Die Festung der Titanen - Richard Schwartz - E-Book
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Die Festung der Titanen E-Book

Richard Schwartz

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Beschreibung

Endlich setzt Richard Schwartz seine hochgelobte Saga »Die Götterkriege« fort – diesmal sieht sich Havald, der Engel des Todes, seiner dunkelsten Bedrohung gegenüber: Der Feind hat einen raffinierten Plan entworfen, um den vernichtenden Angriff Thalaks auf die sieben Reiche vorzubereiten. An der Festung der Titanen soll ein Wettkampf entscheiden, wer die Krone der Vergessenen gewinnt und damit die Barbaren der Ostmark anführt. Bis dahin herrscht Waffenstillstand, doch während der Nekromantenkaiser nach einem alten Artefakt gräbt und Havalds Verbündete sich gefährlichen Intrigen aussetzen müssen, steht die wahre Bedrohung noch bevor. Denn Havald ahnt nicht, welch schreckliches Verhängnis der letzte Gegner des Wettkampfes für ihn bereithält – und dass ein tiefes Dunkel in seiner eigenen Seele auf den Moment wartet, um auszubrechen …

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Seitenzahl: 485

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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2013

ISBN 978-3-492-96123-3

© Piper Verlag GmbH, München 2013 Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München Umschlagabbildung: Uwe Jarling Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Für Silvia, die am meisten unter meinen Büchern leidet und mich dennoch zum Lachen bringt.

Was bisher geschah

Seit Jahrhunderten herrscht an den Grenzen der Ostmark ein unerklärter Krieg zwischen den Streitern des Kaiserreichs und den Barbaren der Kor, die sich aus ihrem Land vertrieben fühlen. Doch jetzt bedrängen auch Kolarons schwarze Legionen die Ostgrenzen des Kaiserreichs. Nach den Legenden des Barbarenvolkes besitzt ein mystisches Artefakt aus der Zeit der Elfen, der Tarn, die Macht, die zersplitterten Stämme der Kor zu einen. Kriegsfürst Arkin, ein loyaler Diener des Nekromantenkaisers, will sich dies zu Nutze machen: Nachdem er den Verschlinger, ein von ihm kontrolliertes Ungeheuer aus grauer Vorzeit mit der Fähigkeit, jede Form anzunehmen, damit beauftragt, die fünf Bruchstücke des Tarn zu finden, hält Arkin zu Füßen der Festung der Titanen einen Wettkampf ab. Der Sieger soll als Preis die Stücke des Tarns und damit auch die Herrschaft über die Kor erhalten.

Tatsächlich aber verfolgt der Kriegsfürst einen anderen Plan. Der Verschlinger soll den Sieger des Wettkampfs töten und seine Form annehmen, um so die neu geeinten Stämme der Barbaren gegen die Ostgrenzen des Kaiserreichs zu führen. Vereinen sich die Barbaren unter der Flagge des Nekromantenkaisers, ist die Ostmark und vielleicht auch Askir verloren. Um dies zu verhindern, macht sich Havald, im Kaiserreich als Lanzengeneral von Thurgau bekannt und selbst erst kürzlich von den Toten auferstanden, auf den Weg, den Plan des Kriegsfürsten zu durchkreuzen, indem er sich selbst dem Wettkampf um den Tarn stellt.

Gelingt es Havald, den Wettkampf für sich zu entscheiden, so hofft er, den Tarn der jungen Schamanin Delgere überreichen zu können, die unter dem Schutz und der Führung von Kaiserin Elsine, dem letzten der großen Drachen, und der Hüterin Aleahaenne, der letzten Überlebenden der Elfen, die vor langer Zeit das blutige Land bewohnten, dann die Stämme der Kor leiten soll.

Zugleich hat Havald die legendäre zweite Legion unter Führung von Lanzenobristin Miran beauftragt, den Nachschub der schwarzen Legionen zu unterbrechen und sie so zu schwächen.

Doch noch bevor der Wettstreit um den Tarn beginnt, erfahren Havald und sein Freund Ragnar schmerzhaft, dass es um mehr geht als nur um das Schicksal der Barbaren und des Kaiserreichs. Denn noch während Havald um den Tarn ringt, versuchen die Priester des toten Gottes der Festung der Titanen ein Geheimnis zu entreißen, das die Welt verändern wird …

Eine Pfeife Apfeltabak

1 »Weißt du, wo mein Tabak ist?«, fragte ich Serafine und hob meinen leeren Beutel hoch.

Sie sah kurz auf und schüttelte den Kopf, bevor sie sich wieder ihrer Rüstung zuwandte, an der sich ein Riemen gelöst hatte. »Ich denke, er ist noch in der Satteltasche.«

»Und die ist wo?«, fragte ich nach und sah mich suchend in unserem Zelt um. Was Zelte anging, war dieses ein Palast, hoch genug, dass sogar ich aufrecht darin stehen konnte, mit vier Räumen, die mit Zeltplanen voneinander getrennt waren. Was es nicht übersichtlicher machte.

»Schau im Vorraum nach«, riet sie mir, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen. Sie war einst Zeugwart der zweiten Legion gewesen und verstand sich darauf, Rüstungen zu flicken. Nur neigte sie dazu, darüber alles andere um sie herum kaum mehr zu beachten.

Ich hatte schon in Häusern gelebt, die kleiner waren als dieses Zelt und schlechter eingerichtet. In dem Raum vor unserem Schlafgemach stand ein großer Tisch mit acht Stühlen daran, daneben ein kleines Kabinett, mit einer Karaffe Wein und mehreren schweren Kristallgläsern darauf. Laternen verbreiteten ein behagliches Licht und Teppiche, so dick, dass ich darin zu versinken drohte, bedeckten den Boden.

Ich wäre mit weniger zufrieden gewesen, aber Serafine bestand darauf, sie war der Ansicht, dass es die Barbaren beeindrucken würde.

Ich hatte meine Zweifel daran, ein Kreis von Totems markierte die Grenze des uns zugewiesenen Lagerplatzes und jeder der Tierschädel war nach innen gerichtet, als ob es nötig wäre, dass die Schutzgeister der Totems die Armee der Barbaren vor unserem kleinen Haufen beschützen mussten. Was auch immer die Kor von uns zu wissen glaubten, vorteilhaft war es ganz sicher nicht. Auch ein prunkvolles Zelt würde da wohl kaum noch etwas ändern.

Abgesehen davon, gab es einfach zu viel von allem. Früher war ich es gewohnt, mit nicht mehr zu reisen als dem, was in einer Satteltasche Platz fand, jetzt brauchte ich fast zwei Packpferde, um all das zu transportieren, was man als richtig und wichtig für einen Lanzengeneral des legendären Kaiserreichs Askir erachtete.

Demzufolge waren Unmengen von Satteltaschen, Kisten und Beutel in dem kleinen Vorraum zu finden, nur nicht die Tasche, die ich suchte.

»Sie ist nicht da.«

»Siehst du deine neuen Stiefel?«

Ich sah mich um. Dort, neben einer Kiste, standen sie. Ich hatte sie noch nie getragen und so ganz neu waren sie auch nicht mehr. Ich verstand nicht, warum Serafine darauf bestanden hatte, sie einzupacken. Sie wusste doch, dass ich meine alten Stiefel bevorzugte. Zwar ließen sie sich nicht mehr auf Glanz polieren und obwohl Armin in Gasalabad neue Absätze hatte anbringen lassen, waren diese schon etwas schief getreten. Dafür drückten sie nicht, und wir hatten zusammen schon eine Menge überstanden. Ein Mann hängt an einem guten Paar Stiefel.

»Ja.«

»Dahinter.«

Tatsächlich.

Ich musste allerdings feststellen, dass von dem Packen Apfeltabak, den mir Serafine geschenkt hatte, nicht mehr allzu viel übrig war, gerade genug, dass es für drei Beutel reichen würde. Noch ein Grund, darauf zu hoffen, dass Elsines Plan bald aufgehen würde. Ich füllte meinen Beutel, wickelte den Rest des Tabaks sorgfältig ein und verstaute die Satteltasche wieder hinter den Stiefeln. Jetzt wusste ich ja, wo ich sie finden konnte.

Jemand kratzte an dem Zeltleinen, das uns als Eingang diente. Ich schob das Leinen zurück und trat nach draußen, um dort Ragnar vorzufinden, der sich auf seine Axt Ragnarskrag stützte und nicht sehr glücklich wirkte.

»Hast du etwas Zeit?«, fragte er mich.

Ich nickte und hielt Pfeife und Beutel hoch. »Ich wollte gerade einen ruhigen Ort aufsuchen, um zu rauchen.«

»Dann solltest du im Zelt bleiben«, meinte er und wies auf die emsige Betriebsamkeit, die uns umgab. Wir waren erst vor nicht ganz einer Glocke hier angekommen, und das Lager war noch immer im Aufbau begriffen. Ma’tars Krieger benutzten keine Zelte, vielmehr waren sie geschickt darin, aus mit gegerbtem Leder bespannten Holzlatten niedrige Hütten zu errichten, die dem stetigen Wind der Steppe besser standhielten als unsere kaiserlichen Zelte. Allerdings brauchten sie auch länger dazu, sie aufzubauen.

