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Raven und den Desert Plants ist es gelungen, Kassandras Schreckensregime in Paxtonia zu beenden. Doch noch hat Raven sein Versprechen nicht eingelöst, die in Blackpool zurückgebliebenen Deserts zu retten. Währenddessen schmieden Snake und die Sledgehammer dunkle Intrigen, um Paxtonia zu erobern. Und auch Kassandra und ihre Schergen bedrohen den Ort. Eine gnadenlose Schlacht entbrennt. Das große Finale des rasanten Pageturners.
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Seitenzahl: 200
FABIAN LENK
DARKLANDS
HIMMEL IN FLAMMEN
BAND 3
KOSMOS
Umschlaggestaltung: Weiß-Freiburg GmbH – Graphik & Buchgestaltung unter
Verwendung einer Illustration von Arne Jysch
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© 2019, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-440-16519-5
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Für Yannick.
Weil er so etwas immer lesen wollte.
Nach einem gewaltigen Meteoritenschauer und einem verheerenden Tsunami ist die Erde verwüstet. Inmitten dieser Ödnis liegt Blackpool – eine mit Staub überzogene Geisterstadt.
In den Ruinen hausen Gruppen Jugendlicher in getrennten Revieren. Man misstraut und belauert einander. Immer wieder gibt es Kämpfe.
Raven ist der Anführer der Desert Plants. Als Einzige haben sie Zugang zum wertvollsten Rohstoff: Wasser.
Eines Nachts werden die Desert Plants von der brutalen Sledgehammer-Bande überfallen und von ihrer Wasserquelle vertrieben. Die Desert Plants verstecken sich in einem Bunker. Dort taucht ein zwielichtiger Fremder auf: Mysticon, der ihnen von einem sagenhaften Ort namens Paxtonia erzählt. In diesem „gelobten Land“ soll es Wasser im Überfluss geben und Frieden herrschen.
Raven, seine Freundin Belana, sein bester Kumpel Zerron, der clevere Dippy, der hünenhafte Big T und Mysticon fliehen aus Blackpool und wollen Paxtonia finden.
Die übrigen Deserts harren im Bunker aus und hoffen, dass die Gruppe um Raven Erfolg hat und sie später nachholt. Viel Zeit haben sie nicht, denn die Vorräte im Bunker sind begrenzt.
Auf dem Weg nach Paxtonia stößt Ravens Zwillingsschwester Enya zu ihm und seinen Gefährten. Enya ist die Herrin der Waters, einer anderen Jugendgang. Ihre gemeinsame Reise führt sie durch die Darklands und steckt voller Gefahren. So müssen Raven und seine Leute die Gebiete der berüchtigten Schattenländer und der verschlagenen Nebelnomaden durchqueren. In einem Sandsturm verschwindet Dippy, der Jüngste von ihnen, spurlos. Außerdem wird schnell klar, dass es einen Verräter in den eigenen Reihen gibt und dass sie verfolgt werden – denn nicht nur die Deserts und die Waters wollen die sagenumwobene Oase erreichen.
Nach zahlreichen Kämpfen erreicht die Gruppe schließlich ihr Ziel. Während Mysticon und Big T vor dem Eingang zu dem komplexen Höhlensystem bei den Fahrzeugen wachen, dringen Raven, Enya, Belana und Zerron staunend in die wasserreiche Welt vor. Doch die Euphorie schlägt rasch in blankes Entsetzen um. Paxtonia entpuppt sich als Hölle. Dort hat die brutale Kassandra ein Terrorregime aufgebaut. Mit einer Privatarmee unterjocht sie die Bevölkerung, zu der auch Ravens und Enyas Vater Jordan gehört.
Das Quartett wird gefangen genommen. Die Gefährten verbünden sich jedoch mit einer Widerstandsgruppe, die von dem hünenhaften Modorok angeführt wird. Schließlich gelingt ein Aufstand, bei dem Kassandra und ihre Krieger vertrieben werden. Paxtonia ist nun in der Hand der Aufständischen, die eine demokratische Gesellschaft aufbauen wollen.
Als Raven, Enya, Belana und Zerron die beiden Gefährten vom Höhleneingang nachholen wollen, erleben sie eine böse Überraschung: Big T wurde niedergeschlagen und der zwielichtige Mysticon ist fort.
