Die Legende von Assan - Carola Schierz - E-Book

Die Legende von Assan E-Book

Carola Schierz

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Beschreibung

Völlig unerwartet erfährt Laniki, dass sie die Auserwählte ist, von der die "Große Prophezeiung" spricht. Nur sie kann Mediterra und Tosman, zwei seit Menschengedenken verfeindete Länder, wieder zum legendären Reich Assan vereinen. Gemeinsam mit Luka, ihrem Adoptivbruder, der es inzwischen zu hohem Rang in Mediterras Armee gebracht hat und dessen getreuen Männern, begibt sie sich auf die gefährliche Reise. Unterstützung bekommen sie von Juno und Gidon, die ebenso wie Laniki mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet sind. Als sich eines Tages der geheimnisvolle Taras der Gruppe anschließt, geraten Lanikis Gefühle in Verwirrung. Zum einen fühlt sie sich stark zu dem charismatischen Mann hingezogen, zum anderen stellt er sie vor einige Rätsel. Kann sie ihm trauen? Und was ist mit Luka? Ist seine Ergebenheit gegenüber Mediterras kriegerischem König größer als seine Liebe zu ihr? Kann sie den zum Teufelskreis gewordenen Hass zwischen den verfeindeten Völkern wirklich noch aufhalten? Es beginnt ein abenteuerlicher Weg, der an seinem Ende das Leben aller Beteiligten aus seinen gewohnten Bahnen reißt.

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Carola Schierz

Die Legende von Assan

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Die Prophezeiung

Luka

Tana

Die Legende von Assan

Rückkehr nach Hause

Das Zeichen

In den Mauern der Festung

Aufbruch

Gidon

Juno

Blicke in die Vergangenheit

Das Silamgebirge

Am Ziel

Auf dem Weg zurück

Der Wolf verlässt den Schafspelz

Tosman

Mediterra

Reise ins Ungewisse

Auf der Suche nach Taras

Rettung

Rückkehr nach Hause

Vor der Schlacht

Die Prophezeiung erfüllt sich

Antrag mit Hindernissen

Reue und Buße

Die Entscheidung

Der Tempel

Impressum neobooks

Die Prophezeiung

Irgendwo zwischen dem Silamgebirge und dem Westmeer lagen die Länder Tosman und Mediterra. Es gab wunderschöne grüne und fruchtbare Ländereien, Seen, in denen tausende Fische schwammen, Wälder voller Wild und alles, was man brauchte, um den Bewohnern ein glückliches Leben zu sichern. Doch vom Glück waren beide Länder weit entfernt. Keiner der Bewohner von Tosman und Mediterra hätte sagen können, wann und warum die Feindschaft zwischen ihnen begonnen hatte. Sicher war nur, dass sie schon seit mehreren Generationen andauerte. Immer wieder fielen sie in kriegerischer Absicht übereinander her und schon jedes Kind wusste spätestens im Alter von drei Jahren, dass man 'dieAnderen' hassen musste. Doch irgendwann keimte in einigen wenigen Herzen der Wunsch nach Frieden und Erlösung, von Gewalt, Hass und Krieg. Ganz schwach nur, doch der Samen war gelegt und versuchte sich durch die versteinerten Gefühle zu bohren.

Alle, die den Samen in sich trugen, klammerten sich an die große Prophezeiung.

An jene Prophezeiung, die einst von der Hohepriesterin, des damals noch einigen Reiches namens Assan, offenbart wurde. Niemand kannte den genauen Wortlaut, doch man wusste, dass darin die Rede von einem Kind war, welches die Gabe haben sollte, Assan wieder zu vereinen und den Frieden in das geschundene Land zurückzubringen.

In einem Dorf, im Herzen von Mediterra, stand die kleine behagliche Hütte von Bahan dem Schmied und seiner liebenswerten Frau Uma. Uma war nicht von allzu großer Schönheit, doch von einem Liebreiz, mit dem sie die Menschen sofort für sich einnahm. Bahan liebte sein Weib über alles und sie dankte es ihm auf gleiche Weise. Die Schmiede warf den nötigen Unterhalt für ein einfaches Leben ab und sie mussten nie darben. Alles, was ihnen zu ihrem Glück fehlte, war ein Kind. Doch Uma kam langsam in die Jahre und schweren Herzens fanden sich beide mit ihrem Schicksal ab. Dankbar klammerten sie sich an das, was sie hatten und opferten regelmäßig Era, der Friedensgöttin, einen Teil ihrer Habe. Era war die Verschwundene Gottheit, der nur noch wenige Anhänger huldigten. Die meisten Menschen hatten sie über die Jahrhunderte hinweg völlig vergessen. In kämpferischen Zeiten wie diesen setzte man viel lieber auf Kriegsgötter, die Macht und Reichtum versprachen. Die Menschen hatten schon lange den Blick für die wesentlichen Dinge im Leben verloren: Liebe, Frieden, Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Es gab nur noch wenige geheime Orte, an denen man der Verschwundenen Göttin huldigen konnte, ohne verfolgt und bestraft zu werden.

Die kleine Siedlung, in der Bahan und Uma lebten, war so ein Ort. Abseits von allen größeren Städten pflegten einige Bewohner ihren alten Glauben und waren darum bis zum heutigen Tag - davon waren sie überzeugt - von den andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Ländern verschont geblieben. Doch auch nach ihnen streckte sich der Arm des Hasses und der Gewalt zuweilen aus und befiel die Herzen zumeist junger Männer. Voller Sehnsucht nach Ruhm und Ehre zogen sie los, um die Heere von König Saul bei ihren blutigen Feldzügen gegen die Tosmanen zu unterstützen.

