderheit von Superreichen – und die Stimme der »Vernünftigen« erklärt das zum Naturgesetz. Wenn das Vernunft sein soll, wird es zunehmend wichtig, die Stimme der »Unvernunft« zu Wort kommen zu lassen, die Stimme wider »die kalte Vernunft« (Arno Gruen), die Stimme des Herzens, damit diese nicht für immer verloren geht.

© Thomas Karsten

Konstantin Wecker, geboren 1947, Poet, Sänger, Komponist und Schriftsteller, engagiert sich seit Jahrzehnten für Zivilcourage, Pazifismus und Antifaschismus. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Kurt-Tucholsky-Preis (1995), dem Erich-Fromm-Preis (2007) und dem Ehrenpreis des Bayerischen Kabarettpreises (2013). Wenn er nicht gerade on tour ist, lebt er in München.

www.wecker.de

Konstantin Wecker

Dann

denkt

mit dem

Herzen

Ein Aufschrei

IN DER DEBATTE

um FLÜCHTLINGE

Gütersloher Verlagshaus

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.

Copyright © 2016 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

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Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-641-19839-8

www.gtvh.de

Vorwort

Warum bin ich mehr als ein halbes Jahrhundert lang lieber in Gedichte und Musik eingetaucht als in realpolitische Ideen oder Ideologien? Ich habe mir darüber nie Rechenschaft abgelegt. Erst jetzt, im Alter, beschäftigt mich rückblickend diese Frage. Vielleicht hat es ja mit einem Satz Fjodor Michailowitsch Dostojewskis zu tun, den ich erst jetzt zu verstehen beginne: »Mensch unter Menschen zu sein und es auch immer zu bleiben, das ist der Sinn des Lebens, das ist seine Aufgabe.«

Mensch unter Menschen sein – kein besserer Mensch unter schlechteren, kein reicherer unter ärmeren, kein schönerer unter weniger schönen, nein: Mensch unter Menschen. Ist das nicht der wirksamste Protest gegen den in unserem Wirtschaftssystem forcierten Leistungsdruck, den Selbstoptimierungswahn, der über Medien und Ratgeberbücher nach und nach unsere Gehirne kolonialisiert? Nichts Besonderes sein zu wollen, damit allein könnte man sich wohl heute von der Masse der Überindividualisierten absondern. Und ist nicht gerade das das fatale »Alleinstellungsmerkmal« rechtsgerichteter Ideologien, dass sie immer und überall Unterschiede zu konstruieren versuchen: zwischen »Leistungsträgern« und »Minderleistern«, zwischen dunkel- und hellhäutigen Menschen, zwischen dem »Eigenen« und dem »Fremden«? Und die überlegene Gruppe ist – man ahnt es – dabei immer die eigene, wie zunehmend lauttönend in Kneipen, im Wohnzimmer, auf Straßen und Plätzen beschworen wird.

Wie gut tun da Menschen, denen – wie ich in einem älteren Text geschrieben hatte – »das Leben ganz leise viel echter gelingt«. War es das, was mich hinzog zu den Poetinnen und Poeten, diese unbedingte Bescheidenheit in einer ausschließlich dem Wettbewerb, dem Schöner, Besser, Klüger und vor allem Reicher verfallenen Gesellschaft? Einer Gesellschaft, die sich ausschließlich dem Haben und nicht dem Sein verschrieben hat – um dieses treffende Gegensatzpaar zu zitieren, das Erich Fromm geprägt hat. Dabei weiß ich als Künstler am besten, dass uns nichts mit Gewissheit und für immer gehört. Nicht einmal die eigenen Lieder, die ich niemals habe, die eher durch mich hindurch als aus mir herausgeflossen sind. Der kommerzialisierte Zeitgeist will alles in eine Handelsware verwandeln, auch Kunst und Inspiration, wo es doch vielmehr darauf ankäme, dass jeder – ob prominent und ganz unbekannt – lernt, sein eigener Gesang zu sein.

