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Manchmal wartet das Glück an den unwahrscheinlichsten Orten Über Geheimnisse, zweite Chancen und das Finden von Freundschaft an den unwahrscheinlichsten Orten Jo führt ein überschaubares Leben. Nach der Uni ist sie eine Weile herumgereist, nichts Aufregendes, dann hat sie die Stelle in der Bank angenommen und sich um deren Datenbanken gekümmert. Sie hat damit gerechnet, ihren langjährigen Freund zu heiraten und eine durchschnittliche Anzahl an Kindern zu bekommen. Doch dann kommt alles anders. Ihr Freund lässt sie sitzen, und Jo flüchtet nach London, wo sie den Schreibwarenladen ihres pflegebedürftigen Onkels Wilbur übernimmt. Das Sortiment ist aus der Zeit gefallen – Füller, Tinte, Briefbögen. Die Geschäfte laufen mehr schlecht als recht. Doch die wunderlichen Menschen, die hier ein und aus gehen, wachsen Jo rasch ans Herz. Sie alle haben ihr Päckchen zu tragen – und sind doch nicht bereit, sich unterkriegen zu lassen. Kann auch Jo ihrem Leben noch einmal eine neue Richtung geben? Der neue herzergreifende Roman von der Autorin des Überraschungsbestsellers »Das Glück der Geschichtensammlerin« »Voller Mitgefühl und Einsicht ... eine wahre Ode an die Freundschaft.« Hazel Prior »Meisterhaft erzählt.« Celia Anderson
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Seitenzahl: 501
Jo führt ein überschaubares Leben. Nach der Uni ist sie eine Weile herumgereist, nichts Aufregendes, dann hat sie die Stelle in der Bank angenommen und sich um deren Datenbanken gekümmert. Sie hat damit gerechnet, ihren langjährigen Freund zu heiraten und eine durchschnittliche Anzahl an Kindern zu bekommen. Doch dann kommt alles anders.
Ihr Freund lässt sie sitzen, und Jo flüchtet nach London, wo sie den Schreibwarenladen ihres pflegebedürftigen Onkels Wilbur übernimmt. Das Sortiment ist aus der Zeit gefallen: Füller, Tinte, Briefbögen. Die Geschäfte laufen mehr schlecht als recht. Doch die wunderlichen Menschen, die hier ein und aus gehen, wachsen Jo rasch ans Herz.
Sie alle haben ihr Päckchen zu tragen; und sind doch nicht bereit, sich unterkriegen zu lassen. Kann auch Jo ihrem Leben noch einmal eine neue Richtung geben?
Von Sally Page ist bei dtv außerdem erschienen:
Das Glück der Geschichtensammlerin
Sally Page
Roman
Aus dem Englischen von Yola Schmitz
Für Reverend Anne Heywood
Immer eine Inspiration
Manchmal braucht es nur einen Wimpernschlag, um eine Entscheidung zu treffen.
Vielleicht erscheint es gar nicht wie eine bewusste Entscheidung. Eher wie der Wunsch, sich mehr Unglück zu ersparen. Es ist der letzte Anstoß, etwas zu verändern. Das Zimmer bleibt davon unberührt. Ein stiller Zeuge. Aber loyal der Frau gegenüber, die den Raum gerade verlassen hat. Der nach hinten gerückte Küchenstuhl hat nichts zu erzählen. Auf einem Teller liegen trotzig ein halb aufgegessenes Sandwich mit Cheddar (dem lange gereiften) und ein paar Essiggurken, die Weihnachten übrig geblieben waren (acht Monate alt, aber noch genießbar).
Der Mann ruft nach ihr, und ohne eine Aufforderung abzuwarten, tritt er durch die Tür vom Flur in die Küche. Warum sollte er auch warten? Schließlich hat er sich schon unaufgefordert Zutritt zum Haus verschafft.
Aufgebracht streift er durch die Küche, öffnet den Kühlschrank, blättert durch das Tagebuch auf dem Küchentisch.
Aber das Tagebuch gibt auch nichts preis. Es beinhaltet Termine für Gemeindetreffen, Chorproben und einen geplanten Besuch der hiesigen Gärten in Begleitung der Kaplanin. Es ist Ausdruck eines scheinbar unbescholtenen Lebens. Vielleicht verrät die Handschrift etwas? Sie ist ordentlich, präzise und deutlich, abgesehen von den S, die den Eindruck machen, als wollten sie der Geradlinigkeit der Zeilen entfliehen.
Ihm gegenüber steht die Tür zum Garten erstaunlicherweise halb offen (sonst braucht es dafür einen Türstopper). Wie der Rest des Raumes scheint sie im Stillstand, beinahe erwartungsvoll.
Dann, ganz langsam, setzt sie sich in Bewegung und fällt geräuschlos ins Schloss.
Neunzig Meilen entfernt, in einer Gasse im Norden Londons, wird eine andere Tür geöffnet. Von einer anderen Frau mit einem anderen Leben. Die Post auf dem Boden wird zur Seite geschoben, und das kaputte Glöckchen über der Tür klingelt ein leises Willkommen. Als Erstes weht ein einsames Blatt über die Schwelle. Wie eine gelbe Erinnerung, die der Wind Ende August vor sich hertreibt – zwar voller Wärme, aber doch ein deutlicher Vorbote des Herbsts. Die Frau beobachtet, wie das Blatt weiter ins ruhige Innere des dunklen Ladens tanzt. Früher war der Herbst für sie eine Zeit der Neuanfänge, die in ihrer Kindheit von der Vorfreude auf neue Schuhe, Buntstifte und Federmäppchen begleitet wurde.
Aber jetzt kann sie nur an all das denken, wovon sie sich verabschieden muss.
Jo hebt die Post vom Boden auf und sammelt dabei auch das Blatt ein. Es liegt in ihrer offenen Hand wie die roten Stimmungsfische, mit denen sie sich früher als Kinder die Zukunft vorhergesagt haben. Das Blatt zittert kurz und bleibt dann liegen. Am liebsten würde sie es fragen, ob das bedeuten soll, dass sie eines Tages ihr Glück finden wird. Sie will, dass ihr das gelbe Stimmungsfischblatt verrät, ob James auch manchmal an sie denkt. Während all der endlosen Minuten, die sich zu Stunden ausdehnen, hofft sie, dass er sich gelegentlich auch nach ihr sehnt und ihre Verbindung noch nicht ganz gekappt ist. Eine Hoffnung, an der sie sich festhalten kann. Jo schließt die Finger vorsichtig um das zarte Blatt, schützt es in ihrer Hand, dann klemmt sie sich die Post unter den Arm und schiebt die Tür weiter auf.
Als sie über die Schwelle tritt, klappern die Räder ihres Koffers hinter ihr über die Fliesen im Eingangsbereich des Ladens ihres Onkels Wilbur. Der Laden Taylor’s Supplies ist nicht viel größer als ein lang gezogener Besenschrank. Zum Verkauf stehen Haushaltswaren und Schreibwaren. Das hier war zweiundfünfzig Jahre lang das Geschäft und das Zuhause ihres Onkels.
Alles sieht noch genauso aus, wie Jo es in Erinnerung hat. Vom Eingang führt ein schmaler Gang ins Hintere des Ladens. Am Ende befinden sich links hinter einer Tür eine kleine Küche und eine Toilette. Von dort führt eine Treppe in die Wohnung über dem Laden. Ein zweiter schmaler Gang führt zurück zu Jo. Abgesehen von einem Bereich im vorderen Teil, in dem ein Verkaufstresen mit Vitrine im rechten Winkel zum Schaufenster steht, macht der Laden von Jos Onkel nicht viel her. Diese altmodische Eichentheke, in der früher einmal Handschuhe und Taschentücher ausgelegt wurden (so stellt Jo sich das zumindest vor), zeigt nun in der Vitrine eine Reihe von Füllern, und in den Schubladen darunter befinden sich die großen Papierbögen, die ihr Onkel Wilbur verkauft.
Ein Platz für alles, und alles an seinem Platz.
Jo kann die Worte ihres Onkels förmlich hören. Und als sie sich so im Laden umsieht, stellt sie fest, dass er seinem Motto treu geblieben ist. Die Regale sind vielleicht etwas spärlicher bestückt als in früheren Jahren, aber alles ist ordentlich, und alles ist an seinem Platz.
Bis auf ihren Onkel, denkt sie, der ist meilenweit entfernt von hier.
Und von ihr.
Jo sieht zur Wand hinter der Theke. Dort hängen, durch einen Faden zusammengehalten, an einem Haken braune Papiertüten. Diese Tüten halten auf magische Weise alle Waren, die bei ihrem Onkel Wilbur zum Verkauf stehen. Von ein paar Schrauben und Nägeln (dann wird die Tüte oben zusammengefaltet) bis hin zu Sägeblättern aus Metall mit glänzenden Zähnen.
Und hier in ihrem Versteck hinter der Theke hat Jo als Kind immer Postamt gespielt. (Ein Platz für alles, und alles an seinem Platz.) Ihr Onkel stand hinter der Theke und schützte sie so vor den Blicken der Kunden. Er wusste außerdem, dass eine geschäftige Postbeamtin einen regen Bedarf an Schreibwaren hat. Als kleines Mädchen war es eine ihrer größten Freuden, wenn ihr Onkel sie zu sich bat und ihr eine der braunen Tüten mit unbekanntem Inhalt überreichte. Darin konnte ein Notizbuch sein, dem das Deckblatt fehlte, oder ein Quittungsblock, bei dem ein Kratzer auf dem Durchschlagpapier war. Onkel Wilbur (aber vor allem Mrs Watson-Toft, seine Buchhalterin mit den Argusaugen) hatte gesagt, dass er nur beschädigte Waren verschenken durfte. Aber als Jo älter wurde, vermutete sie, dass ihr Onkel Wilbur, wenn ihm auffiel, dass sie sehnsüchtig die neu eingetroffenen Quittungsblöcke betrachtete, mit voller Absicht seinen breiten Daumennagel über das Durchschlagpapier kratzte.
