Das Blutsiegel von Isfadah - Carola Schierz - E-Book

Das Blutsiegel von Isfadah E-Book

Carola Schierz

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Beschreibung

Von einem Tag zum anderen wird Lord Arkos Leben völlig auf den Kopf gestellt. Ihm wird vorgeworfen, seinen Vetter und Freund, König Ammon, hinterhältig ermordet und dessen Bruder lebensbedrohlich verletzt zu haben. Alle Beweise und Zeugenaussagen sprechen gegen ihn. Niemand glaubt Arko, obwohl er seine Unschuld beteuert. Nur zwei der schönen Blutwächterinnen aus dem Tempel scheinen auf seiner Seite zu stehen. Finea, die jüngere der beiden, gewinnt nicht nur sein Vertrauen, sondern bald auch sein Herz. Wird er dem Schafott entkommen? Und wer steckt hinter dieser unglaublichen Intrige? Nur eines steht mit Sicherheit fest: Dem Königshaus von Isfadah stehen dunkle Zeiten bevor.

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Carola Schierz

Das Blutsiegel von Isfadah

Die Wächter des Erben

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Ismee

Ammon

Finea

Arko

Isfadah

Arko

Finea

Arko

Finea

Arko

Finea

Arko

Farid

Arno und Luna

Farid

Ismee

Arno und Luna

Farid

Ismee

Arno und Luna

Kamir

Ismee

Arno und Luna

Sina

Ismee

Farid

Arno und Luna

Farid

Arno und Luna

Ismee

Galina

Arno und Luna

Impressum neobooks

Ismee

Königin Ismee stand an der Brüstung des Balkons, welcher direkt an ihre Gemächer grenzte, und sah gedankenverloren auf den Horizont. Die 'Weiße Stadt' Isfadah lag, in das warme Licht der untergehenden Sonne getaucht, zu ihren Füßen. Der atemberaubende Anblick ließ ihr das Herz noch immer höher schlagen. Seinen Beinamen hatte Isfadah dem hellen Marmor zu verdanken, aus dem sämtliche Bauwerke errichtet worden waren. Davon gab es in den angrenzenden Gebirgen genug, um die Stadt uneingeschränkt zu vergrößern. Ihr Blick blieb an der beeindruckenden Silhouette des Tempels hängen, welcher das Blutsiegel von Isfadah beherbergte. Er befand sich am Rande eines Felsmassives direkt über einem Wasserfall und war durch eine lange Bogenbrücke mit dem Schlossberg verbunden. Von hier aus hatte man den Eindruck, der Tempel würde über den tosenden Wassern schweben, weshalb er vom Volk ehrfurchtsvoll Himmelstor genannt wurde.

Ismee strich sich zärtlich über ihren geschwollenen Leib. Schon bald würde sie König Ammon ein Kind gebären. Lächelnd nahm sie die kräftigen Bewegungen in ihrem Inneren wahr und dachte an den Augenblick, als sie ihrem Gatten die frohe Kunde überbracht hatte. Wie groß war seine Freude gewesen. Dieser hochgewachsene, starke Mann war zu Tränen gerührt und hatte sie mit Küssen und Liebesbekundungen nur so überhäuft. Ammon und Ismee verband eine große Liebe und diese sollte nun durch dieses Kind gekrönt werden. Leider lagen im Moment unzählige Meilen zwischen ihnen, da ihr Gemahl zu wichtigen Verhandlungen gereist war. Sie hoffte inständig, dass er bis zur Geburt des Kindes wieder heimkehren würde.

Sie war gerade fünfzehn und er zwanzig, als sie sich zum ersten Mal begegneten. Damals lebte König Tibon noch und Ammon war der Prinz von Isfadah. Ismees Vater gehörte zu den angesehensten Männern des Reiches und diente König Tibon als Berater. Bei einem gesellschaftlichen Treffen hatte man die jungen Menschen einander vorgestellt und es dauerte nicht lange, bis der zarte Funke zwischen ihnen übersprang.

Dann kam der Krieg, der Tibon das Leben kostete. Ammon, der an der Seite seines Vaters kämpfte, hatte ihn noch am Sterbebett um die Erlaubnis gebeten, Ismee heiraten zu dürfen und diese bereitwillig erhalten. Sie nahm seinen Antrag voller Freude an. Der Termin für die Hochzeit wurde auf sechs Monate nach den Trauerfeierlichkeiten und der darauffolgenden Krönung des jungen Prinzen festgesetzt.

Eine Hürde hatte das Paar allerdings noch bewältigen müssen: Den Besuch im Tempel der Blutwächterinnen – dem Himmelstor! Zu den Aufgaben der Wächterinnen gehörte es, über Wohl und Leben der Königsfamilie zu wachen und die Legitimität eines Thronfolgers zu prüfen.

Wollte ein Mitglied des Herrscherhauses den Bund der Ehe eingehen und somit neues Blut in die Familie einbringen, musste sich das Paar im Tempel vorstellen. In einer geheimen Zeremonie wurde festgestellt, ob sich beide Blutlinien miteinander vertrugen und dieser Verbindung gesunde Kinder entsprießen könnten.

Traditionell bestiegen Braut und Bräutigam die Anhöhe zum Himmeltor und baten um Einlass an der Pforte. Ismee hatte sich klein und verletzlich gefühlt angesichts der gewaltigen Mauern, die sich vor ihr auftürmten. Hinzu kam die Furcht, den Ansprüchen nicht zu genügen, die das Blutsiegel an die neue Königin stellte.

Großpriesterin Sina empfing das Paar in der großen Halle des mächtigen Bauwerkes. Sie war eine schöne Frau mittleren Alters und lächelte ihnen milde entgegen. Sie trug ein Gewand aus hauchdünnem roten Stoff, unter dem sich die Formen ihres anmutigen Körpers erahnen ließen. Ihr schwarzes Haar war zu einem lockeren Knoten im Nacken zusammengesteckt.

