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Das Dorf, um dessen Einwohner es hier geht, liegt im Herzen Oberschwabens. Der Krieg ist gerade vorbei. Unter den wachsamen Augen der »heiligen Dreifaltigkeit« Pfarrer, Bürgermeister und Lehrer (und unter den Augen der Nachbarn) führt man sein Leben, wie man es immer schon gewohnt ist: Der Pfarrer sorgt für das ewige Heil, der Bürgermeister dafür, dass alles funktioniert, und der Lehrer paukt mit dem Nachwuchs. Wer angesehen ist und dazugehören will, strengt sich an. Wer nichts hat, muss schauen, wo er bleibt. In einer unterhaltsamen Erzählung gibt Reinhold Aßfalg einen entlarvenden und pointierten Blick auf die Urtypen der dörflichen Gemeinschaft.
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Seitenzahl: 165
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Reinhold Aßfalg
Das alte Dorf
Ein Blick in die oberschwäbische Seele
Reinhold Aßfalg, geb. 1940 in Seekirch am Federsee, studierte Psychologie, Philosophie und Soziologie in München. Über dreißig Jahre lang arbeitete er als Leiter der Fachklinik für alkoholkranke Männer in Renchen. In zahlreichen Büchern beschäftigte er sich mit der Frage, wie Suchtkrankheiten entstehen, wie sie behandelt und überwunden werden können; dazu kommen allgemeinpsychologische Themen wie z.B. die Suche nach dem Glück. Mit etwa 15 Jahren verließ er sein Heimatdorf, das er seither als eine wertvolle und liebe Erinnerung in sich trägt. In seinen Prosagedichten wiederbelebt Aßfalg eine dörfliche Wirklichkeit, die es so nicht mehr gibt.
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Alle Rechte vorbehalten
1. Auflage 2022
Redaktion: Anja Sandmann
Lektorat: Isabell Michelberger
Layout / Herstellung: Laura Müller
Umschlaggestaltung: Susanne Lutz
ISBN 978-3-8392-7296-1
Für Marianne und Nicole
Schilf und Seerosen,
alles, was jetzt raschelt und blinkt,
wächst, stirbt ab und setzt sich
auf den moorigen Grund.
Dann wird alles wieder neu,
glänzt in sich verwandelnder
Pracht,
und so verstreicht die Zeit.
Wer in einem kleinen Dorf geboren und aufgewachsen ist, trägt dieses Dorf ein Leben lang in sich. Im Guten und im Nicht-so-Guten. Es war eine eigene Welt. Unvergesslich die liebenswerten, oft schrulligen Gestalten, die besonderen Ereignisse und Verwicklungen. Wohlgeordnet ist nichts, oft geht es durcheinander wie Kraut und Rüben. Mein Dorf heißt Seekirch am Federsee, es liegt im Herzen Oberschwabens und hatte damals etwa zweihundert Einwohner. Sollten Sie je hinfahren, kann es sein, dass Sie dieses Dorf gar nicht mehr finden, alles hat sich verändert, ob zum Guten oder zum Schlechten ist schwer zu sagen. Vorbei ist vorbei. Aber wenn Sie lesen wollen, was das Zusammenwirken von Erinnerung und Fantasie aus dem ursprünglichen Dorf gemacht hat, freut es mich, und ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung.
Reinhold Aßfalg im Februar 2022
Zum Autor
Impressum
Widmung
Einladung zum Lesen
Das Dorf hat alles in sich
Der Schneidermeister
Der Hausmetzger
Der Herr Pfarrer
Der Bartle und seine Bäuerin
Die Namen sind nicht die richtigen Namen
Der Herr Lehrer
Die Frieda
Felix
Das Lädele
Der Emil
Der alte Miehle und seine Frau
Gustav und noch ein Gustav
Ein Stammgast
Die Anna
Der alte Jäger und seine Töchter
Der alte Jäger und seine Gäste
Michel
Die Hermine
Es geistert
Der Bürgermeister
Das Rathaus und die Gebäude drum herum
Böse Erinnerung
Die Stimme im Radio
Eine böse Zeit.