Jo sieht sich um und bemerkt einen quadratischen Kalender an einer Pinnwand hinter dem Tresen. Abgesehen davon ist dort nichts angebracht. Mittlerweile ist es August, aber der Kalender zeigt immer noch den Juli. Kurz fragt sie sich, wofür Onkel Wilbur die Pinnwand wohl genutzt hat. Sie kann sich nämlich nicht daran erinnern, dass sie schon bei ihren Besuchen als Kind im Laden dort gehangen hätte.
Sie legt die Post und das Blatt auf die Theke, dann macht Jo sich mit ihrem Koffer auf den Weg in den hinteren Teil des Ladens und steigt die Stufen hinauf. Vom Treppenabsatz führt eine Tür in einen schmalen Flur. Eine niedrige Bank steht unter einer Reihe von Garderobenhaken, wo der dunkelgraue Wintermantel ihres Onkels immer noch hängt.
Neben dem Flur liegt das Badezimmer. Es ist zwar uralt, aber immer noch strahlend weiß. Beheizt wird der Raum mit einem kleinen, nutzlosen Heizlüfter. Sie freut sich gar nicht darauf, hier zu baden. Sie kann sich noch gut erinnern, dass, auch wenn die Wanne voll mit heißem Wasser ist, der Wannenrand eiskalt bleibt.
Dann kommt man in ein Wohnzimmer, und dahinter liegt die Küche. Beide Räume haben hohe Fenster, die auf die kleine Gasse schauen. Gegenüber vom ersten Fenster führen zwei Türen zu den Schlafzimmern. Jo zögert einen Moment und weiß nicht, ob sie das Zimmer ihres Onkels beziehen soll oder doch lieber das Gästezimmer, in dem sie als Kind übernachtet hat, wenn sie im Sommer ein paar Wochen zu Besuch kam. Schließlich öffnet sie die Tür zum kleinen Gästezimmer und beginnt, ihren Koffer auszupacken. Sie wirft die meisten Kleidungsstücke auf einen Stuhl. Das, wonach sie sucht, ist ganz unten in ihrem Gepäck.
Sie holt ein paar dunkelblaue Jeanslatzhosen hervor. Der Stoff ist steif wie Pappkarton. Jo betrachtet die Hose und fragt sich, warum es ihr so wichtig war, sie einzupacken. Ihre beste Freundin Lucy hat sie bei ihr vergessen, als sie das letzte Mal bei ihr übernachtet hat. Das muss schon Monate her sein. Die Latzhose ist vintage, aus den Fünfzigern, mit weiten Beinen und hoch tailliert. Lucy liebt Vintage-Klamotten. Schon als Teenagerin und auch heute noch als achtunddreißigjährige Frau trägt sie die geerbten Kleidungsstücke ihrer Großmütter. Jo betrachtet ihre Liebe zu Schreibwaren als ein Echo der Zuneigung ihrer Freundin zur Vergangenheit. Sie klammert sich an ihre Hingabe zu frisch gespitzten Stiften, denn so fühlt sie sich Lucy verbunden. Schon in der Grundschule waren die beiden perfekt aufeinander eingespielt. Jedes Jahr auf dem Sportfest hatten sie das Dreibeinrennen gewonnen.
Die Latzhose auf dem Schoß, sitzt Jo auf dem Bett. Und jetzt? Jetzt befürchtet sie, dass die beiden es nicht mehr schaffen würden, einen gemeinsamen Rhythmus zu finden, auch wenn man ihre Beine aneinanderschnürte. Noch nie hat sie sich so weit entfernt von ihrer besten Freundin gefühlt, und sie kann gar nicht genau sagen, warum. Sicher gibt es einiges, das dazu beigetragen hat, aber egal, wie oft sie alles hin und her rangiert, ihre Perspektive und die von Lucy, sie kommt einfach zu keiner wirklich befriedigenden Erkenntnis, warum sie sich so entfremdet haben. Sie schreiben sich nur noch selten. Und wenn sie es doch tun, dann stimmt etwas nicht, auch wenn Jo es nicht genau benennen kann. Sie ist sich sicher, sollten sie jetzt ein Dreibeinrennen laufen müssen, würden sie nicht als triumphale Gewinnerinnen hervorgehen, sondern beide auf der Nase landen.
Langsam richtet Jo ihren abwesenden Blick wieder auf die sorgsame Ordnung im kleinen Gästezimmer. Sie sollte wirklich ihre Sachen verstauen und in die Schubladen räumen. (Ein Platz für alles, und alles an seinem Platz.) Dafür braucht sie nicht lange. Keine zehn Minuten später hat sie all ihre Habseligkeiten weggeräumt und den leeren Koffer unters Bett geschoben.
Nur eines muss sie nicht auspacken oder wegräumen. Das geht nicht. Das kann sie nicht im hintersten Winkel einer Schublade verstecken. Auch wenn sie es noch so gerne täte.
Jo weiß, dass sie keine Wahl hat und ihr gebrochenes Herz überall mit sich herumtragen muss. Dafür hat James gesorgt, als er vor vier Monaten mit ihr Schluss gemacht hat.
Jo sitzt hinter dem alten Eichentresen und sieht hinauf zu dem schmalen Streifen Himmel, den sie sehen kann, wenn sie sich auf ihrem Hocker weit genug nach vorn neigt. Hier hat sie die letzten sechs Wochen verbracht, sich um den Laden gekümmert, den endlosen Strom der Fußgänger auf der Straße beobachtet und in dem schmalen Streifen Himmel nach einem Zeichen der Veränderung gesucht. Heute ist der Himmel grau, und die rote Backsteinwand auf der anderen Straßenseite ist nass vom Oktoberregen.
Egal, wie das Wetter ist, Jo findet ihren kleinen Streifen Himmel seltsam beruhigend. Sie weiß, dass sich der gleiche Himmel jenseits der kleinen Seitenstraße (deren Eingang zwischen einem Friseur und einem Café liegt) wie ein Baldachin über eine größere Welt ausbreitet: Highgate High Street, die breite Straße voller Läden und Restaurants. Sie bietet eine Mischung aus Verlockendem und Praktischem. Manchmal ist beides auch vereint. Wie in dem Laden, der mit alten Zeitungen ausgelegt ist und Messer mit Griffen aus Kirschholz und geschwungenen Klingen verkauft. Oder der Kurzwarenladen, an dessen Tür ein Kranz aus Herbstfrüchten hängt.
Jenseits der High Street, wenn sie den Hügel hinaufgehen würde, erstreckt sich Hampstead Heath. Dort reicht derselbe Himmel, den sie von ihrem Platz aus sehen kann, über eine Landschaft, die zu gleichen Teilen aus Park, Vergnügungspark und Wildnis besteht. Es tut gut zu wissen, dass es diese große Welt dort draußen gibt, aber sie ist auch froh, dass ihr Streifen Himmel Grenzen hat, von einer Mauer und einem Dachgiebel eingefasst wird. Ihrem Platz in dieser Stadt, in der sie, Jo, eine Fremde ist, Kontur gibt.
Sie hat versucht, sich vorzustellen, dass dieser Himmel sich wie ein Bettlaken oder ein Tischtuch über ihr altes Zuhause legt: das kleine Reihenhaus am Rand einer Ortschaft in Northumberland. Aber dort ist der Himmel anders. Weiter, größer und aufregender mit seinen wechselnden Stimmungen. Sie kann sich nicht vorstellen, von diesem Himmel ausschließlich einen schmalen Streifen ausmachen zu können.
Aber das musste sie auch nie. Sie konnte immer rausgehen, übers Moor laufen und hinaufsehen.
Heute, wie jeden Tag, trägt Jo Lucys Latzhose. Vintage ist eigentlich nicht Jos Stil (um genau zu sein, weiß sie nicht, was ihr Stil eigentlich ist), aber es scheint passend, hier in ihrem geliehenen Leben geliehene Klamotten zu tragen. Jeden Morgen greift Jo zu der Latzhose. Ihre Pullover darunter sind mal orange, mal gelb, mal grün, je nachdem, wie das Wetter, ihre Stimmung oder ihre Lust, Wäsche zu waschen, ist. Manchmal fühlt sie sich wie eine Ampel, fest und statisch, nur die Farben ändern sich, während das Leben langsam an ihr vorbeizieht. Die hohe Taille der Hose sitzt ihr direkt unterm Herzen, das sich nach ihrer Freundin sehnt.
Seit sie in London lebt, hat Jo schon öfter versucht, Lucy zu schreiben, aber ihr fehlen die Worte. Allerdings kommen ihr die Worte, die bei ihrem letzten Gespräch vor ihrem Weggang gesagt wurden, immer wieder in den Sinn. Sie wusste schon immer, dass Lucy James nicht leiden konnte, aber bis zu diesem Gespräch war ihr nicht klar gewesen, wie wenig. Jo wusste, dass die Vehemenz von Lucys Ausbruch daher rührte, ihre Freundin so verletzt zu sehen. Aber sie fragt sich, wie Lucy auf die Idee gekommen war, dass sie all das hören wollen würde, oder wie es dazu beitragen könnte, dass es ihr besser ging. Nicht, solange sie sich noch an das letzte bisschen Hoffnung klammerte. Davon hatte sie Lucy aber nichts gesagt. Doch jetzt fragt sich Jo, ob sie ihr das überhaupt hätte erzählen müssen. Lag nicht ein Teil von Lucys Wut genau darin begründet?