Der Lagerplatz, den man uns inmitten der anderen Lager der Kor zugewiesen hatte, war größer, als wir ihn benötigt hätten, so hatten die Krieger des Stammes genügend Raum, ihre niedrigen Hütten in einem losen Kreis um die beiden kaiserlichen Generalszelte zu errichten und vor unseren Zelten genügend Platz für drei Feuerstellen zu lassen. Obwohl es bis zur Abenddämmerung noch gut zwei Kerzenlängen dauern würde, bereiteten dort einige Krieger bereits unter Maheas gestrenger Aufsicht das Abendessen vor, indem sie getrocknetes Gemüse, Gewürze und das zähe Fleisch einiger Steppenhasen in einen Topf warfen und über einem Dungfeuer köcheln ließen.

Ein Windstoß ließ den beißenden Qualm in unsere Richtung wehen und unsere Augen tränen. Hastig brachten Ragnar und ich uns in Sicherheit.

»Ich verstehe nicht, wieso es ihnen nichts ausmacht«, beschwerte sich Ragnar, als wir dann eine Stelle in der Nähe unserer Pferde gefunden hatten, die abseits von dem Trubel lag. »Sie müssen sich doch selbst fast schon wie Räucherfleisch fühlen!«

»Ich nehme an, sie sind es gewöhnt«, meinte ich schulterzuckend und stopfte meine Pfeife.

»Götter«, seufzte Ragnar, als er es sich am Fuß eines der verkrüppelten Bäume, die es hier gab, gemütlich machte. Er legte seine Axt zur Seite, und ich lehnte Seelenreißer an den Baum, um mich dann neben Ragnar zu setzen. »Ich wusste nicht, dass Pferdedung so stinken kann.«

»Was vielleicht daran liegt, dass es nicht nur Pferdedung ist«, meinte ich und wies mit meinem Pfeifenstiel auf einen Stammeskrieger, der ein paar Schritte weiter gerade eine Ziege molk.

»Was dann auch erklären würde, warum das Essen in den letzten Tagen mehr und mehr nach Ziegenscheiße schmeckt!« Er riss einen Halm des dürren Steppengrases aus und spielte damit herum, während er zu einem der anderen Barbarenlager hinübersah, die uns von allen Seiten umgaben.

Dort stand eine junge Sera, die gerade einem Steppenhasen die Haut abzog, während sie mit einem der Stammeskrieger schäkerte und lachte. Als dieser unsere Blicke wahrnahm, tat er eine Geste in unsere Richtung, die man nicht kennen musste, um zu verstehen, dass sie wenig freundlich gemeint war, und stampfte davon. Die Sera sah zu uns herüber, und da Ragnar nun einmal Ragnar war, schenkte er ihr ein Lächeln. Was die Sera nur dazu veranlasste, ihr Messer in den Hasen zu rammen und mit erhobenem Haupt und voller Verachtung davonzugehen, um den halb gehäuteten Hasen an dem Ast baumeln zu lassen.

»Autsch«, meinte Ragnar und verzog das Gesicht, als er sah, an welcher Stelle die Sera ihr Messer in den armen Hasen getrieben hatte. »Das sieht nicht so aus, als ob sie uns mögen!«

»Bedanke dich bei Hergrimms Blutreitern dafür«, meinte ich und rief die Glut mit meinem Daumen herbei, um dann zu paffen, bis die Pfeife zog. »Was erwartest du, wenn sie seit Jahrhunderten jeden Vorwand nutzen, um ihre Lager zu überfallen, ihre Frauen zu schänden und ihre Männer zu erschlagen? Es ist ein Wunder, dass sie sich nicht auf uns stürzen.«

»Das wäre mir lieber als diese Verachtung«, knurrte Ragnar verbittert. »Kann man ihnen nicht einfach sagen, dass wir nichts damit zu tun haben? Langsam schlägt es mir auf das Gemüt, wenn jeder mich so ansieht, als wäre ich nicht einmal den Dreck unter den Fingernägeln wert.«

»Die Blutreiter ritten unter der Flagge Askirs und die Kor können sich noch gut daran erinnern, wie die dritte Legion hier gewütet hat.« Ich seufzte und wies auf das gegenüberliegende Lager. »Was willst du tun, Ragnar? Willst du dort hingehen und sagen, dass wir die Wahrheit nicht wussten? Sie wissen, dass unsere Legionen die Mauern der Grenzfesten besetzt hielten, sie wissen, dass wir Soldaten ausgeschickt haben, um ihre Lager zu zerstören. Meinst du, es reicht, wenn wir ihnen sagen, dass es uns leidtut, dass die Ostmark sie mit Absicht so herausgefordert hat? Dass man wollte, dass sie immer wieder gegen das Unrecht aufbegehrten, das man ihnen antat? Dass man sie dazu gebracht hat, gegen die Grenzfesten anzurennen, damit Hergrimm mehr Gold für die Ostmark fordern konnte?«

»Ja«, nickte Ragnar grimmig. »Ich kann mir vorstellen, wie sie das aufnehmen würden!« Er sah hinüber zu Ma’tar, der sich am Lagerfeuer mit Mahea unterhielt. »Selbst unsere Barbaren halten Abstand zu uns. Versucht man mit einem freundlich ins Gespräch zu kommen oder ihnen sogar ein Bier aus dem eigenen kostbaren Vorrat anzubieten, schauen sie einen an, als ob man ihnen die Schwester gestohlen hätte, und drehen sich auf dem Absatz um und gehen weg.«

»Es sind nicht unsere Barbaren, Ragnar. Der alte La’mir hat ihm geraten, mich offiziell als Führer des Stammes anzuerkennen. Damit sein Stamm freies Geleit in die Ostmark bekommt.« Ich tat eine hilflose Geste. »Tatsächlich sind wir hier gelandet, weil ich als ›Stammesführer‹ das Recht habe, hier am Wettkampf um den Tarn teilzunehmen.«

»Guter Plan«, knurrte er. »Erst Leib und Leben riskieren, um ein paar Stücke Jade zu bekommen, und dann willst du den Tarn auch noch an Delgere abgeben? Was hast du davon?«

»Elsine versprach, Delgere zur Königin der Kor zu machen und sie zu beraten. Was ich davon habe?« Ich zuckte mit den Schultern. »Delgere hat sich verpflichtet, dass die Kor unter ihrer Führung weder die Ostmark noch das Kaiserreich angreifen. Das reicht mir.«

Ragnar ließ den Grashalm fallen. »Glaubst du tatsächlich, dass es Maestra Elsine gelingen wird, die Kor zu überzeugen, ihr zu folgen?«

»Hhm«, meinte ich. »Sie scheint jedenfalls davon überzeugt. Delgere sagt, dass die Geister den Schamanen der Stämme schon seit Jahren raten, sich unter den Schutz des Drachen zu begeben. Sie haben sich dagegen gestemmt, weil sie stets davon ausgegangen sind, dass der Drache für Askir steht. Jetzt, da La’mir eine andere Deutung gefunden hat, hofft sie, dass er auch die anderen Schamanen der Kor überzeugen kann. Wenn wir dann auch noch den Tarn für Delgere gewinnen, haben wir die Prophezeiung der Geister, die Traditionen der Kor und die Legende auf unserer Seite.«

»Was zur Folge hätte, dass sich die Kor nicht mit Kriegsfürst Arkin verbünden werden.«

»Das ist der Plan«, nickte ich.

Ragnar wies mit seinem Blick zu dem anderen Lager hin. »Deswegen werden sie uns nicht weniger hassen.«

»Ja«, seufzte ich. »Doch wenn die Kor sich aus dem Krieg heraushalten, haben wir Zeit gewonnen, den Konflikt hier friedlich zu lösen.«

»Wenn du Marschall Hergrimm an Delgere auslieferst.«

»Ich liefere ihn nicht aus«, sagte ich ruhig. »Elsine sagt, sie will ihn sich selbst holen. Hergrimm ist ein Verräter, er hat es nicht anders verdient.«

Ragnar schaute mich skeptisch an. »Wenn du es sagst. Was ist mit Maestra Elsine? Vertraust du ihr?«

Ich nickte.

»Wieso?«, fragte Ragnar. »Sie hat mehr als deutlich gemacht, dass sie sich dem Kaiserreich nicht mehr verbunden fühlt.«

Damit hatte er wohl recht, doch er wusste auch nicht, was sie für mich getan hatte …

Es gab einen Karpfen in dem kleinen Teich im Tempelgarten, eine Weide, die ihre traurigen Äste in das Wasser hielt, und eine kleine Bank. Die hohen Mauern des Tempelgartens hielten den Lärm der großen Stadt zurück, die sich außerhalb der Mauern befand, und Teich, Weide, Bank und Karpfen befanden sich in der hintersten Ecke des Tempelgartens, sodass ich dort nur selten gestört wurde. Ich wollte keine Störungen. Ich wollte nicht beständig daran erinnert werden, dass es ein Wunder war, dass ich lebte, dass ich auf dieser kalten Bahre wieder erwacht war, wenn ich auch kaum mehr wusste, wer ich war.