Meine großartigen, leider verstorbenen Freunde, Dieter Hildebrandt, Petra Kelly, Arno Gruen, Hans Peter Dürr – um nur einige zu nennen –, einte eine wunderbare Eigenschaft: ihre Bescheidenheit. Ihre Fähigkeit, Menschen nicht nach deren Rang und Namen zu bewerten und allen immer auf Augenhöhe zu begegnen. Nicht unterwürfig, aber eben auch nie überheblich. Wirkliche Größe hat es nicht nötig, sich durch das Kleinmachen anderer zu beweisen. Die Wunden, die wir einander und der Welt zufügen, haben indes fast immer mit Unbescheidenheit und Ich-Zentriertheit zu tun. Etwa die zerstörerische Auffassung, dass der Mensch »Krone der Schöpfung« sei, dass er Mitmenschen, Tiere und Umwelt als beliebig manipulierbare und ausbeutbare Objekte behandeln könne. Und – eng damit verbunden – die Meinung, einige seien »gleicher« als andere und dürften diesen ihre Rechte aberkennen.

So sind – auch auf dem Boden des »christlichen Abendlands« – Räume reduzierter Menschenwürde entstanden, an die sich eine Mehrheit der noch Satten auf beunruhigende Weise gewöhnt hat: Gefängnisse, Kasernenhöfe, die trostlosen Wartezonen der Hartz IV-Behörden, die bedrückenden Aufbewahrungslager für Geflüchtete und die Strände von Lesbos oder Lampedusa, wo wöchentlich Schiffe voller verzweifelter, besitzloser Menschen landen. So fern uns diese Schicksale vorkommen mögen, wir können sie nicht fernhalten von unserer Seele – spätestens jetzt, da »die Probleme« vor unserer Haustür stehen: in Form von konkreten Menschen, Frauen, Männern und Kindern. Schon Hugo von Hofmannsthal schrieb in seinem wunderbaren Gedicht: »Doch ein Schatten fällt von jenem Leben in die anderen Leben hinüber, / Und die leichten sind an die schweren wie an Luft und Erde gebunden.«

Freilich, wir scheinen in unserer westlichen Gesellschaft noch eingebettet in eine gewisse Art von Wohlstand und vermeintlicher Freiheit. Dennoch hat sich auch um unsere Kehlen eine Garotte, ein Würgeeisen geschnürt, dem wir nicht entkommen werden, wenn wir nicht auf der Stelle umdenken, uns widersetzen, aufschreien, handeln. Was es dafür bräuchte, ist zunächst guter Wille. Das klingt einfach, ist aber keinesfalls selbstverständlich. Leonardo Boff, der brasilianische Befreiungstheologe, schreibt dazu – einen Satz Kants interpretierend: »Der gute Wille ist das einzig Gute, das in sich selbst gut und das unbeschränkt ist. (…) Guter Wille setzt eine Öffnung für den anderen und bedingungsloses Vertrauen voraus. Dies ist für Menschen machbar. Wenn wir mit dem guten Willen nicht ernst machen, werden wir keinen Weg aus der verzweifelten Sozialkrise finden, die ganze Gesellschaften an den Rändern der Erde zerreißt und die für die Millionen von Flüchtlingen verantwortlich ist, die sich auf den Weg nach Europa begeben haben.«

Guter Wille ist nicht alles, aber wo kommen wir hin, wenn wir nicht einmal den haben? Bei den politischen und ökonomischen Eliten, ja auch bei vielen politisch dahindämmernden »Normalbürgern« fehlt er schmerzlich. Ich habe nie allein dem Erfolg getraut, der zu einem Götzen unserer Zeit geworden ist – nicht einmal dann, wenn es um den Erfolg in einem gerechten Kampf geht. Man muss das Richtige um seiner selbst willen tun, weil man nicht anders kann, mag sich die Welt auch vom eigenen ehrlichen Gesang unbeeindruckt zeigen. Siegen können wir unter den herrschenden Machtverhältnissen nicht immer, aber wir können tun, was getan werden muss. Wir können Haltung zeigen. Der beste Wegweiser ist dabei noch immer das Herz.

Es sind kalte Zeiten, in denen das Mitgefühl obsolet wird. Sogar das Gute, das Gut-sein-Wollen selbst wird Gegenstand von Hohn und Anfeindungen. So brüchig Moralvorstellungen auch sein mögen, Güte kann noch immer ein Orientierungsmaßstab sein, der trägt, wo neue Herausforderungen an uns herangetragen werden. Daher stört die Güte diejenigen, die von ihrem Fehlen profitieren, und der Vorwurf, ein »Gutmensch« zu sein, wird gegen engagierte Menschen wie ein Giftpfeil abgeschossen. Immer wieder musste ich als Reaktion auf meine öffentlichen Äußerungen zur Flüchtlingsfrage hören: Wer zu viel Mitgefühl hat, hat keinen Verstand. Aber war es denn zu viel Mitgefühl, was uns in diese desaströse Situation gebracht hat? Oder nicht vielmehr der himmelschreiende Mangel daran?

