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Die kaiserliche Fahne weht wieder über Askir. Desina, Enkelin des ewigen Herrschers Askannon, hat den Thron bestiegen, doch dieses Ereignis wird von einem schrecklichen Mord überschattet: Havald, der Mann, der nicht sterben kann, wurde getötet und sein Bannschwert Seelenreißer gestohlen – nur wenn es zurückerobert wird, kann der Held Askirs aus seinem ewigen Schlaf erwachen. Nun brechen Leandra und ihre Freunde auf, um Havalds Mörder nach Illian zu folgen. Doch die Götter führen ihren eigenen, furchtbaren Krieg … Der erste Teil des Fantasy-Zyklus »Die Götterkriege«!
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Seitenzahl: 931
In einem alten Gasthof trifft die Halbelfe und Maestra Leandra de Girancourt auf den Krieger Havald, in dem sie den verschollenen Paladin des Reichs Illian zu erkennen glaubt. Sie bittet ihn, mit ihr ins legendäre Askir zu reisen, um dort Hilfe gegen das Imperium von Thalak zu finden, das Illian zu erobern droht. Auch die Wirtstochter Sieglinde und der ehemalige Räuberhauptmann Janos Dunkelhand sowie die Dunkelelfe Zokora, ihre Gefangene Natalyia und der Boronadept und Scharfschütze Varosch schließen sich Havald und Leandra an.
Nach dem Sieg über den Nekromanten Balthasar finden die Gefährten mit einem magischen Tor den Weg in das Wüstenreich Bessarein, das einst zum Kaiserreich Askir gehörte, und glauben sich ihrem Ziel einen Schritt näher. Doch kaum dort angekommen, wird die Gruppe in die Machtkämpfe um den Thron des Kalifen verwickelt und muss erkennen, dass die Agenten des Nekromantenkaisers Kolaron Malorbian auch hier bereits am Werke sind. Im letzten Kampf gegen den Nekromanten und Meisterspion, den man den Herrn der Puppen nennt, wird Havald tödlich verletzt, und nur durch das Opfer Natalyias gelingt es ihm zu überleben. Auch wenn es ihm den Verlust nicht ausgleicht, gewinnt er in dem Wüstenreich eine neue Gefährtin hinzu: die Zeugmeisterin Serafine aus dem alten Kaiserreich, deren Geist einst in dem Bannschwert Eiswehr gefangen war.
Doch die Zeit drängt: Der Feind steht im Begriff, seine Armee durch ein magisches Tor nach Askir zu führen, während eine zweite Welle sich auf den Feuerinseln darauf vorbereitet, das alte Reich von der See aus zu erobern. Der Eule Desina, einer jungen Maestra der Reichsstadt, und ihrem Freund und Ziehbruder, dem Meisterdieb Wiesel, gelingt im letzten Moment die Rettung. Bald darauf gelangen auch Havald und seine Gefährten in die sagenumwobene Kaiserstadt Askir.
Dort bestätigt man Havald als General der legendären zweiten Legion – doch zugleich wird ihm eine düstere Zukunft prophezeit: Als Soltars Engel ist er dazu bestimmt, den Krieg der Götter einzuläuten. Als schließlich der Kronrat tagt, um die Reiche zu einigen, überschlagen sich die Ereignisse. Es kommt zum direkten Kampf mit Kolaron Malorbian, der versucht, die Ernennung der Kaiserin von Askir zu verhindern, woraufhin Havald Opfer eines tödlichen Anschlags wird. Ist damit alle Hoffnung für die drei neuen Reiche verloren? Oder wird es Havalds Freunden gelingen, ihm das gestohlene Bannschwert Seelenreißer wieder zurückzubringen, sodass er, einer Prophezeiung nach, doch wieder auferstehen kann?
1Es war kalt in den Bergen, da nützte es ihm auch nichts, dass die Sonne gerade aufstieg und das Morgenrot die Berghänge blutig färbte. Blix zog seinen Umhang enger um sich und hoffte nur, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie ihr Ziel erreichten.
»Wir sind bald da, Major«, rief da bereits der Sergeant der vierten Lanze, der Blix zu der alten Wehrstation am Eisenpass bringen sollte. »Ein Viertel einer Kerze, länger wird es kaum noch dauern.« Schwertmajor Blix nickte nur und folgte mit seinem Blick einem riesigen Schwarm Krähen, der in den morgendlichen Himmel aufstieg.
»Denen geht’s zur Zeit so richtig gut«, meinte der Schwertsergeant mit rauer Stimme und schien nun selbst zu frieren. »Sie werden noch für Tage Futter haben, es war ein rechtes Gemetzel.« Er zügelte sein Pferd ein wenig und wies mit der Hand nach links, wo ein kaum erkennbarer Pfad von dem Grat abführte, auf dem die beiden Soldaten ritten.
»Wenn wir dem Pfad dort folgen, kommen wir zu einer Felsspitze, die über die Tiefe ragt, von dort aus kann man die Schlucht einsehen … falls Ihr es wünscht, es ist kein großer Umweg.«
Für einen Moment zögerte der Major, dann nickte er und folgte dem Sergeanten, als dieser langsam vorausritt.
Die Felsspitze ragte wie ein Finger über die Schlucht, und der Sergeant hatte recht, von hier aus konnte man das ganze Ausmaß der Schlacht überblicken, von den Felsbrocken, die dort vorne die Schlucht versperrt hatten, bis zu den schweren Speerwerfern und Ballisten, die hier noch immer den Rand der Schlucht säumten. Und der Verwüstung, die sie angerichtet hatten.
»Wart Ihr dabei, Sergeant?«, fragte Blix, und der andere Soldat nickte.
»Ich war dort drüben postiert.« Er wies mit der freien Hand auf einen Vorsprung auf der anderen Seite der Schlucht. »Es war dunkel, noch zwei Kerzenlängen bis Sonnenaufgang, und sie marschierten unter uns hindurch, etwa jeder zwanzigste Mann trug eine Fackel oder eine Laterne …« Er holte tief Luft. »Es sah fast schon festlich aus. Dann gab die Obristin den Befehl, den Felssturz auszulösen … und als die Steine herunterkamen, war das für den Rest von uns das Zeichen. Ich hatte vierhundert Bolzen dabei, habe mich an den Köchern fast totgeschleppt, also stand ich dort und schoss so lange, bis ich keine Bolzen mehr hatte. Mir riss die Sehne meiner Armbrust, jemand gab mir eine neue, und ich schoss weiter … ohne zu wissen, auf was ich schoss. Nach und nach wurden dann die Schreie leiser und weniger, und dann irgendwann, als ich keine Bolzen mehr hatte, ging die Sonne auf … so wie jetzt.«
Sie lagen noch immer da. Verdreht und durcheinandergewürfelt, wie sie gefallen waren. Dort unten sah Blix Metall glänzen, Soldaten der dritten Bulle, die noch immer die Toten durchsuchten. Die Unterscheidung war einfach: Schwer gepanzert und lebend waren die Soldaten der dritten Bulle, in schwarzes Leder gehüllt und tot die Soldaten der Feindlegion.
»Wie viele?«, fragte Blix mit belegter Stimme.
»Wir zählen sie noch immer«, gab der Sergeant Antwort. »Zwischen zwölf- und dreizehntausend. Es gab nicht mehr als vierzig Überlebende, die meisten davon schwer verletzt … ein gutes Dutzend davon versuchte sich noch selbst umzubringen, um sich der Gefangennahme zu entziehen. Das hier war übrigens die siebzehnte Legion.«
»Unsere Verluste?«, fragte Blix. Götter, dachte er. Siebzehn Legionen, und vielleicht gab es sogar noch mehr!
»Etwas unter dreißig, soviel ich weiß«, antwortete der Sergeant. Er wies auf die steilen Felswände. »Was sollten sie tun? Sie schossen blind, wie wir auch, nur waren wir schwerer zu treffen. Ich hörte, dass von uns die meisten dadurch starben, dass sie im Dunkel den Halt verloren und in die Tiefe stürzten.« Der Mann stützte beide Hände auf das Sattelhorn und sah lange in die Tiefe. »Es war eine siegreiche Schlacht. Ohne Zweifel. Aber auch ein fürchterliches Gemetzel, das uns der Feind niemals vergeben wird.« Er holte tief Luft. »Können wir weiter, Ser?«
»Aye, Sergeant«, meinte Blix mit rauer Stimme. »Ich habe genug gesehen.« Einer der Soldaten dort unten scheuchte einen riesigen Schwarm Krähen auf, der mit lautem Protest in die Luft stieg, zugleich brachten die gefiederten Schwingen auch den Geruch des Todes mit. Es war erst vier Tage her, und noch war es kühl hier in den Bergen, doch Blix wollte sich gar nicht vorstellen, welcher Gestank hier bald über allem liegen musste.
Es dauerte nicht mehr lange, bis vor ihnen, in den Hang des Gebirges gebaut, die Wehrstation zu sehen war. Jetzt, am Morgen, mit den langen Schatten der Sonne und den Flaggen, die über dem alten Wehrturm im Wind flatterten, sah es aus, als wäre sie vollständig erhalten, doch als Blix und der Sergeant näher kamen, waren die Spuren der Jahrhunderte deutlicher zu sehen.