Fremde Gesichter, die mich anlächelten, ehrfürchtige Blicke von Novizen und Priestern, das Raunen hinter meinem Rücken, die verstohlenen Blicke, wenn man glaubte, ich würde sie nicht wahrnehmen, all das war zu viel für mich. Kaum hatte ich die Augen aufgetan, hörte ich, dass ich der Engel Soltars wäre, von dem Gott gesandt, um den Menschen im Krieg der Götter Hoffnung zu geben, um dann doch auf seinem eigenen Schwert zu sterben.

Dem Schwert, das ich in meinen Händen hielt. Es war ein ganz besonderes Schwert, das Schwert, mit dem der Gott Soltar im letzten Krieg der Götter den dunklen Gott Omagor erschlagen hatte. Von diesem Schwertleutnant Stofisk, einem hageren Mann mit einem Pferdegesicht und einem unvorteilhaften Hang dazu, über seine eigenen Füße und Worte zu stolpern, hatte ich erfahren, dass es in Form und Ausführung einem kaiserlichen Schwert entsprach, mit einer beidseitig geschliffenen fast vier Fuß langen Klinge, einem stabilen Querstück, einem flachen Knauf, auf dem ich ein Wappen vermisste, einem mit feinem Draht und darüber mit Leder umwickelten Heft, gerade lang genug, dass ich es mit meinen breiten Pranken sowohl ein- als auch zweihändig führen konnte.

Die Klinge selbst war aus einem hellgrauen Stahl gefertigt und so scharf, dass man sich damit hätte rasieren können. Auf einer Seite zogen sich Runen die Klinge entlang, die, je länger ich sie mir besah, immer schwerer zu sehen waren, sie schienen sich zu bewegen, fast schon selbst zu leuchten, im Takt meines Pulses auf- und abzuschwellen.

An das, was war, bevor ich in diesem Tempel eines Gottes auf einer Bahre erwachte, konnte ich mich kaum mehr erinnern, nur Bruchstücke und nebelverhangene Fetzen von Geschehnissen, die mir einst wohl wichtig genug gewesen waren, sodass ich sie sogar jetzt noch nicht verloren hatte.

Gesichter, viele davon, meist lachend, mir zugewandt, mit einem Funkeln in den Augen, als teilten sie einen köstlichen Witz mit mir, Erinnerungen an Reisen, an dichte Wälder, schneebedeckte Täler, gestohlene Küsse, an leidenschaftliche Nächte. Ich schien einen Hang dazu zu besitzen, die Menschen lachend in Erinnerung zu behalten. Und dennoch gab es andere Erinnerungen, düstere, darunter eine, die mich schauern ließ, wenn ich sie betrachtete und versuchte, ihren Sinn zu verstehen. Ein schneebedeckter Pass und Blut, das mir ins Gesicht tropfte, als ich unter einem Berg von Leichen erwachte und fürchtete, unter ihnen erdrückt zu werden, bevor ich mich befreien konnte. Die Erinnerung daran, wie ich den letzten meiner Kameraden von mir stemmte und sich der Pass vor mir erstreckte, ein Pass gefüllt von Toten, die, bereits von einer glitzernden Eisschicht überzogen, seltsam friedlich wirkten, als ob sie nach ihrem gewaltsamen Ende doch den Frieden gefunden hätten, der mir verwahrt geblieben war. So viele waren es, dass man sie nicht zählen konnte, sie türmten sich zu Hügeln und Bergen auf, das Eis unter der dünnen Schneeschicht rot gefroren. Ich erinnerte mich, dass ich weinte, dass ich schwor, so etwas nie wieder sehen zu wollen, dass ich mir den Frieden des Todes wünschte und schließlich dieses Schwert aus einem der Erschlagenen zog … und dann an nichts weiter.

Kein Wunder, dass ich es vorzog, mir auch andere Erinnerungen zu bewahren wie die an dem kleinen Mühlbach, unweit des plätschernden Mühlrads, wo ich unter einer anderen Weide mit einer flachsblonden Sera lag und ihr lächelndes Gesicht mit leichten Küssen überzog, die sie lachen ließ, bevor sie mich erst protestierend wegschob, um mich dann in sie hineinzuziehen.

Eine schöne Erinnerung, dachte ich an diesem Tag im Tempelgarten, eine, die mich lächeln ließ, obwohl ich nicht verstand, warum sie mich auch weinen machte.

Eine andere an ein Mädchen in den Kleidern einer Schweinemagd, vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt, die mit ungläubigen Augen auf ein trockenes Stück Brot und ein Stück hartem Käse starrte, das ich ihr hinhielt, bevor sie mich umarmte und mit leuchtenden Augen etwas sagte. Das gleiche Mädchen, das mir weinend in den Arm fiel, als ich ein Schwein schlachten wollte. Eine alte Frau, mit den Augen dieses Mädchens, die ich in den Mauern einer wehrhaften Burg unter einem Apfelbaum sitzen sah. An ein anderes Kind, mit den gleichen wachen Augen, das lachend in einem Garten herumlief und in ihrer Hand einen hölzernen Sperling durch diesen Garten fliegen ließ.

Doch nicht bei einer dieser vielen Fetzen meines Lebens wusste ich noch, um wen es sich bei diesen Menschen handelte, die mir so wichtig gewesen waren, dass ich mir die Erinnerung an sie über meinen Tod hinweg bewahrt hatte.

In fast allen dieser Erinnerungen, bis auf diese ersten mit der Schweinemagd und deren leuchtenden Augen, hatte ich dieses Schwert getragen, es lag neben dieser Weide im Gras, als die flachsblonde Sera sich mir schenkte, ich hielt es in meiner Hand, als ich an diesem Pass weinte, und es lag zwischen mir und der weißblonden Sera mit den violetten Augen, als ich mir das Lager mit ihr teilte.

Normalerweise waren Schwerter nicht so scharf wie diese, und sie sprachen auch nicht zu einem, wenn man sie berührte, ein fernes Flüstern, von dem ich fühlte, dass ich es verstehen sollte, aber nicht verstand. Allerdings barg auch dieses Flüstern Erinnerungen an einen Palast mit Rosenbeeten, einen gleißenden blauen Himmel, einen Brunnen und an ein anderes Kind, dieses mit dunklen Augen und Haar so schwarz wie Ebenholz, das mit hochgerecktem Kinn vor mir stand und von mir zu wissen begehrte, wer ich war, dass ich es wagte, mich unerlaubt in ihrem Garten aufzuhalten. Eine andere Erinnerung kam auf, das Mädchen, nun zu Frau gereift, in schwerer Rüstung, die mir lachend eine silberne Flasche reichte, dieselbe Sera, die in einer anderen nebelhaften Erinnerung in meinen Armen starb, während die letzte Glut in einem mageren Feuer sich in dem Eis widerspiegelte, das ihre Rüstung und die geliebten Augen mit Raureif überzog.

Und von allem war es dieses Schwert, das mir am vertrautesten erschien, ein Teil von mir war, mich bestimmte. Was oder wer auch immer ich gewesen war, dieses Schwert hatte mich dazu gemacht, ein Gedanke, der mich wahlweise dazu verleitete, es in diesen Teich zu werfen oder mich fest an es zu klammern, als wäre es der einzige Halt, der mir geblieben wäre.

Ein Pfad von glatten Steinen führte um diesen kleinen Teich herum, und einer von ihnen war locker und verräterisch, und vorhin, als dieser hagere Leutnant zu mir gekommen war, um mir einen Stapel von eng und säuberlich beschriebenen Berichten in den Schoß zu legen, war es dieser Stein gewesen, der ihn fast zu Fall gebracht hatte. Selbst Bruder Jon, ein alter dürrer Mann, der mich an einen verdorrten Adler erinnerte und der Hohepriester dieses Tempels war, war an diesem Stein schon einmal fast gestrauchelt.

Doch jetzt, als ein schlanker Fuß in einem Seidenschuh darauf Halt suchte und dieser Stein seinen Verrat beging, brachte er die schlanke Sera nicht zum Straucheln, vielmehr setzte sie den Fuß fest auf das Wasser auf und ging zwei Schritte darauf weiter, während unter diesem seidenen Schuhwerk der Karpfen unverständig glotzte.

»Serafine?«, fragte ich zögernd, doch während ich noch sprach, wusste ich bereits, dass es nicht die Sera war, die mich vorhin hier am Teich besucht hatte. Auch wenn die Ähnlichkeit verblüffend war, waren diese Augen um Jahrhunderte älter, und wo Serafine die Uniform eines kaiserlichen Soldaten trug, war diese Sera in den seidenen Gewändern von Bessarein gewandet, die ihrer schlanken Form schmeichelten. Jetzt, als sie ihren Schleier löste und mich mit diesen dunklen Augen musterte und ich ihr Gesicht nun besser sah, waren sowohl die Ähnlichkeiten als auch die Unterschiede leicht erkennbar, die gleiche Nase, das gleiche sture Kinn, die gleichen weiten Lippen … doch obwohl die Falten in ihrem Gesicht seltsam glatt erschienen, hatten sie Spuren eines langen Lebens und schmerzlicher Entbehrungen in ihrem Antlitz hinterlassen.