Nervös ließ der Verräter den Blick über das tote Land schweifen. Das zerschlissene Hemd klebte an seinem Körper, er schwitzte. Der Himmel war wie üblich wolkenlos. Nirgends gab es Schutz vor der Sonne, die alles Leben ausdörrte und die Erde aufplatzen ließ, sie mit tiefen, steinharten Furchen durchzog, sie vernarbte und verödete. Die Hitze flirrte über der schier endlosen Ebene. Nichts rührte sich in der Glut, die Landschaft schien erstarrt im Todeskampf.
Die Augen des Verräters blieben am Horizont hängen. Dort ragten vier blassgraue Zinnen in den Himmel. Sie erinnerten an die Finger eines Riesen, der im Sand versank und sich mit einer verzweifelten Geste von der Welt verabschiedete. Nichts deutete darauf hin, dass es bei den Zinnen Wasser gab. Wasser im Überfluss, in einem friedlichen Paradies.
Paxtonia.
Noch ein Tag und eine Nacht, dachte er, während sein unsteter Blick von einer Zinne zur nächsten huschte.
Der Verräter stand auf einer felsigen Anhöhe und hatte freie Sicht über die verlassene Ebene, die sie schon sehr bald mit ihren schweren, schwarzen Motorrädern durchqueren würden: die Sledgehammer mit ihren Wurfhämmern – und er.
Er, der Verräter.
Ja, noch ein Tag und eine Nacht, dann waren sie da und es würde mit ziemlicher Sicherheit mit dem Frieden und der Ruhe in Paxtonia vorbei sein.
Der Verräter schluckte und spürte, dass seine Finger leicht zitterten. Rasch ballte er die Hände zu Fäusten, um seine Nervosität und die Angst zu verbergen – und das schlechte Gewissen, das durch seine Adern kroch wie Gift, schleichend und unaufhaltsam. Das Gift schien klug zu sein, es wusste, dass es gewonnen hatte und sich Zeit nehmen konnte.
Neben dem Verräter stand Snake, der Anführer der Sledgehammer, und schaute ebenfalls zu den Zinnen – und dieser Snake war der Grund, warum sich der Verräter nichts anmerken lassen durfte. Denn wenn Snake eines hasste, dann waren es Schwächlinge. Typen, die ein Gewissen hatten oder Skrupel kannten. Leute, die aufgaben, die ihre Ziele nicht erreichten.
Verbissen jagte Snake bereits seit Tagen mit einem Teil seiner Bande quer durch die Darklands. Er verfolgte Raven und die vier anderen Deserts, denen die Flucht aus Blackpool geglückt war, nachdem sie eine Straßensperre der Sledgehammer durchbrochen hatten.
Der Rest von Snakes Bande war in der Stadt geblieben. Unter der Führung von Snakes Stellvertreter Hector hatten diese Krieger zwei Aufgaben. Zum einen bewachten und verteidigten sie das von den Deserts erbeutete Territorium mit dem unterirdischen See. Zum anderen suchten sie nach den etwa zwei Dutzend Deserts, die Raven hatte zurücklassen müssen und die sich unter Hanks Kommando irgendwo in den Ruinen versteckt hielten. Hector sollte und wollte ihnen den Rest geben.
Waren Hank und die anderen schon entdeckt und geschnappt worden?, fragte sich der Verräter und schluckte erneut. Er betete für sie, dass es nicht so war.
Nun sah er verstohlen zur Seite und bemerkte, dass Snake selbstgefällig lächelte. Jetzt, im Angesicht der Zinnen, wähnte sich der Anführer ganz offensichtlich wieder auf der Siegerseite. Die Niederlage am Pass schien vergessen. In den Bergen hatten die Sledgehammer eine hübsche Falle aufgebaut, doch Raven und seine Leute hatten sich den Weg freigeschossen und mehrere Motorräder der Sledgehammer zerstört oder zumindest beschädigt. Zudem waren einige Krieger so schwer verletzt worden, dass die Sledgehammer eine Pause hatten einlegen müssen, um sie gesund zu pflegen und die Maschinen zu reparieren. Inzwischen waren sie aber alle bereit für den Angriff und dank des Verräters kannten sie den Weg zu ihrem Ziel.
Snake lockerte den Riemen, mit dem seine fürchterliche Waffe am Ledergürtel befestigt war. Er packte den Hammer am Stiel und wog ihn in der rechten Hand.
