Das blutige Land - Richard Schwartz - E-Book
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Das blutige Land E-Book

Richard Schwartz

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Beschreibung

»Die Götterkriege« ist die grandiose Fortführung der High-Fantasy- Saga »Das Geheimnis von Askir«. Richard Schwartz' neuestes Buch »Das blutige Land« bringt den Askir-Fans ihren größten Helden zurück: Havald. Nachdem Leandra von Borons weißer Flamme verschont worden ist und es ihr gelang, die Krone von Illian zu erringen, steht für den wiedergekehrten Havald die nächste Herausforderung an. Seit Jahrhunderten hält die Ostmark in blutigen Kämpfen das Reich gegen die Stämme der Steppe. Doch nun sammeln sie sich unter dem schwarzen Banner des Nekromantenkaisers und drohen, das Alte Reich zu erschüttern. Mit einer Handvoll Getreuen will Havald das Unmögliche wagen: die Stämme zu einen und damit den Einfl uss des toten Gottes zu zerschlagen …

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Seitenzahl: 964

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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

4. Auflage 2013

ISBN 978-3-492-95463-1

© Piper Verlag GmbH, München 2009 Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München Umschlagabbildung: Uwe Jarling Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Was bisher geschah

Nachdem der Krieger Havald, der nach dem Willen des Gottes Soltar als sein Engel den letzten Kampf gegen den toten Gott Omagor ausfechten soll, während des Kronrats in Askir einem Attentat zum Opfer gefallen war und wie tot im Tempel des Soltar aufgebahrt lag, mussten seine Gefährten ohne ihn den Kampf zum Gegner tragen. In Begleitung von Schwertmajor Blix gelang es Königin Leandra, den Weltenstrom umzulenken und ein magisches Tor nach Illian zu eröffnen – der Kronstadt des Königreichs Illian, in der Leandra die Nachfolge der legendären Königin Eleonora antreten sollte. Auch Wiesel, Askirs größten Dieb, verschlug es mit seiner Ziehschwester Marla auf Weisung des Namenlosen Gottes in die belagerte Stadt. Ihr Auftrag: zu verhindern, dass sich das Schicksal, das die anderen Götter Leandra zugedacht hatten, erfüllte, um so sicherzustellen, dass sie Herrin ihres eigenen Schicksals werden kann und das gestohlene Schwert Seelenreißer wieder in die Hände Havalds gelangt, um so den Streiter Soltars in die Welt der Lebenden zurückzurufen.

In Illian angekommen, muss Königin Leandra feststellen, dass sie dort nicht die erhoffte Unterstützung finden kann: Graf Render, ein alter Widersacher, greift bereits nach der Krone des bedrängten Königreiches. Als Verräterin verhaftet und einem Gottesurteil unterzogen, ist es die Weiße Flamme des Gottes Boron, die sie als unschuldig ausweist und ihr erlaubt, den Verräter zu stellen und zu richten.

Noch während Leandra di Girancourt, Maestra und nun Königin von Illian, um ihr Leben und ihre Krone kämpft, erwacht Havald aus seiner Totenstarre, ist aber nicht mehr Herr der Lage – zu viel ist in den Wochen geschehen, in denen er im Tempel aufgebahrt lag.

Obwohl der Nekromantenkaiser Kolaron Malorbian in den Südreichen eine empfindliche Schlappe hinnehmen musste und gegen Lanzenobristin Mirans berühmte dritte Legion sogar eine Niederlage erlitt, bereitet er in den Ostlanden, einer von nomadischen Barbaren besiedelten Steppe, die Offensive gegen den Kern des Kaiserreichs vor. Währenddessen festigt er im Königreich Rangor, einst Teil des Reiches und eines der sieben Königreiche, das durch Verrat und Trug an ihn gefallen ist, seine Stellung.

Hergrimm, Marschall der Ostmark und Herr über die Grenzland-Legionen, steht als Einziger zwischen den schwarzen Legionen und den Kernlanden des Kaiserreichs. Doch die Reiche sind untereinander zerstritten. Während die junge Kaiserin Desina noch versucht, das Reich zusammenzuführen und die legendären Legionen Askirs wieder zu einstiger Größe aufzurichten, erfährt Havald, nun Lanzengeneral der kaiserlichen Legionen, dass der Nekromantenkaiser die Horden der Ostlandbarbaren unter seinem Banner eint. Gelingt es Kriegsfürst Arkin, die Barbaren zusammen mit den schwarzen Legionen des Nekromantenkaisers gegen die Ostmark zu führen, wird die Ostmark fallen. Seit Urzeiten gilt: Fällt die Ostmark, fällt das Kaiserreich.

Wir beten für die Lebenden

1 »Götter«, flüsterte der Schwertrekrut und duckte sich wieder hinter die Anhöhe. »Ich wollte noch nicht sterben!« Er sah mich mit großen Augen an. »Was machen wir jetzt?«

Er hieß, wenn ich mich richtig erinnerte, Armus, und gestern Morgen hatte er mir beim Frühstück mitgeteilt, dass er aus Kantur kommen würde, einer Provinz in Aldane, die östlich von der alten Kaiserstadt Askir am Fuß des Gebirges lag, das Aldane von den Varlanden trennte. Er war blond und schlank, mit blassblauen Augen und einem verlegenen Lächeln, und er besaß drei oder vier Barthaare, die er offensichtlich sorgsam hegte und pflegte. Wie bei den meisten hier erinnerte mich die Art, wie sein Kopf aus dem schweren Plattenpanzer herausragte, an eine Schildkröte.

Das Problem war, dass nicht nur er mich mit großen Augen hoffnungsvoll ansah. Meiner Meinung nach waren weder Armus noch die anderen Rekruten bereit für diesen Einsatz. Doch die kaiserlichen Legionen, die sehr lange auf tausend Mann reduziert gewesen waren, sollten so schnell wie möglich auf die volle Stärke von zehntausend Mann aufgestockt werden. Die Idee, die neuen Rekruten daraufhin einfach vor Ort weiter auszubilden, war mir sinnvoll erschienen. So wurden die Verluste ersetzt, die wir in der Ostmark erlitten hatten, und zudem waren die Neulinge auf diese Weise am besten in der Lage, sich die Lektionen einzuprägen. Verdiente Veteranen würden ihnen das Überleben beibringen. Zudem war es kein offener Krieg, Schlachten waren nicht zu erwarten, und die Rekruten würden selten die sicheren Mauern der Festungen verlassen.

So hatte ich jedenfalls gedacht, als ich den Befehl unterschrieben hatte. Das Ergebnis konnte ich mir jetzt selbst anschauen. Generalsergeantin Rellin war mit Recht stolz auf die umfassende Ausbildung, die die kaiserlichen Legionäre erhielten, doch keiner meiner Kameraden war seit mehr als acht Wochen dabei. Ich konnte froh sein, dass die jungen Kerle wenigstens wussten, wie sie ihr Schwert anzufassen hatten – jedenfalls würde es noch Monate, eher Jahre dauern, bis die legendären kaiserlichen Legionen sich ihren Ruf wieder verdienten. Dennoch bestand kein Zweifel an dem Mut und der Treue meiner Kameraden, sie waren sichtlich stolz, Legionäre zu sein.

Wo wir stehen, da weichen wir nicht, das war das Motto der kaiserlichen Legionen. Jetzt musste ich nur noch dafür sorgen, dass sie nicht dort liegen blieben, wo sie gestanden hatten. Ich fragte mich, was sie wohl sagen würden, wenn sie wüssten, dass Schwertrekrut Lenar in Wahrheit eben jener Lanzengeneral von Thurgau war, der indirekt dafür gesorgt hatte, dass sie sich nun in dieser misslichen Lage befanden.

Am gestrigen Morgen hatte ich mich im Kommandeursgebäude einfinden dürfen, wo Lanzensergeant Anders, ein bärbeißiger Veteran mit kurzen grauen Haaren und ebensolchen Bartstoppeln, mich und die anderen Tenetiere schon erwartete. Im Gegensatz zu den glatten Gesichtern der Gruppenführer, die vor ihm Haltung annahmen, zeigte sein Gesicht die Furchen und Spuren eines langen Lebens im Dienste des Kaisers – der Kaiserin, verbesserte ich mich. Er musste über fünfzig sein, hatte womöglich die sechzig schon erreicht, und gehörte wohl zu den Veteranen, die man mit zusätzlichem Gold und Versprechungen aus dem Ruhestand zurückgeholt hatte, um wenigstens einen Teil der wichtigeren Stellen zu besetzen. Eine Narbe hatte ihm den Mundwinkel verzogen und einen Teil seines Kieferknochens bloßgelegt, und an seiner linken Hand fehlte der Ringfinger, was auch dadurch nicht ausgeglichen wurde, dass der kleine Finger verkrüppelt war und steif abstand.

Von den zehn, die vor ihm standen, war ich mit Abstand der Älteste, auch wenn man mich von meiner äußeren Erscheinung her kaum älter als Ende zwanzig schätzen würde. Drei Wochen lang hatte ich wie tot auf einer Bahre im Soltartempel zu Askir gelegen, und eine irritierende Folge davon war, dass ich jünger aussah als seit Jahrhunderten. Selbst meine gebrochene Nase war wieder gerade, und bis auf die Narben, die ich mir in meiner Jugend angesammelt hatte, waren die meisten späteren Zeugen von Leichtsinn, Dummheit oder Ungeschick spurlos verschwunden.

Auch beim Rasieren war mir der eigene Anblick ungewohnt; solange ich denken konnte, hatte ich mit dem Messer die Narbe an meinem Kinn vorsichtig umschiffen müssen, jetzt glitt der Stahl dort mühelos über viel zu glatte Haut. Ich konnte mich daran erinnern, dass mir noch vor Kurzem mein eigenes Gesicht mit den tiefen Furchen und Falten seltsam hart und unerbittlich vorgekommen war. Vielleicht sogar Furcht einflößend … tatsächlich waren mir die meisten Menschen aus dem Weg gegangen, selbst wenn ich sie angelächelt hatte. Inzwischen ertappte ich mich dabei, dass ich mein altes Gesicht gerne gegen das jugendliche Antlitz eingetauscht hätte, das ich nun im Spiegel sah – so grün, wie ich jetzt aussah, konnte ich mich selbst kaum noch ernst nehmen!