Die Tosmanen wiederum dienten König Zerus und waren ebenso gefürchtete Krieger wie die Kämpfer von Mediterra. So folgte eine grausame Schlacht der anderen. Doch keines der beiden Heere konnte auf Dauer seinen Gegner in Schach halten. Wer gerade im Vorteil war, plünderte den anderen aus und machte die besiegten Bewohner zu Gefangenen und Sklaven. Diese mussten schwerste Arbeiten verrichten und viele der geschundenen Seelen starben dabei. Mitgefühl und Gerechtigkeit verkamen bei den meisten Menschen zu erbärmlichen Überbleibseln aus langer Vorzeit.

Doch die wenigen Gläubigen, darunter auch Bahan und Uma, gaben ihr Bestes, um diese Tugenden zu bewahren. Sie taten alles, um den Glauben an die Verschwundene Göttin zu erhalten, obwohl auch ihnen die vollständige Geschichte Assans verborgen blieb. Überliefert war nur, dass dessen Einwohner die Göttin einst so erzürnt hatten, dass diese sich im Groll von ihnen abwandte. … Und die Prophezeiung!

Eines frühen Morgens trat Uma aus dem Haus, um die Hühner zu füttern und die Kuh zu melken. Gut gelaunt begab sie sich in den Stall. Zu ihrer großen Freude hatte das Federvieh beim Eierlegen nicht gegeizt. Mit einem empörten Gackern verließen die Hennen ihr Gelege und sahen zu, wie die weiße runde Pracht in Umas Korb verschwand. Gut gelaunt gab sie der Kuh einen freundlichen Klaps auf den Hintern. „Komm Thea, jetzt bist du an der Reihe. Wenn du genauso großzügig bist wie deine gefiederten Freunde, kann ich meinem Bahan ein königliches Frühstück zubereiten.“ Mit geübten Griffen machte sie sich daran, die Kuh von ihrer schweren Last zu befreien. Am Ende waren beide zufrieden. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen und ihrer guten Ausbeute im Korb, kehrte Uma in die Hütte zurück. In der Feuerstelle züngelten schon begierig die Flammen und sie machte sich behände ans Werk. Gerade als sie das Frühstück auf den Tisch stellte, kam Bahan, angelockt von dem köstlichen Duft, in die Wohnküche und rieb sich den Schlaf aus den Augen.

„Na, mein Lieber, dich hat wohl deine Nase geweckt?“, begrüßte sie ihn mit einem liebevollen Lächeln.

Er erwiderte es herzlich und trat heran, um sie fest in seine Arme zu nehmen. „Nein, mein Vögelchen, natürlich trieb mich nur die Sehnsucht nach meiner wunderbaren Frau hierher“, raunte er mit seiner dunklen warmen Stimme an ihrem Ohr. Dann fiel sein Blick auf den Tisch, wo ein Teller mit dampfendem Rührei auf ihn wartete. „Aber da ich nun mal da bin, hätte ich nichts gegen eine kleine Köstlichkeit am Morgen einzuwenden.“ Unschlüssig blickte er zwischen Uma und dem Essen hin und her. „... jedoch die Entscheidung, welche der gebotenen Köstlichkeiten ich jetzt lieber mag, fällt mir schwer.“

Lachend schubste sie ihn in Richtung Tisch. „Nun, ich empfehle dir die Speisen, denn wenn du jetzt am Morgen schon deine ganze Kraft aufwendest, wie sollst du dann noch dein Tagewerk in der Schmiede erfüllen?“

Mit gespielter Enttäuschung setzte er sich an den Tisch und begann voller Appetit zu frühstücken. Lächelnd sah ihm Uma eine Weile dabei zu, bevor auch sie sich setzte. Beide waren nun schon fast zehn Jahre verheiratet, doch der Zauber zwischen ihnen war ungebrochen. Sinnend dachte sie an die Zeit zurück, in der er um sie warb. Lange hatte er dazu nicht gebraucht, denn sie fühlte sich schnell zu dem ehrlichen, hochgewachsenen Mann hingezogen. Durch seine schwere körperliche Arbeit hatte sein Körper in den letzten Jahren an Attraktivität eher noch zugenommen und sie konnte bis heute seinen Annäherungen nur schwerlich widerstehen. Um so bedauerlicher war, dass diese Bindung keine Früchte trug. Sicher, Bahan machte ihr nie einen Vorwurf daraus, doch sie wusste genau, dass er sich ebenso wie sie nach einem Kind sehnte.

Als sie sich am Abend zu Bett begeben und geliebt hatten, bat sie, wie schon so oft, die Göttin der Fruchtbarkeit darum, ihren Wunsch nach einem Baby zu erfüllen. Mit Tränen in den Augen schlief sie endlich ein und hatte bald einen seltsamen, sehr real erscheinenden Traum. Sie stand inmitten einer Halle, die in ein unbeschreiblich warmes Licht getaucht war. Dieses Licht schien von einer Frau auszugehen, die ihr in einiger Entfernung gegenüberstand. Geblendet von den Strahlen, konnte sie das Gesicht der Frau nicht erkennen, wusste aber instinktiv, dass es sich um Era, die verschwundene Friedensgöttin, handelte.

Sie sprach zu ihr: „Uma, du bist auserwählt, Assan seine Rettung zu schenken. Du sollst das Kind gebären, welches euch prophezeit worden ist. Es wird die Gaben der VerschwundenenGöttin in sich vereinen und kann den Menschen von Mediterra und Tosman den ersehnten Frieden schenken - wenn sie dazu bereit sind. Achte gut auf dieses Kind und erziehe es in meinem Sinne. Wenn die Zeit reif ist, werde ich dir erneut erscheinen und dir den weiteren Weg weisen. Bis dahin bewahre Stillschweigen!“

Dunkelheit! Mit weit aufgerissenen Augen fuhr Uma in ihrem Bett auf und blickte in die Nacht. Unsicher sah sie auf den schlafenden Bahan hinab und war versucht, ihn zu wecken. Doch sie entschied sich dagegen.