Und James? Jo verbringt die meiste Zeit damit, ihm nicht zu schreiben. Das fällt ihr nicht leicht. Sie hat schon viele Textnachrichten geschrieben und dann wieder gelöscht. Nur eine Sache hält sie davon ab, auf Senden zu drücken. Der Gedanke daran, dass James’ neue Freundin Nickyyy die Nachricht sieht und sie liest. Ohne das »yyy« in der letzten Silbe hochzuziehen, kann Jo nicht mehr an ihre ehemalige Kollegin denken. Sie hatten nur kurz zusammengearbeitet, aber Jo war ihre endlose Nörgelei und schlampige Arbeit schnell satt gewesen.
Jo sieht zu dem kleinen quadratischen Kalender, der immer noch das Einzige ist, was an der großen Pinnwand hinter ihr hängt. Am Ende eines jeden Tages streicht sie ein Kästchen im Kalender durch. Manchmal macht sie das sogar schon lange bevor der Tag vorbei ist, als wollte sie die Zeit vorantreiben.
Sechs Wochen später, und Onkel Wilbur ist immer noch in dem Pflegeheim, in dem er (nur vorübergehend) zur Reha untergebracht ist. Das Heim befindet sich in der Nähe ihrer Eltern, und Jos Mutter besucht ihren Bruder fast jeden Tag. Was als eine leichte Verwirrung angefangen hat (die Jos Mutter auf seinen Sturz zurückführte), hat sich inzwischen als etwas anderes entpuppt. Die Ärzte haben sie darüber informiert, was man alles gegen das Fortschreiten von Demenz tun konnte. Jos Mutter erzählt ihr, wie viel besser es Wilbur schon wieder gehen und dass er bald den Laden wieder übernehmen würde.
Ihr Vater telefoniert selten mit ihr. Er überlässt das alles lieber seiner redseligen Frau.
Aber falls er doch einmal als Erstes rangeht, sagte er leise zu Jo: »Gib ihr Zeit.«
Und das macht sie nun also.
Jo wendet ihre Aufmerksamkeit der einzigen Kundin im Laden zu. Es ist spät am Vormittag, und die Frau steht schon eine Weile vor dem Paketklebeband und dem Packpapier. Gerade will Jo sie fragen, ob sie ihr helfen kann, als eine weitere Kundin den Laden betritt.
Die erste Kundin ist sehr groß, die zweite klein und rund. Während die beiden sich im Laden umsehen, stellt sich die kleine Frau auf einmal vor die große, und die beiden sehen aus wie eine Schimäre. Jo muss grinsen.
Die große Frau geht weiter, und das Bild löst sich auf. Die Frau kommt zum Tresen.
Ein Zögern.
Jo sieht sie erwartungsvoll und, wie sie hofft, einladend an.
Die Frau sieht in die Vitrine und runzelt die Stirn.
»Heute schreibt doch niemand mehr mit einem Füller.«
Sie sagt das ohne jeden Dünkel. Sie will nicht unhöflich sein oder Jo unterstellen, sie sei dämlich, weil sie die noch verkauft. Sie scheint den Zusammenhang auch gar nicht hergestellt zu haben. Dass sie eine Kundin ist, die auf der einen Seite des verglasten Tresens steht, und dass Jo, die Verkäuferin, eine ganze Reihe von Federhaltern in ebenjenem Tresen zum Verkauf anbietet.
»Das liegt wohl daran, dass überhaupt keiner mehr schreibt, stimmt’s?« Die Frau sieht auf, wartet aber nicht auf eine Antwort. »Es ist eine verlorene Kunst.«
Jo hat das alles schon öfter durchgespielt. Gern würde sie sagen ich schon, ich schreibe noch mit dem Füller. Aber sie weiß, das wäre vergebene Liebesmüh.
Die große Frau vor ihr sieht sie irritiert an, als ob Jo hier fehl am Platz wäre (womit sie auch nicht ganz Unrecht hat, denkt Jo), dann fährt sie fort. »In der Schule lernen sie nicht einmal mehr richtig, mit der Hand zu schreiben.«
Jo fragt sich, was diese Frau wohl von Beruf macht. Sie ist schlank, ordentlich gekleidet und wirkt streng. Apothekerin vielleicht? Oder Zahnärztin?
»Wozu das alles, wenn man E-Mail und soziale Medien hat?«
Jo überlegt sich, was die Frau wohl davon halten würde, wenn sie bei ihr in der Praxis säße und sagen würde na ja, es muss schließlich etwas nicht mit Ihnen stimmen, wenn Sie den ganzen Tag im Mund anderer Leute herumfuhrwerken wollen. Aber so etwas würde sie nie sagen. Zumindest nicht zu einer Frau, die einen Bohrer in der Hand hält.
Jo sieht an der »Zahnärztin« vorbei zu der kleineren Frau in ihrem übergroßen Regenmantel, die geduldig darauf wartet, an die Reihe zu kommen, und nickt ihr freundlich zu. Die Frau hebt überraschend beide Brauen und verdreht die Augen, sodass Jo ein Lachen unterdrücken muss.
Die »Zahnärztin« gestikuliert in den Laden und wiederholt etwas abfällig: »Ich meine, wozu das alles?«
»Nun ja, ich denke …«, hebt Jo an.
Aber die Frau ist nicht in den Laden gekommen, um Jos Meinung zu hören.
»Es ist fürchterlich, wie die Dinge sich verändern«, kontempliert sie laut vor sich hin, als hätte sie selbst keinen Anteil daran.
Jo sieht wieder zu der anderen Kundin. Ihr Gesichtsausdruck ist vollkommen neutral. Das freundliche, offene Gesicht einer Frau mittleren Alters. Ihr mausgraues Haar steckt unter einem Regenhut. Dann blinzelt sie Jo plötzlich zu.
Die Geste ist so unauffällig, aber sie wärmt Jos Gemüt.
Und eine Frage drängt sich Jo auf: Kennt sie diese Frau irgendwoher?
»Wissen Kinder überhaupt noch, wie man einen Stift hält?«, fährt die »Zahnärztin« fort. Wieder ist es keine Frage, sondern eine Beschwerde, die sich irgendwie an Jo richtet.
Jo sammelt sich, zumindest innerlich. Gerne würde sie der Frau ein paar Fragen stellen. Haben Sie Kinder? Sehen die Sie Briefe schreiben? Oder auch nur eine Einkaufsliste? Aber sie weiß, das hätte keinen Zweck. Ihr ältester Bruder und seine Familie leben in einem Haus, in dem es (abgesehen von landwirtschaftlichen Katalogen und Bedienungsanleitungen für Traktoren) kaum Bücher gibt. Aber ihre Schwägerin beschwert sich oft, dass die Zwillinge nicht lesen wollen. »Sie haben überhaupt keine Lust zu lesen. Die haben einfach kein Interesse an Büchern.«
So wie jetzt auch bleibt sie auch da still.
»Kann ich Ihnen mit etwas helfen?«, fragt Jo schließlich höflich. Wieder sieht sie zu der Frau im Regenmantel, versucht, ihren Blick aufzufangen und herauszufinden, warum sie ihr so bekannt vorkommt. Aber die sieht nun aus dem Schaufenster auf die Gasse hinaus. Sie scheint meilenweit entfernt zu sein von dem kleinen Laden im Norden Londons. Entrückt von diesem regnerischen Oktobertag.
Jo beneidet sie ein wenig.
»Ich brauche nur etwas Klebeband.«
Jo gibt der Frau, wonach sie gefragt hat, die bezahlt, und Jo wünscht ihr einen schönen Tag. Sogar ihr selbst kommt ihre Stimme überfreundlich vor.
Die Frau sieht Jo scharf an, als ob sie nicht sicher ist, ob Jo das sarkastisch meint. Es scheint Jo, als ob die Frau sie dabei zum ersten Mal richtig ansieht. Sie muss, abgesehen von den Augen (das immerhin gesteht Jo sich zu), eine unscheinbare Person vor sich sehen. Eine Frau von fast vierzig Jahren in einer Latzhose und einem gelben Pullover.
Schnell wendet sich die »Zahnärztin« ab. Auf dem Weg zur Tür lässt sie die Hand über einen Stapel Umschläge und Briefpapier gleiten. Im Hinausgehen fügt sie dann noch hinzu: »Und Briefe schreibt heute ohnehin niemand mehr.«
Jo flüstert ihr hinterher: »Ich schon.«
Das muss sie weder der »Zahnärztin« noch sich selbst zuliebe laut sagen. Denn die hat natürlich recht. Schreiben könnte bald eine verlorene Kunst sein. Das stimmt. Jo schreibt vielleicht noch Listen, verschickt Postkarten, schreibt Briefe an ihre Mutter und ihren Onkel Wilbur. Ihr macht das Geräusch eines Füllers auf Papier womöglich noch Freude, aber sie wird die Veränderung nicht aufhalten können. Ihr mag es guttun, sich mit anderen Schreibwarenliebhabern über soziale Medien auszutauschen, aber sie ist keine Aktivistin und auch nicht naiv. Sie wird nicht zur Märtyrerin der Schreibwaren gegen das Unausweichliche werden. Und was würde sie überhaupt verteidigen? Das hier ist nicht einmal ihr Laden.