Die Erfahrung, die ein Mensch hatte, stand ihm ins Gesicht geschrieben, wie bei Sergeant Anders hier, bei dem ein Blick reichte, um zu wissen, dass der Mann wusste, wovon er sprach.

Der Rest der Rekruten, die halbwegs gerade vor ihm standen, war kaum älter als zwanzig; einer von ihnen, Schwertrekrut Tobas, hatte sich am Tag seines fünfzehnten Geburtstages zu den Legionen gemeldet.

»Ihr drei«, knurrte der Sergeant und wies mit seinem verkrüppelten Finger auf die Ersten, die links in der Reihe standen … und damit auch auf mich. »Wie ihr vielleicht wisst, wurde vor ein paar Tagen diese Festung beinahe überrannt, während es im Umland verdächtig ruhig geblieben ist.« Der Sergeant wies mit seinem Dolch auf die Karte, die hinter ihm an der Wand hing. »Es ist jedes Mal dasselbe, wenn es ein paar Jahre keinen Angriff gegeben hat, denken irgendwelche Hornochsen, das wäre die Gelegenheit, sich hier in der Ostmark ein neues Leben aufzubauen und sich um die Feste herum anzusiedeln.« Er stieß ein kurzes bitteres Lachen aus. »Weil sie denken, dass es sicher wäre. Und statt dass er ihnen dafür in den Hintern tritt, hat der Marschall das noch unterstützt … indem er diese Dörfer und Gehöfte von hier aus jede zweite Woche mit dem Nötigsten versorgen ließ.« Er ließ seine kühlen grauen Augen über uns schweifen. »Wie kaum anders zu erwarten war, kehrten die Handelswagen, die vor drei Tagen aufgebrochen sind, nicht wieder zurück. Sie nahmen diese Strecke, nach Süden, hier am Brandsteinfall und dem Totenmoor vorbei, nach Alkith, Dormuth und letztlich Akenstein. Akenstein ist das größte dieser Dörfer, es gab dort fast fünfhundert Einwohner, und sie haben einen Gartenzaun um ihre Hütten gezogen und dachten, es wäre eine Festungsmauer.«

Er spie aus und traf zielgenau die Öffnung eines Spucknapfs, der gut zwei Schritt entfernt stand. »Wir wissen, was ihr finden werdet. Nichts, das noch leben wird. Dennoch hat der Obrist in seiner grenzenlosen Weisheit beschlossen, dass wir hier Flagge zeigen sollen … ihr sollt nun erkunden, was geschehen ist, auch wenn wir es schon längst wissen. Einer unserer Späher hat eine Kriegsbande der Barbaren gesehen, vor zwei Tagen, als sie etwas übermütig wurden. Es können nicht mehr als zweihundert gewesen sein … aber das sind nur die, die wir gesehen haben.« Er tippte mit der Spitze seines Dolchs auf die Linie, die die Straße nach Süden darstellte. »Euer Auftrag ist einfach: Ihr geht die Straße entlang, bis ihr entweder auf Barbaren stoßt und dann auf allerhöchsten Befehl den Schwanz einkneift und in die Feste zurückkehrt, oder bis ihr die euch zugewiesenen Dörfer erreicht, euch dort anseht, was die Barbaren davon übrig gelassen haben, und dann den Schwanz einkneift und zurückkommt. Du«, sagte er und wies mit seinem Dolch auf eine junge Soldatin, die tapfer schluckte, »gehst mit deinen Leuten nach Alkith, du nach Dormuth und du«, der Dolch wies jetzt auf mich, »nach Akenstein. Noch mal, der Obrist wünscht keine Heldentaten, er will wissen, wie es um diese Dörfer bestellt ist … und braucht seine Rekruten lebend wieder, damit vielleicht eines Tages doch noch Soldaten aus euch werden!« Er bedachte die Soldatin neben mir mit einem düsteren Blick. »Besorg dir einen scharfen Dolch«, riet er ihr. »Und wenn du siehst, dass es kein Entrinnen gibt, zögere nicht. Glaub mir, bei den Göttern, du willst nicht miterleben, was sie mit dir machen werden, wenn sie dich in die Finger bekommen. So, jetzt sammelt eure Schäflein ein und seht zu, dass ihr heil wieder zurückkommt. Wegtreten.«

Während wir salutierten, wandte er sich an die restlichen sieben Tenetiere. »Ihr braucht gar nicht so erleichtert dreinzuschauen … ihr geht zu einem vorgelagerten Beobachtungsposten … und dreimal dürft ihr raten, ob der sich in den letzten Tagen gemeldet hat …«

»Ser«, fasste sich die Soldatin ein Herz. »Was ist, wenn wir doch Überlebende antreffen?«

Sergeant Anders schaute sie überrascht an.

»Schwertrekrut Firande«, sagte er dann leise und bewies damit, dass er sich Namen durchaus merken konnte. »Ihr solltet beten, dass es nicht so ist. Denn dann fällt euch die ehrenvolle Aufgabe zu, den Leuten mitzuteilen, dass sie ihr Hab und Gut aufgeben und in die Festung zurückkehren müssen. Ihr hättet dann den Auftrag, diese Hornochsen, die sich jedem vernünftigen Rat verwehren werden, hierher zurückzugeleiten … und euer Leben dafür einzusetzen, dass sie hier auch ankommen. Mein Rat ist, seid dankbar für jeden, der sich weigert mitzukommen, denn je weniger euch behindern, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr die Festung wiederseht. Und jetzt fort mit euch.«

Es gab nicht viele Seras unter den Rekruten, Firande war in unserer Tenet die einzige, gerade groß genug, dass man eine Rüstung für sie hatte finden können, und, wie der Rest von uns, nicht annähernd ausreichend darin geübt, sie auch zu tragen, geschweige denn darin zu kämpfen. Die Rüstungen der kaiserlichen Legionäre waren zurecht als Meisterwerke der Rüstungsschmiede berühmt, aber, wie mir Serafine einmal erzählt hatte, dauerte es ein gutes Jahr, bis man die Muskeln entwickelte, die es brauchte, um sich darin anständig zu bewegen. Jedem von uns, auch mir, schienen die Rüstungen noch zu groß; damit sie wenigstens einigermaßen passten, hatten einige sogar zwei der gepolsterten Jacken angezogen, die man uns zugeteilt hatte.

Schwertsergeant Anders war gnädig mit uns verfahren. Alkith lag keine zwei Wegkerzen von der Feste Braunfels entfernt, Dormuth vier und Akenstein sieben … und sie lagen alle auf demselben Weg, sodass wir zumindest bis Alkith gemeinsam marschieren konnten.

Schwertrekrut Firande besaß braune Haare, dunkelblaue Augen und ein weites Lächeln, und wir wussten alle, dass Sergeant Anders sie lieber zum Kartoffelschälen eingesetzt hätte, als dafür, eine Streife ins Feindgebiet zu führen. Denn das war es, egal, ob die Karten das Land um Braunfels herum mit dem kaiserlichen Drachen markierten oder nicht. Ich hätte es nicht anders gehandhabt. Oder sie vielleicht doch zum Kartoffelschälen abgestellt. Es gab bei den kaiserlichen Legionen genügend weibliche Soldaten, die mir Respekt abnötigten, aber viele hatten einen hohen Preis dafür bezahlt. Dass in den Legionen auch Frauen dienten, war etwas, das mir nicht sonderlich gefiel.

Kaum eine Kerzenlänge später brachen wir auf. Jeder von uns war wie ein Lastesel bepackt, mit Schwert, Schild und einem Packen, der das Nötigste für drei Tage enthielt: Wasserschlauch, Dörrfleisch, Käse, schwarzes Brot und Dauerwurst, dazu noch Wetzstein, ein kleiner metallener Spiegel, Angelschnur, Zunderkästchen und andere Dinge, die der Zeugwart für notwendig erachtete, zwei von uns führten zudem leichte kaiserliche Armbrüste mit je zweimal zwanzig Bolzen mit sich.

Mit dem Wetter hatten wir Glück; auch wenn in der Ferne dunkle Wolken heranzogen, war es ein schöner Tag, und für die Ostmark, wie ich inzwischen wusste, sogar ausgesprochen mild.

Der Weg, dessen tiefe Wagenspuren hier und da mit Steinen aufgefüllt worden waren, erwies sich als nicht allzu schlammig, und wir kamen in der ersten Kerzenlänge gut voran.

Ich wusste, dass die Legionen oft mit Gesang marschierten, wir hätten es vielleicht auch tun sollen. So aber marschierten wir schweigend, und jedes verlassene oder abgebrannte Gehöft, das wir in der Ferne sahen, drückte uns mehr aufs Gemüt. Es war, als gäbe es außer uns keine Lebenden mehr auf dieser Welt.

Zwei Wegkerzen wäre Alkith entfernt, hatte uns Sergeant Anders versichert. Von Schwertmajor Blix wusste ich, dass er davon ausging, dass seine Lanze mehr als drei Meilen in einer Kerzenlänge marschieren konnte, für ihn und seine Lanze mochte es vielleicht sogar zutreffen. Für uns nicht. Schon nach den ersten Schritten schien die Rüstung mich in den Boden ziehen zu wollen, und bevor die erste Kerzenlänge vergangen war, brannten meine Schultern von dem Gewicht der schweren Panzerung.

Der Rüstungsschmied hatte Platz für die Muskeln gelassen, die wir noch nicht besaßen, und auch der Versuch, die Rüstung auszupolstern, führte nur dazu, dass es an den unmöglichsten Stellen scheuerte und drückte.