War das real gewesen oder nur ein einfacher Traum? Mit klopfendem Herzen sank sie auf ihr Kissen zurück. Ihre Gedanken kreisten wie in einem Strudel. Erst als die Sonne ihre ersten Vorboten über den Himmel sandte, verfiel sie in einen unruhigen Schlaf.

Ein paar Wochen später hatte Uma Gewissheit. Sie erwartete tatsächlich ein Kind! Nun endlich wagte sie es, Bahan die freudige Botschaft zu überbringen. Aufgeregt ging sie hinüber in die Schmiede und tänzelte eine Weile nervös um ihn herum. Der Schmied kannte seine Frau gut genug, um zu ahnen, dass sie ihm etwas Wichtiges mitteilen wollte. Doch er vermutete nicht einmal annähernd was.

Er zog sich eine schmerzhafte Verbrennung am Schmiedefeuer zu, als sie es ihm endlich erzählte. Die Freude über diese Neuigkeit ließ ihn den Schmerz kaum wahrnehmen. Er umarmte Uma so fest, dass sie ihn um Gnade anflehte.

„Was für ein Wunder!“, sprach er immer wieder leise vor sich hin. Dann erhob er sich, legte seine Schürze ab und ging zur Tür. „Lass uns der Fruchtbarkeitsgöttin ein Huhn opfern! Sie hat unsere Gebete doch noch erhört.“ Und schon eilte er in Richtung Stall.

Uma befiel ein mulmiges Gefühl, als sie ihr Opfer darbrachten, denn eine innere Stimme sagte ihr, dass das in jener Nacht kein normaler Traum gewesen war, in welchem ihr Era erschien. Sie beschloss, heimlich auch der Friedensgöttin ein Opfer zu bringen.

Als sie später vor deren Altar, in einem geheimen Winkel des Waldes stand, vernahm sie in ihrem Inneren eine Stimme. Uma hörte die Worte nicht mit ihren Ohren, sondern mit dem Herzen. Dennoch schienen sie so deutlich, als würde die Person, die sie sagte, direkt neben ihr stehen.

'Es war kein Traum, Uma! Glaube und vertraue! Tu was ich dir gesagt habe und ihr werdet endlich Frieden haben. Doch halte Stillschweigen! Einzig Bahan darf die Wahrheit erfahren.'

So schnell, wie der Zauber gekommen war, war er auch wieder verschwunden. Uma stand wie vom Blitz getroffen auf der Stelle. Langsam fuhr sie sich mit der Hand über den noch flachen Bauch. Sollte es wahr sein? Sollten sie und Bahan dazu auserkoren sein, das gepriesene Kind zu bekommen? Hatten sie darum so lange auf den ersehnten Nachwuchs warten müssen? Ihr wurde schwindlig und sie musste sich an den tief hängenden Ästen einer Linde Halt holen. Warum hatte sich die Göttin gerade sie ausgesucht. Weder Bahan noch Uma wiesen besondere Qualitäten auf, die diese Wahl begründeten. Und was bedeutete das Ganze für die Zukunft ihrer kleinen Familie? Dieses Kind würde nie ganz zu ihnen gehören. Eines Tages würde Era es auf seinen schwierigen Weg befehlen. Wie viel Zeit würden sie überhaupt haben? Ihr wurde plötzlich so übel, dass sie sich übergeben musste. Doch dann klangen in ihrem Herzen Eras Worte nach. 'Glaube und vertraue!'

Sie wollte die Göttin nicht enttäuschen. Wie ein schützender Mantel hüllte sie die Gewissheit ein, dass sie und ihr Mann nicht allein waren. Bei allem, was jetzt vor ihnen lag.

„Hast du Fieber?“, fragte Bahan zunächst, als sie ihm schließlich erzählte, wer da in ihrem Leib heranwuchs. Besorgt wollte er ihr die Hand an die Stirn legen, doch sie wies ihn ab.

„Nein! Jetzt sei doch mal still und höre mir richtig zu! Bitte!“

An dem Ausdruck ihrer Augen konnte er erkennen, dass sie ihm die Wahrheit sagte. Uma ließ ihm die Zeit, die er brauchte, um das Gehörte zu verarbeiten.

„Nun, irgendjemanden musste dieses Los schließlich treffen. Warum also nicht uns?“

Sein halbherziger Versuch sie zum Lachen zu bringen, konnte nicht darüber hinwegtäuschen, wie erschüttert er war. Schließlich erhob er sich mit einem leisen Stöhnen und kam zu ihr herüber. Zärtlich strich er ihr mit der Hand über die Wange und gab ihr einen Kuss. „Wir stehen es gemeinsam durch! Ich wusste schon immer, dass es nicht umsonst sein kann, dich an meiner Seite haben zu dürfen.“

Uma ließ sich in seine Arme ziehen und so standen sie für lange Zeit schweigend beieinander.

Die Schwangerschaft verlief ohne größere Komplikationen. Alle Nachbarn und Freunde freuten sich mit ihnen über das kleine Wunder. Auch wenn sie nicht ahnten, dass es sich eigentlich um ein recht großes handelte. Bahan hatte den Eindruck, dass Uma von Tag zu Tag schöner wurde. Sie trug ihren Bauch mit dem sichtbaren Stolz einer Frau, die sehr lange auf ein Kind hatte warten müssen. Des Nachts schliefen sie immer so ein, dass beider Hände auf dem Kind ruhten. Den Gedanken an das, was in der ferneren Zukunft auf sie wartete, schoben sie zunächst zur Seite.

Im Frühling war es dann so weit. Eines Nachts wurde Uma von heftigen Krämpfen geweckt. Stöhnend warf sie sich von einer Seite auf die andere. Bahan, der dadurch ebenfalls erwacht war, sprang rasch aus dem Bett, um nach der Hebamme zu rufen. Eine Stunde später kehrte er mit einer schon in die Jahre gekommenen Heilerin zurück.