»Wir glauben, unser Denken sei realistisch, wenn es von Mitgefühl befreit ist, von der Fähigkeit, Schmerz zu teilen, Leid zu verstehen, und vom Gefühl der Verbundenheit mit allen Lebewesen.« So schrieb mein leider unlängst verstorbener Freund, der große Psychoanalytiker Arno Gruen. »Denken wir aber ohne Mitgefühl, dann leben wir in einer Scheinwelt aus Abstraktionen, die Kampf und Konkurrenz zu den Triebkräften unserer Existenz machen. In dieser Welt der Abstraktionen dominiert die Gewalt. Ein Bewusstsein, das auf Abstraktionen basiert und das Empathische verdrängt, entfernt den Menschen von der Realität. Es führt zu den uns zerstörenden gewalttätigen Kriegen, welche die Geschichte der Zivilisationen charakterisieren.«

Dieses Büchlein versammelt Texte, die ich überwiegend 2015 geschrieben und auf Facebook, meiner Webseite und in meinem Netzmagazin »www.hinter-den-schlagzeilen.de« gepostet habe. Roland Rottenfußer, mein langjähriger bewährter Mitarbeiter und Chefredakteur des Magazins, hat zu meinen Beiträgen treffende Einleitungen geschrieben, die wir den einzelnen Kapiteln dieses Buches in kursiver Schrift voranstellen. Für Menschen, die diese Texte erst 2016 oder später lesen, erwiesen sich zudem »historische« Erklärungen als notwendig, um jeweils den tagesaktuellen Anlass meiner Stellungnahmen zu beleuchten. Roland Rottenfußer hat alle Vorspänne und Texte in diesem Sinn noch einmal neu bearbeitet und übernahm in Absprache mit mir auch die Vorauswahl.

Das vorliegende Buch ist eine Streitschrift, aber kein politisches Pamphlet. Es ruft zur Herzlichkeit auf, einer Herzlichkeit, die nicht erst eine Ideologie oder die so genannte realpolitische Vernunft befragen muss, bevor sie zur Tat wird. So wichtig eine realistische Lebenseinstellung sein mag, sie darf nicht zum Käfig werden, in den wir unsere unmittelbaren Impulse, Menschen zu verstehen, zu schützen und zu helfen, einsperren lassen. Liebevolles Sprechen und Handeln muss sich ungestört von der Vorzensur vernünftelnder Machbarkeitserwägungen entfalten können.

Was wäre denn das Gegenteil jener »Abstraktion«, von der Arno Gruen spricht? Nehmen wir an, jemand bricht direkt vor Ihnen auf der Straße zusammen – fragen Sie dann erst, ob dieser Mensch Ausländer ist oder Deutscher, Linker oder Rechter, Armer oder Reicher? Sie helfen. Oder Sie sind ein durch Ideologien verblendeter, in abstrakten Denkgebäuden gefangener Mensch. Vielleicht ist dies ja die einfachste Definition von Rassismus: kein Gefühl zu empfinden für Menschen, die einem irgendein völlig vom Menschsein losgelöstes Gedankenkonstrukt als minderwertig vorgaukelt.

Täglich vernehmen wir die Stimmen der »Vernünftigen«: die Obergrenze sei erreicht, die Zuwanderung müsse gestoppt werden, die Willkommenskultur sei höchst umstritten und Mitgefühl sei Schwäche. Millionen Menschen wird ein lebenswertes Leben vorenthalten von einer kleinen Minderheit von Superreichen – und die Stimme der »Vernünftigen« erklärt das zum Naturgesetz. Wenn das Vernunft sein soll, wird es zunehmend wichtig, die Stimme der »Unvernunft« zu Wort kommen zu lassen, die Stimme des Herzens, damit diese nicht für immer verloren geht.