Davon abgesehen, waren wir alles andere als leise. Unsere Waffen und Rüstungsteile schepperten so sehr, dass man uns schon von Weitem kommen hören konnte, wie die Krähen, die von dem Pritschenwagen dort vorne aufstiegen, noch bevor wir ihn richtig sehen konnten. Bis hierhin war der Weg verlassen gewesen, nicht eine Menschenseele hatten wir gesehen, nur einen kleinen Hund, der erst angerannt kam, als ob er froh wäre, uns zu sehen, um dann zu bellen, auf seinen Hinterpfoten zu tanzen und schließlich in Richtung eines fernen Gehöfts davonzulaufen … und dann stehen zu bleiben und erneut zu bellen, als ob er uns auffordern wollte, ihm endlich zu folgen.

Dreimal tat er das, schließlich blieb er am Wegrand sitzen und sah uns nach … selbst als wir ihn nicht mehr sehen konnten, hörten wir ihn noch heulen. Wir wussten, was er uns hatte zeigen wollen.

Danach hätte auch Gesang den grimmigen Gesichtern meiner Kameraden wohl kaum geholfen.

Der Wagen, den wir fanden, war einer dieser niedrigen, mehr schlecht als recht zurechtgezimmerten Pritschenwagen mit einem festen Kutschbock, gerade groß genug, um von einem Pferd gezogen zu werden. Das lag in seinem Zaumzeug zwischen den Deichseln, von ihm waren die meisten Krähen aufgestiegen. Eine schwere Axt hatte dem Tier den Schädel gespalten, und es fehlten Stücke an dem Kadaver, die jemand herausgeschnitten hatte.

Ein Mann mittleren Alters und ein Kleinkind von nicht mal einem Jahr fanden wir seitlich des Wagens, der Vater hatte sich über das Kind geworfen, doch ein Speerstoß hatte sie beide durchbohrt.

Seine junge Frau, vielleicht war es auch die Tochter, fanden wir etwas abseits des Wegs, nahe einer Feuerstelle, wo sich unsere Barbarenfreunde eine Pause gegönnt hatten, um sich am Pferdefleisch und ihrer Beute gütlich zu tun. Um ihren linken Knöchel war ein grobes Hanfseil geknotet, an dem sie, den Spuren nach, zurückgezogen worden war, als sie fliehen wollte. Der blutige Stein, mit dem man sie erschlagen hatte, lag noch immer dort.

»Sie sind mindestens schon seit drei Tagen tot«, stellte einer der Soldaten mit rauer Stimme fest und beugte sich über die junge Frau, um ihr zwei Kupferstücke auf das zu legen, was die Krähen übrig gelassen hatten, da es nicht mehr möglich war, ihr die Augen zu schließen.

Hier gab es genügend Steine, um die Toten schnell zu begraben, es brauchte nicht sehr lange, dann marschierten wir weiter. Ich warf einen Blick zurück, auf die wenigen Habseligkeiten, die um den Wagen herum verstreut waren, ganz offensichtlich hatten sie versucht, sich mit einem Teil ihres Hausrats in der Feste in Sicherheit zu bringen … das Pferd war schon älter gewesen, und ich konnte mir in etwa vorstellen, wie schnell sie vorangekommen waren …

Kurz bevor wir Alkith erreichten, begrüßte uns ein Kamerad, der an den Stamm einer großen Eiche genagelt war. Er trug nur den wattierten Waffenrock und wie es aussah, hatte er noch eine Weile gelebt, nachdem man ihm die hölzernen Nägel durch die Gelenke getrieben hatte. In die Borke der Eiche hatte man Runen geschnitzt, die keiner von uns verstand.

»Wird eine Streife vermisst?«, fragte einer der anderen, doch wir sahen uns nur ratlos an. Wir waren alle erst gestern nach Braunfels gekommen, und unser Kamerad hier war bestimmt schon seit über einer Woche tot, viel hatten die Krähen und anderes Getier von ihm nicht mehr gelassen. Nur dort, wo der wattierte Waffenrock ihn schützte, waren sie nicht weit gekommen. Während wir ihn begruben, gab es kaum eine Hand, die nicht am Schwertgriff lag, oder Augen, die sich nicht ängstlich umsahen.

»Hinter dieser Anhöhe«, meinte Firande und wies mit der gepanzerten Hand die Richtung, während sie mit der anderen eine Karte auf ihrem Oberschenkelschutz gerade strich, »müsste Alkith liegen.«

Wahrscheinlich. Ich hörte nicht richtig zu, ich sah nur gebannt zu dem Reh hin, das aus dem kleinen Wäldchen trat, uns musterte und dann gemächlich davonging.

Alkith ein Dorf zu nennen, wäre zu viel der Ehre gewesen, es war ein Weiler mit ein paar Häusern und Gehöften. Das größte Gebäude war eine Scheune, und das einzige, das zumindest in den Grundmauern aus Stein erbaut worden war, war ein kleiner Gasthof mit einer Schmiede.

Wir hatten den Ort knapp eine Kerzenlänge vor Mittag erreicht und auf den ersten Eindruck schien alles unberührt, doch dass Lanzensergeant Anders mit seinen düsteren Vermutungen recht behalten sollte, wurde uns klar, als wir die eingeschlagenen Türen und offenen Gatter wahrnahmen, den Schemel, der mitten auf dem Pfad zum Brunnen lag, und dass das, was von der Brunnenwinde herabhing, nicht nur die Brunnenkette war.

Armus war derjenige gewesen, der vorsichtig in die Tiefe geschaut hatte, um sich dann, mit einem Ausdruck des Entsetzens im Gesicht, wortlos neben den Brunnen zu erbrechen.

Der Feind hatte einen Unglücklichen mit seinem Gedärm an der Winde festgebunden und in den Schacht gestürzt. So grausam sein Schicksal uns erschien, hatte er wahrscheinlich noch Glück gehabt. Wir fanden, was von den anderen Dorfbewohnern übrig war, in der Scheune. Man hatte sie, wie die Schweine und die Kühe, die sich dort befunden hatten, abgeschlachtet.

Wir zählten sie, siebenundzwanzig Männer, Frauen und Kinder lagen dort.

»Sie haben die Mädchen und Frauen zwischen zwölf und zweiundzwanzig mitgenommen«, stellte Firande mit rauer Stimme fest, nachdem sie in ihrem Streifenbuch nachgesehen hatte. »Sechs insgesamt.« Sie schluckte und sah suchend zu mir und dem anderen Streifenführer hin, einem jungen Mann aus Aldane, dessen Name ich vergessen hatte.

»Damit ist euer Auftrag erfüllt«, meinte ich. »Seht zu, dass ihr zurück zur Feste kommt.«

»Was ist mit den Toten?«, fragte sie gepresst. »Wir können sie doch hier nicht so liegen lassen.«

»Wir werden sie begraben.« Der Aldane führte das Zeichen der Dreieinigkeit über seiner Brust aus. »Nimm deine Leute und geh.« Er musterte sie mit einem undeutbaren Blick. »Dass du das hast sehen müssen, ist schändlich genug. Wenn du meine Schwester wärst, hätte ich dir den Hintern derart gestriemt, dass du nicht zu den Trommeln hättest kriechen können … dies ist kein Leben für eine Sera!«

»Es war meine Entscheidung«, entgegnete sie beherzt, und der Aldane nickte müde. »Zudem, mein Bruder und mein Vater sind beide dieses Jahr gestorben. Meine Mutter und meine Schwestern müssen von etwas leben. Wenn ich falle, bekommen sie wenigstens meinen Totensold.«

»Ich verstehe«, sagte er langsam und bewies damit für einen Aldanen überraschende Einsicht. »Dennoch, es wäre uns allen wohler, wenn du nicht fallen würdest. Also sieh zu, dass du von hier verschwindest.«

Dem konnte ich mich nur anschließen.

Jeder von uns führte eine su’Tenet an, ein Zehntel einer Tenet, also zehn Mann. Von den zwanzig, die blieben und zusahen, wie Firandes su’Tenet den Pfad zurückging und aus unserer Sicht verschwand, dachte wahrscheinlich jeder das Gleiche: Dass wir froh waren, dass sie keinen weiten Weg zurück zur Feste hatten … und jeder von uns am liebsten mit ihr gegangen wäre.

»Also gut«, ordnete der Aldane an, nachdem wir von Firande nichts mehr sahen. »Jeder sucht sich etwas, womit er graben kann …«

»Nein«, erwiderte ich leise und zog ihn etwas zur Seite weg. »Wenn du sie alle begraben willst, wird das bis morgen dauern … die Zeit habt ihr nicht. Wir würden alleine schon eine Glocke verlieren, bis wir wissen, zu wem welches Körperteil gehört. Es dauert einfach zu lange.« Ich wies zur Sonne hoch. »Wenn wir uns beeilen, können wir Dormuth in einer Glocke erreichen … und ihr könnt es noch am Abend zurück zur Feste schaffen.«

»Es wäre ein Frevel, sie so liegen zu lassen«, gab er störrisch zurück. »Wenn wir sie nicht mit einem Gebet begraben, kommen sie vielleicht als Wiedergänger zurück.«

»Dann sprechen wir ein Gebet für alle und brennen die Scheune ab, wenn wir auf dem Rückweg hier durchkommen. Aber nicht jetzt.«

»Im Buch Soltars steht, dass ein jeder verpflichtet ist, den Toten Respekt zu zollen«, beharrte er, aber so, wie er zur Scheune hinsah, war ihm anzumerken, wie wenig erpicht er darauf war, den Ort noch einmal zu betreten.

»Die Lebenden sind wichtiger«, sagte ich und wies auf unsere Kameraden, denen ihre Gedanken ins Gesicht geschrieben standen. Es gab wohl kaum jemanden, der länger als nötig hier verweilen wollte. »Auf dem Rückweg Feuer«, wiederholte ich. »Ein Gebet, das wird reichen. Soltar wird nicht so kleinlich sein, sie vor seinen Toren warten zu lassen, nur weil sie nicht begraben wurden.«

»Zumindest auf das Gebet sollen sie nicht länger warten«, entschied er, und wir gingen zusammen in die Scheune zurück, um ihnen das Leitgebet zu sprechen. Der Gestank von altem Blut und Tod trieb mich fast wieder hinaus, aber die Blöße wollte ich mir nicht geben. Während wir das Gebet sprachen, bewegte sich einer der Toten, und der Aldane wurde bleich, doch es war nichts, es war nur die Verwesung oder die Maden, die den Leichnam hatten nach vorne kippen lassen.