Nicht einmal ihr Leben. Dieser Gedanke schleicht sich ihr unverhohlen ins Bewusstsein.
Die Frau im Regenmantel tritt vor und streckt ihr das abgezählte Geld für die Briefumschläge entgegen, die sie in der Hand hält.
»Niemand glaubt mehr an Gott.«
Jo sieht sie verwirrt an.
Es entsteht eine kurze Pause, und die Frau lächelt Jo schelmisch an.
»Ich aber schon«, fügt sie dann hinzu.
Diese drei Worte hängen zwischen ihnen. Und dann, mit einem weiteren Lächeln, als ob die beiden gerade einen Scherz gemacht hätten, dreht sie sich um und verlässt den Laden.
Jo starrt ihr hinterher. Warum um Himmels willen hatte die Frau das gerade gesagt? Und warum hat Jo den Eindruck, sie schon einmal gesehen zu haben?
Jo hat nicht die leiseste Ahnung.
Eine Gestalt, die an ihrem Fenster vorbeigeht, zieht ihre Aufmerksamkeit auf sich. Der Mann ist zierlich gebaut. Er telefoniert. Es ist einer ihrer Nachbarn.
Der Laden ihres Onkels ist baugleich mit den beiden anderen Geschäften in der kleinen Seitenstraße. Der Laden ihres Onkels, eine unentschlossene Mischung aus Schreibwaren und Haushaltswaren, kommt als Erstes. Direkt daneben befindet sich ein Optiker, der von einem extrem geschäftig wirkenden Spanier namens Lando Landaidas betrieben wird. Der ist gerade an ihrem Fenster vorbeigelaufen. Lando war, ein paar Tage nachdem sie den Laden übernommen hatte, vorbeigekommen, um sich als Nachbar vorzustellen. Er ist ordentlich gekleidet, Ende dreißig, mit kurzen schwarzen Haaren und einem grauen Ziegenbart. Er hat einen Stöpsel und einen Anspitzer gekauft, obwohl es nicht den Eindruck machte, als würde er eines von beidem benötigen. Gerne hätte sie sich revanchiert, aber sie braucht keine Brille und will seine Zeit nicht verschwenden.
Neben dem Optiker ist ein Tätowierer, von dem Jo weiß, dass er Eric heißt. Aber das hat sie nur herausgefunden, weil sie einmal gehört hatte, wie jemand in der Gasse nach ihm rief. Eric winkt ihr immer nett zu, wenn er morgens am Laden vorbeikommt (meistens gegen halb elf), und grinst sie freundlich an. Es fällt ihr schwer, sein Alter zu schätzen. Ob er überhaupt schon dreißig ist? Im Spätsommer trug er kurze schwarze Hosen und orangefarbene Flipflops. Seine Waden zieren Halbmonde und Sterne. Jetzt, da es kälter ist, trägt er Jeans und kurze Fellstiefel, aber dank der kurzen Ärmel sieht sie immer noch eine Ansammlung komplizierter Symbole in schwarzer Tinte auf seinen Unterarmen. Eric hat einen kurzen Bart und unordentliches blondes Haar. Daher hat Jo ihm den Spitznamen Eric der Wikinger gegeben. Als er anfing, bei der Kälte Fellstiefel zu tragen, war Jo zufrieden, dass er seinem Spitznamen gerecht wurde. Sie haben bisher noch nicht miteinander geredet, aber er wirkt sehr nett.
Es wundert Jo, wie wenig Kontakt sie zueinander haben, obwohl alle drei doch so nah beieinander arbeiten. Vielleicht liegt es daran, dass alle drei durch ihre Schaufenster auf die Backsteinwand gegenüber blicken und sie so ihren Arbeitsalltag im wahrsten Sinne nebeneinanderher leben, völlig losgelöst voneinander. Außerdem vermutet sie, dass Lando und Eric der Wikinger sehr viel mehr zu tun haben als sie. Wenn man bedenkt, wie viele Leute an ihrem Fenster vorbeigehen, um zu deren Läden zu kommen, haben die beiden vermutlich wenig Zeit, um mit anderen ein Schwätzchen zu halten.
Ihr wird auch bewusst, dass es einem oft am schwersten fällt, neue Bekanntschaften zu machen, wenn man neue Freunde am dringendsten nötig hat. Die Ironie dabei ist ihr bewusst, aber die Erkenntnis bringt sie auch nicht dazu, ihre Nachbarn einfach mal zu besuchen. Sie muss an die Artikel denken, die sie irgendwann einmal gelesen hat, in denen es darum ging, wie man ein neues Leben / neue Freunde / neue Interessen findet. Immer noch lösen sie in ihr ein Gefühl der Unzulänglichkeit aus, obwohl sie jetzt erkennt, wie naiv diese Texte sind.
Ihre Überlegungen werden von einem Rumpeln an der Fensterscheibe unterbrochen. Eine junge Frau hat gerade ihren Kinderwagen gegen den niedrigen Fensterrahmen manövriert. Sie hebt entschuldigend die Hände und ruft »Verzeihung!« durchs Fenster.
Jo eilt nach draußen, um der jungen Frau zu versichern, dass nichts passiert ist. Der Kinderwagen ist nur leicht an den Fensterrahmen gestoßen.
»Verzeihung!«, wiederholt die junge Frau und stellt die Räder des Kinderwagens gerade, damit sie nicht noch einmal gegen das Schaufenster stößt. »Ich habe noch nicht viel Erfahrung«, erklärt sie lachend. »Leider bekommt man keine Fahrstunden, wenn man so ein Teil kauft.«
Jo sieht in den Kinderwagen zu dem Baby. Ein kleines, schlafendes Bündel, dem die Fahrkünste seiner Mutter völlig gleichgültig sind. Jo möchte sagen, wie reizend das Baby aussieht, aber das tut es nicht wirklich. Es ist klein und zerknautscht und rot im Gesicht. Trotzdem breitet sich in Jo ein Gefühl aus, das sie als Neid erkennt. Sie bemerkt den Gesichtsausdruck der jungen Mutter, als sie in den Kinderwagen sieht, und der Knoten in Jos Hals droht ihr den Atem zu rauben.
Die junge Frau scheint Jos Schweigen nicht zu bemerken und fährt gut gelaunt fort. »Das letzte Mal, als ich einen Kinderwagen geschoben habe, lag eine Puppe darin, und ich war etwa sechs Jahre alt.« Sie sieht an Jo vorbei ins Innere des Ladens und sagt: »Oh, Sie verkaufen Schreibwaren. Haben Sie Taufeinladungen? Guy denkt zwar, wir sollten eher ein Namensfest feiern, als in die Kirche zu gehen. Da hat er vermutlich recht. Bei der Hochzeit hatten wir schon genügend Ärger. Seine Familie ist katholisch, und meiner Mutter ist das alles egal. Seinen Eltern vermutlich auch, aber seine Großmutter nimmt das alles sehr ernst. Zumindest hat sie das bei unserer Hochzeit …«
Zwei Dinge fallen Jo zur exakt gleichen Zeit ein. Eine doppelte Ablenkung von dem schmerzenden Knoten im Hals. Erstens klingt diese junge Frau genau wie einige ihrer Freunde, die frisch Eltern geworden waren und zu viel Zeit allein ohne jemanden zum Reden verbracht hatten. Zweitens, und das ist noch viel wichtiger, weiß sie auf einmal ganz genau, wer es war, die bei ihr im Laden über Gott gesprochen hat.
»Es tut mir leid«, sagt Jo, »solche Karten haben wir nicht.«
Beinahe möchte sie auch den nächsten Satz laut aussprechen, reißt sich aber gerade noch zusammen.
Sie glauben nicht, wem ich gerade ein paar Briefumschläge verkauft habe.
Die junge Frau lächelt und macht sich wieder auf den Weg die Gasse entlang. Jo geht zurück in den Laden.
Sie ist sich sicher.
Der Kommentar über Gott.
Ein schwarz-weißes Foto. Aber darauf trug sie keinen langen Regenmantel, sondern einen Talar. Jetzt ist Jo vollkommen überzeugt. Das lag an der Erwähnung von Hochzeiten und Taufen.
Jo holt sofort ihr Telefon aus der Tasche und fängt an zu suchen.
Der Spitzname »Die flüchtige Vikarin« war der Aufreißer eines Artikels gewesen, der über das Verschwinden einer Pfarrerin berichtet hatte. Jo erinnert sich daran, dass sie die Geschichte beim Durchblättern der Zeitung in einem Café gelesen hatte.
Die Vikarin war wie die Besatzung des Geisterschiffs Mary Celeste einfach verschwunden. Der Küchenstuhl zurückgeschoben, ein Sandwich halb gegessen. Ein Gemeindevorsteher hatte sie als vermisst gemeldet. Es gab kein Anzeichen für Gewalteinwirkung, die Hintertür stand einfach offen. Das Auto befand sich immer noch in der Einfahrt. Die Gemeindemitglieder waren völlig »entgeistert«. Jo hatte sich damals gefragt, ob heute noch jemand dieses Wort benutzte. Sie erinnert sich daran, wie jemand die Vikarin beschrieben hatte. »Man kann nichts Schlechtes über sie sagen.« Aber das sagte ihr herzlich wenig über die Frau. Die gleiche Frau, von der sie nun überzeugt ist, sie im Laden bedient zu haben.