Ängstlich fixierte der Verräter das widerliche Ding mit den Nägeln im eisernen Kopf. Manche der Spitzen waren rostrot, andere glänzten, als seien sie gerade poliert worden. Snake war einer der wenigen Krieger, die so kräftig waren, dass sie den schweren Wurfhammer mit einer Hand führen konnte. Die meisten seiner Leute brauchten dafür beide Hände.
„Ich kann es kaum erwarten“, sagte Snake.
„Was?“
„Das Spiel.“
Der Verräter schwieg, während in seiner lebhaften Fantasie Bilder von diesem „Spiel“ auftauchten. Es waren Bilder aus der Hölle. Er versuchte, sie zu verdrängen, doch es gelang ihm nicht.
„Wirklich nett von dir, dass du uns hierhergeführt hast“, sagte Snake und ließ den Hammer mit dem Kopf zuerst zu Boden fallen – wie eine Guillotine.
Die Nägel fraßen sich knirschend in den harten Boden und der Stiel, der blank war wie der Schädel eines Skeletts, stand exakt senkrecht nach oben und war nur wenige Zentimeter von Snakes Hand entfernt. Griffbereit.
„Du bist mein verdammter Dosenöffner“, ergänzte Snake und lachte. Offenbar hielt er das für einen echt guten Scherz. Kommunikation war nicht unbedingt Snakes Stärke, er war nicht derjenige, der wortreich verhandelte, sondern der, der ohne Vorwarnung zuschlug. Und deshalb musste er eine solch grandiose Metapher feiern – und erwartete Beifall.
Als diesbezüglich nichts kam, rammte er seinen Ellbogen in die Seite des Verräters, der daraufhin pflichtschuldig mitlachte. Es klang allerdings eher wie ein hysterisches Winseln.
„Genau, ich bin das hungrige Tier und da drüben“, Snake deutete auf die vier Zinnen, „ist das Filet.“
„Haha, und ich hab dir das besorgt.“ Der Verräter versuchte ein Grinsen.
Snake nickte. „So ungefähr. Und schon bald gibt es das Festessen. Oder wird das eher eine Schlachtplatte? Mal sehen. Wenn diese Idioten sich widersetzen, kenn ich keine Gnade. Hoffentlich kommt es so. Ja, ich will, dass sie sich wehren.“ Wieder lachte er.
Der Verräter begann auf seiner Unterlippe zu kauen. Schlachtplatte … „Du …“ Er räusperte sich. „Du hast mir versprochen, dass den Paxianern sowie Raven, Belana und den anderen nichts passiert.“
Jetzt lachte Snake noch lauter. „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ Mit einer blitzschnellen Bewegung riss er den Hammer hoch und zermalmte damit einen faustgroßen Stein. „Gerade Raven muss büßen.“
„Das war so nicht abgemacht“, sagte der Verräter.
Die Antwort kam schnell und präzise. Snake schlug zu und traf den Verräter im Nacken. Der wurde förmlich aus den Schuhen gehoben, flog ein kurzes Stück durch die Luft und landete bäuchlings im Sand. Bevor er sich aufrappeln konnte, spürte er ein enormes Gewicht auf seinen Halswirbeln. Er konnte sich denken, was die Ursache war: Snakes Stiefel.
„Was hast du gesagt?“, fragte Snake leise drohend. „Nicht abgemacht? Das sagt der Richtige. Gerade du solltest nicht von Abmachungen reden, von Vertrauen, von Ehre oder so einem Mist. Du bist ein Stück Dreck und ich vertraue dir nicht. Du hast deine Leute verraten und die Seiten gewechselt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das auch mit mir und meinen Männern machen würdest.“
Der Verräter wimmerte und presste hervor, dass er nie auf diese Idee kommen würde.
Snake erhöhte den Druck.
Feinste Sandkörnchen gruben sich in das Gesicht des Verräters. Er hörte ein böses Knacken und ahnte, dass es von seinen Halswirbeln stammte. Er bekam Panik. Seine Wirbel waren zart und klein, Snake jedoch groß und schwer. Wie viel Gewicht vertrugen seine Knochen, bis sie zersplitterten wie dünne Ästchen?
„Vergiss nicht“, sagte Snake, „dass ich dich nicht mehr brauche. Ich kann das Ziel schließlich schon sehen. Ich könnte dich auch hier in der Wüste lebendig begraben lassen. Wer würde dich vermissen? Wer würde dich suchen? Und wer würde dich rächen?“
Der Sand scheuerte die Wange des Verräters auf, etwas lief ihm warm übers Gesicht und vermischte sich mit dem Dreck und dem Staub.