Wir brauchten dann doch länger, um Dormuth zu erreichen. Auf dem Weg fanden wir noch den Kadaver eines Reitpferds, aber keine Spuren seines Reiters … und einen alten Mann, mit einer Schütte zu seinen Füßen, der auf einem Stein nahe dem Wegrand saß, als wäre er nur erschöpft und würde Rast machen. Er hatte die Hände in den Schoß gelegt und saß zusammengesunken da. Die Barbaren hatten ihn wohl nicht getötet, denn es gab keine Spuren einer Verletzung an ihm zu sehen.

»Vielleicht hat er einfach nur aufgegeben«, überlegte einer der Kameraden. »Ich glaube, er hat sich in den Tod geweint.«

»Ja«, sagte ein anderer Rekrut und sah hinüber zu dem abgebrannten Gehöft, das nicht weit von hier zu sehen war. »Er hat vielleicht das dort überlebt … und dann nicht mehr leben wollen.«

Dormuth unterschied sich von dem Weiler vorhin durch zwei Dinge. Zum einen rochen wir die kalte Asche schon, bevor wir den Ort sahen, zum anderen brauchten wir die Einwohner nicht zu suchen, wir fanden ihre Köpfe, sorgfältig aufgereiht, am Wegesrand liegend vor. Der Aldane sah in seinem Streifenbuch nach.

»Vier mehr, als es sein sollten«, stellte er dann mit belegter Stimme fest. »Diesmal haben sie auch die Seras nicht verschont … vielleicht sind darunter ein paar der Seras, die sie aus Alkith mitgenommen haben.«

Von dem Dorf stand nichts mehr, man hatte an jedes Gebäude Feuer gelegt, der süßliche Geruch verriet uns, was mit dem Rest der Körper geschehen war. Der Aldane sah sich um, musterte die dunklen Wolken am Himmel und schaute dann zu mir. »Es sieht nach Regen aus … wenn wir jetzt zurückkehren, werden wir die Hand vor Augen nicht mehr sehen. Wir sollten besser hier in der Nähe rasten.«

»Wenn es regnet, ist es gut, es dämpft die Geräusche«, teilte ich ihm mit. »Und wenn ihr nichts sehen könnt, sieht auch euch niemand. Der Weg ist schwer zu verfehlen … schlafen könnt ihr, wenn ihr wieder sicher in der Feste angekommen seid.«

»Und du, Lenar?«, fragte er. »Was hast du vor?«

»Wir werden ein wenig weitermarschieren«, erklärte ich ihm. »Wir haben etwas mehr als eine Kerzenlänge bis zur Dämmerung. Dann werden wir irgendwo Rast machen.« Ich schaute von den Köpfen zu den rauchenden Ruinen hin, der Anblick war leichter zu ertragen. »Nicht alle Feuer sind vollends erloschen, hier und da schwelt es noch. Es ist keine zwei Tage her, dass das geschehen ist. Je weniger wir sind, desto weniger fallen wir auf.«

Er musterte mich sorgfältig.

»Es ist nicht das erste Mal, dass du so etwas gesehen hast«, meinte er dann.

»Ja«, nickte ich. »Es wird auch nicht das letzte Mal sein.«

Hochkommandant Keralos hatte recht behalten. Es war an der Zeit gewesen, am eigenen Leib zu erfahren, was es hieß, ein kaiserlicher Legionär zu sein. Jetzt stand ich da und sah dem Aldanen nach, wie er mit seiner su’Tenet davonmarschierte und dachte, dass es eine Schande war, mir den Namen des Aldanen nicht gemerkt zu haben. Als ich mich wieder umdrehte, sah ich in zehn müde Gesichter, die von mir wissen wollten, was nun zu tun war. Und ja, der Aldane hatte recht, es würde bald zu regnen anfangen.

»Wir gehen in einer Reihe«, teilte ich ihnen mit. »Die zwei Armbrustschützen an dritter und siebter Position. Du … Petir?«

»Petar, Ser.«

»Petar. Du kümmerst dich nicht um das, was vor uns geschieht, du schaust nur nach hinten. Jeder Zweite schaut nach rechts, die anderen nach links. Wir marschieren nicht, wir gehen. Und jeder schaut bei seinem Vordermann, wo etwas klappert oder die meisten Geräusche entstehen. Wir reden nicht, wir flüstern. Ich gehe an der Spitze, und ihr folgt in zwanzig Schritt Abstand. Wenn ich die Hand hebe, oder stehen bleibe, bleibt ihr stehen, wenn ich mich ducke, duckt ihr euch, und wenn ich mich fallen lasse, will ich euch alle im Dreck liegen sehen, bevor ich selbst dort ankomme.« Ich wies auf das verbrannte Dorf vor uns. »Das ist höchstens zwei Tage her. Wer immer das angerichtet hat, könnte noch in der Nähe sein.«

Als der Regen kam, hatten wir das, was von Dormuth übrig war, bereits ein gutes Stück hinter uns gelassen. Man hatte den Wald um das Dorf herum geschlagen und Felder angelegt; es gab viel fruchtbaren Boden hier. Aber ich war erleichtert, als wir den Wald erreichten. Das nasse Laubwerk dämpfte die Geräusche und gab uns Deckung, wir waren nicht mehr ganz so leicht zu entdecken.

Die Erleichterung hielt nicht lange an, denn dort, abseits des Weges, ein Stück in den Wald hinein, fanden wir einen anderen unserer Kameraden an einen Baum genagelt vor.

Die Regenwolken hatten die Dämmerung beschleunigt, unter dem Laubwerk war es bereits so dunkel, dass man kaum etwas sehen konnte, so war es nicht verwunderlich, dass ich ihn ohne Seelenreißer wahrscheinlich nicht gesehen hätte. Gleich zu Beginn unserer Reise nach Askir war ich für ein paar Tage blind gewesen, damals hatte ich gelernt, mich auf die Wahrnehmung meines Schwertes zu verlassen. Seitdem war ich darin besser geworden, mittlerweile konnte ich durch Seelenreißer alles Leben in einem Umkreis von gut vierzig Schritt wahrnehmen, von dem Hirschkäfer in der Borke bis hin zu unserem Kameraden, dem man hölzerne Nägel durch alle Gelenke getrieben hatte.

Dass ich ihn durch Seelenreißer fühlen konnte, bedeutete aber auch, dass er noch am Leben war.

Ich hob die Hand, und hinter mir hörte das leise Klappern auf. Vorsichtig trat ich näher, doch erst als ich keine zwei Schritt mehr von ihm entfernt stand, bemerkte der Unglückliche mich und hob mühsam den Kopf, um einen gurgelnden Laut auszustoßen.

»Götter!«, rief Bemmert, einer der Rekruten. »Er lebt noch!« Er brach aus der Reihe aus und rannte auf uns zu. »Worauf wartet ihr?«, rief er seinen Kameraden zu. »Wir müssen ihm helfen!«

»Keiner bewegt sich!«, rief ich nach hinten, als die anderen ihm folgen wollten. »Auch du nicht, Bemmert!«

Denn der Legionär am Baum versuchte mir etwas zu sagen. Was ohne Zunge schwierig war, er sah nur immer wieder zu einem Punkt auf dem Boden etwas seitlich von mir und dann hoch zu dem dunklen Laubwerk über uns. Wasser lief von meinem Helm herab und kalt in den Nacken, während ich gegen den Regen blinzelte. Irgendetwas war dort oben und … »Bemmert!«, schrie ich. »Keinen Schritt weiter! Dort ist …«

»Willst du ihn da hängen lassen?«, beschwerte sich der Rekrut empört und tat den verhängnisvollen nächsten Schritt, woraufhin ich zu ihm hinsprang, um ihn zu Boden zu reißen, gerade als zu seinen Füßen ein Seil aus dem Laubwerk schoss … und ein Rauschen und Knarzen von oben kam.

»Lass mich los!«, rief Bemmert empört, schlug mir den gepanzerten Ellenbogen ins Gesicht, drehte sich mit aller Macht aus meinem Griff und stemmte sich mit Händen und Knien gegen meine Versuche, ihn aufzuhalten, um sich empört halb aufzurichten.

Ein Stück Baumstamm, gespickt mit angespitzten Pfählen, rauschte über mich hinweg und riss Bemmert mit sich fort … ein dumpfes Geräusch war zu vernehmen, als ob jemand einen Kürbis zerschlagen würde, dann folgte der Aufprall auf dem Baum, an den unser geschundener Kamerad genagelt war.

Laub und Astwerk fielen herab, selbst im weichen Waldboden war die Erschütterung zu spüren … einer der Pfähle hatte sich durch den Legionär tief in den Baum gebohrt. Neben ihm hing Bemmert, dem einer der Pfähle knapp oberhalb seiner Rüstung in den Hals gefahren war.

Vielleicht hätte, wenn ich ihn nicht umgeworfen hätte, seine Rüstung sogar gehalten und er wäre mit Knochenbrüchen davongekommen, so aber hörten seine Füße bereits auf zu zucken.

»Götter«, flüsterte einer der Rekruten.

Ich stand langsam auf und wandte mich den anderen zu, die nun doch ein paar Schritt näher gekommen waren.

»Er war schon halb tot und hat dennoch versucht uns zu warnen«, erklärte ich leise. »Und Bemmert hat es ihm versaut. Die Barbaren wussten, dass wir eine Streife schicken würden … und sie haben uns erwartet.« Ich wies auf den dunklen Wald vor uns. »Irgendwo dort sind sie … oder einer ihrer Späher. Das nächste Mal, wenn einer von euch meinen Befehl missachtet, bringt er sich vielleicht nicht nur selbst um, sondern auch jeden anderen von uns.« Ich sah sie der Reihe nach an, was in der Dunkelheit nicht einfach war. »Haben wir uns verstanden?«

»Aye, Ser«, sagte Armus und schluckte.