Wahrscheinlich hätte sich Jo nicht an den ersten Artikel erinnert, wenn die Schlagzeile der »flüchtigen Vikarin« nicht am nächsten Tag auch in ihrer Nachrichtenapp erschienen wäre. Aber selbst da ist es nur eine Randnotiz im Gewimmel all der anderen Nachrichten gewesen. Wäre ihr die Schlagzeile überhaupt aufgefallen, wenn sie nicht eine heimliche Solidarität mit den anderen Flüchtigen verspürt hätte? Jetzt fragt sie sich, ob die Kinderwagenfahranfängerin überhaupt gewusst hätte, wovon sie spricht, hätte sie etwas zu ihr gesagt.
Jo stellen sich die folgenden Fragen: Sollte sie etwas unternehmen? Jemandem davon erzählen? Weiß jemand, dass die Vikarin nicht in Gefahr ist?
Sie starrt aus dem Fenster auf die Backsteinwand gegenüber. Geht sie das überhaupt etwas an? Die flüchtige Vikarin war hier im Laden und hat Umschläge gekauft, sie stand nicht gefährlich nahe am Abgrund auf einer Brücke.
Jo wendet sich wieder ihrem Telefon zu und liest weitere Artikel. Die flüchtige Vikarin (von der sie nun weiß, dass sie Ruth Hamilton heißt) hat sich nicht bei ihrer Familie gemeldet. Die scheint in Glasgow zu leben. Ein längerer Artikel aus einer Zeitung aus Warwickshire hat mehr Hintergrundinformationen zu Ruth. Sie ist siebenundfünfzig Jahre alt, geschieden, und ihre Gemeinde umfasste einen größeren Ort und ein paar kleinere Dörfer in der Nähe der Stadt Rugby. Der Artikel zeigt auch ein paar Fotos von Ruth. Auf einem steht sie auf einem Dorffest neben einem Kuchenstand. Eines zeigt Ruth vor einer Kirche, umgeben von ein paar Kindern und Tieren. Auf den Fotos lächelt sie.
Jo vergrößert die Bilder auf ihrem Handybildschirm. Es handelt sich eindeutig um die Frau, die im Laden war. Sie fragt sich, wie alt die Bilder sind. Die Frau, die bei ihr Umschläge gekauft hat, sah älter aus, etwas mitgenommener. Oder bildet sie sich das nur ein, da sie jetzt weiß, dass es sich bei ihr um die flüchtige Vikarin handelt? Auf der Suche nach einem Hinweis darauf, warum die Frau aus einer so idyllisch scheinenden Gemeinde verschwunden sein könnte, sucht sie erneut den Bildschirm ab. Das Gesicht der Frau wirkt nett, mit dichten Augenbrauen und einem freundlichen Ausdruck. Sie ist die Art Vikarin, von der sie James und sich gerne hätte trauen lassen.
Und da ist er wieder. Der Stolperstein, der sie zum Straucheln bringt. Gerade hat sie zu ihrer Freude eine Stunde oder so nicht an James gedacht. Aber wenn der Gedanke sich einmal festgesetzt hat, kann sie ihn mit logischen Argumenten nicht mehr loswerden, er krallt sich nur noch fester.
Mit großer Anstrengung versucht Jo, sich wieder auf die flüchtige Vikarin zu konzentrieren. Noch einmal studiert sie ihre Gesichtszüge, sucht nach Hinweisen. Sie fragt sich, ob sie die Vikarin je wieder zu Gesicht bekommen wird. Und wenn ja, ob sie dann etwas zu Reverend Ruth Hamilton sagen wird.
Noch immer kreisen ihre Gedanken gelegentlich um die flüchtige Vikarin, als Jo eine Stunde später mit ihrer täglichen Inventur beginnt. Wie das Beobachten ihres Streifens Himmel beruhigt sie auch dieses profane Ritual. Es ist zu einem wichtigen, wenn auch unnötigen Teil ihres Tagesablaufs geworden.
Das Geschäft läuft nicht besonders gut, manchmal kommen kaum mehr als ein Dutzend Kunden in den Laden. Also gibt es nicht wirklich einen Grund, den Bestand so regelmäßig zu kontrollieren. Außerdem könnte sie ihn jederzeit mithilfe der modernen Kasse berechnen, in die ihr Onkel Wilbur investiert hat. Sie vermutet, dass er mit diesem Zugeständnis an die neue Zeit irgendwie gehofft hatte, die Einnahmen zu verbessern. Der Plan war nicht aufgegangen. Allerdings hatte ein gigantischer Baumarkt nur eine halbe Meile entfernt eröffnet. Seit über fünfzig Jahren hatte das Geschäftsmodell ihres Onkels darauf basiert, eine Kombination aus Schreibwaren und Haushaltswaren zu verkaufen. Seit der Baumarkt eröffnet hat, ist der Anteil der Schreibwaren (vor allem nützliche Dinge, die den praktischen Geist ihres Onkels ansprechen) immer größer geworden.
Jo fängt damit an, die Regale, die für die Haushaltswaren bestimmt sind, zu kontrollieren. Dazu reicht ein kurzer Blick auf die halbherzige Ansammlung von Schrauben, Haken, Steckern und Verlängerungskabeln. Alles ist sorgsam aufgereiht, aber das kann nicht davon ablenken, dass es sich um eine zusammengewürfelte Auswahl handelt.
Dann wendet sie sich dem Regal mit dem Briefpapier zu. Hier liegen schlichte Blöcke mit weißem und hellblauem Papier und die dazu passenden Briefumschläge. Das Briefpapier ist so altmodisch, dass es schon zu den Zeiten, als ihr Onkel den Laden eröffnet hat, nicht weiter aufgefallen wäre. Sie blättert durch einen der Blöcke und fährt mit dem Finger über die Richtlinie und das einzelne Blatt Löschpapier. Ihr fallen die Worte der »Zahnärztin« wieder ein.
»Heute schreibt doch niemand mehr mit einem Füller.«
»Und Briefe schreibt ohnehin heute niemand mehr.«
Ihr Blick bleibt an einem Stapel Briefumschläge hängen, ähnlich denen, die die flüchtige Vikarin gekauft hat. Immerhin schreibt die Vikarin offensichtlich noch jemandem Briefe …
Jo geht von den Blöcken weiter zu den Notizbüchern und verdrängt diese Gedanken, während sie sich lieber auf die einfache Freude konzentriert, die die gebundenen Seiten von reinem, weißem Papier bei ihr auslösen. Es gibt große Notizbücher, die in kräftigem, braunem Papier eingebunden sind, kleinere Ringbücher, eine Auswahl an Übungsheften in bunten Farben und die Quittungsblöcke mit dem jungfräulichen, blauen Durchschlagpapier, die sie besonders mag. Als Nächstes kommen die Stempelkissen und die Stempel.
Eine plötzliche Erinnerung lässt sie auflachen. Ihr fällt ihr liebstes Weihnachtsgeschenk aller Zeiten ein, die Ohrringe, die James ihr an ihrem letzten gemeinsamen Weihnachten geschenkt hat, eingeschlossen. Als sie zehn war, hat sie von ihrem Onkel Wilbur einen Stempel geschenkt bekommen. Damit konnte man die Worte »Bezahlt« und »Fällig« sowie das Datum, das sich einstellen ließ, stempeln. Wenn sie das richtige Datum eingestellt hatte, drückte sie den Stempel zufrieden in das rote Stempelkissen. Dann folgte das befriedigende »Fump«, mit dem sie den Stempel auf den Quittungsblock presste.
Jo verweilt bei den Bleistiften und dreht einen 2B-Bleistift wie eine Zigarre zwischen Daumen und Zeigefinger, als die Ladentür geöffnet wird.
»Malcolm!« Freudig wendet sie sich der Gestalt zu, die sich ihr nähert.
Malcom war der erste Kunde, den Jo im Laden ihres Onkels bedient hatte. Er hatte sich höflich und freundlich vorgestellt. Er hatte sich gefreut, sie kennenzulernen, ihr gesagt, dass sein Name Malcolm Buswell sei und er nur wenige Gehminuten entfernt wohnte. Ihre Unterhaltungen sind spärlich, trotzdem ertappt sie sich häufig dabei, dass sie von ihrem Platz am Fenster nach seiner langgliedrigen Gestalt Ausschau hält. Sie muss immer lächeln, wenn sie ihn mit schwingenden Armen und langen Beinen die Gasse hinunterschlendern sieht. Als sie Malcom zum ersten Mal gesehen hat, musste sie an die Figur von Roald Dahl denken, an den großen freundlichen Riesen. Malcolms Ohren stehen zwar nicht so ab, aber dafür hat er eine Hakennase und dieselbe freundliche Ausstrahlung.
»Ah, guten Tag«, begrüßt sie Malcolm, als er sich, wie erwartet, den Notizbüchern zuwendet. Fast jede Woche kauft Malcolm ein neues. Er schreibt ein Buch. Bisher hat er ihr aber noch nicht verraten, worum es in seinem Buch geht. Er hat offensichtlich keine Lust, ihr davon zu erzählen. Jo hat höflich versucht nachzufragen und Malcolm auch in Gespräche über Bücher, die sie beide lesen, verwickelt, aber seine Antworten bleiben immer vage und unverbindlich. Also hat sie aufgehört, weiter nachzufragen.
Nach und nach hat Jo herausgefunden, dass Malcolm, schon seit er ein junger Mann war, in der Nähe von Hampstead Heath lebt und dass er pensionierter Steuerberater ist. (Das überraschte sie nicht. Malcolm ist immer förmlich in Grau gekleidet, selbst seine lässigsten Klamotten sehen eher wie Anzüge aus.) Er war auf Testamente und Nachlässe spezialisiert. Er interessiert sich für lokale Geschichte. Und für Literatur. Seit seine Mutter gestorben ist, wohnt er allein in dem kleinen Haus, das sie zuvor gemeinsam bewohnt haben. Jede dieser Informationen wird ihr mit förmlicher Zurückhaltung dargeboten, meist nachdem der Kaufvorgang des neusten Notizbuchs abgeschlossen ist.