Uma hatte es schwer bei der Geburt. Sie war kurz davor aufzugeben, als die Heilerin ihr gut zusprach. Sie sah der Alten direkt in die Augen und konnte darin jenes seltsame Licht erkennen, das sie schon damals in ihrem Traum eingehüllt hatte. Von diesem Licht ging eine unbeschreibliche Kraft aus, die Uma nun gänzlich erfüllte. Mit einem Mal erschien alles leichter. Kurze Zeit später wurde das Kind geboren. Zum großen Erstaunen der frischgebackenen Eltern, handelte es sich um ein kräftiges, kerngesundes Mädchen.

Beide waren sich sicher gewesen, dass sie einen Sohn bekommen würden, da doch solch hohe Erwartungen in dieses Kind gesetzt wurden. Erstaunt sahen sie einander an und wussten, dass der jeweils andere dasselbe dachte. Die Heilerin versorgte Mutter und Kind und legte die Kleine an Umas Brust. Als sie schließlich ging, sagte sie noch wie beiläufig: „In Nächten wie diesen sieht man, zu welch großen Taten das vermeintlich schwache Geschlecht doch fähig ist. Nicht wahr?“ Sie warf ihnen einen durchdringenden Blick zu und lächelte weise. Dann schloss sich die Tür hinter ihr und sie ließ ein glückliches Elternpaar zurück, dem einmal mehr die Worte fehlten. Ein Zufall?

Doch schon bald dachten sie nicht mehr darüber nach und richteten ihre ganze Aufmerksamkeit auf das rosige göttliche Wesen, das zwischen ihnen schlief.

Luka

Die Jahre vergingen und Laniki - die Hoffnung - wurde von allen im Dorf geliebt. Im Sturm eroberte sie jedes Herz. Mit ihren blonden Haaren und den großen blauen Augen, hatte sie etwas Engelsgleiches an sich. Nicht dass Niki, wie sie oft nur gerufen wurde, sich immer wie ein Engel benahm. Manchmal, wenn ihr die Jungen aus dem Dorf einen Streich gespielt hatten, fand man sie inmitten einer Rauferei. Doch das war alles nur ein Spaß, wie ihn Kinder sich gewöhnlich gönnen. Von Beginn an war ihr ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn anzumerken, der sie bald zum Fürsprecher der Schwachen werden ließ.

Als Laniki vier Jahre alt war, streifte sie mit ihrer Mutter durch den Wald, um ein paar Beeren zu suchen. Dabei machten sie eine abscheuliche Beobachtung. Ein Tross Soldaten führte eine Gruppe gefangener Tosmanen in ein Arbeitslager. Darunter waren auch Frauen und Kinder. Der Krieg war jetzt schon sehr nah an ihre kleine Oase herangerückt und es glich einmal mehr einem Wunder, dass ihr Dorf noch immer verschont wurde.

Sie sahen eine Frau, die ein etwa zweijähriges Kind auf dem Arm trug. Uma nahm Laniki instinktiv fester an die Hand. Der leere Blick der Frau blieb an dem Mädchen hängen. Laniki machte sich los und berührte sie. In die Augen der Gefangenen trat ein Hoffnungsschimmer. Als sich ihre Blicke trafen, empfand Laniki einen tiefen Schmerz, der jedoch nicht ihr eigener war. Es war nicht der Schmerz, den ein vierjähriges Kind empfand. Das Gefühl nahm ihr die Luft und ruckartig löste sie den Kontakt zu der Fremden wieder. Diese schaute sich nun ängstlich nach den Soldaten um und dann wieder flehend zwischen Laniki und ihrer Mutter hin und her.

„Bitte!“, flüsterte sie kaum hörbar.

Zunächst begriff Uma nicht, doch dann sah sie, wie die Frau ihr schlafendes Kind küsste und nach einem furchtsamen kontrollierenden Blick auf ihre Bewacher, in einem Gebüsch ablegte. Noch einmal drehte sie sich vorsichtig zu den beiden um. Als Uma ihr fast unmerklich zunickte, schaute sie wieder nach vorn und ließ sich mit den anderen Gefangenen weitertreiben.

Nie würden Mutter und Tochter den Anblick der todunglücklich weinenden Frau vergessen, der sie nachsahen, bis sie aus beider Blickfeld verschwunden war.

Als sie sicher sein konnten, dass niemand außer ihnen mehr in der Nähe war, liefen sie eilig zu dem Gebüsch und nahmen den schlafenden Jungen heraus.

Das Mädchen sah sich den Knaben genau an und schloss ihn so ins Herz, wie sie noch nie zuvor einen Menschen in ihr Herz geschlossen hatte. Sie fühlte sich sofort für den Kleinen verantwortlich.

„Wir werden ihn Luka nennen“, legte Laniki fest, ohne die Mutter nach ihrer Meinung zu fragen. Doch Uma hatte nichts dagegen einzuwenden und dachte nur darüber nach, wie sie das alles ihrem Mann beibringen sollte.

„Hör mir jetzt gut zu, Niki! Du darfst nie jemandem erzählen, wo und wie wir ihn gefunden haben. Man würde uns alle schwer bestrafen, wenn es ans Licht käme und er wäre des Todes!“

„Ich weiß, Mama. Es wird keinem etwas geschehen. Ich schwöre es dir!“

Da war es wieder. Was sie jetzt in ihrem Kind sah, machte Uma einmal mehr klar, dass sie kein gewöhnliches Mädchen vor sich hatte. Aus den blauen Kinderaugen strahlte die Weisheit einer Göttin.

„Schon gut, mein Kind! Schon gut! Ich glaube dir ...“

Wie durch ein Wunder schafften sie es, den Kleinen ungesehen in ihre Hütte zu bringen und konfrontierten den überraschten Bahan mit der neuen Situation. Der reagierte unerwartet gefasst und hatte sofort eine Idee, wie sie den Jungen bei sich aufnehmen konnten, ohne den Argwohn der Nachbarn zu erregen.