»Wartet hier. Jeder Zweite schaut nach links«, erinnerte ich sie, während ich vorsichtig zu Bemmert und dem toten Kameraden ging. Doch wenn es weitere Fallen gab, dann sah ich sie nicht, nur Bemmert und seinen Geist, der sich unverständig umsah. Er bewegte seine Lippen.

Bin ich tot?

Doch bevor ich antworten konnte, zerfaserte er bereits in einem unfühlbaren Wind. Seinen sechzehnten Geburtstag würde er nicht mehr erleben. Ich hängte sein Schwert aus, schnitt ihm seinen Rucksack vom Rücken, anders kam ich nicht daran, und kehrte zu den anderen zurück.

»Verteilt die Lebensmittel untereinander«, wies ich sie an. »Und dann weiter. Wir müssen einen Ort zum Lagern finden.«

»Im Wald?«, fragte einer der Rekruten und schluckte, während er sich furchtsam umsah.

»Ja. Im Wald.«

»Was ist mit Bemmert und dem Kameraden?«, fragte ein anderer.

»Wir werden für ihn beten«, teilte ich ihm mit. »Wenn wir wieder in Braunfels sind. Bis dahin beten wir für uns.«

»Lenar?«, flüsterte einer der Rekruten, während ich, Seelenreißer fest in der Hand, nach vorne spähte. Hier war das Laubwerk etwas lichter, und man konnte ein wenig mehr erkennen.

Ich drehte mich um. »Was gibt es?«, fragte ich genauso leise zurück.

»Diese Wagenspuren sind frisch«, teilte er uns mit und wies auf den Boden, wo ich in der zunehmenden Dunkelheit nur mit Mühe die mit Wasser gefüllten Wagenspuren erkennen konnte. »Noch keine Glocke alt.«

Es mochte sein, dass ein mutiger Händler mit seiner Eskorte und allem Glück der Götter bis hierher durchgekommen war, doch irgendwie glaubte ich nicht daran.

»Sie haben die Wagen überfallen und mitgenommen«, stellte ein anderer Rekrut fest.

»Damit wissen wir dann auch, wer die Unglücklichen waren, die wir an die Bäume genagelt vorfanden«, hauchte ein anderer. »Die Eskorte.«

Sechs Mann für jeden Handelswagen. Das bedeutete, dass vier fehlten … und vielleicht sogar noch am Leben waren. Das bedeutete aber auch, dass sie sich langsam fortbewegten.

Ich sah mich um und traf eine Entscheidung. »Wir verlassen den Weg hier und schlagen uns in den Wald.«

Als wir in den Wald marschierten, sanken unsere schweren Stiefel tief in den weichen Boden ein. Spätestens am Morgen wäre selbst ein Blinder in der Lage, unsere Spuren zu verfolgen, doch dagegen konnten wir nichts tun.

»Oh Götter«, stöhnte einer der Rekruten. »Wie sind meine armen Füße geschunden worden!«

Er sprach damit aus, was wohl jeder Neuling dachte. Feuchtigkeit und neue Stiefel gingen nicht gut zusammen. Meine Stiefel waren alt, gut eingelaufen und gefettet, insofern ging es mir ein wenig besser.

»Was gäbe ich jetzt für ein Pferd«, meinte ein anderer wehmütig. »Ich hoffe nur, dass die Gerüchte wahr sind und der Lanzengeneral uns allen Pferde geben wird!«

»Ein Pferd würde dir jetzt auch nicht helfen«, stellte Armus fest.

»Doch«, widersprach ein anderer. »Wir könnten es essen.«

»Nicht ohne Feuer«, gab Armus bedrückt zurück und zog seinen nassen Umhang enger um sich.

»Wenn wir schon beim Wünschen sind«, meinte ein anderer sehnsüchtig, »dann hätte ich jetzt gerne einen Gasthof mit einem warmen Kamin, gutem Bier und einer willigen Schankmagd!« Ich sah den weißen Fleck seines Gesichts, als er sich mir zuwandte. »Können wir denn gar kein Feuer machen, auch kein kleines?«

»Selbst hier im Wald kann man den Schein weit sehen … und noch weiter kann man das Feuer riechen«, sagte ich und massierte mir den linken Knöchel, den ich mir eben auf einer Baumwurzel vertreten hatte. Ich wies auf die Baumgruppe, die ich mir ausgesucht hatte, hier standen fünf Bäume recht eng zusammen. »Spannt vier Zeltbahnen zwischen den Bäumen dort, damit wir einen Windschutz haben, und die restlichen zu einem Dach.« Ich stand mühsam auf. »Ich werde die erste Wache halten. Ihr zwei habt dann die nächste Wache.«

»Sollten wir nicht losen?«, meinte einer der Rekruten, die ich ausgedeutet hatte, und klang recht unglücklich dabei. Er war es gewesen, der die Wagenspuren entdeckt hatte, und Armus war bei unserem Gang durch den dunklen Wald nicht ein einziges Mal gestrauchelt. Beide besaßen entweder gute Nachtsicht oder eine hohe Aufmerksamkeit.

»Nein«, antwortete ich ihm. »Das sollten wir nicht.«

Ich konnte mich an einige Gelegenheiten erinnern, die unangenehmer waren, als in einer kühlen, nassen Nacht ohne Feuer zu lagern, vor allem, wenn man in Rüstungen schlafen musste, die in den letzten Glocken scheinbar dreifach an Gewicht zugenommen hatten. Aber viele waren es nicht.

Dennoch schlief ich nach der Wache sofort ein, es half schon, dass die Zeltplanen über uns den Regen wenigstens so weit abhielten, dass er uns nicht in Bächen in den Nacken rann. Es roch nach feuchtem Laub, nasser Wolle, Rost und uns. Ab und zu bewegte sich jemand oder stöhnte leise, während der Regen weiterhin unvermindert auf die Zeltplanen über uns prasselte.

Bevor ich einschlief, dachte ich träge darüber nach, warum, bei allen Göttern, ich mich nur in diese Lage gebracht hatte …

Das Rätsel der Ostmark

2 »Ihr wollt in die Ostmark gehen?«, fragte Askannons verlorene Kaiserin fast schon empört, während wir zusammen die Kaiserstraße hinauf zur Zitadelle schritten. »Warum das? Wäre es nicht angebrachter, Eurer Freundin Leandra zu helfen?«

»Leandra hat Hilfe genug«, erklärte ich Kaiserin Elsine. »Die Priester können bestätigen, dass die Königin sie zu ihrer Nachfolgerin bestimmte. Sie ist an Steinherz gebunden, das sollte schon reichen, um ihren Anspruch zu sichern. Sie kommt durch ein magisches Tor, über das wir die Stadt von Askir aus versorgen können … und hat damit fast auch schon die Belagerung gebrochen. Blix wird sie begleiten, und wo Vernunft nicht ausreicht, wird der Anblick von hundert kaiserlichen Legionären schon für Ruhe sorgen. Sie bringt eine Allianz mit Askir mit und Hoffnung auf Rettung. Niemand, der noch klar denken kann, wird sich gegen sie stellen.«

Ich dachte an die alte Herzogin und fragte mich, ob sie es geschafft hatte, rechtzeitig nach Illian zu kommen. »Außerdem wird sie auch vor Ort Hilfe erfahren. Nein, Leandra braucht mich im Moment nicht. Generalsergeantin Kasale ist ungemein fähig, sie wird die zweite Legion so schnell ins Feld bringen, wie es irgend möglich ist, und hier in Askir ist die Lage ruhig. Das Problem war und ist die Ostmark. Dort stehen fast dreißigtausend hartgesottene Soldaten unter Marschall Hergrimms Befehl, eine Armee, die alleine schon die fünf oder sechs Legionen des Feinds aufhalten könnte, die wir in den Barbarenländern vermuten. Aber nicht, wenn es dem Nekromantenkaiser gelingt, die Barbaren unter seinem Banner zu vereinen. Die Bedrohung ist real. Bis jetzt ist es noch nie vorgekommen, dass die Barbaren vereint angegriffen haben, und auch so war es schon schwer genug, sie zurückzuhalten. Wenn sie gemeinsam mit den schwarzen Legionen marschieren, werden sie uns wie eine Flutwelle überrennen … dann dauert es nicht mehr lange, bis sie vor unseren Mauern stehen.«

»Das können sie so lange tun, wie sie es wollen«, antwortete die ehemalige Kaiserin grimmig. »Nichts wird diese Mauern durchbrechen können.«

»Selbst wenn dem so wäre, nützt es uns wenig«, erklärte ich ihr. »Es verfehlt doch den Sinn, wenn wir hinter unseren Mauern gefangen sind, während der Feind den Rest der sieben Reiche erobert. Auch Askir kann nicht allein gegen diesen Feind bestehen.«

»Ich verstehe nicht, wieso diese Barbaren eine solche Bedrohung geworden sind«, sagte sie, während ich den Gruß einer Gruppe Offiziere erwiderte, die uns dann interessiert hinterhersahen. »Zu meiner Zeit gab es nur vereinzelt Übergriffe … dafür ließ sich der Handel gut an.«

»Das ist eine Weile her«, antwortete ich. Um die siebenhundert Jahre. Während sie in diesen magischen Ketten gefangen lag, hatte sich die Welt verändert. Nach allem, was ich wusste, nicht zum Besten.

»An was habt Ihr gedacht?«, wollte sie wissen. »Ihr habt doch selbst gesagt, dass unsere Legionen unzureichend sind … und es noch Jahre dauern wird, sie auf Stand zu bringen. Zeit, die, so möchte ich anmerken, uns Kolaron schwerlich gewähren wird. Er ist im Vorteil und wird diesen nutzen.«

»Deshalb sind wir hier«, entgegnete ich. »Ich bat meinen Adjutanten, Schwertleutnant Stofisk, nach Büchern über die Barbaren Ausschau zu halten. Er fand eines, das sich eignen könnte, und versprach mir, es für mich zu besorgen. Das war vor dem Überfall, mittlerweile sollte ihm das gelungen sein.«

»Schaut in den Archiven des Eulenturms nach«, riet sie mir. »Ich weiß, dass einige Eulen Zeit im blutigen Land verbrachten.«

Die Archive des Eulenturms waren nur den Eulen, den Maestros des Kaiserreichs, zugänglich, wie sie darauf kam, ich könnte sie selbst durchforsten, erschloss sich mir nicht, doch sie hatte insoweit recht, als dass ich Kaiserin Desina oder die Eule Asela danach fragen konnte. Nur, dass ich diesen beiden zumindest für den Moment nicht gegenübertreten wollte.