»Nein«, sagte sie, während sich ihre dunklen Augenbrauen etwas zusammenzogen und sie mich mit einem zugleich prüfenden und auch neugierigen Blick bedachte. »Mein Name ist Elsine.« Das Lächeln, das jetzt um ihre Lippen spielte, erschien mir vertraut, aber auch seltsam zögerlich und ungeübt, als hätte sie vergessen, wie ein Lächeln ging, und müsste sich nun mühsam dessen erinnern. »Wer ist diese Sera, von der Ihr sprecht? Es ist lange her, dass ich unter Menschen war, aber es kam nicht oft vor, dass man mich verwechseln konnte.«

»Eine Freundin, die Euch ähnlich sieht«, gab ich zur Antwort, während ich diese Sera musterte, die mich an meinem Rückzugsort aufgesucht hatte. »Kennen wir uns? Wenn, dann verzeiht mir …« Ich tat eine hilflose Geste. »Ich habe meine Erinnerung verloren.«

»Aber Ihr erinnert Euch an diese Freundin, mit der man mich verwechseln kann?«, fragte sie lächelnd, während sie ihre Robe glättete und ihren Blick erst über mich schweifen ließ, um dann mit einem leichten Stirnrunzeln auf meinem Schwert zu verharren.

»Sie hat mich eben erst besucht. Aber auch bei ihr wusste ich zuerst nicht, wer sie ist, nur dass ich sie liebe.«

Sie lachte. »Tragt Ihr Euer Herz immer so offen vor Euch her, Ser Roderik?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Ich habe es vergessen.« Jetzt war ich es, der sie musterte, und sie ließ mich gewähren. »Auch wenn Ihr nicht Serafine seid«, sagte ich dann langsam, »habe ich das Gefühl, dass ich Euch kennen müsste, nur nicht so, wie Ihr nun seid; wenn ich Euch sehe, erinnere ich mich an den betörenden Geruch von Blumen und an einen alten Tempel …« Ich sah sie fragend an. »Ergibt dies einen Sinn für Euch?«

Sie musterte mich einen Moment länger. »Durchaus. Ihr habt recht, wir sind uns bereits einmal begegnet«, entgegnete sie und seufzte, um auf die Bank neben mir zu deuten. »Ihr erlaubt?«

Ich nickte, sie setzte sich neben mich, schob die Mappe mit Stofisks Berichten zur Seite und schaute auf eine flache Kiste aus Ebenholz herab, die sie bei sich trug, um diese mit einem leisen Seufzer auf Stofisks Berichte zu legen. »Wisst Ihr, was mit Euch geschehen ist?«

Ich hob hilflos die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Nur das, was man mir sagte. Ich wurde Opfer eines Attentats, starb und wurde durch ein Wunder Soltars wieder in die Welt der Lebenden zurückgerufen. Nur meine Erinnerungen kamen nicht mit mir zurück. Einer der Priester hier meinte, dass es vielleicht damit zu tun haben könnte, dass Soltar, wenn er die Seelen der Verstorbenen in ein neues Leben führt, die Erinnerungen nimmt, um das neue Leben nicht mit dem alten zu belasten.«

Sie nickte. »Das würde Sinn ergeben, wenn Ihr gestorben wäret. Nur seid Ihr nicht gestorben.«

»Bin ich nicht?«, fragte ich überrascht. Schließlich war dies das eine, in dem sich jeder einig schien, dass ich tot gewesen war und es ein Wunder Soltars wäre, dass ich wieder lebte. Unwillkürlich griff ich an meine Brust, wo ich unter der dünnen Robe ohne Schwierigkeiten die Narbe über meinem Herzen fühlen konnte. Eine Klinge war dort eingedrungen, es schien mir schwer vorstellbar, dass man einen Stich ins Herz überleben konnte.

Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre Lippen. »Ihr wurdet vergiftet. Dieses Gift lähmte Euch und verlangsamte Euren Herzschlag so sehr, dass es kaum noch schlug. Danach hat man Euch die Kehle durchgeschnitten und erstochen und in den Hafen geworfen, dort wo der Ask in den Hafen einfließt.« Sie seufzte und sah nach oben, wo sich ein strahlendblauer Himmel über uns spannte. »Der Sommer mag sich so langsam auch hier in Askir blicken lassen, aber in den Bergen liegt noch Schnee, und das Wasser des Ask ist noch kalt und ließ Euch fast erfrieren, was Euren Herzschlag noch mehr verlangsamt hätte, hätte es denn noch geschlagen. Doch das tat es nicht, was auch der Grund war, weshalb Ihr nicht verblutet seid.« Sie musterte mich durchdringend. »Mama Maerbellinae fand Euch kaum einen Docht, nachdem Ihr ins Wasser geworfen wurdet. Ihre Talente auf dem Gebiet der Heilung sind … außergewöhnlich. Es ist ein Wunder, dass Ihr noch lebt, doch es war nicht Soltar, der dieses Wunder wirkte, sie war es, die Euch in eine Starre versetzte, die es Eurem Körper erlaubte, auch diese tödlichen Wunden zu heilen. Dort liegt das Wunder für Euch, dass Maerbellinae Euch zeitig genug fand und Ihr selbst so schnell heilt. Letzteres mag ein Geschenk Eures Gottes sein, doch dass Ihr noch lebt, verdankt Ihr dem Gift, das Euch lähmte, und der Heilkunst meiner Schwester.« Ihr Lächeln kehrte kurz zurück. »Es bleibt ein Wunder, Ser Roderik. Nach allem Dafürhalten müsstet Ihr in Soltars Reich wandeln, aber dieses Wunder gestaltet sich nicht ganz so, wie man es Euch glauben machen wollte.«

Ich wusste nicht, wieso, aber ich glaubte ihr. Dennoch ließ es mich seltsam unberührt, dies zu erfahren. Seitdem ich erwacht war, gab es wenig genug, das mich noch berührte, die Welt jenseits der Mauern dieses Gartens war mir nicht mehr wichtig. Ich mochte diesen Garten, den Teich und den Karpfen darin … und mehr wollte ich nicht von dieser Welt. Dieser Leutnant Stofisk hatte mir einen Stapel von Berichten gebracht, er hatte gesagt, sie wären wichtig, doch bislang hatte ich mich noch nicht aufraffen können, auch nur das Deckblatt anzuheben.

Ich wusste nicht mehr viel von meinem Leben vor dem Attentat, bis darauf, dass die Ruhe, die ich jetzt fühlte, zuvor etwas Unbekanntes für mich gewesen war. Draußen, vor diesen Tempelmauern, bewegte sich die Welt, aber mir war es mehr als recht, daran nicht mehr teilzunehmen.

»Warum erzählt Ihr mir das alles?«, fragte ich sie. »Wer seid Ihr?«

»Mein Name ist Elsine«, teilte sie mir mit, während ihre Augen mein Gesicht absuchten. »Sagt er Euch etwas?«

Ich lauschte in mich hinein und schüttelte den Kopf. »Sollte er?«

»Ihr habt mich aus der Gefangenschaft des Nekromantenkaisers gerettet. Ihr und Euer überraschend großer Freund.«

Ich sah sie fragend an.

»Er heißt Ragnar«, teilte sie mir mit einem Lächeln mit. »Er ist ein Prinz der Varlande.«

Etwas regte sich in mir, eine ferne Erinnerung an eine sternenklare Nacht, ein Gasthaus, eine Menge Bier und ein Heimweg durch einen dunklen Wald, dessen Bewohner wir durch lauten und falschen Gesang verschreckten, obwohl es wohl so gewesen war, dass wir zum Teil auch auf allen vieren gingen.

»Mag er Bier?«

Sie lachte. »Nach allem, was ich von ihm hörte, kann man das behaupten.« Sie musterte mich eindringlich. »Also habt Ihr Euch nicht vollständig verloren.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was ich verloren habe. Manchmal fühlt es sich an, als wäre noch alles da, nur weit entfernt und durch einen Nebel verborgen. Mir ist es recht so, denn ich glaube, dass ich vieles gar nicht wieder wissen will.«

»Doch Ihr wisst, wer Kolaron Malorbian ist?«

»Ja. Ein Seelenreiter, der nach dem Mantel eines toten Gottes trachtet.« Ich wies mit einer Geste zum Tempel hin. »Man hat mir erzählt, dass es der Wille der Götter ist, dass ich mit ihm kämpfen soll, um auf meinem eigenen Schwert zu enden und den Menschen Hoffnung zu bringen.«

Sie lachte leise. »Ihr hört Euch begeistert an.«

»Ich glaube nicht daran«, teilte ich ihr mit. »Aber es war auch nicht das, was ich hatte hören wollen, nachdem ich eben gerade von den Toten auferstanden war.«

»Könnt Ihr Euch daran erinnern, was geschah, nachdem man Euch betäubte?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich will es gar nicht wissen.«

»Ja«, sagte sie so leise, dass ich sie fast nicht verstand. »Das kann ich verstehen. Ich würde es auch vorziehen, manches nicht zu erinnern. Aber Ihr müsst.« Sie ließ ihre Fingerspitzen über das polierte Ebenholzkästchen gleiten. »Der Mann, der Euch das antat, hielt sich für einen Priester Omagors. Er erstach Euch mit einem Dolch, der dem toten Gott geweiht war, und er wollte Euch damit mehr als nur das Leben nehmen. Er wollte Euch auch Eure Seele stehlen.«

»Dann bin ich dankbar, dass es ihm nicht gelungen ist.«

Sie sah mich traurig an. »Wie kommt Ihr darauf, dass es ihm nicht gelang?«

»Havald?« Ragnars fragende Stimme riss mich aus meinen Erinnerungen.