Ruhig wandte er sich an Uma. „Hör zu, ich werde jetzt, für alle sichtbar, eilig mein Pferd satteln und über Nacht fortbleiben. Ihr streut im Dorf das Gerücht, ich sei auf dem Weg zu einer kranken Base. In der Nacht bringst du mir dann den Kleinen auf die Lichtung hinter dem Erlenwäldchen. Achte darauf, dass dich dabei niemand sieht. Morgen gegen Abend werde ich mit dem Jungen zurückkehren und alle Glauben machen, dass meine Base mir die Vormundschaft für das Kind übertragen und dann das Zeitliche gesegnet hätte. Sie war natürlich Witwe - was uns in diesen Zeiten jeder glauben wird.“

„Danke!“, sagte Uma, wissend was sie da von ihrem Mann verlangte und drückte den Kleinen an sich. Bahan trat an sie heran und strich dem abgemagerten, teilnahmslos wirkenden Jungen über die Wange.

„Ich wäre enttäuscht von dir gewesen, wenn du anders gehandelt hättest. Wir werden ihn lieben, als wäre er unser eigener Sohn.“

Laniki beobachtete die Szene mit einem zufriedenen Kinderlächeln.

Zunächst untersuchten sie Luka auf alles, was ihn als Tosmanen verraten konnte. Uma bereitete einen Kräutersud zu, der ihn bald wieder fest schlafen ließ. Es könnte verheerende Folgen haben, wenn er zu weinen beginnen und damit die Aufmerksamkeit der Nachbarn auf sich ziehen würde. Dann machte sich Bahan, wie besprochen, mit gespielter Eile auf den Weg.

Als es dunkel war, verließ auch Uma das Haus. Den regungslos schlummernden Jungen trug sie versteckt unter ihrem Umhang. Möglichst lautlos schlich sie die schmale Dorfstraße entlang. Sie kam an einigen Hütten vorbei, deren Fenster im Dunkeln lagen. Alles schien schon zu schlafen.

„Uma, so spät noch unterwegs?“

Unerwartet wie ein Peitschenhieb traf sie die Stimme eines Nachbarn. Sie zwang sich zur Ruhe und zog den Umhang fester zusammen. „Guten Abend, Janto! Ich muss nur noch etwas frische Luft schnappen“, antwortete sie schnell.

„So ganz allein? Zu dieser Stunde?“, fragte er ein wenig erstaunt.

„Ich kann nicht schlafen und hoffe so die nötige Müdigkeit zu erlangen.“

Er musterte sie aufmerksam und Uma betete, dass der Kleine sich nicht rühren möge und die Dunkelheit ihnen Schutz bot.

„Du hast doch sicher von der Aufregung um Bahans Base gehört. Es geht ihr sehr schlecht. Sie hat ein kleines Kind und ihr Mann ist kürzlich bei der großen Schlacht am Ratisee gefallen. Wenn sie nicht wieder gesund wird, dann bleiben nur wir, um uns ihres Kindes anzunehmen. Wir wollen ihr diesen Wunsch natürlich von Herzen gern erfüllen, aber das brächte auch einige Veränderungen und Einschränkungen mit sich. Du kannst dir sicher denken, dass mich das alles sehr beunruhigt. Aber egal wie, wir müssen ihr helfen.“

Er nickte. „Ja, ich habe schon von Bahans plötzlichem Aufbruch gehört.“

Das wunderte Uma nicht, denn jede Abweichung vom normalen Dorfalltag machte üblicherweise sofort die Runde. „Also ich werde dann mal gehen. Gute Nacht, Janto!“

Damit machte sie rasch kehrt und eilte davon, bevor ihr der Nachbar eine neue Frage stellen konnte.

Wie vereinbart traf sie Bahan auf der Lichtung.

„Hat dich jemand gesehen?“, fragte er nervös.

„Es war nur Janto. Keine Angst, ihm ist Dank der Dunkelheit nichts aufgefallen. Aber ich muss mich beeilen, denn er denkt, ich mache nur einen kleinen Spaziergang.“

Jetzt erst bemerkte Bahan, wie sehr sie außer Puste geraten war. „Oh nein! Du bist die ganze Strecke hierher gerannt? Mit dem Kleinen auf dem Arm?“ Eilig nahm er ihr den Jungen ab.

„Was blieb mir anderes übrig? Ich kehre jetzt auch sofort zurück. Denkst du, dass du mit dem Jungen allein klarkommst bis morgen früh?“, fragte Uma besorgt und zog noch das Fläschchen mit dem Kräutersud und eines mit etwas Milch aus ihrem Umhang hervor.

„Natürlich!“, antwortete Bahan und wirkte wesentlich sicherer, als er sich fühlte.

Sie war schon ein paar Schritte gegangen, als sie plötzlich noch einmal stehen blieb und sich zu ihm umdrehte. „Schmied Bahan - ich liebe dich von ganzem Herzen!“, sagte sie gerade laut genug, dass er es hören konnte.

Mit einem sinnenden Lächeln schaute er noch lange auf die Stelle, an der sie aus seinem Blick verschwunden war. Dann setzte er sich unter einen Baum und lehnte sich gegen dessen dicken Stamm. Das schlafende Kind lag in seinem Arm. Mit der Überzeugung, das Richtige zu tun, schloss er die Augen und dämmerte in einen leichten Schlaf.

Uma gelangte zur Hütte zurück, ohne jemandem zu begegnen. Erschöpft ließ sie sich auf einen Stuhl fallen und rieb ihren schmerzenden Knöchel. Kurz bevor sie aus dem Wald herausgekommen war, war sie ausgerutscht und hatte sich den Fuß vertreten.

„Tut dir etwas weh, Mama?“, fragte Laniki aus ihrem Bettchen.