»Weshalb nennt Ihr die Ostmark so?«, fragte ich sie, um davon abzulenken. »Ich dachte, damals wäre die Lage nicht so schlimm gewesen?«

»Die Elfen nannten das Land so. Es gab dort vor Jahrtausenden eine Schlacht um eine der wenigen Elfenstädte, die es dort gab. Ich weiß nicht mehr, worum es ging, aber die Kämpfe waren wohl so blutig, dass man sich bis heute darauf besinnt.«

Sie seufzte. »Kennard hat sich schon immer dafür interessiert, er sandte sogar Expeditionen aus, um diese alte Elfenstadt zu finden und dort vielleicht etwas zu lernen. Nicht eine einzige ist je zurückgekehrt. Er sprach oft davon, dass wir selbst dort hinfliegen sollten, um die Stadt zu suchen …« Ein wehmütiges Lächeln umspielte ihren Mund. »Aber irgendwie kam es dann doch nicht dazu.«

Sie blieb stehen und sah mich mit diesen dunklen Augen an, die mich so sehr an Serafine erinnerten. Wie bei vielen, denen die Magie oder das Erbe der Alten oder sogar beides im Blut lag, war sie mit dieser zeitlosen Schönheit gezeichnet. Die Falten, die sie besaß, waren glatt und leicht zu übersehen und zeigten Charakter … dennoch hatten sich die Spuren tiefen Leids in ihr Gesicht gegraben. Irgendwann musste sie viel gelacht haben, die feinen Fältchen an ihren Augen verrieten es, doch die Spuren von Entbehrung waren tiefer in ihr Gesicht gezeichnet. Zudem umgab sie ein Gefühl von tiefer Traurigkeit und leiser Verzweiflung, oftmals, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, sah ich Tränen in ihren Augen oder die Mühe, die sie aufwandte, um nicht zusammenzubrechen. In dieser Hinsicht erinnerte sie mich an Asela, wahrscheinlich die einzige Maestra, die Askannons verlorener Kaiserin an Macht gleichkam, und beide Seras hatten unvorstellbar unter dem Nekromantenkaiser gelitten.

Doch während Asela sich wieder zum Kaiserreich bekannte und nun nach bestem Willen und Fähigkeiten Desina unterstützte, hatte mir Sera Elsine gleich zu Anfang mitgeteilt, dass sie nicht nach Askir zurückgekommen war, um dem Kaiserreich zu dienen.

»Ich will meinen Gemahl finden«, hatte sie mir erklärt. »Sonst nichts. Alles andere folgt daraus.« Deshalb hatte sie mir auch das Versprechen abgerungen, dass wir ihre Anwesenheit hier in der Stadt geheim halten sollten.

»Ich frage Euch erneut, was wollt Ihr tun?«, fragte sie mich jetzt. »Ihr seid ein Lanzengeneral, aber Euch fehlen die Truppen. Selbst früher, als das Reich noch mächtig war, wäre es eine Herausforderung gewesen, den Nekromantenkaiser zu besiegen … tatsächlich hat selbst Kennard es damals nicht vermocht, dieses Ungeheuer zu vernichten. Wie Ihr in der heutigen Lage glauben könnt, dass es einen Weg gibt, ihn zur Strecke zu bringen, erschließt sich mir noch immer nicht.«

»Mir auch nicht«, antwortete ich, während ich sie sanft am Arm nahm, um sie einem von hinten nahenden Ochsenkarren aus dem Weg zu ziehen. »Ich weiß nur, dass das Schlachten in der Ostmark ein Ende haben muss. Dafür muss ich wissen, was dort geschieht. Die Berichte, die ich gelesen habe, sind oftmals widersprüchlich, und ich habe das Gefühl, dass die ganze Wahrheit nur vor Ort zu finden ist. Also will ich dort hin und mir mit eigenen Augen ansehen, wie die Lage ist. Und schauen, ob sich etwas ändern lässt. Hauptsächlich deshalb, weil ich das Gefühl nicht loswerde, dass niemand sich bemüht, die Barbaren zu verstehen. Sie müssen einen Grund haben, weshalb sie sich so endlos gegen unsere Mauern werfen! Niemand zieht gerne in den Krieg, es muss etwas geben, das sie dazu zwingt.« Ich sah zu ihr hin. »Zumal Ihr mir bestätigt, dass es einst anders war.«

Sie gewährte mir hinter ihrem Schleier ihr seltenes Lächeln.

»Ihr seid ein Träumer, Ser Roderik.«

»So wie Ihr es sagt, klingt es nicht nach einem Vorwurf.«

»Es war auch keiner«, sagte sie sanft. »Es braucht Menschen, die träumen … sie sind es, die neue Wege suchen.« Ihre dunklen Augen musterten mich suchend. »Wie seid Ihr bloß Soldat geworden?«

»Euer Gemahl verzauberte mich und steckte mir einen Ring an.«

»Abgesehen davon?«

»Widerwillig.«

Eine Hand schüttelte mich wach, und in dem ungewissen Licht, das die Dämmerung ankündigte, sah ich Armus’ Gesicht über mir.

»Ich habe Stimmen gehört«, flüsterte er mir zu. Ich nickte und stand mühsam auf. Was auch immer sich Soltar dabei gedacht hatte, mir meine Jugend wiederzugeben, meine Knochen und Gelenke hatte er dabei wohl übersehen. Nach einer verregneten Nacht in Rüstung schmerzten sie, als hätten sie jedes meiner Jahre mitgezählt, und ich war steif wie ein Stock. Die unangenehme Feuchtigkeit und Kälte halfen dabei auch nicht weiter.

»Was ist?«, fragte er besorgt, als ich in der Bewegung erstarrte, mich gegen den Baum stützte und tief durchatmete.

»Es ist nichts«, flüsterte ich zurück. »Eine alte Wunde … und mein Rücken. Gebt mir einen Atemzug, dann wird es besser.«

Es brauchte etwas länger, bis ich mich bewegen konnte, ohne dass mir glühende Messer in den Rücken stachen, dann folgte ich ihm so leise, wie ich konnte. Er führte mich etwas tiefer in den Wald hinein und duckte sich, während wir mit unseren Augen die Düsternis zu durchdringen versuchten. Der Regen hatte etwas nachgelassen, und vom Waldboden stieg hier und da bereits der Dunst auf; wahrscheinlich würde es Nebel geben.

»Hört Ihr es?«, fragte er mich leise.

Der junge Mann besaß ein feines Gehör, es brauchte eine Weile, bis ich das ferne Lachen hören konnte.

»Geht zurück und weckt die anderen«, bat ich ihn. »Ich werde kurz erkunden. Wir treffen uns im Lager.«

Ich war nie besonders gut darin gewesen, mich anzuschleichen. Wie Zokora zu behaupten pflegte, machte ich Lärm wie eine ganze Herde Rinder. Im Vergleich zu ihr bestimmt, gegen sie war selbst ein Lufthauch laut. Wahrscheinlich hätte sie quer durch das feindliche Lager schleichen können, ohne dass sie jemand wahrgenommen hätte.

Hier war von Vorteil, dass es im Wald so früh am Morgen noch recht düster war und der immer dichter werdende Frühnebel die Sicht erschwerte und die Geräusche dämpfte. Doch die Wahrnehmung meines Schwerts wurde dadurch nicht gehindert.

Es mochten Barbaren sein, aber sie waren gerissen. Sie wussten, dass früher oder später eine Streife ausgeschickt werden würde und, so wie es schien, erfüllte sie der Gedanke nicht gerade mit Furcht und Schrecken.

Es gab eine Wache, die scheinbar achtlos an einem Baum lehnte und sich das Treiben im Lager besah, ohne allzu viel Aufmerksamkeit auf den Waldrand zu verschwenden. Ein Blinder hätte ihn gesehen. Die zwei, die ein paar Schritte links und rechts von ihm hoch in den Baumwipfeln lauerten, waren hingegen so gut versteckt, dass ich sie, obwohl ich durch Seelenreißer wusste, wo sie waren, dennoch kaum erblicken konnte.

Ich nahm die Einladung nicht an, sondern schlich im Bogen weiter … und fand das gleiche Spiel an anderer Stelle vor. Nur mit Mühe fand ich eine Lücke, dort, wo der kleine Bach, an dem sie lagerten, um einen großen Felsen floss, konnte man sich an dem Stein vorbeischleichen und war auf einer Seite sogar gegen den Beobachter im nächsten Baum gefeit. Der auf der anderen Seite hätte mich vielleicht sehen können, doch auch hier half der Nebel. Zudem hoffte ich, dass er seine Wachsamkeit auf den Waldrand gerichtet hatte. Ich hoffte, kroch und hoffte … und es geschah nichts.

Wo ich jetzt lag, war ich von drei Seiten von dem grauen Stein abgeschirmt, der allerdings für Seelenreißer kein Hindernis bedeutete. Zählte ich die mit, die sich in den Bäumen verborgen hielten, dann hatte ich es hier mit einer Gruppe von gut dreißig Mann zu tun, die Hälfte von ihnen lagerte scheinbar sorglos in Sichtweite. Offenbar beschrieb der Weg durch den Wald hier einen Bogen oder wir hatten uns in der Nacht in der Richtung vertan, so oder so, hätten wir in der Nacht weiter den Weg verfolgt, wir wären ihnen direkt in die Arme gelaufen.