Daniela Dahn, diese großartige und mutige Journalistin, schrieb im »Freitag«: »Hier zeigt sich die strukturelle Gnadenlosigkeit des Kapitalismus. Sein Eigentum ist oft gesetzlich legitimierter Diebstahl. Die westliche Leitkultur ist eine Leidkultur für die Schwachen. Die Ursachen des Flüchtlingsexodus zu bekämpfen ist deshalb so aussichtslos, weil sie im System stecken. Auf dem Weltsozialforum in Nairobi hat Bischof Tutu eine neue Weltordnung gefordert. Unter dem wird es nicht zu machen sein.«

Ja, liebe Daniela, so sehe ich das auch.

»Wer Visionen hat, solle zum Arzt gehen«, meinte seinerzeit Kanzler Schmidt. Umgekehrt wird der Satz sinnvoll: Wer keine Visionen hat, sollte dringend einen Arzt aufsuchen.

Kurz vor Weihnachten bat ich darum, über Facebook eine wunderschöne Meldung zu verbreiten:

Bei einem Angriff der islamistischen al-Shabaab-Miliz auf einen Bus im Nordosten Kenias haben die Angreifer die Passagiere des Busses aufgefordert, sich nach Christen und Muslimen aufzuteilen, um die Christen anschließend zu töten. Die Muslime aber weigerten sich, die Christen auszuliefern, sagte der kenianische Innenminister Joseph Nkaissery. (Quelle: Süddeutsche Zeitung) CNN zufolge waren etwa 100 Menschen in dem Bus. Ein Zeuge berichtet, dass die Muslime den Christen geholfen hätten, sich auf dem Dach und im Bus zu verstecken. Christlichen Frauen seien Hijabs, also muslimische Verschleierungen, gegeben worden, damit die Terroristen sie für Musliminnen halten. Die Passagiere des Busses waren mehrheitlich Frauen. Sie sollen die Terroristen aufgefordert haben, sie entweder alle zu töten oder zu verschwinden. Die Terroristen zogen sich daraufhin zurück. »Diese Muslime haben eine sehr wichtige Botschaft der Einheit ausgesandt, indem sie sagten, wir sind alle Kenianer und wir können nicht geteilt werden vom Menschen«, sagte Nkaissery.

So ist es, und meine aufrichtige Bewunderung gilt diesen 100 Menschen. Von ihnen dürfen wir lernen. Schützen wir bitte ebenso mutig die Muslime in unserem Land vor den Baseballschläger schwingenden Feiglingen, vor den brandstiftenden Rassisten, vor all jenen, die unsere »christliche Kultur« bewahren wollen und dabei so wenig Ahnung haben von Kultur wie ein Rassist vom Menschsein.

Über dreieinhalb Millionen Menschen erreichte ich mit dieser Geschichte und über dreißigtausend likten diesen Beitrag. Aber in vielen Kommentaren wurde ich beschimpft, weil ich diese »rührselige Story«, diesen »Kitsch« weiterverbreiten würde, da ja sowieso alles nur ein Produkt der Lügenpresse sei. Es schmerzt, lesen zu müssen, wie einige Menschen sich so in ihr nationalistisches Schneckenhaus verkrochen haben, dass nichts mitfühlend Menschliches sie mehr erreichen kann. Ihre Angst und ihr Misstrauen haben ihnen die Sicht auf die Welt geschwärzt, als hätten sie Tag und Nacht eine dunkle Brille aufgesetzt.

Solche Menschen werden durch meine Texte kaum zu erreichen kann. Aber vielleicht kann dieses Büchlein helfen, jene zu stärken, die den Impuls zum menschlichen Handeln in sich spüren und die sich manchmal hilflos-traurig fühlen, angesichts der Erosion scheinbar selbstverständlicher Werte überall in ihrem Umfeld. Wenn dann feige Nazibanden Unterkünfte brandschatzen, wird es immer genügend von uns geben, um uns ihnen entschlossen entgegenzustellen: »Nicht in unserem Namen! Eure Zeit ist vorbei und eure Ideologie gehört auf die Müllhalde der Geschichte.«

Das Wunder des vergangenen Jahres war und bleibt für mich die Willkommenskultur: Millionen Menschen öffneten ihr Herz und halfen den Notleidenden, den Geflüchteten. Zwar habe ich trotzig manchmal beschworen, ich würde auch weiterkämpfen, wenn ich mit meiner Meinung ganz allein stünde. Aber es ist doch weitaus schöner, sich getragen zu fühlen von vielen ähnlich Gesinnten. Und die finden sich nicht nur im linken Spektrum. Unter den Helferinnen und Helfern sind Bürgerliche wie Arbeiter, Christen wie Atheisten, Prekäre wie Situierte, Hausmänner wie Straßenkehrerinnen … Ich bin nicht allein, das ist mein Trost. Danke, dieses Buch ist auch für Euch alle. Mag Pegida noch so zetern und hetzen – wir lassen uns von Rassisten nicht die Welt verdunkeln.