„Habt keine Furcht, Ismee“, sagte sie, während ihre Augen auf der jungen Braut ruhten. „Es ist keine schmerzhafte Prozedur. Nur ein kleiner Stich und alles ist vorbei.“

Dann waren sie ihr ins Untergeschoss gefolgt. Sie passierten ein Labyrinth aus Gängen, die in den Felsen gehauen waren, auf dem der Tempel thronte. Vor einer unscheinbaren Wand aus grauem Gestein blieb die Großpriesterin plötzlich stehen. Zu Ismees Entsetzen holte sie unter ihrem Gewand einen kleinen Dolch hervor, der aus einer Art Kristall geschliffen zu sein schien. Sie hob ihren Arm, sprach ein paar fremdartige Formeln und schnitt sich diagonal in die Handfläche. Als ein dickes Rinnsal ihres Blutes hervorquoll, berührte Sina den Fels. Geräuschvoll öffnete sich ein Durchgang zu einem dahinter verborgenen Raum. Sofort schloss sich die Wunde der Priesterin wieder, was Ismee das ganze Schauspiel noch unheimlicher machte. Gemeinsam betraten sie den heiligen Ort.

Hier befand sich das legendäre Blutsiegel von Isfadah.

In der Mitte erblickte sie eine Art Brunnen, auf dessen Oberfläche eine schlichte Schale schwamm. Im Rand des Brunnens waren Vertiefungen eingearbeitet, in denen kleine Fläschchen steckten, die aus demselben kristallinen Material bestanden wie Sinas Dolch und die Schale. Das Wasser im Becken war von einer seltenen Klarheit und ein geheimnisvolles Leuchten strahlte über allem. Am Boden konnte man deutlich ein Symbol erkennen, welches auch an anderen Stellen im Tempel zu finden war. Es bestand aus einem Tropfen, den ein Kreis umschloss - ein Tropfen Blut im heiligen Wasser.

Gebannt hatte Ismee beobachtet, wie Sina an den Brunnen trat und eines der Fläschchen herausnahm, in dem eine wässrig rote Flüssigkeit zu erkennen war.

„Dies ist Wasser aus dem Brunnen der Wahrheit, vermischt mit etwas Blut des jungen Königs - Eures zukünftigen Ehemannes“, erklärte sie der jungen Braut. „Von jedem Mitglied der Königsfamilie existiert eine dieser Proben. Solange sie von dieser Klarheit sind, muss nicht um Gesundheit oder Leben des Spenders gefürchtet werden. Bei Krankheit oder gar Tod der Person färbt sich die Flüssigkeit dunkel. Als König Tibon, Ammons Vater, einst im Kampf gefallen war, kannten wir die traurige Wahrheit schon, bevor der Rabe mit seiner schrecklichen Botschaft eintraf. Dies war ein schwarzer Tag für Isfadah! Dennoch, aus vielen vorangegangenen Schlachten war er unversehrt zurückgekehrt und niemand brauchte sich unnötig zu sorgen, solange die Flüssigkeit klar war.“ Sie stellte das Fläschchen wieder zurück. „Ihr seht also, dass es durchaus seine Berechtigung hat, dieses kleine Opfer zu bringen.“

Milde lächelte Sina der jungen Frau zu.

„Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb wir heute hier sind.“ Erneut zog sie den Kristalldolch hervor und bat das Paar, an den Brunnen heranzutreten.

„Ich werde jetzt von Euch und dem König je einen Tropfen Blut nehmen. Dann werden wir die Gewissheit haben, ob Eure Vereinigung Kinder hervorbringen kann, die den hohen Ansprüchen an ihre zukünftige Position genügen.“

Ismees Herz begann schneller zu schlagen. Was, wenn sie sich nicht würdig erwies, Ammons Kinder zu gebären. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als seine Frau zu werden.

Gebannt sah sie zu, wie der Dolch der Priesterin in die Haut ihres Bräutigams stach und ein dicker Tropfen seines Blutes in eine flache Schale aus Bergkristall fiel. Der Stich verheilte sofort.

Danach war sie selbst an der Reihe. Zu ihrer Verwunderung verspürte sie kaum Schmerzen, da der Dolch von größter Schärfe war und auch ihre Wunde sich sofort wieder schloss. Voller Sorge beobachtete sie, was nun vor sich ging. Ihre Zukunft entschied sich in diesem Augenblick. Wie rote Perlen lagen beide Tropfen in der Schale. Plötzlich begannen sie, sich aufeinander zuzubewegen und einander zu umkreisen.

Angespannt blickte Ismee in die Gesichter der anderen und stellte erleichtert fest, dass beide einen zufriedenen Eindruck machten.

„Bin ich deiner würdig?“, fragte sie, um ihre letzten Sorgen zu verdrängen.

„Daran habe ich keine Sekunde gezweifelt!“, antwortete Ammon, dem man dennoch seine Erleichterung anmerkte. Seine Liebe zu ihr stand ihm ins Gesicht geschrieben.

„Nun, da wir diesbezüglich Gewissheit haben, steht Eurer Hochzeit nichts mehr im Wege“, brachte Sina das Paar wieder in die Gegenwart zurück.

Als sich Ismee vom Brunnen abwandte, hielt sie die Großpriesterin jedoch zurück. „Einen Moment noch!“ Sina griff abermals in die Taschen ihres Gewandes und holte ein leeres Fläschchen hervor, das sie mit dem leuchtend klarem Wasser füllte. Dann nahm sie Ismees Hand in die ihre. Ehe die glückliche Braut sich versah, hatte Sinas Dolch sie erneut geritzt und ein weiterer Tropfen Blut sickerte in das zierliche Gefäß. Sofort nahm der Inhalt die gleiche Farbe an, wie der in Ammons Fläschchen. Auch ihres fand nun seinen Platz in einer der Vertiefungen.

Schon am nächsten Tag wurde ihre Vermählung gefeiert und Ismee schwebte wie auf Wolken. Das Fest blieb allen Einwohnern von Isfadah als ein Tag des Glückes und der Liebe in Erinnerung ...

Mit einem kräftigen Tritt brachte das Ungeborene Ismee in die Gegenwart zurück und sie beschloss, noch einen Abendspaziergang durch den Schlossgarten zu machen.

Ammon

Zur selben Zeit saß König Ammon über einem Stapel Dokumente gebeugt in seinem Zelt.