Der Umsturz
Adelheid
Josefa und ihr Mann
Der Bub
Der Spätheimkehrer
Fieselers Anna
Der Adlerwirt und seine Frau
Was einen guten Wirt ausmacht
Adlerwirts Ältester
Die Konde
Der Fund
Sensation
Der Unterhalter
Adlerwirts Zweitjüngster
Adlerwirts andere Kinder
Tante Betha und Onkel Aloys
Ein lustiger Bub
Gesang
Flüchtlinge
Aufklärung
Das Fest
Verstöße
Arbeit muss sein
Abwechslung
Sparsamkeit
Die Leute
Nachbarschaft
Im Herbst
Was ein Hütebub alles dabeihaben muss
Hüter der Andacht
Franz
Was man so sagt
Nett und -le
Der Vere
Fast das Wichtigste
Wenn man mal muss
Die Kundschaft muss gepflegt werden
Wer das Sagen hat
Entscheidung
Die Gemeindeschwestern
Beichte
Maiandacht
Medizin
Berufe
Albert und Maia
Der alte Kohler
Der Totengräber
Adlerwirts Bub
Beerdigung
Das Erben
Frömmigkeit
Feierlichkeit muss sein
Der Heilige Abend
Die Seele
Der Mesmer
Männer und Frauen
Die Erwachsenen
Zeit der Ruhe
Erziehung – was sonst?
Du sprichst von deinem Dorf
Nachwort
Dank
Das Dorf ist übersichtlich,
das Dorf ist die Welt.
Da sind Menschen, die man
immer schon kennt.
Fremde sind fremd,
und sie bleiben es.
Die Obrigkeit besteht aus
der Heiligen Dreifaltigkeit:
Pfarrer, Bürgermeister, Lehrer –
sie sorgen dafür, dass alles so bleibt.
Pfarrer und Lehrer sprechen
einigermaßen hochdeutsch,
wenn’s der Bürgermeister probiert,
wird’s ernst, und irgendwie peinlich.
Aber große Reden sind sowieso
immer verdächtig.
Das Dorf ist eine Ansammlung
von Häusern:
große und kleine Höfe,
Wirtshaus und Kirche.
Gärten, Wiesen, Felder und Wald.
Die Tiere schreien, wiehern,
muhen im Stall.
Die Hühner gackern,
und manchmal legen sie Eier.
Schwalben fliegen ein und aus,
Tauben und Spatzen.
Wie sich’s gehört, bellen die Hunde.
Wer was ist, hat einen Hof,
umso größer, desto besser.
Was einer hat,
bestimmt, was er ist.
Wer nichts hat, ist nichts wert,
ein Hungerleider muss schauen,
wo er bleibt.
Es riecht nach Erde, Mist und Jauche,
und die Luft ist gesund.
Jeden Werktag kommt die Zeitung,
in der das Neueste steht:
Todesanzeigen,
Berichte,
Werbung,
Krieg und Frieden am Ende der Welt.
Bücher gibt es nicht –
außer dem Gesangbuch und dem Buch,
in dem der Rechenmacher, gleichzeitig Wirt,
die Schulden aufschreibt.
Am Sonntag geht man in die Kirche –
oder auch nicht.
Für Alt und Jung ist der Kirchgang Pflicht,
aber seit jeher gilt:
Au mit dr Heiligkeit soll ma ’s it übertreibe.
Auch in der Kirche herrscht Ordnung:
rechts die Männer, links die Frauen,
vorne, in den ersten Reihen, die Kinder,
rechts die Buben, links die Mädchen.
Man kommt nicht zu spät,
sonst fällt man auf.