Ich habe einen Traum

Sommer 2014

Die Keimzelle von Konstantin Weckers intensiver Auseinandersetzung mit der Flüchtlingsfrage war dieser Liedtext, entstanden im Sommer 2014. Er wurde später für seine im Juni 2015 erschienene CD »Ohne Warum« vertont und seitdem unzählige Male erfolgreich auf die Bühne gebracht. Wie so oft, eilte die poetische Intuition der sachlichen Reflexion im Essay voraus.

Ich hab einen Traum,

wir öffnen die Grenzen

und lassen alle herein,

alle, die fliehen vor Hunger und Mord,

und wir lassen keinen allein.

Wir nehmen sie auf in unserem Haus

und sie essen von unserem Brot,

und wir singen und sie erzählen von sich

und wir teilen gemeinsam die Not

und den Wein und das wenige,

was wir haben,

denn die Armen teilen gern,

und die Reichen sehen traurig zu –

denn zu geben ist ihnen meist fern.

Ja, wir teilen, und geben vom Überfluss,

es geht uns doch viel zu gut.

Und was wir bekommen,

ist tausendmal mehr:

Und es macht uns unendlich Mut.

Ihre Kinder werden unsere sein,

keine Hautfarbe und kein Zaun,

keine menschenverachtende Ideologie

trennt uns von diesem Traum.

Vielleicht wird es eng.

Wir rücken zusammen,

versenken die Waffen im Meer,

wir reden und singen und tanzen

und lachen,

und das Herz ist uns nicht mehr schwer.

Denn wir haben es doch immer geahnt

und wollten es nur nicht wissen:

Was wir im Überfluss haben, das müssen

andere schmerzlich vermissen.

Ja, wir teilen, und geben vom Überfluss,

es geht uns doch viel zu gut.

Und was wir bekommen,

ist tausendmal mehr:

Und es macht uns unendlich Mut.

Und die Mörderbanden aller Armeen,

gottgesandt oder Nationalisten,

erwärmen sich an unsren Ideen

und ahnen, was sie vermissten.

Ja, ich weiß, es ist eine kühne Idee,

und viele werden jetzt hetzen:

ist ja ganz nett, doch viel zu naiv,

und letztlich nicht umzusetzen.

Doch ich bleibe dabei,

denn wird ein Traum,

geträumt von unzähligen Wesen,

dann wird an seiner zärtlichen Kraft

das Weltbild neu genesen.

Ja, ich hab einen Traum von einer Welt,

und ich träume ihn nicht mehr still:

Es ist eine grenzenlose Welt,

in der ich leben will.

Der Liebe zuliebe

25. Juli 2014

In seinem Prosagedicht widmet sich Konstantin Wecker dem Geistesgift des Hasses. Dieses zeigt sich in Kriegen, in Feindbildern und der Unfähigkeit zu vergeben. Und es vergiftet – vor allem uns selbst. Im Hinblick auf die Flüchtlingsfrage war das Gedicht geradezu prophetisch.

Buddhisten ist Hass ein Geistesgift,

tibetisch dug gsum,

eine Geistesverschmutzung,

eine der drei Wurzeln des Unheilsamen.

Und in einer Geschichte der Sufis

heißt es:

Hass ist,

wie wenn man Gift zu sich nähme,

in der Hoffnung,

damit seinen Feind zu töten.

Und wer hasst, kann sich des größten Geschenkes der Liebe nicht erfreuen:der Vergebung.

Wenn wir unseren Feinden vergeben,

lernen wir auch uns selbst zu vergeben.

Und nur dann wird es uns möglich sein,

aus unserem hasserfüllten Kosmos auszubrechen,

mit zu fühlen mit dem Leid des Gegners

und somit auch selbst den Weg

des Friedens zu gehen.