Niemand, dachte er verzweifelt, niemand würde mich suchen.
„Lass mich los“, bat er und wieder war es nicht mehr als ein Winseln. Das Winseln eines Hundes.
Unvermittelt wich der Druck von seinem Nacken.
„Dich hier zu begraben wäre zwar ein großer Spaß, aber dafür haben wir leider keine Zeit“, meinte Snake. „Also lassen wir es. Zumindest vorerst. Hm, vielleicht kann ich dich ja auch in Paxtonia noch gebrauchen. Als Spitzel zum Beispiel. Das dürfte jemandem wie dir liegen.“ Damit wandte er sich ab und stapfte zu seinen Kriegern.
Mühsam kam der Verräter hoch. Er saß im heißen Sand und rieb sich den schmerzenden Nacken, während Blut über seine aufgerissene Wange lief. Er zitterte am ganzen Körper.
Der Verräter hasste Snake. Er fürchtete ihn, aber er brauchte ihn. Denn an der Seite des Anführers der Sledgehammer lag seine Zukunft – wenn er denn überhaupt eine hatte. Nein, Snake würde ihn vermutlich nicht im Wüstensand der Darklands vergraben. Die meisten seiner Männer waren brutale, aber wenigstens loyale und zuverlässige Krieger, doch eines waren sie sicher nicht: die hellsten Kerzen am Baum.
Er jedoch war schlau, er hatte Ideen, und das wusste Snake. Solche Leute verbuddelte man nicht im Sand. Die konnte man doch immer brauchen. Oder?
Ja, so würde es sein, sagte er sich, während seine Wange aufhörte zu bluten und der Schmerz im Nacken langsam nachließ. An der Seite der Sledgehammer würde er Paxtonia erobern. Sein Verrat würde sich auszahlen, er würde belohnt werden, weil er erkannt hatte, dass man sich in den Darklands weder Vertrauen noch Freundschaft leisten konnte, wenn man überleben wollte. Freundschaft endete dort, wo sie den eigenen Vorteil gefährdete, dachte er bitter, aber auch entschlossen. Klar, früher hatte er Vertrauen und Freundschaft auch geschätzt. Nicht nur das, er hatte sie gelebt. Er hatte sich gut gefühlt mit seinen Freunden, beschützt und sicher. Irgendwie geborgen. Doch langsam hatte er gemerkt, dass er falschlag, dass es gefährlich war, zu vertrauen. Schließlich war er zu der Überzeugung gekommen, dass er sich solche Gefühle in einer Welt, die völlig aus den Fugen geraten war und in der es keine Gesetze und Richter gab, nicht leisten konnte. Freundschaft, Vertrauen und Loyalität waren purer, unangebrachter Luxus.
Schließlich konnte man selbst ausgenutzt oder betrogen werden. Es war daher wichtig, den ersten Schritt zu machen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. Die Gier nach Macht und Ansehen hatte das Blut des Verräters verseucht und aus seinem Herzen eine kalte Masse Fleisch geformt, seine Seele verdunkelt und schließlich geschwärzt.
Jetzt hatte er sich also auf die Seite der Sledgehammer geschlagen und sie würden ihn anerkennen, früher oder später. Er musste ihnen, und damit meinte er eigentlich Snake, nur beweisen, dass er mehr war als der Typ, der seine Freunde verkauft hatte. Das würde ihm schon gelingen, nahm er sich fest vor, während er zitternd, blutig und dreckig im Sand hockte, die Zinnen fest im Visier.
Schon sehr bald würde sich die mörderische Kolonne der Sledgehammer in Bewegung setzen und unaufhaltsam auf Paxtonia zurollen, um es zu erobern. Keine Gnade, hatte Snake für den Fall irgendwelchen Widerstands angedroht. Das war nur konsequent, denn Gnade war ebenso aus der Mode gekommen wie Freundschaft, Vertrauen und das höchste aller überflüssigen Luxusgüter: Liebe.
Hinter ihm brüllte ein Motor auf.
Der Verräter erhob sich, wischte sich mit dem Ärmel das Blut aus dem Gesicht und warf einen letzten Blick auf ihr Ziel.
Auf sein Ziel.
Dann ging er zu den Kriegern, um mit ihnen aufzubrechen. Jetzt ging es los. Die Uhr begann zu ticken. Raven und den anderen in Paxtonia blieb nicht mehr viel Zeit, bis die Hölle über sie hereinbrechen würde.