Wenn man stehen muss, steht man,
wenn man sitzen darf, sitzt man,
wenn man knien muss, kniet man –
und wenn oim vom viele Knuila
d’ Knie wehtun,
isch des gut für da Himmel.
Nicht weit entfernt von der Kirche
steht das Wirtshaus,
das man auch die Sanktnebeskirche nennt.
Manche ziehen die geistigen Getränke
den geistlichen Liedern vor
und leben enthaltsam
in Bezug auf die Predigt.
Aber die Messe nimmt auch so ihren Lauf.
Wenn die Glocke ertönt, weiß man,
jetzt ist die Wandlung,
dann wird’s auch im Wirtshaus,
mitten in der Unterhaltung,
für einen Augenblick mucksmäuschenstill –
das Heilige dringt herein, ob man will oder nicht –,
dann geht’s aber nicht mehr lang,
und die Leut kommen heraus.
Wer draußen blieb, hat ein klein bisschen
ein schlechtes Gewissen –
aber nur bis zum Frühschoppen,
der alles verzeiht.
Im Wirtshaus warten aufgebackene Brezeln,
Bier und Schnaps,
Unterhaltung,
Lebensfreude und,
wenn auch selten, Streit.
Werktags regiert die Arbeit,
vom Montag bis zum Samstag,
und auch der Sonntag
ist nicht rein zum Vergnügen.
Jeder Tag sagt, was zu tun ist.
Arbeit isch au Gebet –
und das gilt immer,
auch für die Nicht-so-Frommen
und für die ganz besonders.
So hat das Dorf alles in sich,
Arbeit und Ausruhn,
Liebe und Hass,
Tod und Geburt.
Himmel und Erde berühren sich
(und bis zur Hölle ist es nicht weit).
Ob stolz oder nicht,
kommt jemand vom Dorf in die Stadt,
muss er sich schämen,
warum, weiß er nicht.
Kommt jemand aus der Stadt ins Dorf,
freut er sich
und hält’s nicht lange aus.
Ein dumpfer Zwang regiert.
Alles muss unbedingt nett sein,
alles ist nett und ein bisschen zu schön –
doch unter der Schönheit liegen
Unsicherheit, Bosheit und Angst.
Wer nicht mithalten kann,
fällt über den Rand.
Dieses Dorf ist gescheit
und irgendwie dumm.
Man kann es lieben und hassen,
wirklich verlassen kann man es nicht.
Außerhalb des Dorfes,
in einem modrigen Haus,
wohnt der Schneidermeister,
ein alter Mann, durch und durch grau.
Man weiß, was er auch näht,
es wird immer zu eng.
Soll er wirklich mal einen Mantel nähen,
zieh dir zur Anprobe zwei dicke Pullover an,
damit der Mantel später vielleicht passt.
Das Schneidern hat er vermutlich gelernt,
den Meister verlieh ihm der Spott.
Man lächelt über ihn, weil man ihm
nur alte Hosen bringen kann
und schäbige Jacken und Säcke,
damit er sie flickt.
Seine Frau ist vor Jahren gestorben,
sein einziger Sohn, als Bub,
tödlich verunglückt.
Es war gleich nach dem Krieg,
als hinter den Häusern Munition herumlag
wie sonst Äpfel und Birnen.
Mit dem Pulver der Granaten und Kugeln
hatten sie Böller gebaut;
als er nachsah, warum das Ding
nicht explodiert,
hat’s ihm den Kopf zerrissen.
Dann, noch am selben Tag,
spät abends, ist er gestorben,
es war Winter und kalt.
Der See war gefroren,
und wenn im Eis sich Risse bildeten,
machte es einen lang gezogenen,
peitschenden Knall;
man sagte: Der Federsee bellt.
Alles wär vielleicht anders gekommen.
Der alte Mann ist so grau wie sein Haus,
seine Tochter weit weg,
im Rheinland verheiratet;
einmal im Jahr, vorwurfsvoll,
schaut sie kurz nach dem Vater,
hält’s länger nicht aus.