Ein chinesisches Sprichwort sagt:

Jedes Ding hat drei Seiten:

Eine, die du siehst,

eine, die ich sehe,

und eine, die wir beide nicht sehen.

Keiner Ideologie,

keinem politischen Machthaber

war je daran gelegen,

den Feind wirklich zu verstehen.

Ideologien nähren sich an ihrem jeweiligen Feindbild,

sie wachsen daran,

bis sie letztendlich zerplatzen und wieder neue Feinde gebären.

Und solange wir ihnen blind vertrauen,werden wir immer wieder

gehorsam die Namen unserer Metzger skandierend

zur Schlachtbank marschieren.

Letztlich sind wir nur Kanonenfutter,

denn solange auch nur ein Mensch

am Krieg Geld verdient,

wird es Kriege geben.

Wie es aussieht, werden wir diese Welt nicht friedlicher machen.

Aber wir sollten es trotzdem versuchen.

Der Liebe zuliebe.

Denkt mit dem Herzen

5. Oktober 2015

Liebe Freunde, eigentlich wollte ich einen wütenden Text über Markus Söder schreiben, der zusammen mit der CSU Bayern orbanisieren will und an Zäune denkt. Aber dann erinnerte ich mich an meine Gespräche mit Petra Kelly. »Mit dem Herzen denken«, sagte sie immer – und ich lasse mich nun doch lieber von Frau Kelly als von Herrn Söder inspirieren …

Und wenn sie euch sagen

das Boot ist voll

wir können keine Flüchtlinge mehr

ins Land lassen

dann antwortet ihnen:

denkt mit dem Herzen.

Über zwölf Millionen deutsche Flüchtlinge und Vertriebene

sowie fast zwölf Millionen ehemalige Zwangsarbeiter

und ausländische KZ-Insassen

mussten nach dem Ende des Krieges eine neue Heimat finden

Die Integration der Vertriebenen in das massiv zerstörte

und verkleinerte Nachkriegsdeutschlandschien zunächst kaum lösbar.

Und wenn sie euch sagen

viele von denen haben doch sogar eigenes Geld

dann:

denkt mit dem Herzen

denn wenn ihr fliehen müsstet und alles verlassen

was euch lieb ist und teuer

dann würdet ihr doch auch versuchen

alles was ihr besitzt und je besessen habt

zu verkaufen

um Geld mitzunehmen

auf diese ungewisse

schier ausweglose Reise.

Und wenn sie euch sagen

da kommen ja fast nur junge Männer anund kaum Frauen mit Kindern

dann:

denkt mit dem Herzen.

Würdet ihr nicht auch versuchen

im äußersten Elend

die kräftigsten eurer Familie auf die Reise zu schicken

damit sie euch vielleicht sogar eines Tages nachholen können?

Und wenn sie euch sagen

die prügeln sich doch in ihren Unterkünften:

denkt mit dem Herzen.

Wie lange würdet ihr es wohl aushalteneingepfercht zu sein

oft ohne Strom und Wasser

und bei schlechter Ernährung

ohne nicht einmal aggressiv zu werden

ohne durchzudrehen?

Und wenn sie euch sagen

was haben wir mit denen zu tun

die glauben doch an einen anderen Gottdie sind von einer fremden Kultur

dann:

benützt euren Verstand:

Kulturelle Reinheit ist eine Illusion.

Und die führte bei uns zu der schrecklichsten Diktatur

der Menschheitsgeschichte.

Menschen sind wichtiger als Kulturen

sagt das all jenen

die sich so gerne mit Fakten schützen

deren Herkunft viel unsicherer ist

als das eigene Mitgefühl

sagt es ihnen

nicht hasserfüllt

doch bestimmt.

Erinnert sie an ihre eigenen Kinder

versucht ihnen zu vermitteln

wie es sich anfühlen würde

wäre man selbst an der Stelle dieser Ärmsten.

Wer anderen die Herberge verwehrt

verdient es

sein Heim zu verlieren.

Denken wir mit dem Herzen.

Besiegen wir den Hass

durch Zärtlichkeit.

Lesen Sie weiter in:

ISBN 978-3-641-19839-8 (E-Book)

ISBN 978-3-579-08653-8 (Hardcover mit Schutzumschlag)

Erscheinungstermin aller Ausgabearten:

25.04.2016