Mann, ist das Ding hässlich!“, rief Raven, auf dessen linker Schulter die Krähe Spy hockte und hin und wieder an seinem Ohrläppchen zupfte. Mit Belana, Enya und Big T begutachtete er in der Abenddämmerung das Monstrum, das Zerron gebaut hatte.
Es bestand aus Metall, Carbon und einem Motorblock und hatte vier Räder. Der Lack war stumpf und teilweise abgeplatzt. An einigen Stellen glänzte er schwarz, an anderen weiß, an wieder anderen blühte der Rost. Vorn hatte es vier Scheinwerfer, dafür hinten keinen einzigen. Es handelte sich um eine Art Auto, und Frankenstein hätte seine Freude dran gehabt, falls er auf Fahrzeuge und nicht auf Menschen gestanden hätte.
„He, mach mal langsam, die Karre ist der Knaller!“, erwiderte Zerron, der hinter dem Steuer saß, und tat so, als sei er beleidigt.
Belana grinste. „Ich finde sie irgendwie stylish.“
„Ich auch“, meinte Big T, für den der Wagen bestimmt war. Sein mächtiger Trummer, in dem er von Blackpool aufgebrochen war, war von den Sledgehammern in einen Abgrund geschossen worden. Er brauchte jetzt dringend Ersatz.
Raven war froh, dass er Zerron hatte. Er war nicht nur einer seiner besten Freunde, sondern auch technisch sehr begabt. Sein findiger Kumpel hatte zwei Autowracks von Kassandras Kriegern zusammengeschweißt – und nun stand dieses seltsame Ding vor Big T. Hässlich, aber fahrbereit.
„Darf ich mal eine Probefahrt machen?“, fragte Big T hoffnungsvoll.
Zerron kam aus dem Auto und warf Big T die Schlüssel zu. „Klar, nur zu.“
„Komm, Rollercoaster“, sagte Big T zu dem krummbeinigen Pitbull, der ihm ohnehin auf Schritt und Tritt folgte.
Rollercoaster wedelte mit dem Stummelschwanz und tapste hinter seinem Herrchen her.
Big T wuchtete seinen großen Körper hinter das Steuer, der Hund sprang auf den verschlissenen Beifahrersitz.
„So.“ Big T setzte dem Pitbull eine Sonnenbrille auf. „Bist du bereit, mein Kleiner?“
Rollercoaster glotzte ihn durch die Brille an und begann glücklich zu sabbern.
Jetzt drehte Big T den Zündschlüssel und der Motor der Kreatur aus Metall erwachte mit einem sonoren Blubbern zum Leben.
„Klingt das nicht gut?“, rief Zerron, der inzwischen neben Ravens Zwillingsschwester Enya stand und einen Arm um sie gelegt hatte. „Sechszylinder, Leute. Geht nichts drüber.“
Raven lächelte. Es hatte sich alles so gut entwickelt. Er war froh, dass es ihm gelungen war, seine Freunde nach Paxtonia zu führen und das Joch abzuschütteln, das ihnen Kassandra aufgezwungen hatte. Und er war glücklich, weil es ihm auf dieser langen Reise gelungen war, erst seine Schwester und später seinen Vater wiederzufinden. Natürlich freute er sich auch für Zerron, dass Enya dessen Gefühle erwiderte. Viel gemeinsame Zeit blieb den beiden jedoch nicht, zumindest vorerst. Denn es war geplant, dass sie zwar morgen zusammen losfuhren, sich ihre Wege aber bald trennen würden. Während Zerron mit Raven, Belana und Big T nach Blackpool wollte, hatte Enya ein anderes Ziel: die Ölplattform Tower, auf der ihre etwa fünfzig Leute – die Waters – ausharrten. Wie Raven hatte auch Enya ihren Freunden versprochen, sie nach Paxtonia zu führen.
„Abfahrt!“, brüllte Big T und gab Gas.
Aus dem Auspuff stieg eine schwarze Wolke, und für einen Moment befürchtete Raven, dass der Motor überhitzen und platzen könnte oder einen Kolbenfresser hatte oder … doch dann setzte sich der Wagen in Bewegung – und wie! Er schoss förmlich nach vorn.
Big T reckte die linke Hand aus dem Fenster. „Yes!“ Er drehte einen Kreis um seine Freunde und deckte sie mit Staub ein.