Eine tiefe Falte zeichnete sich zwischen seinen Brauen ab. Die Verhandlungen liefen nicht so, wie er es sich gewünscht hatte. Wenn er hier scheiterte, war eine erneute kriegerische Auseinandersetzung unvermeidlich. Schon seit Generationen standen sich Isfadah und Terban in Fehde gegenüber. Immer aus demselben Grund: Die Ebenen des Königstales. Das Gebiet, in dem die beiden Königreiche lagen, war zwar reich an Bodenschätzen, wie Gold, Kupfer und Edelsteinen, aber es mangelte an fruchtbarem Ackerland. Man musste Getreide und Fleisch aus anderen Gegenden importieren, was zwar finanziell kein Problem darstellte, aber immer mit großem Aufwand verbunden war. Die Händler mussten mit Unmengen von Gold im Gepäck weite Strecken zurücklegen. Sie wurden nicht selten von Wegelagerern angegriffen, was dazu führte, dass man ihnen eine ständig steigende Anzahl an Soldaten zum Schutz zuteilen musste. Solange Ammon denken konnte, hatte es Auseinandersetzungen darum gegeben, wer Anspruch auf das begehrte fruchtbare Land im Königstal hatte. Es lag zwischen zwei Flüssen, die jeweils als Landesgrenze dienten – ein grüner Streifen Grenzland. Früher wechselten ständig die Besatzer dieses Gebietes. Mehr als zwei bis drei Ernteperioden konnte keines der Länder die Ebene für sich beanspruchen. Dann hatte sich der andere von seiner Niederlage erholt und forderte erneut das Land für sich. Um dem Blutvergießen ein Ende zu machen, hatte man nach dem letzten Krieg, dem auch Ammons Vater zum Opfer gefallen war, die Übereinkunft getroffen, das Grenzland gemeinsam als Weidegebiet zu nutzen. Das war jetzt beinahe fünf Jahre her und seitdem herrschte Frieden.

Kürzlich war Ammon jedoch zu Ohren gekommen, dass König Halan abermals seine Armee aufrüsten würde. Er hatte ihm vorsorglich einen Boten gesandt, um ein Treffen zu vereinbaren. Zu seiner Freude hatte Halan zugestimmt. Nun saßen sie hier schon seit beinahe zwei Wochen in einem einfachen, aber zweckmäßigen Zeltlager zusammen und berieten über Alternativen.

Ammon hatte zunächst vorgeschlagen, das Land im Königstal gemeinsam zu nutzen und die Erträge zu teilen. Doch damit war er bei seinem Verhandlungspartner auf heftige Gegenwehr gestoßen. Dieser hatte Argumente vorgetragen, die nicht von der Hand zu weisen waren. Würde man das fruchtbare Land in zwei Hälften teilen, wäre die Ernte für keines der Länder ausreichend, um die komplette Versorgung der Bevölkerung abzudecken. Man wäre weiterhin darauf angewiesen, einen Großteil der Grundnahrungsmittel zu importieren und hätte letztendlich keinen wirklichen Fortschritt gemacht.

Er musste eine Lösung finden, die jedem Gegenargument gewachsen war!

Verzweifelt blies er schließlich die Kerzen aus und legte sich nieder. Seine letzten Gedanken wanderten nach Hause zu seiner geliebten Ismee. Wenn sie nicht bald zu einer Einigung gelangten, würde er es nicht schaffen, sein Versprechen zu halten und pünktlich zur Geburt ihres ersten, sehnlichst erwarteten Kindes zurück zu sein.

Am nächsten Morgen begab er sich in aller Frühe zum Badezelt. Da man von vornherein davon ausgegangen war, dass sich die Verhandlungen länger hinziehen würden, hatte man beschlossen, einen Ort für die Körperhygiene einzurichten. Dieser war nur den Königen und ihren obersten Beratern und Offizieren vorbehalten. An den geraden Tagen gehörte das Badezelt Ammon und seinem Gefolge und an den ungeraden Halan.

Jetzt, nach einer kalten Nacht auf einem nicht allzu bequemen Feldbett, freute Ammon sich auf die Entspannung im warmen Nass. Als der junge König das Zelt betrat, hatte der dazu eingeteilte Soldat den Zuber schon vorbereitet. Ammon legte seine Gewänder ab und ließ sich ins Wasser gleiten. Genussvoll sog er den Atem ein und versuchte, sich zu entspannen. Doch schon bald kreisten seine Gedanken wieder um die anstehenden Verhandlungen.

Es musste einen Weg geben!

Während er begann, seinen verspannten Körper einzuseifen, kam ihm plötzlich ein Geistesblitz. Warum sollte im Großen nicht funktionieren, was hier im Kleinen stattfand. In seinem Kopf begann es zu kreisen und die verrückte Idee nahm immer mehr Gestalt an. Bald hielt es ihn nicht mehr im Bad und er beendete vorfristig seine Entspannungspause. Eilig trocknete er sich ab und kleidete sich wieder an.

Auf direktem Wege begab er sich zu seinem Zelt und schickte einen Wachsoldaten los, um nach seinem Vetter und engsten Vertrauten Arko, und seinem Halbbruder Farid zu schicken.

Prinz Farid war das Ergebnis einer heftigen Affäre des alten Königs mit einer Dienstmagd. Tibon war ein guter Herrscher, aber so stark wie sein Wille so schwach war sein Fleisch. Er war seinerzeit, so wie Ammon heute, ein sehr attraktiver Mann gewesen und die Frauen hatten ihm zu Füßen gelegen. König Tibon liebte seine Gemahlin zwar und versuchte lange Zeit gegen alle Versuchungen anzukämpfen, doch Farids Mutter Galina wusste ihre Reize besonders gut einzusetzen und hatte schließlich damit Erfolg. Lange Zeit blieb die Affäre unentdeckt, aber bald war es ihr nicht mehr genug, nur die heimliche Geliebte zu sein. Sie hoffte, eines Tages in den Rang einer Mätresse aufzusteigen, doch Tibon dachte anscheinend gar nicht daran. Also beschloss sie, ihrem Glück auf die Sprünge zu helfen. Als sie sicher wusste, dass sie guter Hoffnung war, sorgte Galina mit kleinen Intrigen dafür, dass die Königin von der Liebschaft ihres Gemahls und deren Folgen erfuhr. Doch sie unterschätzte die starken Gefühle Tibons zu seiner Frau und der Plan ging nicht auf.