Es war das erste Mal, dass ich einen Barbaren sah. Zokora hatte mir vorgeworfen, ich würde jedes Mal einen sehen, wenn ich mich rasierte, und so unrecht hatte sie damit wohl nicht, aber die Barbaren, die einst die Südlande bevölkert hatten, waren mit diesen hier nicht zu vergleichen.

Auch die Varländer schimpfte man, vor allem in Aldane, gerne Barbaren, und auch mein Freund Ragnar schämte sich nicht, auf das Spiel einzugehen, aber wo in meiner Heimat eher stämmige Menschen mit dunklen Haaren zu finden waren und die Varländer miteinander im Wettstreit zu liegen schienen, wer von ihnen zuerst so groß wurde, dass er die Monde vom Himmel holen konnte, waren diese hier eher schwarzhaarig und drahtig, wenn nicht schon fast dürr zu nennen und nicht besonders groß.

Woran erkennt man einen Barbaren, hatte mal irgendjemand gefragt. Daran, dass sie Felle tragen und ungewaschen sind. Daraufhin hatte einer der anderen Rekruten gelacht und gemeint, dass dann die meisten Adeligen, die er je gesehen hatte, auch Barbaren wären. Was den Aldanen dazu brachte, das Gegenargument zu bringen, Adelige trügen keine Felle, sondern Pelz, und wenn sie über Wochen die Bäder mieden, nun, dafür hatte man die Duftwasser erfunden.

Wie auch immer, nach einem Tagesmarsch und nach dieser feuchten Nacht stank jeder von uns wie ein Iltis.

Irgendwie fand ich die Barbaren enttäuschend unbarbarisch. Nun, zumindest manche von ihnen trugen auch noch Felle. Meist jedoch waren es eroberte Rüstungsteile oder hart gegerbte Lederrüstungen. Sie liefen auch nicht mit rohen Knüppeln umher, sondern trugen zum größten Teil Schwerter, die wohl aus den Arsenalen der Ostmark stammten, drei von ihnen trugen sogar die Schwerter kaiserlicher Legionäre. Ich sah kurze Lanzen, runde Schilder aus sauber gefügtem und mit gehärtetem Leder überzogenem Holz, Dolche und die kurzen Bögen aus Hirschhorn, die nicht weit schossen, dafür aber oft. Ganz hinten lag, an das hintere Rad eines der beiden Handelswagen gelehnt, auch eine leichte kaiserliche Armbrust.

Mit Lederriemen an das vordere Rad gebunden, entdeckte ich dort zwei Legionäre. Blutig, geschunden und verletzt, aber noch lebend. Auch vier der Mädchen und Frauen aus dem ersten Dorf hatten überlebt, sie wurden mit viel Gelächter und Schlägen dazu ermuntert, die Männer zu bedienen.

Zumindest tranken sie. Zwar nicht aus Totenschädeln, sondern aus dunkelgrünen Flaschen; die aufgebrochene Kiste, die unweit des Lagerfeuers stand, trug eingebrannt den Namen »Fahrentau«. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie gut der Wein war, unseren Freunden schien er jedenfalls zu munden.

Nun, das also waren die Barbaren der Ostmark. Auf mich wirkten sie wie jede andere Söldnergruppe, die ich je gesehen hatte, es gab nicht einen, der sich die Haare sonderlich lang hatte wachsen lassen, keine Knochen, die sie sich durch die Nase geschoben oder in ihre Barthaare geflochten hatten, was auch daran liegen musste, dass die meisten von ihnen mehr oder weniger rasiert waren … und wer einen Bart trug, trug ihn kurz gestutzt. Viele von ihnen hatten einzelne Tätowierungen in ihrem Gesicht, aber es gab nur einen, der älter war und auf einem kunstvoll gefertigten Klappstuhl saß, dessen Gesicht über und über mit Tätowierungen bedeckt war. Er trug außer einem Dolch mit einem Griff aus Bein keine Waffe, dafür lehnte an seinem Stuhl ein Stab, der mit dem Schädel einer Katze verziert war. Er trug auch keine Rüstung, sondern kunstvoll verzierte Lederkleidung, eine weite Hose und eine Art lederne Jacke, die ihm, wäre er gestanden, wohl bis zu den Knien gegangen wäre. Er trug sie offen, trotz der Kühle, und auf seiner Brust setzten sich die Tätowierungen fort.

Den anderen Anführer zu finden, war schwerer. Ich fand ihn schließlich etwas abseits, wo er auf einem Stein saß und sich sorgfältig das kaiserliche Langschwert besah, das er auf seinen Knien liegen hatte. Neben dem Schamanen war er der Einzige, der nicht getrunken hatte, seitdem ich sie beobachtete.

Was die Reinlichkeit anging: Weiter unten am Bach ließen sich drei der Barbaren von einer Sklavin waschen.

Keine Heldentaten, hatte Sergeant Anders befohlen. Wir waren zehn, sie mehr als dreißig, wenn es nicht noch ein paar gab, die ich nicht gefunden hatte. Nach den Narben und der gelassenen Ruhe, die sie zeigten, auch wenn sie sich als Köder scheinbar ungeschickt auf Wache stellten, handelte es sich hier um erfahrene Krieger … und von unserer su’Tenet war ich der Einzige, der bislang im Kampf gestanden hatte. Und mit Bemmert hatte ich schon einen der Rekruten verloren.

Es war eine Falle, erinnerte ich mich selbst, als ich wieder zurückkroch. Sie lagerten mitten auf der Straße, damit wir sie leicht finden konnten, machten Lärm und taten unbeschwert.

Wussten sie, dass die fünfte Legion nach Braunfels verlegt worden war und dass sie zum größten Teil aus blutjungen Rekruten bestand, oder galt die Falle den hartgesottenen Schlächtern von Marschall Hergrimm? Sergeant Anders hatte erwähnt, dass man kürzlich eine Raubbande von mehr als zweihundert Mann gesehen hätte … es war wie mit den Wachen, die so offensichtlich waren. Die einzelne Wache war ein Köder, das scheinbar so verletzliche Lager auch.

Irgendwo in der Nähe musste sich der Rest befinden. In Akenstein, so hatte der Sergeant gesagt, lebten fünfhundert Menschen, und sie hatten ihr Dorf befestigt, auch wenn es sich in seinen Augen nur um einen Gartenzaun handelte. Wer hier siedelte, gehörte zu der Sorte Menschen, die sich nicht leicht nehmen ließen, was sie hart erarbeitet hatten; wenn es hier wie in meiner Heimat war, dann wusste jedes Bauernkind, das laufen konnte, schon mit einem Bogen oder zumindest mit einem Messer umzugehen. Abgesehen von Barbaren gab es genügend Gefahren, vorhin erst hatte ich die Spur eines großen Bären gesehen, er hatte in der Nacht unserem Lager einen Besuch abgestattet … und war dann weitergegangen, ohne dass wir ihn bemerkt hatten.

Eine Bande von dreißig Mann konnte sich nicht sicher sein, ob sie den Kampf gegen Dörfler gewinnen konnten, die ums nackte Überleben kämpften. Es musste also mehr von ihnen geben. Zweifelsohne wäre es am klügsten, dem Befehl zu folgen und uns zurückzuziehen, mit etwas Glück konnten wir vor dem Abend wieder in der Feste sein.

Doch von den entführten Seras lebten noch vier, auch wenn in ihren Augen schon der stumpfe Blick zu sehen war, der so oft auf Gewalt und Schrecken folgte. Man konnte es überleben, passte sich an, musste nur zusehen, wie die Kinder zu Barbaren wurden, und vergaß dann irgendwann, dass es auch ein anderes Leben geben konnte. Und die beiden Legionäre … bei ihnen war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis man einen passenden Baum für sie gefunden hatte.

Nachdem Askannons Kaiserin mich einen sturen Kerl geschimpft hatte, seufzte sie vernehmlich. »Vielleicht kann ich Euch helfen, von Thurgau. Nur müsst Ihr etwas für mich tun.« Sie richtete sich gerader auf und atmete tief durch. »Ich hörte, auch Asela wäre die Flucht vor dem Nekromantenkaiser geglückt. Ich muss sie sprechen.«

»Es gibt einen Ort, an dem Asela und ich uns schon öfter getroffen haben«, teilte ich ihr mit. »Den Kaisergarten. Dort … dort, wo auch Euer Grab und das Eurer Tochter zu finden ist.«

»Ja«, sagte sie gefasst und tat eine kleine Geste. »Ich weiß. Geht voran.«

Asela gehörte nicht zu der Sorte, die man finden konnte, wenn sie es nicht wollte. Zudem konnte sie sich überall befinden, hier in Askir, in den Südlanden oder sonst irgendwo im Reich.

Also versuchte ich es gar nicht erst. Ich zog mein Schwert, was Kaiserin Elsine dazu veranlasste, eine elegant geschwungene Augenbraue anzuheben, und dachte angestrengt an die Eule mit den kalten blauen Augen.

Ein Windstoß wehte durch den kleinen Pavillon im Kaisergarten, und Asela stand vor mir, die Hände in den weiten Ärmeln ihres feinen Kettenmantels verborgen, aber mit offener Kapuze und … wie nicht anders zu erwarten, einer hochgezogenen, elegant geschwungenen Augenbraue.

Ich hatte noch nie einen Mann gesehen, der dies so vollendet konnte, es musste etwas sein, das die Seras vor dem Spiegel übten. Zusammen mit diesem teils geduldigen, teils entnervten Blick, der einem so wunderbar vermittelte, dass man ihre sonst so endlose Geduld wie üblich über Gebühr in Anspruch nahm.

Doch dann sah die Eule die Sera, die auf einer Bank nahe dem kleinen Tisch saß, an dem Asela und ich nun schon mehrfach Shah gespielt hatten.

Im Allgemeinen vermittelte die Eule leicht den Eindruck, dass es unter Soltars weitem Himmel nichts gäbe, das sie noch erschüttern könnte. Doch diesmal nicht. Freude, Verzweiflung, Trauer und vielleicht auch Entsetzen zeigten sich in ihren Zügen, während sie scharf die Luft einzog.