Raven sah, dass Big T glücklich war. Sein Hund schien es ebenfalls zu sein, er sprang auf dem Sitz herum und bellte, ohne dass die Sonnenbrille herunterrutschte. Raven war zuversichtlich, dass alles gut gehen würde. Er zog Belana an sich und sofort spürte er ihre vertraute Wärme. Er würde niemals jemanden mehr lieben als sie.
Ja, sie würden nach Blackpool gelangen und ihre Freunde retten. Natürlich würde es verdammt gefährlich werden, aber mit einer solchen Truppe konnte eigentlich nichts schiefgehen. Belana, die so hervorragend mit ihren Wurfmessern umgehen konnte und immer cool blieb, auch wenn der Zeiger der Uhr nicht fünf Minuten vor zwölf zeigte, sondern fünf Sekunden. Zerron, der brillante Tüftler, der die lange Schlagwaffe Bō wie kein anderer zu führen verstand. Und der stets gut gelaunte Big T, dessen Bumerangs mit hoher Präzision ihr Ziel fanden und der als Einziger von ihnen einigermaßen gut kochen konnte.
Doch während Raven die Testfahrt beobachtete, wurde er zunehmend unruhig. Kamen er, Belana, Zerron und Big T vielleicht zu spät, waren die Sledgehammer schneller gewesen und hatten die Gruppe um Hank längst entdeckt? Lebten ihre Freunde überhaupt noch?
Er schloss für einen kurzen Moment die Augen.
Belana schien seine Nervosität zu spüren. Sie strich ihm beruhigend über den Arm. „Jeder hat jetzt ein Fahrzeug. Es wird alles gut. Aber lass uns vorher noch ein paar Stunden schlafen. Im Morgengrauen fahren wir los.“
Er nickte. Ihre Worte taten gut. Das Scheitern durfte er nicht in Betracht ziehen, schon gar nicht laut vor den anderen wie Big T, Zerron oder Enya. Eigentlich sollte er so etwas noch nicht einmal denken.
Aber die Angst davor war da, er konnte sie nicht ablegen wie einen bei Hitze lästig gewordenen Mantel. Und er wusste, dass er niemals glücklich werden konnte – noch nicht einmal mit Belana, Jordan, Enya und den vielen alten und neuen Freunden in Paxtonia –, wenn er sein Versprechen nicht würde einhalten können.
Jordan … sein Vater würde nicht mitkommen nach Blackpool, was einerseits schade war, weil Raven auf einen besonnenen Typ wie ihn bei einem solch gefährlichen Trip nur ungern verzichtete. Andererseits war Raven klar, dass Jordan gerade jetzt in Paxtonia gebraucht wurde. Nach dem geglückten Aufstand und Kassandras Flucht mussten Männer wie er für einen Neuanfang beziehungsweise Neuaufbau von Paxtonia sorgen. Viele Gebäude waren beschädigt worden, zudem galt es, einen Rat zu wählen, der die Geschicke und die Verteidigung der Stadt lenkte und die Versorgung der Bewohner fair und gleichmäßig organisierte. Es stand völlig außer Frage, dass der umsichtige Jordan eine führende Rolle in diesem Leitungsgremium übernahm.
Big T donnerte an ihnen vorbei und deckte sie mit einer weiteren Staubwolke ein. Dann trat er auf die Bremse und die seltsame Karre kam schlingernd zum Stehen.
„Nicht schlecht, Zerron“, sagte er, als er seinen großen Körper aus dem Wagen gewuchtet hatte.
Rollercoaster sprang vom Beifahrersitz und schoss auf die Zuschauer zu, um sie zu begrüßen – so, als hätte er sie seit ein paar Monaten nicht mehr gesehen.
Drei Meter vor Raven wollte der Pitbull stoppen, aber er hatte einfach zu viel Schwung und überschlug sich mehrfach, wobei er die Sonnenbrille nun doch verlor: eine Spezialität von ihm, die ihm mächtig Spaß zu machen schien und ihm seinen Namen eingebracht hatte.
Wie ein haariger Ball kullerte er vor Ravens Füße, der sich hinabbeugte und das sandige Fell des Hundes streichelte. „Na, mein kleiner Dicker?“
Spy stob zeternd von Ravens Schulter und er fragte sich, ob die Krähe eifersüchtig war oder das ewig gleiche Spiel des Hundes satthatte und den Pitbull für völlig durchgeknallt hielt. Er vermutete, dass eher Letzteres zutraf.