Tibon war außer sich vor Wut und verbannte seine Gespielin vom Hof, sobald das Kind geboren war. Seiner Verantwortung für den unschuldigen Jungen entzog er sich jedoch nicht. Er erkannte Farid öffentlich als seinen Sohn an und ließ ihn von einer Amme erziehen.

Für die Königin war dies ein erneuter Schlag ins Gesicht. Sie konnte es nicht ertragen, das Ergebnis des Treuebruchs ihres Mannes täglich vor Augen zu haben. Der Riss zwischen den Eheleuten wurde immer tiefer. Ammons Mutter bekam keine weiteren Kinder und erlag bald einem schweren Leiden. Hinter vorgehaltener Hand wurde gemunkelt, sie sei an gebrochenem Herzen gestorben und im Lande machte sich Ärger breit. Überall wurde getratscht und gelästert und das Ansehen des Königs nahm schweren Schaden.

Tibon indes traf der Tod seiner Frau so heftig, dass er nie wieder heiratete. Sein Leben widmete er fortan nur noch dem Wohle seines Landes. Die Menschen hatten seinen Fehltritt schnell vergessen und lohnten es ihm schon bald wieder mit ihrer Liebe und Ergebenheit.

Tibon versuchte aufrichtig, seinen beiden Söhnen ein gleich guter Vater zu sein, doch er konnte nie ganz verbergen, dass er Ammon mehr liebte als Farid. Wann immer er seinen Zweitgeborenen ansah, fühlte er sich schuldig. Zum einen seines eigenen Vergehens wegen, zum anderen, weil er dem unschuldigen Kind nicht die Zuneigung geben konnte, die es brauchte. Der Junge spürte das und litt heftig unter dieser Situation. Er buhlte, mit allem was er aufbieten konnte, um die Liebe seines Vaters. Ammon, der schon sehr früh die Gabe entwickelt hatte, sich in andere einzufühlen, erkannte den Schmerz seines Bruders und nahm sich seiner selbstlos an. Das hatte die beiden bis heute zusammengeschweißt.

Lord Arko war der Sohn von Tessa, König Tibons Schwester. Er kam im Alter von vierzehn Jahren an den Hof und zwischen den drei jungen Burschen entstand eine tiefe Freundschaft. Inzwischen war Arko, ebenso wie Farid, einer der wichtigsten Berater an Ammons Seite.

Fast zeitgleich trafen die beiden ein und fanden den jungen König schreibend über einem Blatt Papier gebeugt vor.

„Du hast nach uns rufen lassen?“, fragte Farid, dem man deutlich anmerkte, dass er um diese Zeit noch nicht gewillt war, sich mit Politik zu beschäftigen.

Ammon sah auf und nickte den beiden Männern grüßend zu. „Ja, ich muss dringend etwas mit euch bereden. Ich glaube, die Lösung gefunden zu haben.“ Mit einer Geste bat er sie Platz zu nehmen und begann sofort damit, ihnen seine Idee vorzutragen.

„Was, wenn wir den Boden der Reihe nach nutzen? So könnte jedes unserer Länder für ein oder zwei Jahre auf die aufwendigen Handelsreisen verzichten. In der anderen Zeit bleibt alles wie bisher. Doch bei einer besonders guten Ernte und der richtigen Planung könnten genug Vorräte beiseitegeschafft werden, um die nötigen Handelsreisen zumindest auf ein Minimum zu reduzieren. Wir müssten zunächst gemeinsam Hütten für die Bauern errichten und Gerät zur Verfügung stellen. Die Kosten werden geteilt. Von der Aussaat bis zur Ernte werden Familien aus dem jeweiligen Land dort angesiedelt, die im Herbst gemeinsam mit den Vorräten heimkehren. Sollten Wetterkapriolen eine Ernte völlig vernichten, steht der betroffenen Partei ein weiteres Jahr zu, was der andere Vertragspartner so hinnehmen muss. Um Missbrauch dieser Regelung auszuschließen, werden Beobachter zugelassen, die jederzeit willkommen sind.“

Einen Moment lang war es still am Tisch.

„Das ist es!“, meinte Arko euphorisch und fuhr sich mit der Hand durch sein braunes schulterlanges Haar. „Dagegen können sie nichts Ernsthaftes vorbringen!“

Auch Farid lachte beeindruckt. Anerkennend schlug er Ammon auf die Schulter. „Ich habe von dir nichts anderes erwartet, Bruder! Nun musst du nur noch alle davon überzeugen! Aber ich denke, dass sie einlenken müssen.“

Ammon erhob sich und brachte, ungeachtet der frühen Stunde, einen Krug Wein und drei Becher auf den Tisch.

„Es ist im Grunde so einfach gewesen. Mein Gott, wenn ich an das viele Leid denke, das hätte vermieden werden können, wenn man eher darauf gekommen wäre.“

„Vielleicht hat ja bis heute keiner ernsthaft nach einer Lösung gesucht“, wandte Arko ein. „Bisher wollte jeder das Land nur für sich. Du bist wohl der Erste, der an beide Seiten denkt. Ob König Halan auch schon so weit ist, wird sich noch zeigen.“

„Hoffen wir es!“ Ammon goss ihnen ein. „Lasst uns auf eine gute Verhandlung trinken!“

Farid hob entschuldigend die Hände. „Tut mir leid, mein Lieber. Ich würde mich gern eurem kleinen Umtrunk anschließen, doch ich bin von Haus aus abergläubisch! Ich stoße mit euch an, sobald alles unter Dach und Fach ist. Außerdem möchte ich noch ein Bad nehmen, bevor wir zum offiziellen Teil schreiten. Ich stinke wie ein Viehhirte!“ Damit stand er auf und verließ mit einem kurzen Gruß das Zelt.

Lachend sahen die beiden anderen ihm hinterher und ließen es sich nicht nehmen, ihrerseits sehr wohl die Becher zu leeren.

In den frühen Nachmittagsstunden trafen König Halan und König Ammon, in Begleitung ihrer engsten Berater, erneut zusammen. Als Verhandlungsort diente ein Zelt, das genau im Zentrum des Lagers stand. In der Mitte thronte ein gewaltiger Tisch, der schon in zahlreichen Feldzügen zum Ausrollen der Landkarten gedient hatte. Auch heute standen die Männer dicht um das Möbel gedrängt. Jedoch drehten sich die Gespräche diesmal nicht darum, möglichst viele Leben zu vernichten, sondern es allen Untertanen zu erleichtern. Ammons Vorschlag war nach anfänglicher Skepsis diskutiert und für umsetzbar erklärt worden. Nun ging es um die Details. Dabei gab es noch einige Unstimmigkeiten, doch gegen Abend und nach langen zähen Verhandlungen, hatte man sich doch geeinigt.