»Ja«, sagte ich. »Ich vertraue Elsine. Sie gab mir meine Seele wieder.«

Ragnar musterte mich nachdenklich. »Will ich wissen, wie du das meinst?«

Unwillkürlich griff ich an meine Brust, wo noch immer die Narbe schmerzte, die bis zum heutigen Tag nicht gänzlich heilen wollte.

»Nein«, antwortete ich mit belegter Stimme, während ich versuchte die Erinnerung daran zu verdrängen, wie Elsine mir diesen schwarzen Dolch ins Herz gestoßen hatte, um das Ritual umzukehren. »Das willst du nicht wissen.«

Ragnar nickte und stand auf. »Wir sollten zu den anderen zurückkehren«, meinte er und griff nach seiner Axt. »Vielleicht haben Zokora und Varosch ja schon etwas zu berichten. Ich … Havald!«

Zugleich mit seiner Warnung hörte ich die Pferde wiehern.

Sie waren zu fünft, dunkle Elfen, vier Krieger, die mit Schwertern und kurzen Bögen bewaffnet waren, und eine Frau in einem langen Ledergewand, die einen Stab aus dunklem Ebenholz in der Hand hielt. Eben noch waren dort nur die Pferde gewesen, jetzt sah ich einen Lidschlag lang den schimmernden Rand eines magischen Tors. Doch schon im nächsten Moment flogen vier Pfeile auf uns zu, und noch bevor die erste Salve bei uns einschlug, waren die nächsten Pfeile bereits in der Luft.

Seelenreißer sprang in meine Hand und fuhr zur Seite weg und hoch, um einen Pfeil zur Seite zu schlagen, der Ragnar in den Hals getroffen hätte, ein anderer traf mich in die linke Schulter, der dritte Pfeil traf Ragnar in seinen linken Oberschenkel, der vierte traf mich am Bein.

Zeitgleich hob die dunkle Maestra ihre Hand, und ein eisiger Windstoß warf Ragnar und mich so hart zurück, dass mir Seelenreißer aus der Hand flog, und ließ uns wie Puppen über den kargen Steppenboden rollen, vielleicht zu unserem Glück, denn dort, wo wir eben noch gesessen hatten, schlugen schon die nächsten Pfeile ein.

Wieder wirbelte uns dieser eisige Windstoß davon, ließ Himmel und Erde die Plätze tauschen, hob mich mit kalten Fingern in die Luft, um mich hart niederzuwerfen.

Ich hörte Zeus wiehern und sah, wie er sich von dem Seil losriss, das zwischen die beiden Bäume gespannt war, wie er stieg und seine metallbeschlagenen Hufe wirbeln ließ. Das Geräusch von dumpfen Aufschlägen und berstenden Knochen folgte. Ein Pfeil schoss knapp an mir vorbei, der zweite traf Ragnar unter der linken Schulter, der dritte verfehlte mich so knapp, dass er eine feurige Spur an meinem Hals entlangzog.

Ein dunkler Schatten huschte dorthin, wo Ragnar und ich gesessen hatten, und verschwand. Mein Hengst schnaubte empört und kam zu mir getrabt, während aus dem Lager hinter uns Rufe ertönten.

Mühsam richtete ich mich auf und suchte Ragnar, er lag wie eine zerschmetterte Puppe drei Schritt weit entfernt, die längsten drei Schritt meines Lebens. Ich kroch zu ihm hin, und als er mich sah, hielt er mir seine blutige Hand entgegen. Er versuchte zu lächeln und etwas zu sagen, doch ein Schwall schaumigen Blutes nahm ihm seine Worte, dafür griff er meine Hand so fest, dass er mir die Hälfte meiner Finger brach, bevor er sich röchelnd aufbäumte und still lag, mit der anderen Hand hielt er noch immer den Griff seiner göttergeschmiedeten Axt festumschlungen.

»Havald!«, hörte ich wie aus weiter Ferne Serafines Stimme, gefolgt von einem gutturalen Knurren, das sich in das Heulen eines Wolfs verwandelte, als Sivret, der Anführer von Ragnars Wolfskriegern, sich über den Körper ihres Prinzen warf. Als Letztes sah ich Serafines Gesicht, wie sie sich mit tränenüberfluteten Augen über mich beugte und meinen Kopf in ihren Schoß bettete, dann fühlte ich nur noch ihre Tränen, bevor mich die Dunkelheit umschlang.

Zu viel an Ehrlichkeit

2 Als ich wieder zu mir kam, sah ich als Erstes Serafine, die sich besorgt über mich beugte und mir ein bitter schmeckendes Getränk einflößte, bitter genug, um mich aus meiner Ohnmacht herauszuholen. Offenbar hatte man mich ins Zelt zurückgebracht, und es musste einiges an Zeit vergangen sein, Oberschenkel, Brust und Seite waren straff mit Streifen aus gekochtem Leinen verbunden, und die Kerze in der Laterne über mir war fast vollständig herabgebrannt.

Das Gebräu, das Serafine mir einflößen wollte, schmeckte so bitter, dass ich ihre Hand unwillkürlich zur Seite schieben wollte, eine Bewegung, die ich noch im gleichen Moment bereute.

»Den Göttern sei Dank«, sagte Serafine mit feuchten Augen und schenkte mir ein mühsames Lächeln, was sie jedoch nicht daran hinderte, mir den Becher wieder an die Lippen zu halten. »Trink!«, befahl sie mir. »Zokora sagt, es wäre gut für dich und würde die Schmerzen lindern.«

Ich trank zwei Schluck, mehr bekam ich beim besten Willen nicht herunter, bevor es mich zu würgen drohte, und wollte sie schon fragen, was denn geschehen war, als es mir wieder einfiel.

»Ragnar!« Ich versuchte mich aufzusetzen, doch Serafine drückte mich mit der flachen Hand wieder in mein Lager zurück. »Was ist mit Ragnar?«

»Er lebt«, sagte Serafine hastig. »Zokora kümmert sich um ihn, er wurde schwer verwundet und für gut eine Kerzenlänge wusste selbst Zokora nicht, ob er es überstehen würde, doch jetzt ist sie zuversichtlich. Wie du auch braucht er Ruhe und muss sich erst noch erholen. Sivret ist bei ihm und wird sich um ihn kümmern, so gut er es zu tun vermag.«

»Ragnar wird es überstehen?«, vergewisserte ich mich noch einmal.

Serafine nickte beruhigend. »Zokora denkt, dass er sich erholen wird. Es wird dauern, Havald«, fügte sie ernst hinzu. »Aber er wird es überleben.«

»Gut.« Ich sah mich suchend um, während ich versuchte, den Schmerz zu ignorieren, der sich wie glühende Eisen in meine Schulter und meine Seite bohrte. »Wo ist mein Schwert?«

Serafine zog einen Schemel heran und setzte sich neben mein Bett, um sich dann zu räuspern. »Das ist das Problem. Seelenreißer wurde dir gestohlen.«

»Es waren dunkle Elfen«, erklärte Zokora etwas später, während sie sich an meinem Waschstand Ragnars Blut abwusch, vielleicht auch das meine. Ihre ganze Rüstung war über und über damit befleckt. »Doch ich glaube nicht, dass sie zu Arkin gehören.«

»Dein Pferd ist großartig«, meinte Varosch begeistert, während er ihr aus der blutigen Rüstung half. »Zeus hat sich deutlich besser geschlagen als ihr beide, er hat einen der Attentäter und die Maestra erwischt. Viel hat er allerdings nicht von ihnen übrig gelassen.«

»Es waren keine Priester des dunklen Gottes?«, fragte Serafine, als sie mir half, mich aufrecht hinzusetzen. Dank Zokoras bitterem Gebräu war der Schmerz nur noch ein dumpfes Pochen, allerdings fiel es mir schwer, meine Gedanken zusammenzuhalten.