Nun hatte auch Big T die kleine Gruppe erreicht.
„Geht wirklich gut ab“, lobte er Zerron.
Zerron freute sich sichtlich, vor allem, als Enya ihm auch noch einen Kuss auf die Wange drückte.
Raven erhob sich „Okay, dann starten wir morgen bei Sonnenaufgang. Vorher ruhen wir uns aus.“
Mit Belana, Enya, Zerron und Big T hatte Raven mehrere Zimmer in dem fensterlosen, festungsähnlichen Gebäude bezogen, das inmitten des Sees lag und in dem früher Kassandra geherrscht hatte.
Nun lagen er und Belana im Licht einer einzigen Kerze in einem großen Bett, beide auf dem Rücken, den Blick zur Decke gerichtet. Ihre Fingerspitzen berührten sich.
„Wir sind am Ziel. Und was machen wir? Wir verlassen es gleich wieder“, sagte er leise. „Es tut mir leid.“
„Das braucht es nicht. Es gibt keine Alternative“, erwiderte sie.
„Für mich nicht“, stimmte Raven ihr zu. „Aber für dich. Du könntest hierbleiben.“
Belana lachte leise. „Auf keinen Fall.“
Ravens Finger wanderten ein Stück höher. Dann umfasste er ihre Hand und drückte sie leicht. „Doch, bleib bitte hier.“
„Vergiss es. Es wird vielleicht wieder Blut fließen. Ziemlich sicher sogar. Wer soll denn auf dich aufpassen?“
Nun war es Raven, der leise lachte. Ein falsches Lachen, irgendwie eine Oktave zu hoch. Die Angst hatte ihn wieder angesprungen, die Angst um Belana.
Es wird Blut fließen …
„Richtig, das wird es“, sagte er. „Ein Himmelfahrtskommando. Auch wenn wir es in unser altes Viertel schaffen, das die verdammten Sledgehammer erobert haben, kann es sein, dass uns eine furchtbare Überraschung erwartet und keiner unserer Freunde mehr am Leben ist. Es reicht, wenn Big T, Zerron und ich nach Blackpool fahren.“
Belana schwieg und Raven machte sich schon ein wenig Hoffnung, dass er sie umgestimmt hatte.
Sie drehte sich auf die Seite und sah ihn an. Auch er wandte den Kopf und schaute in ihr Gesicht mit den unzähligen Sommersprossen und den grünen Augen, die im Kerzenlicht geheimnisvoll funkelten.
„Ich lasse dich nie wieder allein irgendwohin gehen“, sagte sie mit einem Nachdruck, der jeden Widerspruch im Keim erstickte. „Ich liebe dich und habe keine Angst vor dem, was kommt, wenn ich an deiner Seite bleibe.“
Die Entschlossenheit machte ihn für einen Moment sprachlos.
„Weißt du, was Ingmar Bergman mal gesagt hat?“
„Wer ist Ingmar Bergman?“, fragte er.
Belanas Finger fuhren die Konturen seines Gesichts nach. „Er war ein berühmter Regisseur und Autor. Er sagte: Es gibt keine Grenzen. Weder für Gedanken noch für Gefühle. Es ist die Angst, die immer Grenzen setzt.“
Raven ließ die Sätze auf sich wirken. Belana war sehr belesen. Früher hatte sie immer wieder die zerstörte Bibliothek von Blackpool aufgesucht, die Ruine durchstreift, manchen literarischen Schatz geborgen, den Staub vom Einband geblasen und sich in die Seiten vertieft. Sie hatte viele Romane gelesen und sich in Fachbüchern Wissen über Heilkräuter und verschiedene Behandlungsmethoden angeeignet, was ihnen auf ihrer Reise nach Paxtonia mehr als einmal nützlich gewesen war. Bevor die Sledgehammer sie angegriffen und vertrieben hatten, hatte Belana versucht, die anderen Desert Plants zum Lesen zu animieren. Denn Wissen konnte in der kaputten Welt der Darklands Überleben bedeuten.
„Ich will auch keine Angst haben“, sagte er langsam. „Aber ich habe sie. Ich kann nichts dagegen tun. Ich will dich nicht verlieren.“
Sie küsste ihn auf die Stirn. „Du wirst mich nicht verlieren. Du musst nur daran glauben …“