Es grenzte fast an ein Wunder, dass die alten Mauern noch standen. Gut zwei Dutzend Soldaten waren fieberhaft dabei, die alte Wehrmauer instand zu setzen, ein großes Dreibein und ein schwerer Flaschenzug verrieten, wie man das alte, fast vollständig zerstörte Tor aus den Angeln hatte entfernen können, links davon werkelten gleich vier Zimmerleute an dem neuen Tor.
»Das sieht aus, als wollten wir diesmal bleiben«, stellte Blix fest, als sie durch das Tor ritten.
»Ich schätze, ja«, nickte der Sergeant. »Ich glaube nicht, dass wir noch mal eine Wehrstation aufgeben werden.« Er saß ab und gab einem heraneilenden Schwertrekruten die Zügel seines Pferdes, bevor er sich umdrehte und Blix salutierte. »Major, Ihr werdet Generalsergeantin Rellin im Turm finden können … der Götter Schutz mit Euch, Schwertmajor.«
Blix erwiderte den Salut. »Und mit Euch, Sergeant.« Er sah dem Mann nach, wie er in dem Anbau verschwand, dann schwang er sich selbst vom Pferd, reichte die Zügel an den Rekruten weiter, rückte sich seinen Umhang und Schwertgurt zurecht und stieß die Tür zum Haupthaus auf, wo in der alten Messe fünf Soldaten gerade mithilfe von Schnüren genau festlegten, wo sie die schweren Eichentische aufstellen wollten. Blix ging quer durch den großen Raum hindurch, folgte dann dem kurzen Gang bis hin zu der altersschwarzen, mit Eisen verstärkten Tür und klopfte an.
»Herein!«, hörte er Rellins Stimme, straffte die Schultern und trat ein.
Die Generalsergeantin der dritten Legion schien, seitdem Blix sie das letzte Mal gesehen hatte, um Jahre gealtert, und es sah nicht so aus, als hätte sie in den letzten Tagen viel an Schlaf bekommen. Sie stand hinter ihrem Schreibtisch, beide Hände auf die Platte gestützt, und sah den Schwertmajor müde und ohne sonderliches Interesse an. »Blix«, stellte sie fest. »Was führt Euch denn hierher?«
»Ich erhielt Befehl, mich bei Euch zu melden«, teilte er ihr mit. Er zog seinen Marschbefehl aus dem Aufschlag seines linken Ärmels und reichte ihn der Sergeantin, zugleich musterte er neugierig die große Karte, die einen beträchtlichen Teil der Wand hinter Rellin bedeckte. Der Maßstab unterschied sich deutlich von allen anderen Karten, die Blix bislang gesehen hatte. Es gab üblicherweise keinen Grund, weshalb kaiserliche Karten die Länder südlich von Bessarein zeigen sollten, dort kam erst die Wüste, und an die grenzte eine Gebirgskette, durch die man noch keinen Pass gefunden hatte. Dahinter wiederum lagen die Länder der Barbaren … und was dann kam, interessierte einen kaiserlichen Soldaten meistens herzlich wenig.
Diese Karte jedoch war neu und ein Hinweis darauf, dass sich die Dinge ändern würden, zugleich aber war sie bereits veraltet, denn sie zeigte noch immer die Feuerinseln und die Küstenlinie von Bessarein, wie diese gewesen war, bevor sich das Meer mit Beben und Flut einen großen Teil des Landes zurückgeholt hatte.
Auch Janas war hier noch eingezeichnet, die Stadt, die einst mit ihrem Seehafen eine der reichsten Handelsstädte des Kalifats gewesen war. Blix hatte die Berichte gelesen, von der stolzen Stadt war nur noch wenig übrig … bald, vermutete er, würden die kaiserlichen Kartographen neue Karten herausgeben müssen, solche, in der die Küstenlinien und die Lage der Stadt Janas neu verzeichnet waren.
»Ja«, sagte die Generalsergeantin jetzt. »Ich erinnere mich. Ihr sollt Euch bei Lanzengeneral von Thurgau melden …« Sie reichte ihm den Marschbefehl zurück. »Begebt Euch zum Tor und sagt der Feder dort, dass Ihr nach Askir reisen müsst. Wenn sie fragt, wer das veranlasst hat, teilt Ihr ihr mit, dass es der General selbst war, das beschleunigt üblicherweise das Geschehen … und wenn Ihr von Thurgau seht«, fügte sie grimmig hinzu, »richtet ihm von mir aus, dass der Bericht noch etwas dauern wird und wir noch dabei sind zu zählen.«
»Es war sein Plan?«, fragte Blix.
»Aye«, nickte Rellin müde. »Das war es. So wie es aussieht, hat von Thurgau das Gemetzel schon geplant, bevor der Feind noch selbst wusste, dass er durch den Eisenpass marschieren würde.«
»Ich hörte«, sagte Blix vorsichtig, »dass es noch einen anderen Weg gegeben hätte. Wenn die siebzehnte Legion diesen genommen hätte, wären wir niemals imstande gewesen, sie rechtzeitig aufzuhalten.«
Rellin nickte langsam. »Zieht eine Lehre daraus, Major. Der Eisenpass hätte dem Feind kaum mehr als einen Tag gespart. Nur weil der gegnerische Kommandant es eilig hatte, liegen er und seine Soldaten jetzt dort in der Schlucht. Wäre er es langsamer angegangen, dann säßen sie jetzt sicher in Aldar und könnten über uns nur lachen … Sie wären uns zahlenmäßig weit überlegen gewesen, denn zur Zeit zählt die dritte Legion ja kaum mehr als dreitausend Mann.« Sie seufzte und massierte sich den Nacken. »Aber der Feind hatte es eilig, und jetzt liegt er in seinem Blut. Ein großartiger Sieg … wie gesagt, richtet dem General meine Grüße aus.« Sie salutierte Blix und wies auf die Tür. Damit war die Audienz offenbar beendet.
Das Tor zu finden war nicht schwer. Ursprünglich hatte es wohl ein Nebengebäude hinter dem Stall gegeben, doch zwischenzeitlich hatte man das Gebäude abgerissen, nur die rechte Wand, die zugleich auch der Wehrwall war, stand noch. Auch die Wand zum Stall war entfernt worden. Blix wusste nicht, was er erwartet hatte, vielleicht ein richtiges Tor, aber tatsächlich hatte es wenig mit einem solchen gemein. Ein achteckiger goldener Rahmen in einem polierten Boden aus schwarzem Basalt, vielleicht fünf Schritt im Durchmesser, mehr war da nicht zu sehen.
Eine junge Feder mit kurzen roten Haaren und einem freundlichen Lächeln stand etwa einen Schritt von diesem goldenen Rahmen entfernt in einem alten Pferdestall an einem Stehpult und schrieb eifrig irgendwelche Dinge nieder, während neben ihrem Buch ein großes Stundenglas den Sand der Zeit verrinnen ließ.
Der Grund, warum man die Wände abgetragen hatte, zeigte sich in den Karren, die sich hier stauten, über und über mit Schwertern, Lanzenblättern oder Hellebardenklingen beladen. Manche von ihnen waren noch blutig, doch die meisten sahen aus, als kämen sie aus einem kaiserlichen Zeughaus. Das Tor war einst dafür gedacht, Personen zu befördern, für Frachtgut wie diese Karren, war der Zugang viel zu klein gewesen.
Vier kräftige Soldaten der dritten Bulle standen am Rand dieser polierten Fläche bereit und schienen zu warten – auf was, war ihm noch nicht ganz klar.
Der Schwertmajor trat näher an die Feder heran, seinen Marschbefehl in der Hand, als diese mit ihrer Gänsefeder auf die Mitte des goldenen Achtecks zeigte, wo nun eine goldene Münze lag, die er vorher nicht wahrgenommen hatte.
»Jetzt!«, rief sie und drehte mit der linken Hand das Stundenglas um, während die vier Soldaten sich gegen einen der Karren stemmten und diesen auf den polierten Boden schoben, um das goldene Achteck danach sofort hastig zu verlassen.
»Ich …«, begann Blix, doch die Feder hielt die Hand hoch und schüttelte den Kopf.
»Gleich, Schwertmajor«, unterbrach sie ihn und sah angespannt zu dem Karren hin. Im nächsten Moment ging ein kühler Wind, und der Karren mit den blutigen Schwertern war verschwunden, auch die Münze lag nicht mehr da. Es gab keinen Blitz, kein seltsames Leuchten, keinen Donner oder Funken, die über den Boden liefen … der solide schwere Karren, an dem die Soldaten so schwer geschoben hatten, war einfach spurlos verschwunden.
Doch offenbar war dies ein erwartetes Ergebnis, denn die Feder nickte zufrieden, tat eine Notiz in ihrem Buch und nahm sich dann endlich des Schwertmajors an. Blix erwiderte ihren Salut, zog seinen Marschbefehl aus dem Ärmelaufschlag und reichte ihn an sie weiter. Sie überflog das Dokument und nickte dann, um es dem Schwertmajor zurückzureichen.