Doch dann gibt’s frische Blumen
am Grab der Mutter, am Grab auch des Bruders.
Der alte Mann mag niemanden,
ist froh, allein zu sein,
niemand mag ihn, man lässt ihn in Ruh.
Täglich liest er die Zeitung,
hört Radio,
sät Rettich im Garten, pflanzt Kraut und Salat,
knurrt vor sich hin.
Manchmal putzt er die Wohnung,
es riecht nach Schimmel und Brot.
Wenn der Adlerbub wieder mal,
weil er nicht aus den Federn kam,
erst um halb zwölf zusammen mit der Post
die Zeitung bringt,
wird er kurz wütend
und lächelt dann doch.
Isch heit ’s Bett it mitgange?
Eine Cousine aus der Schweiz
hat ihm ein Kistchen Zigarren geschickt,
jetzt sitzt er manchmal bei den Männern
im Adler und raucht einen krummen Hund –
so nenne man dieses schlangenartige
Ungetüm aus Tabak;
es ganz allein zu Hause zu rauchen,
wär die reinste Verschwendung.
Dieses qualmende Ding
muss man sehen und zeigen;
alle bestaunen das Schweizer Produkt
und den brenzligen Duft, den es verströmt.
Der Raucher selbst ist uninteressant,
er trinkt sein Bier und geht heim.
Wochenlang sieht man ihn nicht,
er besitzt weder Auto noch Fahrrad,
will nirgendwo hin:
So lebt er draußen, außerhalb des Dorfes,
in diesem modrig muffigen Haus.
’s isch halt ’n Eigebrötler.
Der Manfred,
mit rollenden Augen und lustig,
ist Metzger geworden,
wohnt im Nachbardorf,
schlachtet Kühe, Kälber und Schweine.
Auch macht er Blut- und Leberwurst,
Hackfleisch, Schwartenmagen
und würfelt den Speck.
Bei einem jungen Schwein,
um die Patrone zu sparen,
nimmt er das Beil.
Im Winter schlachtet er bei den Bauern
rund um den See, jeden Tag
auf einem anderen Hof.
Der Mann strahlt eine handfeste
Gemütlichkeit aus und ist beliebt.
Ob er noch eine Frau findet, wer weiß?
Verkuppeln möcht man ihn gern.
Während hinterm Haus die Sau
in zwei Hälften auf der Leiter hängt,
isst er zum Vesper Sauerkraut,
ein Stück von der Leber,
ein Stück von der Niere,
fischt aus dem Kessel das Herz.
Ein handfester Kerl,
durch und durch Fleisch,
trinkt drei Glas Most
und dann einen Schnaps.
Wenn er mit dem ganz großen Messer
in den Zähnen stochert,
hält er sich brav
die Hand vor den Mund.
So oin wie da Manfred ka ma brauche.
Der geistliche Herr wohnt im Pfarrhaus;
das Beten ist sein Beruf.
Wenn du ihn siehst, musst du schnell
zu ihm hinrennen, dich verbeugen
(die Mädchen machen einen Knicks),
ihm die Hand geben
und sagen: Gelobt sei Jesus Christus;
freundlich antwortet er dann:
In Ewigkeit Amen.
Deshalb schau zu, dass er nicht sieht,
dass du ihn siehst,
und lauf hinters Haus.
’n Pfarrer isch was Bsonderes.
Aber wenn er seine frommen Geschichten erzählt,
hört man andächtig zu.
Bei seiner Ankunft feiert man Investitur,
bei seiner Abreise verabschiedet man ihn
nicht ungern.
Nach zehn Jahren, sagt man,
sollte ein Pfarrer die Stelle wechseln.
Bleibe ein Pfarrer zu lange,
könnte der Abstand zu den Gläubigen
sich zu sehr verringern,
was der Heiligkeit abträglich sei.