Ausgelaugt und dennoch glücklich kehrte Ammon in sein Zelt zurück. Dort angekommen schickte er seinen Knappen mit dem Befehl zum Feldkoch, das beste Essen zuzubereiten, dessen er unter den gegebenen Umständen fähig war. Er wollte seinen Durchbruch mit Farid und Arko feiern. So wie die Dinge standen, würden sie spätestens in zwei Tagen die Rückreise antreten. Er konnte es kaum erwarten, zu seiner geliebten Gemahlin zurückzukehren. Auch wenn es ihr Zustand verbot, dass er in den Genuss ihrer ganzen Zärtlichkeit kam, so war es doch schon berauschend genug, sich vorzustellen, wie sie ihren schönen Kopf an seine Schulter schmiegte und ihre zierlichen Arme um seinen Hals schlang. Sie war die Erfüllung all seiner Sehnsüchte und keine Frau konnte neben ihr bestehen. Und nun sollte all dieses Glück noch verdoppelt werden, indem sie ihm ihr erstes gemeinsames Kind gebar. Ammon musste lächeln bei dem Gedanken an seinen Erben. Zwar versuchte er, sich nicht zu sehr darauf zu versteifen, dass Ismee ihm einen Sohn schenkte, doch in seiner Fantasie war es immer ein Knabe, den er seinem Volk präsentierte. Und wenn nicht, würde er jeden weiteren Versuch genießen, mit ihr einen Sohn zu zeugen!

Als sich die Zeltplane am Eingang öffnete, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Arko trat ein, dicht gefolgt von Farid.

„Das war fantastisch!“, sagte sein Vetter und schlug Ammon respektvoll auf die Schulter. „Du warst unschlagbar! Halan konnte gar nicht anders, als sich auf deine Vorschläge einzulassen. Am Ende erweckte es schon fast den Anschein, die Idee stamme von ihm. Du bist der geborene Taktiker, mein Lieber!“ Er neigte in ehrlicher Anerkennung und Ergebenheit sein Haupt.

Auch Farid schloss sich mit anerkennenden Worten seinem Vorredner an.

„Schon gut, ihr zwei! Genug der Schmeicheleien! Lasst uns endlich feiern! Der Koch hat sich selbst übertroffen und ich habe den besten Wein öffnen lassen, der im Lager zu bekommen war. Seht selbst!“ Er machte eine einladende Geste in Richtung des Esstisches, der im hinteren Teil des geräumigen Zeltes stand. Sie konnten sich ihm nur anschließen. Dort befand sich alles, was ein Feinschmeckergaumen in dieser spartanischen Umgebung erwarten konnte. Der Hauptgang bestand aus einem Spanferkel mit Grünkohl und Röstbrot als Beilage. Das Dessert bildeten eine Reihe erlesener Früchte und ein noch warmer Napfkuchen.

„Bei den Göttern! Wie auch immer der Koch das hinbekommen hat, ein Platz im Paradies sollte ihm sicher sein!“, flüsterte Arko andächtig. In den letzten Wochen hatten sie sich meist mit Haferbrei und Kaninchen, ab und zu einem Rebhuhn und etwas Brot, zufriedengeben müssen. Sie waren das aus diversen Feldzügen gewöhnt. Es war nahrhaft und geschmacklich zufriedenstellend. Dennoch zogen sie das Angebot des heutigen Abends eindeutig vor.

Ammon lachte und begab sich als Erster zu Tisch. Er genoss den Moment.

Es wurde ein geselliger Abend. Sie tranken reichlich von dem guten Wein und erzählten sich Geschichten aus Kindertagen.

„Wisst ihr noch, als wir dem Stallmeister die Kletten unter den Sattel gelegt haben? Der konnte sich kaum auf dem Gaul halten“, stieß Farid prustend hervor.

„Ja, ich hab mir fast in die Hose gepisst vor Lachen“, bestätigte Ammon.

„Und das Beste war, dass er immer genau wusste, dass wir drei dahintersteckten, aber nie genug Beweise hatte, um es Vater zu sagen. Egal was wir ausgeheckt haben“, fügte Farid hinzu.

So reihte sich Geschichte an Geschichte und der Abend schritt voran.

Arko war der Erste, der das Zelt seines besten Freundes und Königs verließ. Nichts ahnend, welch dunkle Zeiten auf ihn zukamen, legte er sich erschöpft, aber gut gelaunt schlafen.

Finea

Im Tempel der Blutwächterinnen machte sich Schwester Finea auf den Weg zum abendlichen Kontrollgang. An jedem Tag, vor dem Zubettgehen, begab sich eine der autorisierten Wächterinnen zum Brunnen, um das Blutsiegel und die ihm unterstellten Proben zu begutachten. Heute war sie an der Reihe. Besonders in Zeiten, da ein Mitglied der Königsfamilie abwesend war, gewann jenes Ritual an Wichtigkeit. Finea hatte voller Stolz diese Aufgabe übernommen, denn es war eine der höchsten Ehren, die einer Dienerin dieses Tempels erteilt werden konnte. Es war schon tief in der Nacht, da sie sich nicht hatte von ihren Lehrbüchern losreißen können.

Im Alter von sechzehn Jahren war sie dem Orden beigetreten, so wie sie es sich schon seit frühester Kindheit wünschte. Ihre Familie hatte sie voller Stolz zu der festlichen Weihfeier begleitet. Damals entsagte Finea dem weltlichen Leben. Sie würde nie einen Mann ehelichen oder Kinder gebären dürfen. Doch darauf hatte sie gern verzichtet, denn ihr ganzes Streben galt der Wissenschaft.