»Nein«, antwortete Zokora, die nun nur noch mit Hemd und Stiefeln bekleidet war. Wieder einmal stellte ich fest, dass sie eine schöne Frau war. Wenn man ignorieren konnte, dass sie sechs Messerscheiden an Stellen platziert hatte, an die ich nicht gedacht hätte. Serafine bemerkte meinen Blick und sah mich strafend an, hastig wandte ich die Augen ab. Zokora fuhr sich noch einmal mit einem Tuch über Gesicht und Arme und nickte dankend, als Varosch ihr frische Kleider reichte. »Das ist das Seltsame daran.«

»Ich denke doch, dass Arkin dahintersteckt«, sagte die alte Enke, als sie die Zeltbahn zurückschob, die unsere Schlafkammer von dem Hauptraum trennte. »Es ist zu blauäugig von uns, darauf zu hoffen, dass Arkin nichts unternehmen wird.« Wie gewohnt, saß der Rabe Konrad auf ihrer Schulter und breitete kurz die Flügel aus, um sich im Gleichgewicht zu halten, als sie sich unter der Zeltbahn hindurchduckte. Er musterte mich mit schwarzen Augen, wippte einmal auf und ab und sagte: »Raarha«, fast als wäre er auch froh, dass ich noch lebte.

Den Legenden nach war die alte Enke eine schrecklich hässliche Hexe, in Wahrheit ähnelte sie mehr einer etwas molligen Bürgersfrau aus Lassahndaar als dieser grässlichen Gestalt, mit deren Schilderung man in meiner Heimat kleine Kinder erschreckte. Selbst ich hatte als kleines Kind mehr als einmal unter meiner Bettstatt nachgesehen, ob sie sich dort auch nicht verborgen hielt, um mich in der Nacht zu holen. Konrad hingegen entsprach ganz und gar der Legende, ein Furcht einflößender, riesiger, schwarzer Rabe mit zerrupftem Gefieder, dessen Blick bösartiger nicht sein konnte. Nur dass er jetzt nicht halb so bösartig dreinschaute wie sonst.

»Es wäre ein kluger Schachzug von ihm«, fuhr Enke fort, als sie sich auf einen Stuhl setzte, den Varosch eben erst für Zokora hereingetragen hatte. Was Varosch dazu veranlasste, sogleich den nächsten Stuhl zu holen. »Mit einem Streich hätte er unsere ganzen Pläne zunichtegemacht.«

»Ich glaube dennoch nicht, dass Arkin es war«, wiederholte Zokora und knöpfte ihr schwarzes Lederhemd zu, um sich dann ihre Messerscheiden an die Unterarme zu schnallen.

»Ich bin mit Zokora einer Meinung«, meinte Serafine. »Wir wissen, dass Arkin vorhatte, Havald beim letzten Kampf gegen den Verschlinger antreten zu lassen. Es wäre die elegantere Lösung für ihn gewesen.«

»Es sei denn, er befürchtet, Havald könnte gegen den Verschlinger bestehen«, erwog Varosch, doch Zokora schüttelte den Kopf. Sie setzte sich auf den Stuhl, den Varosch ihr gebracht hatte, und schnallte sich ihre Beinscheiden um. Somit zählte ich jetzt vierzehn Dolche, und das waren nur die, die ich sehen konnte. Es war ungewohnt, Zokora ohne ihre Rüstung zu sehen; nur in einem Lederhemd, Hose und Stiefel gekleidet kam sie mir umgänglicher vor.

»Wir haben Arkin belauscht, als er die Nachricht von dem Angriff hier erhielt«, erklärte sie. »Er schien überrascht und reagierte verärgert, als er erfuhr, dass Havalds Schwert gestohlen wurde. Mir schien …«

Ich lächelte Zokora an. »Du bist niedlich.«

Stille. Varosch und Serafine sahen mich ungläubig an, während Zokora in ihrer Bewegung erstarrte und sich dann ganz langsam mir zuwandte.

»Ach ja?«, fragte sie, während Serafine den Atem anhielt. »Wie kommst du darauf?«

»Weil du es bist.«

»Das ist eine beeindruckende Logik«, stellte Zokora lächelnd fest.

Serafine atmete langsam aus. »Du nimmst es ihm nicht übel?«, fragte sie vorsichtig.

Zokora zuckte mit den Schultern. »Der Trank nimmt ihm die Schmerzen, doch eine Nebenwirkung ist es, dass er die Dinge so sagt, wie er sie sieht. Dass er es so sieht, ist wahrscheinlich auch dem Trank geschuldet.«

Serafine schüttelte immer noch voller Unglauben den Kopf. »Es stört dich nicht? Ich dachte immer, dass du Wert darauf legst, Furcht einflößend zu sein!«

Es hieß immer, dass man Elfen nicht überraschen könnte, doch jetzt kam es mir vor, als wäre Zokora genau das: überrascht. »Warum sollte ich?«, fragte sie ernsthaft.

»Kürzlich erst hast du einem von Ragnars Wolfskriegern die Hand gebrochen, weil er dir zu nahe kam!«, erklärte Serafine noch immer voller Unglauben, während es sich die alte Enke in ihrem Stuhl gemütlich machte und mit einem Lächeln ihr Strickzeug aus ihrer Tasche holte.

»Ich musste Grenzen wahren«, ließ Zokora sie wissen. »In einer Sprache, die er verstand. Ich würde nicht wollen, dass du mich fürchtest, Helis.«

»Ich fürchte dich nicht«, sagte Serafine verlegen. »Ich meinte nur …«

»Wir sind Freunde«, sagte Zokora, lächelte und zeigte Zähne. »Freunde sollten voreinander keine Furcht verspüren. Oder täusche ich mich darin? Freundschaften sind neu für mich, sag mir, wenn ich mich irre.«

Serafine musterte sie misstrauisch. »Foppst du mich gerade?«

»Du weißt doch, ich verstehe keinen Spaß«, sagte Zokora ungerührt. »Wie soll ich dich da foppen können?«

Serafine blinzelte, und Varosch lachte laut.

»Ahem«, räusperte sich die alte Enke. »Wir sprachen eben von dem Angriff.«

»Richtig«, nickte Zokora und griff nach ihrer blutigen Rüstung, um etwas aus einer Tasche herauszuziehen, das sie dann hochhob, damit wir es besser sehen konnten. Es waren zwei längliche Anhänger aus Obsidian, die eine elfische Rune trugen. »Wir haben dieses Hauszeichen schon einmal gesehen. Weißt du noch, wo?«

Ich brauchte einen Moment, um mich daran zu erinnern. »Die Elfe, die wir in den Eishöhlen unterhalb der Donnerberge gefunden haben?«

Zokora nickte.

»Jarana okt Talisan. Sie gehörte dem gleichen Haus an.«

Serafine sah fragend auf. »Ich erinnere mich nur nebelhaft daran.«

»Was kein Wunder ist, du warst damals noch in Eiswehr gefangen und hast nur durch Sieglindes Augen sehen können«, erklärte Zokora. Sie wog nachdenklich die Anhänger in ihrer Hand, bevor sie sie wieder sorgsam in einem Beutel verstaute. »Das Haus ist mir unbekannt.«

»Jaranas Vater Talisan führte die Nachtfalken an«, sagte Serafine grübelnd. »Doch einige von ihnen haben Askir verraten, weshalb die Nachtfalken auch unter Interdikt gestellt wurden und ihr Clan aus dem Buch der kaiserlichen Streitkräfte gestrichen wurde.«

»Ja«, nickte Zokora. »Doch Jarana starb Jahre später im Kampf gegen die Barbaren in den Südlanden. Sie diente Askir. Es mag sein, dass ihr Haus nicht zu denen gehört, die den toten Gott verehren.«

Varosch hielt eine lederne Augenbinde hoch, in die feine Löcher eingestochen waren. »Das fand ich bei den beiden Toten. Bevor sich Zokoras Augen an das Licht der Oberwelt gewöhnt hatten, trug sie auch ein solches Band.«

»Was bedeutet, dass deine Angreifer entweder noch in ihren Höhlen leben oder erst vor Kurzem an die Oberfläche gekommen sind«, nickte die alte Enke. »Es erklärt auch, warum Zeus sie so überraschen konnte. Sie kannten keine Kriegspferde.«

»Was nicht daran liegt, dass sie in Höhlen leben«, widersprach Zokora. »Ich wusste von den Kriegspferden der Ritter von Illian, meine Schwestern warnten mich vor ihnen, bevor ich das erste Mal an der Oberfläche auf Sklavenjagd ging. Es sagt also nur aus, dass sie weder Illian noch Aldane kennen.«

»Aldane?«, fragte die alte Enke.

Ich nickte. »Auch dort werden Kriegspferde noch auf diese Art ausgebildet. Für die königliche Garde. In Aldane lieben sie die schwere Reiterei. Zokora hat recht, bislang sah ich nur in Illian und Aldane solche Pferde. Selbst die Kor wissen nicht, was Zeus zu tun vermag.«

»Nun, Hergrimms Blutreiter sind nichts als eine Meute blutrünstiger Hunde«, meinte Serafine voller Abscheu. »Ihnen fehlt es an Geduld, ihre Pferde so auszubilden.«

»Es fehlt ihnen auch das Gold dazu«, meinte ich, während ich meine Schulter vorsichtig bewegte. »Ein Pferd wie Zeus ist nicht billig, für die gleiche Summe Goldes kann man zehn andere Pferde bekommen.«

So weit war alles zu ertragen. Bis auf meine linke Hand. Ich hob sie an, um sie zu begutachten, und fand sie dick bandagiert vor.