»Asela«, begrüßte Askannons Kaiserin die Eule höflich und neigte leicht den Kopf. »Ich bin froh zu sehen, dass es dir gelungen ist, dich aus seinen Klauen zu befreien.«

»Zumindest ist es Euch gelungen«, stellte Asela leise fest. »Ein Zeichen dafür, dass die Götter doch auf Gebete hören.«

»Als ob du froh darüber wärst«, gab die Kaiserin überraschend kühl zurück.

»Es war Asela, die mir den Weg zum Tor wies, das zu Eurem Tempel führte«, verteidigte ich die Eule gegenüber der alten Kaiserin.

»Tatsächlich?«, meinte diese wenig überzeugt.

Offenbar war es für die beiden Seras kein Grund, sich gegenseitig freudig in die Arme zu fallen, nur weil man sich siebenhundert Jahre nicht gesehen hatte.

»Zumindest das war ich Euch schuldig«, sagte die Eule betreten.

Die Kaiserin stand auf und trat ans Geländer, um über den Garten zu schauen, den der Kaiser vor so vielen Jahren für sie angelegt hatte, dann schwenkte ihr Blick zu dem Mausoleum, das im hinteren Teil des Gartens stand.

Sie krallte die Finger so fest in das Geländer, dass die Knöchel weiß hervortraten, schließlich stieß sie sich ab und bedachte die Eule mit einem Blick, der mich hätte flüchten lassen.

»Ich weiß, dass du, Balthasar und Feltor unter dem Einfluss des dunklen Kaisers gestanden habt«, sagte sie dann mit rauer Stimme. »Ich weiß auch, dass er es war, der euch gezwungen hat, mir so nahe zu kommen, dass ich euch hätte angreifen können … aber wenn jemand einem mit Feuer und Eis ein Bein verbrennt, ist es schwer, an dem Gedanken festzuhalten, dass Kennard es mir nie verzeihen könnte, wenn ich seinen Sohn oder seine Enkelin dafür erschlüge … und dennoch, du weißt nicht, wie nahe es daran war … Von denen gepeinigt zu werden, die man lieben sollte, die das Einzige waren, was von Kennard überdauerte … wie oft ich nahe daran war, euch zu vernichten, nur damit die Pein ein Ende hat.«

»Wir alle wussten es«, hauchte Asela. »Wir konnten nur nichts dagegen tun.«

»Ja«, entgegnete Askannons verlorene Kaiserin. »Balthasar, der seinem Vater kaum in etwas nachstand, und du … und Feltor, die mächtigsten Eulen, die das Kaiserreich je gesehen hatte … und ihr wart zu schwach, euch von seinem Joch zu befreien? Nun«, sagte sie mit einem harten Lächeln, »dir ist es anscheinend doch gelungen.«

»Für einen hohen Preis«, antwortete Asela gepresst. »Für einen hohen Preis.« Sie schluckte und strich ihre Robe glatt, nicht, dass dies bei dem schweren Material nötig gewesen wäre, und wandte sich dann mir zu.

»Ihr habt mich sicherlich nicht gerufen, um alte Bekanntschaften aufleben zu lassen. Dennoch bin ich froh, dass Ihr wieder bei Sinnen zu sein scheint.«

»Danke«, erwiderte ich und neigte den Kopf in Richtung der Kaiserin. »Sie half mir zurück.«

»Dann mag es sein, dass wir alle Euch verpflichtet sind«, sagte Asela leise zu ihr.

»Bei Gelegenheit kannst du mir vielleicht erklären, was so besonders an dem Lanzengeneral ist«, meinte die Kaiserin kühl, um sich mit einem Blick zu entschuldigen. »Nichts gegen Euch, Ser Roderik«, fügte sie hinzu. »Aber ich verstehe es nicht.« Bevor jemand etwas sagen konnte, hob sie warnend die Hand. »Kommt mir nicht mit dieser Prophezeiung, Ihr wisst genauso gut wie ich, dass es für jede sogenannte Prophezeiung, die sich zu erfüllen scheint, tausend gibt, die sich nie erfüllen werden!«

»Von Askannon abgesehen, ist er der Erste, der mich je im Shah geschlagen hat«, führte Asela an, und die Kaiserin lachte.

»Hast du vergessen, dass du meist auch gegen mich verloren hast? Balthasar war derjenige, der auf den Feldern eine Herausforderung darstellte … dir fehlte es stets an Geduld dazu.«

»Ja«, räumte Asela mit unbewegter Miene ein. »Das habe ich wohl vergessen. Lanzengeneral«, fügte sie hinzu, als sie sich wieder mir zuwandte. »Ich muss zur Donnerfeste zurück, ich habe nicht viel Zeit. Allerdings wird Desina mir verzeihen, wenn ich ihr die gute Nachricht bringe, wir waren alle in Sorge um Euch. Jetzt sagt mir, was Ihr von mir wollt, Ihr habt mich sicherlich nicht nur zu einem Schwatz gerufen?«

»Ich wollte dich sprechen, Asela«, sagte Sera Elsine an meiner Stelle. »Ich will, dass du Kaiserin Desina eine Nachricht überbringst.«

»Warum sprecht Ihr nicht selbst mit ihr?«, fragte Asela überrascht. »Es wird leicht möglich sein, dies einzurichten.«

»Weil ich genau das nicht will«, antwortete Askannons verlorene Kaiserin. »Richte ihr einfach aus, dass sie die Krone mit meinen besten Wünschen trägt. Vor allem aber, dass ich mich aus den Belangen des Kaiserreichs heraushalten werde. Ich habe dem Reich genug gegeben.«

Asela musterte sie und nickte langsam. »Wer wüsste das besser als ich«, sagte sie bedrückt. »Also gut. Ich werde es ihr ausrichten. Aber … Ihr wäret für das Reich von unschätzbarem Wert. Niemand sonst verfügt über Eure Fähigkeiten.«

»Sie waren damals nicht genug, um gegen Kolaron zu bestehen, und werden es auch jetzt nicht sein«, gab Elsine bestimmt zurück. »Ich will das, was von meinem Leben übrig ist, auch leben, irgendwo einen neuen Anfang wagen. Sollte es Gerüchte geben, dann unterbindet sie. Die Kaiserkrone gebührt Desina. Wenn bekannt würde, dass ich noch lebe, könnte es ihren Anspruch schmälern.«

»Das glaube ich zwar nicht«, meinte Asela, »aber ich werde dennoch Euren Wünschen entsprechen.« Sie wandte sich mir zu. »Was ist mit Euch, Lanzengeneral? Seid Ihr wieder bereit zum Dienst?«

Ich war alles andere als bereit dafür. »Nein«, antwortete ich. »Es gibt … Dinge, die ich tun muss und will. Ich brauche Zeit dazu.«

Asela nickte langsam. »Das ist verständlich. Wie lange? Ihr wolltet den Oberbefehl über die Legionen, jetzt habt Ihr ihn. Ihr müsst wissen, dass eine Menge Arbeit auf Euch wartet.«

Ich überlegte kurz. »Zwei Wochen. Vielleicht drei. Ich will in die Ostmark, mir vor Ort ein Bild machen, denn ich glaube, dass sich dort unser Schicksal entscheiden wird.«

»Fällt die Ostmark, fällt das Kaiserreich«, nickte Asela. »Das sagt man doch, nicht wahr?«

»So ist es leider auch.«

»Gut«, nickte sie. »Sie wird Verständnis dafür haben.« Ein schnelles Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Für zwei Wochen, Lanzengeneral.«

»Das könnte zu wenig sein.«

»Es muss reichen.« Der Ton der Eule machte deutlich, dass damit das letzte Wort gesprochen war. »Desina wird Euch in Askir sehen wollen, noch bevor die Krönung stattfindet. Haltet Euch daran.«

So ganz zufrieden war ich nicht, aber mehr konnte ich auch kaum verlangen. »Was meine … Genesung angeht«, fuhr ich fort, »versuchen wir es ebenfalls geheim zu halten. Kolaron hat seine Spione hier, wir wollen ihnen nicht zu viel an Futter geben.«

»Lanzenobrist Kelter hält das Kommando über die fünfte Legion, die zur Zeit in der Ostmark stationiert ist. Ich werde Anweisung erteilen, dass er Euch nach bestem Wissen unterstützen soll.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich will auch Oberst Kelter nicht in Bedrängnis bringen, also gehe ich als einfacher Rekrut dorthin. Wenn die Kaiserin darauf beharrt, dann sagt es ihr, aber es wäre mir lieber, wenn auch sie nicht wüsste, was ich tue … ich möchte nicht, dass sie, wenn etwas schiefgeht, in der Verantwortung ist.«

»Nett von Euch gedacht, Ser Roderik«, sagte Asela kühl. »Wenn etwas schiefgeht, steht sie nur so da, als ob sie nicht wüsste, was ihre Offiziere tun. Als ob es nicht schon reichen würde, dass Lanzenobristin Miran sie beständig reizt.«

»Ich hörte, Miran wäre fähig?«

»Ja. Das hörte ich auch. Die Obristin hat es mir selbst gesagt«, gab Asela kühl zurück. »Also gut, Ihr wollt in die Ostmark. Ich habe kürzlich erst ein Tor nach Braunfels geöffnet, es ist in Betrieb. Es dürfte also ein Leichtes sein, dort hinzukommen. Was habt Ihr dort vor?«

»Eine Möglichkeit zum Frieden finden. Es kann nicht sein, dass dies unmöglich ist.«

»Da seid Ihr der Erste, der das denkt«, meinte sie zweifelnd. »Und wie wollt Ihr dieses Wunder vollbringen?«

Ich sah zu Sera Elsine hin, die daraufhin das Wort übernahm.

»Nachdem der Lanzengeneral darauf beharrte, in die Ostmark zu gehen, fiel mir etwas ein, eine Legende, von der mir Kennard berichtet hat.«

»Legenden gibt es viele«, nickte die Eule. »Um welche handelt es sich?«

»Es geht um den Tarn.«

Asela schüttelte den Kopf. »Davon habe ich noch nie gehört. Was ist es?«