Sie war eine Frau und stammte aus armen Verhältnissen, was eine umfassendere Bildung als Lesen, Schreiben und Rechnen, in einfachster Form, unmöglich machte. Hier im Tempel bekam sie Antworten auf ihre Fragen. Sie erhielt eine umfangreiche Ausbildung in Heilkunde, Astronomie, Astrologie, Philosophie und Geschichte. Auch Teile der weißen Magie wurden gelehrt. Obendrein konnte sie stets die riesige Bibliothek des Tempels nutzen. Finea lebte nun schon fast fünf Jahre hier. Die Großpriesterin war mehr als zufrieden mit der jungen Frau und hatte erst kürzlich zu verstehen gegeben, dass Finea in der engeren Wahl stünde, wenn es um ihre Nachfolge ging. Dies würde hoffentlich noch lange nicht zur Diskussion stehen, doch als 'Rechte Hand' von Sina würde sie ihr Wissen nur umso schneller vermehren können.

Endlich hatte sie die Felswand mit der geheimen Pforte erreicht. Vorsichtig zog sie den kostbaren Dolch aus ihrem Gewand, versetzte sich routiniert einen Schnitt und legte die Hand gegen das Gestein. Als sich der Durchgang geöffnet hatte, trat Finea ein und begab sich zum Brunnen. Nacheinander nahm sie die Fläschchen in die Hand und überprüfte den Inhalt eines jeden. Es war nichts Auffälliges zu erkennen, bis die Probe von König Ammon an der Reihe war. Der Inhalt zeigte eine tief dunkle Färbung. Fast wäre ihr das Gefäß aus der Hand geglitten. Zitternd und den Tränen nahe, stellte sie es zurück und lief, so schnell sie ihre Beine trugen, zu den Räumlichkeiten der Großpriesterin.

Mutter Sina hatte gerade ihre abendliche Toilette beendet und war dabei, ihr Nachtgewand anzulegen, als es heftig gegen ihre Tür klopfte.

„Wer ist da?“, fragte sie ein wenig gereizt, wegen der späten Störung.

„Ich bin es! Macht auf - bitte! Es ist etwas Furchtbares geschehen!“, rief Finea von draußen und rüttelte an der Tür.

Die Großpriesterin wusste, dass ihr Zögling nicht derart die Fassung verlor, wenn es sich nicht um eine sehr ernste Angelegenheit handeln würde. Eilig schob sie den Riegel zurück und ließ die junge Frau eintreten. Deren schönes Gesicht war kreideweiß und Strähnen ihres welligen dunkelroten Haares klebten an der schweißnassen Stirn. Sie war außer Atem vom schnellen Laufen und die großen grünen Augen ertranken in Tränen.

„Was hast du, Finea?“, stieß die Großpriesterin geschockt hervor und versuchte, ihre böse Vorahnung zu verdrängen.

„Die Probe des Königs ... sie ist dunkel! Fast schwarz ...!“

Nun wurde auch das Antlitz der Großpriesterin fahl. Wenn das stimmte, und an Fineas Worten hegte sie keinen Zweifel, dann war König Ammon tot!

Arko

Grob wurde Arko von seinem Lager gezerrt. Er hatte große Probleme damit, seine Umgebung wahrzunehmen und auf den Füßen zu bleiben. Sein Kopf dröhnte und drohte zu zerbersten. Die Stimmen um ihn herum drangen wie aus weiter Ferne zu ihm durch. Langsam sackte er wieder zusammen.

Was redeten sie da? Hatte ihn gerade jemand einen feigen Mörder genannt?

Er musste sich verhört haben ...

Doch - da war es wieder! Mörder!

Er hatte sich doch nicht verhört.

Jemand goss ihm den kalten Inhalt seiner Waschschüssel über den Kopf und zwang ihn auf die Beine. Langsam kehrten seine Sinne zurück. Verdammt, sie hatten gestern ausgiebig gezecht, aber keinesfalls so, dass er in diesen Zustand geraten konnte! Was war hier los?

Als er seine Umgebung endlich klar erkennen konnte, sah er in bekannte Gesichter. Aber sie alle hatten einen eindeutig alarmierenden Ausdruck. Er sah Abscheu, Wut und Hass in ihnen. Das Freundlichste, was er wahrnahm, war vielleicht noch Enttäuschung und Unglaube.

„Was ist los, verdammt nochmal?“, fuhr er die Männer an und setzte sich auf. „Seid ihr noch bei Sinnen? Habt ihr vergessen, wen ihr vor euch habt?“

Ein Offizier der Königsgarde, mit dem er noch vor ein paar Tagen fröhlich bei einem Würfelspiel zusammengesessen und geplaudert hatte, trat vor. Er griff nach Arkos Hemd, das achtlos auf dem Boden lag, und sagte in bedrohlichem Tonfall: „Bis gestern dachten wir, wir hätten einen Ehrenmann vor uns, doch nun deutet alles darauf hin, dass Ihr ein feiger Mörder seid.“ Er warf ihm das Hemd zu. „Zieht das hier über und folgt mir ohne Widerstand!“

Arko verstand die Welt nicht mehr. Mit zusammengezogenen Brauen erhob er sich von seinem Lager und kleidete sich an. Zu seiner Verwunderung entdeckte er mehrere kleinere Blutflecke am Ärmel und am Vorderteil des Hemdes, konnte sich jedoch keinen Reim darauf machen, wie sie dort hingekommen waren.

„Was in Gottes Namen geht hier vor? Und was faselt ihr da von Mord? Wer ist ermordet worden?“

Nun trat der Offizier vor, und während er Arko die Hände mit einem Seil auf dem Rücken fesselte, sagte er: „Arko von Thura, ich beschuldige Euch, unseren König Ammon den Dritten und seinen Bruder Prinz Farid mit einem Messer angegriffen zu haben, um sie zu ermorden. Für unseren König kam leider jede Hilfe zu spät und Prinz Farid überlebte nur durch ein Wunder.“

Als Arko endlich verstand, was der Mann ihm da gerade eröffnet hatte, zogen sich seine Eingeweide zu einem kalten Klumpen zusammen.

„Was sagt Ihr da? Ammon ist – tot?“ Er wollte nicht glauben, dass sein Vetter, König und bester Freund, nicht mehr am Leben sein sollte.

Ermordet? Wer konnte so etwas ...? Moment, was hatte der Irre da behauptet?

„Ihr glaubt, ich hätte das getan? Wie um alles in der Welt kommt ihr auf diesen kranken Schwachsinn?“

Er sah sich unter den Anwesenden um und folgte deren Blicken. Das Blut! Wo zum Teufel kam dieses Blut auf seinem Hemd her? Der Verzweiflung nahe schüttelte er den Kopf und sah jedem Einzelnen in die Augen.