Dass die Pfarrer wechseln,
ist also ganz normal –
erst wenn der Nachfolger im Amt,
ist man mit dem Vorgänger zufrieden.
Ein Pfarrer hat zwei Beine,
eines für den Himmel und eines für die Erd;
das Gleichgewicht zu halten,
ist, wenn man eine gute Hauserin hat,
gar nicht so schwer.
Dass Hauserinnen von Berufs wegen
hässlich sein müssten,
wird oft vermutet, stimmt aber nicht.
Gut kochen, das muss sie können.
Dass Essen und Trinken
Leib und Seele zusammenhält,
gilt auch für den Pfarrer
und für den ganz besonders.
Die Gerüche eines Pfarrhauses sind gemischt:
Es riecht nach Weihwasser,
Seifenschaum und Bratensoß.
Im Hausgang hängt
zur Aufmunterung der Besucher
ein frommer Spruch:
Immer wenn Du meinst, es geht nicht mehr,
kommt von irgendwo ein Lichtlein her,
dass Du es noch einmal zwingst
und von Sonnenschein und Freude singst.
Leichter trägst des Alltags herbe Last,
wenn Du wieder Kraft und Mut und frischen Glauben hast.
Der Pfarrer ist auch nur ein Mensch,
aber ein anderer.
Im Beichtstuhl verteilt sich die Neugier
über alle Gebote,
hat ihren Gipfel eindeutig bei Numero sechs;
eins bis fünf und sieben bis zehn
sind nicht interessant.
Hat er gerade ein Nickerchen gemacht?
Bei sechs ist er wach.
Ein Pfarrer lebt vom sechsten Gebot,
das Unkeusche vertraut man ihm an.
Allein oder mit anderen?
Wenn allein, das bestraft die Natur
mit Schwachsinn und Rückenmarksschwund,
wenn mit anderen, das ist die Sünde schlechthin,
da freut sich der Teufel persönlich.
Die Angst ist durchaus bezweckt
und die Scham sowieso.
Aber ob’s schön war oder nicht,
wenn du’s ehrlich bereust,
spricht er dich frei.
So darf im Beichtstuhl das Böse ans Licht,
die Absolution macht es irgendwie heilig –
oder auch nicht.
Hochwürdig waren mehrere:
Ein Pfarrer hielt sich noch Hasen
und machte sein eigenes Heu.
An den Pflock gebunden,
mähte den Kirchhof die Geiß.
Ein anderer war sehr heilig und streng
und kämpfte gegen das Böse:
Sein persönlicher Zorn, meinte er,
sei der Zorn Gottes.
Sein Exerzierfeld war der Katechismus:
Wozu sind wir auf Erden?
»Wir sind auf Erden, damit wir Gott dienen
und dadurch in den Himmel kommen.«
Schoss die Antwort nicht aus der Pistole,
war die Pistole nichts wert.
Und dass er mal, in der einen Hand die Monstranz,
mit der anderen einem Messdiener
eine Kopfnuss gab, weil er lachte,
ist allen bekannt.
Dieser Pfarrer schien immer beleidigt,
sein einziger Bruder war damals schon
ausgeflippt und ein Kreuz;
irgendwie Künstler,
arbeitslos
und schräg ins Leben gebaut.
Wenn der mit seiner Freundin,
einem verwegenen Weibsbild, zu Besuch kam,
hatten die Leute was zu bestaunen.
So fuhren die beiden mit Fahrrädern mal
rund um den See, er vorneraus,
sie hintendrein,
verbunden mit einem langen, langen Strick.
Achtung, dr Schnurradler kommt,
sagten die Leute.
Dass dieser Pfarrer durch seinen Bruder
zur Unterhaltung beitrug,
war bei so viel Heiligkeit nicht zu erwarten.
Ein anderer Pfarrer machte gern Spaß,
trank auch mal einen,
plauderte mit den Frauen,
war zu beliebt und wurde versetzt.