»Was auch immer du für ihn bezahlt hast«, sagte Serafine inbrünstig. »Er war jedes Kupferstück wert.«

»Zeus stammt aus eigener Zucht«, erklärte ich voller Stolz, während ich vorsichtig meine Schulter bewegte. Das Pochen schien mir nicht mehr so schlimm wie zuvor. »Ich habe ihn selbst ausgebildet.«

Varosch pfiff leise durch die Zähne. »Du überraschst mich immer wieder, Havald.«

»Zurück zu diesen dunklen Elfen«, sagte Enke. »Zokora, du glaubst, dass sie weder in Arkins Diensten stehen noch den Gott der Dunkelheit anbeten?«

Zokora schüttelte den Kopf. »Ich vermute es. Aber es mag sein, dass ich mich täusche. Sie haben Ragnar und Havald angegriffen und Seelenreißer gestohlen, wir müssen also davon ausgehen, dass sie uns feindlich gesinnt sind.« Sie schaute zu mir herüber. »Erzähle mir genau, was geschehen ist, Havald.«

Folgsam berichtete ich ihr von dem Angriff, auch wenn es mir schwerfiel, meine Gedanken zusammenzuhalten.

»Also hat die Maestra ihnen ein Tor hierher geöffnet«, fasste Serafine zusammen. »Aber dank Zeus kam sie nicht mehr dazu, ihnen den Weg zurück zu öffnen. Die drei, die überlebt haben, müssen zu Fuß dorthin zurück, woher sie auch immer gekommen sind.«

Enke nickte und griff hoch zu ihrem Raben, um ihm sanft über das Gefieder zu streichen. »Geh sie suchen, Konrad.«

»Kraha«, rief Konrad und hüpfte von ihrer Schulter, um zum Zelteingang zu flattern, wo er landete, mit dem Schnabel das Leinen zur Seite schob und sich durch den Spalt zwängte.

»Sie werden sich verbergen«, mahnte Zokora. »Wir lernen die Kunst der Schatten schon sehr früh.«

»Ich weiß, Kind«, meinte die alte Enke gelassen und klapperte mit ihren Stricknadeln, während sich Zokoras Augen zusammenzogen. »Doch es ist bald Tag, und es wäre nicht das erste Mal, dass Konrad dunkle Elfen zur Strecke bringt.« Der Blick, den sie Zokora zuwarf, machte deutlich, dass sie Zokoras Stamm meinte. »Manchmal waren sie vorwitzig genug, um mich zu verärgern.«

»Das ist vorbei«, erinnerte Zokora sie. »Wir haben Frieden geschlossen.«

»Wenn du es sagst, Kindchen«, nickte die alte Enke. »Dann wird es wohl so sein.«

»So ist es«, sagte Zokora kühl. »Es sei denn, du nennst mich wieder Kind.«

Ihr Blick war alles andere als freundlich, dennoch musste ich kichern.

»Havald?«, fragte Serafine.

»Nichts«, grinste ich, während ich gegen einen Lachreiz kämpfte. »Sie hat Zokora eben Kindchen genannt.«

»Ja.« Zokora wandte den Blick nicht von der alten Enke ab. »Wir haben es alle gehört, du brauchst es nicht zu wiederholen. Ich mag es nicht.«

»Dann sollte ich es wohl sein lassen«, meinte Enke ungerührt und sah Zokora direkt in die Augen. »Ich weiß, dass du deinen Stamm an die Oberfläche führen willst. Doch obwohl Menschen sterblich sind, leben ihre Erinnerungen weiter. In den Südlanden gibt es keine Heimat für deine Schwestern, Zokora, es klebt zu viel Blut an euren Händen.«

Zokora nickte langsam. »Das ist mir bekannt. Wenn wir Frieden wollen, müssen wir unsere Heimat verlassen. Obwohl das Land, das ihr beansprucht, einst das unsere war.«

»Nun«, sagte die alte Enke gelassen. »Es gehörte einst euch, dann uns und jetzt …« Sie zuckte mit den Schultern, als sie zu mir hinübersah. »… beansprucht es Illian Letasan für sich, und Thalak will es erobern. Es scheint der Lauf der Welt zu sein, dass nichts von Bestand ist.« Sie richtete sich etwas gerade auf und sah zum Eingang hin. »Mutter und Elsine sind zurückgekehrt. Sie scheinen mir nicht sonderlich erfreut.«

Aus irgendwelchen Gründen reizten ihre letzten Worte mich zum Lachen.

»So erheiternd ist das nicht«, meinte Serafine. Sie musterte mich besorgt und legte ihre Hand auf meine Stirn. »Geht es dir gut?«

Ich versuchte den Lachreiz zu unterdrücken, doch es gelang mir nicht. »Ich weiß«, lachte ich. »Ich weiß, dass es nicht lustig ist, aber …« Zu mehr kam ich nicht, das Lachen barst aus mir heraus, als ob ein Damm gebrochen wäre.

»Sorge dich nicht, Helis«, sagte Zokora ruhig. »Es ist gleich vorbei.«

»Wie … wie meinst du das?«, fragte ich sie lachend.

»Es ist der Trank. Erst nimmt er dir den Schmerz, dann reizt er dich zum Lachen. Kurz danach …«

Was sie noch sagte, hörte ich nicht mehr, ich hörte nur noch mein Gelächter, bevor mich die Dunkelheit umfing.

»Es ist eine Katastrophe«, riss mich Elsines Stimme aus meinem Schlaf. Es dauerte eine Weile, bis ich wusste, wer sie war und wo ich mich befand, und es fiel mir schwer, meine Augen zu öffnen oder auch nur einen Finger zu bewegen. Ich spürte eine kühle Hand auf meiner Stirn. »Zokora hat eben nach seinen Wunden gesehen, doch obwohl sie überraschend schnell zu heilen scheinen, hat er hohes Fieber.«

»Was kein Wunder ist«, hörte ich Aleahaennes Stimme. »Es waren dunkle Elfen, sie bestreichen ihre Pfeile immer mit Gift.«

»Dann wollen wir hoffen, dass das Gegengift, das sie Ragnar und ihm gegeben hat, bald seine Wirkung zeigt«, meinte Elsine und nahm ihre Hand von meiner Stirn.

»In solchen Dingen bin ich geneigt, Zokora zu vertrauen«, hörte ich die Hüterin sagen. »So oder so bleibt uns keine Wahl. Er wird heute nicht kämpfen können. Es ist vielleicht besser so. Wie ich von La’mir hörte, gibt es zwei Schamanen unter den Kämpfern. Ihre Zauber ähneln den Beschwörungen, die ich gelernt habe, ich weiß, wie ich mich ihrer erwehren kann. Havald ist kein Maestro, er hätte es schwer gehabt.«

Ich versuchte, irgendetwas zu sagen, die Augen zu öffnen oder auch nur laut zu röcheln, aber es geschah nichts, ich blieb in mir gefangen.

»Vielleicht sollte ich selbst den Wettkampf bestreiten«, überlegte Elsine. »Wenn ich den Drachen rufe, kann keiner dieser Kämpfer gegen mich bestehen, und ich bin weitestgehend unempfindlich gegen jede Art von Zauber. Wenn wir recht behalten, wird der Sieger zum Schluss dem Verschlinger gegenüberstehen. Bislang war nur ich imstande, ihm zu schaden.«

»Das mag sein«, sagte Aleahaenne. »Doch Arkin teilte uns mit, dass Kolaron während des letzten Kampfes anwesend sein wird.«

»Er wird nicht selbst erscheinen, es ist wahrscheinlicher, dass er einen seiner Priester als Puppe führen wird«, warf Elsine ein.

»Es ändert nichts daran, es ist zu gefährlich für Euch. Der Verschlinger wird kein leichter Gegner sein, und wenn Kolaron die Möglichkeit sieht, Euch wieder in seine Hände zu bringen, was wollt Ihr dann tun? Ihr könnt nicht gegen beide zugleich bestehen.«

»Er wird es nicht wagen. Nicht vor aller Augen.«

»Was wohl darauf ankommt, wie wichtig Ihr ihm seid, Elsine. Also, sagt mir, wie wichtig seid Ihr ihm?«

»Er ist besessen von mir. Es gibt nur eine, die er noch mehr hasst als mich.«

»Asela. Ich weiß. Deshalb solltet ihr beide euch von ihm fernhalten.«

»Zusammen sind Asela und ich stark genug, um ihm zu trotzen.«

»Ja«, sagte Aleahaenne kühl. »Ich erinnere mich noch gut daran, wie Balthasar die Erde aufbrach, um eine halbe Armee zu vernichten, und Kolaron wird wohl noch weniger Rücksicht auf andere nehmen. Ich hörte auch, dass Askannon einst einen Stern vom Himmel holte und auf eine Armee fallen ließ, wenn Kolaron es ihm nachtut …«

»Ich bezweifle, dass er dazu fähig ist«, unterbrach Elsine.