„Ich habe nichts damit zu tun! Nie würde ich Ammon etwas zuleide tun, das schwöre ich, bei meinem Leben! Genauso wenig wie Farid. Er wird euch das sicher bestätigen.“

Die Männer, welche ihm bisher immer mit Achtung begegnet waren, senkten zum Teil den Blick oder sahen ihn anklagend an.

Der Offizier trat dicht an ihn heran und zog die Stirn in Falten. „Prinz Farid schwebt noch in Lebensgefahr, aber er war kurz ansprechbar. Er hat eindeutig Euren Namen genannt, als wir ihn nach dem Täter fragten.“

Arko schöpfte dennoch Hoffnung. „Vielleicht hat er nur im Delirium geredet. Hat er viel Blut verloren? Dann kommt so etwas doch vor, oder? Es ging beiden gut, als ich gestern das Zelt verließ! Die Wachleute haben mich doch gehen sehen.“

„Dann bliebe immer noch die Frage, woher das Blut auf Eurem Hemd stammt“, erwiderte der Offizier emotionslos. „Solange Prinz Farid bewusstlos und die Sache nicht geklärt ist, werdet Ihr in Gewahrsam genommen!“ Damit gab er den Soldaten ein Zeichen und sie führten den verzweifelten Arko ab.

Er musste kurz eingenickt sein, denn inzwischen war die Dämmerung einem tiefen Schwarz gewichen. Arko hatte zunächst große Mühe damit, die Umrisse seines provisorischen Gefängnisses und die davor postierten Wachen zu erkennen. Man hatte aus Mangel an Alternativen einen Käfig aus dicken Ästen und derben Seilen gebaut. Er bot seinem Insassen gerade so viel Platz, dass dieser mit angezogenen Beinen sitzen oder zusammengerollt wie ein ungeborenes Kind darin liegen konnte. Jeder Knochen und jeder Muskel in seinem Körper schmerzten, doch das Schlimmste waren die seelischen Qualen, die ihm die Eingeweide zu verbrennen drohten. Scheinbar glaubte niemand hier im Lager an seine Unschuld und er konnte es ihnen nicht einmal verdenken. Alle Indizien sprachen gegen ihn, so dass er selbst langsam ins Zweifeln kam, ob er noch alle Sinne beieinander hatte. Immer wieder ging er im Geiste die Ereignisse der letzten Nacht durch. Ammon, Farid und er hatten den Durchbruch bei den Verhandlungen gefeiert und ein paar Becher Wein getrunken. Weit entfernt davon betrunken zu sein, jedoch extrem müde, hatte Arko sich schließlich verabschiedet und war in sein Zelt gegangen. Davor hatte er noch ein paar scherzhafte Worte mit den Wachen gewechselt, die vor der Unterkunft des Königs postiert waren. Er hatte ihnen zur Feier des Tages, und mit Ammons Einverständnis, etwas Wein angeboten, den sie auch dankbar annahmen. Diese Männer hatten bestätigt, ihn gesehen zu haben, konnten sich aber nicht daran erinnern, ob sich Blutflecke auf seiner Kleidung befanden. Doch es war zu diesem Zeitpunkt stockdunkel gewesen. Bis auf die kleinen Lagerfeuer zwischen den Zelten gab es keine nennenswerten Lichtquellen. Darum maß man diesem Umstand keinerlei Bedeutung bei.

Zu der Sorge um seine eigene Situation kam die tiefe Trauer um seinen Vetter und besten Freund. Alles schien vor einem Tag noch so hoffnungsvoll. Sie wollten bald nach Isfadah zurückkehren und den Menschen die Lösung des jahrzehntelangen Problems präsentieren. Ismee sollte ihr Kind zur Welt bringen, ohne fürchten zu müssen, dass ihr Gemahl in einen sinnlosen Krieg ziehen muss. Ammon war so voller Freude und frei von Sorge ...

Und nun, keine vierundzwanzig Stunden später, war alles einem grauenhaften Albtraum gewichen. Was zum Teufel war hier geschehen? Unter normalen Umständen wäre er überzeugt davon gewesen, dass Farid ihn bald hier herausholen würde. Jedoch nach allem, was Arko gehört hatte, war dieser selbst sehr schwer verletzt und schwebte in Bewusstlosigkeit. Dass Farid seinen Namen genannt hatte, war mit Sicherheit seinem Zustand zuzuschreiben. Daran bestand für Arko kein Zweifel. Wenn er jedoch auch noch starb, hatte er niemanden mehr, der ihm helfen konnte.

Vor seinem geistigen Auge tauchte das schöne Antlitz Ismees auf. Oh Gott! Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie sie das alles aufnehmen musste. Und er selbst könnte ihr keine Hilfe sein, denn auch sie würde in ihm unweigerlich den Mann sehen, der ihr den Gemahl und ihrem ungeborenem Kind den Vater genommen hatte. Wieder schnitt sich die Verzweiflung tief in seine Eingeweide. Zur Kälte in seinem Inneren kam die Kälte dieser sternenklaren Nacht und er rollte sich zitternd zusammen.

„Frierst du?“, fragte einer der Wachleute mit gespieltem Mitleid. Arko ignorierte ihn, in der Hoffnung, dass das Interesse des Mannes so am schnellsten wieder nachlassen würde. Doch weit gefehlt ... „Ich habe dich was gefragt, du Mördersau!“, schrie dieser nun.

„Wie oft noch? Ich bin kein Mörder“, stieß Arko zwischen zusammengepressten Kiefern hervor.

„Sieh an, die Mördersau spricht zu uns“, rief der Wachmann jetzt seinen Kameraden zu. „Oh entschuldige, du bist ja unschuldig!“, sagte er nun wieder mit drohendem Unterton zu Arko. „Vielleicht sollten wir dir das Leben etwas leichter machen und dir ein heißes Bad bereiten.“

Betont langsam ging er zu einer der Feuerstellen in der Nähe und schöpfte mit einem Krug heißes Wasser aus dem Topf, der dort schon eine ganze Weile zum Kochen hing und deutliche Dampfschwaden absonderte. Dann schlenderte er zurück zum Käfig und grinste widerlich. „Das sollte dich etwas aufwärmen“, sagte er, bevor er Arko den heißen Inhalt des Kruges über den Leib schüttete.