Der jetzige trägt einen roten Bart;
er wird von der Mutter bekocht
und hält sich zurück.
Der eine sang gut,
der andere nicht,
falsche Töne gab es viel.
Heilig und mächtig waren sie alle,
regierten bis unter den Rock.
Sie wurden gefürchtet, belächelt, verehrt:
Gloria in excelsis De-e-o.
Alle paar Jahre mal kommt ein fremder
Prediger ins Dorf,
ein Pater mit grausligem Bart,
da müssen alle hin, Jung und Alt,
wegen der Sündhaftigkeit,
die inzwischen, leider,
ins Kraut geschossen ist.
Der Glaube, der fest sein soll wie ein Turm,
schwankt,
Raffgier und Ich-Sucht nehmen zu,
und die schlimmste Sünde überhaupt,
die Lüsternheit,
dieses unausrottbare Teufelswerk,
verdreht den Leuten den Kopf.
Er tobt und schreit auf der Kanzel,
droht mit dem Schrecken der Hölle,
mit Qual und ewiger Verdammnis,
und verkündet die Seligkeit
des einzig wahren Glaubens …
Das klingt so laut und schrecklich,
do woiß ma wieder,
was ma an unsrem Pfarrer hot.
Dass einer ihrer Söhne Pfarrer werde,
sagt man,
sei das höchste Glück einer Frau;
ihr Ehrentitel ist dann Pfarrmutter,
und sie trägt ihn mit Stolz.
Wenn der Sohn die Mutter dann segnet,
ist das herzergreifend für alle.
Dass ein Pfarranwärter kurz vor der Weihe
abgesprungen sei, wird erzählt.
Das war eine Schande für die ganze Familie,
aber komischerweise hatten alle sogar
ein bisschen Verständnis für den arma Bua.
Um ihn zu necken,
sagten die Leute zum Adlerbub,
er solle doch Pfarrer werden.
Da gab er, sich den Wanderprediger
zum Vorbild nehmend,
frech zurück:
Wenn i Pfarrer bin, werd i ui
von der Kanzel d’ Teifel so an d’ Wand mole,
dass ui Höre und Sehe vergoht.
Sie lachten, und er lachte mit.
Über das Verhältnis
(oder Nicht-Verhältnis oder Doch-Verhältnis –
wer weiß das genau?)
von Pfarrer und Hauserin
erzählt man gern Witze:
Der Herr Dekan kommt zur Visitation
des jungen Pfarrers, lässt sich alles zeigen,
die Kirche, die Sakristei
und dann das Pfarrhaus von oben bis unten.
Im Schlafzimmer steht ein Doppelbett.
Wer da schlafe.
Links der Pfarrer, rechts die Hauserin –
dazwischen ein Brett.
Was tun Sie, fragt der Dekan,
wenn die Versuchung kommt?
Dann mache mr des Brett oifach weg.
Ein uralter Witz, über den man sich
immer noch freut.
Die Sünde unablässig zu verdammen
und sich selbst über sie zu erheben,
kostet mehr Kraft,
als ein gesunder Mensch normalerweise hat.
GOTT,
der Herr des Himmels,
Schöpfer des Alls,
hat sich bisher persönlich nicht gezeigt,
hält im Hintergrund aber alles zusammen.
Unsichtbar, treu und einsam scheint ER zu sein.
Statt IHN zu verstehen,
soll man IHN lieben und fürchten,
sagt der Herr Pfarrer.
Der Glaube sei alles.
Ein einfacher Mensch macht sich gern lustig,
flucht,
betet,
verleugnet,
spottet,
erzählt Witze und lacht.
Das alles kümmert IHN nicht:
ER war und ist und bleibt der oberste Chef,
sein irdisches Personal gibt Anlass
zu Erbauung und Spott.
Zwischen Heiligem und Scheinheiligem
zu unterscheiden, gelingt nicht.