»Ihr habt Glück, Major, wir sind zur Zeit an der Reihe, ich kann Euch beim nächsten Durchgang mit hindurchschieben.« Sie wies auf den nächsten Karren, der jetzt von den Soldaten an den Rand des Tors herangefahren wurde. »Diese Karren sind für Askir bestimmt, dort werden die Waffen geprüft und eingeschmolzen, denn, so wie ich es verstanden habe, sind unsere Schwerter von besserer Qualität. Stellt Euch einfach vor den nächsten Karren, wenn es so weit ist.«
»Das ist alles?«, fragte er überrascht. »Gibt es sonst etwas zu beachten? Etwas zu tun?«
»Außer die Luft anzuhalten und zu beten, dass man in einem Stück herauskommt?« Sie lachte, als sie sein Gesicht sah. »Nein, Major, nichts. Ich bin vorhin hindurchgegangen, um mir einen frischen Kafje zu holen … man bemerkt nichts. Eben ist man hier, im nächsten Moment dort. Das ist alles. Man muss nur darauf achten, dass nichts über den Rand hier im Boden ragt, denn das würde wie von einem Fallbeil abgeschnitten werden.«
»Und was ist das mit der Münze?«, fragte Blix neugierig.
»Wir haben zur Zeit drei Tore in Betrieb. Dieses hier, das in der Donnerfeste und ein weiteres in Askir, das sich im Keller eines Hauses befindet, das der Kaiserin gehört. Wenn ein Tor benutzt wird, tauscht es den Inhalt mit dem anderen Tor aus. Ihr könnt Euch vorstellen, dass es zu einem Durcheinander kommen würde, würde man ungeplant vorgehen, ganz zu schweigen von der Gefahr, dass das Tor in Betrieb genommen wird, wenn man gerade den Rand überquert. Also wird alles vom Tor in Askir aus geregelt … sie senden uns die Münze, um uns mitzuteilen, dass sie uns in den nächsten fünfzig Herzschlägen holen werden. Und wir wissen dann, dass es während dieser Zeit sicher ist, das Tor zu betreten.«
So weit hatte Blix verstanden. Bis auf eines.
»Was meint Ihr mit Kaiserin?«, fragte er verwirrt.
»Die Münze ist da!«, rief sie und drehte das Stundenglas. »Rasch!«
Blix half mit, den Karren in das Achteck zu befördern, und stand nun selbst darin, so ganz wohl war ihm dabei aber nicht. »Ihr werdet es sicherlich bald erfahren, Schwertmajor«, meinte die Feder noch. »Der Götter Wohl mit –«
»– raus da, aber sofort!«, herrschte ein plötzlich vor ihm stehender Stabssergeant mit den ungefähren Maßen eines Stieres Blix an, der einen unangenehmen Druck auf den Ohren verspürte. Eine Rampe erstreckte sich vor ihm, ein Soldat der vierten Legion hakte eine Kette mit einem großen Haken in den Karren ein und gab dem Pferd, das auf der Rampe stand, einen harten Klaps auf die Kruppe, sodass es den Karren aus dem Tor zog, ob der Schwertmajor nun im Wege stand oder nicht. Er entschied sich hastig dafür, nicht im Wege zu stehen.
»Entschuldigt, Major«, meinte der Stabssergeant und schob ihn reichlich unsanft zur Seite. »Aber wir müssen unseren Zeitplan einhalten … dort entlang, Ser!«
Also quetschte sich Blix an dem Karren vorbei die Rampe hinauf und fand sich an einer hölzernen Barrikade wieder, welche die Seitenstraße, in der sich das Haus befand, zur Kornstraße hin abschloss … und es war die Kornstraße. Blix erkannte das gelbe Haus mit dem Springbrunnen, das auf der anderen Seite stand. Reckte er den Kopf, konnte er über die Dächer hinweg in der Entfernung das massive Rund der Zitadelle ausmachen. Der Himmel über ihm war mit bleiernen Wolken verhangen, und es war deutlich kälter als eben noch … kein Zweifel, er befand sich in Askir.
Die Feder hatte recht behalten, er hatte nichts davon bemerkt, dennoch war ihm nicht wohl bei dem Gedanken, dass es Magie gewesen war, die ihn hierher gebracht hatte.
Der Korporal an der Barriere öffnete Blix ohne ein weiteres Wort den Schlagbaum, und er ging hindurch, wandte sich nach links und ging die Kornstraße hinauf zum südlichen Tor der Zitadelle.
Etwas weiter die Straße hoch sah er dann die Spuren von Bränden an den umliegenden Häusern. Ein Trupp Arbeiter war damit beschäftigt, neue Pflastersteine zu legen, direkt daneben sprachen eine Priesterin der Astarte und ein Priester Soltars mit einem Steinmetz, der an einem Schrein arbeitete.
Als Blix gerade jemanden fragen wollte, was hier geschehen war, sah er die Flagge an der Zitadelle. Der goldene Drache Askirs auf rotem Grund. Man konnte diese Fahne überall in Askir sehen, sie wehte über den Stadttürmen, im Hafen, man fand sie auch als Relief in Dutzenden von Mauern und Wänden … aber niemals an diesem Fahnenmast, dem höchsten in Askir. Seit Jahrhunderten gab es ihn, gelegentlich wurde er ausgetauscht. Als Blix noch ein Kind gewesen war, hatte er einmal zugesehen, wie man den Mast erneuert hatte. Damals war der Blitz in ihn geschlagen.
Aber niemals wehte dort eine Fahne, denn die kaiserliche Fahne dort zu hissen, bedeutete nichts anderes, als dass der Kaiser in Askir zu finden wäre. Doch jetzt, nach über siebenhundert Jahren wehte dort die Fahne des Kaisers … und Blix stand da und konnte seinen Augen kaum trauen.
Kurz entschlossen griff er einen Bäckergesellen, der gerade an ihm vorbeigehen wollte, am Arm und zog ihn zu sich heran. »Was hat diese Fahne zu bedeuten?«, fragte er ihn, während der Mann sich ängstlich duckte. Wahrscheinlich hielt er den Major für vom Wahn befallen.
»Desina ist in der Stadt«, teilte der Mann Blix eingeschüchtert mit. »Das heißt es, glaube ich.«
»Und wer ist … Desina?«, fragte der Major und hielt den Mann fester, als der versuchte, sich aus dem Griff des Majors zu winden.
»Die Eule!«, erklärte der Mann. »Die, die das Tor zum Nekromantenkaiser geschlossen hat und auch den Nekromanten Rolkar besiegte!«
»Es gibt wieder Eulen in Askir?«, fragte Blix verblüfft und ließ zu, dass sich der Mann aus seinen Händen befreite.
»Wo seid Ihr gewesen, Soldat?«, fragte der Mann ihn und richtete sich jetzt, da Blix ihn losgelassen hatte, zu voller Größe auf. »Sie hat dem Nekromantenkaiser selbst während des Kronrats die Stirn geboten und sich ihm entgegengestellt … unter ihrem Schutz haben sich die anderen Reiche wieder Askir angeschlossen und sie zur Kaiserin gewählt! Sie ist die Magie und die Macht des Reiches, so wie die Legionen Schwert und Schild darstellen, möge sie ewig leben! Für Askir, die Götter und die Kaiserin ein Hoch!«
»Ja. Sicher. Für die Kaiserin. Und so«, meinte Blix. Er sah ungläubig zu der Flagge hoch. »Schon gut, guter Mann«, fügte er hinzu. »Danke. Ihr könnt gehen.«
»Ihr könntet wenigstens salutieren, wenn Ihr ihren Namen hört, Soldat«, teilte der Mann ihm erhaben mit und ging hoch erhobenen Hauptes seines Weges.
Kopfschüttelnd ging Blix weiter, entschlossen, so schnell wie möglich mehr darüber zu erfahren, wieso sie auf einmal eine Kaiserin besaßen. Der Entschluss ließ sich leicht umsetzen. Vor dem südlichen Tor gab es einen kleinen Markt, auf dem hauptsächlich Lebensmittel angeboten wurden. Viele Soldaten versorgten sich hier mit Dingen, die sie nicht in der Messe finden konnten. Natürlich gab es hier auch einen Gasthof, davor einen Brunnen, und vor dem stand ein Tafelsänger, der mit lauter Stimme die Ruhmestaten der neuen Kaiserin besang. Ein schlaksiger Leutnant mit einer Adjutantenkordel und einem Grinsen, das ihm unvorteilhafte Ähnlichkeiten mit einem Pferd verlieh, stand dabei und wippte im Takt mit dem Fuß. In seinen glänzenden Augen stand eine Begeisterung für den Tafelgesang, die Blix nur fassungslos mit dem Kopf schütteln ließ, fast schien es, als ob er sogar noch die Lippen passend bewegen würde.