Der schrie auf, als ihm die Flüssigkeit die Haut verbrühte.

„Na, schon wärmer?“, fragte sein Peiniger grinsend. Dann spuckte er Arko ins Gesicht und wandte sich unter den größtenteils zustimmenden Kommentaren der Umstehenden ab.

Zu dem Schmerz, den Arkos geschundene Haut fühlte, kam wenig später die Kälte. Nachdem die Hitze aus seiner nassen Kleidung gewichen war, fror er nun wie ein junger Hund.

Er wachte auf und saß unversehrt und wohlauf in seinem Feldbett. Gott sei Dank, es war alles nur ein übler Traum gewesen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals und nur langsam kam sein Puls zur Ruhe. Unfassbar, was ihm sein Kopf da für ein Horrorszenario vorgetäuscht hatte …

Er wollte sich gerade erheben, als Ammon sein Zelt betrat.

„Großer Gott“, begrüßte Arko den Freund erleichtert, „du hast keine Ahnung, was ich für eine beschissene Nacht hinter mir habe.“

Doch als Ammon ihn anlächelte und etwas erwidern wollte, quoll ein dicker Schwall Blut aus seinem Mund.

Wieder schreckte Arko aus dem Schlaf, wurde diesmal jedoch von der grausamen Realität eingeholt. Durch die Gitterstäbe seines Käfigs hindurch sah er die aufgehende Sonne.

Isfadah

Auch in Isfadah waren zwei entsetzte und ratlos dreinblickende Augenpaare auf die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne gerichtet. Sowohl Sina als auch Finea sahen dem anbrechenden Morgen mit Sorge entgegen. Es war ihre Aufgabe, der Königin die grauenvolle Nachricht zu überbringen. Doch sie waren sich unschlüssig, wie sie vorgehen sollten. Die vorgeschriebene Verfahrensweise besagte, dass die Wächterinnen jede Abweichung von der Normalität der Proben unverzüglich im Schloss melden mussten. Es gab so viele Faktoren, die das eh so Grauenvolle noch verschlimmerten. In Zeiten des Krieges rechnete jeder mit dem Schlimmsten. Doch Ammon war jung, gesund und im Frieden abgereist. Niemand hatte auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass er nicht wieder zurückkehren könnte. Und - Ismee war schwanger! Wie würde sie es in ihrem Zustand aufnehmen? Würde sie am Ende ihr Kind verlieren? Das musste verhindert werden! Dieses Kind könnte der nächste König sein, vorausgesetzt es wäre ein Knabe.

Jedoch … in einigen Tagen sollten die Männer heimkehren. Wenn Ismee bis dahin nicht Bescheid wüsste und ihrem vermeintlich heimkehrenden Gemahl voller Freude entgegeneilte ... Das durfte auf keinen Fall geschehen!

Sina atmete tief ein. „Bereite dich vor!“, sagte sie entschlossen zu Finea. „Wir werden in einer Stunde aufbrechen und es ihr so schonend wie möglich beibringen … sofern das überhaupt möglich ist.“

„Aber ihr Zustand!“, wandte Finea ein.

„Ihre Schwangerschaft ist schon weit fortgeschritten. Sollte das Schlimmste eintreten, hat das Kind gute Chancen zu überleben. Du wirst bei ihr bleiben, bis alles überstanden ist. Egal wie lange es dauert“, wies sie Finea in einem Ton an, der keinen Widerspruch duldete.

„Wie Ihr wünscht, Großpriesterin“, antwortete diese voller Demut. „Ich werde sofort das Nötigste zusammenpacken. Habe ich freie Hand, alles an Heilmitteln mitzunehmen, das in diesem Fall vonnöten sein könnte?“

„Natürlich!“, antwortete Sina mit einem zufriedenen Lächeln und sah der davoneilenden jungen Frau voller Zuneigung hinterher. Finea war für sie so etwas wie die Tochter geworden, die sie, aufgrund ihrer Entscheidung für ein Leben im Tempel, nie haben würde. Ungeahnte Fähigkeiten steckten in dem schönen, liebenswerten Geschöpf. Geistige ebenso wie spirituelle. Finea hatte in relativ kurzer Zeit so viel gelernt wie keine andere, seit Sina hier lebte. Und keine andere würde sich für ihre Nachfolge besser eignen. Alle Wächterinnen liebten und respektierten die junge Frau schon jetzt. Die Götter hatten etwas Besonderes mit ihr vor, davon war Sina überzeugt. Und wo könnte sie ihrer Bestimmung besser folgen als hier, an diesem magischen Ort?

Heute mussten sie sich gemeinsam einer großen Herausforderung stellen. Voller Trauer und Mitleid zog sich Sinas Magen zusammen und das Herz wurde ihr schwer. Noch zu gut konnte sie sich an die glücklichen Gesichter des liebenden Paares erinnern, als feststand, dass ihrer Heirat nichts mehr im Wege stand. Und nun, nur wenige Jahre später, musste sie diesem Glück ein Ende bereiten. Unfassbar! Doch sie konnte es sich nicht aussuchen. Es war ihre Pflicht und sie dankte den Göttern, dass sie damit nicht allein war, sondern jemanden wie Finea an ihrer Seite hatte.

Ein paar Stunden später erreichten sie ihr Ziel. Mit ernsten Gesichtern und Herzklopfen bis zum Hals verlangten die beiden Wächterinnen von den wachhabenden Soldaten, sie zu melden.

„Wir müssen mit Ihrer Majestät der Königin sprechen. Sofort!“

Die Männer musterten die beiden Frauen zunächst skeptisch. Nach kurzem Zögern bat man sie, am Tor zu warten. Eine quälende viertel Stunde später passierten die Wächterinnen das Schlossportal. Jeder Schritt, der sie näher zu den Empfangsräumen der Königin brachte, steigerte ihr Unwohlsein ins Unermessliche.

Sina fing sich als Erste wieder. „Wir müssen uns zusammenreißen! Wir müssen stark sein für Ismee. Wenn wir sie jetzt nicht stützen, dann endet alles in einer noch größeren Katastrophe.“