Jo bietet ihm im Gegenzug auch ein paar Informationen an. Das findet sie nur höflich, und Malcolm ist immer höflich. Er hält anderen Kunden die Tür auf, nickt ihnen mit seinem langen, schmalen Kopf freundlich zu, wenn sie den Laden betreten oder verlassen. Jo hat ihm erzählt, dass alle in ihrer Familie Landwirte sind. Die Familie ihrer Mutter kommt aus dem Lake District und die ihres Vaters aus North Yorkshire. Sie hat ihm erzählt, dass sie in Bath studiert hat, aber nach einigen Jahren auf Reisen zum Arbeiten wieder in den Norden gezogen ist. Sie hat in Newcastle gearbeitet, aber in einem Dorf in Northumberland gewohnt. Sie war bei einer Bank angestellt und hat in deren Hauptsitz gearbeitet, bis sie vor neun Monaten gekündigt hat.
Sie erklärt Malcolm nicht, warum sie gegangen ist. Und das hat sie auch nicht vor. Manchmal drängen sich ihr die Worte, die sie sagen könnte, auf, aber sie kommen ihr nie über die Lippen.
Weißt du, ich war nicht gut genug, Malcolm.
Letztendlich war ich, egal, was ich gemacht, und egal, wie sehr ich es versucht habe (vielleicht sogar zu sehr!), nicht das, was er wollte.
Und das war es dann, er hat mich verlassen und ist jetzt mit einer jüngeren, viel schöneren Frau zusammen.
Nickyyy.
Sicher machen ihm seine Freunde keine Vorwürfe.
Und meine Freunde? Meine Freunde waren nie wirklich seine Freunde.
Lucy, meine beste Freundin, konnte ihn nicht ausstehen.
Anfangs habe ich das nicht mitbekommen. Sie und ihr Mann Sanjeev sind für ein paar Jahre wegen Sanjeevs Arbeit weggezogen, aber als sie zurückkamen, oh, da konnte ich es ihnen ansehen.
Ich habe mir große Mühe gegeben, es allen recht zu machen … das habe ich wirklich …
Und so weiter und so fort.
Heute, bevor sie ihren inneren Monolog beginnen kann, füllt sie die Stille mit einer Frage.
»Kann ich dir irgendwie helfen, Malcolm?«
»Wie bitte, Joanne? Hast du etwas gesagt?«
Malcolm benutzt immer ihren ganzen Namen.
»Kann ich dir helfen?«
»Nein, das hier ist ein schlichter Prozess. Eine neue Woche. Ein neues Notizbuch.«
Vielleicht schreibt Malcolm ein Tagebuch und keinen Roman? Seine Reserviertheit macht es ihr unmöglich nachzufragen.
»Ah, das hier wird das Richtige sein. A5, blau, Ringbindung. Absolut ausreichend.« Er bringt das Notizbuch an den Verkaufstresen und hält ihr seine Geldkarte entgegen.
Jo erinnert sich plötzlich an etwas, das sie Malcolm fragen wollte.
»Malcolm, weil du so oft fragst, wie es meinem Onkel Wilbur geht, wollte ich wissen, ob ihr befreundet seid.« Sie schätzt, dass Wilbur mit seinen achtzig Jahren etwas älter ist als Malcolm, aber nicht viel.
»Ich würde nicht befreundet sagen, Joanne, aber manchmal haben wir hier zusammengesessen und eine Tasse Tee getrunken.«
Jo fällt auf, dass sie nie auf die Idee gekommen ist, Malcolm einen Tee oder einen Platz anzubieten.
»Worüber habt ihr geredet?«, will Jo wissen.
»Oh, über die Gegend. Wie sehr sie sich verändert hat. Und Wilbur hat sich sehr für Schach interessiert. Darüber haben wir uns manchmal unterhalten und über seinen Schachklub.«
»Bist du auch im Schachklub?«
»Nein, nein. Das ist nichts für mich, Klubs und Vereine.«
Jo will gerade fragen, warum nicht, aber Malcolm kommt ihr zuvor.
»Ich weiß auch nicht genau, warum. Nur hat es sich nie ergeben.« Er fährt fort. »Dein Onkel ist ein guter Mann, Joanne. Richte ihm meine besten Wünsche aus.« Dann sagt er noch etwas wehmütig: »Aber, nein, ich würde nicht behaupten, dass wir Freunde sind.«
Bevor er die Tür erreicht, dreht er sich noch einmal zu Jo um. »Ich glaube, ich wäre gerne sein Freund gewesen.« Er zögert und fährt langsamer und nachdenklicher fort. »Es gab Zeiten, in denen er für Wochen die einzige Person war, mit der ich gesprochen habe.«
Sie sehen sich direkt in die Augen, und eine Art stilles Verständnis stellt sich zwischen ihnen ein.
Jo weiß, dass Malcolm ihr Mitleid nicht braucht. Genauso wenig wie sie seins. Aber sie möchte diesem sanften Mann etwas geben.
»Ach, ich bin mir sicher, dass Onkel Wilbur dich als Freund betrachtet hat«, sagt sie also.
Malcolm akzeptiert die Worte mit einem langsamen Nicken.
Als er sich abwendet, bemerkt Jo, dass sein Gesichtsausdruck zwar immer noch nachdenklich ist, sich aber etwas Hoffnungsvolles mit hineingeschlichen hat.
Es ist eine Woche her, dass die flüchtige Vikarin im Laden war. Seitdem hat sie sich nicht mehr blicken lassen (Jo hat durchaus Ausschau nach ihr gehalten), aber jetzt hat Jo einen anderen unerwarteten Besucher.
»Ich brauche so ein Ordnerding. Du weißt schon, Kladden … oder Ordner oder so … aber nicht so groß … A4 … aus Plastik.« Eric der Wikinger fuchtelt mit den Armen.
Als Jo nicht antwortet, malt er ein Rechteck in die Luft, als würden die beiden Scharade spielen. Sie weiß genau, wovon er redet, und sie hat das auch im Laden, trotzdem antwortet sie nicht. Sie ist einfach zu überrascht davon, dass Eric der Wikinger aus Birmingham kommt.
Er trägt seine Fellstiefel, die Tätowierungen auf seinen Armen sehen aus wie nordische Runen und Symbole. Sein Haar ist so blond, es ist fast weiß. Er hat den passenden Bart und hellblaue Augen.
Aber sein Akzent klingt nasal, und er kommt eindeutig irgendwo aus den Midlands.
Sie möchte sagen, aber ich dachte, du wärst ein Wikinger. Stattdessen sagt sie: »Ich weiß genau, was du meinst.« Dann kommt sie hinter dem Tresen vor. Sie muss sich an ihm vorbeidrängen und holt, was er sucht. Er ist sogar gebaut wie ein Wikinger.
»Bitte schön«, sagt sie und legt einen Stapel Sammelmappen auf die Theke. »Für deine Motive?«
Er sieht sie verwirrt an, während er durch die Mappen blättert.
»Damit die Leute sich ein Motiv aussuchen können?«, wiederholt sie.
»Wie bitte?«, fragt er verdutzt und sieht auf. Aber bevor sie antworten kann, fährt er fort. »Perfekt, aber hast du die vielleicht noch in anderen Farben?«
»Nein, leider nicht.«
»Macht nichts. Ich kann einfach ein paar Aufkleber vorne draufmachen. So was hast du aber wahrscheinlich nicht, oder?«, erkundigt er sich und sieht sich im Laden um.
»Was für Aufkleber?« Jo weiß nicht, warum sie überhaupt nachfragt. Sie hat nur ein paar bunte Punkte und Adressfelder als Aufkleber.
»Etwas für Kinder. Ich will, dass Kinder sich das gern ansehen.«
»Aber du kannst doch keine Kinder tätowieren!«, sprudelt es aus ihr heraus, und weil sie nicht zurückkann, fügt sie schwach hinzu: »Das ist doch verboten.« Eric der Wikinger muss doch wissen, dass man volljährig sein muss, um sich tätowieren zu lassen.
Eric der Wikinger fängt an zu lachen, und sie muss zugeben, das steht ihm. Sein Lachen ist tief und grollend.
»Was glaubst du denn, was ich mache?«
»Bist du nicht Eric der Wikinger, vom Tattoo Studio?«
Wieder lacht er laut auf. So muss ein Walross klingen, wenn es jemandem so Bescheuerten wie ihr begegnet. Warum zum Teufel hat sie seinen Spitznamen laut vor ihm ausgesprochen? Er lehnt sich über die Theke, greift nach ihrer Hand und schüttelt sie. Währenddessen grinst er sie amüsiert an. »Wieso bin ich nicht schon früher vorbeigekommen? Das ist ja großartig. Sag mir, wie heißt du, Schreibwaren-Girl?« Er lässt ihre Hand los und macht einen Schritt zurück, um sie genauer zu betrachten.
Ihr stellen sich alle Nackenhaare auf. »Ich heiße Jo Sorsby«, erwidert sie so würdevoll wie möglich. »Der Laden gehört meinem Onkel. Ich kümmere mich nur darum, solange …« Sie hat keine Lust, Eric vom Zustand ihres Onkels zu erzählen.
»Ach, ja«, sagt er und sieht auf einmal ernsthafter aus. »Das tut mir leid. Einer seiner Freunde aus der Legion hält mich über seinen Zustand auf dem Laufenden.« Das Bild eines alten Soldaten mit den Armen voller Tätowierungen drängt sich Jo auf.