Der Tafelsänger zeigte nun mit seinem Stock auf eine gleißende Lichtsäule auf seiner Tafel, in der hoch über dem Boden eine junge Frau schwebte, die Eule, wie Blix erfuhr, die einen verzweifelten magischen Kampf mit einem Nekromanten namens Rolkar führte. Der hatte wohl versucht, ein Tor zu einem fernen Ort zu öffnen, an dem ein gewaltiges Heer mit schauerlichen Kriegsbestien und mordlüsternen Ungeheuern wartete, um über die friedliche Kaiserstadt herzufallen. Ein anderes Bild zeigte die schlanke Gestalt auf dem Seewall der Stadt, wo am frühen Morgen eine silberne Woge auf die geschlossenen Seetore zuraste … was genau sie dort getan haben sollte, wurde nicht erwähnt, aber es hatte die Stadt offenbar vor der großen Flut gerettet. Es gab Bilder von riesigen Echsen, die im Hafen Seeleute gefressen haben mussten, bevor sich die Kreaturen der Macht der neuen Kaiserin ergaben. Und ganz zum Schluss beschrieb der Tafelsänger auch noch eine Lichtsäule, die lange über dem Turm der Eulen gestanden haben sollte, und erzählte davon, dass allein durch den Willen der Kaiserin die Magie in die alte Kaiserstadt zurückgekehrt wäre.
Der Mann hielt sich wenig mit Sinn, Logik oder Reihenfolge auf, aber die Botschaft war unmissverständlich. Alleine durch ihren Willen und ihre magische Kraft hatte sie die Stadt bereits zweimal vor den Angriffen des verfluchten Kaisers der Nekromanten geschützt. Sie war eine Heldin, dazu noch jung, bildhübsch, belesen, gütig, großzügig und weise, selbst die Herrscher der sieben Reiche lagen ihr zu Füßen und hatten sich ihr freiwillig unterworfen, zudem wurde sie vom Volk und von den Göttern geliebt. Ach ja, und sie war irgendwie die Enkelin des Kaisers, obwohl man den seit siebenhundert Jahren nicht mehr gesehen hatte! Ein Wunder, dass der Tafelsänger ihr nicht auch gleich noch die Göttlichkeit andichtete, denn wenn auch nur ein Teil der Geschichte der Wahrheit entsprach, fehlte dazu wahrhaftig nicht mehr viel!
Jedenfalls lohnte sich die Darbietung für diesen Tafelsänger, er wurde geradezu umlagert, und in seiner Schale türmten sich die Kupfermünzen, sogar das eine oder andere Silberstück war dort zu finden.
Bei alledem hatte der Schwertmajor nur eine Sache sicher herausgefunden, nämlich, dass das Ganze erst am letzten Tag des Kronrats, also vor vier Tagen geschehen war. Es wurde noch immer gefeiert, was dann auch die vielen lächelnden Gesichter erklärte. Falls der Kult der Weißen Flamme auch in Askir sein Unwesen trieb, mussten sich die Kultisten von den Göttern verlassen vorkommen, bei all der Freude darüber, dass jemand endlich wieder eine seit siebenhundert Jahren verwaiste Krone trug.
Blix warf nun auch ein Kupferstück in diese Schale und ging weiter. Er fragte sich, warum es niemand für nötig gehalten hatte, sie in Aldar zu unterrichten. Mit den Semaphorentürmen konnte man innerhalb einer Glocke Nachrichten über die gesamte Breite Aldanes übermitteln oder auch ihn mitten in der Nacht aus seinem Bett scheuchen. Aber zu erwähnen, dass man jetzt eine Kaiserin besaß, die angeblich auch noch von Askannon selbst abstammte, das war nicht möglich gewesen?
Blix kannte Prinz Tamin von Aldane zwar nur flüchtig, doch er war ihm schon das eine oder andere Mal über den Weg gelaufen. Man sagte dem Mann nach, dass er keine Gelegenheit ausließ, um den Seras den Rock zu heben, und auch jederzeit dazu bereit war, einen Seemann unter den Tisch zu trinken. Das mochte sein, auch wenn der Schwertmajor ihn nie betrunken gesehen hatte. Was Blix aber mit Sicherheit wusste, war, dass er sich nur ungern etwas sagen ließ. Bei alledem hatte er ständig nur ein Bild vor Augen: das einer scharfen Klinge an dem Hals des Prinzen, denn es war für ihn unvorstellbar, dass der Mann freiwillig und ohne Zwang gehandelt haben sollte. Egal, wie man es betrachtete, dachte Blix, als er den Wachen am Tor seinen Marschbefehl zeigte, in vier Tagen beim Volk derartig beliebt zu werden, das war schon eine beachtliche Leistung.
»Tut mir leid, Schwertmajor, ich kann Euch nicht durchlassen«, teilte ihm der Stabsleutnant der Wache bedauernd mit, nachdem er vor Blix salutiert hatte. »Wenigstens nicht sofort«, beeilte er sich hinzuzufügen, als er Blixens Blick sah.
»Was ist das Problem?«, fragte der Major und musterte seinen Marschbefehl. Doch im gleichen Moment erkannte er es auch schon: Drei Siegel hingen an mit Golddraht durchflochtenen Stoffstreifen von dem Befehl herab, genauer betrachtet hingen dort jedoch nur zwei und der Rest des dritten Siegelstreifens … er musste das dritte Siegel irgendwo verloren haben. Blix sah in seinem Ärmelaufschlag nach, doch dort fanden sich nur Brocken von Siegelwachs und eine Ecke, aber nichts, das ihm nun weitergeholfen hätte.
»Gibt es jemanden, der Euch kennt und für euch bürgt?«, fragte der Leutnant.
»Stabssergeant Rellin … aber sie ist auf dem Eisenpass«, grübelte Blix. »Vielleicht noch Lanzengeneral von Thurgau oder auch Stabsmajor Helis … ihr Siegel ist abgerissen, aber sie war es, die den Befehl unterschrieben hat.«
»Nur dass dies eine Abschrift ist«, stellte der Leutnant fest. Er dachte einen Moment nach, dann nickte er. »Die schnellste Möglichkeit scheint mir zu sein, die Stabsmajorin aufzutreiben, sie wird ja wohl bestätigen können, dass Ihr den Befehl von ihr erhalten habt.« Er wandte sich an einen jungen Korporal und schickte ihn los, Stabsmajor Helis zu suchen. »Ich sah sie vorhin erst hereinkommen«, teilte der Leutnant Blix mit. »Ich denke, dass sie sich in der Zitadelle aufhält.«
»Gut«, sagte der Major und richtete sich auf ein längeres Warten ein. »Warum das alles?«, fragte er den Mann. Es war schon ein Weilchen her, dass Blix das letzte Mal in Askir gewesen war, sechs Jahre, um exakt zu sein, aber er konnte sich nicht erinnern, dass es jemals ein Problem gewesen wäre, die Zitadelle zu betreten.
»Es gab bereits Anschläge auf das Leben der Kaiserin und das anderer hochgestellter Persönlichkeiten. Erst kürzlich kam es sogar zu einem Kampf zwischen der Eule Asela und einem dieser verfluchten Seelenreiter. Ihr müsst an dem Ort vorbeigekommen sein, der Kampf riss einen tiefen Krater in die Straße, und eine Vielzahl an Häusern geriet dabei in Brand, Dutzende sind dabei umgekommen. Seitdem sind wir vorsichtig und lassen niemand ein, der uns unbekannt ist oder der nicht über die nötigen Befehle verfügt.« Er zuckte entschuldigend mit den Achseln. »Es wäre kein Problem gewesen, wäre Euch dieses Missgeschick nicht geschehen.«
»Seid Ihr zufällig Schwertmajor Blix?«, rief eine fröhliche Stimme, die den Schwertmajor aufsehen ließ, noch bevor er fragen konnte, wer die Eule Asela war. Es war der schlaksige Leutnant von vorhin, der dem Tafelsänger so ergriffen gelauscht hatte.
»Der bin ich«, nickte Blix.
»Großartig!«, rief der junge Mann und rieb sich erfreut die Hände. »Ich bin Schwertleutnant Stofisk.«
»Aye, Leutnant«, schmunzelte Blix, der nicht so recht wusste, ob er sich über den Mann erheitern oder ihn zurechtweisen sollte. Grund dazu gab es, am Schwertgehänge des Leutnants hatte sich eine Kette gelöst, sodass das Schwert bei jeder Geste des Leutnants hin und her baumelte und gegen seine Beine schlug. Was der Leutnant gar nicht zu bemerken schien.
»Ich habe den Auftrag, Euch zu Stabsobrist Orikes zu bringen«, erklärte Stofisk nun. »Ich war auf dem Weg zu dem Haus der Kaiserin, als ich Euch sah … ich dachte mir, ich frage besser, ob Ihr es seid. Und Ihr seid Ihr! Ich meine … Ihr seid zu früh!«, schloss er in fast vorwurfsvollem Ton.
»So erfuhr ich wenigstens, dass wir jetzt eine Kaiserin haben«, lächelte der Schwertmajor.