„Es ist alles gut, Kleines. Ich bin nur umgeknickt. Schlaf ruhig weiter!“

Doch Laniki stand schon neben ihr. „Lass mich mal sehen.“ Sie strich mit den Fingerspitzen über das bereits anschwellende Gelenk. „Arme Mama“, flüsterte das Mädchen mit jener anrührenden Besorgnis, die Kindern so eigen ist. Die Berührung löste ein angenehmes Kribbeln in Uma aus und plötzlich ließ der Schmerz nach. Laniki schien das Besondere daran allerdings nicht bewusst zu sein. Sie gab der Mutter noch einen feuchten Kuss und ging zurück ins Bett.

Ein sorgenvolles Lächeln lag auf Umas Gesicht, wie jedes Mal, wenn ihr die Zeichen der verschwundenen Gottheit durch ihre Tochter offenbart wurden.

Am folgenden Nachmittag kehrte Bahan mit Luka zurück. Neugierig traten die Nachbarn an die Ankömmlinge heran. Wie erwartet hatte die Geschichte von der schwerkranken Base schon die Runde gemacht. Schließlich drückte man dem Schmied allgemeines Beileid aus und tätschelte dem verängstigten Kind den Kopf.

„Mein Gott, die Hälfte von ihnen hätte den Jungen wahrscheinlich zum Teufel gewünscht, wenn sie auch nur geahnt hätten, wo er herkommt“, meinte Bahan später verbittert, während er sich die Stiefel auszog.

Uma trat hinter ihn und massierte seinen verspannten Nacken. „Das wird, der Göttin sei Dank, hoffentlich bald ein Ende haben“, antwortete sie mit einem Blick auf Laniki.

Bahan wusste sofort, was sie meinte und tätschelte ihr nachdenklich die Hand.

Ihre Tochter war gerade dabei, den weinenden Jungen zu beruhigen und brauchte dazu nicht lange. Schon kurz nachdem er ihr in die Augen geblickt hatte, begann er selig zu lächeln und brabbelte leise vor sich hin.

„Ich bin jetzt deine Schwester und ich werde dich immer beschützen“, teilte sie ihm nun feierlich mit. Sie konnte in ihrer kindlichen Unschuld nicht wissen, dass sie ihm wahrscheinlich nicht zum letzten Mal das Leben gerettet hatte.

Von nun an verbrachten die neuen Geschwister viel Zeit miteinander und bald lief der Kleine Laniki überallhin nach. Ihr war das nur recht, denn mit Luka an ihrer Seite fühlte sie sich erst wie ein vollständiger Mensch. Wann immer ihm ein Unrecht geschah, stellte sie sich schützend vor ihn und bald wussten alle: Wer sich mit Luka anlegte, bekam es auch mit Laniki zu tun.

Mit der Zeit wurde allerdings die Situation im Land immer schwieriger. Mittlerweile mussten sich alle Jungen, die das fünfzehnte Lebensjahr vollendet hatten, in der Heeresschule vorstellen und einem Auswahlverfahren unterziehen. Diejenigen, bei denen man besonderes kämpferisches Potenzial sah, erhielten eine zweijährige Ausbildung und sie wurden zu künftigen Feldherren herangezüchtet. Die anderen bekamen in wenigen Monaten alles beigebracht, was ein einfacher Kämpfer können musste und durften zunächst nach Hause zurückkehren, um dort weiter ihren zivilen Pflichten nachzugehen. Inzwischen herrschte überall Mangel an männlichen Arbeitskräften. Darum warteten sie zu Hause auf den Befehl, für eine der nächsten Schlachten einberufen zu werden. Immer öfter hörte man davon, dass der Feind weit ins Land vorgestoßen sei, doch nach mehreren Wochen erbitterten Kampfes konnte man ihn wieder zurückdrängen. So ging es schon von Anfang an, als läge auch hierin ein zusätzlicher Fluch über den verfeindeten Reichen. Manchmal wünschten sich die Menschen insgeheim beinahe, dass der Feind doch endlich siegen sollte, nur damit das Kämpfen endlich ein Ende hätte. Doch dann wurden ihnen die Gräueltaten des Gegners vor Augen gehalten und mit dem dadurch entstehenden Hass kochte wieder neuer Kampfeswille auf - ganz im Sinne ihres Königs.

Mit jedem Monat wurde der männliche Teil der Dorfbewohner kleiner. Bahan konnte sich vor einem Eintritt ins königliche Heer nur schützen, indem er eine List einsetzte.

Eines Tages kamen die Häscher des Königs ins Dorf, um jeden kampffähigen Mann für die nächste Schlacht anzufordern. Auch Bahan wurde angesprochen. Geistesgegenwärtig wie immer, hatte der kluge Mann schnell einen Plan gefasst.

„Tut mir leid“, sagte er entschuldigend, „vom Kämpfen verstehe ich leider nichts. Ich bin nur ein einfacher Schmied. Aber wenn ich euch mit meiner Kunst dienen kann, dann will ich das gern tun.“

Wortlos überreichte er ihnen ein Schwert, welches er einst für den Fall geschmiedet hatte, dass er seine Familie verteidigen müsse. Es war von außergewöhnlich hoher Qualität, was den Männern von König Saul sofort ins Auge fiel. Sie betrachteten es ausgiebig und unterzogen es sogleich einem Test. Es bestand mit Bravour. Sie nahmen es an sich und schon zwei Wochen später erhielt Bahan den ersten Auftrag. Bald hatte er sich einen guten Namen als Waffenschmied gemacht und stöhnte unter einem Berg von Arbeit.

Laniki wuchs zu einem schönen jungen Mädchen heran und machte ihren Eltern nur Freude. Fast vergaßen sie, dass auf ihr geliebtes Kind eine große Aufgabe wartete, und hofften im Stillen darauf, dass die Friedensgöttin es ihnen gleichtun würde.