»Vielleicht ist er es. Vielleicht auch nicht. Wenn er dies oder etwas Ähnliches tut, was meint Ihr, wie viele von denen, die hier lagern, würden dies überleben?«

»Ich gebe es nur ungern zu«, seufzte Elsine. »Doch ich muss Euch recht geben.« Ich hörte einen Stuhl knarren. »Wir sollten ihn schlafen lassen. Auch wenn er heute nicht kämpfen wird, muss er sich gleichwohl erholen.« Irgendwie spürte ich ihren Blick auf mir. »Wir brauchen ihn noch. Ihn und sein Schwert.«

Ich hätte sie gerne noch gefragt, wie sie das meinte, doch dann entfernten sich ihre Schritte von mir. Entfernt hörte ich Geräusche und Stimmen, das Lager wachte auf, es war wohl schon Morgen … und noch während ich dies dachte, schlief ich wieder ein.

Der Stab der Maestra

3 Diesmal hatte ich keine Probleme damit aufzuwachen, was auch daran liegen konnte, dass Zokora gerade den Verband an meinem Bein mit einem Ruck abgezogen hatte.

»Götter!«, beschwerte ich mich, während ich mich halb aufrichtete und mühsam nach Luft rang. Schulter und Seite machten mich darauf aufmerksam, dass die Wirkung von Zokoras Trank deutlich nachgelassen hatte. »Du hättest mich warnen können!« Da sie meine Decke zur Seite geschoben hatte und ich reichlich blank dalag, wollte ich die Decke wieder über mich ziehen und fluchte erneut, als gleich drei Dutzend Feuer in meiner linken Hand loderten.

»Ich habe dir gesagt, dass ich deine Wunde säubern will«, teilte mir Zokora unbeeindruckt mit und ließ mich umgehend noch einmal beinahe von meiner Bettstatt springen, als sie die Wunde zusammenpresste. »Und dass du deine linke Hand nicht benutzen sollst, Ragnar hat dir die Knochen dreier Finger zertrümmert.«

»Daran …«, presste ich heraus, »kann ich mich nicht erinnern!« Jetzt wusste ich wenigstens, warum sich meine Hand so schrecklich anfühlte.

»Du hast geschlafen«, teilte mir Zokora mit. »Das mag es erklären.«

Irgendwie hatte ich das Gefühl, diese Schlacht zu verlieren, abgesehen davon, dass der Schmerz mir gerade den Atem nahm. Schwer atmend sah ich zu, wie sie fester drückte und zuerst wässriges, dann dunkleres Blut aus der Wunde quoll. Zokora nickte zufrieden und hörte auf zu drücken, während ich erleichtert und schwer atmend in mich zusammensackte.

»Wie …«, keuchte ich. »Wie sieht es aus?«

Zokora beugte sich über die Wunde und roch daran, um dann zufrieden zu nicken. »Gut«, stellte sie fest. »Das Gift hat seine Wirkung verloren, und du heilst schneller, als ich es erwartet hätte.«

»Schnell genug, um heute noch zu kämpfen?«

»Hhm«, meinte sie und schaute mich nachdenklich an. »Der erste Wettstreit findet in zwei Kerzenlängen statt. Die Hüterin hat sich bereit erklärt, in den Ring zu treten, und sie zeigt sich zuversichtlich. Warum willst du es nicht ihr überlassen?«

»Weil Elsine mich darum bat.«

»Nun, wenn das so ist …« Sie stand auf, um von meinem Bett zurückzutreten. »… dann stehe auf.«

Ich musterte sie misstrauisch und setzte mich aufrecht hin, um meine Beine über die Bettkante zu schwingen.

»Komm«, sagte sie. »Steh auf. Es ist kein Schwertstreich, nur ein kleines Loch, und der Muskel ist kaum beschädigt.«

Ich versuchte es, mein Bein weigerte sich jedoch, das Gewicht zu halten, jemand stieß mir ein rotglühendes Eisen in die Wunde, aus der nun frisches Blut herausschoss, und ich fiel hilflos auf mein Bett zurück.

»Damit hast du deine Antwort«, sagte sie nüchtern und griff nach einem Verband. »Es ist, wie ich vermutet habe, der Pfeil hat die Schlagader gestreift, belastest du dein Bein zu sehr, kann sie reißen und du würdest verbluten. Die gute Nachricht ist, dass die Naht gehalten hat.« Sie schmierte einen ekelhaft riechenden Brei auf die Wunde und wickelte den Verband fest um die Wunde.

»Während wir warten, ob die Wunde durch den Verband blutet, kannst du mir erklären, warum du überhaupt kämpfen willst. Es ist Elsines Kampf, und was hier geschieht, hat wenig Nutzen für Askir.«

Der Verband hielt, doch der Schmerz ließ nur langsam nach und trieb mir den Schweiß auf die Stirn. »Der Wettkampf war ein Vorwand, um Arkins Lager nahe zu kommen«, teilte ich ihr keuchend mit.

»Richtig«, nickte sie. »Wir wollten versuchen, Arkins Lager auszuspähen und den steinernen Schädel zu finden, der den Fluch enthält, mit dem der Verschlinger gebunden ist. Dann galt es noch herauszufinden, wonach Arkin in der Festung der Titanen graben lässt. Erkläre mir jetzt noch, wie du das tun willst, wenn du vor aller Augen mit irgendwelchen Barbaren kämpfst.« Sie bedachte mich mit einem harten Blick. »Ohne Seelenreißer bist du kein besonders guter Kämpfer.«

»Ich bin seit unserem letzten Kräftemessen besser geworden«, teilte ich ihr erhaben mit.

»Das mag sein«, nickte sie und tippte mir so hart auf mein Brustbein, dass ich das Gefühl hatte, sie hätte mir damit sämtliche Luft zum Atmen genommen. »Nur bist du zurzeit so schwach, dass es nicht mehr als einen Finger braucht, um dich zu besiegen.« Sie erbrachte den Beweis und drückte fester gegen meine Brust, sodass ich hilflos rücklings in mein Bett fiel. »Selbst mit deinem Schwert erginge es dir nicht anders«, fügte sie ernsthaft hinzu. »Wir wissen aus Erfahrung, dass es unwillig ist, wehrlose Opfertiere anzunehmen, die keine echten Gegner sind. Und wen von uns würdest du opfern wollen, um wieder zu genesen?«

Mein Blick teilte ihr mit, dass sie die Antwort wissen müsste.

»Eben«, sagte sie gelassen. »Ich habe nicht die Absicht, meine Kunst an dir zu üben, damit du dich von Barbaren abschlachten lassen kannst.« Sie setzte sich wieder und legte ihre Hände in den Schoß, um mich sorgsam zu mustern. »Konrad hat die Spur der dunklen Elfen aufnehmen können. Sie führt zur Festung der Titanen und endet dort in einer Art Tunnel im Fels.«

»Warum sind sie dorthin geflohen?«, überlegte ich laut.

»Es wird einen Grund geben«, meinte sie nachlässig. »Außerdem, wer sagt, dass sie dorthin geflohen sind?«

»Ich dachte, Konrad …«

Sie schüttelte den Kopf. »Sie sind zur Festung der Titanen gegangen. Hätten sie nur fliehen wollen, hätten sie einen anderen Weg genommen. Etwas zieht sie dort hin.«

»Nur was?«

»Irgendetwas wird es dort geben«, sagte sie nachdenklich. »Wir wissen, dass sie dein Schwert in ihrem Besitz haben, das ist für uns Grund genug, ihnen dorthin zu folgen. Das erscheint mir wichtiger, als dass du dich von Barbaren in kleine Stücke hauen lässt. Was Elsine angeht, sie, Delgere und die Hüterin haben es sich in den Kopf gesetzt, den Tarn für sich zu erringen. Wenn ihnen das so viel bedeutet, sollen sie auch selbst dafür kämpfen.«

Sie wies zu dem Rüstungsständer in der Ecke hin, auf der meine kaiserliche Rüstung hing. »Die Wettkämpfe fangen bald an. Es wäre gut, wenn man dich dort sieht. Oder zumindest deine Rüstung. Sivret ist groß genug, um sie zu tragen, wenn man ihn an den richtigen Stellen auspolstert. Das gibt uns die Gelegenheit, zur Festung der Titanen zu reiten und nach deinem Schwert zu suchen.«

»Ich kann kaum stehen«, protestierte ich. »Wie soll ich da reiten können?«

»Mach dir darüber keine Sorgen«, sagte sie freundlich. »Zur Not können wir dich am Sattel festbinden.« Sie stand auf und nickte mir zum Abschied zu. »Ich komme wieder, nachdem ich nach Ragnar gesehen habe.«

»Hilf mir auf«, bat ich sie. »Ich will meinen Freund sehen.«

Ende der Leseprobe