»Richtig!«, meinte der Leutnant und nickte aufgeregt. »Es war eine Überraschung, nicht wahr?« Er wartete die Antwort gar nicht erst ab. »Es kam auch für uns unerwartet!«, fügte er hastig hinzu und sah ein wenig schuldbewusst aus, als hätte er es zu verantworten gehabt. »Sie haben es auf dem Kronrat entschieden. Jetzt, wo wir Krieg haben, befand der Rat, dass es besser wäre, das Reich wieder unter einer Krone zu vereinen. Da die Eule über die Magie gebieten kann und es sich herausstellte, dass sie die Enkelin des Kaisers ist, trug man ihr die Krone an.«
»Wie überaus vernünftig«, meinte Blix sarkastisch. »Wer hätte das dem Kronrat zugetraut!« Seiner Meinung nach war es fast ausgeschlossen, dass die Herrscher der sieben Reiche freiwillig so entschieden hatten, er fragte sich nur, wie man es eingerichtet hatte, sie zu dieser ›Einsicht‹ zu erpressen. »Also haben wir eine Kaiserin«, stellte Blix fest und schüttelte ungläubig den Kopf. »Sachen gibt’s … wie hat man es aufgenommen?«
»Das könnt Ihr selbst sehen, wenn Ihr durch die Straßen von Askir geht … das Volk feiert!«, erklärte der schlaksige Leutnant. »Sie ist beliebt, und die Leute sind wie aus dem Häuschen, es ist zur Zeit wie bei einem Volksfest … überall feiern die Leute, und selbst der Handelsrat hat zur Feier des Tages für eine Woche die Handelszölle aufgehoben und sogar die Bierabgabe fallen gelassen.« Er schmunzelte ein wenig. »Was den Krieg angeht, glaubt man wohl, dass unsere neue Kaiserin ihn mit ihrer Magie für uns entscheiden wird … wäre schön, wenn es so einfach wäre.« Er sah sich suchend um. »Ihr habt kein Gepäck dabei?«
»Nein, Leutnant«, antwortete Blix, der all dies noch verdauen musste.
»Gut«, meinte der junge Offizier. »Dann bringe ich Euch direkt zu Stabsobrist Orikes. Ihr werdet schon erwartet.«
»Erwartet?«, fragte Blix verwundert. »Ist der Lanzengeneral auch zugegen?«
»Nein«, antwortete der hagere Soldat noch schuldbewusster als zuvor. »Er ist … verhindert. Aber ich denke, dass auch Stabsmajor Helis anwesend sein wird. Sie ist …«
»Ich habe sie bereits kennengelernt«, teilte der Major dem Leutnant mit. »Aber es gibt ein kleines Problem.«
»Und welches?«
»Mein Marschbefehl.« Blix hielt das Dokument hoch. »Wie Ihr sehen könnt, fehlt ein Siegel, und man will mich nicht durchlassen, bis das geklärt ist.«
»Aber es ist doch geklärt!«, meinte der Leutnant erstaunt und sah den Offizier der Wache fragend an. Der nickte nur hastig.
»Selbstverständlich. Wenn Schwertleutnant Stofisk es sagt, dann ist es so.«
»Seht Ihr?«, strahlte der junge Mann. »Und ich muss es ja wissen, dass der Befehl echt ist, ich habe ihn selbst geschrieben. Manche Sache überlässt der Lanzengeneral dann doch nicht den Federn«, fügte er stolz hinzu.
»Gut«, sagte Blix und musste an sich halten, um nicht laut aufzulachen. »Dann geht voran.«
»Ay, Ser!«, meinte Stofisk und marschierte forsch los.
Etwas klapperte auf den Pflastersteinen.
»Leutnant!«, rief Blix.
»Ay, Major?«
»Ihr habt Euer Schwert verloren!«, teilte Blix dem jungen Mann mit und achtete sehr darauf, dass seine Züge nichts preisgaben, als sich der Leutnant derart hastig bückte, dass er beinahe auch noch gestürzt wäre.
Am Durchgang zum Innenhof der Zitadelle angelangt, drehte sich der Leutnant um und sah zu Blix hoch. »Ihr wisst, wo sich das Arbeitszimmer des Obristen befindet?«, fragte er den Major. »Hier durch und dann den Ring entlang bis zu der Tür mit den gekreuzten Federn?«
»Jetzt ja«, schmunzelte Blix und erwiderte den Salut des hageren Mannes, bevor er mit langen Schritten der Wegbeschreibung folgte. Beinahe hätte er noch aufgelacht. Wie der Mann es vermocht hatte, Offizier in den Bullen zu werden, war Blix schleierhaft, aber ohne Zweifel hatte er ihm die Laune angehoben.
2Als die Ordonanz ihm die Tür aufhielt, wartete nicht nur Stabsobrist Orikes auf den Schwertmajor. Von den Anwesenden kannte Blix sonst nur Stabsmajor Helis, der in den letzten Tagen etwas Schlimmes widerfahren sein musste, denn sie sah mitgenommen aus und ihre Augen waren gerötet, als hätte sie geweint.
Die beiden anderen Frauen trugen schwere, metallisch wirkende dunkelblaue Roben, an deren linker Schulter jeweils das goldene Symbol einer Eule prangte. Beide trugen die Kapuzen offen und betrachteten den Major mit nahezu identischem Gesichtsausdruck, den Kopf leicht schräg gelegt und die linke Augenbraue angehoben, doch darin erschöpfte sich schon die Gemeinsamkeit der beiden. Die eine, die links von Orikes stand, war etwas größer, eine blasse Schönheit mit langem Haar, so schwarz und glänzend wie das Gefieder eines Raben, und einer Haut so blass und bleich wie Schnee, mit klaren, kühlen blauen Augen, die den Major zu durchbohren schienen. Wie alt sie war, konnte man unmöglich schätzen, es gab feine Falten in diesem Gesicht, doch es schien, als wollten sie es nicht wagen, mehr als nur diese feinen Spuren zu hinterlassen.
Bei ihr war es, als ob das Auge haltlos über diese Maske gleiten würde, ohne einen Zugang zu finden, der zur Lösung des Rätsels führen könnte. Spuren von kalter Grausamkeit mischten sich mit Verzweiflung, Freundlichkeit mit Verachtung. In diesem kühlen Gesicht schien sich alles zu widersprechen … hastig sah Blix zur Seite weg, zu der anderen Eule hin, die, im Gegensatz zu der ersten Maestra, den gesamten Raum mit ihrem Wesen zu erfüllen schien. Jünger, Anfang zwanzig, mit langem, wallendem kupferrotem Haar, meergrünen Augen, einer geraden Nase, einem energischen Kinn und einem viel zu weiten Mund, der beständig zu lächeln schien, musterte sie den Major mit freundlicher Neugier.
Während die eine Eule so still stand, dass sie einer Statue glich und auch kaum zu blinzeln schien, war diese junge Frau beständig in Bewegung, als ob sie eine lodernde Flamme wäre, die diesen Raum mit ihrem Licht erfüllte, während die andere Maestra kühl und ruhig gleich der Kerze einer Laterne brannte.
Dass dieser Raum einer Feder gehörte, war kaum zu verkennen, jeder Handbreit Wandfläche war mit Bücher- oder Rollenregalen zugestellt, weit geöffnete Fenster ließen Licht und die kühle Frühlingsluft in den Raum. Auf dem großen Tisch in der Mitte lag eine Karte, um die sich der Stabsobrist und seine Gäste scharten. Eine Karte, die ein Land zeigte, dessen Küstenlinien Blix vollständig unbekannt erschienen.
»Gut, dass Ihr da seid, Major«, begrüßte ihn Orikes freundlich, wenn er auch etwas abgelenkt zu sein schien. »Desina, Maestra, dies ist Schwertmajor Blix, von dem ich euch bereits berichtet habe. Schwertmajor, ich darf Euch Desina, Prima des Turms und Kaiserin von Askir vorstellen … und Stabsmajor Asela vom Turm der Eulen. Mit Stabsmajor Helis seid Ihr ja bereits bekannt.«
Blix stand gerade und salutierte. Er dachte an die Worte des Tafelsängers zurück, die er nur mit Unglauben vernommen hatte. Zumindest damit, dass sie jung und hübsch war, hatte er recht. Und eine Eule war sie auch. Vielleicht war ja doch etwas Wahres daran? Jedenfalls fühlte er sich fast wider Willen beeindruckt. Vor allem der offene Blick aus diesen meergrünen Augen hatte es ihm angetan. Götter … was war, wenn das Gerücht stimmte und Eulen Gedanken lesen konnten? Blödsinn, dachte er. Das ist purer Aberglaube, reiß dich zusammen!
»Es ist mir eine Ehre, Maestra … Hoheit …«, brachte er gerade so heraus. Götter, wie sollte er sie ansprechen? Mit »Majestät«? Aber trugen Eulen nicht auch einen militärischen Rang? Und wieso gab es zwei von ihnen? Er hatte doch erst kürzlich gehört, dass es wieder eine Eule in Askir geben sollte, wo kam denn jetzt die zweite her?
»Bleibt bei ›Maestra‹«, lächelte die junge Kaiserin. »Askannon hielt es nicht anders … in einem seiner Briefe schrieb er, dass die Auflistung seiner Titel regelmäßig jede Unterhaltung zerstören würde. Zudem prägt die Magie wohl mehr als eine Kaiserkrone … die ich, wie Ihr vielleicht bemerkt habt, zudem ja auch gar nicht trage.« Ihr Lächeln wurde breiter. »Es scheint, als hätten wir die Krone in den letzten siebenhundert Jahren irgendwie verlegt.«
Blix war dankbar für ihre Worte, er konnte erleichtert aufatmen, zugleich aber war er auch beeindruckt, wie leicht die junge Frau das Eis gebrochen hatte, aber es war auch schwer, diesem Lächeln zu widerstehen. Anders die andere Eule, diese Maestra Asela, ihr Blick ließ Blix noch immer frösteln. So wie sich deren Augen zuzogen, konnte Blix leicht glauben, dass sie tatsächlich seine Gedanken las!