Eric lächelt sie wieder an. Er sieht sie an, als hätte sie ihm irgendwann einmal den besten Witz der Welt erzählt und er sei ihm gerade wieder eingefallen. Sie weiß nicht einmal, was er überhaupt so lustig findet. Ihre innere Stimme beantwortet ihr diese Frage: Du hast ihn einen Wikinger genannt, du Idiot.
»Ich hätte schon früher vorbeikommen und Hallo sagen sollen.« Es klingt, als würde er mit sich selbst reden. Sich selbst schelten. »Das ist unverzeihlich.« Er lehnt sich wieder vor, schnappt sich ihre Hand erneut und schüttelt sie.
»Eric Sv…«
Sie hat keine Ahnung, wie sein Nachname lautet. Er scheint mit einem S zu beginnen, da ist irgendwo ein V und vermutlich ein J.
»… freut mich, dich kennenzulernen, Jo Sorsby«, fügt er hinzu.
»Wie schreibt man das?«, fragt Jo irritiert.
»Das wird dir nicht im Geringsten helfen«, wieder lacht er. »Der Name ist isländisch, aber ich komme aus …«
»Birmingham?«, schlägt sie vor.
»Nein, Brighton.«
»Verstehe …«, sagt sie, versteht aber eigentlich gar nichts.
Er schüttelt den Kopf und lacht noch einmal. »Oh, das war viel zu einfach. Stimmt, ich bin in Birmingham groß geworden. Bis ich achtzehn war, habe ich dort gelebt. Aber du hast recht – Gott, hätte mein Vater seine Freude an dir –, wir stammen von Wikingern ab. Das ist das Lieblingsthema meines Vaters, wenn er ein paar getrunken hat.«
»Ich dachte, Wikinger kommen aus Skandinavien.«
»Oje, und bis hierher hättest du so einen Stein im Brett gehabt bei meinem Vater, Jo.« Er sieht sie gespielt enttäuscht an und lässt den Kopf hängen.
Sie hat immer noch Schwierigkeiten damit, den Akzent mit dem großen Typen vor sich in Einklang zu bringen.
»Mum und ich versuchen immer wieder, ihm zu erklären, dass Island von Wikingern besiedelt wurde, aber davon will er nichts wissen. Er behauptet felsenfest, dass die Wikinger aus Island kommen.« Wieder schüttelt er den Kopf. »Und jetzt muss ich leider los. Ich habe einen Termin. Was schulde ich dir hierfür?«, fragt er und deutet auf die schwarze Mappe.
Sie sagt es ihm, und er zahlt. Dann steckt er den Beleg in die Tasche seiner Jeans. Als er den Ordner nimmt, fällt sein Blick auf die Vitrine im Tresen, und er entdeckt die Füller. »Ah, Füllfederhalter! Die musst du da aber rausholen, Jo. Da drinnen haben die doch nichts verloren. Füller muss man benutzen. Jeden Tag. Sonst werden sie einsam, denken, dass niemand sie liebt …« Er macht eine lange Pause, und sie hat das ungute Gefühl, dass ihm auffällt, dass sie genauso ungeliebt ist. Und noch etwas anderes Beunruhigendes mischt sich dazu, aber sie weiß nicht genau, was.
Sie hat den Eindruck, als wolle er noch etwas sagen, sie etwas fragen, aber stattdessen greift er in seine Hosentasche und holt einen Füller heraus. Er ist zinnfarben, hat einen kurzen, breiten Korpus und eine silberne Klemme. Verdutzt sieht sie zu ihm auf. Dann fragt sie sich, warum sie das überraschen sollte. Immerhin arbeitet Eric der Wikinger (sie hat beschlossen, er hat sich den Spitznamen verdient) auch mit Tinte.
Gerade will sie etwas sagen, aber Eric sieht sie nicht mehr an. Er kritzelt etwas auf einen Block, den er ebenfalls aus seiner Hosentasche hervorgeholt hat. Als er wieder aufsieht, lächelt er. »Lando ist der Tintenkünstler. Und ein sehr begabter noch dazu«, erklärt er und betrachtet seine Unterarme.
»Und du bist …«
Er reißt das oberste Blatt von seinem Block ab und reicht es ihr.
»Eric der Optiker.« Er macht sich auf den Weg zur Tür, aber bevor er sie öffnet, dreht er sich noch einmal grinsend zu ihr um. »Aber du kannst mich auf jeden Fall Eric der Wikinger nennen.«
Sie sieht auf das Blatt Papier in ihrer Hand. Darauf hat er einen Wikinger gezeichnet, der eine übergroße Brille trägt. Sie muss lachen, dann sieht sie durch ihr Schaufenster.
Aber Eric der Optiker ist weg.
Sie muss immer noch lächeln, als sie die Zeichnung neben den einsamen Kalender an die Pinnwand heftet. Jos Gesicht fühlt sich komisch an, irgendwie gedehnt und schmerzhaft. Und sie fragt sich, wann sie eigentlich zum letzten Mal gelacht hat.
Aufgekratzt von all dem Lachen, hat Jo am Abend Lucy eine Nachricht geschrieben. Nichts Besonderes, sie hat ihr nur von Eric dem Wikinger erzählt. Lucy hat sofort mit einer Reihe von lachenden Emojis geantwortet. Das hat sich sehr vertraut angefühlt, wieder mehr wie früher.
Aber an diesem Morgen ist Jo nicht zum Lachen. Der Briefträger war gerade da.
Er hat ihr eine Rechnung gebracht, sonst nichts. Eine Nebensächlichkeit. Es ist eine alte Wasserkostenabrechnung, die bezahlt werden muss. James hat ihr aufgeschrieben, was sie ihm schuldet. Sonst nichts.
Trotzdem löst die Vertrautheit seiner Handschrift etwas in ihr aus. Sie bemüht sich, dagegen anzukämpfen, sich zu sammeln. Als sie den Brief an die Pinnwand heftet (darum kümmert sie sich später), fällt ihr auf, dass die Adresse auf dem Umschlag verschmiert ist, und erst dann merkt sie, dass sie weint.
Das ist das Problem mit Tränen. Sie überrumpeln einen einfach.
Hätte sie nicht geweint, hätte Jo vielleicht ihren Job in der Bank nicht kündigen müssen.
Sie hatte sich im Kopierraum in der Arbeit auf den Boden gehockt und geschluchzt. Ihre Tränen hatten das Briefpapier aufgeweicht, das keiner mehr benutzte. Vermutlich hatte es eine seltsame ironische Symmetrie, dass sie jetzt in London in einem Schreibwarenladen saß. Ein Laden, der kaum größer war als jener Raum.
Aber sie hat nicht erst dort angefangen zu weinen. Damit wäre sie vielleicht durchgekommen. Sie hatte im Besprechungsraum angefangen. Das war im April, und ihre Mutter hatte sie gerade angerufen, um ihr zu sagen, dass sie sich um Onkel Wilbur Sorgen machte. Er hatte sich ausgesperrt und war überzeugt davon, dass seine Schlüssel irgendwo im Lake District seien, und das ergab überhaupt keinen Sinn. Jo war abgelenkt gewesen, aber sie hatte bei der Besprechung dabei sein müssen, und eigentlich hätte das auch kein Problem darstellen sollen. Sie war nur dabei, um ein paar Fragen über die Datenbank der Bank zu klären, das war ihr Spezialgebiet. Andere kümmerten sich um den Großteil der Präsentation.
Einer dieser Leute, der sprach, war ihr Freund, mit dem sie seit sechs Jahren zusammen war. Während er den Anwesenden die Prognose des kommenden Jahres vorstellte, saß sie da, einen Arm auf den Tisch gelehnt, den anderen auf die Armlehne gestützt. Mit Daumen und Zeigefinger berührte sie sanft den Ohrring in ihrem rechten Ohrläppchen. James hatte ihr die Ohrringe zu Weihnachten geschenkt, und sie trug sie fast jeden Tag. Sie erinnert sich, dass sie dachte, wie gut er aussah: groß und sportlich, mit seinem schicken weißen Hemd und dem dunkelgrauen Jackett. James ist ein selbstbewusster Redner. Und er hat jedes Recht dazu. Er macht einen guten Job. Alle im Raum hören ihm aufmerksam zu, nicht weil er laut oder lustig ist, sondern weil er vernünftig klingt. Alle mögen James. Jo liebte ihn.
Aber liebte er sie auch?
Sie hat keine Ahnung, woher der Gedanke plötzlich kam. Fester drückte sie mit dem Daumen gegen den Stab des Ohrrings, als wollte sie es sich damit bestätigen. Natürlich liebte er sie.
Aber das versetzte sie nur wieder zurück zum letzten Weihnachtsfest und zu ihrer fürchterlichen Enttäuschung, als sie die kleine Schatulle öffnete und darin keinen Verlobungsring, sondern ein paar kleine Diamantohrstecker fand. Damals hatte sie James nicht einmal ansehen können, den Kopf gesenkt und geflüstert: »Oh, die sind aber schön.« Aber innerlich hatte sie geschrien: Wie kannst du mir das antun? Wie kannst du nur? Vor meiner Familie! Erst eine Stunde später brachte sie es wieder übers Herz, ihre Mutter anzuschauen, aber auch dann vermied sie Blickkontakt.