Wenn ein guter Pfarrer predigt,
schließen sich die Augen der Gläubigen
fast automatisch – das muss so sein:
Wenn sie schlafen,
sind ihre Seelen bei Gott.
A richtigs Dorf braucht ’n Pfarrer,
und der hot’s it leicht.
Keiner kann fluchen wie er,
der Bartlebauer:
Himmel – Herrgott – Jesus –
Heilandzack und Sternsakrament,
Stoßgebete der grausigen Art.
Wenn er tobt und Feuer spuckt,
gehst du besser in Deckung.
Er hot Käfer im Kopf.
Bei Vollmond raucht sein Gehirn.
Große Hitze verträgt er nicht.
Durst bringt ihn um.
Es kann sein, mitten in der Ernte,
wenn man jede Hand braucht,
da lässt er alles stehen und liegen,
verkriecht sich im Heustadel
unter das Dach,
hochexplosiv,
und spinnt.
Lasst ihn in Ruh!
Lasst ihn einfach in Ruh!
Sein Weib soll er,
als er noch jung war,
arg verprügelt haben;
jetzt ist er alt,
immer noch Satan,
jetzt aber alt
und ans Prügeln nicht mehr zu denken.
Er findet nie, was er will,
alles geht quer,
und er ist immer der Böse.
Bei der letzten Bürgermeisterwahl
wurde bei der Auszählung der Stimmen
ein Zettel gefunden:
»Lumpen gingen, Lumpen kamen,
Lumpen in Ewigkeit, Amen!«
Alle dachten’s, wussten’s:
Das war wieder mal er!
Kein anderer käm für eine
Frechheit solchen Kalibers infrage,
gefährlich bös und auch irgendwie lustig.
Aber dass ihr die andre Seite ja nicht vergesst:
Niemand ist hilfsbereiter als er!
Wenn ein Fahrzeug vom Weg abkommt,
im Graben landet,
egal ob es Nacht ist und kalt,
wer holt als Erster den Traktor raus?
Schnee und Glatteis fürchtet er nicht.
Er würde Haus und Hof riskieren,
Kopf und Kragen, um einem anderen,
der in Not ist, zu helfen.
Auch wenn keiner ihn mag,
er flucht laut vor sich hin
und ist so, wie er ist.
Eigentlich a gutmütiger Kerle,
aber wenn er sein Rappel hot …
Um des lieben Friedens willen,
bitt ich euch:
Lasst ihn einfach in Ruh!
Die Bäuerin dagegen
mag jeder.
Bauchumfang zwei Meter,
also ziemlich kugelrund
und an die drei Zentner Lebendgewicht,
die Freundlichkeit in Person.
Wenn es nach Frischgebackenem riecht,
schau in die Küche:
Rotbackig steht sie am Herd,
lacht,
wirft dir eine goldene Schneckennudel zu.
Sei it dumm und fang auf!
Iss ein Stück Rauchfleisch,
eine Leberwurst,
selbst gebackenes Brot;
trink ein Glas Most
oder Saft
oder Schnaps.
An einem Schlachttag
soll ein reicher Mann,
Besitzer einer Baufirma,
in ihrer Küche in einem Zug
und grad so zum Spaß
sechs gebratene Schnitzel
gegessen haben
(gfresse sagt man in diesem Fall) –
und alles umsonst.
Sie kann einfach nicht Nein sagen,
ist lustig und – auf traurige Art – gut
und wird von allen gemocht.
Sie mag’s, wenn du lachst,
und lacht Tränen.
Man kann auch ruhig im Hof sitzen
auf der Bank vor dem Haus,
mit dem Bernhardiner spielen
oder mit ihren zwei Töchtern,
die sie angenommen hat aus Barmherzigkeit,
gleich nach dem Krieg.
Die Bäuerin und der Bauer,
sie leben auf demselben Hof,