»Ihr kommt gerade rechtzeitig«, erklärte die junge Kaiserin, und ihr Lächeln verlor sich etwas, als sie auf die Karte herabsah. »Wollt Ihr die Lage erklären?«, fragte sie Stabsobrist Orikes, der nickte.
»Seid Ihr mit der Geschichte der drei Reiche vertraut?«, fragte er den Major.
Blix blickte auf die Karte herab und schüttelte nur den Kopf.
»Also gut«, meinte Orikes. »Dies hier«, begann er und tat eine Geste, welche die gesamte Karte einschloss, »sind die Südlande, die drei Reiche oder auch die Kolonien, sucht Euch aus, wie Ihr sie nennen wollt. Vor etwas mehr als siebenhundert Jahren wurde dieses Land von dem Kaiserreich in Besitz genommen und den Barbaren abgerungen. Dann brach der Weltenstrom zusammen, und Askannon dankte ab, die Feuerinseln gerieten in den Besitz von Piraten, und es war nicht mehr möglich, die Kolonien von See her zu versorgen. Die Kolonisten wurden ihrem Schicksal überlassen und vergessen. Aber sie überlebten und schufen drei neue Königreiche, Jasfar, Letasan und, hier im Osten, Illian.« Er sah zu Blix auf. »Wie Ihr erkennen könnt, sind die Südlande gut um ein Drittel größer als das gesamte Kaiserreich, Bessarein mit eingerechnet. Es ist ein reiches, fruchtbares Land mit gutem Ackergrund und reichen Bodenschätzen und noch immer dünn besiedelt. Man spricht Imperial dort unten, und man predigt die Dreieinigkeit von Soltar, Boron und Astarte. Ganz wie bei uns. Nur dass wir sie vergessen hatten. Jetzt werden sie angegriffen.« Orikes musterte den jungen Offizier. »Ihr wollt etwas anmerken?«
Blix nickte. »Ich habe mich länger mit Lanzengeneral von Thurgau unterhalten«, erklärte er nun. »Er hat mich über die Angriffe des Kaiserreichs Thalak unterrichtet, über den Weltenstrom und die magischen Tore … zudem sah ich mit eigenen Augen, welche dunkle Magien von den Priestern dieses falschen Gottes gewirkt werden können.« Er sah zu Stabsmajor Helis hin. »Meine Stabssergeantin und ich waren dabei, als der Lanzengeneral, Stabmajor Helis und die Priesterin der Solante die Stadt Aldar von dem Bann der Magie befreiten … nur dass wir ihr zum Schluss noch selbst beinahe zum Opfer fielen.« Er sah wieder auf die Karte hinab. »Was ich hörte, ist, dass die Südlande zum größten Teil vom Feind besetzt sind und nur noch die Kronstadt selbst ausharrt.«
»So ist es«, nickte Orikes. »Genau das wollen wir ändern.« Er deutete auf eine Stelle auf der Karte, an der ein Gebirgszug eingezeichnet war. »Diese Berge hier werden von den Einheimischen die Donnerberge genannt, passend dazu trägt diese alte kaiserliche Festung, die diesen Pass beherrscht, den Namen Donnerfeste. Von dort aus sind der Lanzengeneral und seine Gefährten vor etwas mehr als drei Monaten aufgebrochen, um das Kaiserreich um Hilfe gegen Thalak zu ersuchen. Wie Ihr wisst, hat der Nekromantenkaiser seitdem sogar nach Askir gegriffen, unsere Truppen sind sich sogar bereits im Kampf begegnet …. und die Katastrophe, die weite Teile unserer Küstenlinie zerstört und die Stadt Janas fast vollständig vernichtet hat, ist direkt auf das Wirken unseres Feindes zurückzuführen. Hier« – der Stabsobrist tippte mit einem Finger auf ein Festungssymbol nahe dem Gebirge – »liegt die Donnerfeste. Es gab einst viele solcher Festungen, Major, doch im Laufe der Zeit wurden sie alle abgerissen, nur diese hier überdauerte, buchstäblich in Eis und Schnee eingefroren. Sie beherrscht den einzigen bekannten Pass durch die Donnerberge …« – sein Finger rutschte weiter nördlich – »… und damit den Zugang zur jüngsten Stadt der drei Reiche, Coldenstatt, die erst vor wenigen Jahren selbst von Siedlern der Südreiche gegründet wurde.« Er klopfte mit dem Finger auf den Punkt der Karte. »Die Donnerfeste ist die letzte der großen Festungen, Major, und nach allem Dafürhalten mit herkömmlichen Mitteln nicht zu nehmen. Solange diese Feste unter unserer Kontrolle ist, können wir den Pass halten. Und solange wir den Pass halten, bleibt Coldenstatt frei.«
»Wie groß ist dieses Coldenstatt?«, fragte Blix.
»Zum Ende des letzten Jahres lebten dort etwas weniger als siebentausend Menschen«, teilte ihm die Eule Asela mit. Es war das erste Mal, dass sie sprach, und ihre Stimme war weich und rauchig wie die einer Bardin und ließ Blix überrascht aufsehen, diese Stimme wollte so gar nicht zu der kühlen, kalten Schönheit passen. »Im Moment aber«, fuhr die Eule fort, »sind es bereits über zwölftausend, und der Pass ist erst seit einem Monat wieder für Fußgänger und Wagen passierbar. Es werden mehr werden … viel mehr! Wir wissen von den Greifenreitern der Elfen, dass es sich herumgesprochen hat, dass Coldenstatt sicher ist, und sie berichten von Tausenden von Flüchtlingen, die nach Norden ziehen, um sich dort in Sicherheit zu bringen. Die Truppen von Thalak lassen sie sogar ziehen.«
»Warum das?«, fragte Blix überrascht.
»Warum nicht?«, fragte die Eule zurück. »Nicht jeder kann fliehen, und nicht jeder ist bereit dafür. Diejenigen, die fliehen, sind genau die, die sich nicht mit ihrem Schicksal abgefunden haben. Zudem weiß Kolaron Malorbian ganz genau, dass Coldenstatt nicht imstande sein wird, diese vielen Flüchtlinge zu versorgen. Wie der Name schon sagt, ist es ein kaltes, karges Land. Unter keinen denkbaren Umständen werden die Ernten reichen, um so viele Menschen zu versorgen, selbst wenn jeder dort noch heute mit einer Hacke daran ginge, dem steinigen Boden ein neues Feld abzuringen. Die Erde dort ist einfach nicht fruchtbar genug.«
»Wenn wir ihnen nicht helfen, werden die Flüchtlinge dort elendig verhungern«, stellte Desina grimmig fest. »Nur dass es uns zurzeit selbst an Korn mangelt. Aber das ist ein Problem für einen anderen Tag.«
»Dass Flüchtlinge ungehindert abziehen, gehört zu den Versprechungen, die man den Eingeschlossenen in der Kronstadt gegeben hat«, fuhr Orikes fort. »Doch zahllose Versprechen wurden schon gebrochen. So auch das Versprechen der Kriegsfürsten dort, die Belagerung der Stadt aufzuheben, wenn die Königin sich ihnen ausliefert. Als Königin Eleonora dies tat, versuchten Nekromanten sie ihrer Seele, ihrer Fähigkeiten und ihres Wissens zu berauben … Sie scheiterten, und Boron wirkte ein Wunder, das die Nekromanten auf der Stelle für den Frevel strafte.«
»Tatsächlich?«, fragte Blix überrascht.
»Tatsächlich«, meinte der Obrist kühler als zuvor. »Borons Gnade ließ die Königin in der reinen weißen Flamme seines Glaubens vergehen, der echten weißen Flamme, nicht dem Scheiterhaufen, von dem dieser Kult in Aldane so blasphemisch spricht! So erfuhr sie die Gnade des Gottes und konnte frei zu Soltar aufsteigen, und jene, die sich an ihrer ewigen Seele vergreifen wollten, wurden direkt gestraft und in seiner heiligen Flamme geläutert, nur dass sie auf ewig zur Dunkelheit verdammt sein werden, gestraft damit, Soltars Licht und Gnade niemals zu verspüren!«
Richtig, dachte Blix, als er diese Predigt vernahm, und unterdrückte einen Seufzer. Das hatte er vergessen. Von dem Stabsobristen war bekannt, dass er nach seinem Militärdienst ein Priesteramt im Tempel Borons anstrebte, an Glauben und Überzeugung jedenfalls schien es ihm nicht zu mangeln.
Blix hingegen sah es anders. Seiner Meinung nach hatte er bislang nur wenig an Wundern gesehen, dafür zu vieles, das die Götter hätten verhindern sollen … wenn es sie denn tatsächlich gab. Es hieß zwar immer, dass man in einer Rüstung niemals einen Ungläubigen finden konnte, doch Blix kam dem sehr nahe. Es war auch nicht so, dass er die Tempel mied oder scheute, aber jedes Mal, wenn Blix vor Boron stand, fragte er den Gott, warum dieser all die Ungerechtigkeit und all das Elend zuließ, das die Welt befleckte … und doch beneidete der Schwertmajor den älteren Mann um dessen Glauben. Es musste einen Menschen erleichtern zu glauben, dass er einer Fügung folgte und es die Götter waren, die die Welt für ihn ordneten.