Doch der Tag kam, als Era Uma erneut im Traum erschien. Erneut fand sie sich in dem hellen Licht der großen Halle wieder. Die Göttin blickte auf sie herab und begann zu sprechen: „Die Zeit ist gekommen, Laniki ihrer Bestimmung zuzuführen. Zur Sommersonnenwende im nächsten Monat bringt ihr sie um Mitternacht an den Altar, den ihr zu meinen Ehren errichtet habt. Dort wird euch meine treue Dienerin Tana erwarten und das Mädchen in ihre Obhut nehmen. Sie wird Laniki alles lehren, was sie für ihre Aufgabe wissen muss.“

Uma war entsetzt. Sie hatte immer gewusst, dass der Tag kommen würde, aber jetzt, wo es so weit war, brachte sie die Angst vor der Trennung beinahe um den Verstand.

„Wann werden wir sie wiedersehen?“, fragte sie matt.

„In ein paar Jahren, wenn sie so weit ist, wird sie zu euch zurückkehren und auf den Zeitpunkt warten, an dem sie den Ruf hört.“

„Aber ...“, wollte Uma noch einwenden, doch Era fiel ihr ins Wort.

„Du hast es von Anfang an gewusst. Füge dich und habe keine Angst! Es wird ihr gut gehen.“

Bevor sie die Augen aufschlug, hörte Uma noch Eras ermahnende Stimme: „Seid zum vereinbarten Zeitpunkt vor Ort!“

Mit Tränen in den Augen und zitternden Händen, weckte sie ihren Mann.

„Es ist so weit, wir werden Laniki verlieren!“, keuchte sie ihm aufgeregt entgegen.

Er nahm seine schluchzende Frau in den Arm. „Beruhige dich! Was ist denn geschehen?“, fragte Bahan. Uma erzählte ihm alles und dann saßen sie eine Weile schweigend nebeneinander auf ihrer Bettstatt.

„Liebste, wir haben es immer gewusst. Sie ist nicht nur ein Geschenk für uns, sondern auch die Hoffnung für so viele Menschen. Wir hatten nur das Privileg, sie bis hierher zu begleiten. Lass sie gehen und alles wird ein gutes Ende nehmen. Ich fühle es in meinem Herzen.“

Sie antwortete nur mit einem schwachen Nicken, das von einem tiefen Schluchzen begleitet wurde. „Aber sie ist doch fast noch ein Kind!“

„Sie ist fünfzehn! Man muss und wird sie auf ihre Aufgabe vorbereiten. Und dies hier ist wohl eine der größten Herausforderungen, denen sich ein Mensch je stellen musste.“

Den Rest der Nacht lagen sie wach und überlegten, wie sie es Laniki am besten beibringen sollten.

Sie entschieden sich für den direkten Weg.

Eines Abends bat Uma das Mädchen, mit ihr gemeinsam Eras Altar aufzusuchen, um dieser ein paar Blumen zu bringen. Als sie vor dem Stein knieten, begann sie mit ihrer Geschichte. Sie wiederholte für Laniki zunächst die bruchstückhafte Überlieferung der Prophezeiung. Dann erzählte sie ihr von dem lange unerfüllten Kinderwunsch und der Nacht, als ihr Era das erste Mal erschienen war. Langsam und voller Ehrfurcht begriff das Mädchen das wahre Ausmaß von dem, was ihre Mutter ihr zu sagen versuchte.

Als Uma alles offenbart hatte, was sie wusste, blieben sie schweigend nebeneinander hocken.

„Ich soll das Kind aus der Prophezeiung sein? Aber das ist doch nicht möglich?“, unterbrach Laniki nach einer Weile die Stille.

Die Mutter griff nach ihrer Hand. „Doch, das ist es! Und wenn du darüber nachdenkst, erkennst du auch die Zeichen dafür. Ist dir nie aufgefallen, dass du es oft geschafft hast Schmerzen zu lindern oder Streit zu schlichten, ohne dass du etwas Besonderes dafür getan hast? Und Luka? Du hast - wie auch immer - seiner Mutter damals die Gewissheit gegeben, dass es ihm bei uns gut gehen würde. Ich bin mir sicher, dass die Göttin auch dabei ihre Hand im Spiel hatte.“

Laniki erinnerte sich zurück. Nie hatte sie dieses verzweifelte Gefühl vergessen, das sie befiel, als sie der Fremden damals in die Augen sah. Mit ihren vier Jahren konnte sie es noch nicht deuten. Jetzt war sie fünfzehn, fast schon eine Frau, und wusste, dass sie in diesem Moment das Leid einer Mutter gefühlt hatte. Nein! Es war das Leid dieser Mutter, dieser fremden, gefangenen Frau, welches sie gespürt hatte. Es war eine Art Magie gewesen, die sie beide in diesem Moment verband. Sie hatten einander in die Herzen gesehen. Ein Vorzeichen Eras? Ihre Gedanken kreisten in der Vergangenheit und Laniki stieß auf immer mehr merkwürdige Ereignisse, die sie erlebt, aber Dank ihrer kindlichen Naivität nie überdacht hatte. Sie bekam furchtbare Angst, als ihr die Größe und das Gewicht des ihr auferlegten Schicksals bewusst wurde. Doch dann legte sich die Angst wieder und eine angenehme Wärme in ihrem Inneren verschaffte ihr die Erkenntnis, dass sie nicht allein war. Sie hörte tief in sich hinein und nahm die Gegenwart von etwas wahr, das sie nicht beschreiben konnte.

„Era ist hier! Ich kann ihre Nähe spüren“, flüsterte sie ihrer Mutter zu. Sie gab sich noch eine Weile diesem seltsam angenehmen Gefühl hin und sammelte Kraft daraus.

Entschlossen stand das Mädchen auf. „Ich werde es versuchen, Mutter. Es hat keinen Zweck sich dagegen zu wehren, da es mir sowieso vorbestimmt ist.“ Sie hielt Uma die Hände entgegen und half ihr beim Aufstehen.