Im Besprechungsraum hatte sie immer fester gegen den Ohrstecker gedrückt, bis ihre Gefühle sich alle schmerzhaft an einem Punkt an ihrem rechten Daumen konzentrierten. James liebt mich, und eines Tages werden wir heiraten. Sie hatte das alles schon seit Jahren geplant. Nicht auf eine so kitschige Weise, dass sie ein Album angelegt hätte, aber immer mal wieder stellte sie es sich vor. Den Blumenstrauß, den sie tragen würde, wo sie heiraten würden, wohin ihre Hochzeitsreise gehen würde. Und so war es weitergegangen, bis sie eine ganze Reihe von Ideen gesammelt hatte, wie Schnappschüsse ihres gemeinsamen Lebens.
Sie saß im Besprechungsraum und stellte sich vor, was ihre Kollegen wohl sagen würden, wenn sie sie darum bäte, den Tisch von den Kaffeetassen und Wasserflaschen freizumachen, damit sie all diese imaginären Bilder darauf ausbreiten könnte. Hätten sie zuversichtlich genickt und gesagt, ja, Jo, sicher. Wir wussten immer, dass ihr beiden einmal heiraten werdet?
Dann sah sie zu James, da konnte sie seine Stimme schon kaum noch hören, und sie wusste, dass es eine Sache gab, die sie ihm mehr als alles andere hatte sagen wollen.
Da trafen sich ihre Blicke. Seine Stimme zitterte für einen ganz kurzen Augenblick, und in diesem Moment wusste sie es. Er wird mich niemals fragen. Er liebt mich nicht mehr. Und als die Tränen anfingen, ihr über die Wangen zu laufen, wusste sie, dass sie ihm diese eine Sache niemals würde sagen können.
Ich wünsche mir so sehr ein Baby, James.
Ihr war die seltsame Stille im Raum nicht aufgefallen, bis jemand sie am Arm berührt und auf die Beine gezogen hatte. Da fiel ihr die Person auf, die sich zwischen Jo und ihre Kollegen, die wie versteinert waren, gestellt hatte. Sie erinnert sich, gedacht zu haben, das hätte ich von Jemima nicht erwartet. Jemima, die so eiskalt sein konnte. Jemima, die, ausgehend von den Fotos in ihrem Büro, Hunde wohl lieber mochte als Menschen.
Sie ließ Jemima an der Tür zum Besprechungsraum stehen, ging direkt in den Kopierraum und warf die Tür hinter sich zu.
»Joanne? … Joanne?«
Es dauert einen Moment, bis Jo auffällt, dass Malcolm vor ihr an der Theke steht. Sie hat dem Verkaufsraum den Rücken zugewandt und starrt auf den Brief an der Pinnwand.
»Entschuldige, Malcolm«, sagt sie und dreht sich zu ihm um.
»Joanne …« Jetzt klingt Malcolm besorgt und ein wenig schockiert.
Ihr war nicht klar, dass ihr Gesichtsausdruck sie so verraten würde.
»Doch keine schlechten Nachrichten, hoffe ich? Alles in Ordnung mit deinem Onkel Wilbur?«
Nicht wirklich, Malcom. Oft kann er sich nicht mehr daran erinnern, was vor fünf Minuten vorgefallen ist. Aber das erzählt Jo ihm nicht. Stattdessen sagt sie, dass es Wilbur gut gehe, und bietet Malcom eine Tasse Tee an.
Der Gesichtsausdruck des alten Manns verdunkelt sich. »Das wäre mir eine große Freude, Joanne, aber ich habe einen Termin bei der Bank … wegen meiner Rente und derlei«, erklärt er und sieht immer noch besorgt aus.
»Ein andermal«, erwidert Jo und zwingt sich zu einem Lächeln.
Malcolm sieht zur Pinnwand. »Kann ich irgendetwas tun? Irgendwas?«
Sie will sagen: Kannst du bitte dafür sorgen, dass James mich liebt und er einsieht, dass er einen großen Fehler gemacht hat?
Das sagt sie sich oft genug im Stillen oder wenn sie allein in der Wohnung ist. Manchmal glaubt sie sogar, dass es möglich wäre.
Sie will, dass Malcolm ihr erklärt, warum es nach sechs Monaten immer noch so verdammt wehtut. Sie versucht, sich einzureden, dass es viel mit Stolz zu tun hat, aber das erklärt den körperlichen Schmerz nicht, der ihr den Atem zu rauben droht, wenn sie nachts allein im Bett liegt.
Plötzlich fällt Jo auf, dass sie nichts darauf erwidert hat, und sie glaubt, Malcolm eine Erklärung für seine Sorge zu schulden. Also sagt sie: »Das ist ein Brief oder vielmehr eine Rechnung von meinem Ex-Freund. Wir haben vier Jahre zusammengelebt und uns getrennt, bevor ich nach London gekommen bin. Der Brief hat nur alles wieder hochgeholt.«
Malcolm nickt, als ob das alles Sinn ergäbe.
»Wir waren zwei Jahre zusammen, bevor wir zusammengezogen sind.« Jo fragt sich, warum sie den Eindruck hat, das erwähnen zu müssen. Vielleicht um zu unterstreichen, wie ernst ihre Beziehung gewesen ist? Dass sie etwas bedeutet hat?
»Ich glaube, das war für uns beide hart«, wobei sie das bezweifelt. Obwohl es unwichtig ist, fügt sie noch etwas hinzu, damit Malcolm nicht schlecht von James denkt. »Alle mochten James.«
Außer Lucy. Und nun fällt ihr ein, auch Jemima. Jemima, die sie in dieser Besprechung gerettet hat. Nein, Jo würde wetten, dass Jemima James noch nie leiden konnte. Sich nie von seinem Charme hatte beeindrucken lassen.
Ihre Überlegungen werden unterbrochen.
»Verstehe, verstehe«, sagt Malcolm und nickt wieder. »Und deshalb bist du nach London gekommen?«
»Ja«, gibt Jo zu. »Ich habe herausgefunden, dass er eine neue Freundin hat. Eine Kollegin von mir.« Sie versucht zu lächeln. »Also bin ich davongelaufen.«
»Nein, nein!«, ruft Malcolm aus, und Jo fragt sich, ob die Wiederholungen als doppelte Dosis der Bestätigung fungieren sollen. »Nicht im Geringsten, nicht im Geringsten. Du bist hierhergekommen, um deinem lieben Onkel unter die Arme zu greifen. Ich bin mir sicher, deine Familie und deine Freunde denken nicht, dass du davongelaufen bist. Ich bin überzeugt, sie vermissen dich alle sehr.«
»Oh, Malcolm.« Mehr bringt Jo nicht raus.
Wo soll sie nur anfangen?
Später am Abend sitzt Jo am Gasofen im Sessel ihres Onkels (der erstaunlich gemütlich ist) und denkt über das Gespräch mit Malcolm nach. Sie weiß, dass ihre Familie sie vermisst (nun ja, ihre Brüder vielleicht nicht, aber ihre Eltern doch sicher). Doch wenn sie an ihre Freunde denkt, überkommt sie ein enormes Unwohlsein.
Es hatte sich so eingeschlichen. Es war ihr gar nicht wirklich aufgefallen. Aber irgendwie haben sie immer nur gemacht, worauf James Lust hatte. Gingen aus, wohin James gehen wollte. Aber seine Vorschläge waren auch immer gut. Bei einem so vernünftigen Mann wäre es ihr kleinlich vorgekommen, einen Streit anzufangen, nur weil sie lieber etwas anderes gemacht hätte. Außerdem gab es ja auch noch andere Leute zu bedenken. James hatte einen Freundeskreis, der sie oft begleitete. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie den Eindruck, zu den »coolen Kids« zu gehören, auch wenn man sie nur duldete, weil sie James’ Freundin war. Das war neu und fühlte sich gut an. Außerdem war sie einsam gewesen, als sie sich kennenlernten. Lucy und Sanjeev waren gerade für seine Arbeit nach Amsterdam gezogen, eigentlich wollten sie nur zwei Jahre bleiben, aber daraus sind schließlich vier geworden. Mit Freude hatte sie sich in ihr Leben mit James gestürzt.
Sie hat ein schlechtes Gewissen, wenn sie daran denkt, dass sie daher ein paar alte Freundschaften hatte schleifen lassen. Jo hatte sich davon mitreißen lassen, jetzt hier dazuzugehören. Die Bank zahlte ihr ein gutes Gehalt. James war der Meinung, wer hart arbeitete, verdiente es auch, hart zu feiern. Das war einer seiner liebsten Sprüche. Also machten sie Wochenendausflüge, gingen Ski fahren, oder zu teuren Abendessen mit den »Freunden«, von denen sie inzwischen nichts mehr hörte.
Ihr fehlen diese Leute nicht, selbst damals hat sie gemerkt, dass einiges völlig übertrieben war. Aber James war immer ganz anders, wenn sie nur zu zweit waren. Besonders nachdem sein Vater an einem Herzinfarkt gestorben war und ihn dieser plötzliche Verlust hart traf. Sie hatte ihm Halt gegeben, die Führung übernommen. Sich auch um seine Mutter gekümmert.
Während all dieser Zeit hatte sie versucht, Lucy die Treue zu halten, sie zu besuchen, anzurufen, sich Zeit für sie zu nehmen, besonders in den letzten zwei Jahren, als sie wieder zurück in England war. Egal, wie James das fand. Das hatte sie doch, oder? Sie hatte sich doch so bemüht, ihre Freundschaft wiederaufleben zu lassen. Nie hatte sie Lucy vorgeworfen, dass sie schließlich umgezogen war.
Warum also trägt der Gedanke an ihre Freundschaft mit Lucy so zu ihrem Unbehagen bei?