»Die Kronstadt hält also noch immer aus?«, fasste Blix das Gesagte zusammen.
»Nicht nur das«, teilte ihm der Obrist mit. »Durch das Opfer der Königin und durch den offensichtlichen Wortbruch der Belagerer sind die Verteidiger umso entschlossener, die Stadt zu halten.«
»Und wie groß ist diese Kronstadt? Wie lange kann man sie halten?«, fragte der Major.
»Es leben etwas unter hunderttausend Menschen in der Stadt. Illian hat auch etwas mit Askir gemein«, teilte ihm nun Asela mit. Sie lächelte fast unmerklich. »Es war Askannon selbst, der die Mauern der Kronstadt schuf. Nach Aldar und Askir war Illian die dritte Stadt, die er befestigt hat … und man kann leicht erkennen, dass er dazugelernt hatte. Nein, Schwertmajor, der Feind wird die Rose von Illian nicht nehmen können … nur Verrat oder Verzweiflung werden ihm diese Tore öffnen. Und solange er die Stadt mit eiserner Faust ergreift, solange wird er die Dornen der Rose in seinem Fleisch verspüren. Vier Legionen belagern die Stadt, Schwertmajor, aber es könnten auch vierzig sein, es würde keinen Unterschied bedeuten.«
»Asela vergisst eines zu erwähnen«, meldete sich die junge Kaiserin zu Wort. »Jeden Tag, an dem die Stadt sich weigert, sich zu ergeben, werden vor den Toren Illians hundert Frauen und Kinder gepfählt … in Sichtweite der Mauern und nah genug, dass die Verteidiger die Schreie hören können.« Sie sah zu der schwarzhaarigen Eule hin. »Verrat oder Verzweiflung … Asela hat recht, nur sie werden die Tore Illians öffnen. Doch wenn wir ihnen nicht bald Hoffnung geben, dann wird es kommen, dass die Stadt sich ergeben wird. Nicht heute, auch nicht im nächsten Monat oder in deren drei … aber bald.« Die Kaiserin ballte ihre Fäuste und sah Blix mit ihren grünen Augen entschlossen an. »Illian darf nicht fallen, sondern muss bestehen, bis die zweite Legion bereit ist, den Kampf in die Südlande zu tragen. Deswegen müssen wir für Königin Leandra einen Weg finden, wie sie nach Illian gelangen kann.«
Gut, dachte der Major. Jetzt gilt es nur noch zu erfahren, wer diese Königin Leandra war. Er hörte weiter zu.
»Es gibt einen solchen Weg«, fuhr die Eule Asela fort. »Einst gab es auch in Illian ein magisches Tor, gleich dem, das Euch hierher brachte. Nur braucht es den Weltenstrom, damit man es benutzen kann.«
»Eure Aufgabe, Major«, fuhr die Kaiserin fort, »ist es, mit Eurer Lanze den Weg zu einem alten Tempel zu bahnen, durch den der Weltenstrom zurzeit noch fließt, und den Strom der Magie so umzulenken, dass wir das Tor in Illian wieder in Betrieb nehmen können, um so die Stadt von hier aus zu versorgen und ihren Bewohnern Unterstützung und vor allem Hoffnung zu gewähren!«
»Ein magisches Tor? Das wird ihnen mehr als nur Hoffnung geben, denn alleine durch so ein Tor ist die Belagerung ja schon gebrochen!«, stellte Blix fest und musterte die junge Kaiserin nachdenklich. »Es gibt ein Problem, nicht wahr? Einen Haken … es muss einen geben! Es gibt immer einen, wenn man meine Lanze anfordert!«
Es war Asela, die ihm die Antwort gab. »Der Tempel liegt in Feindesland«, erklärte sie. »Da habt Ihr Euren Haken.«
»Wo befindet er sich genau?«, fragte Blix nach.
»Das ist das Problem. Ich war nur ein einziges Mal dort, und das ist nun fast achthundert Jahre her … über die Zeit hinweg verblassen manche Erinnerungen.«
Achthundert Jahre? Blix blinzelte ungläubig, aber keiner der anderen schien an der Behauptung der Eule Anstoß zu nehmen. Die sprach bereits weiter und deutete auf die Karte. »Der Tempel befindet sich irgendwo hier, der Zugang befindet sich in einer Steilwand neben einer Quelle, man muss dort nach einem Wolfskopf suchen, der etwa von der Größe meiner Faust ist, dreht man daran, öffnet sich der Zugang …« Sie zuckte mit den Schultern. »Mehr vermag ich Euch nicht zu sagen.«
Vergiss die achthundert Jahre, rief sich Blix selbst zur Ordnung. Denke an das Wesentliche! Er beugte sich über die Karte und musterte sie genauer. Bei »irgendwo hier«, wo der schlanke Finger der Eule noch immer ruhte, war ein Name eingezeichnet. »Lassahndaar«, las Blix vor. »Was ist das? Eine Ortschaft?«
»Eine kleine Stadt«, erklärte Orikes. »Mit etwa viertausend Einwohnern.«
»Ich vermute, sie ist an den Feind gefallen?«, fragte Blix.
»Es führt eine Handelsstraße dort vorbei, von Melbaas aus. Hier. Das ist eine große Hafenstadt, die schon letztes Jahr an den Feind gefallen ist. Von dort aus versorgt er seine Truppen im Land … und von Lassahndaar aus wird der Nachschub im Land verteilt.«
»Ihr wollt mir sagen, dass die Stadt dem Feind wichtig ist«, stellte Blix fest.
»Richtig«, stimmte ihm Orikes zu. »Der Feind hat dort eine halbe Lanze stationiert. Etwa fünfhundertundsechzig Mann, die achte Lanze der einundzwanzigsten Feindlegion, deren Hauptmacht in Melbaas stationiert ist.«
»Die einundzwanzigste?«, fragte Blix entsetzt. »Götter, über wie viele Legionen verfügt der Feind?«
»Wir gehen von siebenundvierzig aus«, teilte die Eule Asela dem Schwertmajor ungerührt mit. »Dieses Wissen ist etwas veraltet, es können jetzt auch mehr sein.« Es mochte die Eule nicht berühren, aber für einen langen Moment schien ihm, als wäre ein Schatten auf die kleine Versammlung gefallen, dann holte Blix tief Luft.
»Also gut. Eine halbe Lanze liegt dort. Warum nur eine halbe Lanze, wenn die Stadt so wichtig ist?«
»Offenbar hat die einundzwanzigste Legion die Aufgabe erhalten, die Handelswege zu sichern. Die halbe Lanze in Lassahndaar ist nur eine von vielen, die im Land verteilt sind. Vergesst nicht, sie sind als Besatzer dort. Sie haben gewonnen … eine halbe Lanze reicht in der Regel, um eine Stadt wie Lassahndaar zu kontrollieren. Mehr brauchen sie auch nicht zu tun«, fügte der Stabsobrist grimmig hinzu. »Das und warten.«
»Ihr seid gut informiert«, meinte Blix, und Orikes nickte.
»Die Südreiche sind nicht kampflos an Thalak gefallen. Es gibt noch immer Widerstand, und seitdem sich die Elfen wieder der Allianz angeschlossen haben, erhalten wir regelmäßig Berichte von unseren Agenten dort.« Er sah zu Blix auf. »Wenn alles gut läuft, werdet Ihr zwei von ihnen kennenlernen. Sie werden sich Euch anschließen, sobald Ihr Lassahndaar erreicht habt.«
»Wenigstens etwas.« Blix rieb sich seinen Nasenrücken und versuchte die Entfernung zwischen der Donnerfeste und Lassahndaar abzuschätzen. Es sah nach einem guten Stück Weg aus. »Also, Ihr wollt meine Lanze dorthin schicken, damit wir einen Tempel finden, in dem ein magischer Fluss so umgelenkt werden muss, dass ein Tor in der Kronstadt geöffnet werden kann. All das am besten, ohne dass man uns bemerkt … weil wir sonst diese Lanze am Hals haben werden?«
»Oh«, meinte Asela, »es wird sich nicht vermeiden lassen, dass der Feind bemerkt, was geschieht. Er wird es in dem Moment wissen, in dem der Weltenstrom umgelenkt wird. Dann wird die einundzwanzigste Legion einen neuen Auftrag erhalten: den Tempel und damit Eure Lanze zu finden und das Tor erneut zu schließen. Eure Aufgabe wird sein, dem Feind den Zugang zum Tempel so lange zu verwehren, wie es nur möglich ist … bis zum letzten Atemzug, wenn es denn sein muss. Das Schicksal Illians und damit letztlich das von Askir hängt also von Euch und Eurer Lanze ab.«
Blix spürte, wie ihm etwas den Hals abschnürte. »Ihr sagt nichts anderes, als dass wir dort sterben werden«, stellte er mit rauer Stimme fest. »Deshalb habt ihr Euch für uns entschieden.«
»Wir hoffen, dass es sich vermeiden lässt. Aber ja, Major«, bestätigte die junge Kaiserin und hielt seinem Blick stand. »Da die Gefahr besteht, war es einer der Gründe.«
»Das und Euer Ruf, die beste Lanze in den Legionen zu führen«, meldete sich zum ersten Mal Stabsmajor Helis zu Wort. »Es war der Vorschlag des Lanzengenerals, Euch mit dieser Aufgabe zu betrauen.«
»Dann sollte ich mich bei ihm dafür bedanken, dass er an uns dachte, wenn es ans Sterben geht!«, sagte er bissig.