Langsam gingen sie zum Dorf zurück. Laniki musste an Luka denken. Er war auf sie geprägt und suchte noch immer ihre Nähe, wann immer es ging. Er war inzwischen zwölf und würde in nicht allzu langer Zeit seinen dreizehnten Geburtstag feiern. Laniki war nicht viel älter als er, aber er sah zu ihr auf. Sie hatte immer versucht, ihn von den Gesprächen der anderen Jungen fernzuhalten, die schon früh begannen, ihren Hass gegen Tosman zu entwickeln. Sie drangen früher oder später alle darauf, in Sauls Heer einzutreten und so viele Gegner zu töten, wie ihnen nur möglich war. Es fiel ihr immer schwerer Luka davon zu überzeugen, dass es sich bei den gegnerischen Kriegern auch nur um Menschen handelte, wie sie es selbst waren. Immer öfter kamen auch über seine Lippen die üblichen Hasstiraden gegen die Bewohner Tosmans. Er konnte ja nicht ahnen, dass er selbst einer von ihnen war. Sie hatten es auch ihm gegenüber bei der Geschichte mit Bahans toter Base belassen. Nun redete er ständig davon, es seinem gefallenen Vater gleichzutun und später ebenfalls ins königliche Heer einzutreten, um dessen Tod zu rächen.

Was würde nur aus ihm werden, wenn sie ihn alleinließ.

Besorgt schaute sie ihre Mutter an. „Luka! Er wird leiden, wenn ich gehe. Können wir es ihm erklären? Er braucht mich doch. Er wird denken, dass ich ihn im Stich lasse.“

„Wir können ihm nicht die Wahrheit sagen. Noch nicht. Aber er wird es überstehen, denn wir sind für ihn da.“

Laniki hatte ihre Zweifel, doch sie musste Vertrauen haben. Als sie die Hütte betraten, stand Bahan mit fragendem Gesicht an der Feuerstelle. Als Uma ihm zunickte, kam er ihnen entgegen und nahm seine Tochter wortlos in die Arme.

Tana

Die Wochen vergingen wie im Fluge und der Tag des Abschieds kam. Sie hatten Luka und allen anderen erzählt, dass sich Laniki, weit ab von zu Hause, um eine Stelle als Magd beworben habe, bei der sie sehr gut entlohnt würde. Schon einige junge Mädchen waren diesen Weg tatsächlich gegangen. Der Krieg machte die Menschen arm. Da es immer weniger heiratsfähige Burschen im Umkreis gab, die für die Zukunft der jungen Frauen gesorgt hätten, waren die Eltern gezwungen, ihren Töchtern Arbeit zu suchen. Dies nicht zuletzt in der Hoffnung, dass es in der Ferne noch potenzielle Ehegatten zu finden gab. In der Heimat blieb den Mädchen nur die Möglichkeit, die schwere Arbeit der fehlenden Männer zu übernehmen und wahrscheinlich irgendwann als alte Jungfer zu sterben.

Luka hatte heftig protestiert. Auch jetzt, als Laniki mit ihrem Bündel bereitstand, um von ihm Abschied zu nehmen, hing er an ihrem Arm. Er bat, sie möge ihn doch mitnehmen oder dableiben. Er hatte große Mühe seine Tränen zurückzuhalten, war aber auch zu stolz dazu, ihnen einfach freien Lauf zu lassen.

Liebevoll erwiderte sie seine Umarmung. „Vater und Mutter brauchen dich hier! Du wirst doch ein guter Sohn sein und sie in allem unterstützen?“

Er versicherte es ihr mit einem heftigen Kopfnicken.

„Ich verspreche dir, wenn ich zurückkomme, werden wir uns nie wieder trennen müssen.“

Im Gegensatz zu Luka hielt Laniki ihre Tränen nicht zurück. Bald brannten ihre Augen ebenso schmerzhaft wie ihr Herz. „Ich muss jetzt gehen“, sagte sie leise und schob ihn sanft, aber bestimmt von sich. Dann nahm sie ihr Bündel auf, verabschiedete sich vom Vater und folgte ihrer Mutter zur Tür hinaus.

Es war ungewöhnlich still, als sie durch den nächtlichen Wald liefen. Nur das gelegentliche Knacken eines zertretenen Zweiges und das Geräusch ihres eigenen Atems durchbrach die gespenstische Ruhe.

Als sie an Eras Altar ankamen, wurden sie sich einer Gestalt in ihrer Nähe bewusst.

„Ihr seid pünktlich. Das ist gut“, sagte eine Frauenstimme.

Uma durchfuhr die Erkenntnis wie ein Blitz. Sie kannte diese Frau. Es war die Heilerin, die ihr bei Lanikis Geburt zur Seite gestanden hatte. Als sie ihr Gesicht sah, stellte sie fest, dass sich die Frau in den vergangenen fünfzehn Jahren nicht im Geringsten verändert zu haben schien. Sie sah eher um etliche Jahre jünger aus.

„Du?“, entfuhr es Uma.

„Ja ich! Mein Name ist Tana. Ich diene Era schon seit einer Ewigkeit und das meine ich wörtlich. Glaubst du, die Göttin hätte die Geburt der Auserwählten dem Zufall überlassen?“

Mit einem freundlichen Lächeln wandte sie sich jetzt Laniki zu. „Du hast dich prächtig entwickelt, mein Kind! Hab keine Angst, ich werde dir eine gute Lehrerin sein!“

Aber Laniki hatte keine Angst. Ein Gefühl der tiefen Vertrautheit verband sie sofort mit Tana. Entschlossen, den Abschied so kurz wie möglich zu machen, drehte sie sich zu ihrer Mutter herum und gab ihr einen Kuss auf jede Wange.

„Achtet auf Luka!“, bat sie noch einmal. Dann ging sie zu Tana hinüber. Diese nahm ihre Hand, nickte Uma zuversichtlich zu und zog das Mädchen sanft mit sich fort.

Mit dem Gefühl, ihr Herz würde brechen, schaute die Mutter ihnen nach und begab sich bekümmert auf den Rückweg.