»Das dürfte schwerfallen«, antwortete die Stabsmajorin mit rauer Stimme. »Er wurde vor zwei Tagen feige ermordet.«
3Als Blix die Zitadelle verließ, wartete bereits Stabssergeant Sanja Grenski auf ihn. Mit ihren kurzen grauen Haaren war es schwer, das Alter der groß gewachsenen Soldatin einzuschätzen, selbst Blix wusste nicht genau, wie alt sie tatsächlich war. Was er wusste, war, dass sie die verflucht beste Stabssergeantin in den Legionen war und er sich glücklich schätzen konnte, dass sie in seiner Lanze diente! Warum sie in einer Straflanze gelandet war, blieb ebenfalls ihr Geheimnis, doch ihre Erfahrung war ihm unschätzbar wertvoll. Im Laufe der Jahre hatten sie sich zusammengerauft und waren auch so etwas Ähnliches wie Freunde geworden. So etwas Ähnliches. Denn Grenski war keine Frau, die Vertraulichkeiten duldete. In mancher Beziehung standen sie sich näher als ein Paar, sie hatten einander oft genug das Leben gerettet, in anderer Hinsicht waren sie sich noch immer genauso fremd geblieben wie am Anfang. Fast, als hätten sie stillschweigend entschieden, es so für gut zu befinden, wie es nun war.
Jedenfalls genügte ihr ein Blick in sein Gesicht, um zu wissen, dass er keine guten Neuigkeiten brachte. Mit knappen Worten erklärte er ihr, was er von ihrem nächsten Auftrag wusste.
»Irgendwann musste es so kommen«, meinte Grenski und atmete tief durch. »Wir hatten einfach Glück, dass es lange keine Notwendigkeit dafür gab.«
»Wahrscheinlich hast du recht«, meinte Blix. »Es gibt noch etwas anderes. Offenbar hatte der Lanzengeneral genaue Vorstellungen davon, wie wir auszurüsten sind. Der größte Teil unserer neuen Ausrüstung wurde schon zur Donnerfeste geschickt, so wie ich es verstanden habe, fehlen nur noch zwei Dutzend Pferde … sobald wir diese haben, werden wir ins Feld geschickt. Also haben wir noch einen oder zwei Tage Zeit.«
»Pferde?«, fragte Grenski überrascht. »Wir sind die schwere Infanterie! Was wollen wir mit Pferden?«
»Wir sind Legionäre«, verbesserte Blix sie. »Und das bedeutet, wir werden es erfahren …«
»… wenn es so weit ist!«, vervollständigte Grenski seinen Satz und rollte die Augen dabei. »Zumindest erklärt es die Befehle, die ich erhalten habe.«
»Ich habe mich schon gefragt, wieso du hier bist. Welche Befehle?«
»Mich mit dem magischen Tor vertraut zu machen und die Verlegung der Lanze in die Donnerfeste vorzubereiten. Durch das Tor.« Sie schüttelte sich ein wenig. »Mir ist gar nicht wohl, wenn ich daran denke. Außerdem mache ich mir um Orvin Sorgen. Er ist aus Aldane, und wenn wir ihm sagen, dass er durch ein magisches Tor reisen soll, wird er uns mit Sicherheit Ärger bereiten.«
»Du bist auch aus Aldar«, erinnerte er sie.
»Ich bin auch kein ungebildeter Kuhhirte«, erklärte sie ihm mit einem hoheitsvollen Blick. »Da muss schon mehr kommen, um mich in Panik zu versetzen. Es soll dort auf der Donnerfeste Spinnen geben, die so groß sind wie kleine Hunde … so etwas lässt mich schwitzen, aber doch nicht irgendein Tor! Das Gute an diesen Toren ist ja, dass wir nicht dorthin marschieren müssen! Ich hörte, die Donnerfeste befände sich Tausende von Meilen südlich von hier … das wäre ein ordentliches Stück Weg, das wir uns damit ersparen. Auf der anderen Seite ist so ein Marsch gut dafür geeignet, neue Rekruten einzubrechen …«
»Wir bekommen welche?«, fragte Blix interessiert.
»Dreiundvierzig. Zum Teil aus den Legionen, zum Teil frisch aus den Kerkern der sieben Reiche.«
Blix pfiff leise durch die Zähne. »Das ist eine ganze Menge … das bringt uns auf was … Einhundertzweiundsiebzig?«
»Einundsiebzig«, verbesserte Grenski. »Du weißt, wie sie in Aldar sind. Korporal Hannis hielt es offenbar für angebracht, sich mit einem königlichen Gardisten anzulegen … ich weiß nicht, worum es bei dem Streit ging, aber man hat ihn dafür aufgehängt. Wendis ist stinksauer deswegen, aber ihm waren die Hände gebunden, er konnte auch nur zusehen, wie sie Hannis hochzogen. Ich hörte, er hätte ziemlich lange gestrampelt. Nun ja, ich denke, dass wir von den Neuen einige auf die gleiche Art verlieren, bis die anderen es verstehen. Unsere Lanze ist übrigens nicht die einzige, die verstärkt wird«, erzählte Grenski weiter. »Es geschieht überall … es ist wohl geplant, die Legionen innerhalb des nächsten halben Jahres auf volle Kriegsstärke aufzustocken.« Grenski hielt ihren Marschbefehl hoch. »Ich soll mich beim Zeugwart der Zweiten melden … bleibst du hier?«
»Vorerst ja. Ich werde mir vom Quartiermeister eine Unterkunft zuweisen lassen. Bis morgen bleibe ich bestimmt.«
»Dafür darf ich morgen früh vier von unseren neuen Rekruten in Empfang nehmen.« Sie seufzte theatralisch. »Ich freue mich schon darauf … Bier?«
»Wenn es die ›Silberne Schlange‹ noch gibt … zur sechsten Glocke?«
»Bis dann also, Schwertmajor«, grinste sie und salutierte.
Blix sah ihr nach, wie sie mit schnellen Schritten davonging, dann wandte er sich ab und machte sich daran, den Quartiermeister zu suchen.
Der Tempel des Soltar war ein beeindruckendes Gebäude, mit hohen Säulen, prächtig verzierten Türen und einer ganzen Schar von dunkel berobten Tempeldienern, die sich rund um den Tempel um die Gläubigen kümmerten … und darum, dass dem Gott die Spenden nicht ausgingen. Bis Blix seinen Fuß über die Schwelle des Gotteshauses gesetzt hatte, hatte man ihn nicht weniger als viermal daran erinnert, dass er sterblich war und jederzeit vor Soltar stehen könnte und es dann zu spät wäre, aber jetzt, da er noch lebte und das Gold in seinen Taschen klimperte, wäre es doch wohl der richtige Zeitpunkt, die Stärke seines Glaubens mit klingender Münze zu beweisen!
Damit nicht genug, gab es vor den Stufen des Tempels jede Menge Stände, die auf andere Art ihr Geschäft mit dem Gott betrieben, Devotionalienhändler, bei denen man gestickte oder aus Silber oder gar Gold getriebene Symbole des Gottes kaufen konnte, zum Anbringen auf den Roben der Gläubigen oder, einem Soldaten ganz besonders zu empfehlen, in der Höhe seines Herzens, auf dem Brustpanzer. Wollte er schon nicht das Zeichen des Gottes sichtbar als den Beweis seines Glaubens mit sich führen, so gab es für den gebildeten Mann eine andere Möglichkeit. Für nur acht Goldstücke konnte er einen handgedruckten Band erwerben, mit seinem Namen in goldenen Lettern auf der ersten Seite, der die Worte des Gottes enthielt und einen so in allen Lebenslagen leiten würde.
Direkt vor den Stufen, die zum Haupttor führten, gab es einen Stand, der gesegnete Klingen, Schwerter, Äxte und Armbrustbolzen verkaufte, gleich daneben den Stand, an dem das Weihwasser feilgeboten wurde, mit dem die Waffen gesegnet worden waren.
Blix kannte die Argumente, dass es die Tempel waren, die mit den Spenden die Armen speisten, oder dass der ehemalige Soldat, der nun die heiligen Waffen anbot, sein linkes Bein und seine besten Jahre für die Kaiserstadt gegeben hatte … und es Dutzende, wenn nicht gar Hunderte von Menschen gab, die ihren Unterhalt auf diese Art durch den Tempel und den Glauben verdienten. Was war schon dabei, sich ein bedrucktes Seidenfähnchen mit einem passenden Gebet an die Robe zu heften?
Nichts, das gab auch Blix zu. Alle Götter sprachen davon, dass derjenige, der mehr besaß als andere, sich der Gnade bewusst sein sollte und solchen, die bedürftiger waren als er selbst, mit Großherzigkeit und nicht mit Verachtung begegnen sollte.